Kategorie: Visionäres

5 Ideen zur Gestaltung lebendiger Organisationsstrukturen

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Die Diskussion um neue Organisationsformen, zeitgemäße Organisationsentwicklung, die Gestaltung lebendiger Organisationsstrukturen oder das, was immer wieder als „New Work“ verkauft wird, kann zur Vorstellung führen, dass es genau zwei sinnvolle Logiken zur Strukturierung einer Organisation gibt:

Auf der einen Seite stehen traditionelle Hierarchiemonster, in viele Ebenen gestaffelte, pyramidale, hoch komplizierte, mit Stabsstellen versehene Organigramm-Konstrukte, gegen die die Pyramiden von Gizeh alt aussehen. Die Mitarbeiter* innen sind grauer als die Graumänner bei Momo und Frau Malzahn ist Chef. You know what I mean…

Auf der anderen Seite stehen sich evolutionär entwickelnde, einer integralen Logik folgende, dauermeditierende Hipsterbuden, die die Netzwerklogik so übertreiben, dass sie schon allein deswegen nicht ganz dicht sind, weil sie für alles und jeden offen sind. Matetee ersetzt Kaffee und das einzige Statussymbol sind die selbstgehäkelten, erkreiselten Pulswärmer. Da kann einem schon schwindlig werden…

Warum Polarisierung wichtig ist

Ja, ich überspitze, sehr bewusst. Aber eine Polarisierung ist (oder, besser: war) wichtig, um beide Seiten gegeneinander zu stellen und über die Polarität zu verdeutlichen, wo die Herausforderungen vor allem der formal-hierarchischen, einer technokratischen Management-Logik folgenden, bürokratischen Strukturen liegen. Und es bleibt wichtig, die beiden Pole aufzumachen, um zu verdeutlichen, dass Arbeit heute und in Zukunft anders sein muss, wenn wir die Herausforderungen unserer Welt gestalten wollen. Ich finde es immer wieder faszinierend, dass wir so sozialisiert sind, Arbeit immer in „oben und unten“ zu denken, immer in „Ich Chef, du nix!“ zu agieren, immer anhand von Belohnung und Bestrafung zu entscheiden. Das hat mit der Realität im Übrigen ganz wenig zu tun, denn: Wenn man genau hinschaut, sieht man die hinter der Formalstruktur liegende Beziehungsstruktur der Organisation ebenso wie die Struktur, die für die Wertschöpfung zuständig ist. Aber dafür fehlen uns oft die Worte.

Der andere, der von mir oben sehr abschätzig als sich evolutionär entwickelnde, einer integralen Logik folgende, dauermeditierende, türkise Pol, schreckt aber genauso ab, wie die erste Seite. Das kommt wiederum durch die Sozialisation: Das, was wir nicht kennen, macht erstmal Angst, löst Unsicherheit aus, lehnen wir ab. Das geht uns mit fremden Menschen und Kulturen so wie mit nervigen Pandemien und der Art, wie wir Arbeit denken und strukturieren.

Die Realität zwischen den Polen

Zwischen den beiden – wichtigen – Polen (unten zeige ich dann, dass es diese so auch nicht existieren) gibt es jedoch deutlich mehr Optionen der Strukturierung von Arbeit. Vor kurzem bin ich im Buch „Corporate Rebels: Make work more fun“ über die im Folgenden skizzierten fünf möglichen „Zwischenformen“ organisationaler Struktur gestolpert. Ich greife sie hier mal als Anregung auf und bin gespannt, ob und wo Du noch Ergänzungen siehst:

1. Das reine Verständnis darüber, wo die Wertschöpfung geleistet wird

In einem pyramidalen Organisationsbild erfolgt die Wertschöpfung an der Basis. Dass die Basis damit wichtiger ist als die Führung, ist für viele immer noch verwunderlich, denn es wird immer und überall so getan, als wäre „weiter oben wichtiger“. Das ist aber nicht so, denn Führungskräfte sind ohne Mitarbeiter* innen: Nichts. Eine erste Stufe ist somit schon erreicht, wenn Führungskräfte dies einsehen. Das muss nicht ganz oben geschehen oder als „die Menschen im Mittelpunkt“ im Leitbild festgehalten werden. Das ist im täglichen Handeln der Führungskräfte gegenüber ihren Mitarbeiter* innen viel wichtiger (und kostet tatsächlich einfach erstmal nichts). Die Feststellung, dass die Führungskräfte dazu da sind, den Mitarbeiter* innen zu ermöglichen, bestmögliche Arbeit zu leisten, verändert einiges im Unternehmen.

2. Selbstorganisiert Arbeiten

Unglaublich, aber wahr: Wenn die Gesamtorganisation den Weg hin zur sich selbst organisierenden Netzwerkorganisation nicht geht, hält Dich niemand davon ab, trotzdem in Deinem Team die Werkzeuge, Methoden und Tools selbstorganisierten Arbeitens anzuwenden. Warum nicht die Entscheidungen im Team mithilfe des Delegation-Board anders verteilen? Warum nicht andere Entscheidungswerkzeuge verwenden? Warum nicht die Meetings sinnvoll gestalten? Warum nicht Vertrauen im Team vor Kontrolle setzen? Einfach mal ausprobieren, wirkt Wunder (und vielleicht sogar auf die anderen Teams der Organisation).

3. Flachere Hierarchien

Bevor Du komplett auf Hierarchien in Deiner Organisation verzichtest, macht es vielleicht Sinn, einige Hierarchieebenen zu hinterfragen: Könnten wir die Bereiche XY nicht anders gestalten, so dass diese sich selbst organisieren, aber gleichzeitig die Verantwortung immer noch bei Bereichsleitungen (oder wie auch immer) liegen? Wichtig ist in dieser Form, dass sich die einzelnen Teams darüber bewusst sind, wie sie arbeiten: Wollen Sie klassisch mit einer Teamleitung agieren oder wollen sie selbstorganisiert ihre Arbeit erledigen? Denn wenn das nicht klar ist, besteht die Gefahr flacher Hierarchien: Die Komplexität für die Bereichsleitung ist viel zu hoch und nicht mehr überschaubar.

4. Netzwerkorganisation

Buurtzorg, ein beliebtes Beispiel in diesem Kontext, ist als Netzwerkorganisation zu verstehen: Autonom agierende Teams werden unterstützt durch ein kleines Zentrum, in dem vor allem administrative Aufgaben abgearbeitet werden. Eine weitere wichtige Aufgabe des head office ist die Unterstützung der Teams in Fragen der Selbstorganisation: Wie gelingt Entscheidungsfindung? Wie gehen wir mit Konflikten um? Wie realisieren wir Einstellungen? usw. Mit dem head office existiert somit nur noch eine Hierarchieebene oberhalb der Teams.

Hier erläutere ich übrigens, warum Du Buurtzorg nicht als Vorbild heranziehen solltest.

5. Eco-System autonomer Mini-Firmen

Hier wird Haier, ein chinesischer Industriekonzern, der weltweit Marktführer im Bereich Haushaltsgroßgeräte ist, angeführt. Allein das ist schon sehr verwunderlich: Nicht die kleine Berliner Software-Schmiede oder der Öko-Versand aus Freiburg, sondern ein international agierender Konzern mit weit über 70.000 Mitarbeiter* innen. Das Besondere ist, dass sich Haier für die aktuelle Strategie darauf vereinbart hat, ein vertrauenswürdiges Ökosystem und eine Co-Sharing-Plattform durch Reformen des Organisationsmodells zu werden. Auf der Homepage findet sich der Vergleich des Konzerns mit einer Stadt, die im Gegensatz zum klassischen Unternehmen auch in Zeiten des Wandels überleben wird (vgl. Auch Kevin Kelly, The Inevitable: Understanding the 12 Technological Forces That Will Shape Our Future).

Entsprechend diesem Bild ist Haier nicht als eine Firma zu verstehen, sondern als Zusammenschluss vieler „Mikro-Unternehmen“ zu einem Ökosystem, das sich den Herausforderungen der Zukunft anpasst: „Selbstorganisierende Mikrounternehmen mit Selbstunternehmertum bilden eine Grundeinheit der Wertschöpfung.“ (klick)

Was lässt sich daraus für die Gestaltung lebendiger Organisationsstrukturen lernen?

Meine zu Beginn eröffnete Polarität kommt an die Grenze:

Ja, auf der einen Seite der beiden Pole stehen klassische Unternehmen, die formal-hierarchisch strukturiert basierend auf einem technokratischen Management-Verständnis versuchen, die alte Welt zu bewahren. Traurigerweise laufen wir auch in der jetzt notwendigen Transformation unseres Wirtschaftssystems Gefahr, diese Unternehmen zu stützen, obwohl immer deutlicher wird, dass deren Betriebssystem am Ende ist (Lufthansa als Beispiel).

Der andere Pol jedoch existiert nicht: Wenn die Entwicklung von Unternehmen und Organisationen evolutionär gedacht wird, wenn Städte oder, noch besser, Ökosysteme als Grundlage der Gestaltung von Organisation gedacht werden, gibt es kein Ende, keinen zweiten Pol. Vielmehr stehen wir vor einer offenen Landschaft enormer Vielfalt, die durch uns gestaltet werden kann. Wieder einmal zeigt sich, dass diese Vielfalt nützlicher, resilienter und krisenfester ist, als Monokulturen.

Abschließend noch ein Gedanke zu sozialen Organisationen:

Es wäre denkbar (und mir sind die Hürden sehr wohl bewusst), gerade große Wohlfahrtsverbände so zu strukturieren, dass diese ebenfalls dem sich gegenseitig befruchtenden Gedanken eines Ökosystems entsprechen. Und ganz ehrlich: Auf dem Papier sind sie es in vielen Fällen schon. Wichtig ist aber, nicht den Verband als Organisation, sondern die darunter liegenden Organisationseinheiten, Beratungsstellen, Kindergärten, ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen… gesondert als je eigene Organisation zu betrachten. Um im Bild von Haier zu bleiben, ginge damit einher, die kleinen Einheiten mit allen Verantwortlichkeiten auszustatten, wodurch – so die Hoffnung – auch das Unternehmertum innerhalb der Einheiten gestärkt werden kann.


P.S.: Vielfalt ist im Übrigen auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene mehr als sinnvoll. Die absurden Geschehen in Amerika führen und gerade vor Augen, wie hoch problematisch gegensätzliche Lager ohne Gesprächsbereitschaft sind.

Werkraum Zukunft, oder: #sozialcamp weiter denken

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2015 habe ich mich mit Sabine am Kölner Hauptbahnhof getroffen. Sabine ist eine meiner ersten Bekanntschaften aus der Blogger*innenszene, die es aus der virtuellen Welt in mein reales Leben geschafft haben. Vor mehr als 5 Jahren war das für mich noch eine echte Besonderheit und ich glaube, dass es für viele, viele Menschen da draußen immer noch eine Besonderheit ist: Nachhaltige Begegnung geht auch online.

Sozialcamp?

Unsere Begegnung mündete in der Diskussion darüber, dass es dringend ein Barcamp für die Soziale Arbeit braucht. Ich rede gerne, Sabine macht halt mal und hat ein Jahr später, 2016, (mit einem engagierten Team, natürlich) das erste Sozialcamp auf die Beine gestellt. Dieses Jahr hat das Sozialcamp damit zum fünften Mal stattgefunden, natürlich digital, denn digital war für die barcampenden Sozial-Profis schon immer natürlich.

Für mich war das Barcamp immer eine mehr als bereichernde Erfahrung, irgendwo zwischen Klassentreffen (dem Wiedersehen der digitalen Sozialblase ;-)), Klassenarbeit (Vorbereitung gehört genauso dazu wie Neu- und Ver-Lernen) und Tanztee (bissle Party muss schon sein…). Ich bin überzeugt, dass das Sozialcamp auch weiterhin mein Jahr bereichern wird (auch wenn es – kleiner Hinweis – sehr zu einem „Caritas-Camp“ geworden ist).

Was ist ein Barcamp?

Nur kurz, für Barcamp-Neulinge:

Das Publikum, die Teilnehmer*innen, nein, besser Teilgeber*innen, gestalten das Programm. Wer mag, kommt nach vorne, stellt kurz sein Thema vor, seine Frage, seinen Vortrag oder was auch immer, und wenn sich genügend Interessierte am Thema finden, findet die Session statt. Eine Session dauert 45 Minuten, wer da ist, ist da und wer wieder gehen will, geht. Das Gesetz der zwei Füße ist zwar gnadenlos, aber auch ehrlich, im Gegensatz zu Versammlungen, auf denen zwangsweise zu den langweiligsten Grußworten des Vorsitzenden gelächelt werden muss, um nicht gegen die kulturellen Regeln zu verstoßen.

Ich liebe die auf Barcamps herrschende Zwanglosigkeit, die zu Offenheit und echtem Lernen führt. Gleichzeitig bleibt ein Problem in der 45minütigen Taktung: 45 Minuten sind brutal kurz, um ein Thema tiefergehend zu beleuchten. Hinzu kommt, dass die Dokumentation eines Barcamps nicht ganz leicht ist: Zwar sollen die sozialen Medien fleißig mit einem entsprechenden Hashtag befüllt werden (schaut mal unter dem #sozialcamp bei Twitter), aber gerade in unserer Sozialszene ist die flächendeckende Nutzung und Verbreitung sozialer Medien (teilweise auch aus guten Gründen) noch immer nicht Standard.

Meetup?

Braucht es also noch was Neues, ein anderes Format? Ich habe dazu mit Sabine gesprochen, die sofort begeistert war, ein neues Projekt zu initiieren, da sie ebenfalls darüber nachdachte: Wie gelingt es, die die Sozialwirtschaft bewegenden Themen so zu bearbeiten, dass man einerseits einen tieferen Einblick bekommt und nachhaltiger an Themen arbeiten kann und man andererseits die Freiheiten des Barcamps jenseits von trockener Veranstaltungslangeweile genießen kann.

Dafür gibt es das Meetup, das sich wie folgt definieren lässt:

„A meetup is an organized gathering of people, especially a regular meeting of people who share a common interest or hobby. It is usually initiated and arranged through a social network or website.“

Joah, klingt nicht so kompliziert: Ein organisiertes Treffen von Menschen, die ein gemeinsames Interesse haben, digital organisiert. Unser gemeinsames Interesse ist:

Eine zunehmend unsichere Zukunft positiv zu gestalten!

Meetup Werkraum Zukunft

Eine zunehmend unsichere Zukunft lässt sich am Besten in einem unfertigen Lernraum gestalten. Wir müssen an dieser Zukunft gemeinsam rumschrauben, hier mal was schweißen, dort mal was basteln, Dinge absägen und in den Müll werfen, etwas dreckig, manchmal, irgendwie auch überraschend, nicht wissend, was herauskommen wird – ein Werkraum Zukunft!

Geboren war das Meetup „Werkraum Zukunft.

Zum einen hatte ich die URL noch irgendwo rumliegen ;-), zum anderen wollten wir bewusst nicht „das Soziale“ mit in den Titel aufnehmen, da sich Zukunft ausschließlich gemeinsam und interdisziplinär gestalten lässt.

Selbstverständlich hat der „Werkraum Zukunft“ in der heutigen Zeit seine Tore in der digitalen Welt geöffnet. Das mit dem analogen Zusammenkommen ist gerade so semi-begeisternd (auch wenn alle danach lechzen, wieder real zusammen kommen zu können, das holen wir dann nach, versprochen!).

Nachhaltigkeit in der Sozialwirtschaft am 17.12.2020 um 20 Uhr

Wir freuen uns riesig, noch vor Weihnachten, bereits am 17.12.2020 um 20 Uhr, digital via Zoom zusammen zu kommen.

Für den Abend hat Peter Stepanek spontan zugesagt, um uns bei Glühwein und Spekulatius mitzunehmen in das Thema Nachhaltigkeit in der Sozialwirtschaft.

