Schlagwort: Strategieentwicklung

Open Strategy in der Praxis – die fünf wichtigsten Fragen

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Vor einem Jahr habe ich einen Beitrag zum Thema „Open Strategy in der Sozialwirtschaft“ geschrieben. Das war eher ein Überblicksartikel. Hier erfährst Du, wie der Ansatz „Open Strategy in der Praxis“ aussieht und vor allem, welche fünf Fragen zu klären sind, um einen guten „Open Strategy Process“ zu designen.

Dazu gehe ich kurz auf die Frage ein, was eine Unternehmensstrategie ist, was den Open Strategy Ansatz so besonders macht und welche fünf wichtigsten Fragen in der Praxis für einen guten Open Strategy Process zu beantworten sind.  

Was ist eine Unternehmensstrategie?

Open Strategy, schön und gut, aber was ist (Unternehmens)Strategie überhaupt? Ohne in die Tiefe zu gehen ist die Frage nicht ganz trivial. So gibt es keine einfache, richtige Antwort. Ich fasse hier den Begriff Strategie in Anlehnung an Kühl (2016) als die Bestimmung von Zwecken einer Organisation, für die dann Mittel gesucht werden:

„Bei der Vorgabe, jedes Jahr ein Return on Investment von 15 Prozent zu erreichen, handelt es sich ebenso um ein Zweckprogramm, mit dem die Suche nach Mitteln mobilisiert wird, wie bei dem Befehl an einen Geldeintreiber der Mafia, bei Restaurants in einem Stadtviertel wöchentlich das Schutzgeld einzusammeln“

Kühl, 2016, 28

Was macht Open Strategy so besonders?

Ganz grob lässt sich Open Strategy als Strategieentwicklungsansatz definieren, der möglichst viele Interessengruppen der Organisation in die Strategieentwicklung einbezieht.

Der Ansatz ist die Abkehr von der Norm, dass Strategien immer von oben – dem oberen Management – zu entwickeln sind. Open Strategy wird zum inklusiven und transparenten Ansatz, bei dem möglichst alle, interne wie externe, Stakeholder der Organisation miteinbezogen werden.

Hinzu kommt, dass die Strategie nicht nur nach innen, sondern auch nach außen transparent dargestellt wird. So gelingt es, kontinuierlich Feedback der Umwelt aufnehmen zu können.

Bei diesem Ansatz agiler Strategieentwicklung sind mir vor allem die folgenden Aspekte positiv und gerade für soziale Organisationen, Bildungseinrichtungen, Verwaltungen und NPO enorm gewinnbringend aufgefallen:

  1. Das Interesse der Öffentlichkeit (Gesellschaft, Politik…) an den Entwicklungen der genannten „besonderen“, im Wesentlichen durch öffentliche Gelder finanzierten Organisationen ist höher als das Interesse an „privat“ finanzierten Wirtschaftsorganisationen.
  2. Die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen sind komplex. Und der Umgang mit Komplexität gelingt nur gemeinsam, im Austausch, im Abgleich der Interessen, in Kooperation, im Wir. Konkret: Wenn man bspw. Digitalisierung als ein Strategiefeld der aktuellen Unternehmensstrategie formuliert hat, macht es Sinn, nicht ausschließlich die IT-Abteilung mit der Umsetzung zu beauftragen. Es macht Sinn, die Entwicklung, Veröffentlichung und Umsetzung (nicht nur) des Themas Digitalisierung mit möglichst vielen Interessengruppen gemeinsam in crossfunktionalen Teams zu verwirklichen.
  3. Mitarbeiter*innen sozialer Berufe definieren sich stark über ihren Beruf, ihre Profession. Die berufliche Identität ist ein viel diskutierter Aspekt Sozialer Arbeit. Entsprechend interessieren sich die Mitarbeiter*innen für die Mitgestaltung der zukünftigen Ausrichtung der Organisation. Hinzu kommt, dass die Strategieumsetzung ohne die Mitarbeiter*innen nicht denkbar ist.
  4. Soziale Organisationen, genauso wie Bildungseinrichtungen oder NPOs, sind „front-line organizations“. Die soziale Wertschöpfung findet an der Basis, in der konkreten Arbeit „mit Menschen“ statt. Die Menschen jedoch, die die Arbeit „an der Basis“ leisten, nicht (oder kaum) in den Entwicklungsprozess der Strategie mit einzubeziehen, ist fahrlässig.
  5. Angesichts einer notwendigen Komplexitätssteigerung im Inneren der Organisationen aka Selbstorganisation als Reaktion auf die Komplexitätssteigerung im Außen wird der Ruf nach selbstbestimmt, eigenverantwortlich oder gar autonom arbeitenden Teams und Mitarbeiter*innen immer lauter. Wie jedoch sollten Mitarbeiter* innen selbstorganisiert arbeiten können, wenn ihnen eine Strategie vor die Nase gesetzt wird, an der sie nicht im Ansatz beteiligt waren? Gelingende Selbstorganisation erfordert Transparenz und Beteiligung – und das gilt entsprechend für den Prozess der Entwicklung, Veröffentlichung und Umsetzung der Strategie. Aus Transparenz und Beteiligung erfolgt selbstorganisiert Strategieumsetzung.

Überzeugt?

Vielleicht…

Open Strategy in der Praxis – fünf Fragen

Welche Fragen aber sind vor einem Open Strategy Process in der Praxis zu klären? Wie sollte der Prozess aufgesetzt sein? Wie ist ein gutes Open Strategy Process Design (Akronym hab ich gerade erfunden: OSPD ;-)?

Um die Fragen bis hin zum OSPD (ich nutze das jetzt öfter) zu beantworten, gibt es seit Oktober 2021 das enorm hilfreiche Buch „Open Strategy – Mastering Disruption from Outside the C-Suite“ von Christian Stadler, Julia Hautz, Kurt Matzler und Stephan Friedrich von den Eichen.

Die folgenden Ausführungen habe ich dem Buch entnommen und zusammengeführt mit meinen Erfahrungen aus der Strategieentwicklung in verschiedenen Organisationen.

Da es nicht sinnvoll ist, kopflos in einen Strategieprozess zu starten, ist die Beantwortung der folgenden Fragen vor Beginn der Strategiearbeit wichtig

1. Wie offen soll der offene Strategieentwicklungsansatz sein?

Ja, es heißt open strategy, aber klar ist, dass es nicht für jeden Prozess, für jede Organisation und jeden Prozessschritt hilfreich ist, Gott und die Welt einzubeziehen. Die Steuerung des Prozesses wird aufwendiger, je mehr Personen und Gruppen einbezogen werden. Fraglich ist auch, wie „disruptiv“ die neue Strategie sein soll oder ob sich die Organisation weiterhin in ihrem angestammten Geschäftsfeld bewegen will (wogegen nichts einzuwenden ist, sofern die Umwelt, das eco-system der Organisation, berücksichtigt wird).

