Demut

Demut

Inhalt:

Ich sitze am Schreibtisch, den ich so oft schon genutzt habe für die Möglichkeiten, meine Gedanken zu formulieren, oftmals unfertige Gedanken, neue Ideen, offene Projekte und vieles mehr. Seit ein paar Tagen nutze ich den Schreibtisch viel mehr als sonst. HomeOffice, wie bei vielen von Euch.

Dafür bin ich mehr als dankbar: Ich kann von zu Hause aus arbeiten, bin dafür eingerichtet und habe dies auch vor Corona getan. Ich bin auch dankbar dafür, dass nicht mein komplettes Geschäft einbricht und ich noch einige digitale Projekte beenden kann, einige Anfragen für die digitale Begleitung und Moderation von Krisenmeetings und Hilfestellungen annehmen kann und mich dazu auch technisch gerüstet fühle.

Gleichzeitig sitze ich vor den Nachrichten, dem Computer, vor Twitter und allen möglichen anderen Kanälen und fühle mich wie das Kaninchen vor der Schlange:

Starr, unbeweglich, festgefroren im Kopf. Alles ist anders. Keine Schule, keine Fahrten im Zug zur Arbeit, Kolleg* innen treffen per Videokonferenz (fast undenkbar noch vor zwei Wochen), einkaufen mit Gummihandschuhen, leere Regale in den Supermärkten, Bilder aus Italien, über die ich nicht weiter nachdenken will und die wir unseren Kindern vorenthalten.

Dann sehe ich Mitteilungen von Menschen, die angesichts der Krise irgendwie in krasse Aktivität auszubrechen scheinen, tausende, die sich an online durchgeführten Initiativen wie #wirvsvirus beteiligen. Menschen, die Zukunft gestalten wollen.

Ich sitze und schaue und weiß nicht, was richtig ist.

Denn, mal ehrlich: Es ist ja nett, wenn sich Matthias Horx ein Café einer deutschen Großstadt im Herbst 2020 vorstellt und er darüber sinniert, wie sich die Welt verändert hat. Wirklich, ich mag seine Gedanken sehr, bspw. diesen hier:

„Die neue Welt nach Corona – oder besser mit Corona – entsteht aus der Disruption des Megatrends Konnektivität. Politisch-ökonomisch wird dieses Phänomen auch „Globalisierung“ genannt. Die Unterbrechung der Konnektivität – durch Grenzschließungen, Separationen, Abschottungen, Quarantänen – führt aber nicht zu einem Abschaffen der Verbindungen. Sondern zu einer Neuorganisation der Konnektome, die unsere Welt zusammenhalten und in die Zukunft tragen. Es kommt zu einem Phasensprung der sozio-ökonomischen Systeme.“

Noch einmal:

Ich mag diese Gedanken, nach Beschäftigung mit der Systemtheorie, der Beschäftigung mit den die Gesellschaft gestaltenden Megatrends, der Beschäftigung mit Digitalisierung in verschiedenen Ausprägungen, nach dem Lesen von Otto Scharmers Theory U und verschiedenen anderen Büchern, die sich mit der Gestaltung von Zukunft befassen.

Ich schreibe bewusst „Beschäftigung mit“ oder „Lesen von„. Ich schreibe nicht „Verstehen“. Ich schreibe nicht, dass ich danach handle. Ich bin mir darüber bewusst, dass ich mich selbst wahnsinnig schwer tue mit verschiedenen Aspekten einer immer unsicheren Zukunft.

Und wer des Gros unserer Gesellschaft, in unserer Zeit, tut sich nicht schwer damit, Eigenverantwortung zu übernehmen und Zukunft zu gestalten, in einer gesättigten Gesellschaft, die seit mind. 30 Jahren nur Luxus kennt und lebt? Ja, Logo, ihr alle, die diesen Beitrag lest, gestaltet Zukunft.

Aber wir sind eine verdammt kleine Filterblase. Beinahe irrelevant, allein wenn ich an die Wahlergebnisse der Nazis von der AfD oder an die wegen Klopapier ausrastenden Menschen in Drogeriemärkte denke.

Kurz:

Ich habe Angst in dieser Unsicherheit!

Ich bin gelähmt. Ich denke an meine Kinder, meine Familie, meine Eltern und Schwiegereltern, Verwandtschaft, Freunde hier und im Ausland, Nachbarn, Bekannte.

Ich denke an die Menschen, die etwa 20 km weiter, hinter der französischen Grenze leben und schon jetzt kaum noch versorgt werden können.

Ich sehe parallel dazu, während ich gerade die stressigste Woche seit langem hinter mir habe, online drölfzigtausend Aktivitäten von Menschen, die etwas tun, wie geschrieben bspw. bei #wirvsvirus, auf Nachbarschaftshilfsnetzwerken und beim PowerPointFolienVerschieben, jetzt plötzlich hoch innovativ aus dem #HomeOffice heraus. Home Office ist noch nicht abgesagt.

Ist das richtig?

Demut, meine fehlende Kompetenz und Zurücknahme

Oder sollten wir nicht gerade wirklich einmal kurz innehalten? Demütig sein, zurück fahren und nicht aus der Panik heraus über eine Zukunft zu philosophieren, die so nicht sein wird? Nicht sein kann, nie, in guten, wie in schlechten Zeiten.

Zum Begriff „Demut“ findet sich die folgende Zeile bei Wikipedia:

„Im Sinne von „Bescheidenheit“ steht sie [die Demut] damit der „Arroganz“ diametral gegenüber. Demut kann sich im Wagnisbereich in der Akzeptanz einer die eigenen Kompetenzen übersteigenden schwierigen oder gefährlichen Anforderung offenbaren. Sie kann sich in der Zurücknahme vor einer übermächtigen Natur (…) zeigen.“

Übersteigt die aktuelle Anforderung nicht einfach unser aller Kompetenz? Und sollten wir uns nicht vielleicht vor einer übermächtigen Natur kurz mal zurücknehmen?

Ich sitze und schaue und weiß nicht, was richtig ist.

Du?

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2 comments on “Demut

  1. Ines Polzin am

    Ich kann allem hier Geschriebenen beipflichten. Meine Gefühle und Gedanken machen gerade was sie „wollen“ oder auch gar nix…
    Vielleicht fällt mir momentan am schwersten zu akzeptieren, dass ich nichts aktiv tun kann, um einen geliebten Menschen mit Hochrisiko zu schützen. Ausser: wirklich nicht f2f kontaktieren – und darauf zu hoffen, dass Hilfe der Nachbarschaft funktioniert. Hartmut Rosa hat über die „Unverfuegbarkeit“ im Zusammenhang mit Zukunftsgestaltung geschrieben. Die Gefühle dazu sind jetzt ebenfalls da.

    Antworten

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