Peter ist Professor für Sozialwirtschaft an der FH Campus Wien, geschäftsführender Vorsitzender der Internationalen Arbeitsgemeinschaft Sozialmanagement / Sozialwirtschaft e.V. (INAS) und lehrt und forscht im Europäischen Masterstudium Sozialwirtschaft & Soziale Arbeit. Dort beschäftigt er sich mit seinen Studierenden unter anderem intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Sozialwirtschaft.

Hier findest Du Peter Stepanek auf Twitter.

Du willst Dir im Werkraum Zukunft die Hände schmutzig machen und Zukunft mitbauen?

Dann musst Du Dich zu unserem ersten Treffen anmelden, damit wir Dir den Link zur Zoom-Konferenz schicken können. das geht ganz einfach hier über diesen Link.

Hier kannst Du übrigens selbst Themenvorschläge einbringen. Wir versuchen, Dein Thema zeitnah zu terminieren (ohne Gewähr, natürlich, und mit dem Hinweis, dass der Werkraum Zukunft etwa alle 3 – 4 Monate stattfinden wird).

Und jetzt sind wir noch gespannt auf Dein Feedback, Anregungen und Ergänzungen, wie wir die Veranstaltung besser machen können. Danke!!!

Hier geht’s zur Website www.werkraum-zukunft.de!

Die perfekte New Work Weiterbildung

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Es interessiert mich, seit ich mich mit New Work beschäftige: Kann man New Work lernen und lässt sich daraus eine Weiterbildung, ein Programm basteln?

Ja klar, da gibt es schon Angebote auf dem Markt, aber so richtig zufrieden gestellt haben die mich nicht. Mehr noch: Meist ärgere ich mich über diese Angebote:

https://twitter.com/HendrikEpe/status/1312271434807480320

Bei New Work geht es nicht um mehr Produktivität, Effektivität, höhere Zufriedenheit oder Geschwindigkeit! Das ist vielleicht sogar das Gegenteil von New Work, das ist allerhöchstens „Lohnarbeit im Minirock„, wie es Bergmann ausdrückte. Und in den Weiterbildungen zum Thema New Work geht es nur – wenn überhaupt (siehe oben) – um (unbestritten wichtige) Fragen zeitgemäßer Organisationsentwicklung, die unter dem Label New Work verkauft werden. Aber wenn man das ursprüngliche Konzept von Bergmann zugrunde legt, wird es eng, denn:

New Work ist weit mehr als Organisationsentwicklung.

Faszinierenderweise bin ich aber endlich auf die perfekte New Work Weiterbildung gestoßen, die nicht nur den Aspekt der Organisationsentwicklung, sondern auch das Individuum und die Gesellschaft in den Blick nimmt. Es werden Menschen als Individuen ebenso wie Gruppen in deren Nahräumen in den Blick genommen. Der organisationale Aspekt kommt leider ein wenig kurz, aber zumindest die Grundgedanken selbst der Ideen zeitgemäßer Organisationsentwicklung werden vermittelt. Und dann kann man – wenn man will – auch noch Vertiefungen belegen, die bspw. Innovation, Organisation oder die Arbeit mit dem Individuum, der Gruppe oder der Gesellschaft spezifisch aufgreift.

Unfassbar, eigentlich, oder?

Ich skizziere im Folgenden mal die Vision, das Grundkonzept und – zumindest in Ansätzen – die mit der New Work Weiterbildung vermittelten Kompetenzen.

Die Vision der New Work Weiterbildung

Die New Work Weiterbildung fokussiert praxisorientiert auf gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage für die New Work Weiterbildung. Dabei stützt sie sich auf ein interdisziplinäres Theoriegerüst, angefangen bei den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften über Medizin und Psychologie bis hin zur Systemtheorie uvm.. Mit der New Work Weiterbildung werden Menschen befähigt und ermutigt, so dass sie die Herausforderungen ihres Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern, dabei werden organisationale Strukturen berücksichtigt.

Klingt schon mal gut, oder? Mir gefällt der Aspekt der Autonomie und Selbstbestimmung ganz besonders, da ich davon überzeugt bin, dass Menschen nur dann Autonomie und Selbstbestimmung stärken können, wenn sie selbst autonom und selbstbestimmt handeln.

Jetzt aber zum Grundkonzept:

Grundkonzept der New Work Weiterbildung

Die New Work Weiterbildung ist so aufgebaut, dass am Anfang eine selbst zu definierende Aufgabenstellung, deren Bearbeitung durch New Work Professionals erfolgen kann/soll/muss, steht.

Dabei wird unterstellt, dass New Work Professionals nicht nur individuell, sondern in professioneller und gesellschaftlicher Verantwortung tätig werden. Sie reagieren nicht nur auf bestehende, allgemein erkannte Aufgabenstellungen, sondern agieren auch durch die Bearbeitung‚ von gesellschaftlich und/oder professionell als relevant angesehenen Herausforderungen.

Die für die Bearbeitung von solchen Aufgabenstellungen notwendigen allgemeinen Fähigkeiten und professionellen Eigenschaften sind einerseits individuell verortet (individuelle Kompetenzen). Andererseits sind sie auch Teil des kollektiven Wissens- und Fähigkeitskanons sowie eines grundlegend geteilten New Work Selbstverständnisses.

Die New Work Profesionals können auf dieser Basis und damit im Bewusstsein der Folgen ihrer Tätigkeit für die von ihnen zu beratenden, zu betreuenden und/oder zu begleitenden Menschen/Organisationen und soziale Systeme in kritischer Reflexion gesellschaftlicher Funktionszusammenhänge handeln.

Die New Work Weiterbildung folgt, ausgehend von einer grundsätzlichen Entscheidung für eine grundständige, generalistische Ausrichtung, der gedanklichen Linie von Erweiterung und Vertiefung von Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kompetenzen und Haltungen mit der darauf folgenden Möglichkeit zur Spezialisierung, wie bereits oben angesprochen.

Zur Ermöglichung professionellen „New Work Handelns“ beginnt die Weiterbildung, wie gesagt, mit der gemeinsamen Definition einer bestimmten Problemstellung, die je nach Interesse, individuell, bezogen auf eine Gruppe oder Gemeinschaft oder die Gesellschaft, national wie international, ausgerichtet sein kann. In einem zweiten Schritt werden grundlegendes Wissen und ein Verständnis geschaffen, damit die Aufgabenstellung in ihrer Komplexität eingeordnet werden kann und die hinter der Aufgabenstellung liegende Problemstellung greifbar wird.

Etwas konkreter gefasst differenziert die New Work Weiterbildung zwischen den folgenden Bereichen, die alle zu absolvieren sind:

  • Bereich ‚Grundlagen New Work‘
  • Bereich ‚Erweitertes Gegenstands- und Erklärungswissen für New Work‘
  • Bereich ‚Normative Grundlagen für New Work‘
  • Bereich ‚Gesellschaftliche und institutionelle Rahmenbedingungen für New Work‘
  • Bereich ‚Allgemeine Handlungstheorie und spezielle Handlungstheorien / Methoden für New Work“
  • Bereich ‚Handlungsfelder und Zielgruppen für New Work‘
  • Bereich ‚Forschung und Entwicklung für New Work‘

Kompetenzen der New Work Weiterbildung

Es ist nicht ganz leicht, hier genau zu sagen, welche Kompetenzen vermittelt werden, da sich die Weiterbildung ja an den Problemstellungen der Teilnehmer*innen orientiert. Und für jeden der oben angesprochenen Bereiche ließe sich hinsichtlich der Kompetenzen in die Tiefe gehen. Beispielhaft greife ich nur den Bereich ‚Gesellschaftliche und institutionelle Rahmenbedingungen für New Work‘ heraus. Da heißt es:

„Die Kenntnis der Rahmenbedingungen, unter denen New Work stattfindet, ist nicht nur Ausgangspunkt für die Analyse von Handlungsspielräumen, sondern auch für eine Analyse im Hinblick auf die Notwendigkeit einer Veränderung dieser Bedingungen. Der Bereich umfasst folgende Themen:

  • Sozialpolitik, Sozialrechte als nationale Rechtsbasis
  • Rechtliche Rahmenbedingungen im Vergleich: lokal/national, europäisch (Europäische Menschenrechts-/Sozialcharta) und international; Entstehung und Wandel im Vergleich
  • Wirtschafts-, Bildungs- und Gesundheitspolitik in ihrer Bedeutung für New Work
  • New Work im Dreieck zwischen ziviler und sozialer Bürgerschaft/Nichtregierungsorganisationen, Staat/Politik und Wirtschaft“

Klingt vielversprechend, oder? Vielleicht sogar ein wenig zu optimistisch, aber man darf ja nach den Sternen greifen.

Voraussetzungen und Rahmenbedingungen

Das Beste an der New Work Weiterbildung ist, dass diese umsonst ist und an ganz vielen Orten in Deutschland absolviert werden kann. Ja, es machen sich einige private Anbieter auf den Weg, die Weiterbildung auch anzubieten, um damit Geld zu verdienen, was ich persönlich unproblematisch finde. Gute Konkurrenz belebt in dem Fall wirklich das Geschäft und die Entwicklung der Weiterbildung insgesamt. Voraussetzung ist, das man Abitur hat und studieren darf, aber wer darf das heute nicht? Die Dauer liegt bei mindestens 3 Jahren, in Vollzeit. Es gibt aber inzwischen auch Varianten, die berufsbegleitend absolviert werden können.

Fazit:

Noch einmal zusammenfassend orientiert sich die New Work Weiterbildung am Handlungsbereich des Verhinderns und der Bewältigung sozialer Probleme, die sich in ungleichen Möglichkeiten zur Lebensführung, unterschiedlichen Teilhabemöglichkeiten am gesellschaftlichen Leben sowie dem Mangel an Bildung, Gesundheit, Beschäftigung, Einkommen, sozialen Beziehungen und weiteren gesellschaftlichen Ressourcen zeigen. Führung und Management von Unternehmen inkl. Betriebswirtschaftslehre, Personal- und Organisationsentwicklung, Projektberatung und Projektmanagement sind Teil, aber nicht Kern der Weiterbildung.

Die Weiterbildung untergliedert sich in verschiedene „Bereiche“, die alle absolviert werden müssen, um dem generalistischen Anliegen zu folgen. Vertiefungen lassen sich später absolvieren. Und inzwischen haben auch schon tausende junge Menschen die New Work Weiterbildung absolviert, in Deutschland, Europa und sogar weltweit.

Unglaublich, oder? Für mich zeigt sich: Wir haben kein Erkenntnisproblem. Es ist alles da.

Wir haben aber definitiv ein Problem damit, die umfassenden Kompetenzen, die in der Weiterbildung vermittelt werden, so darzustellen, dass deutlich wird, was die New Work Professionals wirklich draufhaben.

Das könnten wir ändern, in dem wir – die wir alle diese Weiterbildung absolviert haben – mit der Gestaltung der Gesellschaft beginnen: Im Kleinen, den Einrichtungen, Diensten, Kindergärten und Kitas, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, Pflegediensten etc. und im Großen, in den Verbänden und Institutionen, die Politik gestalten können.

Und beim vorherigen Absatz ist es wohl deutlich geworden:

Ich spreche von dem grundständigen Studium der Sozialen Arbeit 😉 Meine Inhalte sind entlehnt aus der „Internationalen Definition für Soziale Arbeit„, die sich auf den Seiten des DBSH findet, sie sind aus dem „Qualifikationsrahmen für Soziale Arbeit“, die vom Fachbereichstag Soziale Arbeit erstellt wurden (und mal wieder aktualisiert werden müssten) und aus dem „Kerncurriculum Soziale Arbeit“ der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit. Meist musste ich in den genutzten Quellen nur Soziale Arbeit mit New Work ersetzen, an manchen Punkten habe ich kleine Anpassungen vorgenommen. Deutlich wird:

Soziale Arbeit, vielleicht aus dem Verständnis einer „New Social Work“, kann die Profession und Disziplin sein, die gerade heute, gerade in Zeiten von (lokalen und globalen) Krisen und Umbrüchen, ganzheitlich, sinnorientiert und zeitgemäß Antworten, Methoden, Vorgehensweisen und Hilfe anbieten kann. Dafür braucht es engagierte Menschen im sozialen Sektor und mutige soziale Organisationen, die Schritte nach vorne gehen und immer wieder auf’s Neue Zukunft gestalten.

Drei Gründe, warum Objectives and Key Results sinnvoll für soziale Organisationen sind

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Führung mit Zielen oder MbO – Management by Objectives – kennen viele Führungskräfte aus ihrer Führungskräfteausbildung (falls sie eine hatten). Dort haben sie wahrscheinlich davon gehört, dass Anweisung und Kontrolle jetzt nicht so super sind, es aber Sinn macht, den Mitarbeiter* innen Ziele zu geben, die sie dann „eigenverantwortlich“ umsetzen sollen. Eigenverantwortlich heißt in diesem Kontext, dass es sogar egal ist, wie, wann und wo die Ziele umgesetzt werden. Echte Freiheit wird postuliert, endlich können die Mitarbeiter* innen im Sinne des Unternehmens das tun, was sinnvoll ist. Wenn überhaupt einmal im Jahr, in den Mitarbeiter- und Zielvereinbarungsgesprächen, werden die Ziele überprüft, im Extremfall werden Boni ausgeschüttet für „erfolgreiche Zielerreichung“ und dann geht es weiter ins nächste Jahr. Und jede Führungskraft weiß im Inneren genau, dass dieses Theater Quatsch ist:

Ziele werden entweder so verhandelt, dass sie auf jeden Fall erreicht werden oder dass sie schon bei Vereinbarung erreicht wurden. Wenn die Ziele im Laufe des Jahres nicht erreicht werden, wird der*die Mitarbeiter*in für etwas verantwortlich gemacht, das in einem sozialen System immer (!) systemische Gründe hat. In Verbindung mit individuellen Boni wird es übrigens katastrophal, da Mitarbeiter*innen dann ausschließlich für den Boni und nicht mehr für das Team oder die Organisation arbeiten. Und Unvorhergesehenes, wie bspw. eine kleine Pandemie zwischendurch, kann mit den jährlich festgelegten Zielen nicht erfasst werden.

Oder wie hast Du Dir 2020 vorgestellt?

Objectives and Key Results

Open Strategy in der Sozialwirtschaft

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Strategieentwicklung geschieht – leicht überspitzt – so, dass eine Auswahl meist hochrangiger Mitarbeiter* innen, Führungskräfte, Vorstand, Geschäftsführung, Aufsichtsrat… in geschlossenem Kämmerlein sitzen und sich Gedanken um die Zukunft der Organisation machen: Was sind die zukünftig wichtigen Themen, mit denen sich unsere Organisation befassen muss? Wie gelingt es, die strategisch relevanten Themen in Ziele und diese dann in operationalisierbare Teilziele herunterzubrechen? Heraus kommen oft Hochglanzbroschüren mit der neuen Strategie oder die Strategie wird in hübscher Form auf der Homepage präsentiert oder bei der nächsten Jahreshauptversammlung vorgestellt. Vielmehr passiert … genau … nicht.

Wichtig ist also, die Umsetzung der Strategie vor die Aufhübschung der Strategie zu stellen, damit überhaupt etwas passiert. Dazu legt man – so mein Verständnis – Verantwortliche fest, die die einzelnen Themen „unter sich“ haben (klingt immer noch bewusst sperrig). Die Verantwortlichen suchen sich dann die für die Umsetzung wichtigen Menschen im Unternehmen und beginnen, möglichst iterativ, also in kurzen Schleifen, an der Umsetzung zu arbeiten. Gegen dieses Vorgehen der Strategieentwicklung und -umsetzung nicht sonderlich viel einzuwenden. Ich habe dazu schon ein paar Beiträge verfasst.

Open strategy als Kritik an der geschlossenen Strategie

Einzuwenden ist jedoch, dass der Prozess bis zur fertigen Strategie, die Strategieentwicklung also, von wenigen Menschen der Organisation allein, im mehr oder weniger stillen Kämmerlein, im Elfenbeinturm oder in der Einöde (je nach Organisation) durchlaufen wird. Hier setzt der Ansatz „open strategy“ an.

