Drei Gründe, warum Objectives and Key Results sinnvoll für soziale Organisationen sind

Objectives and Key Results lassen sich als Framework verstehen, die Mission der Organisation unter Zuhilfenahme der Vision und der strategischen Ziele zum Leben zu erwecken. Durch kurze Zyklen der Zielerarbeitung und -überprüfung, vor allem aber durch die auf Teamebene selbstbestimmte Zielentwicklung sowie die Bestimmung von überprüfbaren Key Results lassen sich OKR als Möglichkeit der Agilisierung traditioneller strukturierter, formal-hierarchischer Organisationen definieren. Aber wie geht das genau? Und macht das Sinn für soziale Organisationen?
Objectives and Key Results

Inhalt:

Führung mit Zielen oder MbO – Management by Objectives – kennen viele Führungskräfte aus ihrer Führungskräfteausbildung (falls sie eine hatten). Dort haben sie wahrscheinlich davon gehört, dass Anweisung und Kontrolle jetzt nicht so super sind, es aber Sinn macht, den Mitarbeiter* innen Ziele zu geben, die sie dann „eigenverantwortlich“ umsetzen sollen. Eigenverantwortlich heißt in diesem Kontext, dass es sogar egal ist, wie, wann und wo die Ziele umgesetzt werden. Echte Freiheit wird postuliert, endlich können die Mitarbeiter* innen im Sinne des Unternehmens das tun, was sinnvoll ist. Wenn überhaupt einmal im Jahr, in den Mitarbeiter- und Zielvereinbarungsgesprächen, werden die Ziele überprüft, im Extremfall werden Boni ausgeschüttet für „erfolgreiche Zielerreichung“ und dann geht es weiter ins nächste Jahr. Und jede Führungskraft weiß im Inneren genau, dass dieses Theater Quatsch ist:

Ziele werden entweder so verhandelt, dass sie auf jeden Fall erreicht werden oder dass sie schon bei Vereinbarung erreicht wurden. Wenn die Ziele im Laufe des Jahres nicht erreicht werden, wird der*die Mitarbeiter*in für etwas verantwortlich gemacht, das in einem sozialen System immer (!) systemische Gründe hat. In Verbindung mit individuellen Boni wird es übrigens katastrophal, da Mitarbeiter*innen dann ausschließlich für den Boni und nicht mehr für das Team oder die Organisation arbeiten. Und Unvorhergesehenes, wie bspw. eine kleine Pandemie zwischendurch, kann mit den jährlich festgelegten Zielen nicht erfasst werden.

Oder wie hast Du Dir 2020 vorgestellt?

Objectives and Key Results

Die ganzen Herausforderungen zwischen Komplexität und Dynamik haben zu einem neuen System, einem Framework der Zielvereinbarung geführt: Objectives and Key Results, kurz OKR, sollen Abhilfe verschaffen. Und große Tech-Konzerne wie Google, Microsoft oder Intel (dort wurde die Methode ursprünglich entwickelt) können nicht irren (?), wenn sie diese Methode schon seit Jahren erfolgreich anwenden. Aber was sind OKR genau, wie funktioniert die Methode und wo kann ein Mehrwert auch für soziale Organisationen gegenüber klassischer, im Grunde sinnloser, Zielvereinbarung liegen?

Was sind Objectives and Key Results (OKR)?

Zusammenfassend lassen sich Objectives and Key Results als ein Rahmenwerk (und damit mehr als eine Methode) für moderne Führung und Entwicklung einer Organisation definieren.

Die mittel- und kurzfristigen Ziele der Organisation, die Ziele der einzelnen Bereiche der Organisation, der Teams und der Beitrag jeder*s Mitarbeiter*in zur Erreichung wird mit dem Unternehmensleitbild, bestehend aus den handlungsleitenden Werthaltungen, der Beschreibung des Unternehmenszwecks (Mission, purpose) und der Unternehmensvision verknüpft, um daraus die Organisation anpassungsfähig an sich verändernde Umwelten zu gestalten.

Der Unterschied zum klassischen „Management by Objectives“ besteht unter anderem in den deutlich kürzeren Schleifen (Iterationen), in denen die Ziele überprüft und angepasst werden und in der durch die Mitarbeiter*innen und die Teams selbstbestimmte Festlegung ihrer je individuellen Objectives and Key Results.

Ziel des Rahmenwerks OKR ist, dass die Mitarbeiter*innen ein Gefühl dafür bekommen, dass ihr Beitrag zur Entwicklung der Organisation relevant ist. Dieser Beitrag wird – unter Berücksichtigung der Vision – selbst gewählt und regelmäßig reflektiert. OKRs sollen darüber die Entwicklung einer „agilen“ (anpassungsfähigen) Kultur der Selbstverantwortung und Selbstorganisation ermöglichen.