Als Fautregel lässt sich festhalten: Je disruptiver die Strategie sein soll, desto mehr Stakeholder(gruppen) sollten insbesondere zu Beginn (Sammlung) involviert werden, um mehr Aspekte abdecken zu können.

2. Sollen neben internen auch externe Stakeholder involviert werden?

Es ist immer sinnvoll, Menschen zu beteiligen, die nicht unmittelbar in der Kultur der Organisation „beheimatet“ sind. Diese etwas sperrige Formulierung deutet darauf hin, dass „Externe“ nicht auch Mitglieder der Organisation sein können. Vielmehr geht es darum, außerhalb bestehender Vorgaben, ausserhalb des Standards, außerhalb der Kultur denken zu können. Das können bspw. neue Mitarbeiter*innen (noch) wunderbar.

Und bei einem Träger mit mehr als 3.000 Mitarbeiter*innen finden sich sicherlich Menschen, die nicht dem „kulturellen Standard“ entsprechend. Falls aber alle Mitarbeiter*innen von der Culture gefrühstückt wurden: Außerhalb suchen und andere Interessengruppen einbinden.

Meine Idee ist ja immer, Leistungsträger, Kommunen, Krankenkassen etc. explizit in die Strategieentwicklung der eigenen Organisation mit einzubinden. Daraus kann ein neues Verständnis voneinander im Sinne von echtem Verstehen der Unterschiede und Gemeinsamkeiten und damit ein gemeinsames Lernen werden.

3. Wie viele Personen sollen in die Entwicklung der Strategie eingebunden werden?

Ja, es gelingt auch, bei einer kleinen Gruppe von Stakeholdern, die sich an der Strategieentwicklung beteiligen, eine möglichst hohe Diversität sicherzustellen: Durch gezielte Auswahl der zu beteiligenden Stakeholder(gruppen) lässt sich die zu beteiligende Anzahl gut steuern. Auch macht eine größere Gruppe Sinn, wenn zu Beginn des Prozesses neue Ideen offen generiert werden sollen.

Eine kleinere Gruppe arbeitet hingegen deutlich fokussierter und eignet sich entsprechend gut für die Ausformulierung konkreter, strategischer Themenfelder und Ziele. Eine möglichst große Gruppe macht dann wieder Sinn, wenn die Strategie implementiert und umgesetzt werden soll.

4. Werden die zu beteiligenden Menschen explizit ausgewählt oder können sich die Personen basierend auf einer offenen Einladung beteiligen?

Die Antwort scheint klar zu sein: Kleine Gruppe = explizite Auswahl, große Gruppe = offene Einladung. Aber es ist darüber hinaus möglich, die offene Einladung zu ergänzen um gezielte Einladungen von Stakeholdern, die  – geplant oder zufällig – andere Menschen zur Teilnahme inspirieren. Dazu noch zwei Aspekte: Wenn Du daran denkst, beim nächsten Strategieprozess neue Ideen zu haben und wirklich diverse Gedanken zusammenzubringen, denke nicht unmittelbar an die „dicken Fische“: Ja, der Vorstand eines Wohlfahrtsverbands oder die Rektorin einer Uni machen Eindruck, liefern aber – aufgrund ihrer Rolle im System – nicht immer die wirklich inspirierenden Hinweise.

Hier macht es Sinn, breiter zu denken und neue „Köpfe“ einzubinden. Die sozialen Medien liefern hier spannende Einblicke… Und bedenkt abschließend bitte, dass eine Einladung nicht immer eine Einladung ist: Wenn der Chef zur Teilnahme einlädt (was vielleicht noch nie der Fall war), fällt es schwer, nicht zu erscheinen. Erst wenn eine „echte Einladungskultur“ etabliert ist, kann von echten Einladungen – die auch nicht angenommen werden müssen – gesprochen werden.

5. Agieren wir im Strategieprozess vornehmlich digital oder analog oder gar „hybrid“? 

Ich bin kein Freund hybrider Veranstaltungen, das vorweg. Ich habe noch kein Setting erlebt, das auf Beteiligung, Mitdenken und -machen ausgerichtet ist und in der Verbindung von digital und analog funktioniert hat. Hybrid will ich aber nicht ausschließen. Hybrid im Kontext von Veranstaltungen, Workshops etc. ist für mich nicht das Verständnis von „sowohl, als auch“, sondern von „entweder, oder“. Dann wird ein Schuh draus:  Machen wir Workshops, World Cafés und kreative Arbeit analog oder digital? Beides geht – getrennt voneinander und konsequent umgesetzt – wunderbar, das haben wir hoffentlich in den letzten beiden Jahren erfahren dürfen. Zusammen, also ein paar Menschen sind digital, ein paar analog beteiligt, geht nicht.

Die Vorteile digitaler Formaten liegen in der Möglichkeit, schnell mehr Personen einbinden zu können, das ist klar. Hinzu kommt aber noch die Frage, wie „synchron“ bzw. „asynchron“ die Beteiligung stattfindet: So ist die Einbindung externer (und interner) Teilnehmer*innen bspw. über die Nutzung von Online-Umfragen, bei denen selbstverständlich auch offene Antworten zu strategierelevanten Fragen gegeben werden können, einfach möglich (das Formulieren von guten Fragen ist wiederum ein eigenes Thema, da Fragen immer die Perspektive des Fragenden mit transportieren). Diesen Punkt zusammenfassend: Alles geht,  nur nicht gleichzeitig.

Fazit

Die Beantwortung der Fragen allein führt natürlich noch nicht zu einem erfolgreichen Prozess. Ohne eine Klärung der Fragen kommt es aber im Verlauf immer wieder zu Problemen.

Somit: Nimm Dir die Zeit und kläre die wichtigen Aspekte vorab. Das entspannt den Gesamtprozess. Und zu dem wirst Du hier hoffentlich zeitnah weitere Infos finden.

Und natürlich gerne stehe ich Dir bei weiteren Fragen 😉 zur Verfügung.


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Open Strategy in der Sozialwirtschaft

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Strategieentwicklung geschieht – leicht überspitzt – so, dass eine Auswahl meist hochrangiger Mitarbeiter* innen, Führungskräfte, Vorstand, Geschäftsführung, Aufsichtsrat… in geschlossenem Kämmerlein sitzen und sich Gedanken um die Zukunft der Organisation machen: Was sind die zukünftig wichtigen Themen, mit denen sich unsere Organisation befassen muss? Wie gelingt es, die strategisch relevanten Themen in Ziele und diese dann in operationalisierbare Teilziele herunterzubrechen? Heraus kommen oft Hochglanzbroschüren mit der neuen Strategie oder die Strategie wird in hübscher Form auf der Homepage präsentiert oder bei der nächsten Jahreshauptversammlung vorgestellt. Vielmehr passiert … genau … nicht.

