Ich erwische mich oft dabei, dass ich tolle Ideen habe.
Tolle Ideen für meine berufliche Zukunft, Ideen für Unternehmen und Geschäftsmodelle, die ich irgendwann mal umsetzen werde, Ideen für herausragende, weltbewegende wissenschaftliche Publikationen, Nobelpreis quasi inbegriffen.
Ideen, wie ich Marathons gewinne und Ideen, wie ich innere Gelassenheit erlange. Ich habe tolle Ideen, wohin und wie ich mit meiner Familie im nicht vorhandenen VW-Bus verreise, wie ich Berge erklimme und die sieben Weltmeere umsegle. Ich habe Ideen, wie man die Welt retten kann! Ich habe sogar tolle Ideen für Menschen in meinem Umfeld, meine Frau kann ein Lied davon singen: Ich habe tolle Ideen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Ideen für ihre berufliche Selbständigkeit…
Ideen über Ideen…
Ihr erkennt schon jetzt das Problem?
Oder erkennt Ihr Euch etwa selbst wieder? Habt Ihr auch die tollsten Ideen, was man nicht alles tun könnte, um die Welt zu retten?
Und dann kommt die Realität dazwischen.
Da ist der Job, der – jedenfalls gefühlt – gemacht werden muss, damit man neben dem Licht noch andere Dinge im Kühlschrank hat.
Da sind die Kids, die neben einem beleuchteten und möglichst vollen Kühlschrank mehr oder weniger Aufmerksamkeit fordern. Da ist der Wohnort, der einem nicht die wirklich tollen Möglichkeiten bietet. Berlin wäre eigentlich viel geiler?
Da ist die bucklige Verwandtschaft, die man ja eigentlich nicht allein lassen kann beim Segeln über die sieben Weltmeere?
Da ist das nicht vorhandene Budget, um die Traumfirma jetzt endlich mal auf die Beine zu stellen oder zumindest den VW-Bus zu kaufen, und so weiter und so fort…
Daraus folgt:
Nichts, genau!
Daraus folgt, dass – so erkenne ich es oft bei mir – eben gar nichts passiert.
Ich verliere mich in Träumereien über eine bessere Zukunft. Ich beginne oft sogar schon damit, Pläne zu schmieden, Projektskizzen anzufertigen, manchmal auch Ideen zu diskutieren (Danke, Jan, für Deine Geduld 😉
Aber die Ergebnisse sind verhältnismäßig dürftig.
Wie machen es die anderen?
Als Konsequenz stellt sich die Frage, wie denn andere Menschen so tolle Dinge auf die Beine gestellt bekommen?
Wie schaffen es Menschen, immer wieder unter unsicheren Bedingungen Dinge auf die Beine zu stellen, die einen echten Mehrwert schaffen? Mehrere, erfolgreiche Unternehmen gründen? Tolle, bewegende Projekte auf die Beine stellen?
Diese Fragen hat sich – ziemlich zugespitzt – die Kognitionswissenschaftlerin Saras Sarasvathy, Professorin für Entrepreneurship an der Darden Business School der University of Virginia, gestellt.
Zugespitzt deshalb, weil sie erfolgreiche Mehrfachgründer wie bspw. Pierre Omidyar (eBay), Richard Branson (Virgin Group) oder Muhammad Yunus (Grameen Bank) beobachtet hat, wie diese Menschen DENKEN und HANDELN.
Denken und Handeln ist insofern bedeutsam, da es NICHT darum geht, wie diese Menschen SIND, was dann auf bspw. genetische Faktoren oder ähnliches zurückgeführt werden könnte und zu dem Schluss führen würde:
Die können das halt, ich kann das nicht!
Effectuation oder: Wie DENKEN und HANDELN erfolgreiche Mehrfachgründer?
„Sarasvathy fand heraus, dass erfahrene Unternehmer unter Ungewissheit eine Methode bevorzugen, die der Methode des klassischen Managements diametral entgegengesetzt ist und gab dieser Methode den Namen Effectuation.“ (Faschingbauer et. al, 2013, 8).
Zukunft? Gestaltbar!
Als Grundannahme ist es wichtig, zu verstehen, dass sich Effectuation und kausale Logik (wenn – dann) in ihrer Grundannahme über das Wesen der Zukunft radikal unterscheiden. So besagt die kausale Logik, dass nur das, was wir vorhersagen können, auch gesteuert werden kann. Ist ja klar, oder? Klassisches Management, eben: Planung, Durchführung, Kontrolle…
Die Grundannahme von Effectuation hingegen ist, dass all das, was wir steuernd beeinflussen können, gar nicht vorhergesagt werden muss, weil es sowieso schon klar und – eben – vorhersagbar ist.