Wie „geht“ OKR?

Wie schon beschrieben ist Grundlage des Rahmenwerks OKR das Leitbild der Organisation, bestehend aus den handlungsleitenden Werthaltungen, der Beschreibung des Unternehmenszwecks (Mission, Wozu gibt es die Organisation? Neudeutsch: purpose) und der Unternehmensvision (Wo wollen wir in 5 bis 10 Jahren stehen?). Das Leitbild ist jedoch oft noch sehr abstrakt.

Hier kommt die Unternehmensstrategie ins Spiel, die für bestimmte Themen und Aspekte der Organisation konkretere Zustände und mittelfristige Ziele definiert. Mittelfristig kann bspw. einen Zeitraum von einem Jahr umfassen (entsprechend lässt sich dabei auch von „mid-term-goals“ oder mittelfristigen Zielen sprechen).

Basierend auf Leitbild und Strategie werden dann zu Beginn jeden Quartals maximal fünf Ziele (Objectives) auf der Ebene der Organisation, der Teams oder Abteilungen und jeder Einzelperson definiert, die einen Beitrag zur Erreichung der Vision der Organisation beisteuern.

Jedes Ziel wird mit vier bis max. fünf Schlüsselergebnissen (Key Results) hinterlegt, die sich in ihrer Zielerreichung prozentual messen lassen (0 – 100% Zielerreichung) müssen. Um die Mitarbeiter*innen für ambitionierte Ziele zu motivieren (Kann man Menschen überhaupt motivieren?), sollte die Formulierung der OKR so sein, dass die Ziele in einem Quartal nicht mal eben so vollständig, sondern ein Zielerreichungsgrad von etwa 70% erreicht wird.

Aus einer anderen Richtung formuliert sind Objectives die qualitativen, übergeordneten Ziele. Als Beispiel:

„Wir möchten ökologisch nachhaltiger werden.“

Key Results sind dann die quantitativen Aspekte. Sie sind mit Zahlen und Ergebnissen hinterlegt. Als Beispiel:

„Wir reduzieren den Verbrauch von Papier um 90%!“

Teams legen sie auf Basis der Unternehmens-OKR selbst fest. Die Mitarbeiter innen orientieren sich in ihren OKR dann wieder an den Team-OKRs (bspw. „Ich reduziere den Verbrauch von Post-Its für meine Notizen um 90%!“, „Ich arbeite an mindestens 3 von 5 Tagen in der Woche nicht im Büro!“).

Voraussetzungen für die erfolgreiche Einführung von Objectives and Key Results

Wie schon beschrieben ist eine Voraussetzung, dass die Organisation über ein Leitbild verfügt, an dem sich die Mitarbeiter*innen ausrichten können. Das klingt einfach und alle haben ja auch irgendwo ein Leitbild rumliegen, oder? In der Schublade? Unten, unter den Tempos, glaub ich?

Schon hier wird eine Herausforderung deutlich: OKR funktioniert dann, wenn Leitbild und damit Grundwerte, Mission, Vision und die daraus abgeleitete Strategie nicht nur nettes Beiwerk sind, mit dem die Schauseite der Organisation aufgehübscht wird. Zwar hat ein Leitbild immer auch eine nach außen gerichtete Aufgabe („Schaut mal, wie toll wir sind!“), aber der reine Fokus nach außen ist nicht nur sinnlos, sondern sogar (und vor allem in sozialen Organisationen) gefährlich. Als Beispiel steht es einem konfessionellen Träger sozialer Dienstleistungen nicht gut zu Gesicht, einerseits „christliche Werte“ im Leitbild zu postulieren und in Hochglanz an die Pforte zu pinnen und gleichzeitig einen „unchristlichen“ Umgang mit seinen Mitarbeiter*innen zu pflegen, von der Kommunikation über Führungsfragen bis hin zu Befristungen von Stellen oder der Entlassung aufgrund nicht mehr zeitgemäßer kirchenrechtlicher Regelungen: Als Beispiel lassen sich die absurden Kündigungen von Mitarbeiterinnen in katholischen Kitas anführen, die aus der Kirche ausgetreten sind: Jesus hat unter „Nächstenliebe“ sicherlich etwas anders verstanden als die Beachtung von Artikel 5 der „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“. Diese Nächstenliebe dann im Leitbild als handlungsleitend zu definieren ist unglaubwürdig.

