Schlagwort: Organisationen der Sozialwirtschaft

Fünf Thesen zur Zukunft sozialer Organisationen in Zeiten des Wandels

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Der Beitrag ist die Verschriftlichung eines Impulses, den ich vor Kurzem in einer sozialen Organisation halten durfte. Auftrag war, einen größeren Blick auf die Entwicklungen der Sozialwirtschaft zu geben und meine Gedanken rund um die Zukunft sozialer Organisationen darzulegen. Ziel war, mit dem Impuls Anregungen für die Strategiearbeit der Organisation zu liefern.

Aber wo fängt man an? Wo, an welcher Stelle, ist es sinnvoll, zu überlegen, was Optionen sind, wie sich soziale Organisationen entwickeln können?

Ich habe hier den klassischen Weg gewählt und lege im ersten Schritt kurz da, wozu soziale Organisationen aus meiner Perspektive da sein sollen – was ihr Zweck ist. Davon ausgehend werden dann Überlegungen angestellt, welche Implikationen dies für die strategische Ausrichtung haben kann.

Wozu sind soziale Organisationen da?

Dazu hilft die Befassung mit der Definition Sozialer Arbeit. Diese ist in meinen Augen beinahe zeitlos und dient mir immer wieder als Anker, um auf dem Boden zu bleiben und gleichzeitig die Zukunft sozialer Organisationen in den Blick nehmen zu können:

„Soziale Arbeit fördert (als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin) gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit. Dabei stützt sie sich auf Theorien der Sozialen Arbeit, der Human- und Sozialwissenschaften und auf indigenes Wissen. Soziale Arbeit befähigt und ermutigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern, dabei bindet sie Strukturen ein“ (hier geht’s zur Definition).

Der erste Satz macht die Breite Sozialer Arbeit zwischen Mensch und Gesellschaft deutlich. Und bezogen auf beide Perspektiven wird betont, dass es um Förderung geht – zum einen die Förderung gesellschaftlicher Veränderungen, sozialer Entwicklungen und des sozialen Zusammenhalts und zum anderen die Förderung bzw. Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen.

In der Definition heißt es, dass dazu „Strukturen eingebunden“ werden. Das sind die Organisationen, Institutionen, Einrichtungen ebenso wie Hochschulen, Verbände und und und.

Soweit, so einfach.

Wobei – die Realität zeigt, dass es eben gar nicht so einfach ist. Denn beide Perspektiven erfordern immer den Blick in die Zukunft:

  • Was braucht denn unsere Klientel heute und in Zukunft, damit es uns als Organisation gelingt, die Selbstbestimmung und Autonomie zu fördern?
  • Und was braucht die Gesellschaft (in unserem Sozialraum) heute und morgen, zu dem wir als Organisation einen essentiellen Beitrag leisten können?

Um das herauszubekommen komme ich zu meiner ersten These:

These 1: Datenkompetenz mehr als Bauchentscheidungen

Da ich kein Datenkompetenzprofi bin, habe ich mir bei Sebastian Unterstützung geholt. Entsprechend sind die folgenden Ausführungen eine Zusammenfassung seines mehr als lesenswerten Beitrags „Datenkompetenz in der Sozialen Arbeit und Sozialwirtschaft“.

In jeder sozialen Organisation fallen enorm viele Daten an. Darunter sind Daten über die Nutzer:innen der Dienstleistungen, Daten über die Mitarbeiter:innen, Daten über die Verweildauer von Klienten in Maßnahmen, Finanzdaten und und und…

Durch die Analyse der in der Organisation vorhandenen Daten können Anhaltspunkte herausgearbeitet werden, um festzustellen, wie gut bestimmte Angebote funktionieren und wo möglicherweise noch Optimierungspotenzial besteht.

Aus den Daten und der Analyse der Daten lässt sich ferner langfristig ein Wissensmanagement aufbauen, das dabei unterstützt, potenzielle Nutzer:innen gezielt zu den für sie am besten geeigneten Angeboten zu lenken. Darüber hinaus ist es angesichts des demografischen Wandels unabdingbar, Wissen, vor allem aber Kompetenzen der Mitarbeiter:innen systematisch zu erfassen und zu sichern, um so dem „brain drain“ vorzubeugen.

Achtung, Werbung: Zur Frage, wie der Aufbau eines sinnvollen Wissensmanagements gelingen kann, habe ich einen Workshop gestaltet.

Neben diesen Aspekt kann die systematische Datenanalyse ebenso Ergebnisse für die politische Lobbyarbeit liefern. So kann die Auswertung von Beratungs- oder Belegungsdaten beispielsweise zeigen, ob bestimmte soziale Probleme im Sozialraum auftreten.

Aus organisationaler Perspektive hochgradig relevant sind systematisch zur Verfügung gestellte und ausgewertete Daten für die interne Entscheidungsfindung innerhalb einer Organisation. Diese basiert zu häufig auf Intuition und dem berühmten, sehr wichtigen, zukünftig aber nicht mehr ausreichenden Bauchgefühl.

Und Sebastian weist auch darauf hin, dass Daten aus der eigenen Organisation als Grundlage für (eigene) KI-Lösungen sein können (hierzu sind vertiefend die Ausführungen im Blog von Emily immer mehr als lesenswert).

Die (nicht abschließenden) Beispiele zeigen auf, dass und welches Potenzial in einem systematischen Datenmanagement und der Datenanalyse stecken.

Sebastian betont, dass die Daten Informationen für eine Entscheidung liefern, die Entscheidung selbst aber immer die Fachkräfte und Mitarbeitenden in den Organisationen treffen. Der Mensch fällt somit durch die Daten nicht raus, im Gegenteil. Es braucht jedoch die Kompetenz, mit Daten angemessen umzugehen.

Dazu noch ein eigener Gedanke, der den Blick weitet und nicht mehr nur die digital zur Verfügung stehenden Daten betrachtet:

Wenn es gelingt, statt nach dem „Warum“ zu fragen, die Frage in den Vordergrund zu rücken „Woran erkennen wir, dass…?“, basieren unsere Entscheidungen ebenfalls auf Daten. Das sind dann zwar keine digitalen, aber genauso hilfreiche Daten, die in Entscheidungsfindungen leiten können. Methodisch hilfreich ist die regelmäßige Durchführung von Retrospektiven, die auf die Gewinnung und Bewertung von nicht nur digitalen Daten großen Wert legen.

Basierend auf den politischen Rahmenbedingungen ebenso wie basierend auf den gesellschaftlichen Entwicklungen, den Kürzungen der Sozialkassen und insbesondere dem demographischen Wandel werden sich Soziale Organisationen neben der datenbasierten Wirkungsmessung aber auch für „Weniger“ entscheiden müssen.

Ich fasse dieses „Weniger“ unter dem Begriff der Exnovation und komme damit zur zweiten These.

These 2: Exnovation mehr als Innovation

Wir müssen realistisch sein:

Der Fachkräftemangel in Verbindung mit der wirtschaftlichen Situation der Leistungsträger zwingt soziale Organisationen in die Notwendigkeit, abzuwägen, welche Angebote und Arbeitsfelder zukünftig noch sinnvoll bewirtschaftet werden können.

Berichte von schließenden bzw. aufgrund von Fachkräftemangel nicht öffnenden Altenhilfeeinrichtungen, die ganze Wohlfahrtsverbände in finanzielle Schieflagen bringen, sind ebenso an der Tagesordnung, wie der Ausbaustop der Kinderbetreuung. Wir stehen an dem Punkt, dass es in vielen Arbeitsfeldern keine ausreichende Anzahl an Fach- und leider auch nicht mehr an Arbeitskräften gibt.

Entsprechend wird die Zukunft sozialer Organisationen (auch) darin bestehen, abwägen zu müssen, welche Angebote und Dienstleistungen sie zukünftig noch erbringen werden. Die Nutzung von Daten zur Wirkungsmessung (These 1) kann hier wertvolle Dienste leisten.

Wichtig ist aber auch, dass sich Exnovation (hier findest Du nähere Ausführungen zum Begriff der Exnovation) nicht nur auf die Angebotsstrukturen der Organisationen bezieht.

Exnovation bezieht sich auch auf die interne Perspektive. Konkret geht es immer auch um die Frage, ob nicht auch die internen Prozesse, Abläufe, Hierarchien, Abteilungen… und damit die Formalstruktur der Organisation hinterfragt und hinsichtlich der Frage ihrer Funktionalität entschlackt werden muss.

Neben der Frage, welche Angebote eingestellt werden müssen, stellt sich in der dritten These explizit die Frage, welche Regeln und Prozesse funktional sind.

These 3: Funktionale Formalisierung mehr als die Hoffnung auf Eigenverantwortung

Zu dieser These ist einführend zu erwähnen, dass ich hier aus systemtheoretischer Perspektive auf die Frage schaue, was in Organisationen bewusst gestaltet werden kann.

Bewusst gestaltet werden kann die Formalstruktur der Organisation. So macht es aus meiner Perspektive keinen Sinn, an die Haltung der Mitarbeiter:innen oder die Kultur der Organisation zu appellieren.

Unter der Formalstruktur ist zu verstehen, dass bewusste Entscheidungen getroffen werden können über die Ziele und Zwecke der Organisation, über die Zuständigkeiten und formalen Hierarchien, über Regeln und Prozesse und über das Personal.

Das Personal ist insofern relevant, da es für zukünftige Entscheidungen in der Organisationen einen großen Unterschied macht, wer welche Stelle bzw. Rolle in der Organisation einnimmt.

Da es jedoch zunehmend weniger Fach- und Arbeitskräfte gibt, werden wir zunehmend mit Menschen arbeiten müssen, die nicht über die von uns gewünschte Qualifikation verfügen.

Hinzu kommt, dass auch weiterhin neue Fachkraftstellen besetzt werden müssen (staatliche Anerkennung in der Sozialen Arbeit). Hier können wir aber nicht mehr aus einem großen, intrinsisch motivierten Pool an Bewerber:innen auswählen.

Da somit die Möglichkeit verringert wird, die Entscheidungen in der Organisation über das Personal im für die Organisation gewünschten Sinne zu beeinflussen, muss ein stärkerer Fokus auf die funktionale Gestaltung von Zuständigkeiten ebenso wie auf die funktionale Gestaltung von Regeln und Prozessen gelegt werden.

Funktional bedeutet dabei, genau abzuwägen, an welcher Stelle in der Organisation und den Teams mehr Regeln und Vorgaben funktional sind und welche Regeln und Vorgaben auch überflüssig sind.

In meinen Augen brauchen wir mehr Regeln und Vorgaben, die sich auf das „Wie“ der gemeinsamen Zusammenarbeit beziehen: Wie treffen wir Entscheidungen? Wie gestalten wir unsere Teamsitzungen? Wie werden welche Prozesse erledigt? Wie regeln wir die Zuständigkeiten? Wie erfolgt die Dienstplanung?

Dabei geht es um die Notwendigkeit, die formale Seite der Organisation zu stärken um der in sozialen Organisationen dominierenden Informalität entgegenzuwirken – aber so, dass es für die Organisation funktional ist!

Die Entscheidungen über die Formalstruktur werden jedoch von Führungskräften getroffen. Entsprechend gilt es zunehmend, ein Augenmerk auf die Aus- und Weiterbildung von Führungskräften zu legen, um deren Organisationsbewusstsein zu stärken und eine Abkehr vom reinen Blick auf den Menschen zugunsten des Blicks auf die Verhältnisse im sozialen System Organisation zu erreichen.

Entscheidungen in sozialen Organisationen werden jedoch in den seltensten Fällen eindeutig zu treffen sein. Dazu These 4:

These 4: Dilemmatamanagement mehr als die Suche nach Eindeutigkeit

Es ist wohl wenig überraschend, dass sich insbesondere Organisationen der Sozialwirtschaft zunehmend mit gegensätzlichen und damit paradoxen Anforderungen konfrontiert sehen. Übergreifend zeigt sich das bspw. in dem Zwang, ihre Komplexität gleichzeitig zu steigern und zu reduzieren, kreatives Chaos ebenso wie Ordnung zu organisieren und gleichzeitig flexibel und stabil zu sein.

An allen Ecken und Enden sehen wir, dass es gelingen soll, einerseits Wandel zu initiieren und zu fördern und andererseits Sicherheit und die notwendige Stabilität (nicht nur) in Veränderungsprozessen zu garantieren.

Für Organisationen der Sozialwirtschaft kommt hinzu, dass es die Spannungen zwischen personenbezogenen und strukturbezogenen Leitungsimpulsen ebenso wie zwischen der Orientierung an den Mitarbeitenden und an den Aufgaben und außerdem an den sachlichen Zielen der Organisation gibt.

Wenn der Fachkräftemangel in den Blick genommen wird, gilt es einerseits, Vertrauen in die Bereitschaft der Mitarbeitenden zur Leistung und in ihre Kompetenz zu haben und gleichzeitig die zunehmend notwendige Kontrolle nicht aus den Augen zu verlieren.

In Organisationen der Sozialwirtschaft ist auf der einen Seite die Offenheit und Flexibilität bei Einzelentscheidungen hochgradig relevant, steht aber im Spannungsverhältnis zur Begrenzung der Komplexität möglicher Entscheidungen durch die „Vorgabe von Orientierungen/Richtungen für Wahrnehmung/Interpretation/Entscheidungen“ auf der anderen Seite (vgl. Merchel, 2015, S. 285 f).

Das ist soweit alles bekannt und tagtäglich erlebbar. Schwieriger ist da die Frage, wie man mit den Dilemmata in Organisationen der Sozialwirtschaft umgehen kann.

Grunwald (Grunwald, 2022, 98) schlägt dazu „einen die Pole ausbalancierenden und von Lernprozessen geprägten Umgang mit dem Grunddilemma ‚offene versus geschlossene Organisationsformen‘“ vor .

Führungskräften in sozialen Einrichtungen muss es gelingen, „allgemeine und diffuse Paradoxien und Widersprüche der Organisation zu überführen in formulier- und greifbare Spannungsfelder und Dilemmata“ (ebd.) und diese „nicht als Hemmschuh zu begreifen, dem mit psychologischen und sozialpsychologischen Methoden beizukommen ist, sondern sie als einen möglichen Motor von Wandel in Organisationen zu begreifen. Dilemmata sind Hinweise auf nicht auflösbare Widersprüche (…), die nicht standardisierte Kommunikation notwendig machen; Kommunikationen, die für die Entwicklung von Organisationen genutzt werden können“ (Kühl, 2015, 125ff).

Klingt auch einleuchtender, als die Umsetzung in der Realität einfach ist. Hilfreich und konkreter ist eine Auseinandersetzung mit den Dilemmata über das Tetralemma. Darunter ist ein Modell zu verstehen, das zur Reflexion von Konflikten und Ambivalenzen entwickelt wurde und auch zur Entscheidungsfindung hilfreich sein kann.

„Die Struktur des Modells lässt sich zunächst in vier Positionen darstellen:

  • Das Eine – die eine Seite der Ambivalenz bzw. die eine Option oder Perspektive.
  • Das Andere – die andere Seite der Ambivalenz bzw. die andere Option oder Perspektive.
  • Beides – die bisher möglicherweise übersehenen Verbindungen oder Vereinbarkeiten zwischen dem Einen oder dem Anderen.
  • Keines von Beiden – die bisher möglicherweise übersehenen Kontexte, die das Eine und das Andere auch noch tangieren, bedingen oder möglicherweise erst verursachen; worum es bei dem Einen und dem Anderen eben auch noch gehen könnte.“ (Kleve, Tetralemma)

Hinzu kommt eine weitere, fünfte Ebene:

  • „… all dies nicht – und selbst das nicht“ – die Negation der bisherigen vier Positionen sowie die Negation dieser Negation bzw. etwas ganz Anderes.

Kleve schreibt, dass die fünf Positionen des Tetralemmas „als Etappen eines Prozesses bzw. einer Wanderung zu verstehen [sind]: Man kann sie bei Ambivalenzen oder Konfliktsituationen durchlaufen, um auf dem Weg auf Neues, neue Perspektiven oder Optionen, zu stoßen“ (ebd.).

These 5: Organisationale Resilienz mehr als kurzfristige Anpassungsfähigkeit

Vor einiger Zeit habe ich einen Beitrag zum Thema „organisationale Resilienz“ verfasst. Ich darf die in dem Beitrag zusammenfassenden Aspekte – soviel kann schon hier verraten werden – weiter ausbauen und zu einem die organisationale Resilienz kritisch betrachtenden Buchbeitrag ausweiten.

Im Zuge der Vorbereitung des Beitrags habe ich in den letzten Wochen viel zum Thema organisationale Resilienz gelesen, habe Podcasts gehört und mich in das Thema tiefer eingearbeitet.

Dabei sind mir – bislang – vor allem zwei spannende Gedanken über den Weg gelaufen:

Der erste Gedanke wird durch den Satz „If you’re old, you’re not dead!“ gut zusammengefasst.

Ja, da kann man schmunzeln und sich freuen. Man kann den Blick aber auch auf viele seit Jahren, Jahrzehnten und teilweise Jahrhunderten existierende soziale Organisationen richten.

Viele dieser Organisationen wirken auf den ersten Blick alles andere als hip, agil, modern oder post-bürokratisch. Aber – und das ist der relevante Punkt – sie sind nicht tot! Sie existieren trotz aller Umbrüche, historischen Entwicklungen, Krisen und Veränderungen.

Wenn wir an dieser Stelle unser Narrative ändern, weg von den jungen, hippen Unternehmen, die wir doch so gerne sein bzw. in denen wir doch so gerne arbeiten würden, hin zu den Stärken, zur Resilienz der „Tanker“ der Sozialwirtschaft, kann es gelingen, Zukunft positiv zu gestalten.

Ja, da sind Büros ohne Kickertische. Aber soziale Organisationen brauchen (in vielen Fällen) keine hippen Büros, da Soziale Arbeit bei und mit den Menschen stattfindet. Anders gesagt (und nicht ganz ernst gemeint) sind die muffigen Büros vielleicht sogar funktional, damit die Sozialarbeitenden nicht zu viel Zeit darin, sondern bei den Menschen vor Ort verbringen, für die sie Verantwortung tragen (und nein, dass ist kein Plädoyer für dauerndes Sparen an allem).

Und der zweite Gedanke bezieht sich auf das Krisen-Training. So erlangen Menschen ebenso wie Organisationen Resilienz nicht in der Krise, sondern im Training vor der Krise.

Nur vor der Krise können Organisationen resilient aufgestellt werden. Was das im Detail heißen kann (es gibt sogar eine eigene ISO-Norm für organisationale Resilienz), habe ich im Beitrag zum Thema dargelegt.

In der Krise jedoch gilt Krisenmodus. Das ist wie beim Fußball – auch da kann man vorher trainieren, nicht jedoch im Spiel.

Angesichts der gesellschaftlichen Spaltungen, der massiven Auswirkungen durch den Klimawandel, der unglaublich schnellen technologischen Entwicklungen und, und, und, wird eines sicher sein:

Krisen werden – auch in und für soziale Organisationen – zu Normalität.

Aber auch hier wieder: Krise selbst ist für soziale Organisationen alles andere als neu. Man kann sogar sagen, dass Krise das Geschäftsmodell sozialer Organisationen ist. Stabilität und Wandel – siehe Dilemmatamanagement – ist und war schon immer Alltag sozialer Organisationen.

Anstatt also im Jammermodus zu verharren, sind jetzt, heute Anstrengungen zu unternehmen, die eigene Organisation bzw. konkreter die Formalstrukturen der eigenen Organisation weiterzuentwickeln und resilient zu gestalten. Hier ist – so mein Eindruck – noch Luft nach oben.

Fazit zur Zukunft sozialer Organisationen, oder: Kraft und soziale Energie

Zum Anfang vom Ende ein Zitat vom Godfather of New Work – Bergmann. Dieser schrieb 2004:

„Nicht wir sollten der Arbeit dienen, sondern die Arbeit sollte uns dienen. Die Arbeit, die wir leisten, sollte nicht all unsere Kräfte aufzehren und uns erschöpfen. Sie sollte uns stattdessen mehr Kraft und Energie verleihen, sie sollte uns bei unserer Entwicklung unterstützen, lebendigere, vollständigere, stärkere Menschen zu werden.“

Arbeit sollte Kraft und Energie verleihen.

Angesichts der ständigen Krisen, die – wie hier erläutert – insbesondere die Soziale Arbeit an die Belastungsgrenze und darüber hinaus bringt, ist das leichter gesagt als getan.

Und trotzdem sollte es Ziel sein.

Es sollte bei aller Effizienz und Digitalisierung immer die Frage im Hinterkopf mitschwingen, wie es gelingen kann, Arbeit allgemein, Soziale Arbeit im Speziellen und soziale Organisationen im Besonderen so zu gestalten, dass sie Menschen mehr Energie gibt als nimmt.

Passend dazu schreibt Hartmut Rosa in der Zeit vom 11. Januar 2024 von der „sozialen Energie“.

Er stellt die Frage, wie es sein kann, dass wir, freitagsabends, fertig von einer langen Woche, Energie aufbringen, uns vom Sofa quälen, rausgehen und mit mehr Energie nach Hause kommen? „Anstrengung führt zu Energiegewinn!“ Das ist seltsam:

Wir müssen Energie aufbringen, wir müssen uns anstrengen, um Energie zu gewinnen. Das widerspricht dem inneren Schweinehund ebenso wie jeder physikalischen Energielogik.

Die seltsame Logik funktioniert jedoch nur bei sozialer Energie! Und sie funktioniert nicht, wenn es um das Abarbeiten von To-Do-Listen, wenn es um reine „Input-Output-Beziehungen“ geht.

Übertragen auf Arbeit, die Kraft und Energie verleiht, übertragen auf Soziale Arbeit in sozialen Organisationen, ergeben sich daraus viele Fragen.

So kennt wohl jede:r in dem hochgradig herausfordernden Berufsfeld das „Ausgelaugtsein“ (siehe Beitrag hier) nach einem Tag mit fordernden Klient:innen. Nach einem Tag massiver Kommunikation ruft die Ruhe doppelt laut. Im Extrem lässt sich auf die Burn-Out-Raten unserer Branche blicken, die – so bspw. der jährlich erscheinende AOK-Fehlzeitenreport – nicht nur Jahr für Jahr an der Spitze der Statistik liegen, sondern in den letzten Jahren nochmals massiv gestiegen sind.

Dieses „Ausgelaugtsein“ ruft aber auch, wenn man den ganzen Tag gerödelt hat und am Ende des Tages das Gefühl hat, keine Zeit mehr und trotzdem nichts „geschafft“ zu haben – Input-Output. Bürokratie, ick hör‘ Dir trapsen!

Parallel zu diesen Gedanken lese ich meinem Sohn gerade – wieder einmal – Momo vor.

Und logo, darin kommt Beppo mit seinem berühmten Straßenfeger-Zitat vor:

„Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst Du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, den nächsten Atemzug, den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur den nächsten.“ Wieder hielt er inne und überlegte, ehe er hinzufügte: „Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein.“

Oder mit den Worten von Rosa:

„Anstrengung führt zu Energiegewinn, wenn ihr subjektiver Fokus auf der Tätigkeit selbst, auf dem „Throughput“ liegt, und sie führt zu Erschöpfung, wenn er auf der Input-Output Beziehung ruht.“

Wie aber können wir unser individuelles Leben, unsere Arbeit, soziale Organisationen und übergreifend eine Gesellschaft gestalten, die (wieder?) wegkommt vom „Input-Output“ hin zum „throughput“?

Dieser Blick auf Soziale Arbeit und die Zukunft sozialer Organisationen wird, angesichts der sich stapelnden Krisen der Welt, für uns alle wichtig werden.

Für die Menschen aber, die sich um andere Menschen kümmern, wird er überlebenswichtig.


Ich hoffe, dass meine Gedanken zu den Thesen hilfreich sein können, strategisch zu denken und entsprechende Entscheidungen zu treffen. Sie sind und können aber nur Orientierung sein. Und vor allem:

Es sind meine Perspektiven auf die aktuelle Situation sozialer Organisation, in meinem Kopf konstruiert, basierend auf meinen aktuellen Erfahrungen. Entsprechend gespannt bin ich auf Deine – vielleicht unterstützenden, vielleicht aber auch konträren – Gedanken hierzu.

Daraus ergibt sich dann ein breiteres Bild, das dabei helfen kann, die Sozialwirtschaft, die sozialen Organisationen und die darin agierenden Menschen für die anstehenden Herausforderungen zu unterstützen.

Lass doch gerne einen Kommentar mit Deinen Gedanken da…

Vergesst das Digital Mindset, oder: Warum die Digitalisierung sozialer Organisationen so oft scheitert (und was trotzdem hilft…)

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Dass die Digitalisierung sozialer Organisationen sowohl Chancen wie Herausforderungen bietet, ist unbestritten (vgl. ausführlich Freier et al., 2021). So zeigen sich aus fachlicher Perspektive beispielhaft Chancen zur Förderung sozialer Teilhabe, Autonomie und Selbstbestimmung durch digitale Kommunikationstools (What’sApp, Threads, Instagram, Mastodon…). Die gleichen Kommunikationstools verstärken aber auch gesellschaftliche Spaltungstendenzen z.B. durch Bildung in sich geschlossener, sich gegenseitig verstärkender „bubbles“. Als weiteres Beispiel für die Herausforderungen der Digitalisierung ergeben sich „Fragen der Sicherung von Datenschutz, Vertraulichkeit und Zugänglichkeit, u.a. im Zusammenhang der Metadatenproduktion im Kontext sozialer Dienstleistungen“ (Seelmeyer, Kutscher, 2021, 27), wohingegen die Chancen unter anderem zur Effizienzsteigerung durch Standardisierung von Kommunikation, Dokumentation und Prozessabläufen in Organisationen der Sozialwirtschaft enorm sind. Darüber hinaus und aktuell hoch relevant sind Fragen rund um die IT-Sicherheit, die soziale Organisationen vor zusätzliche Herausforderungen stellen.

Im Folgenden wird der Blick nicht auf die Wiederholung (bekannter) Chancen und Risiken der Digitalisierung gerichtet, sondern explizit auf die Organisationsgestaltung im Zuge der Digitalisierung. Hier stellen sich zwei Kernfragen:

  1. Warum sind Digitalisierungsprojekte in Organisationen der Sozialwirtschaft besonders herausfordernd und
  2. wie kann auf diese Herausforderungen angemessen reagiert werden?

Der vorliegende Beitrag erscheint in diesem Frühjahr auch in leicht abgewandelter Form in der Fachzeitschrift „Kerbe – Forum für Soziale Psychiatrie“.


Warum Digitalisierungsprojekte sozialer Organisationen besonders herausfordernd sind

Ganz grundlegend (und zwangsläufig verkürzt) lassen sich Organisationen aus Perspektive der Systemtheorie als soziale Systeme verstehen, die sich darüber definieren, dass sie sich 1) zur Umwelt abgrenzen, 2) einen oder mehrere Zwecke verfolgen, 3) im Gegensatz zu bspw. Familien eine formale Struktur aufweisen und 4) Bedingungen für die Mitgliedschaft formulieren.