Alles jedoch, was nicht steuernd beeinflusst werden kann, können wir auch nicht vorhersagen. Wir bewegen uns damit in Unsicherheit!
Fünf Prinzipien von Effectuation
Aus diesen Grundannahmen über das Wesen der Zukunft ergeben sich fünf Prinzipien, auf denen Effectuation basiert. zusammenfassend könnte man auch sagen: So denken Menschen, die erfolgreich unterschiedlichste Projekte, Unternehmen, was auch immer, auf die Beine gestellt haben.
Ich habe hier einmal versucht, die Prinzipien direkt auf organisationale Kontexte in der Sozialwirtschaft anzupassen:
- Prinzip der Zukunftorientierung: Die Zukunft ist nicht vorhersehbar sondern das Ergebnis von Zusammenwirken verschiedener Akteure und Gegebenheiten. Zukunft kann durch Vereinbarungen zwischen diesen Akteuren (siehe 4.) gestaltet werden. (Bspw. gehen zwei soziale Organisationen eine Vereinbarung in Bezug auf ein zukünftiges, gemeinsames Projekt ein und reduzieren dadurch die Ungewissheit, verbreitern ihre finanziellen Möglichkeiten etc.)
- Prinzip der Mittelorientierung: Die verfügbaren Mittel der jeweiligen Organisation (Wer ich bin als Organisation? Welche (zeitlichen, finanziellen, personellen etc.) Ressourcen habe ich, auf die ich zurückgreifen kann? Wen ich kenne?) bestimmen, welche (veränderlichen) Ziele angestrebt werden (und nicht umgekehrt). Statt (…) „Was sollte man tun um dieses oder jenes Problem zu lösen? wird die pragmatische Frage gestellt: „Was können wir jetzt tun?“
- Prinzip des leistbaren Verlusts: Der jeweils leistbare Verlust bzw. Einsatz (und nicht der erwartete Ertrag) bestimmen, welche Gelegenheiten wahrgenommen werden bzw. welche Schritte in einem Vorhaben tatsächlich gesetzt werden. Damit wird das Risiko eines kompletten Scheiterns für alle Beteiligten minimiert, da vor jedem Schritt immer wieder neu überlegt wird.
- Prinzip der Partnerschaften: Es werden Partnerschaften mit Akteuren eingegangen, die bereit sind, unter Ungewissheit verbindliche Vereinbarungen einzugehen und eigene Mittel zur Kreation der Gelegenheit beizutragen.
- Prinzip der Umstände und Zufälle: Unerwartetes, Zufälle und Umstände können als Hebel genutzt und in Innovation und unternehmerische Gelegenheiten transformiert werden.
Ich denke, das Konzept „Effectuation“ ist soweit klargeworden, oder?
Und es ist auch klar geworden, dass dieses Konzept wunderbar im Kontext der Neuentwicklung von Angeboten, der Unternehmensgründung, im Kontext von Innovation auf organisationaler Ebene Verwendung finden kann.
Das Leben und der ganze Rest
Für mich ist aber auch deutlich geworden, dass Effectuation ein spannendes Konzept für das eigene Leben sein kann. So macht es keinen Sinn, darüber zu philosophieren, was eine tolle Idee wäre, mit denen ich die Weltherrschaft an mich reißen könnte. Es macht wenig Sinn, darüber nachzudenken, wie es wäre, einen Online-Shop aufzubauen, der Amazon Konkurrenz macht.
Viel eher macht es Sinn, darüber nachzudenken, welche Ressourcen, Stärken, Möglichkeiten, Netzwerke, Menschen, Beziehungen etc. jetzt aktuell konkret existieren. Ich kann dann versuchen, diese Ressourcen so zu nutzen, dass ich mit dem beginne, was jetzt gerade möglich ist.
Ich kann mit Menschen sprechen, die vielleicht ähnlich denken, vielleicht aber auch völlig anders denken. Ich kann deren Überlegungen, deren Engagement, deren Mitarbeit in meine Idee einflechten. Dadurch ändert sich die Idee, natürlich. Aber – und hier liegt der wesentliche Unterschied – es bewegt sich was. Es passiert etwas, es wird etwas unternommen.
Ich kann mir dann bei jedem neuen Schritt überlegen, welche Risiken ich einzugehen bereit bin: Setze ich Haus und Hof auf’s Spiel? Oder reicht es nicht vielleicht auch, wenn ich mal 10, 20 oder 50 Euro in die Hand nehme, um einen Prototyp zu basteln?