Zusammenspiel aus Werten, Mission, Vision und Strategie und offener Unternehmenskultur

Was ich damit sagen will ist:

Nur wenn Grundwerte, Mission, Vision und die daraus abgeleitete Strategie tatsächlich in der Organisation gelebt werden, lassen sich darauf basierend attraktive Objectives ableiten, deren Erreichung dann über Key Results geprüft werden.

Hinzu kommen aber weitere Grundhaltungen und Werte, die zusammenfassend eine offene Unternehmenskultur ausmachen. Ein wesentlicher Wert ist Transparenz:

So machen OKR wenig Sinn, wenn diese im stillen Kämmerlein entwickelt und dort verschlossen werden. Nur dann, wenn die Ziele der Bereiche, der Teams und der Menschen in der Organisation transparent sind, können sich alle daran ausrichten. Ich erlebe leider (auch in sozialen Organisationen), dass Transparenz oft mit Kontrolle gleichgesetzt wird („Wenn jetzt der Chef sehen kann, was meine Ziele sind, und ich diese nur zu 70% erreiche, fällt das sicher negativ auf mich zurück!“).

Außerdem erlebe ich, dass die transparente Darlegung dessen, was erreicht werden soll, nicht unbedingt Freudensprünge hervorruft, da natürlich auch deutlich wird, was nicht getan wurde.

Vertiefende Infos zu OKR

Meine Ausführungen oben sind eine erste Hinleitung zum OKR Framework, mehr nicht. Wer sich mit dem Thema vertieft beschäftigen will, kann bei Ecosia eine Menge Infos, Hinweise zu Blogs und Büchern finden.

Hinweisen will ich hier nur auf den Podcast der Beratungsagentur Murakamy, in dem eine Menge Fragen beantwortet werden. Außerdem lohnt sich der Podcast von André Claaßen, der die Anwendung von OKR in der öffentlichen Verwaltung thematisiert (und damit vielleicht recht nah am Kontext sozialer Organisationen agiert).

Drei Gründe, warum Objectives and Key Results für soziale Organisationen Sinn machen

Ich hoffe, Du hast jetzt einige Infos zum Framework OKR bekommen. Abschließend will ich aber noch darauf eingehen, ob und wie OKR in der Anwendung für soziale Organisationen (aus meiner Perspektive) Sinn machen können und wo auch Stolpersteine liegen.

OKR folgen einer traditionellen, formal-hierarchischen Management-Logik

Wer Laloux gelesen und sich in die Entwicklung evolutionärer Unternehmen verliebt hat, wird im Kontext von OKR enttäuscht werden: Von der Mission herab werden Visionen, Strategien und Ziele in einer maschinellen Logik definiert und die Mitarbeiter* innen können noch ein wenig mitentscheiden. Ja, die Iterationen der Zielüberprüfung sind kürzer, aber ganz klar: Das ist nicht das, was unter „Selbstorganisation“, „Ganzheitlichkeit“ und „evolutionärem Sinn“ zu verstehen ist. Ich bin davon überzeugt, dass Jos de Blok bei Buurtzorg die Finger von OKR lässt. Und die Fragen, die ich oben im Text formuliert habe, machen auch meine Skepsis deutlich: Kann man bspw. Menschen motivieren? Oder sind Menschen motiviert? Aber trotz all der Skepsis (und dieses aber ist relevant):

Wir bewegen uns in unseren Organisationen nicht auf Ebene evolutionärer, selbstorganisiert strukturierter Organisationen, sondern meist in formal-hierarchischen Kontexten mit mehreren hundert, teilweise weit über tausend Mitarbeiter*innen (auch wenn anderes wünschenswert wäre). Unsere bestehenden Organisationen sind so strukturiert, wie sie strukturiert sind und weisen eine oftmals viele Jahrzehnte, teilweise Jahrhunderte alte Tradition auf, die sich (leider) in klassischen Strukturen abbildet. Hinzu kommt, dass die Kostenträger an vielen Stellen entsprechender Strukturen erwarten, damit von ihrer Seite aus Kontrolle der Leistungsträger (angeblich) besser gelingt.

Und in diesen gegebenen Strukturen macht es Sinn, die Transformation hin zu mehr Agilität als Anpassungsfähigkeit schrittweise anzugehen. Das Zauberwort ist Ambidextrie, also die Beidhändigkeit aus Aufrechterhaltung der Stabilität und des laufenden Alltagsgeschäfts bei gleichzeitig iterativer Entwicklung hin zu mehr Beweglichkeit, Innovations- und Selbstorgansationsfähigkeit.

Unter diesen Bedingungen können OKR sehr wirkungsvoll sein, da sie in traditionell-bürokratischen, formal-hierarchisch strukturierten Organisationen beide Perspektiven (Exploration und Exploitation) miteinander verbinden.