Wichtig ist also, die Umsetzung der Strategie vor die Aufhübschung der Strategie zu stellen, damit überhaupt etwas passiert. Dazu legt man – so mein Verständnis – Verantwortliche fest, die die einzelnen Themen „unter sich“ haben (klingt immer noch bewusst sperrig). Die Verantwortlichen suchen sich dann die für die Umsetzung wichtigen Menschen im Unternehmen und beginnen, möglichst iterativ, also in kurzen Schleifen, an der Umsetzung zu arbeiten. Gegen dieses Vorgehen der Strategieentwicklung und -umsetzung nicht sonderlich viel einzuwenden. Ich habe dazu schon ein paar Beiträge verfasst.

Open strategy als Kritik an der geschlossenen Strategie

Einzuwenden ist jedoch, dass der Prozess bis zur fertigen Strategie, die Strategieentwicklung also, von wenigen Menschen der Organisation allein, im mehr oder weniger stillen Kämmerlein, im Elfenbeinturm oder in der Einöde (je nach Organisation) durchlaufen wird. Hier setzt der Ansatz „open strategy“ an.

Open Strategy ist die Abkehr von der skizzierten Norm, dass Strategien immer vom oberen Management zu entwickeln sind. Open Strategy ist damit zum einen ein inklusiver und transparenter Ansatz zur Formulierung einer Strategie, bei dem möglichst alle, interne wie externe, Stakeholder der Organisation miteinbezogen werden und zum anderen ein Ansatz zur transparenten Darstellung der Strategie nach außen, um darüber wieder Feedback der Umwelt aufnehmen zu können.

Open Strategy, digitale Transformation und soziale Organisationen

Die Vorteile eines entsprechenden, meist über interne Blogs, Wikis, Enterprise Social Networks (ESN) etc., also IT-gestützten, Prozesses liegen auf der Hand: Es wird das kreative Potenzial aller an einer Organisation interessierten Stakeholder aufgegriffen und mit einbezogen. Strategische Entscheidungen haben darauf basierend deutlich mehr Rückhalt bzw. Akzeptanz im Unternehmen.

Für die hier spezifisch im Fokus stehenden Organisationen der Sozialwirtschaft ergeben sich aus einem möglichst offenen Vorgehen und einer Transparenz in der Darstellung der Strategie mindestens die Aspekte Öffentlichkeit, gesellschaftliche Veränderungen und organisationsinterne Besonderheiten sozialer Organisationen, die beachtenswert sind. Hinzu kommt noch ein kurzer Blick auf Selbstorganisation und den open strategy Ansatz.

Open strategy und öffentliche Interessen an sozialen Organisationen

So ist zum einen das Interesse der Öffentlichkeit, der Gesellschaft und der Politik an den Entwicklungen sozialer Organisationen von besonderer Bedeutung, da soziale Organisationen im Wesentlichen über externe Gelder, Steuergelder etc., finanziert werden. Die Frage also, welche Investitionen bspw. ein Wohlfahrtsverband in Zukunft plant, ist für mehr Menschen von Interesse, als die Frage, ob der Fliesenleger um die Ecke eine gute Auftragssituation hat. Spannend ist dies auch, da in einigen Regionen Deutschlands einzelne Wohlfahrtsverbände bzw. Soziale Träger beinahe als Monopolisten die soziale Versorgung gewährleisten und darüber auch eine enorme Arbeitsmarktrelevanz besitzen. Der Stellenabbau von Mercedes trifft Stuttgart genauso wie die neue Strategie der Caritas in Region XY die jeweilige Region beeinflusst.

Open Strategy und gesellschaftliche Entwicklungen

Zum anderen ist der Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen insgesamt zu richten: Davon ausgehend, dass an dem VUKA-Narrativ irgendwas dran ist, stellt sich die Frage, wie mit zunehmender Komplexität, die zu einer höheren Unsicherheit und Mehrdeutigkeit in Verbindung mit zunehmender Veränderungsgeschwindigkeit führt, umzugehen ist. Ja, hier spielt auch die digitale Transformation mit rein, aber eben nicht nur. Digitalisierung, verstanden als eine Möglichkeit, das Leben der Menschen zu verbessern, existiert – gerade aus Blick sozialer Organisationen – nicht „an sich“, sondern entfaltet die Möglichkeiten in der Frage, wie wir in der Nutzung von Technologie das Leben von Menschen wirklich verbessern können. Digitalisierung ist Werkzeug, das wir für unsere Zwecke nutzen können und müssen, nicht Zweck an sich.

Kurz: Der Umgang mit Fragen gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen, die für Soziale Organisationen viel unmittelbarere Auswirkungen haben als für andere Unternehmen und Funktionssysteme, gelingt nur gemeinsam, im Austausch, im Abgleich der Interessen, in Kooperation, im Wir. Oder noch konkreter: Wer Digitalisierung als ein Strategiefeld der aktuellen Unternehmensstrategie formuliert oder gar eine eigene Digitalisierungsstrategie erarbeiten will, ist gut beraten, nicht die IT-Abteilung (die Digitalisierungsexperten) allein mit der Umsetzung zu beauftragen. Viel sinnvoller ist es, die Entwicklung und Veröffentlichung der eigenen Strategie mit möglichst vielen Interessengruppen gemeinsam in crossfunktionalen Teams zu verwirklichen.

Open Strategy und der Blick in Soziale Organisation

Der Blick in soziale Organisationen zeigt abschließend, dass das Interesse der Mitarbeiter* innen an den Entwicklungen der eigenen Organisation hoch und oftmals höher als in „normalen“ Organisationen ist. Hintergrund sind hier wiederum mindestens zwei Sichtweisen:

Zum einen identifizieren sich die Mitarbeiter*innen in sozialen Berufen stärker über ihren Beruf, ihre Profession. Die Berufliche Identität ist ein viel diskutierter Aspekt in der Sozialen Arbeit. Entsprechend wählerisch sind die Menschen in dem, was die Organisationen als Visionen, Strategien, Werte und Ziele nach außen vermitteln und nach innen leben. Eine Organisation in konfessioneller Trägerschaft tut gut daran, die entsprechenden Werte nicht nur ins Leitbild zu schreiben oder im Verhältnis zu Nutzer *innen, sondern auch im Verhältnis zu den eigenen Mitarbeiter*innen zu leben. Und genauso interessiert sind die Mitarbeiter*innen an der Mitgestaltung der zukünftigen Ausrichtung der Organisation.

