Vertrauen, oder: Zum Umgang mit fehlendem Slack in Sozialen Organisationen

Organisationsentwicklung in der Sozialwirtschaft

Inhalt:

Stefan Kühl schreibt, dass es für Organisationen hochgradig relevant ist, „Slack“ zu produzieren, Fettpolster, um Zeiten der Krise gut bewältigen zu können. Er betitelt den Beitrag treffend mit den Worten

„Vom Nutzen und Schaden von Fettpolstern“.

Organisatorische Fettpolster werden deutlich, wenn man sich seine Beispiele anschaut:

„Eine Armee hält sich Ersatzteile für Panzer auch dann vorrätig, wenn kein militärischer Konflikt bevorsteht. An zentralen Bahnhöfen unterhalten halten staatliche Verkehrsbetriebe Pools von Technikern, die komplizierte Fehlerquellen beseitigen können, auch wenn deren Qualifikationen nur selten nachgefragt wird. Ein Landkreis erklärt sich bereit Krankenhausbetten zu finanzieren, die nicht permanent gebraucht werden, um auf eine Katastrophe oder eine Pandemie eingestellt zu sein.“

Lean, Agil und Sozial ohne Slack

In Unternehmen oder Organisationen wird – unter Schlagworten wie dem „Outsourcing“ oder auch dem „Lean Management“ – versucht, diese Fettpolster, Slack, möglichst gering zu halten bzw. abzubauen. Auch agile Managementkonzepte dienen dazu, nicht nur effektiver, sondern auch effizienter zu arbeiten.

So besteht eine (berechtigte) Hoffnung agilen Arbeitens darin, dass die Menschen in iterativen Schleifen schneller das Richtige tun (Effektivität), als an den Notwendigkeiten der Kund*innen vorbei zu arbeiten und in der „Wasserfall-Logik“ tolle, aber nicht zweckmäßige Produkte zu entwickeln. Hieraus ergibt sich dann zwangsläufig eine höhere Effizienz, da der Verlust, der Slack, die Fettpolster verringert werden können, ohne an Wirkung, Wertschöpfung oder wie auch immer, einzubußen.

Hier ließe sich ansetzen und kritisch auf die aktuellen „Management-Moden“ schauen, die unter den o.g. Schlagworten verkauft werden (oder gar: wurden?). Das ist aber nicht das Anliegen dieses Beitrags.

Wenn Agilität ernst gemeint ist, bin ich vielmehr überzeugt davon, dass die hinter den agilen Arbeitsweisen liegenden Prinzipien gerade in hochdynamischen Zeiten Organisationen robuster werden lassen, als klassische Organisationsprinzipien. Aber dazu werde ich sicherlich noch mal was schreiben (wenn denn Zeit ist, die bei mir leider gerade nicht ganz so einfach herzustellen ist).

Soziale Organisationen und Slack

Mein Interesse am Beitrag von Kühl wurde spätestens bei den folgenden Zeilen geweckt:

„Besonders unter Innovationsgesichtspunkten können Fettpolster eine zentrale Funktion in Organisationen erfüllen: Ein Unternehmen, welches sich perfekt einer bestimmten Marktsituation angepasst hat und ihre ganze Organisation auf die effiziente Bedienung dieser Marktnischen ausrichtet, kann ein grundlegendes Problem bekommen, wenn sich die Marktsituation ändern. Es sind keine überschüssigen Ressourcen mehr vorhanden, mit dem es sich auf neue Gegebenheiten effektiv einstellen kann. Das Unternehmen ist zwar aufgrund des Abbaus von Ressourcen, Puffern und Fettpolstern an die Marktsituation angepasst, aber eben nicht mehr anpassungsfähig.“

In meiner Master-Thesis habe ich These 3 zur Steigerung der Innovationsfähigkeit Sozialer Organisation wie folgt bezeichnet:

„Organisationen der Sozialwirtschaft müssen ihren Finanzierungsmix so ausgestalten, dass über „Slack Resources“ Anreize für innovationsorientierte Mitarbeiter und Teams bereitgestellt werden können.“

Soweit, so nachvollziehbar.

Soziale Organisationen am Rande der Existenz

Menschen wie ihr, die schon lange und professionell in sozialen Organisationen unterwegs sind, wissen bei den obigen Zeilen jedoch:

Das ist ja alles theoretisch schön und gut. Die Realität sieht jedoch so aus, dass sich Soziale Organisationen seit Jahren einem Spardiktat ausgesetzt sehen, das die Luft zum Atmen nimmt.

Sie kämpfen damit, dass sie trotz gestiegener Anforderungen, komplexe(re)n sozialen Problemlagen (vor und vor allem auch nach Corona) und starkem Fachkräftemangel (auch nach Corona) nicht mehr finanzielle Mittel zur Verfügung hatten und haben. An Slack, als die Anhäufung von Puffern, ist dabei gar nicht zu denken.

Ja, d’accord, es geht nicht nur darum, mehr zu haben. Dieses „mehr“ muss auch effizient und effektiv eingesetzt werden.

Aber es geht darum, soviel zu haben, dass es zu mehr als den Grundbedarfen reichen muss, um innovativ agieren zu können. Damit ist es eigentlich auch für soziale Organisationen geboten, „Slack“ anhäufen zu können.