Open Strategy ist die Abkehr von der skizzierten Norm, dass Strategien immer vom oberen Management zu entwickeln sind. Open Strategy ist damit zum einen ein inklusiver und transparenter Ansatz zur Formulierung einer Strategie, bei dem möglichst alle, interne wie externe, Stakeholder der Organisation miteinbezogen werden und zum anderen ein Ansatz zur transparenten Darstellung der Strategie nach außen, um darüber wieder Feedback der Umwelt aufnehmen zu können.

Open Strategy, digitale Transformation und soziale Organisationen

Die Vorteile eines entsprechenden, meist über interne Blogs, Wikis, Enterprise Social Networks (ESN) etc., also IT-gestützten, Prozesses liegen auf der Hand: Es wird das kreative Potenzial aller an einer Organisation interessierten Stakeholder aufgegriffen und mit einbezogen. Strategische Entscheidungen haben darauf basierend deutlich mehr Rückhalt bzw. Akzeptanz im Unternehmen.

Für die hier spezifisch im Fokus stehenden Organisationen der Sozialwirtschaft ergeben sich aus einem möglichst offenen Vorgehen und einer Transparenz in der Darstellung der Strategie mindestens die Aspekte Öffentlichkeit, gesellschaftliche Veränderungen und organisationsinterne Besonderheiten sozialer Organisationen, die beachtenswert sind. Hinzu kommt noch ein kurzer Blick auf Selbstorganisation und den open strategy Ansatz.

Open strategy und öffentliche Interessen an sozialen Organisationen

So ist zum einen das Interesse der Öffentlichkeit, der Gesellschaft und der Politik an den Entwicklungen sozialer Organisationen von besonderer Bedeutung, da soziale Organisationen im Wesentlichen über externe Gelder, Steuergelder etc., finanziert werden. Die Frage also, welche Investitionen bspw. ein Wohlfahrtsverband in Zukunft plant, ist für mehr Menschen von Interesse, als die Frage, ob der Fliesenleger um die Ecke eine gute Auftragssituation hat. Spannend ist dies auch, da in einigen Regionen Deutschlands einzelne Wohlfahrtsverbände bzw. Soziale Träger beinahe als Monopolisten die soziale Versorgung gewährleisten und darüber auch eine enorme Arbeitsmarktrelevanz besitzen. Der Stellenabbau von Mercedes trifft Stuttgart genauso wie die neue Strategie der Caritas in Region XY die jeweilige Region beeinflusst.

Open Strategy und gesellschaftliche Entwicklungen

Zum anderen ist der Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen insgesamt zu richten: Davon ausgehend, dass an dem VUKA-Narrativ irgendwas dran ist, stellt sich die Frage, wie mit zunehmender Komplexität, die zu einer höheren Unsicherheit und Mehrdeutigkeit in Verbindung mit zunehmender Veränderungsgeschwindigkeit führt, umzugehen ist. Ja, hier spielt auch die digitale Transformation mit rein, aber eben nicht nur. Digitalisierung, verstanden als eine Möglichkeit, das Leben der Menschen zu verbessern, existiert – gerade aus Blick sozialer Organisationen – nicht „an sich“, sondern entfaltet die Möglichkeiten in der Frage, wie wir in der Nutzung von Technologie das Leben von Menschen wirklich verbessern können. Digitalisierung ist Werkzeug, das wir für unsere Zwecke nutzen können und müssen, nicht Zweck an sich.

Kurz: Der Umgang mit Fragen gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen, die für Soziale Organisationen viel unmittelbarere Auswirkungen haben als für andere Unternehmen und Funktionssysteme, gelingt nur gemeinsam, im Austausch, im Abgleich der Interessen, in Kooperation, im Wir. Oder noch konkreter: Wer Digitalisierung als ein Strategiefeld der aktuellen Unternehmensstrategie formuliert oder gar eine eigene Digitalisierungsstrategie erarbeiten will, ist gut beraten, nicht die IT-Abteilung (die Digitalisierungsexperten) allein mit der Umsetzung zu beauftragen. Viel sinnvoller ist es, die Entwicklung und Veröffentlichung der eigenen Strategie mit möglichst vielen Interessengruppen gemeinsam in crossfunktionalen Teams zu verwirklichen.

Open Strategy und der Blick in Soziale Organisation

Der Blick in soziale Organisationen zeigt abschließend, dass das Interesse der Mitarbeiter* innen an den Entwicklungen der eigenen Organisation hoch und oftmals höher als in „normalen“ Organisationen ist. Hintergrund sind hier wiederum mindestens zwei Sichtweisen:

Zum einen identifizieren sich die Mitarbeiter*innen in sozialen Berufen stärker über ihren Beruf, ihre Profession. Die Berufliche Identität ist ein viel diskutierter Aspekt in der Sozialen Arbeit. Entsprechend wählerisch sind die Menschen in dem, was die Organisationen als Visionen, Strategien, Werte und Ziele nach außen vermitteln und nach innen leben. Eine Organisation in konfessioneller Trägerschaft tut gut daran, die entsprechenden Werte nicht nur ins Leitbild zu schreiben oder im Verhältnis zu Nutzer *innen, sondern auch im Verhältnis zu den eigenen Mitarbeiter*innen zu leben. Und genauso interessiert sind die Mitarbeiter*innen an der Mitgestaltung der zukünftigen Ausrichtung der Organisation.

Zum anderen findet die Wertschöpfung sozialer Organisationen als „front-line organizations“ an der Basis statt: Der Erzieher am Kind ebenso wie die Beraterin in der Drogenberatung ist Ausweis der Qualität der sozialen Organisation. Die Geschäftsführung leistet – etwas überspitzt – reine Unterstützungsarbeit, damit die Menschen an der Basis ihre Arbeit möglichst gut machen können. Die Menschen an der Basis jedoch nicht (oder kaum) in den Entwicklungsprozess der Strategie mit einzubeziehen, ist fahrlässig. Wiederum das Thema Digitalisierung als Beispiel aufgreifend ist es notwendig, die Fachkräfte mit in die Frage einzubinden, ob und wie digitale Technologien jetzt und in Zukunft zu nutzen sind. Ansonsten wird der Widerstand der Mitarbeiter* innen groß sein.

Open Strategy und Selbstorganisation

Hier noch abschließend ein weiterer Gedanke: Viele Organisationen rufen gerade händeringend nach selbstbestimmt, eigenverantwortlich oder gar autonom arbeitenden Mitarbeiter* innen. Wie jedoch sollten Mitarbeiter* innen selbstorganisiert arbeiten können, wenn ihnen eine Strategie vor die Nase gesetzt wird, an der sie nicht im Ansatz beteiligt waren? Kurz: Selbstorganisation erfordert Transparenz und Beteiligung – das gilt auch für den Prozess der Entwicklung und der Veröffentlichung der Strategie. Nur aus Transparenz und Beteiligung erfolgt dann auch selbstorganisiert Strategieumsetzung.

Die Jungs von „Corporate Rebels“ schreiben zu radikaler Tranparenz:

After visiting 100+ pioneering organizations around the globe we found radical transparency to be an important characteristic of the progressives. Simply, people are more involved, perform better, and have higher trust if their leaders foster a culture of transparency (instead of a traditional culture of secrecy).

Grenzen des open strategy Ansatzes?

Open strategy setzt – in der Entwicklung und der Verbreitung – auf Partizipation und Transparenz. Das leuchtet ein und (hoffentlich) jeder wird die skizzierten Vorteile zumindest intellektuell verstehen (was noch nicht „umsetzen“ bedeutet).

Gleichzeitig zeigt uns Corona gerade, dass viele Notwendigkeiten im Kontext der Digitalisierung sozialer Organisationen „unter Zwang“ umgesetzt wurden. Partizipation war angesichts der unmittelbaren Notwendigkeit der Umstellung auf Distanz, Homeoffice etc. ein irgendwo im Hinterkopf schlummerndes Konzept, das jedoch nicht ganz oben auf der Prioritätenliste stand. Daraus folgt zumindest die Frage, wo strategische Entscheidungen ohne Beteiligung umzusetzen und die Schmerzen und den Widerstand auszuhalten sind, um dafür wirklich einige Schritte weiterzukommen?

Anders gewendet zeigt sich jedoch, dass Veränderungen, auch und gerade strategische, langfristige und umfassende Veränderungen, immer einen Anlass, ein Anliegen bzw. ein echtes Problem brauchen:

Wir können noch so lange über Digitalisierung reden und theoretisch Digitalisierungsinitiativen fordern. Wenn es eigentlich noch kein Problem gibt, Veränderung also auf Einsicht basieren muss, wird es nicht leicht. Wenn also Kostenträger keine Finanzierung von digitaler Infrastruktur ermöglichen, die Mitarbeiter* innen im Studium kein Wort zur Digitalisierung hören, die Organisationen Faxe verschicken usw. bleibt unklar, warum Digitalisierung wichtig sein sollte. Erst dann, wenn das Problem jedoch unmittelbar an die Tür klopft, wird es notwendig, sich wirklich zu bewegen.

Und dann wiederum macht es mehr Sinn, sich gemeinsam, offen und transparent zu bewegen. Das kann man bspw. durch open strategy Ansätze im Kleinen wie im Großen lernen.

Und wie jetzt?

Abschließend wird in Blogs ja immer gefordert, irgendwelche Handlungsanleitungen mit an die Hand zu geben. Das ist berechtigt, jedoch angesichts der Komplexität des Feldes kaum erfolgsversprechend. So sehe ich auf die Frage „Und wie jetzt?“ die Antwort „Kommt drauf an!“ als leider passend an. Denn es kommt an auf

  • Eure Organisation: Wer seid ihr? Wohin wollt ihr? In welcher Umwelt agiert ihr?
  • die Kultur Eurer Organisationen: Wie offen lebt ihr Beteiligung bislang?
  • Strukturen und bisherige Strategien: Wie funktioniert ihr als Organisation? Wie digital seid ihr?
  • die Zukunft: Wie transparent, partizipativ und offen wollt ihr sein? Und warum überhaupt?

Im bereits zitierten Beitrag auf dem lesenswerten Blog „Corporate Rebels“ heißt es als abschließender Tipp sehr passend:

„Pioneering organizations believe radical transparency is vital, at all levels of the organization and on almost all topics. The starting point is simple: all information should be made public.“

Radical Transparency: Powerful Example of How to Fight a Toxic Workplace

Das ist einfach(er gesagt als getan): Alles öffentlich machen. Und damit auch die Strategie! Auf geht’s…

Und mehr folgt hoffentlich in weiteren Beiträgen zum Thema…


Wie läuft die Strategieentwicklung und -umsetzung bei Euch ab? Wo seht ihr Chancen und Möglichkeiten eines entsprechend offenen Ansatzes der Strategieentwicklung? Und wo sind Grenzen? Diskutiert gerne hier im Blog oder sonstwo im Netz… 😉

Hier könnt ihr Euch übrigens an einen kleinen Austausch zum Thema bei Twitter beteiligen (open, halt…):

Zitiervorschlag: Epe, Hendrik (2020): „Open Strategy in der Sozialwirtschaft“. In: IdeeQuadrat – Beratung, Entwicklung, Inspiration. (Abgerufen unter: https://www.ideequadrat.org/open-strategy-sozialwirtschaft/)

Zwischen Hoffnung und Schuld: Widersprüche in der Führung sozialer Organisationen

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In den letzten Wochen und Monaten habe ich in verschiedenen Veranstaltungen die Frage behandelt: Wie gelingt Führung sozialer Organisationen? Hinzu kamen aktuell Ergänzungen wie „in der Krise“ oder „digitale Führung“ oder ähnliches. Alle Veranstaltungen waren (aus meiner Sicht zumindest) sehr zufriedenstellend: Wir konnten gemeinsam Führung reflektieren, Herausforderungen für die jeweiligen Organisationen ansprechen und konkrete Stolpersteine und Möglichkeiten eruieren. Und ja: Das geht auch digital (auch wenn der Fokus der Videokonferenzen echt zehrt).

Was ist direkte und indirekte Führung?

Podcast: Wie können Social Entrepreneurship und die freie Wohlfahrtspflege voneinander lernen?

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Das Thema „Social Entrepreneurship“ oder Sozialunternehmertum begleitet mich hier bei IdeeQuadrat schon länger: Zum einen glaube ich, dass wir nicht nur im Sozialwesen gerade in der aktuellen Zeit und in Zukunft Unternehmertum im besten Sinne als Grundkompetenz brauchen, um Gesellschaft positiv zu gestalten: Wir müssen selbst etwas unternehmen, damit es (was auch immer damit gemeint ist) besser wird. Zum anderen habe ich hier im Blog schon oft das Thema aufgegriffen – in Interviews, in Methoden und im Hinterfragen.

Entsprechend überrascht war ich vom Thread, den Joss Steinke am 18. Mai 2020 veröffentlichte:

Daraus ergab sich eine große Diskussion:

Das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland, also SEND e.V., hat sich daraufhin natürlich auch eingeschaltet. Ihr kennt den SEND e.V. vielleicht durch das Interview mit Katrin Elsemann, das ich vor drei Wochen geführt habe und das als Podcast erschien.

Ich habe die Diskussion verfolgt und dann Markus und Joss zu einem gemeinsamen Gespräch in meinen Podcast eingeladen und freue mich jetzt, Euch hier das Interview als Transkription auch zum Lesen zu geben (hinten findet ihr auch noch die Links).

Transkription: Wie gelingt gemeinsames Verständnis, Markus Sauerhammer und Joß Steinke?

Hendrik Epe: Liebe Hörerinnen und Hörer des IdeeQuadrat-Podcast, das erste Mal ist es ein Podcast, bei dem ich zwei Teilnehmer dabeihabe – das glaube ich jedenfalls. Ich bin mir gerade nicht ganz sicher, auf jeden Fall sind mehrere Leute in der Leitung.

Ich spreche heute mit Dr. Joß Steinke und Markus Sauerhammer – mal wieder über das Thema Social Entrepreneurship und Wohlfahrt. Lustigerweise habe ich vor kurzem schon mit Katrin Elsemann darüber gesprochen. Dabei ging es darum, was Social Entrepreneurship eigentlich ist. Sie hat dazu viel Input gegeben.

Jetzt noch einmal Social Entrepreneurship als Thema, dieses Mal aber basierend auf einem Tweet von Joß Steinke. Auf diesen kommen wir gleich noch einmal zurück. Ich möchte euch beide erst einmal kurz vorstellen. So sparen wir Zeit und können sofort zum Inhaltlichen kommen.

Markus Sauerhammer ist der Geschäftsführer des Social Entrepreneurship Netzwerks Deutschlands. Wenn man ein bisschen weiter in seiner Historie zurückgeht, ist er Landwirt, ausgebildeter Landwirt. Das finde ich ganz spannend. Er kommt aus dem Dorf Strüth in Franken. Das hört man noch ein bisschen am Dialekt. Ich glaube, du bist inzwischen in Berlin. Du hast Management und Marketing studiert, danach noch einen MBA gemacht.

Du hast bei Startnext gearbeitet und bist über den Bundesverband der deutschen Start-ups zum Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland gekommen. Bzw. vielmehr hast du eigentlich das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland aufgebaut, wenn ich das in den letzten Jahren richtig verfolgt habe. Markus, was habe ich vergessen, was unbedingt erwähnt werden muss?

Markus Sauerhammer: Ich bin nicht Geschäftsführer. Mit Katrin, unserer Geschäftsführerin, hast du ja gesprochen. Ich bin Vorstand. Meine Rolle als Gründungsvorstand, meine Aufbauarbeit und dass ich gelernter Landwirt bin, hast du bereits angesprochen. Jetzt bewege ich mich im Thema Zukunftspolitik. Dabei ist die Parallele eigentlich die gleiche: Wir ernten, was wir säen. Von daher halte ich nur einen anderen Acker.

Hendrik: Ok, du bist also Landwirt geblieben und dabei nur auf einen anderen Acker gewechselt.