Welcher Verlust ist also für mich oder für uns in der aktuellen Situation leistbar?
Die kochen auch nur mit Wasser!
Insgesamt eigentlich ziemlich trivial, oder?
Nehmen wir mal als Beispiel diesen Blog hier:
In der Herangehensweise des Klassischen Managements hätte ich mir vorab überlegen können, dass es in Zukunft einen Bedarf nach einem Blog über, ja, über was eigentlich gibt. Irgendwas mit Organisation, neuer Arbeit und Organisationen der Sozialwirtschaft? Ich hätte mir einen Redaktionsplan erstellen können, der akribisch vielleicht 15 Artikel listet, die ich schreibe. Ich hätte mir eine Homepage bauen lassen können, verbunden mit hohen Kosten, aber eben professionell. Wenn das alles fertig gewesen wäre, hätte ich die Plattform „gelauncht“, wie man so schön sagt, und ich wäre voll durchgestartet! Sofern, ja, sofern es jemanden interessiert hätte…
Wenn ich die Realität des Blogs betrachte, passt es schon ziemlich gut zum Vorgehen nach dem Konzept Effectuation: Ich habe irgendwie Interesse an Fragen der Weiterentwicklung sozialer Organisationen in der heutigen Zeit und der anstehenden Zukunft. Ermutigt durch Partnerschaften (danke Thomas) und in Abwägung verfügbarer Ressourcen habe ich einen für mich kostenlosen Blog gestartet (bspw. pendle ich täglich etwa 1,5 Stunden durch die Gegend). Ich habe mal einen Beitrag verfasst, dann noch einen, habe positive Reaktionen bekommen, habe weitergemacht. Und habe – das finde ich immer noch faszinierend – nach und nach spannende Menschen, Projekte, Blogs, Diskussionen kennengelernt, die mich immer wieder auf’s Neue beeinflussen.
Zukunft? Ungewiss, aber gestaltbar…
Und Ihr so?
Wie geht Ihr Projekte im beruflichen, aber auch privaten Leben an? Was sind die ersten Schritte, die Ihr unternehmt? Wo seht Ihr Grenzen und Möglichkeiten des Konzepts „Effectuation“?
Bin gespannt…
Zum Weiterlesen:
- TED-Talk von Michael Faschingbauer zum Konzept Effectuation! Unbedingt anschauen 😉
- Wikipedia-Eintrag zum Konzept Effectuation!
- Beitrag der Hochschule Lahr: Effectuation – eine Entscheidungslogik für (erfahrene) Entrepreneure?
- Effectuation: Das Unternehmerische im Unternehmen wecken. Beitrag von Michael Faschingbauer und Dietmar Grichnik in der Zeitschrift Führung und Organisation
Habt Ihr Lust auf mehr Interviews, innovative Anregungen und Gedanken zur Entwicklung der Arbeit in Organisationen der Sozialwirtschaft?
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9 comments on “Effectuation, oder: Wie man erfolgreiche Projekte umsetzt!”
Ist ja schon älter, der Beitrag, ich weiß. Freue mich trotzdem, dass ich drüber gestolpert bin, als ich für meinen eigenen Blog-Artikel recherchiert habe. Schön geschrieben. Ich hab mal versucht, den Ansatz für die Karriereplanung anzuwenden, schaut doch mal auf meinem Blog.
Liebe Grüße
Florian von Freelancer’s Tales
Hi Hendrik, meine Projekte gehe ich immer mit Konzepten an. Ideen schreibe ich auf und versuche sie schnell und einfach umzusetzen. Genauso entstand auch mein Blog, in den auch immer wieder neue Ideen einfließen.
lg clemens
P.S.: Für viele Ideen nutze ich anfangs Papier und Bleistift, zeichne und schreibe alles auf, um es später umsetzen zu können.
Hey, danke für den Kommentar! Ja, mir geht es auch so, dass ich erstmal alles aufschreibe… Bin da aber ziemlich digital unterwegs, kann meine eigene Handschrift nicht lesen 🙂
Sehr spannend, danke. Und auch hier die Erkenntnis: Einiges mache ich wohl doch richtig. 😉
Aber gerne!
Hat dies auf mampels welt rebloggt und kommentierte:
Und wieder einmal ein hervorragender Artikel von Hendrik Epe. Wie denken und handeln erfolgreiche Menschen – und was hat das mit uns in der Sozialwirtschaft zu tun? Unbedingt lesenswert!
Toller Artikel – und vielen Dank für die Erwähnung 🙂
Aber gerne!