Zum anderen findet die Wertschöpfung sozialer Organisationen als „front-line organizations“ an der Basis statt: Der Erzieher am Kind ebenso wie die Beraterin in der Drogenberatung ist Ausweis der Qualität der sozialen Organisation. Die Geschäftsführung leistet – etwas überspitzt – reine Unterstützungsarbeit, damit die Menschen an der Basis ihre Arbeit möglichst gut machen können. Die Menschen an der Basis jedoch nicht (oder kaum) in den Entwicklungsprozess der Strategie mit einzubeziehen, ist fahrlässig. Wiederum das Thema Digitalisierung als Beispiel aufgreifend ist es notwendig, die Fachkräfte mit in die Frage einzubinden, ob und wie digitale Technologien jetzt und in Zukunft zu nutzen sind. Ansonsten wird der Widerstand der Mitarbeiter* innen groß sein.

Open Strategy und Selbstorganisation

Hier noch abschließend ein weiterer Gedanke: Viele Organisationen rufen gerade händeringend nach selbstbestimmt, eigenverantwortlich oder gar autonom arbeitenden Mitarbeiter* innen. Wie jedoch sollten Mitarbeiter* innen selbstorganisiert arbeiten können, wenn ihnen eine Strategie vor die Nase gesetzt wird, an der sie nicht im Ansatz beteiligt waren? Kurz: Selbstorganisation erfordert Transparenz und Beteiligung – das gilt auch für den Prozess der Entwicklung und der Veröffentlichung der Strategie. Nur aus Transparenz und Beteiligung erfolgt dann auch selbstorganisiert Strategieumsetzung.

Die Jungs von „Corporate Rebels“ schreiben zu radikaler Tranparenz:

After visiting 100+ pioneering organizations around the globe we found radical transparency to be an important characteristic of the progressives. Simply, people are more involved, perform better, and have higher trust if their leaders foster a culture of transparency (instead of a traditional culture of secrecy).

Grenzen des open strategy Ansatzes?

Open strategy setzt – in der Entwicklung und der Verbreitung – auf Partizipation und Transparenz. Das leuchtet ein und (hoffentlich) jeder wird die skizzierten Vorteile zumindest intellektuell verstehen (was noch nicht „umsetzen“ bedeutet).

Gleichzeitig zeigt uns Corona gerade, dass viele Notwendigkeiten im Kontext der Digitalisierung sozialer Organisationen „unter Zwang“ umgesetzt wurden. Partizipation war angesichts der unmittelbaren Notwendigkeit der Umstellung auf Distanz, Homeoffice etc. ein irgendwo im Hinterkopf schlummerndes Konzept, das jedoch nicht ganz oben auf der Prioritätenliste stand. Daraus folgt zumindest die Frage, wo strategische Entscheidungen ohne Beteiligung umzusetzen und die Schmerzen und den Widerstand auszuhalten sind, um dafür wirklich einige Schritte weiterzukommen?

Anders gewendet zeigt sich jedoch, dass Veränderungen, auch und gerade strategische, langfristige und umfassende Veränderungen, immer einen Anlass, ein Anliegen bzw. ein echtes Problem brauchen:

Wir können noch so lange über Digitalisierung reden und theoretisch Digitalisierungsinitiativen fordern. Wenn es eigentlich noch kein Problem gibt, Veränderung also auf Einsicht basieren muss, wird es nicht leicht. Wenn also Kostenträger keine Finanzierung von digitaler Infrastruktur ermöglichen, die Mitarbeiter* innen im Studium kein Wort zur Digitalisierung hören, die Organisationen Faxe verschicken usw. bleibt unklar, warum Digitalisierung wichtig sein sollte. Erst dann, wenn das Problem jedoch unmittelbar an die Tür klopft, wird es notwendig, sich wirklich zu bewegen.

Und dann wiederum macht es mehr Sinn, sich gemeinsam, offen und transparent zu bewegen. Das kann man bspw. durch open strategy Ansätze im Kleinen wie im Großen lernen.

Und wie jetzt?

Abschließend wird in Blogs ja immer gefordert, irgendwelche Handlungsanleitungen mit an die Hand zu geben. Das ist berechtigt, jedoch angesichts der Komplexität des Feldes kaum erfolgsversprechend. So sehe ich auf die Frage „Und wie jetzt?“ die Antwort „Kommt drauf an!“ als leider passend an. Denn es kommt an auf

  • Eure Organisation: Wer seid ihr? Wohin wollt ihr? In welcher Umwelt agiert ihr?
  • die Kultur Eurer Organisationen: Wie offen lebt ihr Beteiligung bislang?
  • Strukturen und bisherige Strategien: Wie funktioniert ihr als Organisation? Wie digital seid ihr?
  • die Zukunft: Wie transparent, partizipativ und offen wollt ihr sein? Und warum überhaupt?

Im bereits zitierten Beitrag auf dem lesenswerten Blog „Corporate Rebels“ heißt es als abschließender Tipp sehr passend:

„Pioneering organizations believe radical transparency is vital, at all levels of the organization and on almost all topics. The starting point is simple: all information should be made public.“

Radical Transparency: Powerful Example of How to Fight a Toxic Workplace

Das ist einfach(er gesagt als getan): Alles öffentlich machen. Und damit auch die Strategie! Auf geht’s…

Und mehr folgt hoffentlich in weiteren Beiträgen zum Thema…


Wie läuft die Strategieentwicklung und -umsetzung bei Euch ab? Wo seht ihr Chancen und Möglichkeiten eines entsprechend offenen Ansatzes der Strategieentwicklung? Und wo sind Grenzen? Diskutiert gerne hier im Blog oder sonstwo im Netz… 😉

Hier könnt ihr Euch übrigens an einen kleinen Austausch zum Thema bei Twitter beteiligen (open, halt…):

Zitiervorschlag: Epe, Hendrik (2020): „Open Strategy in der Sozialwirtschaft“. In: IdeeQuadrat – Beratung, Entwicklung, Inspiration. (Abgerufen unter: https://www.ideequadrat.org/open-strategy-sozialwirtschaft/)

Inspect and Adapt, oder: Lösungsorientierte Kurzzeitstrategie für die (Zeit nach der) Krise

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In der Coronakrise wird alles auf den Kopf gestellt: Menschen müssen von zu Hause arbeiten, auch wenn die eigene Organisation nicht im Traum daran gedacht hat, ein HomeOffice Konzept zu erarbeiten. Die Digitalisierung und selbst die Digitalisierung der Sozialen Arbeit, bekommt unfreiwillig einen Boost, den wir mit noch so vielen Vorträgen und Workshops nicht hinbekommen hätten. Menschen müssen Menschen „remote“, also aus der Distanz beraten, begleiten, schützen, fördern, obwohl der analoge Beziehungsaufbau eines der wesentlichen Werkzeuge sozialer Arbeit war, ist (und aller Voraussicht nach bleibt).

Zwangsagilisierung führt zu neuer Organisationskultur

Das ist alles spannend, schön und nett und funktioniert sogar so beängstigend gut, dass wir nach der Krise nicht wieder einfach so zur 8-Stunden Präsenz am Schreibtisch im Büro zurückkehren können, nur damit der Chef oder manchmal auch die Chefin das eigene Gefühl bestätigt sieht, die Schäfchen im Trockenen zu haben aka die Angestellten vor den Bildschirmen sitzen zu sehen.

Auch langwierige, Kaffee- und Keks-geprägte Teamsitzungen, die besser eine E-Mail geworden wären, lassen sich zukünftig nur noch schwer realisieren, wenn es gleichzeitig möglich ist, Veranstaltungen der Sozialen Arbeit mit mehr als 200 Teilnehmer*innen zielführend und komplett online durchzuführen.

Die durch die Krise geforderte Zwangsagilisierung der Organisationen wird neue Organisationskulturen hinterlassen, sofern, ja, sofern die Organisationen noch bestehen.

Denn – auch wenn es hart ist – wird auch dies in der Krise deutlich: Organisationen, die schon vor der Krise hinsichtlich ihrer ökonomischen Nachhaltigkeit ihres Geschäftsmodells „auf Kante genäht“ waren, werden nach der Krise nicht mehr existieren. Das trifft, so hart es ist, nicht nur lustige StartUps in Berlin, sondern auch soziale Organisationen.

Lösungsorientierte Kurzzeitstrategie für die Zeit nach der Krise

Entsprechend ist es schon jetzt, während der Krise, relevant, aktuelle, in der Krise aufkommende Probleme anzugehen und Strategien sowie Strukturen Ihrer Organisation für die Zeit nach der Krise, für morgen und übermorgen, zu gestalten.

Das klingt jedoch einfacher als die Bearbeitung dann in der Realität ist.

Denn bislang musste Strategieentwicklung doch irgendwie ein langwieriger Prozess sein, der immer in einer Hochglanzbroschüre endet, die niemand liest, geschweige denn die darin enthaltenen Aspekte umsetzt, oder?

Aktuell brauchen wir eine andere, eine kompakte und radikal lösungsorientierte Vorgehensweise der Strategie- und Organisationsentwicklung.

Strategieentwicklung und -umsetzung anhand von „Inspect and adapt“

Sehr einfach formuliert (und mehr ist es auch tatsächlich nicht) lässt sich das Vorgehen an dem Scrum-Event „Inspect and Adapt“ orientieren:

In diesem Event in der agilen Methode Scrum prüft (inspect) das Team nach jedem Sprint, also jeder iterativen Schleife, wo es aktuell steht und was erreicht wurde. Dabei werden Aspekte deutlich, die zu verbessern sind, noch fehlen, die Schmerzen bereiten oder auch unbedingt in die Zukunft geführt werden sollten.

Entsprechend werden Maßnahmen zur Umsetzung der Veränderungen vereinbart (adapt).

Dieses einfache Vorgehen lässt sich für die Strategie- und auch einige Aspekte der Organisationsentwicklung wie folgt adaptieren (adapt, haha…):

1. Den Status Quo und aktuelle Erkenntnisse erfassen (inspect)

Das klingt immer so lapidar: Natürlich bist Du als Führungskraft im Status Quo drin. Du siehst doch das Chaos um dich herum. Und von Problemen hast Du echt genug. Warum also damit beginnen, den Status Quo und damit die Erkenntnisse (ein anderes Wort für Probleme, aber eben auch für Innovationen) zu erfassen?

Weil es enorm wichtig ist, gerade in der Krise (oder spätestens kurz danach) einen Schritt zurück zu treten und genau zu beleuchten, was denn jetzt gerade vorgefunden wird. Hilfreiche Fragen dazu sind:

  • Wie sieht der Status Quo aus?
  • Wo genau liegen unsere aktuellen Schwierigkeiten und Probleme?
    • Als hilfreiches Tool zur Orientierung greife ich in Beratungen gerne auf das St. Galler Management Modell zurück, da es sehr ganzheitlich die Organisation in den Blick nimmt und nichts vergessen wird.
    • Leistungserbringung (bspw. Geschäfts-, Führungs- und Unterstützungsprozesse, Strategie, Struktur, Personal, finanzielle Ressourcen…)?
    • Anstehende Entscheidungen (bspw. bezogen auf das Personal, auf Investitionen, Projekte, zeitliche Fristen…)
    • Interne Kommunikation (bspw. Meetingkultur, Home Office…)
  • Was läuft gerade außerordentlich gut (bspw. Solidarität, Kooperation)?
  • Lassen sich Muster erkennen?

Praxistipp: Wo sammelt ihr in deiner Organisation aktuelle Fragen, Probleme und neue Ideen, die nicht unmittelbar angegangen werden können, aber auch nicht verloren gehen dürfen?

Da Du jetzt sicherlich irgendwie digital arbeitest, macht es Sinn, an einem Ort (bspw. in deinem Notizprogramm, Evernote, OneNote o.ä. oder als Team) eine Themensammlung aufzumachen. Diese kann beim nächsten Strategiereview durchgegangen werden.

2. Ableitung von Hypothesen

Spannungen, Probleme, Herausforderungen aber auch neue Praktiken und Innovationen gibt es gerade angesichts der aktuellen Krise zuhauf. Diese, positiven wie negativen, teilweise Widersprüchen Entwicklungen, zu erkennen, ist gut und wichtig. Ohne Konflikte und Dissens jedoch ist das Treffen von guten Entscheidungen schwer möglich.

  • Aber wie stehen die Herausforderungen und Konflikte, die Spannungen etc. zu Ihrer Arbeit, zu Deiner Organisation oder noch globaler: zum Zweck der Organisation?
  • Und was lässt sich daraus ableiten? Was ist zu tun, um die Probleme zu bewältigen und was ist zu tun, um die Innovationen zu bewahren? Und natürlich:
  • Welche Chancen lassen sich erkennen und welche Lösungsansätze werden gesehen?

Diese Fragen sind Teil des 2. Schritts:

Der Bewertung der unter Schritt 1 gewonnenen Aspekte und der Ableitung daraus gewonnener Erkenntnisse, neuer Ideen und Praktiken.