Slack für Organisationen im Krisenmodus

Kühl unterstreicht dies in einem weiteren lesenswerten Beitrag (an dem ich den vorletzten Absatz mit den Schülern besonders nett finde, den Du aber selbst nachlesen musst). In Bezug auf fehlenden Slack schreibt er:

„In Krisen zeigt sich (…), wie stark Organisationen auf Effizienz getrimmt sind und wie viel Puffer ihnen dabei gelassen worden ist. Das Spiel ist dabei immer das gleiche: In Phasen des Normalbetriebs schlägt die Stunde der Rationalisieren. Puffer – der Slack der Organisation – werden immer weiter reduziert und die Organisation auf Effizienz getrimmt. (…) Im Fall der Krise wird hektisch versucht, die Folgen dieser fehlenden Puffer abzufedern, und ohne Blick auf die Kosten zusätzliche Ressourcen mobilisiert.“

Wenn aber Soziale Organisationen schon in normalen Zeiten auf pure Effizienz (und weniger) getrimmt wurden, haben sie in der aktuellen Lage echte Probleme (ich wollte erst „kaum Überlebenschancen“ schreiben, aber dafür sind die Bedingungen der Organisationen zu unterschiedlich).

Ja, auch soziale Organisationen rücken jetzt unter den Rettungsschirm, Gott sei Dank, aber genau hier wird das von Kühl beschriebene Dilemma deutlich:

Zuerst wird alles reduziert und projektfinanziert, was geht, nur um anschließend in große Finanzierungsstürme zu verfallen, kopflos ausgegeben werden und die Gefahr besteht, dass die Mittel häufig den Falschen zugute kommen. Und – mal ehrlich – selbst für die Systemrelevanz sozialer Berufe musste bis zuletzt in den Diskussionen um den Rettungsschirm gerungen werden.

Was tun trotz fehlender Fettpolster? Beobachten und Vertrauen!

Kühl lässt bei seinen organisationssoziologischen Analysen – verständlicherweise – die Lösung offen. Soziologie beobachtet und beschreibt, mehr nicht.

Ich finde die dahinter liegende Haltung aber auch als (erste) Aktivität nicht schlecht:

Demütig beobachten, was wie und wo gerade vor sich geht!

In meinem eher persönlichen Beitrag zur Demut habe ich zitiert, dass Demut im Sinne von Bescheidenheit der „Arroganz“ diametral gegenüber steht.

Demut offenbart sich in der Akzeptanz einer die eigenen Kompetenzen übersteigenden schwierigen oder gefährlichen Anforderung.

Niemand weiß, wie es (was genau?) aktuell richtig geht. Also mal langsam!

Haltet den Betrieb aufrecht, aber verfallt nicht in kopflosen Aktionismus, auch wenn die mehr als verständliche Angst wächst, nicht zu wissen was kommt und Flucht eine der Reaktionen auf Angst ist.

Handlungsbezogene Selbstreflexion

Handlungsbezogene Selbstreflexion klingt komisch, heißt aber nur: Reflektiert, wenn im Alltag irgend möglich (als Mensch, Führungskraft, Team oder gar als Organisation), was gerade getan wurde. Vielleicht helfen die folgenden Fragen:

Was könnten wir nächstes Mal anders machen?
Inwieweit ist das eingetreten, was wir erwartet haben?
Welche Erwartungen haben wir mit unseren Handlungen und Entscheidungen verbunden?
Warum haben wir (oder ich) das getan, was wir getan haben?

Was ist der nächste Schritt?

Keine Detailplanung

OK, darüber müssen wir nicht mehr reden, oder?

Möglichkeiten anstatt Ziele

Welche Optionen haben wir gerade? Wen kennen wir? Wer kann helfen, uns einen Schritt voranzubringen? Diese Fragen stelle ich mir gerade selbst sehr intensiv. Sie sind in unsicheren Bedingungen besser, als die Fragen nach der Zielsetzung (Welches Ziel wollen wir erreichen?), da niemand weiß, wo das Ziel ist.

Vertrauen!

Trotz aller Weichheit im Begriff des Vertrauens wird sich hoffentlich unsere gesamte Gesellschaft hin zu mehr Vertrauen bewegen. Die Behörden können schon jetzt nicht mehr kontrollieren, wohin welche Gelder fließen und wie diese verwendet werden, auch wenn sie das vorher so gerne gemacht haben. Mitarbeiter *innen werden ins Home Office geschickt und deren Chefs vertrauen plötzlich zwangsweise und stellen fest, dass es sich lohnt.

Anderen Menschen Vertrauen entgegen zu bringen hilft, sich gemeinsam in unsicheren Gefilden zu bewegen. Immer.

Agile Prinzipien, Unternehmertum und echte Innovation trotz (oder gerade aufgrund) fehlendem Slack

Die aufmerksame Leserin merkt schon hier, dass die „Handlungsempfehlungen“ (wie könnte ich mir so etwas überhaupt herausnehmen…) für soziale Organisationen, die ohne Slack in der Krise handlungsfähig bleiben müssen, sehr stark an Werthaltungen orientiert sind:

Vertrauen oder die offene Selbstreflexion können helfen, Orientierung im Chaos zu bieten. Zweckrationale Organisationsverständnisse („Wir regeln einfach alles, dann funktioniert das so, wie wir das wollen!“) kommen an ihre Grenzen. Und „Durchwurschteln“, der Blick auf die Möglichkeiten ebenso wie das iterative Vorgehen hilft, unternehmerisch auf Krisen zu reagieren und Tag für Tag echte Probleme zu lösen.

Damit sind wir bei echten agilen Prinzipien sowie Vorgehensweisen und Methoden des Unternehmertums, trotz (oder aufgrund) fehlender Fettpolster, trotz fehlendem Slack.

Und lag hier nicht schon immer und liegt immer die zentrale Stärke sozialer Organisationen? Existieren unsere Organisationen nicht, um echt Probleme zu lösen? Das können wir, auch jetzt, in dieser Krise!

Auf geht’s!

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