Auf der „anderen“ Seite sitzt Dr. Joß Steinke. Er leitet den Bereich Jugend und Wohlfahrtspflege beim Deutschen Roten Kreuz in Berlin. Wenn ich es richtig rausgefunden habe, analysiert und bearbeitet dieser Bereich Fragen der Sozial- und Wohlfahrtsarbeit des Deutschen Roten Kreuzes, das einer der großen Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege ist.

Joß Steinke war vorher, das war aber auch das Einzige, was ich bei meiner spontanen Suche herausbekommen habe, beim AWO Bundesverband tätig und hat dort den Bereich Arbeit, Soziales und Europa geleitet. Er ist also ein echter Fachmann im Bereich der freien Wohlfahrtspflege. Joß, was habe ich vergessen, von dir zu erzählen? Was müssen die Hörerinnen und Hörer noch wissen?

Dr. Joß Steinke: Dass ich ein Leben vor der freien Wohlfahrtspflege hatte, ist vielleicht auch noch erwähnenswert. Ich war vorher beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. Da schließt sich der Kreis zu Franken. Ich bin 2011 von dort aus nach Berlin gewechselt zum AWO Bundesverband. Ich mache also jetzt, seit knapp neun Jahren, im weitesten Sinne die Arbeit im Bundesverband für Wohlfahrtspflege.

Hendrik: Herzlichen Dank. Wir sprechen ja miteinander, um die Gegensätze zu beleuchten und am Ende hoffentlich dahin zu kommen, diese Gegensätze wieder zusammenzubringen. Um zu schauen, wo sind denn eigentlich Gemeinsamkeiten, Lernmöglichkeiten aus den Bereichen Wohlfahrtspflege und Social Entrepreneurship. Mich beschäftigt einfach beides, das muss ich ganz klar sagen.

Ich selbst komme ursprünglich aus der Wohlfahrtspflege. Ich war Sozialarbeiter, bin auch immer noch im Bereich der Caritas unterwegs und berate soziale Einrichtungen in diesem Kontext. Ich verorte mich eher in der Wohlfahrtspflege, aber dieses Unternehmertum interessiert mich auch. Dann gab es diesen Tweet von Joß Steinke, in dem er, wenn ich es negativ formuliere, Social Entrepreneurships angegriffen hat.

Joß, magst du einmal kurz auf den Hintergrund von dem Tweet eingehen?

Joß: Kurz, das ist natürlich gar nicht so leicht. Aber ich habe es ja auch im Tweet geschafft. Deswegen schaffe ich es jetzt auch kurz. Wobei es mir schon wichtig ist: Ich greife nicht Social Entrepreneurs oder Start-ups an. Mir geht es tatsächlich um politische Kommunikation. Hendrik, du fragst, wie man es schafft, einen Ausgleich herzustellen. Für mich ist nach wie vor ungeklärt, mit was ich es eigentlich zu tun habe. Eine meiner Kritiken oder Fragen ist: Was ist eigentlich Social Entrepreneurship? Meines Erachtens nach ist es immer noch nicht geklärt.

Wenn ihr euch den Tweet und die Antworten dazu genau anguckt, findet ihr ganz viele unterschiedliche Antworten auf die Frage: Was ist Social Entrepreneurship? Und solange ich natürlich auch nicht weiß, mit was ich es hier zu tun habe, wofür und für wen sie sich einsetzen, finde ich es auch schwierig auf so einer Ebene miteinander zu arbeiten. Mir ist es auch wichtig, das noch einmal zu sagen: Wenn es gute Ideen, gute Initiativen gibt, mit denen man kooperieren kann, dann bin ich der Letzte, der hier nein sagt. Im Gegenteil, ich glaube, dass ich in den letzten acht Jahren immer wieder auch dafür gesorgt habe, dass gerade der Austausch mit den Initiativen selbst auch gefördert worden ist.

Hendrik: Darf ich einhaken? Die Frage, die du gerade gestellt hast, ist auch ein Teil der Grundlage für unser Gespräch: Was ist Social Entrepreneurship? Das möchte ich für die Beantwortung an Markus weitergeben. Wenn es jemand beantworten können sollte, dann bist du das Markus. Du müsstest uns sagen können, was das Gegenüber der freien Wohlfahrtspflege ist – wenn man mit diesen Polen arbeiten möchte.

Social Entrepreneurship ist im Kern die Lösung gesellschaftlicher Herausforderung mit unternehmerischen Instrumenten.

Markus: Ich würde es gar nicht als Gegenüber sehen, sondern wenn wir uns die historische Entwicklung anschauen, woher es eigentlich kommt, ist es so, dass wir in großen Umbruchzeiten und nach großen technologischen Revolutionen immer soziale und gesellschaftliche Innovationen hatten. Bei der industriellen Revolution war es so, dass Genossenschaften entstanden sind, als wir eine Monopolisierung von Strukturen in ländlichen Regionen bei Geldverleihern, beim Landhandel hatten.

Das damals die Sozialversicherungen oft aus kommunalen Kontexten heraus entstanden. Da waren vor Ort Macher*innen, die einfach Prototypen umgesetzt haben. Oft waren es auch Intrapreneurs aus der Kirche. Ich finde es ganz spannend, wenn man sich die Geschichte von Adolph Kolping anschaut. Oder, und da nehme ich das Rote Kreuz, einen Unternehmer, der damals in Zukunftsmärkten gegründet hat. Er hat Napoleon III. wegen geschäftlicher Dinge besucht und dabei gesehen, dass Missstände herrschen. Daraufhin hat er das Rote Kreuz mitgegründet.

Hendrik: Henry Dunant meinst du?

Markus: Ja genau, Henry Dunant. Eigentlich ist es genau das Gleiche: Wir sind wieder in einer großen Umbruchphase. Wir kämpfen mit gesellschaftlichen Herausforderungen, mit der digitalen Transformation, weiteren neue Herausforderungen, die hinzukommen. Was geht alles mit dem Klima- oder dem demografischen Wandel in Deutschland einher?

Oder die Globalisierung, die definitiv nicht zum Wohle aller gelaufen ist, sondern bei der eine kleine Anzahl von Menschen sehr enorm profitiert hat. Das heißt, wir leben in einer Zeit, in der wir Herausforderungen haben, die wir in den nächsten Jahren lösen müssen. Social Entrepreneurship ist im Kern die Lösung gesellschaftlicher Herausforderung mit unternehmerischen Instrumenten. Unternehmerische Instrumente heißt nicht, dass es das klassische Geschäft ist, sondern dass nachhaltige Strukturen da sind. Wir haben auch versucht, das in unsere Definition mit aufzunehmen – es gibt ja in den europäischen Ländern unterschiedliche offizielle Definitionen.

Wir haben uns hingesetzt und eine Basis gemacht. Es ist wichtig, dass das Thema jetzt kommen muss. Dass wir sagen, da bin ich komplett bei Joß, wie wir uns abgrenzen und was das Ganze ist. Das ist ja ein Prozess, der gerade entsteht. Es geht auch nicht darum, dass wir die Weisheit mit Löffeln gefressen haben, sondern dass wir uns fragen: Was funktioniert bei uns super? Was sind die Sachen, die wir in die Zukunft tragen wollen? Und wie können wir das auf die Lösungen der heutigen Herausforderungen adaptieren? Das ist eben nicht nur eine Entwicklung in Deutschland, sondern eine internationale.

Hendrik: Ganz herzlichen Dank. Da sind natürlich viele Aspekte von den Gründern der Wohlfahrtsverbände drin. Henry Dunant ist da auf einer Seite, aber auch bei den konfessionellen Verbänden haben wir solche Persönlichkeiten wie Johann Hinrich Wichern bei der Diakonie oder Lorenz Werthmann bei der Caritas. Bei denen weiß man, dass sie etwas unternommen haben. Die waren unternehmerisch tätig. Aber, Joß, aus deiner Perspektive: Wo siehst du die Herausforderungen dabei? Wenn man das als ein Sammelbecken gesellschaftlicher Herausforderungen sieht, die mit unternehmerischen Mitteln gelöst werden wollen.

Joß: Solange das ein Diskurs unter uns bleibt, ist das kein Problem. Wenn man aber, und das macht ihr, Markus, auch sehr erfolgreich – das ist keinesfalls ein Vorwurf –, politisches Lobbying für etwas betreibt, das du zwar beschrieben hast, aber was ich nicht festmachen kann, dann hat das Konsequenzen, über die ich gerne noch einmal sprechen möchte. Die ich persönlich sehr, sehr schwierig finde und die mich auch zu dem Tweet animiert haben. Aber Markus, du hast es ja selber gesagt, ihr müsst euch oder ihr seid dabei, euch stärker abzugrenzen.

Ich habe gestern Abend noch einmal nachgedacht und dabei ist mir eingefallen, dass ich mal eine ganz interessante Diskussion hatte. Ich beschäftige mich mit dem Thema Soziale Innovation und Social Entrepreneurship seit 2012, weil ich damals neu in die Wohlfahrtspflege gekommen bin.

Das klingt erst einmal alles interessant und man möchte auch bei neuen Themen dabei sein und partizipieren, wenn man ganz neu in dem Bereich ist. Da gab es eine Multi-Stakeholder-Konferenz, bei der wir in der Debatte eigentlich auch an den Punkten waren, wo wir jetzt auch immer wieder sind. Bei dieser Konferenz hatte ich am Rande eines Gesprächs eine Diskussion mit einem Vertreter von ALDI, der gesagt hat: „ALDI ist ein Social Entrepreneur.“ Denn überall, wo ALDI hingeht, würden die Preise für Lebensmittel sinken. Das sei ursozial, weil die Leute dann mehr Geld dafür auch bei niedrigen Einkommen hätten.

Hendrik: Das kann man zumindest diskutieren.

Joß: Ja, das kann man sicher. Aber wer entscheidet das und nach welchen Kriterien? Wofür? Das ist die Frage. Wer und woran macht man denn was fest? Sozialunternehmertum ist nicht abgegrenzt, Social Entrepreneur ist nicht abgegrenzt. Mit welchen Argumenten, Markus, würdest du dann sagen: „Nö, also Aldi … ich weiß jetzt nicht, ob ich mich für die im Bundestag einsetzen würde“? Vielleicht würdest du es ja auch tun.

Ich will damit nur sagen, letztlich hat mich das damals auch bewogen, zu sagen: „Man muss es vielleicht noch einmal schärfen. Denn solange ich nicht weiß, mit wem ich es zu tun habe, was das ist, ob es Unternehmen sind, ob es gewerbliche oder gemeinnützige sind, ist es für mich schwierig, eine Kooperation auf einer politischen Ebene einzugehen. Ich hoffe, dass das irgendwie verständlich rüberkam.

Markus: Das kommt super rüber. Also erst einmal: Das Beispiel, das du angebracht hast, finde ich super. Schauen wir zurück: 1950 war es so, dass wir 44 %, knapp die Hälfte unseres Einkommens für Lebensmittel ausgegeben haben. Das heißt, einen halben Tag bin ich schaffen gegangen, damit die Familie ernährt wird. Heute sind es ungefähr 13, 14 %. Hat Aldi etwas verändert, gesellschaftliche Mehrwerte geleistet? Wenn ich nur nach dem Preis gehe, bin ich definitiv bei dir. Ich habe aber auch landwirtschaftliche Wurzeln. Damit kommen wir auch darauf, warum ich genau in diesem Bereich gelandet bin. Wir haben mittlerweile eine Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel von 85 %, also vier Anbieter haben 80, 85 % Marktanteil.

Ganz genau weiß ich es aktuell nicht. Viele meiner ehemaligen Studienkollegen arbeiten im Lebensmitteleinzelhandel als Einkäufer, als Verkäufer. Die Marktmacht wird schonungslos ausgespielt. Was wir gerade bei den Schlachthöfen erleben, ist jetzt wegen Corona nach oben gepoppt. Es ist eine komplette Wertschöpfungskette, bis hin zu den Landwirten, Produzenten, Erzeugern darunter, bei der wir doch eine hohe Marktkonzentration, Machtkonzentration, ein enormes Ungleichgewicht haben. Da hat ein Mission-drift stattgefunden. Das heißt, der gesellschaftliche Mehrwert ist definitiv verloren gegangen.

Es wurde aus einem Konstrukt, das gesellschaftliche Mehrwerte geleistet hat, definitiv zu einem Instrument, zu dem ich sage, dass wir heute hart diskutieren können. Ich glaube, es gibt immer noch Leute, die sagen: „Lebensmittel könnten günstiger sein.“ Ich glaube das nicht.

Das, was du beschreibst, da bin ich bei dir, ist gesellschaftliche Innovation. Social Entrepreneurship ist nicht die Konkurrenz zur Wohlfahrt, sondern sie gibt es in der Wirtschaft. Die meisten unserer Akteure sind eher in der klassischen Wirtschaft unterwegs, viele auch in Wohlfahrtsbereichen. Aber der Schwerpunkt liegt in dem Bereich. Ich glaube, wir brauchen ein krasses Umdenken, wenn wir uns anschauen, wie sich die Welt gerade verschiebt.

Ich war eine Zeitlang in der klassischen Start-up-Welt. Ich habe dann ein Aufbaustudium, einen MBA, gemacht. Ich war dabei und irgendwann sagen die uns: „Erzählt den Leuten, was ihr Gutes tut. Und dann holt ihr Venture-Capital rein, Netzwerk-Lock-in-Effekte. Danach dockt ihr ans Geschäftsmodell an und könnt die Kunden melken.“ Das heißt, wenn wir bei der industriellen Revolution zum Produktionsfaktor wurden, werden wir heute zum Produkt – in einer ganz anderen Geschwindigkeit, in einer ganz anderen Machtkonzentration.

Wenn man die Bilder logisch weiter malt, dann brauchen wir ein Umdenken. Deswegen wünsche ich mir, dass wir genau diesen Austausch haben und es kritisch diskutieren. Ein Jahr lang fand jetzt regelmäßig eine Runde statt, in der sich Vertreter der Wohlfahrt mit den Social Entrepreneurs zusammengesetzt haben. Wir haben uns wahnsinnig viel Zeit genommen, um genau über diese Punkte zu diskutieren. Darin schlummert das Potenzial, dass wir uns nicht gegeneinander, sondern konstruktiv aneinander zu reiben. Dass wir sagen, was gut und was schlecht ist, was man vielleicht anders machen muss.

Aber das funktioniert nur, wenn man gemeinsam am Tisch sitzt und daran arbeitet. Die Menschen, von denen die Kritik kommt, saßen aber nicht mit am Tisch. Gewünscht hatte ich mir das, denn wir schaffen es nur gemeinsam. Ich bin komplett bei dir, denn keiner von uns möchte die Wohlfahrt in Frage stellen, sondern wir haben hier ein Riesenpotenzial, was wir in die neue Zeit tragen müssen.

Hendrik: Lasst uns nochmal kurz bei der Abgrenzung bleiben, um es noch ein bisschen greifbarer zu machen. Die Erläuterung des Beispiels ALDI ist ganz spannend. Das, was mir in den Kopf kam, ist das Familienunternehmen Bosch, das eine Stiftung ist. Diese Purpose-Unternehmen gehen ja in eine ähnliche Richtung. Es sind nicht veräußerbare Unternehmen, die dahinterstehen. Wenn man ein Unternehmen aufbaut und es dann möglichst meistbietend veräußert, ist das auch ein mehr oder weniger soziales Problem.

Also könnte man auch Bosch als sinnstiftendes Unternehmen und als Löser von sozialen Problemen bezeichnen. Gleichzeitig hast du den Bereich der Lebensmittel angesprochen. Es gibt in der gesellschaftlichen Problemlage, die wir vor uns haben, eine Spannbreite von A bis Z. Das könnte man in unterschiedlichste Bereiche auffächern.

Eure Definition hast du eben erläutert. Die deutschsprachige Definition der sozialen Arbeit, nicht Wohlfahrtspflege, des DBSH (Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V.) lautet: „Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen.“ Diese geht natürlich noch weiter und wird auch noch tiefer.

Ich finde, das ist alles sehr groß und sehr breit und wenn ich dich richtig verstanden habe, Joß, geht die Abgrenzung eigentlich nur über den Aspekt der Gemeinnützigkeit. Das heißt, die Frage ist, wie denn eigentlich der politische und gesetzliche Rahmen ist, unter denen Wohlfahrt agiert. Ist das richtig?