Dabei ist es relevant, jede Spannung, Herausforderung und neue Idee kurz in den Blick zu nehmen und eine Hypothese abzuleiten: „Wenn wir dies tun, passiert dies.“ „Wenn dieses Szenario eintritt, kommt es zu folgenden Auswirkungen.“ „Wenn wir uns um dieses Thema nicht kümmern, passiert dies.“ Es gilt hier, verschiedene Szenarien, Ideen für den jeweiligen Aspekt, zu entwickeln.

Und auch dieser Schritt muss nicht in langen Diskussionen enden, sondern kann sehr schnell gehen 😉

3. Iterativ testen, was wie wirklich wirkt (adapt)

Für die in Schritt 1 gesammelten und anhand der Kategorien des St. Galler Management Modells systematisch geordneten durch die Krise entstandenen Aspekte, die sich ggf. auch in Clustern abbilden lassen, wurden in Schritt 2 Hypothesen gebildet, die in Schritt 3 getestet werden:

  • Treten die in den Hypothesen formulierten Vorannahmen ein oder nicht?
  • Welche erwünschten oder auch unerwünschten Nebenwirkungen treten ein?
  • Welche überhaupt nicht berücksichtigten Wirkungen treten ein?
  • Was lässt sich daraus ableiten?

Um aber diese Fragen beantworten zu können, ist es wichtig, für die einzelnen Themenbereiche Verantwortliche festzulegen, die sich um die Umsetzung der Themen kümmern. Wieder mache ich gerne den Vergleich zu Scrum auf: Die Verantwortlichen lassen sich mit den „Product Ownern“ vergleichen: Sie müssen nicht selbst das Ergebnis umsetzen, sondern sind vielmehr verantwortlich dafür, dass die Umsetzung angemessen und im Sinne der Organisation läuft.

Die Verantwortlichen sollten sich ein passendes Team suchen, das die für die Umsetzung notwendigen Kompetenzen mitbringt. Hier macht es deutlich mehr Sinn, auf Freiwilligkeit zu setzen. Zwang senkt die Motivation, aber dazu muss man nicht so viel sagen.

Du solltest nur ebenfalls bei den sog. „Zuständigkeiten“ vorsichtig sein. Derjenige, der für Thema XY zuständig ist, muss in der aktuellen Krise nicht der Beste für das Thema sein. Denn aktuell werden viele Einrichtungen so durchgeschüttelt, dass sich auch die angeblich strukturgebenenden Zuständigkeiten neu mischen (müssen).

Wer für was zuständig ist, lässt sich nicht mehr einfach sagen. Und diese Unsicherheit gilt es auszuhalten.

(Virtuelle) Rahmenbedingungen

Kurzzeitstrategie

Noch ein paar kurze Infos, wie ich die Begleitung bei den vorgestellten Punkten aktuell online sicherstelle (was natürlich auch einfach kopiert werden kann ohne Begleitung):

Da analoge Treffen aktuell eher schwer möglich sind und im kompletten Führungskreis einer Organisation auch nicht sinnvoll erscheinen, arbeite ich natürlich digital. Die Möglichkeiten sind faszinierend und – ein paar Aspekte (stabiles Netz bspw.) vorausgesetzt, nicht so kompliziert.

Ich arbeite mit Bluejeans als tool für die Videokonferenz. Parallel dazu baue ich eine Online-Whiteboard mit Mural, einer für die Basics kostenfrei gut nutzbaren App zur Visualisierung von Arbeitsergebnissen.

Damit gelingt die Kommunikation mit Blick in die Augen und gleichzeitig die Visualisierung der Diskussion und der Ergebnisse.

Zeitlich sind aus der bisherigen Erfahrung Sitzungen mit drei Mal zwei Stunden Länge sinnvoll: Zwei Stunden sind lang genug, um einzuchecken, Nebengespräche zu führen und gut digital zu arbeiten. Sie sind aber auch kurz genug um die Fokussierung, die bei den Videokonferenzen krass ist, aufrecht zu erhalten. Und die Durchführung anhand von drei Sitzungen ermöglicht die Reflexion zwischen den Sitzungen.


Macht das für Deine Organisation Sinn? Dann kurz anrufen oder ne Mail schreiben. Ich freu mich auf Dich und Deine Einrichtung!

Prinzipien agiler Strategieentwicklung

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Gefühlt wird alles irgendwie agil. Unser Omma war lange agil und die Organisation soll zumindest irgendwann mal agil werden. Ihre auch, oder? Und jetzt auch noch die Strategie?

Mit diesem Einleitungssatz will ich nur hervorheben, dass mir die Diskussionen um den inflationär verwendeten Begriff sehr bewusst sind. Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass es sinnvoll ist, den Begriff zu verwenden, solange klar definiert ist, worüber gerade gesprochen wird.

Agilität: Individuum, Produkt oder Organisation?

Ich unterscheide hier zwischen den drei Ebenen Individuum, Produkt (bzw. Dienstleistung) und Organisation.

Ebene Individuum: Beim Individuum steht unser schon angesprochene Omma im Vordergrund, oder kurz: Menschen können agil sein.

Ebene Produktentwicklung: Beim Produkt steht die Produktentwicklung und Umsetzung mittels Methoden des agilen (Projekt-)Managements im Vordergrund (Design Thinking, Scrum, Kanban und Co. lassen sich hier verorten).

Ebene Organisation: Und bzgl. der Organisation geht es um die Anpassungsfähigkeit der Organisation an sich zunehmend schneller verändernde, unsichere und mehrdeutige Umwelten. Hier steht die Frage im Vordergrund, wie mit zunehmender Komplexität umgegangen werden kann.

Agile Strategieentwicklung?

Und wo, bitte, fügt sich die Strategieentwicklung in diesem Kontext ein? Ohne hier in die Tiefe gehen zu wollen, lohnen sich zur Definition die Ausführungen von Stefan Kühl dazu:

„Aus einer systemtheoretischen Perspektive bezeichnet Strategie das Suchen nach geeigneten Mitteln zur Realisierung eines vorher definierten Zwecks. Strategieformulierung (oder Strategieentwicklung) wäre aus dieser Perspektive der Prozess der Suche nach dem geeigneten Mittel (…). Strategieumsetzung (…) wäre der Prozess des Einsatzes der als geeignet identifizierten Mittel, um den vorher definierten Zweck zu erreichen. Das, was quasi im Schatten der offiziellen Suche nach Mitteln zur Erreichung eines festgelegten Zwecks abläuft, würde man als Prozess der Strategieformulierung bezeichnen“ (Kühl, 2016, 9f).

Ich würde nur ergänzen, dass bei der Strategie einer Organisation oft mehrere Zwecke in den Blick genommen werden: Der Zweck „Digitalisierung“ steht unter anderem ebenso im Fokus wie der Zweck „Personalentwicklung“ oder „Nachhaltigkeit“ (hoffentlich).

Definition der Zwecke

Wichtig für die Strategieentwicklung und -umsetzung ist, dass die Zwecke (oder Ziele) sehr präzise spezifiziert werden müssen. Nur so lässt sich feststellen, ob sie erreicht wurden oder nicht:

„Dafür muss der Inhalt (Was soll erreicht werden?), das Ausmaß (Wie viel soll erreicht werden?), der zeitliche Rahmen (Wann soll etwas erreicht werden?), der personelle Bezug (Wer ist verantwortlich, dass der Zweck erreicht wird?) und der räumliche Bezug (Wo soll er erreicht werden?) bestimmt werden“ (ebd., 10).

Kühl schreibt in seinem lesenswerten Buch weiter, dass es häufig wichtig ist, nicht nur nach Mitteln für zu definierende Zwecke, sondern in der Organisation auch nach Zwecken für vorhandene Mittel zu suchen. Die Methode Effectuation kommt ins Blickfeld. Das soll hier aber nicht Thema sein.

Anpassungsfähige Strategieentwicklung und -umsetzung

Thema ist vielmehr, wie es gelingt, die Strategieentwicklung und -umsetzung so zu gestalten, dass schnell und anpassungsfähig für die Organisation gute Ergebnisse erzielt werden können und die Strategie damit nicht nur Hochglanzpapier bleibt und von der Realität schneller überholt wird, als sie gedruckt werden kann, oder, um der Definition zu folgen: Wie gelingt es, die Mittel für die Zwecke (oder umgekehrt) schnell und passgenau zu finden und umzusetzen?

Hier kommen Methoden des Projektmanagements zum Einsatz, da die von Kühl gestellten Fragen aus meiner Perspektive wunderbar für ein Projekt anwendbar sind:

  • – Was soll erreicht werden?
  • – Wie viel soll erreicht werden?
  • – Wann soll was erreicht werden?
  • – Wer ist verantwortlich, dass der Zweck erreicht wird?
  • – Wo soll er erreicht werden?

Da alle Aspekte offen sind und auch die Frage, was erreicht werden soll, oftmals eher vage, denn sehr konkret beantwortet werden kann, ist ein agiles Vorgehen in der Entwicklung und Umsetzung zu bevorzugen.

Agile Strategieentwickung und -umsetzung konkret

In einem konkreten Fall der Strategieentwicklung mit einer sozialen Einrichtung (Träger unterschiedlicher Organisationen, knapp 1.000 Mitarbeiter*innen) haben wir in einem zweitägigen Einstiegsworkshop mit der Führungsebene der Organisation die zu erreichenden Zwecke im Sinne von Strategiefeldern definiert und dabei auch direkt auf die vorhandenen Mittel geschaut: Worin ist die Organisation bereits gut und was lässt sich daraus für die Zukunft ableiten?

Erarbeitet wurden in dem Workshop sieben Strategiefelder, von der Digitalisierung über Personal- bis hin zur Produktentwicklung. Ohne dies explizit zu benennen, lief für die Erarbeitung der Strategiefelder im Hintergrund die Gliederung des „Product Vision Boards“ mit: Wer ist Zielgruppe des jeweiligen Strategiefelds? Was sind deren Bedarfe? Welche Anforderungen hat das jeweilige Strategiefeld? Welche Zielsetzungen sind mit der Arbeit am Strategiefeld für die Organisation konkret verbunden?

Jedem Strategiefeld hat sich eine Führungskraft im Sinne des „Product Owners“ zugeordnet. In je dreimonatigen „Strategie-Sprints“ gemeinsam mit selbst zusammengestellten, hierarchieübergreifenden Teams wurde dann an der Umsetzung gearbeitet.

Das Arbeitsergebnis der verschiedenen Teams ist – naturgemäß – unterschiedlich. Insgesamt, für die Kürze der Zeit, aber beeindruckend. Aktuell bereiten wir den zu Beginn des kommenden Jahres anstehenden Strategiereview vor, der – ähnlich einer Retrospektive – wiederum in einem zweitägigen Workshop die Strategiefelder auf den Prüfstand stellt, Ergebnisse feiert und Anpassungen vornimmt. Ich freu mich drauf.

Werte der agilen Strategieentwicklung

Im Manifest für Agile Softwareentwicklung sind die folgenden vier Werte festgeschrieben:

  • – Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge
  • – Funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation
  • – Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als Vertragsverhandlung
  • – Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans

Wie aber lassen sich diese Werte an die Strategieentwicklung angleichen? Aus meiner Sicht wäre folgendes denkbar:  

  • – Umsetzung relevanter Themen mehr als langwierige Entwicklung der Strategiefelder
  • – Partizipation und Akzeptanz mehr als Öffentlichkeitswirkung
  • – Spüren und Antworten mehr als Vorhersagen und Kontrollieren
  • – Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans

In einem folgenden Beitrag werden ich näher auf diese Werte und meine dahinterstehenden Überlegungen eingehen, um zu verdeutlichen, was damit im Kern gemeint ist (und wo noch Entwicklungen notwendig sind).

Prinzipien der agilen Strategieentwicklung

Die Werte im agilen Manifest werden auf 12 Prinzipien agiler Arbeit heruntergebrochen. Wenn Du Dich für die ursprünglichen Prinzipien interessierst, kannst Du diese hier nachlesen. Das lohnt sich grundsätzlich, um agiles Arbeiten zu verstehen. Diese Prinzipien sind natürlich auf die Softwareentwicklung ausgerichtet.

Aber wie lassen sich die Prinzipien auch auf die Strategieentwicklung umbrechen? Was kommt dabei heraus? Das versuche ich im Folgenden:

Prinzip 1: Unsere höchste Priorität ist es, den Zweck des Unternehmens durch kontinuierliche Umsetzung der in den Strategiefeldern spezifisch formulierten Anforderungen zu erfüllen.

Prinzip 2: Änderungsnotwendigkeiten der in den Strategiefeldern formulierten Anforderungen werden zu jedem Zeitpunkt willkommen geheißen. In der agilen Strategieentwicklung und -umsetzung werden Veränderungen der Anforderungen im Sinne der Zweckerfüllung der Organisation bewertet.

Prinzip 3: Die Umsetzung und gemeinsame Überprüfung der in den Strategiefeldern formulierten Anforderungen erfolgt iterativ in kurzen, maximal dreimonatigen Sprints.

Prinzip 4: Für die Umsetzung der in den Strategiefeldern formulierten Anforderungen bilden sich Teams, die aus fachlicher Perspektive die Umsetzung gewährleisten können.