OKR aus Perspektive der Klientel

Nur als kurzer Einschub kenne ich es aus der stationären Jugendhilfe so, dass immer Ziele für die Jugendlichen definiert werden mussten, die im Hilfeplan festgehalten und in Hilfeplangesprächen überprüft wurden.

Ein Vorgehen, dass sich für die Jugendlichen an OKR ausrichtet, also motivierende, an einer Vision orientierte Ziele beschreibt, macht hier sicherlich Sinn, da nicht nur die Ziele aus professioneller Perspektive, sondern auch die Ziele der Jugendlichen selbst Berücksichtigung finden können und der Fortschritt mit passenden Key Results überprüft werden kann.

OKR aus der Perspektive der Zusammenarbeit in sozialen Organisationen

Etwas platt formuliert lassen sich Menschen aus sozialen Berufen als „wenig regelkonform“ bezeichnen: Sie sind es gewohnt, Komplexität zu gestalten, da sie immer in direktem Kontakt zu anderen Menschen „an der Basis“ agieren. Und die Gestaltung von Komplexität kann eben nicht kausal, nicht regelbasiert, sondern basierend auf Prinzipien sowie Intuition geschehen.

Entsprechend schwierig ist es, professionelles Handeln erfahrener Fachkräfte beschreiben zu können. Das ist insofern ein Dilemma, da insbesondere von den Kostenträgern gefordert wird, die Wirkung sozialer Arbeit zu erfassen. Selbstverständlich ohne alle Aspekte der differenziert zu betrachtenden Wirkungsdebatte in der Sozialen Arbeit abdecken zu können besteht die Hoffnung, dass durch die Arbeit mit OKR, also den von den Fachkräften und Teams selbst definierten Zielen, hinterlegt mit Key Results, eine Annäherung an das geschehen kann, was als Dokumentation der Arbeit von Kostenträgern gefordert wird:

Wenn es gelingt, quartalsweise darzulegen, welche Ziele, organisationsintern und mit Blick auf die Ergebnisse, wie erreicht wurden, ist man hier einen Schritt (unter vielen) weiter.

Hinweisen will ich aber auch noch darauf, dass die als wenig regelkonform bezeichneten Menschen in sozialen Berufen über den OKR-Framework „gezwungen“ werden, sich – trotz der mit sozialer Arbeit einhergehenden Komplexität – an selbst erarbeitete Ziele zu halten und an diesen zu arbeiten. Das ist oft nicht einfach und nicht selbstverständlich, macht aber Sinn (auch wenn es mir selbst schwerfällt ;-).

Fazit

Noch einmal zusammenfassend: OKR lassen sich als Framework verstehen, die Mission der Organisation unter Zuhilfenahme der Vision und der strategischen Ziele zum Leben zu erwecken.

Durch die kurzen Zyklen der Zielerarbeitung und -überprüfung, vor allem aber durch die auf Teamebene selbstbestimmte Zielentwicklung sowie die Bestimmung von überprüfbaren Key Results lassen sich OKR als Möglichkeit der Agilisierung traditioneller strukturierter, formal-hierarchischer Organisationen definieren. Dabei ist wichtig: OKR sind in einer maschinellen Denkhaltung verhaftet, die jedoch mit Blick auf unsere bestehenden Organisationen als Schnittstelle hin zu einem systemisch orientierten, post-bürokratischen Management verstanden werden können.

Und für soziale Organisationen ergeben sich spezifische Optionen und positive Effekte, die durch eine Orientierung der Gesamtorganisation an dem OKR-Framework hervorgerufen werden können.

Das setzt jedoch voraus, dass die Gesamtorganisation und damit die oberste Führungsebene die Einführung und Umsetzung von OKR befürwortet. Entsprechend hilfreich ist es, wenn zu Beginn die Führungsebene die Arbeit mit OKR aufnimmt und nicht einen bestimmten Bereich oder eine Abteilung der Organisation als „Pilot“ definiert, selbst jedoch nichts an der eigenen Arbeitsweise ändert. Aus dem Vorangehen und dem auf kurzen Iterattionen basierenden Lernen der Führungsebene kann sich ein positiver Impuls zur Kulturentwicklung der Gesamtorganisation ergeben.


Lust auf OKR? Dann lass uns doch zusammen daran arbeiten und die Strategie Deiner Organisation zum Leben erwecken… 😉

Hier findest Du eine OKR Canvas, die Du gerne für Dich auf individueller Ebene, in Deinem Team oder auch Deiner Organisation zur Gestaltung der Objectives and Key Results (am Besten nach jedem Quartal) nutzen kannst.

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