Die Abgrenzung zwischen Wohlfahrtspflege und Social Entrepreneurship geht nur über den Aspekt der Gemeinnützigkeit

Joß: Ja, natürlich ist das richtig. Wir können benennen, was wir sind. Wir sind gemeinnützig und man muss eben letztlich Teil einer der Wohlfahrtsverbände sein und sich dann dementsprechend auch den Regularien und Satzungen dieser Verbandsstrukturen unterwerfen. Das bedeutet, dass es bestimmte Bedingungen gibt, um Mitglied beispielsweise im DRK, in der AWO oder im Paritätischen zu sein. Sind diese Kriterien nicht erfüllt, kann man kein Mitglied sein. Die Satzungen sind zwar alle unterschiedlich, aber sie gelten. Und sie sind verpflichtend, nicht nur gemeinnützig, sondern verpflichtend in den Satzungen auch gemeinwohlorientiert. Beides geht hier Hand in Hand.

Markus, deine Antwort ist nachvollziehbar. Ich habe mich nicht dafür ausgesprochen, ALDI als Social Entrepreneur zu bezeichnen. Ich wollte von dir wissen, was ihr macht, wenn die kommen und sagen: „Wir sind es!“? Ich sehe keine Mechanismen oder Bedingungen, die hier greifen, sondern du sagst einfach: „Sie sind es nicht.“ Du argumentierst dabei auch nachvollziehbar, dass es dann den Landwirten schlechtgeht. Das verstehe ich auch.

Aber die Frage ist doch: Gibt es etwas, an was man das festmachen kann, dass das auch gilt, wenn ein ähnliches Unternehmen kommt, bei dem es weniger eindeutig ist? Das gibt es nicht. Vielleicht sagst du auch: „Doch, gibt es!“ Aber welches Gremium entscheidet das und nach welchen Kriterien? Im Moment ist das noch so bunt und schwer zu verorten. Deshalb ist es so schwierig, in einen solchen Dialog zu kommen.

Ich möchte, wenn ich darf Hendrik, gleich auch noch einmal auf den Punkt zu sprechen kommen, was mich dazu bewogen hat, auf Twitter so hart reinzugehen. Dabei geht es mir nicht nur um die Definition, sondern es geht mehr um die politische Kommunikation, die mir da wirklich sehr, sehr wichtig ist.

Hendrik: Gerne! Vorher aber noch einmal die Frage der Abgrenzung an dich Markus. Was sind die Kriterien, um bei euch mitspielen zu dürfen? Und dann zu dir, Joß, mit der Frage, was die Beweggründe hinter diesem Tweet waren. Du sagtest: „Politische Kommunikation“. Was steht da eigentlich dahinter? Markus, magst du die Kriterien benennen, wenn ihr diese habt?

Kriterien für Sozialunternehmertum

Markus: Bei uns ist es so, dass wir einen ziemlich umfangreichen Fragebogen haben. Wenn jemand Mitglied werden möchte, muss er klar machen, was die gesellschaftliche Mission ist, wie das erreichten werden soll, was das Wirkungsmodell dahinter ist und wie sichergestellt wird, dass kein Mission-drift stattfindet. Den Fragebogen haben wir nach dem Definitionsprozess noch einmal nachjustiert. Wenn wir uns anschauen, mit welcher Dynamik sich das Thema gerade global entwickelt, egal ob Social Entrepreneurship oder soziale Innovationen – gesellschaftliche Innovation ist mir als Wort fast noch lieber –, dann sehen wir eine enorme Bewegung.

Damals in der Zeit von Henry Dunant gab es, glaube ich, noch keine Gemeinnützigkeit. Es konnte also allein an dem Kriterium festgemacht werden. Wenn ich nun dieses Kriterium nehme, denke ich an einen Blogbeitrag, in dem diskutiert wurde, dass nur eine kleine Anzahl unserer Mitglieder gemeinnützig ist. Schauen wir uns die Erhebungen an, ist zwar der kleinste Teil im Bereich der Wohlfahrt unterwegs, aber die Hälfte ist gemeinnützig. Also viele der Akteure tragen eigentlich die Gemeinnützigkeit in klassische Bereiche der Wirtschaft.

Das, was uns wichtig ist, ist: Wie verhindern die Akteure einen Mission-drift? Dabei ist neben der Gemeinnützigkeit noch ein Themenbereich, der schon angesprochen wurde, relevant: Wie schaffen wir ein Rechtsformkonstrukt für Unternehmen, die klassisch in der Wirtschaft agieren und trotzdem eine Zweckorientierung verankern, das keine Konkurrenz zur Gemeinnützigkeit und auch nicht Gemeinnützigkeit light ist. Du hast vorhin Bosch angesprochen.

Ich würde Bosch nicht als Sozialunternehmen sehen, sondern sie haben den Zweck festgelegt, dass der Großteil in Innovationen investiert wird und die Überschüsse in die Stiftung fließen. Solche Unternehmen sind resilienter und entlassen nicht so schnell Mitarbeiter. In Dänemark gibt es solche Modelle. Wenn man in Deutschland so ein Konstrukt mit einer Doppelstiftungsstruktur aufbauen will, ist man schnell einen sechsstelligen Betrag los und nur dann kann man das, was man verspricht, auch wirklich halten. Das ist z.B. ein Kriterium. Ein anderes sind Instrumente wie Gemeinwohlökonomie, die B-Corp-Zertifizierung, das Phineo-Wirkt-Siegel, Social Reporting Standard. Damit kann auch sichergestellt werden, dass es wirklich eine Wirkungsorientierung gibt.

Das Thema ist in Deutschland einfach in der Dynamik noch ein relativ junges Thema, auch wenn wir die Dialoge schon eine Weile führen. Das sich da viel verändern wird und definitiv Prozesse nachgezogen werden müssen, ist klar. Das hat man jetzt auch mit dem Antrag der Regierungsfraktionen gesehen, dass eine offizielle Definition kommen muss. Dann haben wir endlich eine Grundlage. Etwas, dass nicht nur theoretisch existiert, sondern es ist ein Konstrukt, das in einem Prozess erarbeitet wurde, das dann auch eine Möglichkeit zur Finanzierung von Förderprogrammen schafft.

Wir kämpfen dafür, dass Innovationen der Wohlfahrt und von Social Start-ups genauso gefördert werden wie Innovationen der gewerblichen Wirtschaft. Bisher sind beide Akteure dabei außen vor. Social Start-ups können auf die meisten Innovationsprogramme nicht zugreifen, die klassischen Akteure der Wohlfahrt auch nicht. Dabei geht es darum, wie wir Gemeinsamkeiten schaffen können. Gemeinsamkeiten, die auf Ziele einzahlen, die wirklich gesellschaftliche Mehrwerte möglich machen. Es geht nicht in allen Fällen über die Gemeinnützigkeit, das ist mir noch einmal wichtig zu sagen.

Hendrik: Joß, zum Hintergrund des Tweets.

Joß: Das ist auch wirklich mein Problem. Wenn ihr auftretet, dann vertretet ihr häufig kleinere, ideenreiche Start-ups. Das ist Bosch ja nun wirklich nicht. Ihr habt euren Monitor herausgebracht. In dem habt ihr eine Umfrage unter den Einrichtungen und Initiativen, die sich als Social Entrepreneurs begreifen, gemacht. Die nennen z. B. das Problem der Rechts- oder Organisationform überhaupt nicht. Bei den Problemen, bei den aktuellen Herausforderungen, die genannt werden, kommt es eher an hinterer Stelle. Wenn ich mit jemandem eine Kooperation eingehe, möchte ich gerne wissen, wessen Interessen derjenige eigentlich vertritt. Was ich bisher gehört habe, ist ja nicht falsch – auch das, was du sagst. Aber das ist eher so eine Art, ich nenne es mal, Lebensgefühl, das sicherlich auch davon getragen wird, dass wir in Umbrüchen leben. Wir müssen uns neu aufstellen. Das stimmt auch alles. Jedoch macht das noch keine Interessenvertretung aus.

Genau das ist für mich schwierig, denn ich vertrete eine Organisation, die echt ist, die klar ist. Dahinter stehen Menschen, die sich in der Wohlfahrt, der Jugend- und Altenhilfe, der Migrationsarbeit, der Behindertenhilfe, in Gesundheitsprogrammen einbringen. Diese Menschen gibt es. Die kann ich benennen. Ich kann die Einheiten benennen. Mit denen arbeite ich, für diese arbeite ich. Mit ihnen machen wir auch Innovationsförderung. Das ist für mich benennbar. Auf der anderen Seite, und da weiß ich nicht, ob es den Zuhörerinnen und Zuhörern dabei anders geht als mir, ist es für mich noch nicht richtig klar und das ist meine Kritik. Denn auf dieser Basis wird jetzt politisch gehandelt und das ist gefährlich. Ihr seid echt gut in der politischen Kommunikationsarbeit, im Marketing und auch in der Kommunikation über soziale Medien.

Man bekommt den Eindruck, dass hier eine riesige Geschichte läuft. Das finde ich tatsächlich beachtlich und habe Respekt davor. Aber ich halte es nicht für ungefährlich. Ihr habt einen Antrag der Regierungsfraktionen, in dem es um soziale Innovationen geht, gelobt, der mich auch geärgert hat. Die Wohlfahrtspflege wird dabei zum Steigbügelhalter für innovative Ideen von Dritten degradiert. Das wird den Leuten, für die ich auch spreche, einfach nicht gerecht. Das ist nicht in Ordnung! Das sagen wir auch noch einmal wirklich deutlich im Bundestag. Das ist aber gar nicht mein größtes Problem.

Social-Entrepreneurship-Himbeersoße

Mein größtes Problem ist, dass ich das Gefühl habe – das wollt ihr zwar nicht, aber das kann dabei entstehen –, dass bei politischen Entscheidungsträgern der Eindruck erweckt wird, dass die Lösung der Probleme Social Entrepreneurship ist. Auch durch dieses Auftreten habe ich manchmal das Gefühl, dass ihr alles mit so einer Social-Entrepreneurship-Himbeersoße übergießt und alles ist irgendwie total super. Hendrik, du weißt, dass wir so heftige Probleme in der Sozialen Arbeit haben, Dinge voranzubringen. Dass wir Probleme wegen Unterfinanzierungen haben.

Da sind Leute, die sich engagieren, wegen denen wir dringend an die Sache ranmüssen. Zusätzlich besteht auch ein Misstrauen gegenüber der Sozialen Arbeit, das wir nicht wegkriegen. Woran wir uns immer wieder stoßen, auch jetzt in der Corona-Zeit. Das Social Entrepreneurship nicht euer Ziel ist, weiß ich. Aber ich habe die Sorge, dass das als Problemlösung verstanden wird. Dann verklebt diese Himbeersoße wieder alle Problemlagen und wir kommen nicht dazu, über die eigentlichen Sachen zu sprechen, um die es im sozialen Bereich in Deutschland aus meiner Sicht tatsächlich geht. Dann wird es nämlich eigentlich nicht mehr besser, sondern klebrig.

Hendrik: Weil du es gerade angesprochen hast, aus meiner Perspektive gibt es die Herausforderungen, die wir in diesem Wohlfahrtssektor haben, eigentlich schon, seitdem es ihn gibt. Seitdem professionelle soziale Arbeit oder professionelle Wohlfahrt geleistet wird, haben wir diese Herausforderungen. Die fangen an beim Frauenberuf, in dem wir unterwegs sind, gehen über Finanzierungsengpässe bis hin zu Misstrauen der Kostenträger, die Gelder geben.

Das, was du, Joß, gerade gesagt hast, erinnert mich an die Technisierung. Es gibt eine technische Lösung für Probleme, die hochgradig komplex sind. Diese Komplexität kann man aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten, aber die Lösung selber ist erst einmal nur systemisch. Es wurde in unserem Bereich bereits lange und mit viel Aufwand, mit unterschiedlichen Netzwerken usw. daran gearbeitet. Aber die eine Lösung gibt es eben nicht. Das ist das, was ich bei dir rausgehört habe. Markus, wie reagierst du darauf?

Markus: Ich finde es schade, weil es in die Richtung Rechtfertigung geht. Was passiert da und wie macht ihr es? Die Rechtsform ist eine der größten Herausforderungen. Im letzten DSEM (Deutscher Social Entrepreneurship Monitor) haben 51,4 % das Fehlen einer geeigneten Rechtsform als Problem angegeben. Dabei ist es so, dass es eine Herausforderung ist, aber weniger in Abgrenzung oder als Konkurrenz im Bereich der Wohlfahrt oder Gemeinnützigkeit, sondern eher bei Unternehmen, die so tun, als würden sie etwas Gutes machen, aber eigentlich ist das Gegenteil der Fall.

Die haben einfach eine coole Corporate-Social-Responsibility-Abteilung, die irgendwo im Marketing angedockt ist. Aber das ist nichts, wenn man so tut als ob, sondern es muss wirklich in der DNA verankert sein. Wenn Gesellschafter keine Gewinne mehr entnehmen können, es ihnen aber im unternehmerischen Kontext wichtig ist, ihren Geldgebern, wenn Geldgeber oder bei innovativen Gründungen Investoren vorhanden sind, genauso Zinsen zahlen zu können, dann ist dieser eine Vorschlag eine Möglichkeit. Denn klassische Darlehen passen da nicht.

Ich baue seit zehn Jahren Brücken zwischen etablierten Akteuren und Neulandgestaltern. Ich habe den Prozess nicht nur einmal durchgemacht, sondern ganz oft. Die Leute, die es immer gemacht haben, belächeln diejenigen, die neu dazukommen und etwas machen. Dann wird sich ein bisschen bekämpft und man hackelt sich, aber am Ende kommt man doch zusammen. Ich freue mich, dass wir zumindest schon auf Stufe zwei sind. Ich hoffe, dass wir bald auf Stufe drei kommen und wirklich gemeinsam daran arbeiten können.

Brücken bauen zwischen etablierten Akteuren und Neulandgestaltern

Ich bin der festen Meinung, dass die Sachen, die du, Joß, angesprochen hast, Herausforderungen sind, die Social Entrepreneurs nicht alleine lösen. Für mich gehören die internen Innovatoren, die Intrapreneurs und die Entrepreneurs fest zusammen. Mit einer etablierten Organisation hat man unterschiedliche Stärken. Es gibt super Strukturen, etablierte Prozesse. Man hat ein starkes Netzwerk und es ist wahnsinnig viel Erfahrung da. Das sind Dinge, die die Akteure nicht haben. Dafür haben Sie manchmal die Naivität, zu sagen: „Geht nicht, gibt‘s nicht! Ich mach es jetzt einfach mal.“ Sie suchen nach neuen Lösungen, wissen das Scheitern dazugehört. Sie probieren vielleicht auch mal andere Sachen aus, an die sie mit einem anderen Mindset rangehen.

Ich habe es so oft mitgemacht. In den Bereichen, in denen es darum geht, gesellschaftliche Mehrwerte zu schaffen, sollten wir wirklich gemeinsam daran arbeiten. Was sind die besten Prozesse? Was sind die besten Lösungen und wie können wir gemeinsam daran arbeiten, dass die besten Lösungen groß werden? Deswegen finde ich die negative Abgrenzung in der ganzen Diskussion fürchterlich.