Für eine einfache Betrachtung von Organisationen ist die Unterscheidung von formaler Seite, informaler Seite und Schauseite hilfreich: „Bei der formalen Seite handelt es sich um das offizielle Regelwerk, an das sich die Mitglieder gebunden fühlen müssen. Es sind die Mitgliedschaftsbedingungen (…). Die informale (…) Seite einer Organisation besteht aus eingeschliffenen Praktiken, aus gepflegten Kniffen zur Arbeitserleichterung und aus regelmäßigen Abweichungen von den formalen Regeln. Bei der Schauseite handelt es sich um die Fassade der Organisation“ (Kühl, 2018, 20).

Der Blick auf die sich aus dieser Perspektive ergebenden Spezifika der von Organisationen der Sozialen Arbeit zu gestaltenden sozialen Dienstleistungen (vgl. dazu näher Gesmann, Merchel, 2019, 49ff) zeigt, dass die Mitarbeitenden zwar auf der einen Seite in ihrer Rolle als Mitglieder der Organisation die in der Stellenbeschreibung (oft diffus) formulierten formalen Anforderungen erfüllen (müssen). Gleichzeitig stehen die Organisationen aber unter anderem vor der Herausforderung, dass Soziale Dienstleistungen nur sehr begrenzt standardisierbar sind. Daraus wiederum folgt eine Dominanz von Zweckprogrammen. Diese legen fest, welche Ziele und Zwecke erreicht werden sollen, geben aber nicht vor, wie genau diese zu erreichen sind. Denn „im Gegensatz zu Konditionalprogrammen verfügen Zweckprogramme (…) über ein deutlich höheres Maß an ‚Elastizität‘ (…), was dem stark individualisierten Aufgabencharakter von sozialen Dienstleistungen gerecht wird“ (ebd., 35f). Aber nicht nur an der „Basis“ ergeben sich durch die Komplexität personenbezogener Dienstleistungsarbeit Herausforderungen. Auch Führungskräfte sind gefordert, „Führungs- und Organisationsdilemmata bewusst wahrzunehmen und mit ihnen produktiv umzugehen“ (Grunwald, 2022, 92). Mehr noch: „Die Auseinandersetzung mit und die bewusste Gestaltung von Dilemmata sozialer Organisationen ist eine Herausforderung, die sich für Fachlichkeit (…) und Management in und von sozialen Organisationen gleichermaßen stellt“ (ebd.).

Zum einen erwächst daraus eine besondere Problematik in der Gestaltung und Entwicklung von Organisationen der Sozialwirtschaft. Denn gestalt- bzw. bewusst entscheidbar ist in Organisationen insbesondere die formale Seite. Darunter sind – auch im Sinne der Digitalisierung – Programme (Ziele und Zwecke sowie Regeln und Prozesse), Kommunikationswege (Hierarchien) und Personalentscheidungen zu verstehen (vgl. bspw. Kühl, 2016). Interessant sind folgende Fragen: „Lassen sich die Programme ändern, und wenn ja, welche? Können die existierenden Kommunikationswege geändert werden, und wenn ja, in welcher Form? Welche Einstellungen, Versetzungen und Entlassungen von Personen sind möglich, um den Typus von Entscheidungen an einzelnen Stellen zu beeinflussen?“ (ebd., 55)

Wenn jedoch aufgrund der Komplexität sozialer Organisationen von Mitarbeitenden aller Hierarchiestufen permanent neue, sich nicht selten mit den formalen Vorgaben der Organisation reibende und damit „grenzwertige“, aber für die Organisation brauchbare (hilfreiche, konstruktive, produktive…) Entscheidungen und Handlungsweisen gefordert sind, verlieren die Möglichkeiten der Gestaltung von Organisationen der Sozialwirtschaft ihre Wirksamkeit.

Zum anderen kommt unter dem Aspekt „Digitalisierung“ die Problematik hinzu, dass „digitale Systeme (…) nach ihrer Programmierung und deren (mathematisch-)formalistischer Logik [funktionieren]. Sie können ‚nur‘ das verstehen, lernen und leisten, was ihre Programmierung grundsätzlich vorsieht – und das sind diejenigen Aspekte der Wirklichkeit, die für ihre numerische (binäre Code-) Sprache verwertbar sind“ (Jungtäubl, 2021, 37f).

Digitale Systeme geben vor, was zu tun oder zu dokumentieren oder wie zu kommunizieren ist. Sie lassen keinen Raum für eigene Interpretationen und steuern „das Handeln aufgrund der digitalen Systemen inhärenten mathematisch-informationstechnischen Formalisierungslogik“ (ebd.). Kurz:

Digitalisierung sozialer Organisation geht immer mit Formalisierung einher. Dadurch kommt es zu Spannungen zwischen dem Informellen, dem „Menschlichen“, der kaum standardisierbaren Interaktionsarbeit, die personenbezogenen, sozialen Dienstleistungen innewohnt, auf der einen und der Notwendigkeit der Standardisierung durch digitale Technologien und Tools auf der anderen Seite.

Als Beispiel sei nur auf das häufig anzutreffende, aufgrund des Datenschutzes nachvollziehbare Verbot der Nutzung von WhatsApp auf der einen und der trotzdem stattfindenden, „brauchbar illegalen“ Nutzung von WhatsApp zur Aufrechterhaltung der Kommunikation mit den Klient:innen auf der anderen Seite verwiesen (vgl. zum Begriff „brauchbare Illegalität“ Kühl, 2020).

Da sich Digitalisierungsbestrebungen in Organisationen der Sozialwirtschaft also immer im Spannungsfeld zwischen dem häufig im Sinne der Klientel notwendigen, informellen Handeln auf der einen und der notwendigen Formalisierung durch Digitalisierung auf der anderen Seite bewegen, basieren Widerstände der Mitarbeitenden gegen diese Bestrebungen nicht (nur) auf individuellen Vorbehalten gegenüber neuen, technologischen Entwicklungen. Die Widerstände lassen sich vielmehr als Festhalten an der für gelingende Soziale Arbeit notwendigen, selbstbestimmten und eigenverantwortlichen professionellen Grundhaltung Sozialer Arbeit verstehen. Sie stabilisieren also das gesamte System!

IT-Awareness, oder: Wie kann den Herausforderungen der Digitalisierung sozialer Organisationen begegnet werden?

Das skizzierte Spannungsfeld zwischen Digitalisierungsbestrebungen auf der einen und professioneller Sozialer Arbeit auf der anderen Seite zeigt auch bezogen auf Herangehensweisen zum Ausgleich dieser Spannungen Ansatzpunkte sowohl auf Ebene der Mitarbeitenden in sozialen Organisationen als auch auf Ebene der Gestaltung sozialer Organisationen.

Bezogen auf die Ebene der Mitarbeitenden wird häufig von einem „Digital Mindset“ gesprochen, das für erfolgreiche Digitalisierung notwendig wäre: „Learning new technological skills is essential for digital transformation. But it is not enough. Employees must be motivated to use their skills to create new opportunities. They need a digital mindset“ (Neeley, Leonardi, 2022).

Das widerspricht jedoch der sozialarbeiterischen Grundhaltung – dem „Social Work Mindset“ 😉

Sinnvoller also als das Lamentieren über ein „fehlendes oder falsches Mindset“ der Mitarbeitenden in der Sozialen Arbeit ist aus meiner Sicht, dass sich diese über die Notwendigkeiten, Chancen und Möglichkeiten der Nutzung digitaler Tools – von digitaler Kommunikation über Dokumentation bis hin zu Nutzung von „künstlicher Intelligenz“ klarer als bisher bewusst werden. Mit anderen Worten: Von den Mitarbeitenden zu verlangen bzw. zu erwarten, ein Digital Mindset, eine digitale Grundhaltung, zu entwickeln, ist zu viel verlangt. Die Forderung trifft nicht ihre wirklichen Bedürfnisse bzw. ihre Berufsrealität. Vielmehr gilt es, auf ihrer Seite ein stärkeres „Sich-bewusst-Werden“ der Notwendigkeit der Nutzung digitaler Tools und damit eine „IT-Awareness“ zu entwickeln.

Hinzu kommt dann die Ausbildung von einem für die jeweilige Rolle in der Organisation passfähigen „Digital Skillset“. Darunter sind die Fähigkeiten und Kompetenzen zu verstehen, die für die Nutzung der in der jeweiligen Rolle unabdingbaren Tools (Hard- und Software) notwendig sind.

Hilfreich dazu ist es, wenn sich Organisationen der Sozialwirtschaft intensiver als bisher mit der Frage befassen, welche Tools in welcher Rolle zwingend genutzt werden müssen und welche Fähigkeiten dafür auf Ebene der Mitarbeitenden geschult und welche nachhaltigen Lernpfade zur Entwicklung des Digital Skillsets begangen werden müssen. Ohne an dieser Stelle in die Tiefe gehen zu können:

Durch die Digitalisierung ergeben sich bezogen auf die Lernpfade völlig neue, hilfreiche Lern- und Entwicklungsoptionen (vgl. bspw. näher Foelsing, Schmitz, 2021).

Digitalisierung sozialer Organisationen – sechs Aspekte

Bezogen auf die Gestaltung sozialer Organisationen in einer digitalisierten Welt sind (zusammenfassend) sechs Aspekte relevant:

  1. Organisationsbewusstsein schaffen: Es bedarf übergreifend und unabhängig von Digitalisierungsbestrebungen ein Bewusstsein über die Spezifika der Funktionslogiken von Organisationen unter Berücksichtigung der Besonderheiten von Organisationen der Sozialwirtschaft.
  2. Partizipative Erarbeitung der Zwecke: Die Notwendigkeit der Steuerung sozialer Organisationen über ihre Zwecke erfordert, die Zwecke – das „Warum und Wozu“, die Mission, den „purpose“ – auf allen Ebenen der Organisation (in Teams, Abteilungen und der Gesamtorganisation) partizipativ zu erarbeiten, um so den Sinn Sozialer Arbeit trotz der mit der Digitalisierung einhergehenden Formalisierung (wie bspw. damit verbundene Dokumentations- oder Kommunikationspflichten) zu würdigen.
  3. Bewusstsein über die Notwendigkeit der Digitalisierung schaffen: Wichtiger als die Forderung eines „digital mindsets“ ist die Schaffung eines gemeinsamen Bewusstseins über die Möglichkeiten, Grenzen und Notwendigkeiten des Einsatzes digitaler Tools und Techniken im sozialarbeiterischen Alltag. Die Schaffung dieser „IT-Awareness“ gelingt über die partizipative Auseinandersetzung mit digitalen Möglichkeiten und die Gestaltung von individuellen und wirksamen Lernpfaden zur Entwicklung des „digital skillsets“ der Mitarbeiter:innen in ihren jeweiligen Rollen.
  4. Prozesse gestalten: Gelingende Digitalisierungsbestrebungen sozialer Organisationen erfordern klar definierte Prozesse und die Entscheidung, welche dieser Prozesse digitalisierbar sind. Mit der klaren Definition der Prozesse, bspw. mithilfe einer Prozesslandkarte (vgl. näher Brandl, 2021, 83ff), geht einher, zu entscheiden, welche der Prozesse wirklich notwendig sind und welche Prozesse zukünftig weggelassen oder neu und damit digital gestaltet werden können.
  5. Geschäftsmodelle entwickeln: Die Verbindung von Definition und (Neu-)Gestaltung von Prozessen eröffnet auch Möglichkeiten des Überdenkens des bestehenden und der Gestaltung von neuen, digitalisiert(er)en Geschäftsmodellen. Insbesondere unter Berücksichtigung zurückgehender finanzieller Möglichkeiten und der Herausforderungen des Fachkräftemangels (vgl. bspw. Epe, 2022b) ergeben sich so Chancen, zukünftig soziale Dienstleistungen effizienter und effektiver anbieten zu können.
  6. Zusammenarbeit agil gestalten: Auf Ebene der Zusammenarbeit gilt es weiterhin, agile Formen der Zusammenarbeit zu etablieren. Diese setzen zusammenfassend darauf, „überschwängliche Regelwerke zu vermeiden, auf iterative Vorgehensweisen und schlanke, flexible Prozesse zu setzen und den Fokus auf zu erreichende Ziele zu legen bei ständiger Beachtung von Änderungen der Umweltbedingungen“ (Jungtäubl, 2021, 41). Zu beachten ist, dass es sich bei agiler Arbeit jedoch nicht um ein „anything goes“ handelt, sondern um die „Formalisierung des Wie“ der gemeinsamen Zusammenarbeit. Hier profitieren soziale Organisationen davon, dass agile Arbeitsweisen sozialen Dienstleistungen inhärent sind. Hier gilt es, viele der oftmals informellen Verhaltensweisen der Zusammenarbeit (das „Wie?“) auf eine formale Ebene zu haben und bspw. in einem Teamkodex festzuhalten, wie genau die Abläufe und Zuständigkeiten im Team geregelt sind. Diese „Leitlinien der gemeinsamen Zusammenarbeit“ sind wiederum in regelmäßigen Abständen – iterativ – weiterzuentwickeln (vgl. bspw. Epe, 2022c).

Fazit

Digitalisierung führt immer zu einer Formalisierung – auch sozialer Organisationen.

Diese Formalisierung steht jedoch im Widerspruch zu der in sozialen Organisationen dominierenden Informalität, die sozialen, personenbezogenen Dienstleistungen aufgrund ihrer Komplexität und Ambiguität inhärent ist.

Entsprechend skeptisch werden Digitalisierungsvorhaben von Seiten der Mitarbeitenden betrachtet. Für die Verantwortlichen gilt es, die Besonderheiten, Paradoxien und Dilemmata, unter denen soziale Dienstleistungen erbracht werden, im Blick zu behalten.

Und es gilt die Angst vor der mit der Digitalisierung einhergehenden Formalisierung zu verlieren und stattdessen diese als hilfreich für eine effiziente und im Sinne der Nutzer:innen effektive Soziale Arbeit zu verstehen.

Darüber kann es gelingen, die „IT-Awareness“ der Mitarbeiter:innen zu erhöhen und zu gelingender Digitalisierung sozialer Organisationen beizutragen.

Quellen:

  • Brandl, P.(2021), Prozessoptimierung: Basis zur Neugestaltung sozialer Dienstleistungen. Regensburg: Walhalla.
  • Epe, H. (2022a), Dominierende Informalität, oder: Warum sich soziale Organisationen so schwer entwickeln lassen. Endingen, www.ideequadrat.org/dominierende-informalitaet, abgerufen am 15.11.2023.
  • Epe, H. (2022b), Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft, oder: Hört auf, zu suchen (und was stattdessen sinnvoll ist)! Endingen, www.ideequadrat.org/fachkraeftemangel-in-der-sozialwirtschaft-ideen-loesungen, abgerufen am 23.12.2023.
  • Epe, H. (2022c), Kollaboration im Team, oder: Wie Du Leitlinien für die Zusammenarbeit entwickelst. Endingen, www.ideequadrat.org/leitlinien-fuer-die-kollaboration-im-team-jetzt-aber-konkret, abgerufen am 07.01.2024.
  • Foelsing, J., & Schmitz, A. (2021), New Work braucht New Learning. Eine Perspektivreise durch die Transformation unserer Organisations- und Lernwelten. Wiesbaden: Springer Gabler.
  • Freier, C., König, J., Manzeschke, A., & Städtler-Mach, B. (Hrsg.), (2021), Gegenwart und Zukunft sozialer Dienstleistungsarbeit Chancen und Risiken der Digitalisierung in der Sozialwirtschaft. Wiesbaden: Springer VS.
  • Gesmann, S., & Merchel, J. (2019), Systemisches Management in Organisationen der Sozialen Arbeit: Handbuch für Studium und Praxis. Erste Auflage. Systemische soziale Arbeit. Heidelberg: Carl Auer.
  • Grunwald, K. (2022), Management sozialwirtschaftlicher Organisationen. Eine Einführung, Wiesbaden: Springer VS.
  • Jungtäubl, M. (2021), Gestaltung von Interaktionsarbeit und professionellem Handeln bei Personenbezogener Dienstleistungsarbeit zwischen (digitalisierter) Formalisierung und Selbstorganisation, in: Freier, C., König, J., Manzeschke, A., & Städtler-Mach, B. (Hrsg.), Gegenwart und Zukunft sozialer Dienstleistungsarbeit Chancen und Risiken der Digitalisierung in der Sozialwirtschaft. Wiesbaden: Springer VS. S. 29 – 48.
  • Kühl, S. (2018), Organisationskulturen beeinflussen. Eine sehr kurze Einführung. Wiesbaden: Springer VS.
  • Kühl, S. (2020), Brauchbare Illegalität. Weswegen sich Regelabweichungen in Organisationen nicht vermeiden lassen. Working Paper 4/2020. Bielefeld, www.uni-bielefeld.de/fakultaeten/soziologie/fakultaet/personen /kuehl/pdf/Kuhl-Stefan;-Working-Paper-4-2020-Brauchbare-Illegalitat-Weswegen-sich-Regelbruche-nicht-vermeiden-lassen.pdf, abgerufen am 22.12.2023.
  • Neeley, T., & Leonardi, P. (2022), Developing a Digital Mindset. How to lead your organization into the age of data, algorithms, and AI. 100(5-6), S. 50-55.
  • Seelmeyer, U., & Kutscher, N. (2021), Zum Digitalisierungsdiskurs in der Sozialen Arbeit: Befunde – Fragen – Perspektiven, in: Wunder, M. (Hrsg.), Digitalisierung und Soziale Arbeit – Transformationen und Herausforderungen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. S. 17 – 30.
  • Spiegel, H. v. (2008), Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit. Grundlagen und Arbeitshilfen für die Praxis. München: Reinhardt.

Nachfolgeplanung in Vereinen und sozialen Organisation: Maßnahmen der Organisationsentwicklung

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Mit Blick auf meine Beratungsaufträge der letzten Monate ist es spannend zu sehen, dass zunehmend soziale Organisationen der Sozialwirtschaft und Vereine, die soziale, personenbezogene Dienstleistungen erbringen, Unterstützung bezogen auf die Frage suchen, wie ein guter Generationenwechsel gelingen bzw. wie die Nachfolgeplanung in Vereinen und sozialen Organisationen zukunftsfähig gestaltet werden kann.

Interessant ist, dass zwar in jedem Verein und jeder Organisation der Zeitpunkt kommt, an dem die bisherigen Vorstandsmitglieder oder die Geschäftsführung ausscheiden. Eine Besonderheit von Organisationen und Vereinen der Sozialwirtschaft besteht aus meiner Sicht aber (unter anderem) in der historischen Entwicklung der Sozialen Arbeit insgesamt.

Im Folgenden werde ich einleitend auf diese historischen Entwicklungen eingehen, um darauf basierend die Ziele der Nachfolgeplanung zu beschreiben. Dann werden konkrete Maßnahmen der Organisationsentwicklung skizziert, die aus meiner Sicht grundlegend sind, um die Nachfolgeplanung gelingen zu lassen.

Historischer Blick auf die Entwicklung von Organisationen der Sozialen Arbeit

Nein, ich werde hier nicht die Gesamtentwicklung der Sozialen Arbeit darlegen. Hier zum Beispiel kann man dies viel besser nachlesen.

Mich interessiert hier die historische Entwicklung der Sozialen Arbeit in den 1970er/1980er Jahren.

Wichtig in dem Zusammenhang ist, dass die deutschen Fachhochschulen, die heute teilweise als Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) bezeichnet werden, in den 1970er-Jahren aus verschiedenen Bildungseinrichtungen wie Ingenieurschulen, Akademien und Höheren Fachschulen für Gestaltung, Sozialarbeit oder Wirtschaft entstanden.

Die Gründung dieses eigenständigen Hochschultyps wurde durch eine Grundsatzerklärung der Ministerpräsidenten am 5. Juli 1968 festgelegt. Am 31. Oktober 1968 wurde das „Abkommen zwischen den Ländern der Bundesrepublik zur Vereinheitlichung auf dem Gebiet des Fachhochschulwesens“ verabschiedet, wodurch der Grundstein für die Etablierung der Fachhochschulen gelegt wurde. Anschließend erfolgten die entsprechenden Abkommen in den einzelnen Bundesländern (vgl. näher hier).

Für die Soziale Arbeit erfolgte damit „ein wichtiger Schritt zur Akademisierung und Verwissenschaftlichung, der getragen war von einem zunehmenden Professionalisierungsbedürfnis innerhalb der Sozialen Arbeit und begünstigt vom fortschrittsorientierten bildungspolitischen Klima der Zeit“ (Kruse, 2008, 42).

Aus diesen Entwicklungen in Verbindung mit Sparmaßnahmen (basierend bspw. durch die Ölkrise) und der demographischen Entwicklung („Boomer“), die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt der Sozialen Arbeit hatten, resultierte, dass ab Mitte/Ende der 70er Jahre Absolvierende begannen, Taxi zu fahren erfolgreich soziale Organisationen in Eigeninitiative aufzubauen.

Ausgehend von einem etwa 40 Jahre dauernden Berufsleben wird deutlich, dass die Menschen, die damals die heute teilweise großen Organisationen und Vereine auf den Weg brachten, kurz vor oder bereits in ihrem Ruhestand stehen.

Entsprechend deutlich zeigt sich seit einigen Jahren die Notwendigkeit, Nachfolgeplanungen aktiv anzugehen. Oder, wie Hamm et al. (2021, V) in ihrem Vorwort betonen:

„Eine Gründergeneration, die den sozialen und Bildungsbereich in seinen feinsten Unterscheidungen aufgebaut und geprägt hat, geht in den Ruhestand. Wir wissen es schon lange und die Zeit zum Handeln ist gekommen.“

Klar ist aber auch, dass die Nachfolgeplanung in eine Zeit fällt, die diese Nachfolge alles andere als einfach macht. Denn nicht nur die „Gründer:innen“ von damals gehen in den Ruhestand und suchen Nachfolger:innen. Hinzu kommt, dass der Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft gerade am Anfang steht und enorme Auswirkungen haben wird.

Daraus wiederum folgt, dass ein einfaches „Weiter so!“ oder auch ein „business as usual“ aufgrund fehlender Fachkräfte und deren geänderten Anforderungen an die Übernahme von Verantwortung insbesondere in kleinen und mittleren sozialen Organisationen und Vereinen nicht funktionieren kann. Es ist schon jetzt und wird auch in Zukunft nicht möglich sein, „einfach“ die Nachfolger:innen zu bestimmen und erwarten zu können, dass der Verein oder die Organisation weiterhin „funktioniert“.

Vielmehr gilt es, die Ziele der Nachfolgeplanung für die eigene Organisation zu bestimmen und darauf basierend Maßnahmen der Organisationsentwicklung abzuleiten, damit diese Ziele erreicht werden können und das Überleben der Organisation nachhaltig sichergestellt werden kann.

Aber was sind Ziele der Nachfolgeplanung in Vereinen und sozialen Organisationen?

Ziele der Nachfolgeplanung in Vereinen und sozialen Organisationen

Die Ziele der Nachfolgeplanung lassen sich übergreifend wie folgt zusammenfassen:

Kontinuität sichern: Wesentlich ist natürlich die Gewährleistung einer nahtlosen Fortführung der Aktivitäten des Vereins bzw. der Organisation bei Änderungen im Vorstand und Geschäftsführung. Das gilt zwar immer, wird aber insbesondere dann, wenn der Verein bzw. die Organisation bislang im Wesentlichen durch die Gründungspersönlichkeit geprägt wurde, zu einem Kernaspekt der Nachfolgeplanung.

Talententwicklung fördern: Um die Kontinuität sicherstellen zu können, ist es unabdingbar, frühzeitig in die Identifizierung, Entwicklung und Förderung von talentierten Mitarbeiter:innen zu investieren, um sicherzustellen, dass qualifizierte Personen in Schlüsselpositionen bereitstehen.

Wissenstransfer sicherstellen: Der Wissenstransfer umfasst die Übertragung von spezifischem Fachwissen, Erfahrungen und dem Wissen über Netzwerke von erfahrenen Führungskräften auf die nächste Generation.

Risikominderung: Die Reduzierung der Risiken, die mit erwarteten und unerwarteten Abgängen von Schlüsselpersonen verbunden sind, sichert wiederum die Kontinuität. Dies kann zum einen durch den Aufbau einer „Pipeline von qualifizierten Nachfolger:innen“ geschehen. Zum anderen ist aber der Aufbau eines funktionalen Prozessmanagements hilfreich, über das sichergestellt wird, dass die Arbeit schnell und reibungslos fortgeführt wird.

Unternehmenskultur bewahren: Hier bin ich zweigespalten. So kann die Sicherstellung, dass Werte und Kultur auch während des Übergangs aufrechterhalten werden, wichtig sein, um die Verunsicherung durch den Wechsel nicht zu groß werden zu lassen, hoch relevant sein. Gleichzeitig kann es hilfreich sein, gerade den Neubeginn und die sich damit verändernde Kultur zu befördern.

Mitarbeiterbindung steigern: In Phasen des Übergangs gilt es, Perspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten für Mitarbeiter:innen zu schaffen, um ihre Bindung an die Organisation zu fördern. Insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels ist dies effizienter und effektiver, als auf neue Mitarbeiter:innen zu hoffen, die komplett neu eingearbeitet werden müssen. Hinzu kommt, dass der Weggang von Mitarbeiter:innen immer mit einem Weggang von Erfahrungswissen und Kompetenzen verbunden ist.

Strategische Ausrichtung unterstützen: Auch in Übergangsphasen gilt es, sicherzustellen, dass die Nachfolgeplanung mit den strategischen Zielen des Vereins bzw. der Organisation in Einklang steht und die langfristige Entwicklung unterstützt wird.

Transparenz und Fairness gewährleisten: Bei dem oben erwähnten Aufbau von Nachfolger:innen ist relevant, transparente und faire Prozesse für die Auswahl der Personen zu entwickeln, um das Vertrauen aller Mitarbeiter:innen zu stärken und mögliche Konflikte zu minimieren. Interessant in diesem Zusammenhang ist das SCARF-Modell, in dem Fairness explizit als Grundlage für die Aufrechterhaltung der Motivation der Mitarbeiter:innen betont wird.

Compliance sicherstellen: Selbstverständlich gilt, auch bei der Nachfolge sicherzustellen, dass rechtliche Anforderungen und Governance-Standards in Bezug auf die Planung und Dokumentation von Nachfolgeprozessen sichergestellt werden.

Diese Ziele können je nach Arbeitsfeld, Größe und Ausrichtung der Organisation bzw. des Vereins und aufgrund individueller Umstände variieren. Unabhängig davon aber ist eine effektive Nachfolgeplanung unabdingbar, um die Stabilität, Kontinuität und Entwicklungsfähigkeit der eigenen Organisation bzw. des Vereins sicherzustellen.