Prinzip 5: Die Teams für die Umsetzung der in den Strategiefeldern formulierten Anforderungen arbeiten und entscheiden autark.

Prinzip 6: Die Teams kommunizieren während der Strategiesprints regelmäßig (und möglichst von Angesicht zu Angesicht).

Prinzip 7: Nach jedem Sprint wird eine Retrospektive durchgeführt, in der Herausforderungen und Umsetzungsschwierigkeiten angesprochen werden. Neue Teamzusammensetzungen sind möglich.

Prinzip 8: Halb soviel aber doppelt so gut!


Es ist auch hier notwendig, die Prinzipien zu spezifizieren. Wie gesagt, das erfolgt in einem nächsten Beitrag. Entsprechend siehst Du:

Es passt (noch) nicht perfekt und es ergeben sich sicherlich Fragen und Veränderungen im Verlauf der Strategieentwicklung und -umsetzung anhand des skizzierten Vorgehens.

Für die im obigen Beispiel angesprochene Organisation und die dabei beteiligten Mitarbeiter*innen und Führungskräfte hochgradig spannend sind aber die bisher, innerhalb eines Jahres, erreichten Ergebnisse: Wer Organisationen kennt, oder besser noch:

Wer soziale Organisationen mit mehr als 1.000 Mitarbeiter*innen kennt, weiß, dass ein Jahr kein wirklich langer Zeitraum ist.

Kurzes Fazit:

Auch wenn sich vielleicht an agile Methodenfreaks an den Ausführungen aufhängen werden (oder sich im Grabe herumdrehen, je nach zeitlicher Perspektive), ist aus der Umsetzung in sozialen Organisationen für mich jedoch klar erkennbar, dass die oben skizzierten (und nach auszuformulierenden) Werte und Prinzipien agilen Vorgehens bei der Strategieentwicklung hochgradig hilfreich sind.

Es geht nicht mehr um die oftmals völlig an den Haaren herbeigezogene Vorhersage von ggf. niemals zutreffenden Entwicklungen. Es geht nicht mehr um das Erzwingen von Zuständen, die nicht der Organisation, ihrem Wesen und Zweck entsprechen.

Es geht vielmehr darum, die Strategieentwicklung und vor allem die Strategieumsetzung dazu zu nutzen, zu spüren, wo welche wirklich wichtigen Bedarfe der Organisation zum jeweiligen Zeitpunkt liegen. Daraus resultiert eine Kontinuität im Zusammenspiel aus Entwicklung und Umsetzung, die in Zeiten zunehmender Komplexität unabdingbar ist.


Ich bin aber schon jetzt gespannt, was das bei Dir und bei Euch auslöst. Entsprechend freue ich mich auf die Kommentare: Wo seht ihr Schwierigkeiten? Wo steht ihr in der Strategieentwicklung? Welches sind Themen, die aufgegriffen werden müssen? Und vor allem, wie würdet ihr die oben skizzierten Werte und Prinzipien anpassen?

Strategieentwicklung für zeitgemäße Organisationen: Warum der Fokus auf die Digitalisierung allein gefährlich ist

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Das Leben ist eins der Schwersten. Als Entscheider*in, als Führungskraft und Managerin ist es heute mehr als relevant, „die“ Digitalisierung auf dem Schirm zu haben. Sie brauchen digitale Kompetenz als Mensch, Sie brauchen Digitale Führungsfähigkeiten im Sinne eines digital leaderships, Sie müssen digital kommunizieren und selbstverständlich muss Ihre Organisation digital fit sein – whatever that means – um in der digitalen Transformation nicht unterzugehen. In diesem Gewusel habe ich selbst vor Kurzem noch geschrieben, dass es digitaler Strategien für Ihre Organisation bedarf und ich stehe immer noch dazu. Sogar auf meinem Laptop steht der Spruch „Digitalisiert’s eich!“

Und gleichzeitig schreibe ich hier, dass der Fokus auf das Thema Digitalisierung gefährlich sein soll?

Der Fokus auf die Digitalisierung allein ist gefährlich?

Spätestens hier bedarf es einer Erläuterung:

Do, what’s needed, oder: Wir brauchen zeitgemäße Organisationen!

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Man nehme ein wenig agiles Management, mixe dies mit flachen oder am Besten gar keinen Hierarchien, gebe zwei bis drei Teelöffel New Work hinzu und verrühre das Ganze lange unter der Zugabe von Innovation so lange, bis eine zähe Buzzword-Brühe entsteht. Am Ende wird die ganze Soße garniert mit ausreichend Digitalisierung, damit einem die unter der süßen Oberfläche verborgene Organisationskröte auch schmeckt.

Arbeit an der Digitalstrategie Teil IV – Umsetzung im Vordergrund

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Vor Monaten habe ich eine Serie geschrieben, die sich der Frage gewidmet hat, wie eine sinnvolle Digitalstrategie für soziale Unternehmen gestaltet werden kann. Angefangen von grundsätzlichen Überlegungen zu Unternehmensstrategien über die Darlegung, warum alle Bereiche oder – im wording des St. Galler Management Modells – alle Grundkategorien der Organisation von der digitalen Transformation betroffen sind bis hin zu recht konkreten Vorgehensweisen habe ich Aspekte angesprochen, die mit der Digitalstrategie auch und vielleicht gerade für soziale Organisationen zusammenhängen. Hier will ich noch einmal spezifischer auf eine recht einfache Vorgehensweise eingehen, die ich für die Arbeit an der Digitalstrategie sozialer Organisationen als sinnvoll erachte.

Agile Strategieentwicklung für soziale Organisationen Teil II

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Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, einen CDO einzustellen? Das ist ein Chief Digital Officer, der – so können Sie dies hier nachlesen – für die Strategieentwicklung und Strategieumsetzung der Digitalstrategie in Ihrer Organisation verantwortlich ist. Ja, so steht es da: Der CDO ist für die Erarbeitung und Umsetzung der Digitalstrategie zuständig. Damit – das ist praktisch – hätten Sie sogar jemand, der verantwortlich ist! Besser: schuldig, wenn es mal nicht so laufen sollte!

Falls Sie sich aber noch nicht sicher sind, ob Sie wirklich einen CDO brauchen, können Sie einmal einen Blick in Teil I meiner Serie zur Entwicklung einer Digitalstrategie für soziale Organisationen werfen. Darin erläutere ich, dass es gar nicht einfach ist, zu definieren, was überhaupt unter einer Unternehmensstrategie zu verstehen ist und was nicht. Darin erläutere ich auch, warum Strategieformulierungen oftmals so leer klingen. Daran ändert auch der CDO nichts, womit Sie diesen also nicht brauchen.