Mit dem Antrag bin ich komplett bei dir. In dem steht viel zu wenig Wohlfahrt drin. Ich würde jetzt gerne einfach mal ein kurzes Rollenspiel mit dir machen. Stell dir vor, du bist ein Bundestagsabgeordneter und du setzt dich mit dem Thema auseinander. Ich habe vorhin schon gesagt, dass wir in der industriellen Revolution, soziale Innovationen hatten. Ein Teil wurde über staatliche Strukturen, ein anderer Teil über die Wohlfahrt und noch ein anderer Teil wurde am Markt skaliert. Das heißt, es gibt nun unterschiedliche soziale Innovationen. Du hast dich mit den unterschiedlichen Akteuren auseinandergesetzt, schreibst Papiere oder Anträge und dann klingelt dein Telefon. Es ruft jemand an und sagt: „Das ist alles Bullshit!“

Das passiert nicht einmal, sondern es passiert immer wieder. Wenn du dann diesen Menschen nicht zuhörst und auch mit den anderen nicht sprichst und das alles einfach schlecht machst, dann hat jemand vielleicht nicht mehr so viel Lust, das mit reinzunehmen. Daher ist es wichtig, dass wir Dialog-Prozesse schaffen, in denen wir den anderen zuhören, aber ohne sie zu verurteilen. Die brauchen wir, um festzustellen, dass wir in einer Zeit großer Umbrüche sind und es gemeinsam machen müssen.

Genauso ist es auch bei dem Finanzierungsthema, das du angesprochen hast. Wir waren mit dem Vorschlag zum Aufbau eines Social Impact Fonds in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. Dank dir, konnten wir das Modell vorstellen. Wir sind bemüht, eben nicht um Töpfe zu ringen, die da sind und die definitiv zu klein sind. Auch da bin ich zu hundert Prozent bei dir. Wir suchen Wege, wie wir es schaffen, dass Innovationsfördermittel genauso für soziale und gesellschaftliche Innovationen zur Verfügung stehen und nicht nur, wie momentan, dem gewerblichen Bereich. Wie schaffen wir es, Kapital zu mobilisieren, das momentan tot auf Bankkonten liegt, das aber niemandem gehört und das Banken nach 30 Jahren als Gewinn einbuchen?

Dieses Kapital könnte für solche Lösungen genommen werden. Dabei geht es nicht um Ego-Nummern oder darum, Social Entrepreneurship größer zu machen. Es geht darum, dass wir gemeinsam Problemlösungen voranbringen und genau an den Sachen arbeiten, die du genannt hast. Es wird nicht alle Probleme lösen, aber es ist bereits sehr viel vorhanden.

Beim Thema politische Aufmerksamkeit muss ich meine persönliche Motivation erklären, warum ich mich am Anfang so reingekniet habe. Ich habe eine Zeit lang als Intrapreneur bei einer Industrie- und Handelskammer gearbeitet. Die Strukturen sind sehr dezentral, es ist sehr traditionell. Früher waren sie top, jetzt sind sie auch in einer Umbruchphase. Dort habe ich gelernt, wieviel Lobbyarbeit für klassische Unternehmen stattfindet. Danach habe ich durch die Crowdfunding-Plattform Startnext gesehen, dass Start-ups, die Lösungen in sich tragen, nicht an die klassischen Finanzierungs- und Förderinstrumente kommen.

Die meisten Leute in dem Sektor arbeiten selbstausbeuterisch, aber sie haben so grandiose Ideen. Als ich aus meiner Landwirtschaftsbubble in die krasse Start-up-Welt eingetaucht bin, in der Milliarden an Venture Capital hin und her geschoben werden, bin ich in eine Welt eingetaucht, wo Utopien real wurden. Du hast vorhin ALDI angesprochen und ich habe die Parallelen des landwirtschaftlichen Strukturwandels, der Machtkonzentration im Lebensmitteleinzelhandel der digitalen Transformation gegenübergestellt.

Wenn wir das weiterdenken und hier eben nicht zusammenwirken und keinen gemeinsamen Weg finden, um Kapital für soziale und gesellschaftliche Innovation zu mobilisieren, dann wird es keine Utopie, sondern eine Dystopie. Und wir sind auf dem Weg in diese Dystopie. Mir geht es darum, das gemeinsam anzupacken und gemeinsam dafür zu kämpfen, dass für Lösung Geld da ist.

Hendrik: Das möchte ich an Joß übergeben. Da waren so viele Punkte, Perspektiven und Aspekte dabei, die du angesprochen hast, Markus. Wie kann es gelingen, diese beiden Bereiche zusammenzubringen?

Joß: Für mich ist immer noch nicht klar, was es ist. Es ist für mich schwierig, mich dann mit jemandem auf Augenhöhe hinzusetzen. Was passiert hier? Ich frage nach, worum es geht, welche Konsequenzen euer politisches Handeln hat, auch wenn ihr das nicht intendiert. Bei den Antworten habe ich aber das Gefühl, dass du, Markus, mich in ein bisschen in die Rolle des Verleugners des Guten, Wahren, Schönen drängst. Als ob ich nicht will, dass sich die Gesellschaft nicht weiterentwickelt.

Aber das stimmt ja nicht. Mit Ashoka z. B. habe ich viel weniger Probleme als mit SEND, weil ich weiß, wofür die stehen, welche Organisationen, Organisationstypen und -formen sie vertreten. Bei SEND weiß ich das eben nicht so genau. Das wünsche ich mir auch von euch, von SEND. Was ihr öffentlich auf Twitter immer gut macht, ist, dass ihr euch mal für Vereinsstrukturen, mal für Gemeinnützige, mal für Start-ups, mal für Bosch einsetzt. Das kann ich nicht greifen. Immer wenn ich nachfrage, wird so ein großes Thema aufgemacht. Dann habe ich aber weiter Fragen, z. B. nach der Voraussetzung Definition oder dass wir noch einmal die großen Themen ansprechen. „Unser neues Selbstverständnis von Unternehmen“, so hieß es mal in einem Tweet.

Man kann es in den Tweets auch nachvollziehen und ich höre das auch ein bisschen bei dir raus, Markus. Jemand hat mir dann geschrieben, dass die Freie Wohlfahrtspflege, Social Entrepreneurs, Start-ups, Business und Genossenschaften wollen ja alle für Menschen und Gesellschaft Probleme lösen. Und da ist es wieder: Das nivelliert alle Unterschiede. Es heißt, wir können alle irgendwie gemeinsam in den Sonnenuntergang reiten. Ich glaube nicht, dass das gut ist. Es gibt eben auch Unterschiede, es gibt Interessengegensätze. Man braucht auch ein Bild von Gesellschaft und Sozialstaat. Welche Rolle spielen denn Unternehmen im Sozialstaat? Für mich ist und bleibt Sozialpolitik, echte Sozialpolitik immer ein Eingriff in den Markt. Wir müssen uns auch einmal darüber unterhalten, wie euer Bild von Gesellschaft, Staat und Sozialstaat aussieht.

Ihr seid im Bundestag unterwegs und darauf wollte ich auch hinaus. Da gibt es im Moment wenige Berührungspunkte. Einfach ganz schlicht deshalb, weil wir im Moment an ganz anderen Stellen gefordert sind. Wir haben ein riesiges Problem mit dem Stellenwert der sozialen Arbeit. Und damit meine ich keine App, sondern Jugendhilfe, Leute, die sich dort einsetzen, Streetworker. Die meine ich damit. Das ist ein Riesenproblem. Finanzierungen sind ein Riesenproblem, Tarife und ähnliches auch. Das sind alles Probleme, über die wir reden müssen. Es gab einen riesigen Krampf, weil es eine Prämie für die Pflege geben sollte und die aber keiner finanzieren und bezahlen wollte. Das sind reale Probleme.

Da müssen wir tatsächlich ran. Wenn das passiert, sich der Bundestag aber gleichzeitig mit sozialen Innovationen beschäftigt, dann kann es sehr schnell passieren, dass eine solche Diskussion die eigentlichen Probleme über Jahre überdeckt. Sie einfach überlagert. So etwas passiert tatsächlich ganz häufig und ohne dass ihr das wollt, haben wir dann am Ende keinen besseren Sozialstaat, keine bessere Sozialpolitik und wir werden auch nicht zukunftsfähig. Genau das Gegenteil passiert.

Dass das ein Dialog sein muss, da bin ich dabei. Deswegen sind wir ja hier und deshalb machen wir das ja auch öffentlich. Aber ich glaube, wir müssen ein paar Sachen einfach klären, damit dieser Dialog auch vernünftig stattfindet.

Hendrik: Das geht so ein wenig in die Richtung des Beispiels von dem Bundestagsabgeordneten, der permanent angerufen wird, das Markus vorhin einbrachte.

Joß hat die langjährigen und vielleicht auch sehr tradierten Probleme der sozialen Arbeit angesprochen. Damit beschäftigt sich der Bundestagsabgeordnete seit 30 Jahren. Da sind immer wieder die gleichen Themen auf dem Schirm. Dann kommt der SEND e.V. und bietet ihm Lösungen an.

Dann ist es natürlich einfacher, diese sozialen Innovationslösungen zu nehmen und diese zu unterstützen als die Herausforderung von ca. sechs Millionen Beschäftigen in der Sozialwirtschaft. Das ist ein riesiger Brocken, den man nicht mal eben so einfach bewegt.

Joß: Ich behaupte ja, er bietet keine Lösung an, sondern ein Wort.

Hendrik: Ein Wort? Welches?

Joß: Social Entrepreneurship ist im Moment einfach ein Wort und es steht für alles Mögliche. Ich wollte gleich auch noch einmal ein Beispiel nennen, aber Markus ist zuerst dran.

„Die ganze Welt ist auf Suche, wo es in Zukunft hingeht“

Markus: Jetzt sind wir wieder bei: „Wir gegeneinander und was ist nicht perfekt?“.

Ich finde es total spannend. Die ganze Welt ist auf Suche, wo es in Zukunft hingeht. Wir leben in mehrerlei Hinsicht in einer globalen Umbruchphase. Das heißt, es gibt keine vorgefertigten Antworten. Es ist genau wie damals, als die Leute gesagt haben: „Lasst uns die Herausforderung unserer Zeit in den Blick nehmen und Lösungen erarbeiten.“ Es ist schwierig zu sagen, dass es nicht fertig ist, sondern es ist ein Prozess. Genau dieser Prozess ist das, was wichtig ist. Social Entrepreneurs oder Intrapreneurs, also genauso die Menschen innerhalb einer Organisation, die Lösungen voranbringen, schauen, welche neuen Chancen und Potenziale es gibt, um das Ganze zu tun.

Du hast ganz viele Themen aufgeworfen, bei denen du sagst, dass sich die Wohlfahrt dafür einsetzt. Keiner der Akteure aus unserem Sektor hat irgendwo, irgendetwas in die Richtung schlechtgeredet. Du sagst, dass sich die Politiker nur damit auseinandersetzen sollen. Ich habe dir erzählt, aus welcher Welt ich komme. Ich habe gesehen, wie für das Bestehende wahnsinnig viel Lobby da ist und Lobby betrieben wird. Für das, was neu entstehen kann, bei dem Potenziale da sind und was diese Potenziale entfalten kann, ist keine Lobby da. Du sagst, wir machen gute Lobbyarbeit. Aber ganz ehrlich, welche Budgets stehen in dem Antrag drin? Was ist da wirklich im Rahmen der zur Verfügung stehende Haushaltsmittel unterfüttert? Jetzt machen wir mal was, aber es ist kein: „Wir tun nicht wirklich was“.

Das, was du beschreibst, ist etwas, was ich so oft gehört habe bei diesem „Brückenbauen“. Die Leute, die damit beschäftigt sind und weil sie so viel zu tun und zu wenig Ressourcen haben, dann nicht genug Zeit haben, um mit den Innovationen und den Potenzialen dahinter voranzukommen. Das ist weder ein Vorwurf noch Schwäche, sondern das sind unterschiedliche Stärken.

Noch einmal: Mir und den meisten Akteuren geht es darum, unsere Gemeinsamkeiten zu finden. Wenn du dich aber erst an den Tisch setzen und darüber reden willst, wenn es fertig ist, dann entsteht etwas, aber es wird noch schwieriger, zusammenzufinden und in den Dialog zu kommen.

Joß: Unser Thema ist politische Kommunikation. Das ist mir einfach wichtig. Unsere Tür stand und steht für gute Ideen, für einzelne Akteure, Initiativen usw. immer offen. Das war auch in den letzten Jahren so. Wir haben nie die Tür zugeschlagen bzw. nein, sogar andersherum. Wir haben das immer gesucht und wir haben auch Formate gefunden. Z. B. haben wir mal einen Innovationstag gemacht. Der fand ganz bewusst am Hasso-Plattner-Institut statt.

Dabei haben wir die Wohlfahrtspflege mit Start-ups und anderen Initiativen zusammengebracht, um konkret zu überlegen, was kann man gemeinsam weitermachen. Das finde ich richtig, wichtig und das gehört dazu. Das hat uns auch inspiriert und aus dem einen oder anderen ist vielleicht sogar etwas geworden. Das ist aber gar nicht unser Thema hier. Sondern unser Thema ist eigentlich eher die politische Kommunikation.

Ich werfe niemandem was vor. Ich sage nur, dass ich das wirklich schwierig finde. Ich finde diesen Antrag auch schwierig. Da muss ich natürlich auch ganz klar sagen, dass wir da natürlich auch nachlegen müssen. Es sind aber nicht nur die alten Themen. Ich weiß auch nicht, wie es uns gelingen kann, dieses Image endlich loszuwerden. Es sind ja viele neue Themen dabei. Ich nenne mal ein Beispiel, wie auch Innovation wirklich richtig, also auch nachhaltig gelingen kann. Für mich gehört auch dazu, dass der Einfluss von Social Start-ups, oder wie auch immer wir sie nennen und abgrenzen möchten, auch einmal nüchtern untersucht wird. Denn wissenschaftliche Analysen, die es gibt, auch Prof. Dr. Rolf Heinze und andere sind da eher nachdenklich und kommen nicht zu dem Schluss, dass das das neue große Ding wird.

Ich komme zu dem Beispiel. Wir haben für die Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer des BAMF die ganze Beratung auf Online Formate umgestellt, und zwar ist das schon seit Jahren so. Das ist durch Höhen und Tiefen gegangen. Wir haben einen Zuwendungsgeber mit dem BAMF, der das über die Jahre unterstützt hat, weil er daran geglaubt hat, so etwas zu machen. Das ist jetzt in der Corona-Krise natürlich durch die Decke gegangen und es wird auch nach der Corona-Krise bleiben. Das ist, ich sage es ein bisschen überspitzt, bei der 25. Nachbarschaftshilfe-App vielleicht nicht unbedingt so. Ich will nur damit sagen, es gibt unglaublich viele innovative Ansätze, die wir gemeinsam mit anderen, mit Dritten, mit Zuwendungen tatsächlich auf den Weg bringen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir im Marketing deutlich besser werden. Das ist unsere Schwachstelle, das sage ich ganz klar.

Wir haben natürlich auch viele andere Aufgaben. Wir haben, und das ist ein kleiner Unterschied, unsere Gremien, unseren Verband. Das kostet Zeit und ist für uns auch sehr, sehr wichtig. Das habe ich auch eingangs erwähnt. Aber wir müssen darin tatsächlich stärker werden und uns auch anders darstellen. Dafür setze ich mich auch schon lange ein, dass wir die Kommunikation anders gestalten. Ich finde auch, dass es in Wohlfahrtsverbänden dazugehört – Hendrik du weißt das – kritische Dialoge zu führen. Dass das sogar gut ist. Das ist auch ein wichtiger Dialog, der letztlich vielleicht auch euch, wenn du es so sehen möchtest Markus, auch weiterbringen kann.

Social Entrepreneurship und freie Wohlfahrtspflege: Wie es gelingen kann, voneinander zu lernen

Hendrik: Ich finde, das sind diese wichtigen Punkte, um zu schauen, wie es gelingt, das Verständnis für die jeweiligen Bereiche auf beiden Seiten aufzubauen. Joß, du hast gesagt, dass die Historie, die wir mit herumtragen, sozusagen in den Gremien endet. Diese machen es uns manchmal nicht ganz einfach, in den klassischen Wohlfahrtsverbänden schnell, innovativ zumindest nach außen zu wirken.