Auch wenn oben bereits ein paar Aspekte angesprochen wurden, will ich im Folgenden explizit Maßnahmen der Organisationsentwicklung beschreiben, die für die Nachfolgeplanung im Verein bzw. der Organisation angegangen werden können.

Maßnahmen der Organisationsentwicklung

Vorauszuschicken ist, dass jede Organisation und jeder Verein unterschiedlich ist. Dies ist zwar eine Binsenweisheit, führt aber dazu, dass pauschale Antworten auf die Frage, wie eine gelingende Nachfolgeplanung in Vereinen und sozialen Organisationen aussehen kann, nicht verallgemeinert werden kann.

Entsprechend verläuft auch die Organisationsentwicklung zur Gestaltung der Nachfolge nach dem „allgemeinen Vorgehen“ der Organisationsentwicklung. Dabei steht zu Beginn eine mehr oder weniger intensive Organisationsanalyse an, um die Probleme („Was ist das Anliegen/Problem?“) verstehen zu können. Damit geht auch die Zielklärung („Was wollen Sie erreichen? Was ist Ihr konkretes Ziel?“) einher.

Basierend auf der Analyse der Ausgangssituation erfolgt dann die Ideensammlung und Strukturierung möglicher Veränderungsschritte, Lösungswege bzw. Maßnahmen zur Zielerreichung („Wie werden Sie dieses Ziel erreichen? Für welche Maßnahme(n) entscheiden Sie sich?“). Dies ist wiederum mit der zeitlichen, personellen und finanziellen Planung der Umsetzung („Welche Ressourcen/Unterstützung haben/brauchen Sie? Was sind die nächsten Schritte?“) verknüpft.

Dann erfolgt die Umsetzung der Maßnahmen sowie die Kontrolle der Durchführung („Ist die festgestellte Abweichung zwischen dem ursprünglichen Plan und dem augenblicklichen Stand ein Anlass für Korrekturen?“).

Den Prozess abschließend darf die Evaluation, Reflexion und der Transfer von Ergebnissen („Im Hinblick auf welche Kriterien ist der Prozess ein Erfolg? Haben wir das Ziel erreicht? Was wurde in dem Prozess der Bearbeitung individuell und kollektiv gelernt? Auf welche weiteren Situationen/Probleme sind die gemachten Erfahrungen anwendbar/übertragbar?“) nicht vernachlässigt werden. Aus der Evaluation werden dann die wiederum nächsten Schritte abgeleitet.

Hier habe ich diese „allgemeinen Schritte“ gelingender Organisationsentwicklung in einem fünfstufigen Modell beschrieben.

Spezifisch bezogen auf die Möglichkeiten der Nachfolgeplanung zeigen sich übergreifend folgende Maßnahmen als wirksam:

Definition von Zielen, Verantwortlichkeiten und Prozessen

Auch wenn dies als Basis funktionierender Organisationen angesehen werden kann, ist es zunächst wichtig, die Ziele, Verantwortlichkeiten und die Prozesse der Organisation bzw. des Vereins in den Blick zu nehmen und so zu gestalten, dass allen Beteiligten klar ist, was der Zweck des Vereins ist, wer für was zuständig ist und welche Regeln, Prozesse und Routinen eingehalten werden müssen.

Hier findest Du einen Beitrag zum GRPI-Modell, das die Bedeutung von Zielen, Zuständigkeiten, Prozessen und der Kommunikation in Teams und Organisationen hervorhebt und eine einfache, aber gute Orientierung für die Gestaltung gelingender Teams und Organisationen bietet.

Ein besonderer Fokus ist in diesem Schritt auf die Aufgaben und Zuständigkeiten von Vorstand und Geschäftsführung zu richten. Erst darüber wird transparent, welche Anforderungen an die Nachfolger:innen gestellt werden. Gerade in über Jahrzehnte gewachsenen und von Gründungspersönlichkeiten getragenen Organisationsstrukturen werden viele Aspekte implizit gelebt und nicht mehr explizit ausformuliert, was für Nachfolger:innen zu echten Herausforderungen führt.

Übergreifend geht es in diesem Aspekt um die Gestaltung von zeitgemäßen und für die Organisation bedarfsgerechten Organisationsstrukturen, die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit fördern, um den Zweck der Organisation bzw. des Vereins auch zukünftig angemessen verfolgen zu können.

Entwicklung von Kompetenzprofilen

Gerade dann, wenn es um die Nachfolge von komplexen Führungspositionen geht, kann es sehr sinnvoll sein, basierend auf den definierten Zielen, Prozessen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten Kompetenzprofile für die potentiellen Nachfolger:innen zu entwickeln. Auch wenn es niemals möglich sein wird, die eierlegende Wollmilchsau aka neue Führungskraft zu finden, kann das Kompetenzprofil die fachlichen, sozialen und persönlichen „Mindest-Kompetenzen“ der Nachfolger:innen beschreiben.

Aufbau eines Talentpools

Auch wenn dieser Aspekt eigentlich eine Binsenweisheit ist, ist darauf hinzuweisen, dass es, um eine gute Auswahl potentieller Kandidaten für die Nachfolge zu haben, wichtig ist, sich frühzeitig Gedanken um die Nachfolge zu machen und einen Talentpool aufzubauen. In diesem Talentpool können Mitarbeiter:innen der Organisation bzw. des Vereins, die für eine Nachfolge in Frage kommen, erfasst und entsprechend auf die kommende Führungsposition(en) vorbereitet werden.

Förderung der Nachwuchsarbeit

Zum vorherigen Aspekt gehört zwangsläufig die Förderung der Nachwuchsarbeit im Verein bzw. der Organisation. Dies kann durch Angebote wie Mentoring-Programme oder (sinnvolle) Weiterbildungsmaßnahmen erfolgen. Bezüglich der Weiterbildungsmaßnahmen macht es Sinn, sich mit dem „New Learning“ zu beschäftigen: Darunter ist zu verstehen, die Herausforderungen der Veränderungen der Organisation und die Prinzipien zeitgemäßer und bedarfsgerechter Organisationsgestaltung mit der Frage zu kombinieren, wie wir als Individuen und als Organisationen jetzt und in Zukunft sinnvoll lernen.

Insbesondere geht es dabei um einen Wechsel von tayloristisch geprägten, top-down organisierten und vorgegebenen Lernsettings hin zu bedürfnisorientierten, dynamik- und komplexitätsrobusten, kollaborativen Lernökosystemen. Lernen und Weiterbildung wird damit ein möglichst selbstbestimmter und sozialer Prozess, der bedürfnis- oder problemorientiert an echte Herausforderungen gebunden ist (vgl. Foelsing, Schmitz, 2021, 107).

Zu denken ist bei der Nachwuchsarbeit auch an Mentoring-Programme, bei denen jüngere Mitarbeiter:innen von den erfahrenen Führungskräften lernen. Hierbei ergeben sich durch technologische Möglichkeiten (bspw. virtuelle Plattformen, Kollaborationstools und künstliche Intelligenz) neue Chancen, um den Wissenstransfer zu fördern. Genauso können aber auch Reverse-Mentoring-Programme implementiert werden, bei denen jüngere Mitarbeiter:innen erfahrene Führungskräfte in Bezug auf aktuelle Technologien, Trends und Perspektiven schulen.

Erstellung eines Nachfolgeplans

Auf Grundlage der oben genannten Maßnahmen kann ein Nachfolgeplan erstellt werden. Dieser Nachfolgeplan sollte einen Zeitplan für die Nachfolgeregelung sowie die Vorgehensweise bei der Auswahl der Nachfolger:innen enthalten.

Fazit zur Nachfolgeplanung in Vereinen und sozialen Organisationen

Hamm et al. (2021, 354) bringen es auf den Punkt:

„Die Führungsebene in sozialen Organisationen besteht in ihrer Konstellation teilweise seit Jahrzehnten und ist aufeinander abgestimmt. Die Nachfolgeplanung in solchen Settings ist nur schwer denkbar ohne:

  • Anpassungen in den organisationalen und
  • personellen Strukturen.“

Bei der Anpassung der organisationalen (und der in diesem Beitrag weniger beleuchteten personellen) Strukturen ist aber wieder zu betonen, dass es notwendig ist, die Individualität der jeweiligen Organisation bzw. des jeweiligen Vereins in den Blick zu nehmen. Basierend auf den je individuellen personellen und finanziellen Möglichkeiten und vorgegebenen Strukturen sowie basierend auf dem jeweiligen Arbeitsfeld mit seinen rechtlichen Rahmenbedingungen ist zu analysieren, wo die Organisation steht (Organisationsdiagnose zur Ist-Analyse). Darauf folgend können dann hypothesenbasiert funktionale Anpassungen und Entwicklungen getestet und implementiert werden.

Die skizzierten und sicherlich nicht abschließenden Maßnahmen zur Organisationsentwicklung im Rahmen der Nachfolgeplanung in Vereinen und sozialen Organisationen sind entsprechend als Anregungen zu verstehen, welche wesentlichen Optionen ergriffen werden sollten, um die eigene Organisation bzw. den eigenen Verein auch nach Weggang der Gründungspersönlichkeiten zukunftsfähig und resilient zu gestalten.

Quellen:

  • Foelsing, J., Schmitz, A. (2021): „New Work braucht New Learning – Eine Perspektivreise durch die Transformation unserer Organisations- und Lernwelten“. Wiesbaden: Springer.
  • Hamm, M., Heider-Winter, C., Leu, N.-A. (Hrsg., 2021): Strategische Nachfolgeplanung in Non-Profit-Organisationen. Fit für den Generationswechsel im Gemeinnützigkeitsbereich. Berlin: Springer Gabler.
  • Kruse, E. (2008): Das Studium der Sozialen Arbeit. Sozial Extra 32, 39–43.

Utopische Organisationen der Sozialen Arbeit im Jahr 2048, oder: Die Problemlösungen von heute sind die Lösungsprobleme von morgen!

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Vor Kurzem wurde ich angefragt, einen Beitrag für die Zeitschrift „FORUM sozial – Die Fachzeitschrift des DBSH“ zu verfassen. Dabei sollte es um die Frage gehen, wie ich mir soziale Organisationen im Jahr 2048 vorstelle. Zentral dabei sollte die Frage sein, wie sich Organisationen der Sozialen Arbeit entwickeln müssen, um die Herausforderungen im Jahr 2048 bewältigen zu können. 2048 – das ist ein Blick 25 Jahre in die Zukunft. Diese ist aber, wenig verwunderlich, zukünftig. Ich aber denke aus der Gegenwart, basierend auf den Erfahrungen der Vergangenheit und den absehbaren, kurzfristigen Herausforderungen. Und trotzdem habe ich versucht, meine Sicht auf „utopische Organisationen der Sozialen Arbeit“ zu werfen.

Der Beitrag ist dann aber etwas lang geworden, so dass ich noch einmal in die Überarbeitung gehen musste. Entsprechend findest Du hier die „long version“ und im Frühjahr 2024 dann den Beitrag in der Zeitschrift „FORUM sozial“. Jetzt aber los:


„Könnten wir eine kraftvollere, gefühlvollere und sinnvollere Art der Zusammenarbeit erfinden, wenn wir nur unser Glaubenssystem ändern?“

Laloux, F., 2014

Die Ausführungen von Frederic Laloux in seinem 2014 erschienenen Buch „Reinventing Organizations“ haben mich fasziniert. Im Kontext „sozialer Organisationen“ ist da vor allem Buurtzorg  als Vorreiterorganisation zu nennen. Buurtzorg ist eine niederländische Organisation im Arbeitsfeld der ambulanten Pflege mit mehr als 10.000 Mitarbeiter:innen, die in selbstorganisierten Teams zusammenarbeiten.

Das klingt doch schon sehr utopisch, oder?

Selbstorganisation, Ganzheitlichkeit und der evolutionäre Zweck der Organisation

Laloux beschrieb 2014 drei wesentliche Durchbrüche (vgl. Laloux, 2014, 55ff) „neuer“ Organisationen:

  • – Selbstorganisation,
  • – Ganzheitlichkeit und
  • – die Orientierung am evolutionären Zweck der Organisation.

Für mich waren die Ausführungen von Laloux mehr als Utopie:

Sie passten – aus meiner damaligen Sicht – vielmehr „wie die Faust auf’s Auge“ oder besser: auf die von mir gesehenen Herausforderungen sozialer Organisationen.

Herausforderungen bestanden darin, so meine damalige Annahme, dass soziale Organisationen zu hierarchisch, zu langsam, zu wenig innovativ, zu reguliert, zu starr, zu you name it… wären, um die Dynamik und Komplexität der unterschiedlichen Arbeitsfelder in einer Welt im Wandel bewältigen zu können. Hier wäre die von Laloux beschriebene Selbstorganisation doch „der Hammer“?! Menschen entscheiden selbst, vor Ort, an der Basis, was zu tun ist?!

Meine Annahme bestand außerdem darin, dass die seit Jahren hohen Burnout-Raten der Mitarbeiter:innen daraus resultierten, dass es ihnen nicht möglich ist, ihre in der Organisation nicht gewünschten, aber in ihnen verborgenen Kompetenzen und Fähigkeiten zu zeigen. Wenn aber die empfundene Dissonanz zwischen dem, was tagtäglich getan werden muss und dem, was aus der Professionalität der individuellen Organisationsmitglieder fachlich als sinnvoll erachtet wird, permanent zu groß ist, ist Burnout doch vorprogrammiert, oder? Hier wäre die von Laloux beschriebene Einbeziehung des „ganzen Menschen“ doch der perfekte Lösungsansatz, oder? Und dies vor allem in Organisationen, in denen „der Mensch im Mittelpunkt“ steht?

Und ferner bestand meine Annahme darin, dass die Bedarfe der Klient:innen nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt würden. Wenn es gelänge, soziale Organisationen zu gestalten, die ihren „evolutionären Zweck“ verfolgten, dann müsste es gelingen, diese Herausforderung zu bewältigen und wirklich soziale Probleme zu lösen, oder?

Kurz: Meine Utopie bestand aus sozialen Organisationen, in denen Menschen ganzheitlich und vertrauensvoll zusammenarbeiten, um darüber dem Zweck der Organisationen zu dienen, denn, so Laloux (ebd., 83), “when organizations are built not on implicit mechanisms of fear but on structures and practices that breed trust and responsibility, extraordinary and unexpected things start to happen.

Warum sich meine Sicht auf soziale Organisationen gewandelt hat

Inzwischen, fast 10 Jahre nach dem Erscheinen von „Reinventing Organizations“ und der Befassung mit der Frage der theoretischen und praktischen Gestaltung von Organisationen in Verbindung mit den Besonderheiten von Organisationen der sozialen Arbeit, hat sich meine Sicht zu Teilen radikal gewandelt.

Der Wandel basierte insbesondere auf der Auseinandersetzung mit der Frage, was Organisationen eigentlich sind und wie sie sich verändern lassen. Und, wenig überraschend:

Diese Fragen hatten sich schon (viele) Menschen vor mir – und vor Laloux – gestellt.

Mich faszinierten und faszinieren in diesem Kontext insbesondere die Ausführungen rund um die Systemtheorie. Wenn hier noch die Besonderheiten von Organisationen der Sozialen Arbeit hinzugezogen werden, wird es zwar komplex, aber ebenso Augen öffnend (vgl. für einen sehr guten Überblick bspw. Gesmann, Merchel, 2019).

Entsprechend folgt hier eine Skizze dessen, was Organisationen sind, wie diese zu verändern sind und an der einen oder anderen Stelle auch der Blick auf die Besonderheiten von Organisationen der Sozialen Arbeit.

Am Ende gibt es dann aber doch noch einen kleinen, vielleicht ernüchternden, hoffentlich aber ermutigenden Blick auf meine Vorstellung utopischer Organisationen der Sozialen Arbeit.

Nehmt den Menschen aus dem Mittelpunkt, oder: Was sind Organisationen?

Ganz grundlegend (und verkürzt) lassen sich Organisationen (aus Perspektive der Systemthorie – vgl. bspw. Kühl, 2016, 18) als „soziale Systeme“ verstehen, die sich darüber definieren, dass sie sich zur Umwelt abgrenzen, einen oder mehrere Zwecke verfolgen, im Gegensatz zu bspw. Familien eine formale Struktur aufweisen und Mitgliedschaftsbedingungen formuliert sind. Das ist wenig überraschend.

Überraschender ist da schon die Feststellung, dass Organisationen nicht aus Menschen bestehen. Organisationen bestehen aus Entscheidungen, die in den formalen und informalen Strukturen der Organisation (teilweise schriftlich, teilweise mündlich) manifestiert sind.

Das wirkt auf den ersten Blick „unmenschlich“. Aber wenn man versucht, den Menschen „aus dem Mittelpunkt“ der Organisation zu nehmen, ergeben sich enorme Vorteile für das Be- und Verstehen von Organisationen, denn:

Wenn eine Organisation aus Menschen bestünde, ergäben sich bei jedem Weggang von Menschen aus der Organisation Lücken, die niemals von anderen Menschen gefüllt werden könnten, da Menschen in ihrer Ganzheitlichkeit nun mal sehr verschieden sind. Mehr noch:

Wenn Organisationen um einzelne Menschen herum gebaut werden (was dann und wann bspw. bezogen auf Gründer:innen zu beobachten ist), „wird damit auf der Personenseite die Illusion genährt, dass die Organisation sich um die eigenen Anliegen und Wünsche herum entwickelt – d. h. die Organisation tritt in den Dienst der Bedürfnisse ihrer Beschäftigten. Diese Illusion hat katastrophale Auswirkungen auf die Organisation“ (Wimmer, 2019). Katastrophal wird es für die Organisation vor allem dann, wenn nach Weggang einer oder mehrerer Personen ihr Überleben gefährdet ist.

Anstatt also als „ganzer Mensch“ Teil der Organisation zu werden, übernehmen Menschen Rollen in der Organisation. Sehr einfach ausgedrückt wird man nicht als „Klaus“ oder „Claudia“ eingestellt, sondern – hoffentlich unabhängig vom Geschlecht – in der Rolle als „Sozialarbeiter:in“.

Das ist zum einen ein Gegenentwurf zu Laloux’s Ganzheitlichkeit, wobei er zumindest sieht, dass seine Idee eine echte Herausforderung ist:

„It is a challenge for any organization to create an environment where people feel safe to show up whole.“

Laloux, 2014, 151

Zum anderen zeigt der Blick auf die Spezifika sozialer Organisationen, dass wir mit dem „Herausnehmen des Menschen aus dem Mittelpunkt“ echte Probleme haben.

So erfüllen Sozialarbeiter:innen zwar als Mitglieder der Organisation die in der Stellenbeschreibung (oft diffus) formulierten Anforderungen. Gleichzeitig aber dient in der Sozialen Arbeit „die Person als Werkzeug“ (vgl. bspw. Spiegel 2008, S. 101 f.), wodurch eine Trennung von Person und Rolle erschwert, wenn nicht gar unmöglich wird. Daraus resultiert eine auf Seiten der Mitarbeitenden schwer auszuhaltende Konfusion zwischen den Anforderungen der Organisation, den Bedarfen der Klientel und den individuellen Persönlichkeitsmerkmalen. Auf Seiten der Organisation entsteht eine „dominierende Informalität“ (vgl. näher dazu Epe, 2022). D.h., dass die Einhaltung der von der Organisation entschiedenen Regeln, Vorgaben und verbindlichen Absprachen als nachrangig bzw. unwichtiger gesehen wird als das individuelle, teilweise sehr spontane und damit wenig planbare „Helfen wollen“ im Sinne der Klientel.

Im Übrigen sind die Rolle bzw. Stelle selbst, aber auch die in der Stellenbeschreibung festgehaltenen „formalen Erwartungen“ Beispiele für die Entscheidungen, aus denen Organisationen bestehen.

Wie können Organisationen verändert werden?

Auch wenn die Ausführungen sehr verkürzt waren, zeigt die Feststellung, dass Organisationen nicht aus Menschen, sondern aus Entscheidungen bestehen, den Ansatzpunkt für die Veränderung und Entwicklung von Organisationen.

Das klingt wiederum zunächst trivial: Wenn in der Organisation entschieden wird, „anders“ zu sein, dann funktioniert das auch. So könnte die Entscheidung getroffen werden, zukünftig anders, agil, innovativ, selbstorganisiert, vielleicht sogar „ganzheitlich“ zu arbeiten – und dann wird das so gemacht, fertig.

Die Realität in Organisationen wiederum zeigt jedoch, dass es so leicht eben nicht ist. Das resultiert daraus, dass zwischen mehreren sog. „Entscheidungsprämissen“ unterschieden werden muss, die den Spielraum für konkrete Entscheidungsmöglichkeiten festlegen. Zu unterscheiden sind zunächst a) prinzipiell unentscheidbare Entscheidungsprämissen und b) prinzipiell entscheidbare Entscheidungsprämissen. Das klingt holprig, das Gemeinte wird aber an folgendem Beispiel deutlich:

Als Führungskraft möchte man entscheiden, dass ab morgen alle Mitarbeitenden innovativ sind. Jedoch ist das Generieren neuer Ideen a) prinzipiell nicht entscheidbar, auch wenn dies schön wäre. Genauso wenig kann über die Haltung oder das „Mindset“ der Mitarbeiter:innen entschieden werden wie darüber, dass sie „nett“ miteinander umgehen, oder dass sich die vorhandene Organisationskultur gefälligst in eine vorab festgelegte Richtung zu ändern hat.

Die b) prinzipiell entscheidbaren Entscheidungsprämissen in Organisationen sind wiederum zu unterteilen in i) prinzipiell entscheidbare und entschiedene Entscheidungsprämissen sowie in ii) prinzipiell entscheidbare, jedoch nicht entschiedene Entscheidungsprämissen. Hier sind wiederum viele Beispiele denkbar:

Die schon angesprochene Beschreibung der Stelle der Sozialarbeiter:in ist eine prinzipiell entscheidbare und entschiedene Entscheidungsprämisse wohingegen oftmals nicht offiziell entschieden wurde, dass Raucherpausen als Arbeitszeit geduldet und nicht von den Pausenzeiten abgezogen werden. Diese Entscheidung kann auch anders getroffen werden – sie ist damit prinzipiell entscheidbar, hier jedoch nicht entschieden.

Das klingt an dieser Stelle noch sehr theoretisch, eröffnet aber den Blick auf das, was zur Entwicklung von Organisationen entschieden werden kann. Das lässt sich kurz zusammenfassen:

Alle Entscheidungen, die den prinzipiell entscheidbaren Entscheidungsprämissen zugeordnet werden können, tragen zur Entwicklung und Veränderung von Organisationen bei. Insbesondere lassen sich die folgenden vier prinzipiell entscheidbaren Entscheidungsprämissen unterscheiden:

  1. Zweckprogramme: Hier wird entschieden, welche Ziele oder Zwecke in der Organisation erreicht werden sollen.
  2. Konditionalprogramme: Vorgaben, Regeln und Prozesse der Organisation. Sie legen fest, was getan werden muss, wenn in einer Organisation ein bestimmter Impuls wahrgenommen wird.
  3. Entscheidungswege: Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten, Hierarchien, Mitzeichnungsrechte und damit, verkürzt, das Organigramm.
  4. Personal: Hier kommt „der Mensch“ wieder ins Spiel, denn es macht für Organisationen einen großen Unterschied, wer welche Stelle wie ausfüllt. Unter den Bedingungen des Fachkräftemangels ergeben sich hier jedoch Probleme, wenn nicht mehr ausgewählt werden kann, sondern Menschen bspw. aufgrund von Fachkraftquoten eingestellt werden müssen.

Fraglich bleibt leider, was wie entschieden und damit formalisiert werden sollte und welche prinzipiell entscheidbaren Entscheidungsprämissen besser nicht entschieden werden.

Die Lösungen von heute sind die Probleme von morgen!

So gibt es bezogen auf Zweck- und Konditionalprogramme, auf Entscheidungswege und das Personal leider nicht die eine „richtige Entscheidung“, da fraglich ist, was für die jeweils sehr individuelle Organisation unter ihren je spezifischen Bedingungen richtig ist. Das ist interessant, wenn man auf die aktuell sehr populären „Management-Moden“ schaut:

Agiles Management und agile Organisationen, „teal organizations“ (vgl. Laloux, 2014, 43ff), demokratische Organisationen, Holocracy, „irgendwas mit New Work“ und Vieles mehr wollen oftmals Lösungen sein für in der eigenen Organisation vielleicht gar nicht existierende Probleme. Aber wenn doch selbst die Apotheken-Umschau (im November 2022) ihren Titel mit „New Work“ schmückt – dann muss an dem New Work doch was dran sein, oder etwa nicht?

Nein, denn der Blick auf die oben skizzierten, in Organisationen prinzipiell entscheidbaren Entscheidungsprämissen zeigt, dass dort ein „richtig“ nicht propagiert wird. Vielmehr geht es darum, für die jeweilige Organisation zu analysieren, zu bewerten und dann zu entscheiden, was funktional sein könnte. Daraus folgt, dass es OK ist, wenn Entscheidungswege steil oder flach sind und es ebenso OK ist, wenn in der einen Organisation viele, in der anderen hingegen wenige Regeln, Vorgaben und definierte Prozesse existieren. Es kann auch Organisationen geben, die nur einen Zweck verfolgen und Organisationen, die mehrere Zwecke in unterschiedlichen Bereichen verfolgen.

Man kann sich Organisationsentwicklung somit vorstellen wie das, was ein DJ an einem Mischpult betreibt: Es kann der Regler „Zwecke“, der Regler „Entscheidungswege“, der Regler „Konditionalprogramme“ oder auch der Regler „Personal“ bewegt / verändert werden.

Wichtig ist, dass die Veränderungen eines Reglers Auswirkungen auf die anderen Regler hat oder, anders formuliert: „Jede Veränderung eines Strukturaspekts hat (…) mehr oder minder starke Auswirkungen auf die anderen Strukturaspekte“ (Kühl, 2016, 29) – es bleibt jedoch unklar, welche Auswirkungen genau dies sein werden. Anders formuliert folgt daraus, dass „es ’normal‘ ist, zu erwarten, dass die Lösungen von heute die Probleme von morgen sein werden“ (Göpel, 2022, 33).

Zusammenfassend lässt sich festhalten:

Anstatt „Management-Moden“ und utopische Vorstellungen von Organisationen zu verfolgen, ist die zu beantwortende Frage gelingender Organisationsentwicklung:

Passen die Konditionalprogramme, Entscheidungswege und das Personal zu den von der Organisation verfolgten Zwecken oder (wo) sind Veränderungen vorzunehmen?

Utopische Organisationen der Sozialen Arbeit

Aber was heißt das jetzt für meine Vorstellung „utopischer“ sozialer Organisationen? Habe ich kein zukünftiges Wunschbild sozialer Organisationen, das zwar – wie für Utopien üblich – wahrscheinlich nicht realisiert werden kann, aber als Orientierung gebender „Nordstern“ dienen könnte?

Doch, das habe ich, aber es ist deutlich nüchterner, als vielleicht erwartet:

Meine Utopie von Organisationen der Sozialen Arbeit im Jahr 2048 sind Organisationen, die dazu beitragen, dass soziale Entwicklungen und der soziale Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen wirklich gefördert werden. Als Orientierung für die Organisationen dienen die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt.

Ob diese Organisationen nun klassisch hierarchisch strukturiert sind, agile Strukturen aufweisen, wenige oder viele Regelungen und Vorgaben von den Mitarbeiter:innen abverlangen, irgendwas mit New Work zu tun haben oder nicht, ist zweitrangig.

Zum einen ist es viel wichtiger, ein „Organisationsbewusstsein“ für soziale Organisationen zu entwickeln: Es ist und bleibt auch in Zukunft auf allen Ebenen sozialer Organisationen, insbesondere aber für Führungskräfte, relevant zu verstehen, was eine Organisation ist und wie „die Einstellungen des Mischpults“ verändert werden können / sollten / müssten.

Zum anderen ist mir wichtig, dass es den Menschen, die für die Führung und Gestaltung sozialer Organisationen Verantwortung tragen (und damit eigentlich allen Mitarbeiter:innen), gelingt, Motivation, Kraft, Mut und Optimismus aufrechtzuerhalten. Denn nur damit ist die kontinuierliche Arbeit an der zeitgemäßen und bedarfsgerechten Gestaltung sozialer Organisationen unter den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen der Sozialwirtschaft zu bewältigen.

Nebenbei bemerkt: Meine Utopie sozialer Organisationen ist nur eine kleine Abwandlung der deutschsprachigen Definition Sozialer Arbeit, die in meinen Augen als zeitlose Orientierung für Wissenschaft und Praxis Sozialer Arbeit dienen und ebenso wunderbar als Orientierung für Entscheidungen in sozialen Organisationen herangezogen werden kann.


Wie aber sieht Deine Utopie sozialer Organisationen aus? Freue mich auf deinen Kommentar dazu…


Quellen:

  • Epe, H. (2022): Dominierende Informalität, oder: Warum sich soziale Organisationen so schwer entwickeln lassen. URL: https://www.ideequadrat.org/dominierende-informalitaet/. Download am 15.11.2023.
  • Gesmann, S., Merchel, J. (2019): Systemisches Management in Organisationen der Sozialen Arbeit: Handbuch für Studium und Praxis. Erste Auflage. Systemische soziale Arbeit. Heidelberg: Carl-Auer Verlag GmbH.
  • Göpel, M. (2022): Wir können auch anders: Aufbruch in die Welt von morgen. Berlin: Ullstein.
  • Laloux, F. (2014): Reinventing Organizations. A Guide to Creating Organizations Inspired by the Next Stage of Human Consciousness. Brüssel: Nelson Parker.
  • Spiegel, Hiltrud von (2008): Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit. Grundlagen und Arbeitshilfen für die Praxis. München.
  • Wimmer, R. (2019): Agilität, Ambidextrie und organisationale Veränderungskompetenz. Rudi Wimmer über Erbe und Zukunft des Change Managements. Gr Interakt Org 50, S. 211–216, 2019. https://doi.org/10.1007/s11612-019-00458-0.

Sieben Gründe, warum Barcamps wichtig für die Entwicklung sozialer Organisationen sind

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Barcamps sind nichts Neues. Den Ausführungen von Simon Dückert folgend lassen sich erste Ideen dazu bis ins Jahr 1998 zurückverfolgen. Wir waren etwas später dran, aber Sabine und ich haben immerhin im Jahr 2016 das erste #Sozialcamp (unter dem Link mein Review aus 2016) ins Leben gerufen. Und ich bin immer wieder geflasht von der Kraft des Formats Barcamp. Deswegen will ich Dir hier – angelehnt an die Ausführungen in meinem letzten Newsletter – darlegen, warum Barcamps wichtig für die Entwicklung sozialer Organisationen sind.

Aktuell denke ich übrigens wieder darüber nach, ein offenes Barcamp-Format für die Soziale Arbeit ins Leben zu rufen (da das Sozialcamp leider durch Corona ziemlich gelitten hat ;-( Außerdem war ich gerade unterwegs in einer „Barcamp-Woche“. Konkret durfte ich in den letzten Tagen zwei Barcamps moderieren.

Das erste Barcamp der letzten Woche war ein „Semi-Barcamp“ rund um das Thema „Fachkräftemangel“ des Paritätischen Baden-Württemberg, bei dem im ersten Teil am Vormittag ein „klassisches Konzept“ gefahren wurde: Grußworte, Vorstellung eines Best Practice Modells und ein Impuls (den ich zum Thema Fachkräftemangel halten durfte). Der Nachmittag war dann als Barcamp-Format rund um das Thema „Fachkräfte“ konzipiert.

Das zweite Barcamp war ein „reines Barcamp“ ohne explizit vorgegebenes Thema. Es ging um Projektverzahnung, Vernetzung, die Generierung neuer Ideen und Ansätze usw., initiiert vom Verband der Privaten Krankenversicherungen.  

Warum Barcamps nicht „auch“ in der Sozialwirtschaft ankommen sollten…

Barcamps sind in den letzten Jahren auch in unseren „eher klassischen Branchen“ angekommen sind. Hier bspw. beim DRK, hier bei der Caritas in Freiburg oder hier als digitales Barcamp bei der Diakonie. Das sind nur einige Beispiele, es gibt viel mehr.

Aber aus meiner Sicht macht dieses „auch“ eigentlich keinen Sinn, denn: 

Barcamps und ähnliche Formate wie bspw. „Open Space“ sollten nicht „auch in der Sozialwirtschaft“ ankommen. 

Wir sollten uns vielmehr darüber wundern, dass es in unseren Kontexten überhaupt noch „klassische Konferenzformate“ gibt! 

Ja, diese klassischen Formate haben auch (noch) ihre Berechtigung, aber wenn man sich ein paar der Vorteile von offenen Konferenz- oder Barcamp-Formaten anschaut, wird es sehr deutlich.

Dazu macht es Sinn, sich die Vorteile von Barcamps in der Sozialwirtschaft vor Augen zu führen.

Vorteile von Barcamps in der Sozialwirtschaft  

1. Partizipation und Mitgestaltung: 

Barcamps zeichnen sich durch ihre offene Struktur aus, bei der die Teilnehmer:innen zu Teilgeber:innen werden und damit aktiv an der Gestaltung des Programms teilnehmen. Statt vordefinierter Vorträge und Workshops können die Teilgeber:innen selbst Themen, Fragen, Ideen… einbringen. Und wo, wenn nicht in sozialen Organisationen, wird Partizipation besonders groß geschrieben? Das gilt übrigens nicht nur für die Partizipation(swünsche) der Mitarbeiter:innen. Vielmehr wird auch von den Klient:innen aktive Beteiligung und Eigenverantwortung erwartet, da Soziale Arbeit ja genau darauf abzielt: Förderung von Autonomie und Selbstbestimmung. Autonomie und Selbstbestimmung aber findet in klassischen Settings kaum statt.

2. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit: 

Herkömmliche Veranstaltungen haben oft ein sehr starr vorgegebenes Programm. Barcamps hingegen haben zwar auch einen Zeitplan (45 minütige Sessions). Sie sind aber inhaltlich flexibel und können sich damit an aktuelle Themen, Bedürfnisse und Interessen der Teilgeber:innen anpassen. Und gerade in der Arbeit mit Menschen ist Flexibilität und die Notwendigkeit, schnell auf Veränderungen zu (re-)agieren, im Alltag Standard. Warum nicht auch in Veranstaltungsformaten? 

3. Vielfalt an Themen und Perspektiven: 

Da bei Barcamps die Teilgeber:innen die Themen bestimmen, sind die Veranstaltungen inhaltlich enorm divers. Dies fördert den interdisziplinären Austausch und ermöglicht den Teilgeber:innen, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Und wo, wenn nicht in der Sozialwirtschaft, ist Diversität – themenbezogen, aber noch vielmehr bezogen auf die Menschen – hoch relevant? 

4. Netzwerken und Beziehungen: 

Barcamps bieten viel Gelegenheit zum Netzwerken. Die informelle Atmosphäre, das „Barcamp-Du“ und die Möglichkeit, sich aktiv in Diskussionen einzubringen, erleichtern es, neue Kontakte zu knüpfen und bestehende Beziehungen zu vertiefen. Netzwerk-, vor allem aber Beziehungsgestaltung...muss ich nicht vertiefen, oder? 

5. Geringe Kosten:

Barcamps sind oft kostengünstiger als herkömmliche Konferenzen. Man muss keine Referent:innen bezahlen (auch wenn eine Moderation von außen hilfreich ist, you can call me ;-), Man muss die Räume nicht wahnsinnig technisch ausstatten usw. Vielmehr leben Barcamps zum einen von der Partizipation der Teilgeber:innen (s.o.) und zum anderen vom „Werkstattcharakter“, dem „Unfertigen“, dem Gestaltbaren. Und weniger Kosten…muss ich nicht vertiefen, oder?

6. Informelle Atmosphäre: 

Herkömmliche Veranstaltungen sind oft sehr „förmlich“, während Barcamps eine entspannte, „informellere“ Atmosphäre bieten. Und falls Du an der Stelle Lust hast, kannst Du meinen Beitrag zur „dominierenden Informalität in sozialen Organisationen“ lesen. Hier, in Barcamps, ist die Informalität hochgradig funktional (was bei dominierender Informalität in der Gestaltung der Zusammenarbeit nicht immer der Fall ist). 

7. Wissensaustausch und Lernen: 

Die offene Natur von Barcamps fördert den Wissensaustausch und das gemeinsame, selbstbestimmte Lernen. Die Teilgeber:innen profitieren von den Ideen und Erfahrungen der anderen und in kurzer Zeit entsteht Verbindung, Verbundenheit und persönliche ebenso wie inhaltliche Netzwerke. Und das (neues) Lernen für Menschen in und soziale Organisationen insgesamt wichtig ist, kannst Du bspw. hier nachlesen. 

Warum Barcamps die Möglichkeit zum Umgang mit der VUCA-Welt sind

Was mich aber über all diese Punkte hinaus am Meisten fasziniert, ist die Möglichkeit, wie es in Barcamps gelingt, mit der uns alle beschäftigenden Komplexität umzugehen

Durch all die oben genannten Aspekte und Vorteile wird es möglich, komplexe Fragen so anzugehen, dass nicht unterkomplexe Antworten gegeben, sondern die Welle der Komplexität gemeinsam gesurft wird. Denn: 

Für fast alle Fragen, die Soziale Organisationen, Bildungseinrichtungen, Verwaltungen… aktuell bewegen (Fachkräftemangel, KI, Klima, Krieg, Einsparungen und Co.) gibt es nicht die eine richtige Antwort.  

Vielmehr sind diese Fragen nur gemeinsam, interdisziplinär und sektoren- bzw. innerhalb von Organisationen bereichsübergreifend anzugehen.

Komplexität zu bewältigen braucht Tests und Experimente.

Es ist auszuprobieren, es ist gemeinsam zu experimentierenwie eine bessere Zukunft gestaltet werden kann. 

Und aus den Ergebnissen, die in den Sessions der Barcamps entstehen, lassen sich genau diese „Experimente“ gestalten:

  • Es können sich neue Netzwerke ergeben – bspw. zum Thema „Nutzung von KI in der eigenen Organisation“.
  • Es können konkrete Lösungen erarbeitet werden – bspw. für spezifische Fragen.
  • Es kann aber auch ganz einfach Austausch stattfinden, der – vielleicht – im Sinne der Serendipität – zu neuen, bislang nicht gedachten Ideen und Lösungen führt.

Organisationsinterne Barcamps

Barcamps werden in den meisten Fällen entweder ganz offen angeboten (bspw. das Sozialcamp von damals…) oder häufig durch Verbände initiiert, die ihre Mitgliedseinrichtungen zu bestimmten Themen zusammenbringen wollen (siehe die Beispiele oben).

Es ist aber nicht nur möglich, sondern auch hochgradig sinnvoll, ein Barcamp innerhalb der eigenen Organisation – bspw. als Alternative zu einer klassischen Klausur – zu organisieren. Hilfreich dazu ist es, ein paar Schritte zu beachten:

  • Interesse wecken: Mitarbeiter:innen über die Idee und Grundanliegen eines Barcamps informieren um ihr Interesse zu wecken.
  • Organisationsteam bilden: Ein Team zusammenstellen, das die Veranstaltung planen und koordinieren kann.
  • Rahmenbedingungen schaffen: Einen geeigneten Ort und Zeitpunkt festlegen sowie die notwendige technische Ausstattung sicherstellen.
  • Teilnehmer einbinden: Die Mitarbeiter:innen dazu ermutigen, Themen für das Barcamp vorzuschlagen und abzustimmen, um eine relevante Agenda zu erstellen.
  • Kommunikation fördern: Die Teilgeber:innen aktiv dazu ermutigen, ihre Ideen und Meinungen während der Veranstaltung zu teilen.
  • Dokumentation: Alle Ergebnisse dokumentieren (und im Nachgang aufbereiten).
  • Feedback sammeln: Nach dem Barcamp Rückmeldungen sammeln, um Verbesserungen für zukünftige Veranstaltungen zu identifizieren.

Eine richtig gute Anleitung zur Organisation von einem Barcamp findet sich übrigens im lernOS Barcamp Leitfaden. Das lohnt sich wirklich.

Zukunft ermöglichen, oder: Warum Barcamps wichtig für die Entwicklung sozialer Organisationen sind

Auch wenn die Ausführungen für viele wahrscheinlich nicht besonders neu waren oder manche von Euch vielleicht schon Barcamps besucht haben, finde ich es relevant, immer mal wieder darauf zu verweisen, dass es Wege gibt, anders an übergreifende oder auch organisationsinterne Herausforderungen heranzugehen.

Und die Herausforderungen, die es heute und in Zukunft zu bewältigen gilt, sind enorm. Entsprechend plädiere ich hier, als eine Option, für die Barcamp-Methode.

Barcamps aber sollten keine exotischen „Experimente“ sein, sondern vielmehr zum Standardformat für Veranstaltungen werden, die zur Ermöglichung der Zukunft anregen

Ach ja, im Kleinen, im Team oder auch in organisationsinternen Netzwerken, lohnt sich auch ein Blick auf die Methode des „Lean Coffee“, um gemeinsam an neuen Ideen und der Entwicklung der Organisation zu arbeiten.

Warum wir verpflichtende Weiterbildung in der Sozialen Arbeit brauchen

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Kontinuierliche Weiterbildung in der Sozialen Arbeit ist und war schon immer relevant, um neue und sich ständig verändernde Anforderungen zu bewältigen.

Gefordert sind übergreifend Kompetenzen zur Zukunftssicherung der Organisationen und der Gesellschaft. Und spezifisch sind der Weiterentwicklung fachlicher Kompetenzen Kompetenzen für die Gestaltung der digitalen ebenso wie der ökologischen Transformation gefordert.

Diese “Future Skills” (s.u.), wie Innovationskompetenz, Transformationskompetenz oder auch Unsicherheitsbewältigungskompetenz, sind schon jetzt und werden zukünftig unabdingbar. Aus der Herausforderung kontinuierlicher Weiterbildung in der Sozialen Arbeit ist insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels eine Notwendigkeit geworden. 

Mit Blick auf das Angebot und der Wahrnehmung von Weiterbildung in der Sozialen Arbeit zeigen sich jedoch einige Paradoxien und Herausforderungen. Diese wollen wir hier skizzieren und Ideen zeigen, wie diesen Herausforderungen begegnet werden kann. Am Ende bleiben aber, wie so oft, mehr Fragen als Antworten.


von Prof. Dr. Berthold Dietz und Hendrik Epe


Paradoxien bzgl. der Wahrnehmung von Weiterbildung in der Sozialen Arbeit

Noch einmal: Weiterbildung in der Sozialen Arbeit ist notwendig. Es zeigen sich jedoch mindestens drei paradoxe Szenarien, die wir im folgenden näher beschreiben:   

1. Schere zwischen der Relevanz und der Wahrnehmung von Weiterbildung

Branchenübergreifend zeigt sich, dass – obwohl die Zustimmung der Arbeitnehmer:innen wie der Arbeitgeber zur Notwendigkeit “lebensbegleitenden Lernens” enorm hoch ist – die Wahrnehmung von Weiterbildungsangeboten hinter den Weiterbildungsbedarfen zurückbleibt (vgl. bspw. cedefop, 2022). 

Es ist davon auszugehen, dass diese Diskrepanz auch in den Sozialen Berufen existiert. Dies ist gerade mit Blick auf die Qualifikation von Leitungskräften interessant: 

Der Weiterbildungsbedarf nimmt auf höheren Qualifikationsebenen eher zu. So sieht – in der Theorie – der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) bzw. der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR) für Leitungskräfte bspw. das Level 7 (Master-Niveau) vor. Ähnlich werden Leitungskompetenzen auch im “Qualifikationsrahmen Soziale Arbeit” (vgl. Fachbereichstag Soziale Arbeit, 2016) nicht auf Bachelor-, sondern auf Master-Level verortet.

Unsere (nicht verifizierte) These lautet, dass eine Umsetzung und Anerkennung dieser höheren Qualifikationsstufen in der beruflichen Realität nicht (umfassend) berücksichtigt wird. 

So zeigt die Erfahrung in den Sozialen Organisationen, dass die Besetzung von Führungspositionen (bspw. auf Team- oder Abteilungsebene) nicht zwingend an eine Höherqualifizierung gekoppelt ist. Insbesondere in kleineren und mittelgroßen Einrichtungen fehlen darüber hinaus (aus unterschiedlichen Gründen) interne Qualifizierungsprogramme für Führungskräfte. Eine Verpflichtung zur Wahrnehmung von externen Weiterbildungsangeboten (bspw. des Sozialmanagements) findet sich ebenso wenig. 

2. Der Hype-Effekt und das Dilemma der Themenjagd

Weitergehend zeigt sich mit Blick auf die Weiterbildungsangebote rund um die Soziale Arbeit und das Sozialmanagement, dass deren Vielfalt scheinbar grenzenlos ist. 

Dabei fokussieren viele Angebote jedoch über das Bedienen von “Managementmoden”,   verstanden als “breit geteilte Vorstellungen darüber, wie (…) Verbände besser organisiert werden können” (Kühl, 2022), auf die Jagd nach Teilnehmer:innen, statt grundlegende, wissenschaftlich fundierte Angebote zur Entwicklung moderner, aber basaler Kompetenzen bereitzustellen. 

Ein auffälliger Aspekt der aktuellen Weiterbildungslandschaft lässt sich als „Hype-Effekt“ definieren: 

Themen, die für Aufsehen sorgen und als reißerisch gelten, dominieren oft die Diskussion. Weiterbildungsangebote zu “Managementmoden” werden erfolgreich kommuniziert und es scheint, als wären Weiterbildungsanbieter nur auf der Jagd nach den neuesten Trends zu sein, um Aufmerksamkeit zu erregen.

Während diese Strategie kurzfristig (wirtschaftlich) erfolgreich sein kann, bleiben die oftmals komplexen Grundlagen der Sozialen Arbeit und des Sozialmanagements auf der Strecke. Fundamentale, grundlegende Weiterbildungsthemen geraten in den Hintergrund und werden vernachlässigt.

3. Weiterbildung in der Sozialen Arbeit ist Privatsache

Trotz des Wandels der Arbeitswelt und der Notwendigkeit kontinuierlicher Weiterbildung hält sich mit Blick auf die Sozialwirtschaft – etwas überspitzt formuliert – die traditionelle Ansicht hartnäckig, dass Weiterbildung Privatsache ist. 

Es gibt, und hier bestätigen die Ausnahmen die Regel, kaum systematische Förderung durch Verbände und Organisationen – und dies, obwohl in vielen Arbeitsfeldern Weiterbildungen wie bspw. systemische Beratungskompetenzen explizit vorausgesetzt werden. 

Ein Grund dafür ist, dass “Weiterbildungsaktivitäten in Einrichtungen der Sozialen Arbeit oftmals nur unzureichend in das Managementhandeln von Leitungskräften eingebunden” (Gesmann, 2022, 1f) sind. Daraus resultiert ein Dilemma: 

Obwohl die Arbeitsanforderungen immer komplexer werden, fehlt es oft an Anreizen und formalen Strukturen, um Weiterbildung in den aufgrund des Fachkräftemangels sowieso schon vollen Arbeitsalltag der Fach- und Führungskräfte zu integrieren. 

Gesmann sieht hier die Notwendigkeit der Implementierung eines “systemischen Weiterbildungsmanagements in Organisationen der Sozialen Arbeit” (vgl. 2022). Dieses muss sich explizit “nicht nur an der sich weiterbildenden Fachkraft, sondern zugleich am strukturell gekoppelten sozialen System (i. d. R. dem jeweiligen Team des*der Einzelnen)” (ebd., 164) orientieren mit dem Ziel, “nicht nur (…) einen Transfer I. Ordnung (im Sinne der klassischen Anpassungslogik) zu evozieren, er strebt zudem einen Transfer II. Ordnung an, soll also einen Nährboden schaffen, um individuell erfahrene Irritationen auch zur kontrollierten Destabilisierung vorhandener Kommunikations- und Entscheidungsmuster nutzen zu können (Transfer II. Ordnung)” (ebd.). 

Ein entsprechendes Weiterbildungsmanagement hängt jedoch wiederum an den beiden zentralen Ressourcen Zeit und Geld – im Bilden von Anreizstrukturen (Fachkräftebindung) genauso wie in der Mitarbeitenden- und Organisationsentwicklung. 

Beides ist unserer Meinung nach extrem unterschätzt. Vielmehr besteht der Verdacht (der mangels belastbarer Umfragedaten ein Verdacht bleiben muss, wenn auch “erhärtet”), dass Personalverantwortliche trotz des Fachkräftemangels keine Weiterqualifizierung finanzieren wollen, die danach durch Weggang der Fachkraft anderen Organisationen zugute kommen könnte. 

Und vielleicht wiegt sogar der Aspekt noch höher, dass der Transfer II. Ordnung – die Destabilisierung des bekannten Systems – Ängste hervorruft, die durch die Versagung von Weiterbildung vermieden werden.  

Entweder ist der Personaldruck noch nicht hoch genug und wird noch durch Arbeitsverdichtung kompensiert und an die Mitarbeitenden weitergegeben (was wiederum der Wahrnehmung von Weiterbildung entgegen wirkt), oder aber der Wert von individueller und gleichzeitig organisational gesteuerter Weiterbildung wird unterschätzt. Die Fantasie zur Mitarbeitendenentwicklung reicht noch nicht aus, um sich eine Investition in das eigene Personal mit allen Kosten, aber eben auch Mehrwerten und Gewinnen für die Organisation vorstellen zu können – auch wenn die Mehrwerte und Gewinne nicht kurz-, sondern eher mittel- und langfristig sichtbar werden. 

Den Aspekt der “Weiterbildung als Privatsache” abschließend ist der Blick auf die Möglichkeit, gesetzliche Ansprüche auf Weiterbildung geltend zu machen (bspw. Bildungsurlaub), interessant: 

Eine nicht verifizierte Annahme dazu könnte lauten, dass die tatsächliche Inanspruchnahme dieser Rechte insbesondere in der Sozialen Arbeit weit unter dem europäischen Durchschnitt liegt. Branchenübergreifend ist – trotz schlecht vergleichbarer Datenlage – etwa bei Eurostat bekannt, dass Deutschland im Vergleich eher unterdurchschnittlich in Bildung investiert (Quelle: Eurostat: Online-Datenbank: Öffentliche Ausgaben für Bildung in % des BIP (03/2019), Öffentliche Ausgaben für Bildung in jeweiligen Preisen (09/2018); zitiert nach https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/europa/135809/oeffentliche-bildungsausgaben/). 

Man könnte, etwas überspitzt, formulieren, dass das Land der Dichter und Denker in Wahrheit eher das “Land der schlichten Gelenkten” ist, die sich nicht aktiv, selbstbestimmt und autonom um ihre Entwicklung bemühen. Mit den Worten von Konstantin Sakkas formuliert:

“Denn wir waren nie ein Volk von Dichtern und Denkern, sondern höchstens ein Volk mit überdurchschnittlich vielen Dichtern und Denkern – die sich in Deutschland allerdings (…) nur selten richtig wohl fühlten.” 

(Sakkas 2010)

Und Sakkas ist sicherlich nicht der Erste und nicht der Einzige, der Deutschland Bildungsfeindlichkeit attestiert, womit nicht nur das Fehlen von Kita-Plätzen und der Zustand von allgemeinbildenden Schulen gemeint ist, sondern auch das Bild von Bildung und Lernen und damit auch das Bild von Weiterbildung im Erwachsenenalter. Hierbei spielt wahrscheinlich auch die Unsicherheit über die Durchsetzbarkeit und die fehlende Information und Sensibilisierung von Arbeitnehmenden ebenso wie der Beschäftigenden eine Rolle.

Weiterbildungsverhalten und passgenaue Angebote?

Die Forschung unterscheidet zwischen allgemeiner Erwachsenenbildung (z. B. der klassische VHS-Kurs) und berufsbedingter, betrieblicher Fort- und Weiterbildung (entwickelt und angeboten durch Arbeitgeber oder Verband). Beide Weiterbildungsbedarfe sind nicht steuerbar und sind hier nicht von Interesse, weil sie entweder stark auf persönliche oder betriebliche Belange zugeschnitten sind. 

Was uns insgesamt in der Sozialwirtschaft jedoch interessieren sollte, in Zeiten chronischer Personalprobleme (nicht nur) in Kitas und Pflegeheimen sowie des sich vollziehenden Generationenwechsels durch den demografischen Austritt der geburtenstarken Boomer aus der Arbeitswelt – Antworten auf die schlichte Frage, wie und welche sozialen Angebote aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln sind. 

Seitens der Angebote betrifft es nicht die Orchideenfotografie, die von Bildungsskeptischen gerne als ”Argument” gegen eine flächendeckende, allgemeine Förderung von Fort- und Weiterbildungen angeführt wird. 

Die Leute sollen ihre Arbeit machen, in Zeiten der Bildung fehlen sie in den Teams und kommen nur auf komische Gedanken, die betrieblich für Unruhe sorgen (siehe Transfer II. Ordnung). Machen wir uns nichts vor: Hand hoch, wer nicht auch damit rechnet, dass solche Steinzeit-Einstellungsmuster noch existieren.

Wer die Hand unten behält, macht entweder positivere Erfahrungen mit Personalverantwortlichen und/oder ist mit qualifizierteren Bedenken konfrontiert: “Wie vereinbare ich Arbeitszeit, Familienzeit und Bildungszeit?” Mache ich diese spezielle Fortbildung zu Konfliktmanagement oder zu systemischer Beratung, dann bin ich u. U. in einer erheblich leichteren Verhandlungsposition gegenüber meinen Vorgesetzten. 

Schwierig wird es in der Kategorie “individuelle, berufsbezogene Weiterbildung”, also dem Weiterbildungssegment, welches nicht unmittelbar der aktuellen Tätigkeit, sondern der persönlichen Entwicklung im gewählten Beruf in einem breiteren Sinne entspricht. 

Die Weiterbildungsbeteiligung in diesem Segment ist zugunsten der direkten betrieblichen Fortbildung zwischen 2012 und 2020 deutlich zurückgegangen, anteilig von 13% zu nur noch 8% an allen Weiterbildungsaktivitäten (BMBF 2023:22). Sicherlich kann in der Folge ein Pandemie-Effekt nicht geleugnet werden, der angesichts allgemeiner Verunsicherung alles Zukunftsweisende einer strengen Effizienzbewertung unterzog, aber der Zug in Richtung Vereinbarkeit, Passgenauigkeit und unmittelbarer Verwertbarkeit fuhr schon viel früher ab.

Analysiert man das Weiterbildungsverhalten und fragt nach den Gründen der Nichtteilnahme bei Weiterbildungswilligen, so stehen zwei Hinderungsgründe im Vordergrund: Finanzierung und familiäre Gründe.

Geht man hier weiter in die Tiefe, so zeigt sich ein gravierender Geschlechterunterschied. Während nur 22% der sich nicht weiterbildenden Männer als Hinderungsgrund familiäre Gründe geltend machen, geben diese als Haupthinderungsgrund über 45 % der Frauen an (Quelle: Eurostat, Online Datencode: TRNG_AES_176__custom_7271573; letzte Aktualisierung: 08/06/2023 23:00; Daten für 2016). 

Bei den Kosten als Haupthinderungsgrund ist das Geschlechterverhältnis 27% (m) zu 37% (w) (Quelle: Eurostat, Online Datencode: TRNG_AES_176__custom_7271935; letzte Aktualisierung: 08/06/2023 23:00).

Kurz und vereinfachend gesagt spielen also auch hier Betreuungssituation wie auch Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten bzw. der Gender Pay Gap eine nicht unwesentliche Rolle. Was beides für das Weiterbildungsverhalten mit Blick auf mehrmonatige Programme mit institutionellem Abschluss bedeutet, liegt auf der Hand, wenn man weiß, wie hoch der Anteil von Frauen in sozialen, erzieherischen und pflegerischen Berufen ist.

Handlungsoptionen zur Steigerung der Wahrnehmung von Weiterbildung in der Sozialen Arbeit

Das Darlegen von (teils offensichtlichen) Herausforderungen allein ist selten ausreichend für gelingende Veränderung. Vielmehr braucht es das Aufzeigen von Möglichkeiten, wie den Herausforderungen begegnet werden kann. Einige dieser Möglichkeiten bezogen auf die Weiterbildung in der Sozialen Arbeit werden im Folgenden dargelegt.

Die Vielfalt der Angebote und ihre Grenzen

Trotz der Vielfalt an Weiterbildungsangeboten stellt sich die Frage, ob diese Vielfalt ausreicht, um den aktuellen Anforderungen gerecht zu werden?

Braucht es in einer Zeit, in der sich die Anforderungen rasch ändern, nicht vielmehr ganz neue Herangehensweisen an Weiterbildung, wenn klassische Weiterbildungsmodelle an ihre Grenzen stoßen?

Zum einen ist gegen die Angebotsvielfalt grundsätzlich wenig einzuwenden. Diese “belebt das Geschäft” und fördert das Zustandekommen von innovativen Ansätzen und Inhalten. Hinzu kommt, dass sich die Weiterbildungsnotwendigkeiten aufgrund der eingangs geschilderten gesellschaftlichen und organisationalen Wandlungsprozesse ebenfalls kontinuierlich wandeln und entwickeln. 

Zum anderen ist das oftmals klassisch strukturierte “zur Verfügung stellen” der Angebote zu hinterfragen. Anstatt lang andauernder, mit hohen Kosten und Aufwand verbundener „Komplettpakete“ könnten von Seiten der Anbieter der Weiterbildungen innovative Ansätze wie „Weiterbildungs-Primes“ in Betracht gezogen werden:

Ähnlich wie ein Abonnement oder ein exklusives Angebot könnten Weiterbildungs-Primes auf die Bedürfnisse von Fachkräften zugeschnitten und sofort verfügbar sein.

So liegt, jenseits der gehypten Angebote, die es in einem Weiterbildungsmarkt immer geben wird, das Hauptaugenmerk auf den Kriterien Transparenz, Dauer und Kosten. Weiterbildungswillige wie Beschäftigende wollen wissen, was sie vom Bildungsinvestment haben. Dies gilt umso mehr für Weiterbildungsangebote, die mehr der längerfristigen, individuellen Entwicklung als einer kurzfristigen, unmittelbaren Tätigkeitsverwertung entsprechen. Programme, die von mehrmonatiger Dauer sind und auf Jahre konzipiert und akkreditiert werden, sind nur bedingt in der Lage, darauf zu reagieren.

Wir müssen in kleineren Häppchen – den Weiterbildungs-Primes – denken, auch um damit den Bildungsteilnehmenden die Möglichkeit zu geben, auf ihre Weiterbildung gestalterisch Einfluss zu nehmen und sich ihr individuelles Bildungspaket zusammenzustellen.

Bildung muss wie andere meritorische Güter (wie Information, Gesundheitsversorgung oder Kultur) verfügbar sein, wie und wann ich sie brauche, bzw. wie sie in mein Leben passt. Das klingt nach einem konsumistischen Credo, ist aber in erster Linie ein Anspruch, mehr und positivere Bildungserfahrungen zu ermöglichen. Diese braucht es zwingend, um „lebenslang“ weiterzulernen und weiterzukommen.

New Social Work braucht New Social Learning braucht Organisationsentwicklung

„New Learning“ (vgl. näher dazu Foelsing und Schmitz, 2021) lässt sich als Konzept definieren, das auch in der Sozialen Arbeit aus zwei Perspektiven eine wichtige Rolle spielen sollte. 

New Learning lässt sich a) individuell in der Frage zusammenfassen, wie es gelingen kann, selbstgesteuerte und autonome Ansätze des Lernens und zur Gestaltung der eigenen Lernumgebung und -inhalte zu schaffen. Mehr zum Thema New Learning kannst Du auch hier nachlesen.

Gleichzeitig stellt New Learning die Frage, wie es b) den Organisationen der Sozialen Arbeit gelingen kann, “Lernökosysteme” zu schaffen, die weit über klassische Lernsettings wie bspw. das “Wissensmanagement” hinausgehen. 

New Learning greift die Ideen des oben skizzierten “systemischen Weiterbildungsmanagements” auf und erfordert aus beiden Perspektiven – individuell wie organisational – ein Umdenken: 

Zum einen sind die Beschäftigten der Sozialen Arbeit gefordert, sich mit Lernen, Bildung und damit auch der Weiterbildung zu befassen. Es reicht heute und in Zukunft nicht mehr aus, eine Ausbildung oder ein Studium zu absolvieren und darauf zu hoffen, dass damit dann auch “Schluss mit Lernen” ist. Vielmehr gilt es, ein (neues) Bewusstsein lebensbegleitenden Lernens zu schaffen. Dieses muss über die alle paar Jahre stattfindende Wahrnehmung klassischer, von der Organisation verordneter Weiterbildungsangebote hinausgehen. Es geht darum, eine Haltung zu selbstbestimmtem Lernen und Weiterbildung zu schaffen, die es ermöglicht, selbstbestimmt und autonom eigene Lernoptionen zu finden, zu nutzen und auch zu gestalten. Diese Perspektive könnte die Vermutung nahelegen, dass Weiterbildung damit wieder “ins Private” abgeschoben wird. Das ist aber nicht zielführend.

Entsprechend sind zum anderen die Organisationen der Sozialen Arbeit gefordert, Lernen, Bildung und damit auch Weiterbildung zu einem der heute und in Zukunft wichtig(st)en strategischen Thema zu machen. Organisationen der Sozialen Arbeit sind gefordert, ihren Mitarbeitenden ein Lernökosystem bereitzustellen, das selbstgesteuertes, autonomes Lernen nicht nur ermöglicht, sondern explizit fördert. 

Diese Lernökosysteme gehen jedoch über klassische Maßnahmen – wie bspw. dem Angebot eines Weiterbildungskatalogs – hinaus. Lernökosysteme umfassen bewusst gestaltete, zum Lernen einladende Räumlichkeiten, Möglichkeiten der Wahrnehmung von internen wie externen und digitalen wie analogen Angeboten, das Nachhalten der Wirksamkeit der Lernaktivitäten der Mitarbeitenden ebenso wie eine veränderte Einstellung zur Weiterbildung der Führungskräfte (und vieles mehr, vgl. ebd., 309ff). 

Lernökosysteme betreffen damit das Organisationsdesign sozialer Organisationen, von den Kommunikationswegen über die Gestaltung der Regeln und Prozesse bis hin zur Frage der Einstellung von Personen.

Über die Ausrichtung der Formalstruktur der Organisationen auf die Ermöglichung von Lernen besteht die Hoffnung, perspektivisch eine oftmals gewünschte „Lernkultur“ nicht nur auszurufen, sondern tatsächlich zu ermöglichen.

Die Herausforderung des Ungewissen – oder: Wie lange können wir uns die Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit noch leisten?

Schließlich stellt sich die Frage nach Ausrichtung und Qualität existierender Weiterbildungsangebote. 

Oft basieren viele Angebote auf gesicherten Wissens- und Kompetenzbeschreibungen. Alle Spezialisierungen und unmittelbaren Tätigkeitsverwertungen sind Schritte in eine fachliche Zementierung, in der alle ihren Arbeitsplatz in gut funktionierenden Prozessen haben. 

Die Realität jedoch ist längst eine andere: 

Es herrscht Mangel, Arbeiten am Limit, permanente Improvisation zum Bewältigen von Unterbesetzungen und zunehmender Ausfälle. Wir befinden uns zudem in Transformationsprozessen größerer und größter Art. 

Es sind nicht nur die Bedarfe, mit denen die Strukturen einer “industriellen” Sozialwirtschaft nicht mehr Schritt hält. Es sind die Strukturen der Organisationen wie die Strukturen des Funktionssystems Sozialwirtschaft selber, die sich nicht als zukunftstauglich erweisen. 

In einer sich schnell entwickelnden Welt ist das Lernen am Ungewissen, das Auseinandersetzen mit “Noch-nicht-zu-Ende-Gedachtem”, von entscheidender Bedeutung. Die Fähigkeit, mit Unsicherheiten umzugehen und kreativ zu denken, wird zunehmend wichtiger. 

An dieser Stelle ist wiederum auf die Implementierung der “Future Skills” zu verweisen und zu fragen, wie es gelingen kann, einerseits wissenschaftlich fundierte Angebote bereitzustellen, die zukunftsfähiges Lernen ermöglichen und andererseits notwendige Entwicklungen der Weiterbildungsangebote aufgrund von einem “Festhalten am Alten” nicht zu verschlafen? 

Insbesondere im hochschulischen Kontext – beim Angebot bspw. von Master-Studiengängen – regen wir an, die trotz der Regulierungen durch bspw. die Akkreditierung vorhandenen Freiheiten und Möglichkeiten zu nutzen und das “noch nicht zu Ende gedachte” in die Entwicklung und Umsetzung der Weiterbildungsangebote aufzunehmen. 

Über dieses Vorgehen kann ganz praktisch und hautnah “agiles Arbeiten” erlebt werden: Über Annahmen und Hypothesen lassen sich auch in bestehenden Weiterbildungsangeboten Experimente machen und neue Wege gehen. Diese Experimente sind – das ist relevant – regelmäßig zu reflektieren, um aus den Erfahrungen zu lernen und fundierte Weiterentwicklung zu ermöglichen. 

Fazit: Den Spagat meistern

“Nachtigall, ick hör Dir trapsen!” 

Da schreiben zwei Menschen, die selbst in die Entwicklung und Durchführung von Weiterbildung in der Sozialen Arbeit aktiv eingebunden sind, über das Scheitern des Systems. Sie plädieren für die Notwendigkeit von Weiterbildung und für die Implementierung von “systemischem Weiterbildungsmanagement”. Sie kritisieren die Vielfalt an Hype-Angeboten und bieten gleichzeitig selbst “Schauseiten-Weiterbildungen” zu abgefahrenen Themen wie “New Social Work”, “OKR in der Sozialwirtschaft” oder “Agilem Arbeiten in Sozialen Organisationen” an (ich, Hendrik ;-)) bzw. sind als Leiter eines berufsbegleitenden Masterstudienganges ein klassischer Vertreter klassischer tertiärer institutioneller Angebote, die man sich zeitlich und finanziell erst einmal leisten können muss (ich, Berthold ;-)). 

Da ist doch ein Haken, oder? Das kann doch nicht ganz uneigennützig sein? 

Ja, stimmt. Der wesentliche Haken, den wir sehen, ist, dass es deutlich mehr Fragen als eindeutige Antworten gibt, was sich auch im vorliegenden Beitrag niederschlägt. 

Ein Aspekt liegt uns aber am Herzen, der sich in der folgenden Frage manifestiert: 

“Wie kann es gelingen, die für die Zukunft einer lebenswerten Gesellschaft hoch relevante Soziale Arbeit in all ihren Facetten so zu unterstützen, dass sie ihrem eigenen Anspruch heute und in Zukunft gerecht werden kann?”

Dieser Anspruch zeigt sich in der internationalen Definition Sozialer Arbeit: 

“Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung  von Menschen.” 

(IFSW 2014)

Der Anspruch ist hochgradig komplex und die skizzierten Paradoxien in der Weiterbildungslandschaft spiegeln die Komplexität der Sozialen Arbeit und übergreifend der modernen Arbeitswelt wider. 

Es gilt, die Balance zwischen aktuellen Trends und fundierter Bildung, zwischen individueller Verantwortung und systematischer Unterstützung zu finden. Nur so können Fachkräfte in der Lage sein, den Herausforderungen der Zukunft souverän zu begegnen und ihre Fähigkeiten kontinuierlich weiterzuentwickeln.

Um diesen komplexen Herausforderungen auch zukünftig begegnen zu können, geben wir abschließend noch eine Frage mit: 

Muss, vor dem geschilderten Hintergrund, Weiterbildung in der Sozialen Arbeit verpflichtend sein? 

Wir denken, dass einiges dafür spricht. 


Wie sind Deine Eindrücke bzgl. der Weiterbildung in der Sozialen Arbeit? Schreib uns diese gerne hier in die Kommentare oder per Mail!


Literatur: 

Drei Thesen für gelingende Digitalisierung in Organisationen der Sozialen Arbeit

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Spätestens seit der Pandemie sollte klar sein, dass diese „Digitalisierung“ hilfreich, vor allem aber nicht mehr wegzudenken ist. Videokonferenzen, digitale Kommunikation, Vernetzung, effiziente Prozesse mit daraus resultierender Arbeitserleichterung und vieles mehr sprechen für digitale Entwicklungen auch in der Sozialwirtschaft bzw. spezifischer: in Organisationen der Sozialen Arbeit. Und trotzdem geht es mit der Digitalisierung in Organisationen der Sozialwirtschaft nicht (wirklich) voran. Warum ist das so? Was braucht es für gelingende Digitalisierung in Organisationen der Sozialen Arbeit? Darauf will ich hier eingehen.

Aber muss dieser Beitrag in Zeiten von AI, in Zeiten von augumented intelligence, wirklich sein? Haben nicht wirklich langsam alle verstanden, dass es keinen Weg zurück, an digitalen Entwicklungen vorbei, gibt? Doch, schon, aber trotzdem.

So basiert dieser Beitrag darauf, dass ich in vielen Veröffentlichungen, bspw. in den sozialen Medien, immer wieder lese, dass „Digitalisierung (in) der Sozialen Arbeit helfen kann“, aktuelle und zukünftige Herausforderungen Sozialer Arbeit zu lösen.

Das ist mir deutlich zu undifferenziert, da ich in den Organisationen, Einrichtungen und Teams, in denen ich unterwegs sein darf, an vielen Stellen eine zunehmende „Digitalisierungsskepsis“ wahrnehme.

Echte, tiefgreifende Verbesserungen der eigenen Arbeit durch Digitalsierung haben sich – so die Wahrnehmung vieler Fachkräfte – häufig nicht ergeben. Das Versprechen, mehr Zeit für die Klient:innen zu haben, für die eigentliche Soziale Arbeit, für die Arbeit mit den Menschen, hat sich häufig nicht eingelöst.

Und leider viel zu hautnah musste ich in den letzten Wochen ambulante Pflegekräfte eines modernen Verbands erleben, die sehr bewusst Stift und Papier zur Dokumentation verwenden. Auf die Frage „Warum denn nicht digital?“ kam die sehr nachvollziehbare Rückmeldung:

„Stift und Papier funktioniert immer, schnell und sicher, auch bei sauerländischen Funklöchern“.

Aber:

Was ist Digitalisierung eigentlich?

Boah, echt jetzt? Schon wieder diese Grundsatzdebatte? Ganz ehrlich Hendrik, kauf dir’n Buch.

Zum Beispiel:

  • Beranek, Angelika; Hill, Burkhard & Sagebiel, Juliane Beate (2019): Digitalisierung und Soziale Arbeit – ein Diskursüberblick. In: Soziale Passagen 11(2), 225-242.
  • Hagemann, Tim (Hrsg.): Gestaltung des Sozial- und Gesundheitswesens im Zeitalter von Digitalisierung und technischer Assistenz. Veröffentlichung zum zehnjährigen Bestehen der FH der Diakonie. Baden-Baden: Nomos.
  • Kreidenweis, H. (2018, Hrsg.): Digitaler Wandel in der Sozialwirtschaft. Grundlagen – Strategien – Praxis. Baden-Baden: Nomos.
  • Kreidenweis, H. (2020): Sozialinformatik. Digitaler Wandel und IT-Einsatz in sozialen Organisationen, 3., überarbeitete Auflage. Baden-Baden: Nomos.
  • Kutscher, N. et. Al. (2020, Hrsg.): Handbuch Soziale Arbeit und Digitalisierung. Weinheim: Beltz Juventa.
  • Pölzl, A., Wächter, B. (2019): Digitale (R)Evolution in Sozialen Unternehmen. Praxis-Kompass für Sozialmanagement und Soziale Arbeit. Regensburg: Walhalla.
  • Wunder, M. (2021, Hrsg.): Digitalisierung und Soziale Arbeit. Transformationen und Herausforderungen. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.

Das ist nur eine Auswahl der vielfältigen Veröffentlichungen rund um das Thema „Digitalisierung in der Sozialen Arbeit“ der letzten Jahre.

Und ja, in den Veröffentlichungen stehen wichtige, spannende, richtige Aspekte rund um das Thema. Es lohnt sich, sich auf Basis von Literatur mit dem Thema zu befassen.
Oder anders, deutlich schöner, ausgedrückt:

„Nichts verscheuchte böse Träume schneller als das Rascheln von bedrucktem Papier.“ (Cornelia Funke)

Unklar ist aber immer noch, was denn Digitalisierung jetzt genau ist, oder hast Du Dich erstmal hingesetzt und die Bücher gewälzt? Nein? Ach…

Und damit kommen wir schon zur These 1, was es für gelingende Digitalisierung in Organisationen der Sozialen Arbeit braucht:

These 1: Gelingende Digitalisierung braucht klare Erwartungen

Was ist New Work? Was ist Innovation? Jede:r hat zu diesen Begriffen Bilder im Kopf, jede:r kann etwas zu dem Thema sagen und kann – meinungsstark – seine eigene Position vertreten. Und bei Digitalisierung ist es genauso:

Jede:r hat eine Vorstellung dessen im Kopf, was „Digitalisierung“ bedeutet.

Das ist super, wenn man den Party-Smalltalk am Laufen halten will:

„Und, wie steht es um die Digitalisierung in Eurer Einrichtung?“

Da flutscht das Gespräch!

Und aller Wahrscheinlichkeit nach versteht man sich auch gut, da die Diskussion von A wie Algorithmen bis Z wie Zukunft mäandern kann, ohne an der ein oder anderen Stelle über die Ufer treten zu müssen.

In Workshops zur Entwicklung von Digitalstrategien nutze ich zu Beginn gerne die Übung, dass jede:r einmal „sein“ Digitalisierungsalphabet aufschreibt: A wie Alphabet, B wie Bits und Bytes, C wie Computer, D wie Datenverlust… Dabei wird deutlich, dass jede:r sehr eigene und häufig sehr andere Erwartungen an das hat, was Digitalisierung im Allgemeinen und im Spezifischen bezogen auf die eigene Organisation ist bzw. bringen soll.

Wenn jedoch die einen die Hoffnung von Digitalisierungsbemühungen auf die Vereinfachung bestehender Prozesse (bspw. zur Pflegedokumentation) legen, sich die anderen endlich mal für die Employer Branding Kampagne in Social Media vertreten sehen wollen und die Dritten neue, digitalisierte Geschäftsmodelle oder die sinnvolle Nutzung sog. „künstlicher Intelligenz“ erhoffen, wird es schwierig, ein gemeinsames Verständnis, geschweige denn eine gemeinsame, sinnvolle, umsetzbare Strategie zu entwickeln.

Hinzu kommt, dass die verschiedenen Erwartungen an „die Digitalisierung“ nur zu enttäuschen sind, sofern diese nicht vorab geklärt werden.

Was kann getan werden?

Entsprechend ist dies der erste Schritt: Es sind die Erwartungen an die Digitalisierungsbemühungen zu klären. Darüber kann partizipativ ein gemeinsames Verständnis dessen geschaffen werden, was durch „die Digitalisierung“ ganz spezifisch in der eigenen Organisationen erreicht werden soll und kann.

Dieses „kann“ ist relevant, denn: Möglich ist vieles, realistisch umsetzbar deutlich weniger und funktional für die Organisation sind vielleicht nur wenige, kleine Schritte, die aber echte Veränderung im Kleinen bewirken.

Die kleinen, häufig nicht für alle Mitglieder der Organisation gleichermaßen sichtbaren Fortschritte sind immer wieder zu kommunizieren, damit nicht der Eindruck entsteht, „viel Lärm um nichts“ zu machen.

These 2: Gelingende Digitalisierung braucht ein Verständnis für die Notwendigkeit der Formalisierung durch Digitalisierung

Digitalisierung formalisiert – immer! Klingt komisch, ist aber recht einfach erklärt:

Die Einführung eines Messengers zur Kommunikation mit den Klient:innen kann nicht der Entscheidung einzelner Organisationsmitglieder und ebensowenig der Entscheidung einzelner Teams oder Organisationseinheiten überlassen werden. Genauso kann nicht jedes Team, bspw. in der ambulanten Pflege, individuell entscheiden, ob sie Programm X oder Y zur digitalen Dokumentation nutzen oder ob sie doch lieber weiterhin analog, mit Stift und Papier, dokumentieren.

Digitalisierung erfordert formale Entscheidungen, die Gültigkeit für die Gesamtorganisation besitzen.

Richtig spannend wird es beim Dokumentenmanagement: Sofern die Organisation einheitliche, formal vorgegebene Prozesse der Pflege, Bearbeitung, Ablage usw. von Dokumenten anstrebt, sind alle (!) Mitarbeiter:innen gefordert, die Vorgaben einzuhalten.

Das ist mehr als nervig, wenn es vorab eine „Kultur der dominierenden Informalität“ gab und jede:r irgendwelche Dokumente irgendwie ändern und irgendwo „ablegen“ konnte.

Zur Erläuterung: Informalität lässt sich als das „Netzwerk bewährter Trampelpfade, die in Organisationen immer wieder beschritten werden“ (Kühl, 2010) definieren.

Eine Kultur der dominierenden Informalität bedeutet entsprechend, dass die Einhaltung formaler Vorgaben als weniger wichtig erachtet wird als das Netzwerk der bewährten Trampelpfade bzw. die erwarteten, spontanen, individuellen, nicht formal geregelten und damit eben informellen Entscheidungen von Individuen und Teams.

Meine These ist, dass eine Kultur der dominierende Informalität in sozialen Organisationen vorherrschend ist und diese Kultur Veränderungsbemühungen erschwert.

Überspitzt formuliert wird erwartet, dass Mitarbeiter:innen und Teams spontan, aus Erfahrung und Intuition, basierend auf den eigenen Vorlieben und „gefühlten Notwendigkeiten“, anstatt basierend auf Vorgaben der Organisationen, festgelegten Prozesse oder gar „Ansagen von oben“ zu agieren.

Um nur ein Beispiel zu nennen, zeigt sich die dominierende Informalität in der verhältnismäßig geringen Bedeutung eines standardisierten Qualitätsmanagements in sozialen Organisationen. Ohne hier in die Tiefe zu gehen, weist bspw. Grunwald darauf hin, dass Vorstellungen eines rein standardisierten Qualitätsmanagements dazu führen, dass QM als die notwendigen informellen Handlungsspielräume beschneidend erlebt wird und die Befürchtung besteht, dass Strategien und Verfahren „zu sinnentleerten Qualitätsmanagement-Routinen werden, womit die potentiellen Chancen einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema Qualitätsmanagement und seiner möglichen Bedeutung für die eigene Organisation verspielt werden“ (2018, 618).

Meine These der „dominierenden Informalität sozialer Organisationen“ findest Du tiefer ausgearbeitet unter dem Link.

Aber:

Die Informalität (im Gegensatz zur Formalität) sozialer Organisationen muss nicht immer schlecht sein. In vielen Fällen ist informelles Handeln hoch funktional, insbesondere für soziale Organisationen:

Die Komplexität sozialer Arbeit erfordert spontane Entscheidungen, ein hohes Maß an intrinsischer Motivation, kreatives und individuelles, auf Beziehung setzendes Vorgehen. Entsprechend sinnvoll sind „agile Organisationsdesigns“ oder die Entwicklung selbstbestimmt agierender Teams in und für soziale Organisationen.

Aber eine Kultur, in der die Erwartung des Treffens individueller Entscheidungen vor der Erwartung des Einhaltens von allgemeingültigen, organisationalen Regeln steht, passt eben nicht zur immer formalisierenden Digitalisierung.

Was kann getan werden?

Zunächst einmal ist relevant, Informalität als existente Rahmenbedingung in sozialen Organisationen zu akzeptieren. Ganz allgemein formuliert kann nicht „alles“, jeder Handlungsschritt in Organisationen formalisiert werden.

Und spezifisch in der sozialen Arbeit ist der Versuch, dieses zu tun, an vielen Stellen dysfunktional. Man muss sich nur einmal den „Dienst nach Vorschrift“ in einer stationären Jugendhilfeeinrichtung vorstellen, in der es nur wenige Vorschriften (für die Mitarbeitenden) geben kann.

Ebenfalls notwendig ist es, Digitalisierungsbemühungen aus der Brille der mit der Digitalisierung zwangsläufig einhergehenden Formalisierung zu betrachten. Es können nicht alle Mitarbeiter:innen mitentscheiden, welche Kommunikationsplattform verwendet wird. Ebenso kann, bspw. bei digitaler Dokumentation nicht mehr individuell entschieden werden, wer was wie dokumentiert. Eingabemasken sind vorgegeben und auszufüllen, ob man will oder nicht.

Über diese beiden Vorüberlegungen der Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitsweise sollten die Mitarbeiter:innen informiert werden. Dadurch kann grundlegend ein zumindest besseres Verständnis geschaffen werden, was Digitalisierung sozialer Organisationen im Allgemeinen und im Spezifischen für die eigene Organisation bedeutet und welche Implikationen für die eigene Arbeit mit Digitalisierung einhergehen.

Information allein ist jedoch nicht ausreichend. Es bedarf basierend auf der Information dann der gemeinsamen Auseinandersetzung in der Organisation über die Auswirkungen. Es wird Menschen in der Organisation geben, die die Entwicklung begrüßen, Menschen, die die Entwicklung hinnehmen und Menschen, die sehr kritisch auf die Digitalisierungsbemühungen schauen.

Und nein, ich plädiere nicht dafür, „alle Menschen mitzunehmen“. Das wird nicht gelingen. Aber das Wahrnehmen auch der kritischen Stimmen in der Organisation ist wichtig, um gute Wege sinnvoller Digitalisierung zu beschreiten.

These 3: Gelingende Digitalisierung braucht unternehmerische Kompetenz

Nein, jetzt erfolgt kein Bashing der „ach so innovationsfeindlichen Sozialwirtschaft“ und ebenso kein Verweis auf die Unbeweglichkeit der „großen Tanker“. Das ist nämlich nicht so: Sozialwirtschaft ist und war schon immer hochgradig innovativ. Und unternehmerisch, wenn unternehmerisches Handeln verstanden wird als „mit wenigen Mitteln Großes zu leisten“.

Insbesondere sehe ich unternehmerische Kompetenzen bei den Führungskräften, Vorständen, Geschäftsführungen der Organisationen.

Ja, es mag manche geben, die immer noch an der „guten alten Zeit“ festhängen und die Asche anbeten, anstatt das Feuer weiterzugeben. Aber die Menschen, mit denen ich arbeiten darf, denken nach vorne, wollen etwas bewirken, Dinge im Sinne der ihnen anvertrauten Menschen voranbringen, Neues gestalten. Und das in hochgradig dynamischen, komplexen Umwelten unter den Rahmenbedingungen politischer Begrenztheiten und (zunehmend) bürokratisch agierender Kostenträger.

Ich vermisse hingegen unternehmerische Kompetenzen bei den Mitarbeiter:innen an der Basis.

Aber was genau verstehe ich unter „unternehmerischen Kompetenzen“, was haben diese mit stockenden Digitalisierungsbemühungen zu tun und vor allem: Warum sollten Mitarbeiter:innen an der Basis diese Kompetenzen nicht haben?

Unternehmerische Kompetenzen beziehen sich nicht nur auf die Fähigkeiten einer Person in Bezug auf „geschäftliche“ Aktivitäten, sondern ganz grundlegend auf Fähigkeiten, wie sie „auf die Welt“ schaut und mit dieser interagiert.

Im Gegensatz zu einer reaktiven Defizitorientierung geht es um die Entwicklung von Fähigkeiten, Chancen zu erkennen, kalkulierbare Risiken einzugehen, Innovationen voranzutreiben und Verantwortung zu übernehmen, um auch in Unsicherheit erfolgreich und „proaktiv“ agieren zu können.

Der Blick beispielsweise auf die Ausführungen zu Future Skills von Ehlers (2020) und im Spezifischen auf die Gruppe der „Organisationsbezogene Future Skills“ (Kompetenzen, die sich auf den Umgang mit der sozialen, organisationalen und institutionellen Umwelt beziehen) zeigt für mich das, was unter „unternehmerischen Kompetenzen“ gut gefasst werden kann. Ehlers beschreibt hier Fähigkeiten wie Sinnstiftung und Wertebezogenheit, die Fähigkeit, Zukünfte gestaltend mitzubestimmen, mit anderen zusammenzuarbeiten und zu kooperieren und in besonderer Weise kommunikationsfähig, kritik- und konsensfähig zu sein. So ist – als nur ein Beispiel – Zukunftskompetenz „die Fähigkeit mit Mut zum Neuen, Veränderungsbereitschaft und Vorwärtsgewandtheit die derzeit gegebenen Situationen in andere, neue und bisher nicht bekannte Zukunftsvorstellungen weiterzuentwickeln und diese gestalterisch anzugehen“ (ebd., 94ff).

Unternehmerische Kompetenzen beinhalten Kompetenzen wie Innovations-, Führungs-, Kollaborations- und Kommunikationskompetenz. Aber auch Fähigkeiten wie Finanzwissen, Risikobereitschaft und Durchhaltevermögen lassen sich unter die „unternehmerischen Kompetenzen“ fassen.

Ich will hier nicht zu sehr in die Tiefe gehen, empfehle aber eine Auseinandersetzung mit den Future Skills.

Warum aber braucht es die hier angerissenen Kompetenzen für erfolgreiche Digitalisierung?

Auch dies ist eine große Frage, die sehr kurz beantwortet werden kann: Das sinnvollste Vorgehen zur Gestaltung einer dynamischen und komplexen Welt (egal, ob auf individueller Ebene, auf Ebene von Teams und Organisationen oder auf Ebene der Gesellschaft und der Welt als Ganzes) besteht im Experimentieren und Lernen. Nur durch das Ausprobieren des Neuen und das Lernen aus den gemachten Erfahrungen ist es möglich, sich Schritt für Schritt in die erwünschte Richtung, bspw. hin zur „digitalen Vision“ der eigenen Organisation, vorzutasten. Dieses aus dem agilen Management bekannte, „iterative Vorgehen“ wurde inzwischen an den verschiedensten Stellen ausführlich beschrieben.

Und dieses iterative Vorgehen findet sich auch im Denken und Handeln erfolgreicher Unternehmer:innen. Wiederum ohne zu tief einzusteigen findet sich unter dem Vorgehensweise „Effectuation“ eine anwendbare Logik, wie Unternehmer:innen „ins Handeln kommen“ und gleichzeitig Risiken minimieren, Partnerschaften eingehen und Zufälle nutzen.

Die unternehmerische Logik „Effectuation“ verbindet die unternehmerischen Kompetenzen mit den Notwendigkeiten des iterativen Vorgehens zur Gestaltung der Digitalisierung.

Aber warum vermisse ich diese Herangehensweise bei den Mitarbeiter:innen an der Basis sozialer Organisationen?

Dazu ist vorab zu konstatieren, dass das Problem nicht bei den Individuen liegt, sondern vielmehr als strukturelles Problem verstanden werden muss:

Da Soziale Arbeit im Wesentlichen kostenträgerfinanziert ist, bestehen wenige Anreize, „unternehmerisch“ zu agieren. Nur ein paar Gründe: Es besteht, insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels, nicht die Notwendigkeit, a) durch bessere Angebote neue „Kunden“ zu gewinnen. Außerdem besteht kaum Anreiz, b) „möglichst gute“, wirksame Soziale Arbeit zu leisten, damit die eigene Organisation weiterempfohlen wird. Hinzu kommt, dass c) die Vergütung Sozialer Arbeit in den meisten Fällen auf Tarifverträgen basiert, die wiederum wenig Anreize schaffen, besonders innovativ, überdurchschnittlich gut oder besonders effizient zu arbeiten. Und nein, der völlige organisationale und individuelle Burnout (spannend dazu der aktuelle Bericht der DAK) aufgrund schlechter Rahmenbedingungen (ausgelöst insbesondere durch den Fachkräftemangel) ist keine Effizienz. Hinzu kommt, dass d) das für gelingende Digitalisierung notwendige iterative Vorgehen, das Experimentieren und Lernen, den Finanzierungsbedingungen der Kostenträger zuwiderläuft – in der Regelfinanzierung ebenso wie (zumindest offiziell) in der Finanzierung innovativer Projekte (deren Anschlussfinanzierung oftmals völlig unklar bleibt).

Kurz: Die strukturellen Bedingungen der Sozialwirtschaft laden nicht dazu ein, unternehmerisch zu agieren. Und die angesprochenen Punkte a) – d) sind alles andere als abschließend. Sie verdeutlichen nur, dass fehlende unternehmerische Kompetenzen – wie so oft – kein ausschließlich individuelles Problem sind.

Und der Blick in die Zukunft zeigt aktuell sehr dramatisch, dass die Rahmenbedingungen alles andere als besser werden. Die Kürzungen im Bundeshaushalt 2024 sprechen hier eine deutlich düstere Sprache. Der Paritätische Wohlfahrtsverband bringt es auf den Punkt: „Die Pläne zwingen zu massiven Einschnitten bei sozialen Angeboten: von Freiwilligendiensten über die psychosoziale Versorgung Geflüchteter bis hin zur Unterstützung Arbeitsuchender.“ Marc Groß, Vorstandsvorsitzender der Liga-BW, sagt: „Sollten die Kürzungen wie vorgeschlagen beschlossen werden, trifft dies genau die Menschen, die es jetzt bereits am schwersten haben: Kinder, Jugendliche und Familien, Menschen in Armut, geflüchtete und zugewanderte Menschen“.

Und konkret im Kontext der Digitalisierung sind Einsparungen in Höhe von 3,5 Mio. Euro vorgesehen, die das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aufgesetzte Förderprogramm zur Zukunftssicherung der Freien Wohlfahrtspflege durch Digitalisierung komplett aushebeln: „Hier werden die Verbände mitten im Aufbruch und in wichtigen strategischen Entwicklungen stark beeinträchtigt“, so die BAGFW.

Die Mitarbeiter:innen an der Basis aber sind nicht „geschult“ darin, Probleme „selbst in die Hand“ zu nehmen. Noch einmal: Das ist kein individueller Vorwurf, sondern strukturell bedingt. Und gleichzeitig ist es es relevant, genau hinzuschauen:

Das Jammern über schlechte Arbeitsbedingungen, zu wenig Geld, den Staat, die Politik, die da oben und diesdas hilft (und ist wirklich relevant) für die eigene Psychohygiene, verbessert die Situation aber nicht. Es gilt vielmehr, die eigene Freiheit zu nutzen. Und diese Freiheit ist in Organisationen mit der oben beschriebenen „dominierenden Informalität“ alles andere als klein. Denn gerade in dezentral organisierten, hochgradig komplex strukturierten Organisationen der Sozialwirtschaft ist vor Ort, im Team und oftmals auch völlig individuell zu entscheiden, was notwendig und möglich ist:

Es ist vor Ort zu entscheiden, welche Strukturen, Prozesse, Innovationen, Angebote und Dienstleistungen sinnvoll und machbar sind. Es ist vor Ort zu entscheiden, wie das Team miteinander möglichst gut arbeiten kann. Das für die strategische Ausrichtung der Organisation notwendige Gesamt-Leitbild ist vor Ort zu operationalisieren und anzupassen, damit die konkreten Bedingungen vor Ort in den Blick genommen und bedarfsgerecht im Sinne der Nutzer:innen gestaltet werden können. Die oberste Führungsebene hat – völlig nachvollziehbar – oft keinen Einblick in die notwendigen Bedarfe vor Ort.

Wir waren ja beim Thema Digitalisierung, Du erinnerst Dich? Da gilt das Gleiche:

Trotz der notwendigen Formalisierung durch Digitalisierung ist es nur vor Ort möglich, die für die Digitalisierung notwendigen iterativen Experimente zu starten bzw. gesamtorganisationale Experimente für vor Ort zu adaptieren und aus diesen zu lernen, damit Digitalisierung gelingen kann.

Was kann getan werden?

Der erste Punkt ist der weitere Kampf (leider muss dieser Begriff benutzt werden) um die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der strukturellen Bedingungen der Sozialwirtschaft. Lobbyarbeit, die Verständigung mit den Kostenträgern über die komplexen Bedingungen sozialer Arbeit, wirksame Öffentlichkeitsarbeit für die Anliegen und die Bedeutung sozialer Dienstleistungen sind heute wichtig und werden in Zukunft wichtiger.

Aber auch wenn die Rahmenbedingungen das wesentliche Problem darstellen, brauchen wir mehr sichtbare Beispiele von Menschen, die mutig neue Wege beschreiten und unternehmerisch Innovationen vorantreiben.

Mir fallen hier viele Menschen ein, die Beispiel für gelingendes Unternehmertum sein können. Hier nur drei Beispiele:

  • Die Diakonie An Sieg und Rhein entwickelt mit der integrierten Sozialberatung die Sozialberatung der Zukunft. Dabei arbeiten Berater:innen mit verschiedenen inhaltlichen Spezialisierungen kollaborativ in Echtzeit mit Klient:innen zusammen. Patrick Ehmann, Geschäftsführer der Diakonie An Sieg und Rhein berichtet hier im Podcast vom aktuellen Stand der Entwicklungen des neuen Beratungsansatzes.
  • Bei der SozKom GmbH unter Leitung der beiden Geschäftsführerinnen Kathrin Stern und Rita Resch hat ein eigenes organisationales Betriebssystems – die „sozKomKratie“ – entwickelt und strukturiert sich anders. Das führt bspw. dazu, dass sich die Organisation keine Sorgen um Fachkräftegwinnung machen muss. Mehr dazu kannst Du hier im Podcast anhören.
  • Thomas Mampel beschreibt in seinem aktuellen Blogbeitrag das vom Stadtteilzentrum Berlin-Steglitz entwickelte kleine, aber sehr feine Projekt „Mobile Lernwerkstatt Demokratie“. Mit Koffern voll mit Moderations- und Workshopmaterial führen die Kolleg*innen spannende Projekttage zur aktuell mehr als relevanten Demokratieförderung an Schulen und in Kinder- und Jugendprojekten durch.

Ich will damit sagen, dass es die „Intrapreneur:innen“ in sozialen Organisationen braucht und gibt.

Intrapreneur:innen sind Mitarbeitende, „denen die Balance zwischen dem persönlichen Einsatz für die eigenen – von der hegemonialen Norm in ihren jeweiligen Organisationen abweichende (!) – Werte und Ideale auf der einen und der Anpassung an die institutionalisierten Settings, in denen sie agieren, auf der anderen Seite gelingt“, wie Hannes hier im Blog schreibt.

Entsprechend gilt es, in sozialen Organisationen, die Intrapreneur:innen, die Menschen, die neue Wege ausprobieren wollen, lebendig werden zu lassen. Das klingt leichter, als es ist. Einige Taktiken für Intrapreneur:innen beschreibt Hannes hier in diesem lesenswerten Beitrag.

Darüber hinaus ist es relevant, dass in Studium und Ausbildung die Entwicklung neuer Wege in der Unsicherheit, das Experimentieren und Lernen als Voraussetzung für gelingende Digitalisierung, viel stärker und in der Breite verankert werden muss. Nur so lassen sich die heutigen und zukünftigen Herausforderungen meistern.

Der Blick in die Ausbildungslandschaft zeigt, dass es an vielen Stellen in Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen bereits tolle Projekte gibt, die „unternehmerische Kompetenzen“ fördern. Über diese Projekte muss es gelingen, die berufliche Identität der Menschen an der Basis dahingehend zu erweitern, dass sich diese Menschen nicht „nur“ als Anwält:innen für ihr Klientel, sondern auch als Entre- oder Intrapreneur:innen für die Entwicklung der Angebote, der Teams und Organisationen und damit als Anwält:innen des Sozialen verstehen.

Fazit: Digitalisierung muss gestaltet werden

Mal wieder ein viel zu langer Blogbeitrag. Aber vielleicht hast Du bis hierher durchgehalten. Also nur noch einmal kurz:

Jeder und jedem ist inzwischen bewusst, dass gelingende Digitalisierung mehr braucht als Technik. Gelingende Digitalisierung braucht

  • klare Erwartungen,
  • ein Verständnis für die Notwendigkeit der Formalisierung und
  • unternehmerische Kompetenz.

Und noch viel mehr, aber der Beitrag ist sowieso schon viel zu lang…


Wie steht es bei Dir persönlich und in Deiner Einrichtung um die drei hier beschriebenen Thesen? Stimmst Du zu? Oder wo siehst Du es anders? Lass es mich gerne wissen, als Kommentar hier im Blog, als Mail oder als Kommentar in den sozialen Medien. Freue mich, von Dir zu lesen.

Resonanz, Exnovation und Kooperation, oder: Das Ende des Business as usual für die Zukunft der Sozialwirtschaft

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Beendigung der Armut. Beseitigung der eklatanten Ungleichheit. Ermächtigung der Frauen. Dies sind die drei der fünf „außerordentlichen Kehrtwenden“, die laut dem neuen Bericht an den Club of Rome „Earth for All“ (vgl. Dixsons-Declève et al., 2022) notwendig sind, um die Risiken der Klimakatastrophe substanziell zu reduzieren. Angeführt werden darüber hinaus der Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems und der Einsatz sauberer Energie, um die Menschheit zu retten.

Der Anspruch Sozialer Arbeit

Beendigung der Armut, Beseitigung der eklatanten Ungleichheit, Ermächtigung der Frauen – dies könnte gut eine anspruchsvolle Mission einer sozialen Organisation oder eines Wohlfahrtsverbands sein: Welt retten, um die Menschheit zu retten – reduziert auf das Machbare.

Das lässt den Anspruch Sozialer Arbeit erkennen: Soziale Arbeit will die Lebenswelt der Menschen, für die soziale Organisationen die (Mit-)Verantwortung tragen, besser machen, was auch beim Blick auf die Internationale Definition Sozialer Arbeit (vgl. DBSH, 2016) deutlich wird:

Soziale Arbeit fördert „gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit. (…). Soziale Arbeit befähigt und ermutigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern“.

Soziale Arbeit hat sich viel vorgenommen! Es stellt sich die Frage, ob wir – jede*r Einzelne, unsere Organisationen und die Soziale Arbeit als Ganzes – diesem Anspruch in der Vergangenheit gerecht wurden und in der Zukunft gerecht werden können.

Vergangenheit und Zukunft, oder: Das Ende des Business as Usual

Der Blick in die Vergangenheit bis zur Gegenwart der Sozialen Arbeit zeigt Licht und Schatten. Die Entwicklung Sozialer Arbeit lässt sich als „wahre Erfolgsgeschichte“ (Merten, 2001, 165) erzählen. Hans Thiersch spricht vom letzten Jahrhundert gar als „sozialpädagogisches Jahrhundert“ (vgl. 1992). Das Wachstum des Sozialwesens, gemessen an Beschäftigtenzahlen oder volkswirtschaftlichem Nutzen, ist beeindruckend.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob das quantitative Wachstum des Sozialwesens mit qualitativen Verbesserungen, mit der Steigerung der Wirksamkeit Sozialer Arbeit und der Annäherung an die in der Definition Sozialer Arbeit dargelegten Vision einherging. Ohne Frage hat sich „die Soziale Arbeit“ weiterentwickelt. Aber fördert sie wirklich gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen, den sozialen Zusammenhalt und die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen? Da können Zweifel aufkommen.

Und der IW-Kurzbericht „Die Berufe mit den aktuell größten Fachkräftelücken“ (Hickmann, Koneberg, 2022) zeigt, dass Berufe in den Bereichen Sozialarbeit / Erziehung / Pflege schon heute besonders vom Fachkräftemangel betroffen sind. Das spüren die Beschäftigten an allen Ecken. Soziale Organisationen bewegen sich in den uns alle betreffenden Polykrisen (vgl. bspw. Scharmer, 2022) am Rande der Belastungsgrenze.

Für die Gestaltung der Zukunft ist da wenig Platz, denn wenn man linear in die Zukunft sozialer Organisationen blickt, ergibt sich folgendes Bild:

Angesichts demographischer Entwicklungen steigt der Gesamtbedarf an personenbezogenen Dienstleistungen bei gleichzeitig abnehmender Anzahl an Erwerbstätigen. Herausforderungen wie Digitalisierung, Energiekrise, Krieg, Klimakatastrophe kommen hinzu.

Wenn es weitergeht, wie bisher, können die Belastungsdämme der Organisationen und der Sozialwirtschaft nicht mehr lange standhalten.

Die triviale Folgerung aus diesem kurzen Überblick muss lauten (und nach Innen und Außen lauter werden):

 Ein „Weiter so!“, ein „Business as usual“ kann und wird nicht mehr funktionieren. Es braucht „Transformation hin zum Neuem“!

Aber wie sieht das Neue aus? Und vor allem: Wie kann die Transformation dorthin gelingen?

Um diese Fragen spezifisch für soziale Organisationen zu beantworten, lohnt es sich, ausgehend von den Kehrtwenden des Club of Rome, den Blick zu weiten: Wie kann Transformation auf globaler Ebene gelingen und was lässt sich daraus für soziale Organisationen lernen und adaptieren?

Gemeinsam Spüren, oder: Echte Transformation braucht neues Lernen

Im Folgenden wird eine von drei notwendigen Veränderungen herausgegriffen, die angesichts der aktuellen Krisen erforderlich sind, um die Forderungen des Club of Rome auf der systemischen Makroebene, also auf globaler, nationaler und/oder der Ebene der Funktionssysteme (Bildung, Politik, Gesundheit, Soziales…) umzusetzen:

Es braucht die Transformation des Lernens – weg von der Leistungs- und Prüfungsorientierung hin zur Entwicklung von Fähigkeiten zum gemeinsamen Spüren und zur gemeinsamen, ko-kreativen Gestaltung der Zukunft (vgl. Scharmer, 2022).

Der Gedanke, dass wir zur Bewältigung der globalen Krisen die Art, wie wir Lernen verstehen, ändern müssen, ist nicht neu: Bereits der im Jahr 1979 im Anschluss an den 1972 veröffentlichten Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ veröffentlichte Bericht des Club of Rome unter dem Titel „No limits to learning“ rückt explizit das Thema „innovative learning“ in den Vordergrund. Darunter ist ein Lernen zu verstehen, das Kreativität und effektive Kooperation ins Zentrum rückt (vgl. Göpel, 2022, 132). Über Neu-Lernen, die Entwicklung kreativer Fähigkeiten und Kooperation kann es gelingen, die Kluft zwischen Wissen und Handeln zu schließen.

So wissen wir, was wir tun sollten, kommen aber oft nicht ins Handeln. Rechtliche, institutionelle und individuelle Abhängigkeiten hindern uns daran, gemeinsam neu zu Lernen und das Business as usual nicht nur ernsthaft infrage zu stellen, sondern wirklich anders zu agieren.

Aber wie können wir neu Lernen lernen und das kollektive Gefühl von „so kann es nicht mehr weitergehen“ transformieren in das Neue?

Dazu braucht es (vgl. Scharmer, 2022):

  • institutionelle Infrastrukturen, die alle relevanten Akteure zusammenbringen, um das System gemeinsam zu gestalten,
  • Führungsinstrumente und -kapazitäten, um das Bewusstsein der verschiedenen Akteure von einer Silo- zur Systemsicht zu verändern und
  • finanzielle Mechanismen zur Finanzierung und Skalierung der oben genannten Maßnahmen.

Resonanz erzeugen, oder: Co-kreative institutionelle Infrastrukturen

Wir sind gefordert, in unseren Organisationen co-kreative institutionelle Infrastrukturen und damit Dialogräume zu gestalten, in denen es gelingt, Resonanz (vgl. Rosa, 2022) zwischen den Themen und den verschiedenen Akteur*innen zu erzeugen.

Resonanz meint a) die Fähigkeit, „sich anrufen zu lassen“ (ebd., 57). Damit ist das Hören und Spüren des dezidiert Anderen, des Neuen gemeint – „und das kann durchaus irritierend sein“ (ebd., 59). Hier ist die Verbindung zur organisationalen Innovations- und damit Lernfähigkeit interessant: Für die Ermöglichung von Innovation ist es notwendig, „irritationsrelevante Informationen“ wahrzunehmen bzw. sich von diesen „anrufen“ lassen zu können.

Aus dem „angerufen werden“ folgt b) die Selbstwirksamkeit: „Ich stelle plötzlich fest, (…), dass ich in der Lage bin auf das Empfangene zu reagieren“ (ebd., 60). In Bezug zur organisationalen Innovationsfähigkeit gilt es, die irritierenden Informationen aus der Umwelt für die Organisation nutzbar machen zu können.

Aus der Fähigkeit, „sich anrufen zu lassen“ und selbst wirksam zu werden entsteht dann c) die Möglichkeit echter Verwandlung bzw. Transformation:

„Da, wo Resonanz zustande kommt, wo ich wirklich aufhöre, und mich mit dem, was mich erreicht, verbinde, verwandle ich mich“ (Rosa, 2022, 62).

Und genau darum geht es: Um Verwandlung, um Transformation, die als Abkehr vom Business as Usual das Neue, echte Innovation und tiefgreifende Veränderung ermöglicht.

Der Moment der Resonanz kann jedoch nicht gekauft, hergestellt oder erzwungen werden. Resonanz ist d) unverfügbar (vgl. ebd., 64). Und genauso ist es in Organisationen:

Appelle an die Mitarbeiter_innen, „jetzt aber mal innovativ zu sein“ oder das Erzwingen nicht resonanzfähiger „New Work Maßnahmen“ werden mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ergebnislos verpuffen, wenn nicht echte, strukturelle Veränderungen erfolgen, die anderes Arbeiten nach sich ziehen.

Auf-Hören, oder: Systemische Führungsinstrumente und -kapazitäten

Im obigen Zitat irritiert das Wort „aufhören“. Rosa verbindet mit dem Auf-Hören das sich „anrufen und erreichen lasse[n] von etwas anderem, von einer anderen Stimme, die etwas anderes sagt als das, was auf meiner To-Do-Liste steht und was sowieso erwartbar ist“ mit dem gängigen Verständnis des Begriffs Aufhören im Sinne von „anhalten, stoppen“ (ebd., 56).

Beides ist wichtig: Zum einen gilt es, aufzuhorchen und sich von den irritierenden Informationen aus der Umwelt anrufen zu lassen, um daraus Neues zu gestalten. Zum anderen gilt es aber auch, aufzuhören und Aktivitäten zu stoppen, die keinen Mehrwert für die Menschen und die Organisation liefern.

Es lohnt die Beschäftigung mit Exnovation – der anderen Seite von Innovation: Exnovation heißt, dass Nutzungssysteme, Prozesse, Praktiken oder Angebote, die getestet und bestätigt wurden, aber nicht mehr wirksam sind oder nicht mehr mit der Strategie übereinstimmen, eingestellt werden (vgl. Epe, 2022). Exnovation heißt jedoch keinesfalls, in der Organisation eine Kultur der Nicht-Innovation zu propagieren. Exnovation, das Aufhören, die Abschaffung, das Beenden, gehört zur Innovation zwingend dazu – wie zwei Seiten einer Medaille.

Und hier sei mit Blick auf das „sozialpädagogische Jahrhundert“ die Frage gestattet: Wo haben wir im Sozialwesen erfolgreich Dinge nicht mehr getan, nicht (mehr) wirksame Angebote nicht weitergeführt und wirklich aufgehört, um so Raum für Neues zu schaffen?

Gleiches gilt institutionell: Anstatt grundlegende, strukturelle Barrieren zu beseitigen, die die Veränderung des Systems blockieren, versuchen wir, Menschen zu motivieren, „sich zu verändern“ und neue Methoden und Angebote zu schaffen, um uns auf die Zukunft vorzubereiten. Echtes Lernen und damit Veränderung komplexer sozialer Systeme geschieht aber nicht, indem wir „mehr des Gleichen“ tun. Die Beseitigung struktureller Barrieren, das Weglassen, das Exnovieren ist oft der wirkungsvollste Hebel, um soziale Systeme und damit Organisationen in Veränderung zu bringen.

Veränderung bedeutet, etwas aus dem gewohnten Trott zu bringen. Es mag zwar oberflächlich beruhigend und entlastend sein, sich an Routinen und Business as usual zu klammern. Sinnvoller ist aber die Frage: Was von dem, was wir in unserer Organisation oder im Team tun, kann weg, womit können wir aufhören?

Bezogen auf Vorgaben in Organisationen hat sich zur Beantwortung der Frage die einfache Methode „Kill a stupid rule“ bewährt:

  1. In Kleingruppen sammeln die Beteiligten regelmäßig bestehende Regeln aus ihrer Organisation, die sie gerne abschaffen/ändern würden und notieren diese.
  2. Die Notizen werden vorgestellt und in ein Koordinatensystem eingruppiert: wenig bis sehr aufwändig und kleine bis große Wirkung.
  3. Ideen mit wenig Aufwand und großer Wirkung können direkt angegangen werden. Ideen mit mehr Aufwand kann man priorisieren und nach und nach umsetzen.

Eigentlich einfach, aber wir wissen auch: Das Auf-Hören fällt schwer – gesellschaftlich, organisational und individuell.

Kooperation, oder: Finanzielle Mechanismen zur Finanzierung und Skalierung der Maßnahmen

So, wie in unseren Organisationen nicht eine Person allein „den Laden am Laufen hält“ lässt sich die Transformation der Gesellschaft nicht durch „den einen Hebel“ und damit losgelöst von anderen sozialen Systemen betrachten. Mehr noch:

„Kooperation war die entscheidende Voraussetzung für die Entstehung des Lebens, und sie ist bis heute ein das Leben in all seinen Varianten begleitendes Phänomen geblieben“ (Bauer, 2006, 221).

Wollen wir die Zukunft des Sozialwesens gestalten und die Abkehr vom Ego- zum Eco-System und Möglichkeiten gestalten, „vom größeren Gesamtsystem aus zu handeln“ (Scharmer, 2013, 220), müssen wir eine Kultur der Kooperation (wieder)beleben, auch wenn dies „ein radikaler Gegenentwurf zum neoliberalen und zum auf Verdrängungswettbewerb und Auslese aufbauenden darwinistischen Menschenbild [ist], das Ökonomie und Gesellschaft seit langer Zeit und heute noch prägt“ (Seliger, 2022, 119).

Kooperation erfolgt in vielen Fällen bereits zwischen sozialen Organisationen und zwischen unterschiedlichen Verbänden (auch wenn es hier ebenfalls Entwicklungsbedarf gibt). Aber gerade mit Blick auf die Finanzierung Sozialer Arbeit ist der Blick auf Kooperation hochgradig relevant:

Soziale Organisationen sind in ihrer Finanzierung im Wesentlichen abhängig von Sozialleistungsträgern. Entsprechend greift der isolierte Blick auf die institutionelle Transformation, auf innerorganisationale Veränderungsnotwendigkeit zu kurz – ohne damit zu sagen, dass innerhalb der Organisationen keine Veränderungen stattfinden sollten – da sie in der Finanzierung ihrer Leistungen abhängig sind von den Sozialleistungsträgern.

Eine Herausforderung der Verbindung von Sozialleistungsträgern auf der einen und sozialen Organisationen als Leistungserbringern auf der anderen Seite besteht aber darin, dass beide Systeme unterschiedliche binäre „Leitdifferenzen“ (Codes) aufweisen, anhand derer sich die Entscheidungen im jeweiligen System orientieren.

Soziale Organisationen wägen ihre Entscheidungen – sehr grob formuliert – anhand der Leitdifferenz „Helfen / nicht helfen“ (vgl. Kleve, 2007, 147) ab, wohingegen die Sozialleistungsträger ihre Entscheidungen anhand der Leitdifferenz „Rechtlich vorgegeben / nicht vorgegeben“ abwägen.

Daraus folgt, dass soziale Organisationen komplexe soziale Probleme anders angehen würden, wenn die Finanzierungsmöglichkeiten dies zuließen. So wird bspw. die Einbeziehung der Klient*innen und die Stärkung ihrer Autonomie und Selbstbestimmung in allen moderneren Methoden Sozialer Arbeit gefordert, deren Umsetzung jedoch in Teilen durch die Notwendigkeit konterkariert, sich an die Vorgaben der Sozialgesetze zu halten, um darüber die Finanzierung sicherzustellen.

Zur zukünftigen Sicherstellung einer sinnvollen Finanzierung ist es also notwendig, die Kooperation zwischen den Leistungsträgern und den Leistungserbringern deutlich zu steigern, um über den Dialog ein gegenseitiges Verständnis der Notwendigkeiten wirksamer Finanzierung herzustellen.

Außerdem ist in sozialen Systemen, großen wie kleinen, alles miteinander verbunden (vgl. Göpel, 2022, 36ff). Entsprechend muss der kooperationsfokussierte Blick über die Grenzen der Sozialwirtschaft hinaus geweitet werden: Kooperation muss auch verstärkt zwischen anderen Unternehmen und Funktionssystemen gestärkt werden, um Transformation zu ermöglichen.

Das Ausweiten der Kooperation vereinfacht wiederum das unverzichtbare „Sich-anrufen-lassen“ von anderen Perspektiven und neuen Möglichkeiten, die ergriffen werden können, um gelingende Zukunft zu gestalten.

Das Ende des Business as usual, oder: Mutige Visionen für die Zukunft der Sozialwirtschaft

Es muss nicht wiederholt werden, dass die Herausforderungen, denen sich soziale Organisationen heute und in Zukunft widmen müssen, massiv sind. Sie werden heute nicht absehbare Veränderungen erfordern. Einfache Antworten und Business as usual werden aber definitiv nicht funktionieren, auch wenn die Suche nach Sicherheit und Beständigkeit in einer hyperaktiven Welt allgegenwärtig ist. Aber es hilft nicht, angesichts der Dynamik und Komplexität der Herausforderungen den Kopf in den Sand zu stecken. Das Gute in der aktuellen Situation: In allen Problemen (ver-)stecken sich auch Chancen, wenn wir lernen, mutige Visionen der Zukunft der Sozialwirtschaft in den Blick zu nehmen:

Mutige Visionen brechen mit dem Business as Usual. Sie helfen uns, die Gegenwart hinter uns zu lassen und damit neue Perspektiven einzunehmen.

Stellen Sie sich vor, Sie wachen morgen auf und gehen an Ihren Arbeitsplatz. Dort muss über Nacht ein Wunder geschehen sein und es ist alles so, wie Sie es sich schon immer erträumt haben:

  • Woran bemerken Sie, dass sich etwas verändert hat?
  • Was sind die größten Unterschiede zu gestern?
  • Wie fühlt sich die Veränderung an? Was ist beglückend?
  • Mit welchem Bild würden Sie die neue Situation Ihrer Organisation darstellen?

Beginnen Sie, Ihre Vision mutig zu malen, denn

„Mut heißt nicht, keine Angst zu haben! Mut heißt nur, dass man trotzdem springt!“ (Sarah Lesch).


Quellen:

  • Botkin, J. W., Elmandjra, M., Malitza, M.: No limits to learning: bridging the human gap. 1st ed. Pergamon international library. Oxford; New York: Pergamon Press, 1979.
  • DBSH. Deutschsprachige Definition Sozialer Arbeit. 2016. Download unter: https://www.dbsh.de/profession/definition-der-sozialen-arbeit/deutsche-fassung.html. Abruf am 16.12.2022.
  • Dixson-Declève, S., Gaffney, O., Ghosh, J., Randers, J., Rockström, J., Espen Stoknes, P.:  Earth for all: ein Survivalguide für unseren Planeten. Übersetzt von Rita Seuß und Barbara Steckhan. 4. Auflage. München: oekom, 2022.
  • Epe, H.: Exnovation, oder: Verlernen allein reicht (oft) nicht! Download unter: https://www.ideequadrat.org/exnovation/. Download am 03.01.2023.
  • Göpel, M.: Wir können auch anders: Aufbruch in die Welt von morgen. Berlin: Ullstein, 2022.
  • Hickmann, H., Koneberg, F.: Die Berufe mit den aktuell größten Fachkräftelücken. IW-Kurzbericht Nr. 67. Download unter https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Kurzberichte/PDF/2022/IW-Kurzbericht_2022-Top-Fachkr%C3%A4ftel%C3%BCcken.pdf. Download am 20.12.2022.
  • Kleve, H.: Postmoderne Sozialarbeit: ein systemtheoretisch-konstruktivistischer Beitrag zur Sozialarbeitswissenschaft. 2. Aufl. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss, 2007.
  • Merten, R.: Wissenschaftliches und professionelles Wissen – Voraussetzungen für die Herstellung von Handlungskompetenz. In: Pfaffenberger, Hans (Hrsg.). Identität – Eigenständigkeit – Handlungskompetenz der Sozialarbeit/Sozialpädagogik als Beruf und Wissenschaft. Münster, Hamburg, London: LIT Verlag, S. 165–192, 2001.
  • Rosa, H.: Demokratie braucht Religion. München: Kösel-Verlag, 2022.
  • Scharmer, O.: Protect the Flame. Circles of Radical Presence in Times of Collapse. 2022. Download unter: https://medium.com/presencing-institute-blog/protect-the-flame-49f1ac2480ac. Abruf am 15.12.2022.
  • Scharmer, O.: Theorie U – von der Zukunft her führen: Presencing als soziale Technik. 3. Aufl. Management. Heidelberg: Carl-Auer-Verl, 2013.
  • Seliger, R.: Systemische Beratung der Gesellschaft: Strategien für die Transformation. Erste Auflage. Systemische Horizonte. Heidelberg: Carl-Auer Verlag GmbH, 2022.
  • Thiersch, H.: Das sozialpädagogische Jahrhundert. In: Rauschenbach, Thomas/Gängler, H. (Hrsg.). Soziale Arbeit und Erziehung in der Risikogesellschaft. Neuwied, Kriftel, Berlin: Luchterhand Verlag, S. 9–23, 1992.

Hinweis: Der Text ist vorab (in leicht angepasster Version) in den „Blättern der Wohlfahrtspflege“, 3/23, veröffentlicht worden. doi.org/10.5771/0340-8574-2023-3-96!


Vier Schritte zur Veränderung organisationaler Gewohnheiten, oder: Transformation in kleinen Schritten!

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Wir brauchen die große Transformation – in unseren Organisationen, der Gesellschaft und der Welt. Die Notwendigkeit, der Klimakatastrophe zu begegnen, erfordert Veränderungen, die wir bislang nicht absehen können. Diese, zumindest aus meiner Sicht realistische, im Wortsinn radikale Perspektive erzeugt Widerstand. Dadurch werden Lobbygruppen auf den Plan gerufen, die sich mit Händen und Füßen gegen die Veränderung stemmen. Die eroberten angeblichen Freiheiten werden auf keinen Fall aufgegeben. Mit aller Macht wird am Status Quo festgehalten. Das kennen wir auch aus Organisationen. Wie wäre es aber, wenn wir die Veränderungen sozialer Systeme (Organisationen, Gesellschaft…) mit den Möglichkeiten der Veränderung des Verhaltens der Gewohnheiten psychischer Systeme (Menschen) vergleichen und daraus viele neue, kleine Wege zur großen Transformation finden? Die Veränderung der Gewohnheiten psychischer Systeme erfolgt nur in seltenen Fällen durch große Umbrüche. Erfolgsversprechend ist die Veränderung organisationaler Gewohnheiten, die dann, on the long run, zu großen Veränderungen führen. Wie die Veränderung organisationaler Gewohnheiten gelingt, beschreibe ich hier.

Gewohnheiten

Gewohnheiten lassen sich auf individueller Ebene als regelmäßige Verhaltensmuster definieren, die Menschen automatisch und unbewusst ausführen – ohne darüber nachzudenken. Gewohnheiten sind oft tief in unserem Unterbewusstsein verankert und werden durch wiederholtes Handeln verstärkt. Gewohnheiten können sowohl positiv als auch negativ sein und beeinflussen unser tägliches Leben auf vielen Ebenen, einschließlich unserer Gesundheit, Produktivität und Beziehungen. Beispiele für Gewohnheiten sind Zähneputzen, tägliches Training oder das Rauchen (wobei da noch Suchtfaktoren hinzukommen).

Organisationale Gewohnheiten sind regelmäßige Verhaltensmuster und Arbeitspraktiken, die sich innerhalb einer Organisation als sog. „nicht entschiedene Entscheidungsprämissen“ eingeschlichen haben und die Art und Weise beeinflussen, wie Arbeit erledigt wird.

Diese Gewohnheiten können sich auf verschiedene Aspekte einer Organisation auswirken, einschließlich der Arbeitskultur, der Effizienz, der Kommunikation und der Entscheidungsfindung.

Wie auch bei individuellen Gewohnheiten können organisationale Gewohnheiten sowohl positive als auch negative Effekte haben. Sie sind funktional oder dysfunktional für die Organisation. Und sie sind oft tief im „Unterbewusstsein der Organisation“ und damit in deren Kultur verwurzelt.

Beispiele für organisatorische Gewohnheiten im Sinne nicht entschiedener Entscheidungsprämissen sind der Umgang mit regelmäßigen Meetings, das Befolgen bestimmter Arbeitsprozesse, obwohl diese nicht formal geregelt sind, oder das Treffen von Entscheidungen nicht auf Grundlage von Daten und Fakten, sondern auf der Grundlage von „gefühlten Normen“.

Diese organisationalen Gewohnheiten, diese Routinen in Organisationen, entwickeln sich immer. Sie sind – wie gesagt – wesentlicher Bestandteil der Organisationskultur.

Für soziale Organisationen haben „organisationale Gewohnheiten“ im Sinne einer „dominierenden Informalität“ eine besondere Bedeutung. Das habe ich hier beschrieben.

Veränderung organisationaler Gewohnheiten

Ich habe von mir selbst das Bild eines Gewohnheitstiers. Oder anders:

Ich glaube, dass ich nicht gut darin bin, meine Gewohnheiten zu verändern, selbst wenn ich weiß, dass diese keine guten Auswirkungen haben. Das gilt wahrscheinlich nicht nur für mich, sondern für viele Menschen. Denn – wie oben beschrieben – sind Gewohnheiten oft tief in unserem Unbewussten verankert. Die Veränderung von Gewohnheiten erfordert noch dazu Anstrengung und gleichzeitig erzeugt jede Veränderung Unsicherheit. Also: Besser entspannt weitermachen?

Oder noch besser Gewohnheitsveränderung aus einer anderen Perspektive angehen:

Wer willst Du sein?

Clear erläutert in seinem Buch, dass es grundlegend wichtig ist, sich darüber bewusst zu werden, wer wir sein wollen und erst danach die Gewohnheiten anzugehen. Damit geht es um die Identität, um den Kern unseres Seins, von mir aus um unseren „purpose“.

„Every action you take is a vote for the type of person you wish to become“

S. 38

So macht es auf individueller Ebene einen großen Unterschied, ob ich Sport machen will oder ob ich Sportler bin. Dann, wenn ich meine bisherige Identität infrage stelle und mir selbst zuschreibe, jemand anderes als bisher zu sein, gelingt es einfacher, meine Gewohnheiten an diese neue Identität anzupassen. Schreibe ich Blogbeiträge? Oder bin ich Autor? Spiele ich ein Instrument oder bin ich Musiker? Stärke ich meine Mitarbeiter:innen? Oder bin ich Führungskraft? Wurschtle ich vor mich hin? Oder bin ich Unternehmer?

Dem folgend schlägt Clear vor, im ersten Schritt zu entscheiden, welche Identität wir haben wollen, um dann durch unsere alltäglichen Handlungen, unsere Gewohnheiten unsere Identität zu bestätigen.

Organisational fällt die Übertragung leicht. Dann, wenn die bisherige Identität des Teams oder der Organisation wirklich infrage gestellt werden darf, gelingt es, neue Wege zu eröffnen, wie zukünftig zusammengearbeitet werden soll. Wenn ich jedoch an viele Beratungsaufträge denke, wollen Organisationen ihre Identität nicht überdenken, aber hier und da ein wenig anders arbeiten.

Konkret geht es bspw. um die Entwicklung neuer Strategien für die kurz- und mittelfristige Zukunft. Darin stehen dann Sätze wie „personenzentriert“, „anpassungsfähig“, „schnell“ oder „nachhaltig“. Alles fein und wichtig. Aber die Identität der Organisation wird im Kern nicht berührt. Die Mitarbeiter:innen agieren weiterhin in ihren bewährten Gewohnheiten, da sie sich ja immer noch im gleichen Unternehmen wiederfinden und die Führung wundert sich, warum die Strategieumsetzung so zäh ist…

Hinzuweisen ist darauf, dass eine individuelle Anpassung der eigenen Identität schon nicht ganz einfach ist: Selbst wenn ich mir drei Tage lang einrede, dass ich Sportler bin, haut mich an Tag vier eine Erkältung um und ich muss schon viel Energie aufwenden, trotz Rückschlag an meiner Identität festzuhalten.

Gleiches gilt in noch stärkerem Ausmaß für Organisationen als soziale Systeme:

  • Welche Narrative werden wie innerhalb und außerhalb erzählt, die die Identität der Organisation neu schreiben?
  • Wer erzählt diese Geschichten?
  • Wo schlägt sich die neue Identität nieder?

Hier sind insbesondere die Führungskräfte gefragt, die neue Identität über Geschichten und das eigene Vorleben zu festigen. Und das wiederum braucht eine echte Überzeugung, dass die neue Identität mehr ist als lustige Sätze in Hochglanzleitbildern.

Und auf gesellschaftlicher Ebene passt es genauso:

Solange die Politik im Kleinklein und in den Grabenkämpfen zwischen den einzelnen Parteien verhaftet bleibt und keine neue „Identität des Landes“, keine Visionen und Utopien, glaubhaft vermitteln kann, wird sich wenig bewegen. „Wie wollen wir leben?“ ist sicher nicht leicht zu beantworten. Aber so wie aktuell wird die Politikverdrossenheit eher weiter zunehmen, was – bezogen auf die eigentlich dringend anzugehenden Ziele – höchst dramatisch ist.

Also noch mal kurz: Entscheide, wer Du sein willst und bestätige dies mit kontinuierlichen, kleinen Schritten.

Vergiss das Ziel, fokussiere dich auf das System!

Ich komme auf das ganze Thema, da ich gerade „Atomic Habits“ von James Clear lese.

Kurz beschrieben befasst sich das Buch mit der Kunst der Verbesserung des eigenen Lebens durch die Veränderung der kleinen, alltäglichen Gewohnheiten.

Gewohnheiten – unabhängig davon, ob diese positiv oder negativ sind – ergeben sich durch die Abfolge der vier Schritte

  1. Auslöser,
  2. Verlangen,
  3. Antwort,
  4. Belohnung.

Veränderungen in unserem Verhalten lassen sich entsprechend durch kontinuierliche, aber inkrementelle Anpassungen in diesen vier Bereichen erreichen.

Sinnvoll ist es (natürlich), dass wir uns auf die Entwicklung von Gewohnheiten konzentrieren sollten, die uns helfen, unseren Zielen näher zu kommen (das System), anstatt uns auf Ziele selbst zu konzentrieren:

„The purpose of setting goals is to win the game. The purpose of building systems is to continue playing the game“

(S. 27)

Das ist einfach erklärt:

Ich persönlich kann zwar das Ziel haben, mehr Sport zu machen. Wenn aber die Rahmenbedingungen nicht zu meinem Ziel passen, wird sicherlich nichts aus dem Ziel. Wenn die Reifen am Rad kaputt sind, die Jooggingschuhe noch im Laden stehen und mein Alltag vollgeballert ist mit Krams wird es trotz aller Disziplin nicht gelingen, dem Ziel auch nur einen Schritt näher zu kommen – selbst wenn ich mir das noch so vornehme. Erst dann, wenn es gelingt, dass System und damit die Rahmenbedingungen anzupassen, kann ich überhaupt auf den Weg zum Ziel kommen.

Organisational gilt ähnliches: Du kannst zwar die Fehler-, Innovations- oder Lernkultur propagieren und hoffen, dass dadurch irgendwas passiert. Populär aktuell ist natürlich das Ziel „Agilität“ oder das Ziel einer agilen Organisation. Sofern aber das System nicht passt, sich auf den Agilitäts-, Lern- oder Innovationspfad zu begeben, wird mit größter Sicherheit nichts passieren. Wahrscheinlicher ist sogar, dass Deine Mitarbeiter:innen Deine Ideen belächeln, auf die letzte „Change-Reise“ oder den letzten, komplett sinnlosen Innovationsworkshop verweisen und genauso weitermachen wie bisher. Immer öfter höre ich von Kunden Sätze wie:

„Nutzen Sie aber bitte nicht das Wort Agilität, das ist bei uns verbrannt!“

Und gesellschaftlich erleben wir leider an vielen Stellen das Gleiche:

Alle wissen, dass es so nicht weitergehen kann. Das Ziel ist ebenfalls klar – 1,5 Grad, sonst wird’s echt ungemütlich. Aber das System passt nicht: Der Kapitalismus in seiner aktuellen Form verhindert das Einbiegen auf einen Pfad nachhaltigen Lebens.

Kurz gesagt steigen wir auf allen Ebenen nicht auf das Niveau unserer Ziele auf, sondern fallen immer wieder auf das Niveau unserer Systeme zurück (vgl. hier).

Gewohnheiten ändern in vier Schritten!

Wie aber gelingt es, Gewohnheiten zu ändern – individuell, organisational und vielleicht sogar gesellschaftlich?

Clear beschreibt – basierend auf den oben genannten vier Schritten – vier „Gesetze“, die helfen, gute Gewohnheiten aufzubauen:

Das 1. Gesetz (Auslöser): Mach es offensichtlich.
Das 2. Gesetz (Verlangen): Mach es attraktiv.
Das 3. Gesetz (Reaktion): Mach es einfach.
Das 4. Gesetz (Belohnung): Mache es befriedigend.

Schlechte Gewohnheiten werden entsprechend abgebaut durch die Umkehrung der vier Gesetze:

Umkehrung des 1. Gesetzes (Auslöser): Mach es unsichtbar.
Umkehrung des 2. Gesetzes (Verlangen): Mach es unattraktiv.
Umkehrung des 3. Gesetzes (Reaktion): Mache es schwierig.
Umkehrung des 4. Gesetzes (Belohnung): Mache es unbefriedigend.

Soweit, so individuell. Und tatsächlich auch für mich selbst in vielen Lebensbereichen spannend. Nehmen wir das (fast rein fiktive 😉 Beispiel, dass ich selbst zu einem Autor und entsprechend Schreiben zu einer Gewohnheit werden lassen will. Wie muss ich dann mein individuelles System gestalten?

  1. Ich muss den Auslöser zum Schreiben offensichtlich machen. Ich kann mir bspw. jeden Morgen eine Stunde im Kalender markieren, die nur dafür reserviert ist. Außerdem kann ich meinen Schreibtisch von Ablenkungen befreien, um mich direkt auf das Schreiben konzentrieren zu können.
  2. Schreiben muss attraktiv werden: Wo schreibe ich am Liebsten? Ist mein Schreibtisch im Keller immer die beste Alternative? Oder sollte ich nicht lieber ein Zugticket buchen, vier Stunden hin, vier zurück, und im Zug arbeiten? Da ist zumindest kaum Ablenkung…
  3. Ich muss die Zugangsmöglichkeiten zu guten Schreibbedingungen sehr einfach gestalten. Daraus folgen bspw. Die folgenden Fragen: Wo steht mein Computer? Fühle ich mich dort wohl? Wie aufwendig ist es, in den Schreibprozess einzutauchen?
  4. Wie belohne ich mich? Beim Bloggen ist es ziemlich cool positive Reaktionen auf Beiträge zu erhalten. Aber reicht das? Könnte ich Schreibphasen nicht expliziter mit – gesunden – Belohnungen abschließen?

Über die Frage, wie es mir gelingt, Unternehmer zu werden und welche Gewohnheiten ich dafür etablieren muss, denke ich intensiv nach… Falls Du Tipps und Ideen hast, bin ich sehr dankbar, wenn Du diese in den Kommentaren hinterlässt!

Die Ausführungen lassen sich wieder auf Organisationen übertragen. Beispielhaft nehmen wir an, dass Dein Team die Entscheidung getroffen hat, „agil“ sein zu wollen. Diese Entscheidung betrifft die Identität des Teams und sollte gemeinsam sehr bewusst getroffen werden.

Daran schließt sich die Frage an, wie Du im Team die vier „Gesetze“ anwenden kannst, um kleine Schritte in Richtung dieser „agilen Identität“ zu gehen und ihr damit zu dem Team werdet, dass ihr sein wollt?

Bevor ihr daran arbeitet, neue Routinen und Gewohnheiten zu implementieren, macht es Sinn, erstmal zu schauen, welche Routinen in Bezug auf die Identität dysfunktional sind. Dysfunktional im Sinne der „neuen Identität wären ja alle Praktiken, Gewohnheiten bzw. nicht entschiedenen Entscheidungsprämissen, die starre, unflexible, langwierige Arbeitsprozesse bedienen. Was davon kann weg? Entsprechend geht es zu Beginn um die Umkehrungen der vier Gesetze:

  • Umkehrung des 1. Gesetzes (Auslöser): Wie können wir die Auslöser dysfunktionaler Gewohnheiten möglichst unsichtbar gestalten? Beispielhaft war es früher so, dass ihr Teamsitzungen so gestaltet habt, dass Du als Führungskraft die Tagesordnung vorgegeben und die Teamsitzung anhand der vorgegebenen TOPs moderiert hast. Mach es beim nächsten Mal anders: Bestimmt gemeinsam eine:n Moderator:in und legt zu Beginn die Tagesordnung gemeinsam fest.
  • Umkehrung des 2. Gesetzes (Verlangen): Wie können wir die Gewohnheit möglichst unattraktiv werden lassen? Wenn ihr – um im Beispiel zu bleiben – Entscheidungen zu einzelnen TOPs bislang nicht gemeinsam getroffen habt, sondern immer nach der Führungskraft geschaut und auf deren Entscheidung gewartet wurde, wäre denkbar, dass vorab klar vereinbart wurde, Entscheidungen, die alle im Team betreffen, nur noch gemeinsam zu treffen (bspw. mithilfe der Konsent-Methode).
  • Umkehrung des 3. Gesetzes (Reaktion): Selbst wenn Vereinbarungen getroffen wurden, kann es sein, dass die Routine trotzdem zuschlägt und ihr auf die Entscheidung des Vorgesetzten wartet. Wie wäre es, dass die Führungskraft einfach nicht mehr an den Teamsitzungen teilnimmt und es dadurch notwendig wird, Entscheidungen im Team zu treffen?
  • Umkehrung des 4. Gesetzes (Belohnung): Wie können wir den Rückfall in alte Gewohnheiten möglichst unbefriedigend gestalten? Dazu wäre denkbar, dass ihr für jede nicht anhand der Konsent-Moderation gemeinsam getroffenen Entscheidung eine „Team-Strafe“ einführt (auch wenn mir noch nicht klar ist, was das genau sein könnte)…

Allein durch die Bekämpfung und Beseitigung dysfunktionaler Gewohnheiten wird es möglich, Raum zum Atmen, neu Denken und Machen zu schaffen. Welche hilfreichen Gewohnheiten könnten anders, besser, funktionaler für das Team und die Organisation sein? Basierend darauf lassen sich dann die vier Gesetze zur Entwicklung funktionaler Gewohnheiten anwenden:

Die Anwendung des 1. Gesetzes (Auslöser) bedeutet, dass Du den Auslöser für eine neue, funktionale Gewohnheit möglichst offensichtlich gestaltet. Wie kannst Du es möglichst offensichtlich machen, dass neu agiert werden soll? Eine Möglichkeit wäre bspw. das Aufhängen eines einfachen Kanban-Boards im Büro (bzw. digital), an dem die Aufgaben im Team visualisiert werden?

Das 2. Gesetz (Verlangen) stellt die Frage nach der Attraktivität. Gewohnheiten verändern sich dann, wenn wir das, was wir tun wollen, mit dem koppeln, was wir sowieso tun sollen. Im Beispiel wäre denkbar, dass das Kanban-Board unmittelbar zur Planung, Strukturierung und Dokumentation der Teamsitzung genutzt wird.

Und dann muss es – das 3. Gesetz (Reaktion) – möglichst ein einfach nutzbar sein. In meinem vorherigen Job hatte ich die grandiose Idee, im Team Meistertask zur Aufgabensortierung zu nutzen. Das war aber für die Teammitglieder zu kompliziert. Wir sind wieder beim bewährten Word-Dokument gelandet – warum nicht, wenn es funktioniert und auf das Ziel einzahlt?

Beim 4. Gesetz (Belohnung) geht es ein wenig in Richtung Pawlowschem Hund: Wie können Belohnungen im Team geschaffen werden, die das wiederholte Durchführen der neuen Gewohnheit verstärken? Individuell wäre es vielleicht der Kaffee nach der abgeschlossenen Aufgabe oder – bei der Schreibgewohnheit – die kurze Pause nach 2000 Zeichen. Im Team könnte es bspw. das „habit tracking“, das Visualisieren der Tage, an denen das Kanban-Board erfolgreich genutzt wurde, sein.

Neue Wege im organisationalen Dschungel

Die Veränderung von Gewohnheiten lassen sich mit dem Finden neuer Wege im Dschungel vergleichen, individuell wie organisational und gesellschaftlich.

So bestehen im Dschungel bereits breit ausgetrampelte, vielleicht gepflasterte, mit Straßenlaternen ausgeleuchtete Gewohnheitswege. Das Abweichen von diesen erfordert bewusstes Gegensteuern.

Das gelingt aber nicht durch das reine Propagieren der Nützlichkeit neuer oder dem Verlassen alter Wege. Vielmehr braucht es

  1. die Bewusstwerdung über die neue Identität: Wer will ich sein? Wie wollen wir arbeiten? Wie wollen wir leben?
  2. die Veränderung des Systems, damit das Gehen der neuen Wege offensichtlich, einfach, attraktiv und lohnenswert wird.
  3. das Verändern der bisherigen Gewohnheiten.

Wenn es allein gelingt, dysfunktionale Gewohnheiten loszulassen, sind wir individuell, organisational und gesellschaftlich einen großen Schritt weiter.

Und wenn es dann noch gelingt, viele neue, funktionale Wege auf dem Weg gut vorzubereiten und konsequent zu gehen, kann es gelingen, Deine Organisation oder Dein Team in Richtung „neuer Identität“ zu verändern und eine neue Kultur des Teams oder der Organisation nicht nur irgendwohin zu schreiben, sondern tatsächlich zu leben.


Wo und wie ist es Dir gelungen, Gewohnheiten – individuell, in Deinem Team der Organisation zu ändern? Teile doch Deine Erfahrungen in den Kommentaren! Danke!!!

Wider die Kindness Economy: Über Fachkräfte, Macht und die Zukunft von Organisationen

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Gerade bin ich über den Begriff der „Kindness Economy“ gestolpert: Organisationen versuchen, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, um es damit „allen zu ermöglichen, bei der Arbeit so authentisch wie möglich zu sein“, wie es hier heißt. Ich bin da sehr skeptisch, denn ich glaube, dass wir damit – ausgelöst durch den Fachkräftemangel – in ein neues Problem laufen, das ich als „Machtverschiebung von Organisationen zu den Menschen“ bezeichnen und hier beschreiben will. Außerdem will ich versuchen, ein paar Ideen zu liefern, wie diesem Problem begegnet werden kann.

Früher kein Gedöns: Die Macht von Organisationen über Menschen

Nur kurz: Dass es einen Fachkräftemangel gibt und zunehmend geben wird, ist seit etwa 50 Jahren bekannt. Entsprechend verwundert mich, dass dieses Thema erst jetzt in den Organisationen anzukommen scheint. Wir verschließen so lange die Augen, bis die Probleme massiv werden und kaum noch abzuwenden sind – Klimawandel, ick hör dir trapsen!

Historisch betrachtet hatten Organisationen die Macht. Das hängt mit der Bevölkerungsentwicklung zusammen.

Denn zwischen 1871 und 1910, also während der Hochphase der Industrialisierung in Deutschland, stieg die Bevölkerung von 41 Millionen auf 65 Millionen Menschen an, was einem Wachstum von 58 Prozent entspricht (klick).

Und nach der Industrialisierung setzte sich das Bevölkerungswachstum in Deutschland fort. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich Deutschland zu einem Wachstumsland, und die Bevölkerungszahl stieg von 69,3 Millionen im Jahr 1950 auf rund 83,1 Millionen Menschen im aktuellen Zeitraum an (klick).

Neben sozialen Ungerechtigkeiten, Überbevölkerung in den Städten, mangelhaften Wohnbedingungen usw. führte das Bevölkerungswachstum vor allem zur Möglichkeit der Ausbeutung von Arbeitskräften. Arbeiter:innen, einschließlich Frauen und Kindern, arbeiteten lange Stunden, oft unter gefährlichen Bedingungen, für geringe Löhne. Es gab kaum Arbeitsschutzgesetze oder Gewerkschaften, die die Rechte der Arbeiter:innen schützten, was zu Ausbeutung und schlechter Arbeitsplatzsicherheit führte.

Auch wenn in den letzten Jahrzehnten Gott sei Dank soziale Sicherungssysteme eingeführt wurden, saß (und sitzt immer noch) die Angst vor dem sozialen Abstieg durch den Verlust des Arbeitsplatzes mit am Fließband, am Schreibtisch, an der Werkbank oder zumindest im Nacken.

Extrem formuliert war diese kurze, historisch sicherlich etwas unterkomplex dargestellte Entwicklung für Organisationen sehr praktisch:

Geringe Kosten in Kombination mit einem großen Angebot an Arbeitskräften, die noch dazu Angst hatten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, führten zu dicken Gewinnen (für ein paar Wenige). Außerdem musste man sich wenig Gedanken zu guten Arbeitsbedingungen, Work-Life-Balance, New Work Schnickschnack und sonstigem Gedöns machen.

Entsprechend wurden Organisationen und die Art, wie wir auch heute noch zusammen arbeiten, gestaltet:

Menschen waren Zahnrädchen, die bei zu geringer „Performance“ ausgetauscht wurden, Organisationen wurden als „Maschinen“ gedacht, gesteuert und entwickelt und die Sozialisation für dieses System wurde befeuert durch ein Bildungssystem, das auf „Ab-Teilung“, eine Klassengesellschaft, Benotung, Strafe, Druck, Befehl und Gehorsam gesetzt hat.

Jaja, ich weiß, etwas übertrieben. Aber im Kern ganz passend:

Die Organisationen hatten die Macht.

Heute Kindness Economy: Die Macht der Menschen über die Organisationen

Heute stehen wir aber – angesichts der absehbaren demographischen Zahlen wenig überraschend – an einem Kipppunkt in die andere Richtung:

Die Macht wandert von den Organisationen zu den Mitarbeiter:innen. Diese können sich aussuchen, wann, wie lange, zu welchen Konditionen und vor allem wo sie arbeiten. Im Kontext der Sozialwirtschaft ist dieses Phänomen extrem ausgeprägt, da die Organisationen nur wenige Möglichkeiten haben, auf Mitarbeiter:innen zu verzichten oder ihre Kernprozesse zu digitalisieren. Oder anders gesagt:

Wenn sich im Finanzamt die Akten bis zur Decke stapeln oder die Produktion von beheizbaren Lenkrädern aufgrund fehlender Mitarbeiter:innen stillsteht, passiert erst einmal – nichts! Wenn in einer Kita aber X Mitarbeiter:innen fehlen, wird die Gruppe geschlossen und die Kinder, die uns in Deutschland ja ach so viel Wert sind, eben nicht mehr begleitet.

Schlimmer stellt sich die Situation noch in stationären Wohnformen dar, da die dort lebenden Menschen nicht nur auf Unterstützung angewiesen sind, sondern die Einrichtungen oftmals ihre (teilweise einzige) Heimat sind.

Was Organisationen versuchen

Im Grunde könnte man jetzt ja glücklich sein:

Endlich müssen sich die Organisationen – egal welcher Branche – um ihre Mitarbeiter:innen bemühen. Obstkörbe sind obligatorisch, gratis Kaffee Standard und der Dienstwagen für die Auszubildenden ist flächendeckend nicht mehr fern, nur um auf Teufel komm raus Mitarbeiter:innen zu gewinnen und zu halten.

Angesichts dieser Entwicklungen steigen auch die Löhne, da die Mitarbeiter:innen (fast) unmittelbar wechseln, wenn es bei der Konkurrenz ein paar Euro mehr gibt.

Kurz: Organisationen verschieben ihren Fokus von ihrem Zweck hin zu den Mitarbeiter:innen. Nicht mehr die Kunden- oder Nutzer:innenorientierung ist handlungsleitend, sondern die Orientierung an den Mitarbeiter:innen bzw. den Betreuungsbedarfen ihrer Hunde, Katzen, Hamster, Omas, Kinder…

Warum sollte man – wenn man es sich denn leisten kann – unter diesen Bedingungen noch in Vollzeit arbeiten? Entsprechend werden Teilzeitregelungen normal, die nichts mit den ach so faulen Generationen, sondern mit den Rahmenbedingungen und damit den Möglichkeiten der jüngeren Generationen am Arbeitsmarkt zu tun haben.

Und auch hier wieder: Das ist doch grandios! Die Menschen können sich ihren Job so gestalten, dass dieser zu ihrem Leben passt (auch wenn diese Möglichkeiten die Situation für die Sozialwirtschaft verschärfen, da grundsätzlich in direkter Interaktion mit den Klient:innen gearbeitet werden muss und in vielen Arbeitsfeldern die Notwendigkeit von 24/7 Betreuung besteht).

Wenn sich also die Organisationen endlich an die Mitarbeiter:innen anpassen müssen, sieht es doch aus wie das Schlaraffenland, oder worin besteht das Problem?

Organisationen brauchen keine Menschen

Jaja, ich weiß, wieder eine völlig unterkomplexe Überschrift. Aber sehr grob betrachtet, trifft es das: Das Problem besteht darin, dass soziale Systeme und damit eben auch Organisationen nicht dafür gemacht sind, sich an Menschen bzw. den Mitarbeiter:innen zu orientieren.

Soziale Systeme sind dafür gemacht, einen Zweck zu verfolgen, ein Problem zu lösen, das durch einzelne Menschen allein nicht gelöst werden kann. Zwecke sind bspw. die Verwaltung von Steuergeldern, die Produktion von beheizbaren Lenkrädern, Gebet und Spiritualität, Bildung, das zur Verfügung stellen von Wohnraum, Lobbyarbeit oder, oder, oder…

Zuvorderst aber verfolgen Organisationen als Soziale Systeme das Ziel, zu überleben. Sie wollen, ganz lapidar, weiterhin bestehen bleiben – und zwar unabhängig von den ziemlich unzuverlässigen Menschen (im Sinne der Mitarbeiter:innen). Deswegen gibt es so etwas wie Stellen, Rollen, Hierarchien, Strukturen usw. die dafür sorgen, dass die Organisation auch dann weiterbesteht, wenn Menschen „das Unternehmen verlassen“.

Eine Organisation, die ihren Zweck nicht mehr erfüllen kann (oder vollständig erfüllt hat), wird ebenso nicht mehr weiter bestehen können wie eine Organisation, die sich vollständig an den Menschen und ihren Bedürfnissen ausrichtet.

Und dies unabhängig von der Branche, in der die Organisation tätig ist.

Die Chance für „New Work“

Kurz auf den Punkt gebracht sind die Ausführungen ja nachvollziehbar: Es macht – unabhängig vom Fachkräftemangel – keinen Sinn, Organisationen und damit auch unsere Arbeit so zu gestalten, dass die 100%ige Effizienz herrscht, die Menschen wie Zitronen ausgepresst werden und einzig der Takt der Maschinen (oder vorgeschriebenen Prozesse) regiert.

Genauso wenig sinnvoll ist es aber, alles in einer Organisation ausschließlich auf die je individuellen und damit sehr vielfältigen Bedarfe der Mitarbeiter:innen auszurichten. Das wird Organisationen früher oder später zum Zusammenbruch führen.

Wie so oft gilt es, einen guten Mittelweg zwischen den Bedürfnissen der Menschen und den Bedürfnissen der Organisationen zu finden.

Und hier kann aus meiner Sicht eine große Chance aus a) sinnvoller, zeitgemäßer und bedarfsgerechter Organisationsentwicklung und aus diesem b) „New Work“ im ursprünglichen Sinne erwachsen.

Möglichkeiten zeitgemäßer und bedarfsgerechter Organisationsentwicklung

Im Folgenden finden sich – sicherlich nicht abschließend – einige Ansätze, wie es gelingen kann, die Entwicklung der eigenen Organisation so voranzutreiben, dass die Bedürfnisse von Menschen und der Organisation berücksichtigt werden.

Verständnis über die Funktionsweisen von Organisationen als soziale Systeme

Grundlegend für die Möglichkeiten zeitgemäßer und bedarfsgerechter Organisationsentwicklung ist aus meiner Sicht ein Verständnis über die Funktionsweisen von Organisationen als soziale Systeme.

Die Entwicklung dieses „Organisationsbewusstseins“ schützt massiv vor Steuerungsphantasien, was insbesondere Führungskräften enorme Erleichterung verschaffen müsste: Sie haben den Laden nicht in der Hand, im Griff oder sonstwo. Organisationsentwicklung ist vielmehr, wie es Ruth Seliger sagt, der Versuch, die Organisation in die gewünschte Richtung zu verführen.

Daraus resultiert, dass es immer darum geht, Versuche im Hier und Jetzt zu machen, Experimente, mit denen man auf die Nase fallen kann, die aber auch gelingen und dann ungeahnte (positive) Auswirkungen haben können.

Wichtig bei dieser „agilen Organisationsentwicklung“ ist jedoch, immer wieder innezuhalten und zu prüfen, ob und welche Wirkungen die gemachten Veränderungen hatten und ob man sich damit auf dem angestrebten Weg befindet.

Vielfalt zulassen

Für die im Beitrag geschilderte Problematik des Ausbalancierens zwischen den Bedarfen der Organisation und den Bedarfen der Mitarbeiter:innen gilt es, Versuche zu machen, die das Ziel verfolgen, wegzukommen von der Vereinheitlichung hin zu einer möglichst hohen Vielfalt in der Organisation:

Team A ist anders als Team B, warum sollten die nicht anders arbeiten? Einrichtung Z liegt auf dem Land und arbeitet anders als Einrichtung Y in der Stadt. Ja, cool, warum nicht?

Diese Vielfalt fällt vielen Organisationen schwer, ist aber für Soziale Organisationen (hoffentlich) daily Business. Denn nur durch die Vielfalt auf Seiten der Einrichtungen kann den vielfältigen Bedarfen der Nutzer:innen auf der anderen Seite adäquat begegnet werden.

Mir gefällt an dieser Stelle das Bild eines Mischpults ganz gut:

Es gibt verschiedene Regler, die für die einzelnen Bereiche, Teams und Arbeitsfelder einer Organisation bezogen auf die jeweils geltenden Ziele, Strukturen und Prozesse unterschiedlich eingestellt sein können. Erst daraus, dass sie unterschiedlich eingestellt sind, ergibt sich der ganz spezifische Klang der Gesamtorganisation.

Gemeinsam entscheiden

Neben der Ermöglichung von Vielfalt gilt es außerdem, die Kompetenzen, Ideen, Erfahrungen und die Kreativität der Mitarbeiter:innen viel stärker als vielleicht bislang üblich in Entscheidungsfindungen mit einzubinden. Partizipation wird zwar oft groß geschrieben, endet aber genauso oft an der Realität.

Eine einfache Option zur echten Beteiligung der Mitarbeiter:innen ist die Arbeit mit der Konsent-Methode, die hier ausführlich beschrieben ist.

Und nein, die Entscheidungsfindung anhand der Konsens-Methode dauert nur gefühlt länger, wie bspw. hier in diesem Podcast erläutert wird.

Die Organisations-DNA beschreiben

Im gleichen Podcast sprechen die Gründerinnen der sozKom GmbH auch von der Entwicklung ihrer DNA. Darunter ist ein kurzes „Leitbild“ zu verstehen, das allen, internen wie externen, Stakeholdern vermittelt, was die Grundwerte der gemeinsamen Arbeit sind und wie in der Organisation zusammen gearbeitet wird.

Das Betriebssystem entwickeln

Diese „DNA“ oder das gelebte Leitbild ist auch die Grundlage für das gemeinsame „Betriebssystem“ der Organisation.

Dieses Betriebssystem beschreibt die basalen Regeln, nach denen gearbeitet und vor allem entschieden wird (siehe auch Konsent).

Dabei ist wiederum relevant, nicht irgendwelche Konzepte wie „Holocrazy“ oder das „Spotify Modell“ oder die „Orbit Organisation“ oder „so wie Buurtzorg“ auf die eigene Organisation zu stülpen, sondern die Individualität der Rahmenbedingungen der Organisation anzuerkennen und – genau – Vielfalt zuzulassen.

Nichts in Stein meißeln

Bei alle den Bemühungen der Entwicklung zeitgemäßer und bedarfsgerechter Organisationen geht es nicht darum, ein für allemal festzuzurren, was für die nächsten 300 Jahre gelten soll.

Durch die in der Organisation arbeitenden Menschen ebenso wie durch die sich verändernden Rahmenbedingungen, Megatrends, gesellschaftlichen Entwicklungen usw. verändert sich auch die Organisation.

Dieses „inspect and adapt“ sollte als Grundsatz jeglicher Entscheidungen rund um die Organisationsentwicklung gelebt werden. Daraus ergeben sich anpassungsfähige Teams und Organisationen.

Arbeiten

Die hier skizzierten „Schritte“ hin zu einer Organisation, der es gelingt, neben den eigenen auch die Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen in den Blick zu nehmen, erfordern auf Seiten der Mitarbeiter:innen Mitarbeit.

Das klingt vielleicht irgendwie albern, ist aber wichtig: Führungskräfte wie die Mitarbeiter:innen müssen sich bewusst sein, dass die gemeinsame Entwicklung hin zu einer guten, lebenswerten und (über-)lebensfähigen Organisation nur in gemeinsamer Anstrengung gelingt. Dazu braucht es – ein Thema, an dem ich gerade persönlich hänge – das Commitment, sich auf diese Arbeit einzulassen. Oder die Entscheidung, andere Wege zu gehen.

Möglichkeiten von New Work

Selbstverständlich sind die Ausführungen zur Organisationsentwicklung nicht abschließend und alles andere als eine „Anleitung“, wie es rezepthaft gelingt, die Bedürfnisse von Menschen und Organisationen auszutarieren. Es sind Impulse, Ideen, Möglichkeiten.

Und etwas übergreifender will ich abschließend die aus dem ursprünglichen Konzept „New Work“ ausgehenden Impulse, Ideen und Möglichkeiten aufgreifen, um darüber zur Annäherung von Menschen und Organisationen zu kommen.

Macht das Sinn?

Die Ursprungsideen von New Work stellen im Kern nicht die Frage nach dem Menschen und dem, was dieser (also Du und ich) „wirklich, wirklich tun will.“

Die Ursprungsideen von New Work stellen die große Frage danach, ob unsere Art zu wirtschaften, ob der Kapitalismus in der existierenden Form, sinnvoll ist. Bergmann ging es um eine Alternative zum Lohnarbeitssystem und nicht um organisationalen Schnickschnack.

New Work ist damit radikal im besten Wortsinn: New Work geht an die Wurzel, an den Kern. Und dieser Kern lautet für mich:

Macht das Sinn?

Anders könnte man auch fragen: Ist das, was wir hier als Gesellschaft, als Organisation, als Team und das, was ich als Mensch tue, sinnvoll und wirksam?

Ich will hier gar nicht tief einsteigen, aber der Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen lässt mich oft mit einem dicken „WTF???“ zurück. Unsere Metakrisen Klima, Krieg, Individualisierung und Co. werden im eigenen Kleinklein beantwortet. Ideen, Visionen, Utopien einer echten Zukunft fehlen.

Und genauso sieht es in Organisationen aus. „Purpose-Diskussionen“ übertünchen den dahinterliegende Schimmel, ohne die Kernfrage zu stellen:

Macht das Sinn, was wir hier tun?

Wenn sich Menschen und Organisationen ernsthaft auf die Beantwortung dieser Frage konzentrieren, kommt es zwangsläufig dazu, dass Dinge, Angebote, Projekte weggelassen werden müssen. Weglassen ist aber nicht in uns Menschen angelegt. Wir wollen immer mehr, hinzufügen, addieren. Das funktioniert aber nicht mehr – aus Gründen von Klima und Co. ebenso wie aus Gründen von Fachkräftemangel.

Wenn wir – das ist ja das Thema des Beitrags – Menschen und Organisationen wieder zusammenführen wollen, müssen wir uns mit Exnovation befassen und einem „weniger, aber besser“. Auch wenn das auf den ersten Blick schmerzhaft erscheint.

Was will ich wirklich, wirklich tun?

Erst aus der Beantwortung der Sinnfrage ergibt sich die aktuell breitgetretene „New Work Frage“ danach, was die Menschen „wirklich, wirklich tun wollen“.

Die Frage ist wieder radikal, denn – mal ehrlich – eine Beantwortung ist kaum möglich.

Ich für mich kann sagen, dass das, was ich wirklich, wirklich tun will, von unfassbar vielen Faktoren abhängig ist, die sich je nach Tag, Stimmung, Wetter… immer wieder ändern.

Und losgelöst von mir persönlich pendeln Menschen in dem was sie wirklich, wirklich wollen, individuell irgendwo im „Pentagon“ (Fünfeck) zwischen Anerkennung, Sicherheit, Autonomie, Verbundenheit und Fairness – wie hier im SCARF-Modell beschrieben.

Wichtiger als eine Antwort auf die Frage ist damit eine Beschäftigung mit der Frage – ohne eine eindeutige Antwort zu erwarten.

Das erfordert die berühmte Ambiguitätstoleranz, die Kompetenz zum Umgang mit Widersprüchen und Mehrdeutigkeit.

Aus organisationaler Perspektive gilt es dann wieder, Ambiguitätstoleranzlernmöglichkeiten zu schaffen – Möglichkeiten, in denen sich die Menschen „in“ der Organisation mit den Widersprüchen zwischen ihnen als Personen und der Organisation befassen können und nicht gleich beim kleinsten Gegenwind oder beim nächstbesten Angebot der Konkurrenz von der Organisation abwenden.

Über dieses „Aushalten von Widersprüchen“ gelingt es dann vielleicht auch, dem näher zu kommen, was man wirklich, wirklich tun will…

Mehr als Kindness Economy, oder: Organisationen brauchen Menschen und Menschen brauchen Organisationen

Natürlich sind Organisationen auf Menschen angewiesen, auf Arbeitskräfte. Sie sind angewiesen auf die Persönlichkeiten, die Ideen, die Kreativität der Individuen. Genauso sind aber auch Menschen auf Organisationen angewiesen. Wer will bitteschön die Errungenschaften wegdiskutieren, die die Arbeitsteilung mit sich gebracht hat. Wer will zu einem „Heiler“ gehen, anstatt in ein Krankenhaus, in dem Expert:innen gemeinsam an echten Lösungen arbeiten? Wer will seine Kinder in Betreuungseinrichtungen geben, die nur „satt und sauber“ anstatt echte Bildung und Begleitung leben? Wer will im Alter vor sich hin vegetieren, anstatt von Profis gepflegt zu werden?

Kurz – wir brauchen beides:

Funktionierende Organisationen, die unabhängig von einzelnen Menschen ihren Zweck erfüllen und gleichzeitig die Bedarfe der Mitarbeiter:innen berücksichtigen und darüber zu lebenswerten „Ökosystemen“ werden.

Das erfordert zum einen gelingende Organisationsentwicklung zur Gestaltung zeitgemäßer und bedarfsgerechter Organisationen. Zum anderen erfordert es individuell und organisational die Auseinandersetzung mit dem Sinn, mit der Frage nach Wirksamkeit.

„Kindness Economy“ allein wird da nicht helfen.