Joß: Da muss ich einhaken. Also innovativ sind wir vor Ort. Ich meinte eher die Kommunikationsarbeit. Vor Ort laufen ja viele Sachen, die gar nicht im Fokus sind. Weil die Leute, die sich in den Wohlfahrtsverbänden engagieren, eben nicht die sind, die nach ihrer Innovation sofort als nächstes einen Blogbeitrag schreiben, auf Twitter gehen und das öffentlich machen. Das machen sie nicht. Dafür machen sie es auch überhaupt nicht. Es sind nämlich auch oft Ehrenamtliche. Wir müssen es stärker abholen und auch die Marketingmaschinerie stärker anschmeißen. Da müssen wir uns von euch, Markus, ein Stück weit etwas abgucken.

Hendrik: Deswegen habe ich ganz bewusst „nicht innovativ wirken“ betont. Wir sind, glaube ich, hochgradig innovativ, weil wir immer mit begrenzten Mitteln das aufgebaut haben, was existiert. Aber wie bekommen wir es auf der anderen Seite hin, in Richtung Markus zu sagen:

Wie kann es gelingen, das Verständnis dafür aufzubringen, dass es da hunderttausende Beschäftigte gibt – ich weiß nicht genau wie viele es sind, aber allein die Caritas hat ungefähr 600.000, die in den unterschiedlichsten Organisationen dahinterstehen – und den Drive, den du schon mal angesprochen hast, als große Organisation? Wie kriegt man dieses Verständnis von beiden Seiten aus hin?

Auf der einen Seite sind große Organisationen, bei euch neue Ideen, die mit reinkommen. Vielleicht sind die Ideen teilweise auch gar nicht so neu. Aber es sind Leute, die irgendwie dazukommen und sagen: „Wir wollen aber etwas machen. Wir wollen die Gesellschaft verändern.“ Die dann eher bei euch andocken, weil sie nun mal kein klassisches Sozialarbeiterstudium durchlaufen haben und auch vielleicht nicht unbedingt zwingend Lust haben, sich in den Wohlfahrtsverbänden zu engagieren. Markus, jetzt aber zu dir. Wir haben gerade lange gesprochen.

Markus: Ich sehe da wieder in eben genau den Themen, die du, Joß, angesprochen hast, riesige Chancen. Da gibt es tolle Lösungen von den etablierten Organisationen. Jetzt gerade auch digitale Lösungen, die auch während der Krise noch einmal gegriffen haben, genauso wie die aus dem Sektor. Du hast Nachbarschaftsplattformen erwähnt. Nebenan.de, die mit der Diakonie in ländliche Räume geht, hat so viel an Infrastruktur geboten, um schnelle Nachbarschaftshilfe zu ermöglichen. Salo Education, die ganz vielen Eltern, Schülern und Lehrern den Arsch gerettet haben – sie waren quasi das Wikipedia der Bildung.

Oder Startnext, das den Unternehmen, die durch die Corona-Hilfsprogramme gefallen sind, geholfen hat. Die haben 9,6 Millionen Euro von über 140.000 Bürgern für mehr als 1.400 Unternehmen mobilisiert. Das sind Beispiele, von denen ich sage, dass da genauso Impact und Wirkung da sind.

Da sind wir teilweise in komplementären Bereichen. Wir sind beim Thema Kommunikation, zu dem du sagtest, man könne sich etwas abschauen. Vielleicht auch, wie wir dann Lösungen, die funktionieren, größer machen. Vielleicht können wir uns da etwas abschauen. Da ist es wieder, das Gegenseitige-Lernen.

An einen Tisch setzen

Hendrik, du hast das Thema angesprochen. Wir haben Leute, die aus der Sozialen Arbeit kommen. Bei uns sind jetzt Leute dabei, die die Schnauze voll von klassischer Wirtschaft haben. Die vielleicht eher ihren Hintergrund im Techbereich haben, aber genauso sozial ticken und denen vielleicht auch an der einen oder anderen Stelle etwas fehlt und denen ich sagen kann, wo die Sachen gut zusammenkommen. Dazu ist es spannend, offene Innovationsprozesse anzuschauen. Das Rote Kreuz in Frankreich macht wirkliche Open Innovation Labs, die im Endeffekt schon in Richtung Accelerator gehen und in denen man gemeinsam an Lösungen arbeitet. Das sind genau die Dinge, wie wir Zukunft gestalten und wie wir die großen Herausforderungen lösen und dann noch mehr fragen: „Wo drückt der Schuh bei euch?“

Ich möchte es nochmal sagen, dass ich kritische Dialoge wichtig finde. Das Allerwichtigste ist, sich an einen Tisch zu setzen und zu sprechen. Ich möchte es noch einmal wiederholen, dieser Prozess hat ein Jahr lang stattgefunden. Wir haben die Leute von Purpose eingeladen. Wir haben Gemeinnützigkeit diskutiert. Wir haben viel über Innovationsthemen diskutiert. Wie gesagt, lass uns das gerne fortsetzen, komm dazu in die Runde. Nur wenn wir gemeinsam die Punkte diskutieren und schauen, wo es hin geht, finden wir eine Richtung. In dem ersten Blogbeitrag, den du geschrieben hast, geht es auch darum, wer wir sind und wo wir hinwollen.

Ich glaube, nicht nur die Wohlfahrt, nicht nur die Social Entrepreneurs, sondern die ganze Welt ist auf einer Art Sinnsuche. Was ist denn die Zukunft? Wir wissen alle, dass wir innerhalb der planetaren Grenzen mit der Wirtschaft, die wir gerade haben, mit dem auf Deutschland bezogenen demografischen Wandel die angesprochenen Herausforderungen nicht lösen können, wenn wir so weitermachen wie bisher. Wir können das nicht lösen, wenn wir die Prioritäten setzen wie bisher. Da haben wir nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen. Wir haben so viel Potenzial, gemeinsam Dinge zu machen und unterschiedliche Stärken zusammen zu schmeißen.

Zum politischen Kontext möchte ich noch einmal sagen, dass ich in der klassischen Start-up-Welt war. Ich weiß, welche Finanzierungsprogramme es da gibt. Und auch welche es für den Mittelstand gibt. Ihr und wir haben genau die gleichen Probleme. Es ist daher bescheuert, sich auf den Kopf zu hauen und zu sagen: „Ihr seid aber ein bisschen blöder als wir und wir sind da ein bisschen toller“ – egal aus welcher Richtung.

Ich schimpfe auch mit den eigenen Reihen, wenn jemandem vielleicht sagt, dass, wie du es angesprochen hast, Hendrik, die Strukturen bei den Etablierten ein bisschen zu verkrustet sind. Ich sage, das hat auch viele Vorteile und auch eine Resilienz innerhalb der Gesellschaft. Es ist ja genau dieses Zusammenspiel zwischen den Leuten, die Innovationen machen, egal ob intern oder extern, und den Leuten, die Dinge erst nach dreimal hinterfragen weitertreiben. Ich komme noch einmal auf meine Rolle, in der ich interne Veränderungsprozesse angestoßen habe. Mir haben immer Leute von außen geholfen. Wenn ich Internen erzähle, dass wir das jetzt so machen, aber bisher hat es noch niemand gemacht, dann ist es schwierig.

Wenn ich aber zwei, drei Beispiele habe und sage: „Wenn die das können, dann können wir das doch erst recht“, dann sind die mit dabei und gehen mit einer ganz anderen Vision und Leidenschaft ran. Da sind die Potenziale viel, viel größer. Mich würde es freuen, wenn wir über diese Themen reden.

Hendrik: Angesichts der Zeit, wir gehen langsam auf eine Stunde zu, ist der oder die Hörer*in – ich weiß gar nicht, vielleicht hören die auch extrem lang. Es gibt ja auch extrem lange Podcast, die man so acht Stunden lang hört, „Alles gesagt?“ von Zeit Online beispielsweise. Aber ganz so viel Zeit haben wir nicht. Deswegen möchte ich noch einmal konkret zusammenzuführen, was wir gehört haben.

Auf der einen Seite ist Joß. Bei dir ist die politische Kommunikation ein Thema. Was wird nach außen kommuniziert und mit welchen Effekten? Also welche Auswirkungen hat das, was nach außen kommuniziert wird? Auf der anderen Seite ist Markus. Du sagst: „Wir müssen zusammenkommen. Wir müssen vor allen Dingen miteinander reden. Das haben wir ein Jahr lang gemacht.“ Für dich ist das wichtig, damit man gemeinsam Gesellschaft, oder wie auch immer man das nennen mag, gestalten kann. Was mir noch ein bisschen fehlt, ist der Punkt, weil du das gerade auch zum Abschluss gesagt hast, Markus, was denn konkrete Umsetzungen sein könnten. Wie könnte man denn zusammenkommen?

Ich habe einen Teil im Kopf. Ich habe hier in Freiburg im Grünhof die Social Innovation Night ins Leben gerufen. Das ist jetzt ein paar Jahre her. Die Idee war, etablierte Sozialwirtschaft mit neu denkenden Sozialunternehmern zusammenbringen. Das waren schöne Veranstaltungen, wo, glaube ich, auch Vernetzungen rausgekommen sind, um beide Bereiche transparenter zu machen. Das ging dann in Richtung Öffentlichkeitsarbeit, wie wir das besser, anders nach außen darstellen können.

Was sind von euch aus gesehen greifbare Aspekte, bei denen ihr sagt, dass ihr da voneinander lernen könnt? Das ist immer irgendwie ein bisschen dahingesagt. Aber was kann man machen? Ich spreche keinen bewusst an.

Gemeinsame Innovationsräume

Markus: Du hast es schon angesprochen. Gemeinsame Innovationsräume, in denen unterschiedliche Akteure zusammenkommen und gemeinsam an Lösungen arbeiten, finde ich einen der spannendsten Punkte. Das ist auch das, was wir als gemeinsame Position damals mit der Wohlfahrt festgelegt haben. Dass es eine Schnittstelle ist, die allen Seiten helfen würde und wo sich genau das befruchtet. Ich habe ja diese Diskussion „etablierte Akteure versus Neulandgestalter“ schon ein paar Mal hinter mir.

Man hat am Anfang Gründerzentren gemacht, nur die Start-ups gepampert und am Schluss hat man gesagt: „So, das ist jetzt die Lösung.“ Das funktioniert nicht. Ich vertrete die feste Meinung, dass die unterschiedlichen Akteure mit ihren unterschiedlichen Stärken zusammenkommen müssen. Das ist Inkubation, also gemeinsame Ideen entwickeln, Acceleration, bei der unterschiedliche Stärken wieder zusammenkommen. Man schaut, wie man das gut verzahnen kann. Vielleicht auch interne Innovationsteams mit rausholen, damit in beiden Welten eine Durchlässigkeit ist. Was ich mir wünschen würde, sind z. B. Personal-Austausch-Programme. Die einen schnuppern in die Welt und die anderen schnuppern in die Welt. Dass man ein bisschen mitbekommt, wie beim anderen der Hase läuft. Vielleicht hier auch Brücken baut für eine bessere Verständigung, für ein besseres Verständnis der anderen Seite.

Bei den Ideen selbst kann man definitiv viel machen, um die Zusammenarbeit zu verbessern. Wichtig ist mir auch, darüber nachzudenken, wie wir neue Ideen finanzieren können, wenn wir doch die gleichen Herausforderungen haben. Ich meine nicht nur klassische Lobbyarbeit, sondern wirklich die Überlegung, wie wir gemeinsam darauf hinwirken können. Ich finde es fürchterlich, wenn ich mitbekomme, in welcher Geschwindigkeit sich Dinge durch die Digitalisierung verändern. Welche enorme Machtkonzentration, und da ist ALDI ein Witz dagegen, gerade bei den digitalen Plattformen entsteht. Wenn wir keine gemeinwohlorientierten, digitalen Lösungen hinbekommen und damit auch flankierende Prozesse wie soziale Innovation beeinflussen, ist die Frage, wie sich die Arbeitswelt verändern wird.

Wie können wir da neu zusammenarbeiten. Dass man gemeinsam darauf hinarbeitet, weil ich glaube, dass die Gesellschaft insgesamt davon profitieren wird. In meinen Augen bringt die Wohlfahrt ein riesengroßes Asset mit, weil sie Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen eigentlich in ihrer Kern-DNA hat und daher ein super Partner wäre.

Hendrik: Joß, was wären Ideen?

Offenheit vor Ort

Joß: Alles, was praktisch vor Ort ist, ist immer offen. Das habe ich schon gesagt. Da gibt es ja auch schon extrem viele Beispiele für z. B. gemeinsame Innovationsräume. Wir hatten auch beim DRK, auch auf Bundesverbandsebene, mal ein Innovationslabor. In der Jury waren dann auch Akteure eingebunden, Leute eingebunden, die aus eurem Umfeld kommen, Markus. Das haben wir auch ganz bewusst gemacht, um den Austausch untereinander anzuregen. Um die Fragen „Was sind Innovationen“ und „Was können Sie im DRK sein“ auf den Tisch zu legen. Das war wirklich für alle eine super interessante Sache.

Alles, was so praktisch ist, das geht immer. Es ist auch kein Problem, wenn ihr interessante Ideen und Interesse daran habt, die gemeinsam mit uns in die Spur zu bringen. Bei etwas, was vor Ort ganz praktisch wirkt, bin ich immer vorsichtig. Das Rote Kreuz ist ein föderal organisierter, komplexer Verband. Ich kann nicht sagen: „Dann machen wir das.“ Erst recht nicht für die Wohlfahrtspflege und schon gar nicht als Antwort auf irgendwelche größeren Linien der Plattform Wirtschaft oder ähnliches. Da überheben wir uns ganz einfach.

Ich kann aber mittlerweile sehr gut einschätzen, wo eine Chance ist und wie man die Kommunikation auf den Weg bringt. Ich habe hier Kolleginnen und Kollegen in meinem Bereich, die damit sehr viel Erfahrung haben und so etwas sehr behutsam in die Spur bringen können. Da sind wir dabei. Das ist kein Problem. Ich glaube, da gibt es auch bei keinem der Wohlfahrtsverbände irgendwelche Probleme. Ich würde sagen, alle Wohlfahrtsverbände sind mit ihren Spezifika, das muss man natürlich klarmachen, auch offen dafür. Jeder hat seine inhaltlichen Schwerpunkte, wo es besser oder schlechter passt.

Ich wünsche mir, dass es eine Basis für alle politischen Gespräche gibt. Für uns hat jegliche Veränderung im Bereich des Gemeinnützigkeitsrechts erhebliche Implikationen. Ich hatte das schon erwähnt, die Trägerdienste und Einrichtungen des DRK sind gemeinnützig. Was auch immer man da macht, das macht ja nicht ihr, sondern das macht dann möglicherweise der Gesetzgeber. Das hat er ja auch vor. Das hat erhebliche Auswirkungen auch auf das DRK. Da gucken wir ganz genau hin. Ich sage keine Kooperation zu, weder für das DRK, das kann ich sowieso nicht, noch für die anderen Verbände. Ich glaube, da sind auch die Auswirkungen nicht immer so ganz klar, auch für euch nicht. Das können sie auch nicht, weil das auch unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen.

Der Tweet, der Anlass für dieses Gespräch ist, hat sich eigentlich gar nicht an euch gewandt, Markus, sondern an die Bundestagsfraktionen von SPD und Union. Immer wenn jemand einen Antrag diskutiert oder eine Initiative einbringt, in der die Kolleginnen und Kollegen der Wohlfahrtspflege, die sich einsetzen, um die Einrichtungen und ihre Angebote für die Leute immer besser zu machen, so unter Wert verkauft und abgefrühstückt werden wie in diesem Antrag, werde ich mich zu Wort melden.

Das mache ich immer. Das ist auch mein Job und das tue ich auch tatsächlich mit Leidenschaft. Denn dafür bin ich auch da, ihnen eine Stimme zu geben. Aber damit mache ich euch nicht schlecht. Es ist ja auch legitim. So etwas passiert. Ich setze mich dafür ein und tue, was ich kann, um der Wohlfahrtspflege zu der Geltung zu verhelfen, die ihr tatsächlich auch zukommen sollte. Und das ist es dann vielleicht auch die Basis für weitere Gespräche, so wie wir heute eines führen.

Hendrik: Ganz herzlichen Dank. Markus, magst du noch ein abschließendes Statement bringen? Joß hat dann auch noch einmal das Wort. Danach würde ich den Deckel drauf machen und sagen: „Okay, das Gespräch hat begonnen.“

Verständnis schaffen ist, glaube ich, einer der wesentlichen Aspekte. Auch Verständnis für die Auswirkungen von Handlungen schaffen, die man lostritt. Was kommt dabei raus? Ein weiterer Punkt ist auf lokaler Ebene ganz konkret zusammenzuarbeiten und auf der Verbands- und übergreifenden SEND-Ebene dann in Richtung Positionen etc. weiterzudenken.

Markus: Beim Gemeinnützigkeitsrecht würde ich mir einen super engen Austausch wünschen. Da bin ich hundertprozentig bei dir, da habt ihr viel mehr Deutungshoheit. Deswegen ist es für uns auch wichtig zu sagen: „Hey Leute, wenn ihr ein Stück zu weit geht, dann ist es ein Problem.“ Es geht nicht in allen Bereichen. Ich war früher bei Startnext. Am Anfang waren sie nur im Bereich Kultur unterwegs. Sie konnten nicht gemeinnützig bleiben, weil es ganz andere Bereiche sind. Die haben das fest in der DNA verankert.

Es gibt die Plattform „Gemeinsam leben, die ja von mehreren Wohlfahrtsorganisationen gemeinsam gegründet wurde. Eben auch aus den Gründen, weil das Finanzamt die Gemeinnützigkeit nicht kennt. Die eben nicht gemeinnützig ist, nicht in einer gemeinnützigen Trägerform ist, weil die Wirtschaftsförderung und die Digitalförderprogramme eben nicht für Gemeinnützige greifen. Es gibt Herausforderungen, die genauso für Akteure der Wohlfahrt da sind. Ich würde mir super gern einen konstruktiv-kritischen Austausch wünschen und dann wirklich am Tisch, so dass wir uns nicht über Twitter fetzen.

Ich kann komplett verstehen, welchen Frust du wegen dem Antrag in dir trägst. Ich kann dir eins sagen, in unserem Statement steht auch, dass die Wohlfahrt zu wenig berücksichtigt ist. Wir haben das Thema immer mitgetragen. Es ist der Wirtschafts- und Forschungsausschuss, der den Antrag gemacht habt. Soziale Innovation ist ein Querschnittsthema und nichts, was nur ein Ministerium macht. Eine Herausforderung ist, wenn bestimmte Akteure nicht mit am Tisch sitzen. Ich glaube, es muss darauf hinwirkt werden, dass das Thema ganzheitlich angegangen wird. Dass es endlich mal eine anständige Koordination gibt und es auch wirklich übergreifend gesehen wird. Mich würde es freuen. Ich kann ganz viele Dinge nachvollziehen. Die Diskussion über die unterschiedlichen Stärken und was mehr wert hat in einer Zeit der Umbrüche, werden wir immer zwischen etablierten Akteuren und denen, die es außerhalb der Strukturen machen, haben.

Ganz wichtig ist, dass es kein Mensch schlechtredet. Das Spannende ist, wie wir gemeinsam gestalten können. Wenn wir uns die aktuelle Phase anschauen, sehen wir, dass genug Probleme für alle da sind. Die Probleme werden nicht ausgehen. Wir müssen gestalten. Wir müssen lösen. Und wenn wir es nicht hinkriegen, werden wir irgendwann eine Generation nach uns haben, die uns tierisch auf den Deckel haut und sagt: „Hey Leute, warum seid ihr damals nicht in die Puschen gekommen? Und warum habt ihr euch nicht zusammengetan?“

Dieses Zusammentun, der Hashtag #GemeinsamWirken ist keine Floskel. Wir tun nicht so als ob, sondern es ist wirklich ernst gemeint und zwar in den Bereichen der Wohlfahrt, aber genauso in Bereichen der Wirtschaft, in Bereichen der Politik, Verwaltung. Lasst uns das in den Blick nehmen, was zählt!

Hendrik: Danke für deine Perspektive. Ich glaube, das ist ein gutes Schlusswort von Markus. Noch ein Schlusswort von dir, Joß, dann Deckel drauf.

Joß: Markus, ich habe keinen Frust, ich habe eine Aufgabe. Die Aufgabe mache ich gerne und die habe ich auch mehrfach beschrieben. Zu Gesprächen sind wir natürlich bereit. Aber ich wünsche mir natürlich auch in der Kommunikation, dass Kritik auch so aufgenommen wird, wie sie gemeint ist. Nämlich als Weiterentwicklung, als Schärfung der Positionen, damit es eine Grundlage gibt, auf der der wir weitere Gespräche führen können.

Hendrik: Herzlichen Dank.

Ganz herzlichen Dank an euch beide für die Bereitschaft, euch hier in diesem Podcast, in diesem Format, was natürlich ein anderes Format als Twitter oder der große Tisch ist, auszutauschen. In Corona-Zeiten ist das vielleicht gar kein schlechtes Format. Wir sind tatsächlich sehr, sehr weit voneinander entfernt.

Es liegen ungefähr 800 Kilometer zwischen Berlin und Freiburg.

Ganz herzlichen Dank aber auch an die Hörerinnen und Hörer fürs Zuhören. Ich bin gespannt, welche Reaktionen darauf kommen. Ich glaube, es ist ein guter Anfang in diese Auseinandersetzung zu kommen, sich damit weiter auszutauschen, nachdem die großen Anfänge in den letzten Jahren natürlich schon gemacht worden sind. Herzlichen Dank. Macht’s gut, Grüße nach Berlin. Ciao.


Das war das Gespräch mit Joß Steinke und Markus Sauerhammer zum Thema Social Entrepreneurship versus Wohlfahrtspflege. Ich stocke schon bei diesen Worten, weil ich glaube, dass es tatsächlich Möglichkeiten gibt, voneinander zu lernen, zu profitieren. Dass es Möglichkeiten gibt, gemeinsame Wege zu gehen. Ich glaube, da kommt es einfach auf jeden Einzelnen an, neue Ideen ganz lokal auszuprobieren und sich im großen Ganzen zu engagieren. Zu engagieren für eine positive Zukunft. Das gilt für die Menschen in den Wohlfahrtseinrichtungen, in den Wohlfahrtsverbänden, für Studierende an Hochschulen, Studentinnen und Studenten. Eine Stimme zu haben und sich für den sozialen Sektor, gegen soziale Probleme zu engagieren, um das Thema auf dem Schirm zu haben in diesen etwas herausfordernden Zeiten, in denen wir uns gerade befinden und die sicherlich nicht mal ebenso zu Ende gehen werden.

Zum Abschluss nur noch der kurze Hinweis darauf, dass ihr den Podcast sehr gerne unterstützen könnt.

Ich habe vor Kurzem einen Beitrag dazu veröffentlicht, in dem es darum geht, wohin es mit dem Podcast in Zukunft gehen soll. Darin steht die Zukunft der sozialen Arbeit im Vordergrund. Jetzt ist draußen Gewitter. Ich weiß nicht, wie es bei euch aussieht, aber zumindest regnet es mal wieder. Das freut mich. Bleibt trocken und macht’s gut. Bis dahin. Tschau, tschau.

Links

Und hier kannst Du den Podcast direkt hören:

Das Subsidiaritätsprinzip als handlungsleitendes Prinzip zur Gestaltung zeitgemäßer sozialer Organisationen

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Meine These seit Beginn der Beschäftigung mit der Gestaltung sozialer Organisationen lautet: Soziale Organisationen sind (eigentlich) perfekte Organisationen, um den Herausforderungen gesellschaftlichen Wandels gewachsen zu sein.

Diese These begründet sich zum einen aus den vielfältigen Anforderungen unterschiedlichster Funktionssysteme, denen sich soziale Organisationen als pluralistische Organisationen gegenüber sehen: Soziale Organisationen müssen den Anforderungen des Wirtschaftssystems und des Politik- sowie Rechtssystems ebenso gerecht werden wie – je nach Arbeitsfeld – den Anforderungen des Bildungssystems oder des Gesundheitssystems. Ein Umgang mit dieser Komplexität kann nur gelingen, wenn die Organisationen nicht einem klassischen, zweckrationalen Organisationsverständnis folgen.

Zum anderen begründet sich die These durch die Art der Organisationen als „front-line organizations“: Auch wenn der Begriff arg nach militärischer Logik klingt, sagt er nur aus, dass die Wertschöpfung der Organisationen durch die Professionellen unmittelbar an der Basis erfolgt: Geschäftsmodelle Sozialer Organisationen (ja, sowas gibt es) basieren nicht auf der angeblich herausragenden Arbeit der Führungskräfte und schon gar nicht auf Maschinen oder digitalen Technologien, sondern auf der Arbeit von Menschen mit Menschen, in der Beziehung, im direkten Kontakt. Maschinen, digitale Technologien ebenso wie die Führung können (und müssen) Unterstützung leisten, damit die Arbeit bestmöglich umgesetzt werden kann.

Daraus folgt, dass Soziale Arbeit – wenn sie denn erfolgreich sein soll – nur durch selbstorganisierte, möglichst autonom agierende Teams gelingen kann: Die Menschen an der Basis entscheiden selbst, was in der jeweiligen Situation gut und richtig ist. Sie orientieren sich an ihrer Profession, ihrer persönlichen Haltung sowie an organisationalen Prinzipien.

Selbstorganisation wiederum ist eins der wesentlichen Prinzipien zeitgemäßer und damit „agiler“ (im Sinne von anpassungsfähiger) Organisationen. Die anderen Prinzipien sind – mit Blick auf die Menschen – Ganzheitlichkeit und – mit Blick auf die Vision – der organisationale Sinn. Ich habe bereits hier ausgeführt, warum Selbstorganisation, Ganzheitlichkeit und Sinn nicht nur als Prinzipien für zeitgemäße Organisationen, sondern auch als grundlegend für gelingende soziale Organisationen gelten können.

Subsidiarität als Grundprinzip der Selbststeuerung

Meine o.g. These wird – drittens – unterstützt durch das die Arbeit sozialer Organisationen prägende Subsidiaritätsprinzip. Jeder Studierende der Sozialen Arbeit lernt im ersten Semester wenn nicht die Bedeutung, so zumindest das Wort „Subsidiaritätsprinzip kennen. Zur Wiederholung des im Studium hoffentlich Gelernten:

„Das S.sprinzip ist ein Strukturprinzip einer freiheitlichen und menschenwürdigen Staats- und Gesellschaftsordnung. Es verpflichtet den Staat ebenso zur Aktivität wie zur Selbstbeschränkung. Es verpflichtet ihn zur Hilfe für die kleineren und untergeordneten Gliederungen (Länder, Kreise, Kommunen, Selbstverwaltungseinrichtungen), um der einzelnen Bürger und der Familien willen, aber es verbietet ihm auch die Intervention in deren Aufgaben, wenn diese sie aus eigenen Kräften erfüllen können. Können sie diese Aufgaben aus eigenen Kräften nicht erfüllen – z. B. im Bildungs- oder Sozialbereich – dann verpflichtet das S.sprinzip den Staat darüber hinaus, diese Aufgaben nicht gleich an sich zu ziehen, sondern Wege zu suchen, auf denen sich die Selbsthilfekräfte stärken lassen. Dem S.sprinzip eignet also eine positive, den Staat aktivierende, und eine negative, ihn abwehrende und zugleich vor Überforderung schützende Dimension. Beiden Dimensionen zugleich gerecht zu werden, ist das dauernde und häufig kontroverse Geschäft der Politik.“ (Spieker M. (2020): Subsidiarität).

Für mich ist insbesondere spannend, dass es dem Staat verboten ist, in die Arbeit und die Aufgaben der untergeordneten Teilsysteme einzugreifen, wenn diese sie aus eigenen Kräften erfüllen können. Wenn jedoch die eigenen Kräfte nicht ausreichen, wird die übergeordnete Stelle (der Staat, in diesem Fall) verpflichtet, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben: Die untergeordnete Stelle wird darin unterstützt, selbstbestimmt und autonom handeln zu können.

Übertragen auf Organisationen lässt sich festhalten, dass es unter Voraussetzung des Subsidiaritätsprinzips nicht rein selbstorganisierte Organisationen geben muss (und kann). Es ist jedoch grundsätzlich davon auszugehen, dass die an der Basis agierenden Kräfte von der übergeordneten Ebene darin unterstützt werden (sollten), sich selbst zu helfen – sofern sie ihre eigenen Aufgaben nicht allein bewältigen können.

Das Subsidiaritätsprinzip verlangt dienende Führung

Führung wird damit zur „dienenden Führung“: einer Führung also, die die Menschen an der Basis, dort, wo die Wertschöpfung sozialer Organisationen stattfindet, unterstützt, damit sie ihre Arbeit autonom und selbstbestimmt und damit bestmöglich machen können.

Gerade in Zeiten von Corona, von Lockdown und Homeoffice wird dies vielen Führungskräften schmerzlich bewusst: In der operativen Arbeit werden sie nicht gebraucht. Gebraucht werden sie aber, um die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die Arbeit auch unter erschwerten Bedingungen gut gelingen kann. Das kann die strategische Weiterentwicklung der Organisation bedeuten. Das kann aber auch bedeuten, einfach mal Pizza und Bier zu bestellen. Und im einfachsten Fall kann es bedeuten, den Mitarbeiter*innen zu vertrauen und einfach mal nichts zu tun. Wie im Subsidiaritätsprinzip angelegt:

Es ist der übergeordneten Stelle verboten, in die Arbeit und die Aufgaben des untergeordneten Teilsystems einzugreifen, wenn dieses die Arbeit aus eigener Kraft erfüllen kann.

Das Kapital sozialer Organisationen

Abschließend sei nur noch der Verweis darauf gestattet, dass es – nicht nur mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip – jeder Führungskraft mehr als einleuchten sollte, dass das wirkliche Kapital jeder sozialen Organisation bei den Menschen an der Basis liegt.

Die Menschen, die Sozialarbeiter* innen, die Pflegekräfte, die Erzieher *innen, sind in ihrer Entwicklung so zu unterstützen, dass sie ihre Arbeit bestmöglich, selbstbestimmt und autonom erledigen können. Das jedoch zeigt sich leider nicht in allen sozialen Organisationen, geschweige denn in der gesellschaftlichen Wertschätzung dieser Berufsgruppen. Klatschen allein hilft hier nicht.

Quo Vadis IdeeQuadrat Podcast: Soziale Arbeit der Zukunft vs. Zukunft der Sozialen Arbeit!?

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Nur ein kurzer Zwischenruf, der die Frage beantworten soll: Wie geht es mit meinem Podcast weiter, wenn wir irgendwann wieder in eine wie auch immer geartete „Post-Corona-Normalität“ zurückkehren?

Ich nutze den Blog hier ja immer wieder als Lernraum, um meine eigenen Gedanken zu sortieren. Das müsst ihr dann ausbaden, in dem ihr meine nicht immer ausgegorenen Gedanken ertragen müsst 😉 Nein, ernsthaft: Ich habe in den ersten Tagen des Lockdowns in meinem Keller gesessen und mit dem Podcast neu begonnen, wie ich es immer mal wieder tue. Ich habe damit angefangen, Menschen zu interviewen, von denen ich glaube, dass sie etwas zu sagen haben. Ich habe dabei zunächst einen Fokus auf den Umgang mit der Corona-Krise gelegt: Wie reagieren Entscheider* innen der Sozialwirtschaft auf die aktuellen Entwicklungen? Aber schon bei den bisherigen Folgen ist festzustellen, dass die angesprochenen Themen mindestens aus zwei Perspektiven weit über eine „Krise“ hinausreichen:

Vertrauen, oder: Zum Umgang mit fehlendem Slack in Sozialen Organisationen

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Stefan Kühl schreibt, dass es für Organisationen hochgradig relevant ist, „Slack“ zu produzieren, Fettpolster, um Zeiten der Krise gut bewältigen zu können. Er betitelt den Beitrag treffend mit den Worten

„Vom Nutzen und Schaden von Fettpolstern“.

Organisatorische Fettpolster werden deutlich, wenn man sich seine Beispiele anschaut: