Kategorie: Social Entrepreneurship

Drei Thesen für gelingende Digitalisierung in Organisationen der Sozialen Arbeit

Tags: , , , , , , ,

Spätestens seit der Pandemie sollte klar sein, dass diese „Digitalisierung“ hilfreich, vor allem aber nicht mehr wegzudenken ist. Videokonferenzen, digitale Kommunikation, Vernetzung, effiziente Prozesse mit daraus resultierender Arbeitserleichterung und vieles mehr sprechen für digitale Entwicklungen auch in der Sozialwirtschaft bzw. spezifischer: in Organisationen der Sozialen Arbeit. Und trotzdem geht es mit der Digitalisierung in Organisationen der Sozialwirtschaft nicht (wirklich) voran. Warum ist das so? Was braucht es für gelingende Digitalisierung in Organisationen der Sozialen Arbeit? Darauf will ich hier eingehen.

Aber muss dieser Beitrag in Zeiten von AI, in Zeiten von augumented intelligence, wirklich sein? Haben nicht wirklich langsam alle verstanden, dass es keinen Weg zurück, an digitalen Entwicklungen vorbei, gibt? Doch, schon, aber trotzdem.

So basiert dieser Beitrag darauf, dass ich in vielen Veröffentlichungen, bspw. in den sozialen Medien, immer wieder lese, dass „Digitalisierung (in) der Sozialen Arbeit helfen kann“, aktuelle und zukünftige Herausforderungen Sozialer Arbeit zu lösen.

Das ist mir deutlich zu undifferenziert, da ich in den Organisationen, Einrichtungen und Teams, in denen ich unterwegs sein darf, an vielen Stellen eine zunehmende „Digitalisierungsskepsis“ wahrnehme.

Echte, tiefgreifende Verbesserungen der eigenen Arbeit durch Digitalsierung haben sich – so die Wahrnehmung vieler Fachkräfte – häufig nicht ergeben. Das Versprechen, mehr Zeit für die Klient:innen zu haben, für die eigentliche Soziale Arbeit, für die Arbeit mit den Menschen, hat sich häufig nicht eingelöst.

Und leider viel zu hautnah musste ich in den letzten Wochen ambulante Pflegekräfte eines modernen Verbands erleben, die sehr bewusst Stift und Papier zur Dokumentation verwenden. Auf die Frage „Warum denn nicht digital?“ kam die sehr nachvollziehbare Rückmeldung:

„Stift und Papier funktioniert immer, schnell und sicher, auch bei sauerländischen Funklöchern“.

Aber:

Was ist Digitalisierung eigentlich?

Boah, echt jetzt? Schon wieder diese Grundsatzdebatte? Ganz ehrlich Hendrik, kauf dir’n Buch.

Zum Beispiel:

  • Beranek, Angelika; Hill, Burkhard & Sagebiel, Juliane Beate (2019): Digitalisierung und Soziale Arbeit – ein Diskursüberblick. In: Soziale Passagen 11(2), 225-242.
  • Hagemann, Tim (Hrsg.): Gestaltung des Sozial- und Gesundheitswesens im Zeitalter von Digitalisierung und technischer Assistenz. Veröffentlichung zum zehnjährigen Bestehen der FH der Diakonie. Baden-Baden: Nomos.
  • Kreidenweis, H. (2018, Hrsg.): Digitaler Wandel in der Sozialwirtschaft. Grundlagen – Strategien – Praxis. Baden-Baden: Nomos.
  • Kreidenweis, H. (2020): Sozialinformatik. Digitaler Wandel und IT-Einsatz in sozialen Organisationen, 3., überarbeitete Auflage. Baden-Baden: Nomos.
  • Kutscher, N. et. Al. (2020, Hrsg.): Handbuch Soziale Arbeit und Digitalisierung. Weinheim: Beltz Juventa.
  • Pölzl, A., Wächter, B. (2019): Digitale (R)Evolution in Sozialen Unternehmen. Praxis-Kompass für Sozialmanagement und Soziale Arbeit. Regensburg: Walhalla.
  • Wunder, M. (2021, Hrsg.): Digitalisierung und Soziale Arbeit. Transformationen und Herausforderungen. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.

Das ist nur eine Auswahl der vielfältigen Veröffentlichungen rund um das Thema „Digitalisierung in der Sozialen Arbeit“ der letzten Jahre.

Und ja, in den Veröffentlichungen stehen wichtige, spannende, richtige Aspekte rund um das Thema. Es lohnt sich, sich auf Basis von Literatur mit dem Thema zu befassen.
Oder anders, deutlich schöner, ausgedrückt:

„Nichts verscheuchte böse Träume schneller als das Rascheln von bedrucktem Papier.“ (Cornelia Funke)

Unklar ist aber immer noch, was denn Digitalisierung jetzt genau ist, oder hast Du Dich erstmal hingesetzt und die Bücher gewälzt? Nein? Ach…

Und damit kommen wir schon zur These 1, was es für gelingende Digitalisierung in Organisationen der Sozialen Arbeit braucht:

These 1: Gelingende Digitalisierung braucht klare Erwartungen

Was ist New Work? Was ist Innovation? Jede:r hat zu diesen Begriffen Bilder im Kopf, jede:r kann etwas zu dem Thema sagen und kann – meinungsstark – seine eigene Position vertreten. Und bei Digitalisierung ist es genauso:

Jede:r hat eine Vorstellung dessen im Kopf, was „Digitalisierung“ bedeutet.

Das ist super, wenn man den Party-Smalltalk am Laufen halten will:

„Und, wie steht es um die Digitalisierung in Eurer Einrichtung?“

Da flutscht das Gespräch!

Und aller Wahrscheinlichkeit nach versteht man sich auch gut, da die Diskussion von A wie Algorithmen bis Z wie Zukunft mäandern kann, ohne an der ein oder anderen Stelle über die Ufer treten zu müssen.

In Workshops zur Entwicklung von Digitalstrategien nutze ich zu Beginn gerne die Übung, dass jede:r einmal „sein“ Digitalisierungsalphabet aufschreibt: A wie Alphabet, B wie Bits und Bytes, C wie Computer, D wie Datenverlust… Dabei wird deutlich, dass jede:r sehr eigene und häufig sehr andere Erwartungen an das hat, was Digitalisierung im Allgemeinen und im Spezifischen bezogen auf die eigene Organisation ist bzw. bringen soll.

Wenn jedoch die einen die Hoffnung von Digitalisierungsbemühungen auf die Vereinfachung bestehender Prozesse (bspw. zur Pflegedokumentation) legen, sich die anderen endlich mal für die Employer Branding Kampagne in Social Media vertreten sehen wollen und die Dritten neue, digitalisierte Geschäftsmodelle oder die sinnvolle Nutzung sog. „künstlicher Intelligenz“ erhoffen, wird es schwierig, ein gemeinsames Verständnis, geschweige denn eine gemeinsame, sinnvolle, umsetzbare Strategie zu entwickeln.

Hinzu kommt, dass die verschiedenen Erwartungen an „die Digitalisierung“ nur zu enttäuschen sind, sofern diese nicht vorab geklärt werden.

Was kann getan werden?

Entsprechend ist dies der erste Schritt: Es sind die Erwartungen an die Digitalisierungsbemühungen zu klären. Darüber kann partizipativ ein gemeinsames Verständnis dessen geschaffen werden, was durch „die Digitalisierung“ ganz spezifisch in der eigenen Organisationen erreicht werden soll und kann.

Dieses „kann“ ist relevant, denn: Möglich ist vieles, realistisch umsetzbar deutlich weniger und funktional für die Organisation sind vielleicht nur wenige, kleine Schritte, die aber echte Veränderung im Kleinen bewirken.

Die kleinen, häufig nicht für alle Mitglieder der Organisation gleichermaßen sichtbaren Fortschritte sind immer wieder zu kommunizieren, damit nicht der Eindruck entsteht, „viel Lärm um nichts“ zu machen.

These 2: Gelingende Digitalisierung braucht ein Verständnis für die Notwendigkeit der Formalisierung durch Digitalisierung

Digitalisierung formalisiert – immer! Klingt komisch, ist aber recht einfach erklärt:

Die Einführung eines Messengers zur Kommunikation mit den Klient:innen kann nicht der Entscheidung einzelner Organisationsmitglieder und ebensowenig der Entscheidung einzelner Teams oder Organisationseinheiten überlassen werden. Genauso kann nicht jedes Team, bspw. in der ambulanten Pflege, individuell entscheiden, ob sie Programm X oder Y zur digitalen Dokumentation nutzen oder ob sie doch lieber weiterhin analog, mit Stift und Papier, dokumentieren.

Digitalisierung erfordert formale Entscheidungen, die Gültigkeit für die Gesamtorganisation besitzen.

Richtig spannend wird es beim Dokumentenmanagement: Sofern die Organisation einheitliche, formal vorgegebene Prozesse der Pflege, Bearbeitung, Ablage usw. von Dokumenten anstrebt, sind alle (!) Mitarbeiter:innen gefordert, die Vorgaben einzuhalten.

Das ist mehr als nervig, wenn es vorab eine „Kultur der dominierenden Informalität“ gab und jede:r irgendwelche Dokumente irgendwie ändern und irgendwo „ablegen“ konnte.

Zur Erläuterung: Informalität lässt sich als das „Netzwerk bewährter Trampelpfade, die in Organisationen immer wieder beschritten werden“ (Kühl, 2010) definieren.

Eine Kultur der dominierenden Informalität bedeutet entsprechend, dass die Einhaltung formaler Vorgaben als weniger wichtig erachtet wird als das Netzwerk der bewährten Trampelpfade bzw. die erwarteten, spontanen, individuellen, nicht formal geregelten und damit eben informellen Entscheidungen von Individuen und Teams.

Meine These ist, dass eine Kultur der dominierende Informalität in sozialen Organisationen vorherrschend ist und diese Kultur Veränderungsbemühungen erschwert.

Überspitzt formuliert wird erwartet, dass Mitarbeiter:innen und Teams spontan, aus Erfahrung und Intuition, basierend auf den eigenen Vorlieben und „gefühlten Notwendigkeiten“, anstatt basierend auf Vorgaben der Organisationen, festgelegten Prozesse oder gar „Ansagen von oben“ zu agieren.

Um nur ein Beispiel zu nennen, zeigt sich die dominierende Informalität in der verhältnismäßig geringen Bedeutung eines standardisierten Qualitätsmanagements in sozialen Organisationen. Ohne hier in die Tiefe zu gehen, weist bspw. Grunwald darauf hin, dass Vorstellungen eines rein standardisierten Qualitätsmanagements dazu führen, dass QM als die notwendigen informellen Handlungsspielräume beschneidend erlebt wird und die Befürchtung besteht, dass Strategien und Verfahren „zu sinnentleerten Qualitätsmanagement-Routinen werden, womit die potentiellen Chancen einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema Qualitätsmanagement und seiner möglichen Bedeutung für die eigene Organisation verspielt werden“ (2018, 618).

Meine These der „dominierenden Informalität sozialer Organisationen“ findest Du tiefer ausgearbeitet unter dem Link.

Aber:

Die Informalität (im Gegensatz zur Formalität) sozialer Organisationen muss nicht immer schlecht sein. In vielen Fällen ist informelles Handeln hoch funktional, insbesondere für soziale Organisationen:

Die Komplexität sozialer Arbeit erfordert spontane Entscheidungen, ein hohes Maß an intrinsischer Motivation, kreatives und individuelles, auf Beziehung setzendes Vorgehen. Entsprechend sinnvoll sind „agile Organisationsdesigns“ oder die Entwicklung selbstbestimmt agierender Teams in und für soziale Organisationen.

Aber eine Kultur, in der die Erwartung des Treffens individueller Entscheidungen vor der Erwartung des Einhaltens von allgemeingültigen, organisationalen Regeln steht, passt eben nicht zur immer formalisierenden Digitalisierung.

Was kann getan werden?

Zunächst einmal ist relevant, Informalität als existente Rahmenbedingung in sozialen Organisationen zu akzeptieren. Ganz allgemein formuliert kann nicht „alles“, jeder Handlungsschritt in Organisationen formalisiert werden.

Und spezifisch in der sozialen Arbeit ist der Versuch, dieses zu tun, an vielen Stellen dysfunktional. Man muss sich nur einmal den „Dienst nach Vorschrift“ in einer stationären Jugendhilfeeinrichtung vorstellen, in der es nur wenige Vorschriften (für die Mitarbeitenden) geben kann.

Ebenfalls notwendig ist es, Digitalisierungsbemühungen aus der Brille der mit der Digitalisierung zwangsläufig einhergehenden Formalisierung zu betrachten. Es können nicht alle Mitarbeiter:innen mitentscheiden, welche Kommunikationsplattform verwendet wird. Ebenso kann, bspw. bei digitaler Dokumentation nicht mehr individuell entschieden werden, wer was wie dokumentiert. Eingabemasken sind vorgegeben und auszufüllen, ob man will oder nicht.

Über diese beiden Vorüberlegungen der Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitsweise sollten die Mitarbeiter:innen informiert werden. Dadurch kann grundlegend ein zumindest besseres Verständnis geschaffen werden, was Digitalisierung sozialer Organisationen im Allgemeinen und im Spezifischen für die eigene Organisation bedeutet und welche Implikationen für die eigene Arbeit mit Digitalisierung einhergehen.

Information allein ist jedoch nicht ausreichend. Es bedarf basierend auf der Information dann der gemeinsamen Auseinandersetzung in der Organisation über die Auswirkungen. Es wird Menschen in der Organisation geben, die die Entwicklung begrüßen, Menschen, die die Entwicklung hinnehmen und Menschen, die sehr kritisch auf die Digitalisierungsbemühungen schauen.

Und nein, ich plädiere nicht dafür, „alle Menschen mitzunehmen“. Das wird nicht gelingen. Aber das Wahrnehmen auch der kritischen Stimmen in der Organisation ist wichtig, um gute Wege sinnvoller Digitalisierung zu beschreiten.

These 3: Gelingende Digitalisierung braucht unternehmerische Kompetenz

Nein, jetzt erfolgt kein Bashing der „ach so innovationsfeindlichen Sozialwirtschaft“ und ebenso kein Verweis auf die Unbeweglichkeit der „großen Tanker“. Das ist nämlich nicht so: Sozialwirtschaft ist und war schon immer hochgradig innovativ. Und unternehmerisch, wenn unternehmerisches Handeln verstanden wird als „mit wenigen Mitteln Großes zu leisten“.

Insbesondere sehe ich unternehmerische Kompetenzen bei den Führungskräften, Vorständen, Geschäftsführungen der Organisationen.

Ja, es mag manche geben, die immer noch an der „guten alten Zeit“ festhängen und die Asche anbeten, anstatt das Feuer weiterzugeben. Aber die Menschen, mit denen ich arbeiten darf, denken nach vorne, wollen etwas bewirken, Dinge im Sinne der ihnen anvertrauten Menschen voranbringen, Neues gestalten. Und das in hochgradig dynamischen, komplexen Umwelten unter den Rahmenbedingungen politischer Begrenztheiten und (zunehmend) bürokratisch agierender Kostenträger.

Ich vermisse hingegen unternehmerische Kompetenzen bei den Mitarbeiter:innen an der Basis.

Aber was genau verstehe ich unter „unternehmerischen Kompetenzen“, was haben diese mit stockenden Digitalisierungsbemühungen zu tun und vor allem: Warum sollten Mitarbeiter:innen an der Basis diese Kompetenzen nicht haben?

Unternehmerische Kompetenzen beziehen sich nicht nur auf die Fähigkeiten einer Person in Bezug auf „geschäftliche“ Aktivitäten, sondern ganz grundlegend auf Fähigkeiten, wie sie „auf die Welt“ schaut und mit dieser interagiert.

Im Gegensatz zu einer reaktiven Defizitorientierung geht es um die Entwicklung von Fähigkeiten, Chancen zu erkennen, kalkulierbare Risiken einzugehen, Innovationen voranzutreiben und Verantwortung zu übernehmen, um auch in Unsicherheit erfolgreich und „proaktiv“ agieren zu können.

Der Blick beispielsweise auf die Ausführungen zu Future Skills von Ehlers (2020) und im Spezifischen auf die Gruppe der „Organisationsbezogene Future Skills“ (Kompetenzen, die sich auf den Umgang mit der sozialen, organisationalen und institutionellen Umwelt beziehen) zeigt für mich das, was unter „unternehmerischen Kompetenzen“ gut gefasst werden kann. Ehlers beschreibt hier Fähigkeiten wie Sinnstiftung und Wertebezogenheit, die Fähigkeit, Zukünfte gestaltend mitzubestimmen, mit anderen zusammenzuarbeiten und zu kooperieren und in besonderer Weise kommunikationsfähig, kritik- und konsensfähig zu sein. So ist – als nur ein Beispiel – Zukunftskompetenz „die Fähigkeit mit Mut zum Neuen, Veränderungsbereitschaft und Vorwärtsgewandtheit die derzeit gegebenen Situationen in andere, neue und bisher nicht bekannte Zukunftsvorstellungen weiterzuentwickeln und diese gestalterisch anzugehen“ (ebd., 94ff).

Unternehmerische Kompetenzen beinhalten Kompetenzen wie Innovations-, Führungs-, Kollaborations- und Kommunikationskompetenz. Aber auch Fähigkeiten wie Finanzwissen, Risikobereitschaft und Durchhaltevermögen lassen sich unter die „unternehmerischen Kompetenzen“ fassen.

Ich will hier nicht zu sehr in die Tiefe gehen, empfehle aber eine Auseinandersetzung mit den Future Skills.

Warum aber braucht es die hier angerissenen Kompetenzen für erfolgreiche Digitalisierung?

Auch dies ist eine große Frage, die sehr kurz beantwortet werden kann: Das sinnvollste Vorgehen zur Gestaltung einer dynamischen und komplexen Welt (egal, ob auf individueller Ebene, auf Ebene von Teams und Organisationen oder auf Ebene der Gesellschaft und der Welt als Ganzes) besteht im Experimentieren und Lernen. Nur durch das Ausprobieren des Neuen und das Lernen aus den gemachten Erfahrungen ist es möglich, sich Schritt für Schritt in die erwünschte Richtung, bspw. hin zur „digitalen Vision“ der eigenen Organisation, vorzutasten. Dieses aus dem agilen Management bekannte, „iterative Vorgehen“ wurde inzwischen an den verschiedensten Stellen ausführlich beschrieben.

Und dieses iterative Vorgehen findet sich auch im Denken und Handeln erfolgreicher Unternehmer:innen. Wiederum ohne zu tief einzusteigen findet sich unter dem Vorgehensweise „Effectuation“ eine anwendbare Logik, wie Unternehmer:innen „ins Handeln kommen“ und gleichzeitig Risiken minimieren, Partnerschaften eingehen und Zufälle nutzen.

Die unternehmerische Logik „Effectuation“ verbindet die unternehmerischen Kompetenzen mit den Notwendigkeiten des iterativen Vorgehens zur Gestaltung der Digitalisierung.

Aber warum vermisse ich diese Herangehensweise bei den Mitarbeiter:innen an der Basis sozialer Organisationen?

Dazu ist vorab zu konstatieren, dass das Problem nicht bei den Individuen liegt, sondern vielmehr als strukturelles Problem verstanden werden muss:

Da Soziale Arbeit im Wesentlichen kostenträgerfinanziert ist, bestehen wenige Anreize, „unternehmerisch“ zu agieren. Nur ein paar Gründe: Es besteht, insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels, nicht die Notwendigkeit, a) durch bessere Angebote neue „Kunden“ zu gewinnen. Außerdem besteht kaum Anreiz, b) „möglichst gute“, wirksame Soziale Arbeit zu leisten, damit die eigene Organisation weiterempfohlen wird. Hinzu kommt, dass c) die Vergütung Sozialer Arbeit in den meisten Fällen auf Tarifverträgen basiert, die wiederum wenig Anreize schaffen, besonders innovativ, überdurchschnittlich gut oder besonders effizient zu arbeiten. Und nein, der völlige organisationale und individuelle Burnout (spannend dazu der aktuelle Bericht der DAK) aufgrund schlechter Rahmenbedingungen (ausgelöst insbesondere durch den Fachkräftemangel) ist keine Effizienz. Hinzu kommt, dass d) das für gelingende Digitalisierung notwendige iterative Vorgehen, das Experimentieren und Lernen, den Finanzierungsbedingungen der Kostenträger zuwiderläuft – in der Regelfinanzierung ebenso wie (zumindest offiziell) in der Finanzierung innovativer Projekte (deren Anschlussfinanzierung oftmals völlig unklar bleibt).

Kurz: Die strukturellen Bedingungen der Sozialwirtschaft laden nicht dazu ein, unternehmerisch zu agieren. Und die angesprochenen Punkte a) – d) sind alles andere als abschließend. Sie verdeutlichen nur, dass fehlende unternehmerische Kompetenzen – wie so oft – kein ausschließlich individuelles Problem sind.

Und der Blick in die Zukunft zeigt aktuell sehr dramatisch, dass die Rahmenbedingungen alles andere als besser werden. Die Kürzungen im Bundeshaushalt 2024 sprechen hier eine deutlich düstere Sprache. Der Paritätische Wohlfahrtsverband bringt es auf den Punkt: „Die Pläne zwingen zu massiven Einschnitten bei sozialen Angeboten: von Freiwilligendiensten über die psychosoziale Versorgung Geflüchteter bis hin zur Unterstützung Arbeitsuchender.“ Marc Groß, Vorstandsvorsitzender der Liga-BW, sagt: „Sollten die Kürzungen wie vorgeschlagen beschlossen werden, trifft dies genau die Menschen, die es jetzt bereits am schwersten haben: Kinder, Jugendliche und Familien, Menschen in Armut, geflüchtete und zugewanderte Menschen“.

Und konkret im Kontext der Digitalisierung sind Einsparungen in Höhe von 3,5 Mio. Euro vorgesehen, die das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aufgesetzte Förderprogramm zur Zukunftssicherung der Freien Wohlfahrtspflege durch Digitalisierung komplett aushebeln: „Hier werden die Verbände mitten im Aufbruch und in wichtigen strategischen Entwicklungen stark beeinträchtigt“, so die BAGFW.

Die Mitarbeiter:innen an der Basis aber sind nicht „geschult“ darin, Probleme „selbst in die Hand“ zu nehmen. Noch einmal: Das ist kein individueller Vorwurf, sondern strukturell bedingt. Und gleichzeitig ist es es relevant, genau hinzuschauen:

Das Jammern über schlechte Arbeitsbedingungen, zu wenig Geld, den Staat, die Politik, die da oben und diesdas hilft (und ist wirklich relevant) für die eigene Psychohygiene, verbessert die Situation aber nicht. Es gilt vielmehr, die eigene Freiheit zu nutzen. Und diese Freiheit ist in Organisationen mit der oben beschriebenen „dominierenden Informalität“ alles andere als klein. Denn gerade in dezentral organisierten, hochgradig komplex strukturierten Organisationen der Sozialwirtschaft ist vor Ort, im Team und oftmals auch völlig individuell zu entscheiden, was notwendig und möglich ist:

Es ist vor Ort zu entscheiden, welche Strukturen, Prozesse, Innovationen, Angebote und Dienstleistungen sinnvoll und machbar sind. Es ist vor Ort zu entscheiden, wie das Team miteinander möglichst gut arbeiten kann. Das für die strategische Ausrichtung der Organisation notwendige Gesamt-Leitbild ist vor Ort zu operationalisieren und anzupassen, damit die konkreten Bedingungen vor Ort in den Blick genommen und bedarfsgerecht im Sinne der Nutzer:innen gestaltet werden können. Die oberste Führungsebene hat – völlig nachvollziehbar – oft keinen Einblick in die notwendigen Bedarfe vor Ort.

Wir waren ja beim Thema Digitalisierung, Du erinnerst Dich? Da gilt das Gleiche:

Trotz der notwendigen Formalisierung durch Digitalisierung ist es nur vor Ort möglich, die für die Digitalisierung notwendigen iterativen Experimente zu starten bzw. gesamtorganisationale Experimente für vor Ort zu adaptieren und aus diesen zu lernen, damit Digitalisierung gelingen kann.

Was kann getan werden?

Der erste Punkt ist der weitere Kampf (leider muss dieser Begriff benutzt werden) um die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der strukturellen Bedingungen der Sozialwirtschaft. Lobbyarbeit, die Verständigung mit den Kostenträgern über die komplexen Bedingungen sozialer Arbeit, wirksame Öffentlichkeitsarbeit für die Anliegen und die Bedeutung sozialer Dienstleistungen sind heute wichtig und werden in Zukunft wichtiger.

Aber auch wenn die Rahmenbedingungen das wesentliche Problem darstellen, brauchen wir mehr sichtbare Beispiele von Menschen, die mutig neue Wege beschreiten und unternehmerisch Innovationen vorantreiben.

Mir fallen hier viele Menschen ein, die Beispiel für gelingendes Unternehmertum sein können. Hier nur drei Beispiele:

  • Die Diakonie An Sieg und Rhein entwickelt mit der integrierten Sozialberatung die Sozialberatung der Zukunft. Dabei arbeiten Berater:innen mit verschiedenen inhaltlichen Spezialisierungen kollaborativ in Echtzeit mit Klient:innen zusammen. Patrick Ehmann, Geschäftsführer der Diakonie An Sieg und Rhein berichtet hier im Podcast vom aktuellen Stand der Entwicklungen des neuen Beratungsansatzes.
  • Bei der SozKom GmbH unter Leitung der beiden Geschäftsführerinnen Kathrin Stern und Rita Resch hat ein eigenes organisationales Betriebssystems – die „sozKomKratie“ – entwickelt und strukturiert sich anders. Das führt bspw. dazu, dass sich die Organisation keine Sorgen um Fachkräftegwinnung machen muss. Mehr dazu kannst Du hier im Podcast anhören.
  • Thomas Mampel beschreibt in seinem aktuellen Blogbeitrag das vom Stadtteilzentrum Berlin-Steglitz entwickelte kleine, aber sehr feine Projekt „Mobile Lernwerkstatt Demokratie“. Mit Koffern voll mit Moderations- und Workshopmaterial führen die Kolleg*innen spannende Projekttage zur aktuell mehr als relevanten Demokratieförderung an Schulen und in Kinder- und Jugendprojekten durch.

Ich will damit sagen, dass es die „Intrapreneur:innen“ in sozialen Organisationen braucht und gibt.

Intrapreneur:innen sind Mitarbeitende, „denen die Balance zwischen dem persönlichen Einsatz für die eigenen – von der hegemonialen Norm in ihren jeweiligen Organisationen abweichende (!) – Werte und Ideale auf der einen und der Anpassung an die institutionalisierten Settings, in denen sie agieren, auf der anderen Seite gelingt“, wie Hannes hier im Blog schreibt.

Entsprechend gilt es, in sozialen Organisationen, die Intrapreneur:innen, die Menschen, die neue Wege ausprobieren wollen, lebendig werden zu lassen. Das klingt leichter, als es ist. Einige Taktiken für Intrapreneur:innen beschreibt Hannes hier in diesem lesenswerten Beitrag.

Darüber hinaus ist es relevant, dass in Studium und Ausbildung die Entwicklung neuer Wege in der Unsicherheit, das Experimentieren und Lernen als Voraussetzung für gelingende Digitalisierung, viel stärker und in der Breite verankert werden muss. Nur so lassen sich die heutigen und zukünftigen Herausforderungen meistern.

Der Blick in die Ausbildungslandschaft zeigt, dass es an vielen Stellen in Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen bereits tolle Projekte gibt, die „unternehmerische Kompetenzen“ fördern. Über diese Projekte muss es gelingen, die berufliche Identität der Menschen an der Basis dahingehend zu erweitern, dass sich diese Menschen nicht „nur“ als Anwält:innen für ihr Klientel, sondern auch als Entre- oder Intrapreneur:innen für die Entwicklung der Angebote, der Teams und Organisationen und damit als Anwält:innen des Sozialen verstehen.

Fazit: Digitalisierung muss gestaltet werden

Mal wieder ein viel zu langer Blogbeitrag. Aber vielleicht hast Du bis hierher durchgehalten. Also nur noch einmal kurz:

Jeder und jedem ist inzwischen bewusst, dass gelingende Digitalisierung mehr braucht als Technik. Gelingende Digitalisierung braucht

  • klare Erwartungen,
  • ein Verständnis für die Notwendigkeit der Formalisierung und
  • unternehmerische Kompetenz.

Und noch viel mehr, aber der Beitrag ist sowieso schon viel zu lang…


Wie steht es bei Dir persönlich und in Deiner Einrichtung um die drei hier beschriebenen Thesen? Stimmst Du zu? Oder wo siehst Du es anders? Lass es mich gerne wissen, als Kommentar hier im Blog, als Mail oder als Kommentar in den sozialen Medien. Freue mich, von Dir zu lesen.

Podcast: Wie können Social Entrepreneurship und die freie Wohlfahrtspflege voneinander lernen?

Tags: , , , , , ,

Das Thema „Social Entrepreneurship“ oder Sozialunternehmertum begleitet mich hier bei IdeeQuadrat schon länger: Zum einen glaube ich, dass wir nicht nur im Sozialwesen gerade in der aktuellen Zeit und in Zukunft Unternehmertum im besten Sinne als Grundkompetenz brauchen, um Gesellschaft positiv zu gestalten: Wir müssen selbst etwas unternehmen, damit es (was auch immer damit gemeint ist) besser wird. Zum anderen habe ich hier im Blog schon oft das Thema aufgegriffen – in Interviews, in Methoden und im Hinterfragen.

Entsprechend überrascht war ich vom Thread, den Joss Steinke am 18. Mai 2020 veröffentlichte:

Daraus ergab sich eine große Diskussion:

Das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland, also SEND e.V., hat sich daraufhin natürlich auch eingeschaltet. Ihr kennt den SEND e.V. vielleicht durch das Interview mit Katrin Elsemann, das ich vor drei Wochen geführt habe und das als Podcast erschien.

Ich habe die Diskussion verfolgt und dann Markus und Joss zu einem gemeinsamen Gespräch in meinen Podcast eingeladen und freue mich jetzt, Euch hier das Interview als Transkription auch zum Lesen zu geben (hinten findet ihr auch noch die Links).

Transkription: Wie gelingt gemeinsames Verständnis, Markus Sauerhammer und Joß Steinke?

Hendrik Epe: Liebe Hörerinnen und Hörer des IdeeQuadrat-Podcast, das erste Mal ist es ein Podcast, bei dem ich zwei Teilnehmer dabeihabe – das glaube ich jedenfalls. Ich bin mir gerade nicht ganz sicher, auf jeden Fall sind mehrere Leute in der Leitung.

Ich spreche heute mit Dr. Joß Steinke und Markus Sauerhammer – mal wieder über das Thema Social Entrepreneurship und Wohlfahrt. Lustigerweise habe ich vor kurzem schon mit Katrin Elsemann darüber gesprochen. Dabei ging es darum, was Social Entrepreneurship eigentlich ist. Sie hat dazu viel Input gegeben.

Jetzt noch einmal Social Entrepreneurship als Thema, dieses Mal aber basierend auf einem Tweet von Joß Steinke. Auf diesen kommen wir gleich noch einmal zurück. Ich möchte euch beide erst einmal kurz vorstellen. So sparen wir Zeit und können sofort zum Inhaltlichen kommen.

Markus Sauerhammer ist der Geschäftsführer des Social Entrepreneurship Netzwerks Deutschlands. Wenn man ein bisschen weiter in seiner Historie zurückgeht, ist er Landwirt, ausgebildeter Landwirt. Das finde ich ganz spannend. Er kommt aus dem Dorf Strüth in Franken. Das hört man noch ein bisschen am Dialekt. Ich glaube, du bist inzwischen in Berlin. Du hast Management und Marketing studiert, danach noch einen MBA gemacht.

Du hast bei Startnext gearbeitet und bist über den Bundesverband der deutschen Start-ups zum Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland gekommen. Bzw. vielmehr hast du eigentlich das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland aufgebaut, wenn ich das in den letzten Jahren richtig verfolgt habe. Markus, was habe ich vergessen, was unbedingt erwähnt werden muss?

Markus Sauerhammer: Ich bin nicht Geschäftsführer. Mit Katrin, unserer Geschäftsführerin, hast du ja gesprochen. Ich bin Vorstand. Meine Rolle als Gründungsvorstand, meine Aufbauarbeit und dass ich gelernter Landwirt bin, hast du bereits angesprochen. Jetzt bewege ich mich im Thema Zukunftspolitik. Dabei ist die Parallele eigentlich die gleiche: Wir ernten, was wir säen. Von daher halte ich nur einen anderen Acker.

Hendrik: Ok, du bist also Landwirt geblieben und dabei nur auf einen anderen Acker gewechselt.

Auf der „anderen“ Seite sitzt Dr. Joß Steinke. Er leitet den Bereich Jugend und Wohlfahrtspflege beim Deutschen Roten Kreuz in Berlin. Wenn ich es richtig rausgefunden habe, analysiert und bearbeitet dieser Bereich Fragen der Sozial- und Wohlfahrtsarbeit des Deutschen Roten Kreuzes, das einer der großen Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege ist.

Joß Steinke war vorher, das war aber auch das Einzige, was ich bei meiner spontanen Suche herausbekommen habe, beim AWO Bundesverband tätig und hat dort den Bereich Arbeit, Soziales und Europa geleitet. Er ist also ein echter Fachmann im Bereich der freien Wohlfahrtspflege. Joß, was habe ich vergessen, von dir zu erzählen? Was müssen die Hörerinnen und Hörer noch wissen?

Dr. Joß Steinke: Dass ich ein Leben vor der freien Wohlfahrtspflege hatte, ist vielleicht auch noch erwähnenswert. Ich war vorher beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. Da schließt sich der Kreis zu Franken. Ich bin 2011 von dort aus nach Berlin gewechselt zum AWO Bundesverband. Ich mache also jetzt, seit knapp neun Jahren, im weitesten Sinne die Arbeit im Bundesverband für Wohlfahrtspflege.

Hendrik: Herzlichen Dank. Wir sprechen ja miteinander, um die Gegensätze zu beleuchten und am Ende hoffentlich dahin zu kommen, diese Gegensätze wieder zusammenzubringen. Um zu schauen, wo sind denn eigentlich Gemeinsamkeiten, Lernmöglichkeiten aus den Bereichen Wohlfahrtspflege und Social Entrepreneurship. Mich beschäftigt einfach beides, das muss ich ganz klar sagen.

Ich selbst komme ursprünglich aus der Wohlfahrtspflege. Ich war Sozialarbeiter, bin auch immer noch im Bereich der Caritas unterwegs und berate soziale Einrichtungen in diesem Kontext. Ich verorte mich eher in der Wohlfahrtspflege, aber dieses Unternehmertum interessiert mich auch. Dann gab es diesen Tweet von Joß Steinke, in dem er, wenn ich es negativ formuliere, Social Entrepreneurships angegriffen hat.

Joß, magst du einmal kurz auf den Hintergrund von dem Tweet eingehen?

Joß: Kurz, das ist natürlich gar nicht so leicht. Aber ich habe es ja auch im Tweet geschafft. Deswegen schaffe ich es jetzt auch kurz. Wobei es mir schon wichtig ist: Ich greife nicht Social Entrepreneurs oder Start-ups an. Mir geht es tatsächlich um politische Kommunikation. Hendrik, du fragst, wie man es schafft, einen Ausgleich herzustellen. Für mich ist nach wie vor ungeklärt, mit was ich es eigentlich zu tun habe. Eine meiner Kritiken oder Fragen ist: Was ist eigentlich Social Entrepreneurship? Meines Erachtens nach ist es immer noch nicht geklärt.

Wenn ihr euch den Tweet und die Antworten dazu genau anguckt, findet ihr ganz viele unterschiedliche Antworten auf die Frage: Was ist Social Entrepreneurship? Und solange ich natürlich auch nicht weiß, mit was ich es hier zu tun habe, wofür und für wen sie sich einsetzen, finde ich es auch schwierig auf so einer Ebene miteinander zu arbeiten. Mir ist es auch wichtig, das noch einmal zu sagen: Wenn es gute Ideen, gute Initiativen gibt, mit denen man kooperieren kann, dann bin ich der Letzte, der hier nein sagt. Im Gegenteil, ich glaube, dass ich in den letzten acht Jahren immer wieder auch dafür gesorgt habe, dass gerade der Austausch mit den Initiativen selbst auch gefördert worden ist.

Hendrik: Darf ich einhaken? Die Frage, die du gerade gestellt hast, ist auch ein Teil der Grundlage für unser Gespräch: Was ist Social Entrepreneurship? Das möchte ich für die Beantwortung an Markus weitergeben. Wenn es jemand beantworten können sollte, dann bist du das Markus. Du müsstest uns sagen können, was das Gegenüber der freien Wohlfahrtspflege ist – wenn man mit diesen Polen arbeiten möchte.

Social Entrepreneurship ist im Kern die Lösung gesellschaftlicher Herausforderung mit unternehmerischen Instrumenten.

Markus: Ich würde es gar nicht als Gegenüber sehen, sondern wenn wir uns die historische Entwicklung anschauen, woher es eigentlich kommt, ist es so, dass wir in großen Umbruchzeiten und nach großen technologischen Revolutionen immer soziale und gesellschaftliche Innovationen hatten. Bei der industriellen Revolution war es so, dass Genossenschaften entstanden sind, als wir eine Monopolisierung von Strukturen in ländlichen Regionen bei Geldverleihern, beim Landhandel hatten.

Das damals die Sozialversicherungen oft aus kommunalen Kontexten heraus entstanden. Da waren vor Ort Macher*innen, die einfach Prototypen umgesetzt haben. Oft waren es auch Intrapreneurs aus der Kirche. Ich finde es ganz spannend, wenn man sich die Geschichte von Adolph Kolping anschaut. Oder, und da nehme ich das Rote Kreuz, einen Unternehmer, der damals in Zukunftsmärkten gegründet hat. Er hat Napoleon III. wegen geschäftlicher Dinge besucht und dabei gesehen, dass Missstände herrschen. Daraufhin hat er das Rote Kreuz mitgegründet.

Hendrik: Henry Dunant meinst du?

Markus: Ja genau, Henry Dunant. Eigentlich ist es genau das Gleiche: Wir sind wieder in einer großen Umbruchphase. Wir kämpfen mit gesellschaftlichen Herausforderungen, mit der digitalen Transformation, weiteren neue Herausforderungen, die hinzukommen. Was geht alles mit dem Klima- oder dem demografischen Wandel in Deutschland einher?

Oder die Globalisierung, die definitiv nicht zum Wohle aller gelaufen ist, sondern bei der eine kleine Anzahl von Menschen sehr enorm profitiert hat. Das heißt, wir leben in einer Zeit, in der wir Herausforderungen haben, die wir in den nächsten Jahren lösen müssen. Social Entrepreneurship ist im Kern die Lösung gesellschaftlicher Herausforderung mit unternehmerischen Instrumenten. Unternehmerische Instrumente heißt nicht, dass es das klassische Geschäft ist, sondern dass nachhaltige Strukturen da sind. Wir haben auch versucht, das in unsere Definition mit aufzunehmen – es gibt ja in den europäischen Ländern unterschiedliche offizielle Definitionen.

Wir haben uns hingesetzt und eine Basis gemacht. Es ist wichtig, dass das Thema jetzt kommen muss. Dass wir sagen, da bin ich komplett bei Joß, wie wir uns abgrenzen und was das Ganze ist. Das ist ja ein Prozess, der gerade entsteht. Es geht auch nicht darum, dass wir die Weisheit mit Löffeln gefressen haben, sondern dass wir uns fragen: Was funktioniert bei uns super? Was sind die Sachen, die wir in die Zukunft tragen wollen? Und wie können wir das auf die Lösungen der heutigen Herausforderungen adaptieren? Das ist eben nicht nur eine Entwicklung in Deutschland, sondern eine internationale.

Hendrik: Ganz herzlichen Dank. Da sind natürlich viele Aspekte von den Gründern der Wohlfahrtsverbände drin. Henry Dunant ist da auf einer Seite, aber auch bei den konfessionellen Verbänden haben wir solche Persönlichkeiten wie Johann Hinrich Wichern bei der Diakonie oder Lorenz Werthmann bei der Caritas. Bei denen weiß man, dass sie etwas unternommen haben. Die waren unternehmerisch tätig. Aber, Joß, aus deiner Perspektive: Wo siehst du die Herausforderungen dabei? Wenn man das als ein Sammelbecken gesellschaftlicher Herausforderungen sieht, die mit unternehmerischen Mitteln gelöst werden wollen.

Joß: Solange das ein Diskurs unter uns bleibt, ist das kein Problem. Wenn man aber, und das macht ihr, Markus, auch sehr erfolgreich – das ist keinesfalls ein Vorwurf –, politisches Lobbying für etwas betreibt, das du zwar beschrieben hast, aber was ich nicht festmachen kann, dann hat das Konsequenzen, über die ich gerne noch einmal sprechen möchte. Die ich persönlich sehr, sehr schwierig finde und die mich auch zu dem Tweet animiert haben. Aber Markus, du hast es ja selber gesagt, ihr müsst euch oder ihr seid dabei, euch stärker abzugrenzen.

Ich habe gestern Abend noch einmal nachgedacht und dabei ist mir eingefallen, dass ich mal eine ganz interessante Diskussion hatte. Ich beschäftige mich mit dem Thema Soziale Innovation und Social Entrepreneurship seit 2012, weil ich damals neu in die Wohlfahrtspflege gekommen bin.

Das klingt erst einmal alles interessant und man möchte auch bei neuen Themen dabei sein und partizipieren, wenn man ganz neu in dem Bereich ist. Da gab es eine Multi-Stakeholder-Konferenz, bei der wir in der Debatte eigentlich auch an den Punkten waren, wo wir jetzt auch immer wieder sind. Bei dieser Konferenz hatte ich am Rande eines Gesprächs eine Diskussion mit einem Vertreter von ALDI, der gesagt hat: „ALDI ist ein Social Entrepreneur.“ Denn überall, wo ALDI hingeht, würden die Preise für Lebensmittel sinken. Das sei ursozial, weil die Leute dann mehr Geld dafür auch bei niedrigen Einkommen hätten.

Hendrik: Das kann man zumindest diskutieren.

Joß: Ja, das kann man sicher. Aber wer entscheidet das und nach welchen Kriterien? Wofür? Das ist die Frage. Wer und woran macht man denn was fest? Sozialunternehmertum ist nicht abgegrenzt, Social Entrepreneur ist nicht abgegrenzt. Mit welchen Argumenten, Markus, würdest du dann sagen: „Nö, also Aldi … ich weiß jetzt nicht, ob ich mich für die im Bundestag einsetzen würde“? Vielleicht würdest du es ja auch tun.

Ich will damit nur sagen, letztlich hat mich das damals auch bewogen, zu sagen: „Man muss es vielleicht noch einmal schärfen. Denn solange ich nicht weiß, mit wem ich es zu tun habe, was das ist, ob es Unternehmen sind, ob es gewerbliche oder gemeinnützige sind, ist es für mich schwierig, eine Kooperation auf einer politischen Ebene einzugehen. Ich hoffe, dass das irgendwie verständlich rüberkam.

Markus: Das kommt super rüber. Also erst einmal: Das Beispiel, das du angebracht hast, finde ich super. Schauen wir zurück: 1950 war es so, dass wir 44 %, knapp die Hälfte unseres Einkommens für Lebensmittel ausgegeben haben. Das heißt, einen halben Tag bin ich schaffen gegangen, damit die Familie ernährt wird. Heute sind es ungefähr 13, 14 %. Hat Aldi etwas verändert, gesellschaftliche Mehrwerte geleistet? Wenn ich nur nach dem Preis gehe, bin ich definitiv bei dir. Ich habe aber auch landwirtschaftliche Wurzeln. Damit kommen wir auch darauf, warum ich genau in diesem Bereich gelandet bin. Wir haben mittlerweile eine Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel von 85 %, also vier Anbieter haben 80, 85 % Marktanteil.

Ganz genau weiß ich es aktuell nicht. Viele meiner ehemaligen Studienkollegen arbeiten im Lebensmitteleinzelhandel als Einkäufer, als Verkäufer. Die Marktmacht wird schonungslos ausgespielt. Was wir gerade bei den Schlachthöfen erleben, ist jetzt wegen Corona nach oben gepoppt. Es ist eine komplette Wertschöpfungskette, bis hin zu den Landwirten, Produzenten, Erzeugern darunter, bei der wir doch eine hohe Marktkonzentration, Machtkonzentration, ein enormes Ungleichgewicht haben. Da hat ein Mission-drift stattgefunden. Das heißt, der gesellschaftliche Mehrwert ist definitiv verloren gegangen.

Es wurde aus einem Konstrukt, das gesellschaftliche Mehrwerte geleistet hat, definitiv zu einem Instrument, zu dem ich sage, dass wir heute hart diskutieren können. Ich glaube, es gibt immer noch Leute, die sagen: „Lebensmittel könnten günstiger sein.“ Ich glaube das nicht.

Das, was du beschreibst, da bin ich bei dir, ist gesellschaftliche Innovation. Social Entrepreneurship ist nicht die Konkurrenz zur Wohlfahrt, sondern sie gibt es in der Wirtschaft. Die meisten unserer Akteure sind eher in der klassischen Wirtschaft unterwegs, viele auch in Wohlfahrtsbereichen. Aber der Schwerpunkt liegt in dem Bereich. Ich glaube, wir brauchen ein krasses Umdenken, wenn wir uns anschauen, wie sich die Welt gerade verschiebt.

Ich war eine Zeitlang in der klassischen Start-up-Welt. Ich habe dann ein Aufbaustudium, einen MBA, gemacht. Ich war dabei und irgendwann sagen die uns: „Erzählt den Leuten, was ihr Gutes tut. Und dann holt ihr Venture-Capital rein, Netzwerk-Lock-in-Effekte. Danach dockt ihr ans Geschäftsmodell an und könnt die Kunden melken.“ Das heißt, wenn wir bei der industriellen Revolution zum Produktionsfaktor wurden, werden wir heute zum Produkt – in einer ganz anderen Geschwindigkeit, in einer ganz anderen Machtkonzentration.

Wenn man die Bilder logisch weiter malt, dann brauchen wir ein Umdenken. Deswegen wünsche ich mir, dass wir genau diesen Austausch haben und es kritisch diskutieren. Ein Jahr lang fand jetzt regelmäßig eine Runde statt, in der sich Vertreter der Wohlfahrt mit den Social Entrepreneurs zusammengesetzt haben. Wir haben uns wahnsinnig viel Zeit genommen, um genau über diese Punkte zu diskutieren. Darin schlummert das Potenzial, dass wir uns nicht gegeneinander, sondern konstruktiv aneinander zu reiben. Dass wir sagen, was gut und was schlecht ist, was man vielleicht anders machen muss.

Aber das funktioniert nur, wenn man gemeinsam am Tisch sitzt und daran arbeitet. Die Menschen, von denen die Kritik kommt, saßen aber nicht mit am Tisch. Gewünscht hatte ich mir das, denn wir schaffen es nur gemeinsam. Ich bin komplett bei dir, denn keiner von uns möchte die Wohlfahrt in Frage stellen, sondern wir haben hier ein Riesenpotenzial, was wir in die neue Zeit tragen müssen.

Hendrik: Lasst uns nochmal kurz bei der Abgrenzung bleiben, um es noch ein bisschen greifbarer zu machen. Die Erläuterung des Beispiels ALDI ist ganz spannend. Das, was mir in den Kopf kam, ist das Familienunternehmen Bosch, das eine Stiftung ist. Diese Purpose-Unternehmen gehen ja in eine ähnliche Richtung. Es sind nicht veräußerbare Unternehmen, die dahinterstehen. Wenn man ein Unternehmen aufbaut und es dann möglichst meistbietend veräußert, ist das auch ein mehr oder weniger soziales Problem.

Also könnte man auch Bosch als sinnstiftendes Unternehmen und als Löser von sozialen Problemen bezeichnen. Gleichzeitig hast du den Bereich der Lebensmittel angesprochen. Es gibt in der gesellschaftlichen Problemlage, die wir vor uns haben, eine Spannbreite von A bis Z. Das könnte man in unterschiedlichste Bereiche auffächern.

Eure Definition hast du eben erläutert. Die deutschsprachige Definition der sozialen Arbeit, nicht Wohlfahrtspflege, des DBSH (Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V.) lautet: „Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen.“ Diese geht natürlich noch weiter und wird auch noch tiefer.

Ich finde, das ist alles sehr groß und sehr breit und wenn ich dich richtig verstanden habe, Joß, geht die Abgrenzung eigentlich nur über den Aspekt der Gemeinnützigkeit. Das heißt, die Frage ist, wie denn eigentlich der politische und gesetzliche Rahmen ist, unter denen Wohlfahrt agiert. Ist das richtig?

Die Abgrenzung zwischen Wohlfahrtspflege und Social Entrepreneurship geht nur über den Aspekt der Gemeinnützigkeit

Joß: Ja, natürlich ist das richtig. Wir können benennen, was wir sind. Wir sind gemeinnützig und man muss eben letztlich Teil einer der Wohlfahrtsverbände sein und sich dann dementsprechend auch den Regularien und Satzungen dieser Verbandsstrukturen unterwerfen. Das bedeutet, dass es bestimmte Bedingungen gibt, um Mitglied beispielsweise im DRK, in der AWO oder im Paritätischen zu sein. Sind diese Kriterien nicht erfüllt, kann man kein Mitglied sein. Die Satzungen sind zwar alle unterschiedlich, aber sie gelten. Und sie sind verpflichtend, nicht nur gemeinnützig, sondern verpflichtend in den Satzungen auch gemeinwohlorientiert. Beides geht hier Hand in Hand.

Markus, deine Antwort ist nachvollziehbar. Ich habe mich nicht dafür ausgesprochen, ALDI als Social Entrepreneur zu bezeichnen. Ich wollte von dir wissen, was ihr macht, wenn die kommen und sagen: „Wir sind es!“? Ich sehe keine Mechanismen oder Bedingungen, die hier greifen, sondern du sagst einfach: „Sie sind es nicht.“ Du argumentierst dabei auch nachvollziehbar, dass es dann den Landwirten schlechtgeht. Das verstehe ich auch.

Aber die Frage ist doch: Gibt es etwas, an was man das festmachen kann, dass das auch gilt, wenn ein ähnliches Unternehmen kommt, bei dem es weniger eindeutig ist? Das gibt es nicht. Vielleicht sagst du auch: „Doch, gibt es!“ Aber welches Gremium entscheidet das und nach welchen Kriterien? Im Moment ist das noch so bunt und schwer zu verorten. Deshalb ist es so schwierig, in einen solchen Dialog zu kommen.

Ich möchte, wenn ich darf Hendrik, gleich auch noch einmal auf den Punkt zu sprechen kommen, was mich dazu bewogen hat, auf Twitter so hart reinzugehen. Dabei geht es mir nicht nur um die Definition, sondern es geht mehr um die politische Kommunikation, die mir da wirklich sehr, sehr wichtig ist.

Hendrik: Gerne! Vorher aber noch einmal die Frage der Abgrenzung an dich Markus. Was sind die Kriterien, um bei euch mitspielen zu dürfen? Und dann zu dir, Joß, mit der Frage, was die Beweggründe hinter diesem Tweet waren. Du sagtest: „Politische Kommunikation“. Was steht da eigentlich dahinter? Markus, magst du die Kriterien benennen, wenn ihr diese habt?

Kriterien für Sozialunternehmertum

Markus: Bei uns ist es so, dass wir einen ziemlich umfangreichen Fragebogen haben. Wenn jemand Mitglied werden möchte, muss er klar machen, was die gesellschaftliche Mission ist, wie das erreichten werden soll, was das Wirkungsmodell dahinter ist und wie sichergestellt wird, dass kein Mission-drift stattfindet. Den Fragebogen haben wir nach dem Definitionsprozess noch einmal nachjustiert. Wenn wir uns anschauen, mit welcher Dynamik sich das Thema gerade global entwickelt, egal ob Social Entrepreneurship oder soziale Innovationen – gesellschaftliche Innovation ist mir als Wort fast noch lieber –, dann sehen wir eine enorme Bewegung.

Damals in der Zeit von Henry Dunant gab es, glaube ich, noch keine Gemeinnützigkeit. Es konnte also allein an dem Kriterium festgemacht werden. Wenn ich nun dieses Kriterium nehme, denke ich an einen Blogbeitrag, in dem diskutiert wurde, dass nur eine kleine Anzahl unserer Mitglieder gemeinnützig ist. Schauen wir uns die Erhebungen an, ist zwar der kleinste Teil im Bereich der Wohlfahrt unterwegs, aber die Hälfte ist gemeinnützig. Also viele der Akteure tragen eigentlich die Gemeinnützigkeit in klassische Bereiche der Wirtschaft.

Das, was uns wichtig ist, ist: Wie verhindern die Akteure einen Mission-drift? Dabei ist neben der Gemeinnützigkeit noch ein Themenbereich, der schon angesprochen wurde, relevant: Wie schaffen wir ein Rechtsformkonstrukt für Unternehmen, die klassisch in der Wirtschaft agieren und trotzdem eine Zweckorientierung verankern, das keine Konkurrenz zur Gemeinnützigkeit und auch nicht Gemeinnützigkeit light ist. Du hast vorhin Bosch angesprochen.

Ich würde Bosch nicht als Sozialunternehmen sehen, sondern sie haben den Zweck festgelegt, dass der Großteil in Innovationen investiert wird und die Überschüsse in die Stiftung fließen. Solche Unternehmen sind resilienter und entlassen nicht so schnell Mitarbeiter. In Dänemark gibt es solche Modelle. Wenn man in Deutschland so ein Konstrukt mit einer Doppelstiftungsstruktur aufbauen will, ist man schnell einen sechsstelligen Betrag los und nur dann kann man das, was man verspricht, auch wirklich halten. Das ist z.B. ein Kriterium. Ein anderes sind Instrumente wie Gemeinwohlökonomie, die B-Corp-Zertifizierung, das Phineo-Wirkt-Siegel, Social Reporting Standard. Damit kann auch sichergestellt werden, dass es wirklich eine Wirkungsorientierung gibt.

Das Thema ist in Deutschland einfach in der Dynamik noch ein relativ junges Thema, auch wenn wir die Dialoge schon eine Weile führen. Das sich da viel verändern wird und definitiv Prozesse nachgezogen werden müssen, ist klar. Das hat man jetzt auch mit dem Antrag der Regierungsfraktionen gesehen, dass eine offizielle Definition kommen muss. Dann haben wir endlich eine Grundlage. Etwas, dass nicht nur theoretisch existiert, sondern es ist ein Konstrukt, das in einem Prozess erarbeitet wurde, das dann auch eine Möglichkeit zur Finanzierung von Förderprogrammen schafft.

Wir kämpfen dafür, dass Innovationen der Wohlfahrt und von Social Start-ups genauso gefördert werden wie Innovationen der gewerblichen Wirtschaft. Bisher sind beide Akteure dabei außen vor. Social Start-ups können auf die meisten Innovationsprogramme nicht zugreifen, die klassischen Akteure der Wohlfahrt auch nicht. Dabei geht es darum, wie wir Gemeinsamkeiten schaffen können. Gemeinsamkeiten, die auf Ziele einzahlen, die wirklich gesellschaftliche Mehrwerte möglich machen. Es geht nicht in allen Fällen über die Gemeinnützigkeit, das ist mir noch einmal wichtig zu sagen.

Hendrik: Joß, zum Hintergrund des Tweets.

Joß: Das ist auch wirklich mein Problem. Wenn ihr auftretet, dann vertretet ihr häufig kleinere, ideenreiche Start-ups. Das ist Bosch ja nun wirklich nicht. Ihr habt euren Monitor herausgebracht. In dem habt ihr eine Umfrage unter den Einrichtungen und Initiativen, die sich als Social Entrepreneurs begreifen, gemacht. Die nennen z. B. das Problem der Rechts- oder Organisationform überhaupt nicht. Bei den Problemen, bei den aktuellen Herausforderungen, die genannt werden, kommt es eher an hinterer Stelle. Wenn ich mit jemandem eine Kooperation eingehe, möchte ich gerne wissen, wessen Interessen derjenige eigentlich vertritt. Was ich bisher gehört habe, ist ja nicht falsch – auch das, was du sagst. Aber das ist eher so eine Art, ich nenne es mal, Lebensgefühl, das sicherlich auch davon getragen wird, dass wir in Umbrüchen leben. Wir müssen uns neu aufstellen. Das stimmt auch alles. Jedoch macht das noch keine Interessenvertretung aus.

Genau das ist für mich schwierig, denn ich vertrete eine Organisation, die echt ist, die klar ist. Dahinter stehen Menschen, die sich in der Wohlfahrt, der Jugend- und Altenhilfe, der Migrationsarbeit, der Behindertenhilfe, in Gesundheitsprogrammen einbringen. Diese Menschen gibt es. Die kann ich benennen. Ich kann die Einheiten benennen. Mit denen arbeite ich, für diese arbeite ich. Mit ihnen machen wir auch Innovationsförderung. Das ist für mich benennbar. Auf der anderen Seite, und da weiß ich nicht, ob es den Zuhörerinnen und Zuhörern dabei anders geht als mir, ist es für mich noch nicht richtig klar und das ist meine Kritik. Denn auf dieser Basis wird jetzt politisch gehandelt und das ist gefährlich. Ihr seid echt gut in der politischen Kommunikationsarbeit, im Marketing und auch in der Kommunikation über soziale Medien.

Man bekommt den Eindruck, dass hier eine riesige Geschichte läuft. Das finde ich tatsächlich beachtlich und habe Respekt davor. Aber ich halte es nicht für ungefährlich. Ihr habt einen Antrag der Regierungsfraktionen, in dem es um soziale Innovationen geht, gelobt, der mich auch geärgert hat. Die Wohlfahrtspflege wird dabei zum Steigbügelhalter für innovative Ideen von Dritten degradiert. Das wird den Leuten, für die ich auch spreche, einfach nicht gerecht. Das ist nicht in Ordnung! Das sagen wir auch noch einmal wirklich deutlich im Bundestag. Das ist aber gar nicht mein größtes Problem.

Social-Entrepreneurship-Himbeersoße

Mein größtes Problem ist, dass ich das Gefühl habe – das wollt ihr zwar nicht, aber das kann dabei entstehen –, dass bei politischen Entscheidungsträgern der Eindruck erweckt wird, dass die Lösung der Probleme Social Entrepreneurship ist. Auch durch dieses Auftreten habe ich manchmal das Gefühl, dass ihr alles mit so einer Social-Entrepreneurship-Himbeersoße übergießt und alles ist irgendwie total super. Hendrik, du weißt, dass wir so heftige Probleme in der Sozialen Arbeit haben, Dinge voranzubringen. Dass wir Probleme wegen Unterfinanzierungen haben.

Da sind Leute, die sich engagieren, wegen denen wir dringend an die Sache ranmüssen. Zusätzlich besteht auch ein Misstrauen gegenüber der Sozialen Arbeit, das wir nicht wegkriegen. Woran wir uns immer wieder stoßen, auch jetzt in der Corona-Zeit. Das Social Entrepreneurship nicht euer Ziel ist, weiß ich. Aber ich habe die Sorge, dass das als Problemlösung verstanden wird. Dann verklebt diese Himbeersoße wieder alle Problemlagen und wir kommen nicht dazu, über die eigentlichen Sachen zu sprechen, um die es im sozialen Bereich in Deutschland aus meiner Sicht tatsächlich geht. Dann wird es nämlich eigentlich nicht mehr besser, sondern klebrig.

Hendrik: Weil du es gerade angesprochen hast, aus meiner Perspektive gibt es die Herausforderungen, die wir in diesem Wohlfahrtssektor haben, eigentlich schon, seitdem es ihn gibt. Seitdem professionelle soziale Arbeit oder professionelle Wohlfahrt geleistet wird, haben wir diese Herausforderungen. Die fangen an beim Frauenberuf, in dem wir unterwegs sind, gehen über Finanzierungsengpässe bis hin zu Misstrauen der Kostenträger, die Gelder geben.

Das, was du, Joß, gerade gesagt hast, erinnert mich an die Technisierung. Es gibt eine technische Lösung für Probleme, die hochgradig komplex sind. Diese Komplexität kann man aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten, aber die Lösung selber ist erst einmal nur systemisch. Es wurde in unserem Bereich bereits lange und mit viel Aufwand, mit unterschiedlichen Netzwerken usw. daran gearbeitet. Aber die eine Lösung gibt es eben nicht. Das ist das, was ich bei dir rausgehört habe. Markus, wie reagierst du darauf?

Markus: Ich finde es schade, weil es in die Richtung Rechtfertigung geht. Was passiert da und wie macht ihr es? Die Rechtsform ist eine der größten Herausforderungen. Im letzten DSEM (Deutscher Social Entrepreneurship Monitor) haben 51,4 % das Fehlen einer geeigneten Rechtsform als Problem angegeben. Dabei ist es so, dass es eine Herausforderung ist, aber weniger in Abgrenzung oder als Konkurrenz im Bereich der Wohlfahrt oder Gemeinnützigkeit, sondern eher bei Unternehmen, die so tun, als würden sie etwas Gutes machen, aber eigentlich ist das Gegenteil der Fall.

Die haben einfach eine coole Corporate-Social-Responsibility-Abteilung, die irgendwo im Marketing angedockt ist. Aber das ist nichts, wenn man so tut als ob, sondern es muss wirklich in der DNA verankert sein. Wenn Gesellschafter keine Gewinne mehr entnehmen können, es ihnen aber im unternehmerischen Kontext wichtig ist, ihren Geldgebern, wenn Geldgeber oder bei innovativen Gründungen Investoren vorhanden sind, genauso Zinsen zahlen zu können, dann ist dieser eine Vorschlag eine Möglichkeit. Denn klassische Darlehen passen da nicht.

Ich baue seit zehn Jahren Brücken zwischen etablierten Akteuren und Neulandgestaltern. Ich habe den Prozess nicht nur einmal durchgemacht, sondern ganz oft. Die Leute, die es immer gemacht haben, belächeln diejenigen, die neu dazukommen und etwas machen. Dann wird sich ein bisschen bekämpft und man hackelt sich, aber am Ende kommt man doch zusammen. Ich freue mich, dass wir zumindest schon auf Stufe zwei sind. Ich hoffe, dass wir bald auf Stufe drei kommen und wirklich gemeinsam daran arbeiten können.

Brücken bauen zwischen etablierten Akteuren und Neulandgestaltern

Ich bin der festen Meinung, dass die Sachen, die du, Joß, angesprochen hast, Herausforderungen sind, die Social Entrepreneurs nicht alleine lösen. Für mich gehören die internen Innovatoren, die Intrapreneurs und die Entrepreneurs fest zusammen. Mit einer etablierten Organisation hat man unterschiedliche Stärken. Es gibt super Strukturen, etablierte Prozesse. Man hat ein starkes Netzwerk und es ist wahnsinnig viel Erfahrung da. Das sind Dinge, die die Akteure nicht haben. Dafür haben Sie manchmal die Naivität, zu sagen: „Geht nicht, gibt‘s nicht! Ich mach es jetzt einfach mal.“ Sie suchen nach neuen Lösungen, wissen das Scheitern dazugehört. Sie probieren vielleicht auch mal andere Sachen aus, an die sie mit einem anderen Mindset rangehen.

Ich habe es so oft mitgemacht. In den Bereichen, in denen es darum geht, gesellschaftliche Mehrwerte zu schaffen, sollten wir wirklich gemeinsam daran arbeiten. Was sind die besten Prozesse? Was sind die besten Lösungen und wie können wir gemeinsam daran arbeiten, dass die besten Lösungen groß werden? Deswegen finde ich die negative Abgrenzung in der ganzen Diskussion fürchterlich.

Mit dem Antrag bin ich komplett bei dir. In dem steht viel zu wenig Wohlfahrt drin. Ich würde jetzt gerne einfach mal ein kurzes Rollenspiel mit dir machen. Stell dir vor, du bist ein Bundestagsabgeordneter und du setzt dich mit dem Thema auseinander. Ich habe vorhin schon gesagt, dass wir in der industriellen Revolution, soziale Innovationen hatten. Ein Teil wurde über staatliche Strukturen, ein anderer Teil über die Wohlfahrt und noch ein anderer Teil wurde am Markt skaliert. Das heißt, es gibt nun unterschiedliche soziale Innovationen. Du hast dich mit den unterschiedlichen Akteuren auseinandergesetzt, schreibst Papiere oder Anträge und dann klingelt dein Telefon. Es ruft jemand an und sagt: „Das ist alles Bullshit!“

Das passiert nicht einmal, sondern es passiert immer wieder. Wenn du dann diesen Menschen nicht zuhörst und auch mit den anderen nicht sprichst und das alles einfach schlecht machst, dann hat jemand vielleicht nicht mehr so viel Lust, das mit reinzunehmen. Daher ist es wichtig, dass wir Dialog-Prozesse schaffen, in denen wir den anderen zuhören, aber ohne sie zu verurteilen. Die brauchen wir, um festzustellen, dass wir in einer Zeit großer Umbrüche sind und es gemeinsam machen müssen.

Genauso ist es auch bei dem Finanzierungsthema, das du angesprochen hast. Wir waren mit dem Vorschlag zum Aufbau eines Social Impact Fonds in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. Dank dir, konnten wir das Modell vorstellen. Wir sind bemüht, eben nicht um Töpfe zu ringen, die da sind und die definitiv zu klein sind. Auch da bin ich zu hundert Prozent bei dir. Wir suchen Wege, wie wir es schaffen, dass Innovationsfördermittel genauso für soziale und gesellschaftliche Innovationen zur Verfügung stehen und nicht nur, wie momentan, dem gewerblichen Bereich. Wie schaffen wir es, Kapital zu mobilisieren, das momentan tot auf Bankkonten liegt, das aber niemandem gehört und das Banken nach 30 Jahren als Gewinn einbuchen?

Dieses Kapital könnte für solche Lösungen genommen werden. Dabei geht es nicht um Ego-Nummern oder darum, Social Entrepreneurship größer zu machen. Es geht darum, dass wir gemeinsam Problemlösungen voranbringen und genau an den Sachen arbeiten, die du genannt hast. Es wird nicht alle Probleme lösen, aber es ist bereits sehr viel vorhanden.

Beim Thema politische Aufmerksamkeit muss ich meine persönliche Motivation erklären, warum ich mich am Anfang so reingekniet habe. Ich habe eine Zeit lang als Intrapreneur bei einer Industrie- und Handelskammer gearbeitet. Die Strukturen sind sehr dezentral, es ist sehr traditionell. Früher waren sie top, jetzt sind sie auch in einer Umbruchphase. Dort habe ich gelernt, wieviel Lobbyarbeit für klassische Unternehmen stattfindet. Danach habe ich durch die Crowdfunding-Plattform Startnext gesehen, dass Start-ups, die Lösungen in sich tragen, nicht an die klassischen Finanzierungs- und Förderinstrumente kommen.

Die meisten Leute in dem Sektor arbeiten selbstausbeuterisch, aber sie haben so grandiose Ideen. Als ich aus meiner Landwirtschaftsbubble in die krasse Start-up-Welt eingetaucht bin, in der Milliarden an Venture Capital hin und her geschoben werden, bin ich in eine Welt eingetaucht, wo Utopien real wurden. Du hast vorhin ALDI angesprochen und ich habe die Parallelen des landwirtschaftlichen Strukturwandels, der Machtkonzentration im Lebensmitteleinzelhandel der digitalen Transformation gegenübergestellt.

Wenn wir das weiterdenken und hier eben nicht zusammenwirken und keinen gemeinsamen Weg finden, um Kapital für soziale und gesellschaftliche Innovation zu mobilisieren, dann wird es keine Utopie, sondern eine Dystopie. Und wir sind auf dem Weg in diese Dystopie. Mir geht es darum, das gemeinsam anzupacken und gemeinsam dafür zu kämpfen, dass für Lösung Geld da ist.

Hendrik: Das möchte ich an Joß übergeben. Da waren so viele Punkte, Perspektiven und Aspekte dabei, die du angesprochen hast, Markus. Wie kann es gelingen, diese beiden Bereiche zusammenzubringen?

Joß: Für mich ist immer noch nicht klar, was es ist. Es ist für mich schwierig, mich dann mit jemandem auf Augenhöhe hinzusetzen. Was passiert hier? Ich frage nach, worum es geht, welche Konsequenzen euer politisches Handeln hat, auch wenn ihr das nicht intendiert. Bei den Antworten habe ich aber das Gefühl, dass du, Markus, mich in ein bisschen in die Rolle des Verleugners des Guten, Wahren, Schönen drängst. Als ob ich nicht will, dass sich die Gesellschaft nicht weiterentwickelt.

Aber das stimmt ja nicht. Mit Ashoka z. B. habe ich viel weniger Probleme als mit SEND, weil ich weiß, wofür die stehen, welche Organisationen, Organisationstypen und -formen sie vertreten. Bei SEND weiß ich das eben nicht so genau. Das wünsche ich mir auch von euch, von SEND. Was ihr öffentlich auf Twitter immer gut macht, ist, dass ihr euch mal für Vereinsstrukturen, mal für Gemeinnützige, mal für Start-ups, mal für Bosch einsetzt. Das kann ich nicht greifen. Immer wenn ich nachfrage, wird so ein großes Thema aufgemacht. Dann habe ich aber weiter Fragen, z. B. nach der Voraussetzung Definition oder dass wir noch einmal die großen Themen ansprechen. „Unser neues Selbstverständnis von Unternehmen“, so hieß es mal in einem Tweet.

Man kann es in den Tweets auch nachvollziehen und ich höre das auch ein bisschen bei dir raus, Markus. Jemand hat mir dann geschrieben, dass die Freie Wohlfahrtspflege, Social Entrepreneurs, Start-ups, Business und Genossenschaften wollen ja alle für Menschen und Gesellschaft Probleme lösen. Und da ist es wieder: Das nivelliert alle Unterschiede. Es heißt, wir können alle irgendwie gemeinsam in den Sonnenuntergang reiten. Ich glaube nicht, dass das gut ist. Es gibt eben auch Unterschiede, es gibt Interessengegensätze. Man braucht auch ein Bild von Gesellschaft und Sozialstaat. Welche Rolle spielen denn Unternehmen im Sozialstaat? Für mich ist und bleibt Sozialpolitik, echte Sozialpolitik immer ein Eingriff in den Markt. Wir müssen uns auch einmal darüber unterhalten, wie euer Bild von Gesellschaft, Staat und Sozialstaat aussieht.

Ihr seid im Bundestag unterwegs und darauf wollte ich auch hinaus. Da gibt es im Moment wenige Berührungspunkte. Einfach ganz schlicht deshalb, weil wir im Moment an ganz anderen Stellen gefordert sind. Wir haben ein riesiges Problem mit dem Stellenwert der sozialen Arbeit. Und damit meine ich keine App, sondern Jugendhilfe, Leute, die sich dort einsetzen, Streetworker. Die meine ich damit. Das ist ein Riesenproblem. Finanzierungen sind ein Riesenproblem, Tarife und ähnliches auch. Das sind alles Probleme, über die wir reden müssen. Es gab einen riesigen Krampf, weil es eine Prämie für die Pflege geben sollte und die aber keiner finanzieren und bezahlen wollte. Das sind reale Probleme.

Da müssen wir tatsächlich ran. Wenn das passiert, sich der Bundestag aber gleichzeitig mit sozialen Innovationen beschäftigt, dann kann es sehr schnell passieren, dass eine solche Diskussion die eigentlichen Probleme über Jahre überdeckt. Sie einfach überlagert. So etwas passiert tatsächlich ganz häufig und ohne dass ihr das wollt, haben wir dann am Ende keinen besseren Sozialstaat, keine bessere Sozialpolitik und wir werden auch nicht zukunftsfähig. Genau das Gegenteil passiert.

Dass das ein Dialog sein muss, da bin ich dabei. Deswegen sind wir ja hier und deshalb machen wir das ja auch öffentlich. Aber ich glaube, wir müssen ein paar Sachen einfach klären, damit dieser Dialog auch vernünftig stattfindet.

Hendrik: Das geht so ein wenig in die Richtung des Beispiels von dem Bundestagsabgeordneten, der permanent angerufen wird, das Markus vorhin einbrachte.

Joß hat die langjährigen und vielleicht auch sehr tradierten Probleme der sozialen Arbeit angesprochen. Damit beschäftigt sich der Bundestagsabgeordnete seit 30 Jahren. Da sind immer wieder die gleichen Themen auf dem Schirm. Dann kommt der SEND e.V. und bietet ihm Lösungen an.

Dann ist es natürlich einfacher, diese sozialen Innovationslösungen zu nehmen und diese zu unterstützen als die Herausforderung von ca. sechs Millionen Beschäftigen in der Sozialwirtschaft. Das ist ein riesiger Brocken, den man nicht mal eben so einfach bewegt.

Joß: Ich behaupte ja, er bietet keine Lösung an, sondern ein Wort.

Hendrik: Ein Wort? Welches?

Joß: Social Entrepreneurship ist im Moment einfach ein Wort und es steht für alles Mögliche. Ich wollte gleich auch noch einmal ein Beispiel nennen, aber Markus ist zuerst dran.

„Die ganze Welt ist auf Suche, wo es in Zukunft hingeht“

Markus: Jetzt sind wir wieder bei: „Wir gegeneinander und was ist nicht perfekt?“.

Ich finde es total spannend. Die ganze Welt ist auf Suche, wo es in Zukunft hingeht. Wir leben in mehrerlei Hinsicht in einer globalen Umbruchphase. Das heißt, es gibt keine vorgefertigten Antworten. Es ist genau wie damals, als die Leute gesagt haben: „Lasst uns die Herausforderung unserer Zeit in den Blick nehmen und Lösungen erarbeiten.“ Es ist schwierig zu sagen, dass es nicht fertig ist, sondern es ist ein Prozess. Genau dieser Prozess ist das, was wichtig ist. Social Entrepreneurs oder Intrapreneurs, also genauso die Menschen innerhalb einer Organisation, die Lösungen voranbringen, schauen, welche neuen Chancen und Potenziale es gibt, um das Ganze zu tun.

Du hast ganz viele Themen aufgeworfen, bei denen du sagst, dass sich die Wohlfahrt dafür einsetzt. Keiner der Akteure aus unserem Sektor hat irgendwo, irgendetwas in die Richtung schlechtgeredet. Du sagst, dass sich die Politiker nur damit auseinandersetzen sollen. Ich habe dir erzählt, aus welcher Welt ich komme. Ich habe gesehen, wie für das Bestehende wahnsinnig viel Lobby da ist und Lobby betrieben wird. Für das, was neu entstehen kann, bei dem Potenziale da sind und was diese Potenziale entfalten kann, ist keine Lobby da. Du sagst, wir machen gute Lobbyarbeit. Aber ganz ehrlich, welche Budgets stehen in dem Antrag drin? Was ist da wirklich im Rahmen der zur Verfügung stehende Haushaltsmittel unterfüttert? Jetzt machen wir mal was, aber es ist kein: „Wir tun nicht wirklich was“.

Das, was du beschreibst, ist etwas, was ich so oft gehört habe bei diesem „Brückenbauen“. Die Leute, die damit beschäftigt sind und weil sie so viel zu tun und zu wenig Ressourcen haben, dann nicht genug Zeit haben, um mit den Innovationen und den Potenzialen dahinter voranzukommen. Das ist weder ein Vorwurf noch Schwäche, sondern das sind unterschiedliche Stärken.

Noch einmal: Mir und den meisten Akteuren geht es darum, unsere Gemeinsamkeiten zu finden. Wenn du dich aber erst an den Tisch setzen und darüber reden willst, wenn es fertig ist, dann entsteht etwas, aber es wird noch schwieriger, zusammenzufinden und in den Dialog zu kommen.

Joß: Unser Thema ist politische Kommunikation. Das ist mir einfach wichtig. Unsere Tür stand und steht für gute Ideen, für einzelne Akteure, Initiativen usw. immer offen. Das war auch in den letzten Jahren so. Wir haben nie die Tür zugeschlagen bzw. nein, sogar andersherum. Wir haben das immer gesucht und wir haben auch Formate gefunden. Z. B. haben wir mal einen Innovationstag gemacht. Der fand ganz bewusst am Hasso-Plattner-Institut statt.

Dabei haben wir die Wohlfahrtspflege mit Start-ups und anderen Initiativen zusammengebracht, um konkret zu überlegen, was kann man gemeinsam weitermachen. Das finde ich richtig, wichtig und das gehört dazu. Das hat uns auch inspiriert und aus dem einen oder anderen ist vielleicht sogar etwas geworden. Das ist aber gar nicht unser Thema hier. Sondern unser Thema ist eigentlich eher die politische Kommunikation.

Ich werfe niemandem was vor. Ich sage nur, dass ich das wirklich schwierig finde. Ich finde diesen Antrag auch schwierig. Da muss ich natürlich auch ganz klar sagen, dass wir da natürlich auch nachlegen müssen. Es sind aber nicht nur die alten Themen. Ich weiß auch nicht, wie es uns gelingen kann, dieses Image endlich loszuwerden. Es sind ja viele neue Themen dabei. Ich nenne mal ein Beispiel, wie auch Innovation wirklich richtig, also auch nachhaltig gelingen kann. Für mich gehört auch dazu, dass der Einfluss von Social Start-ups, oder wie auch immer wir sie nennen und abgrenzen möchten, auch einmal nüchtern untersucht wird. Denn wissenschaftliche Analysen, die es gibt, auch Prof. Dr. Rolf Heinze und andere sind da eher nachdenklich und kommen nicht zu dem Schluss, dass das das neue große Ding wird.

Ich komme zu dem Beispiel. Wir haben für die Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer des BAMF die ganze Beratung auf Online Formate umgestellt, und zwar ist das schon seit Jahren so. Das ist durch Höhen und Tiefen gegangen. Wir haben einen Zuwendungsgeber mit dem BAMF, der das über die Jahre unterstützt hat, weil er daran geglaubt hat, so etwas zu machen. Das ist jetzt in der Corona-Krise natürlich durch die Decke gegangen und es wird auch nach der Corona-Krise bleiben. Das ist, ich sage es ein bisschen überspitzt, bei der 25. Nachbarschaftshilfe-App vielleicht nicht unbedingt so. Ich will nur damit sagen, es gibt unglaublich viele innovative Ansätze, die wir gemeinsam mit anderen, mit Dritten, mit Zuwendungen tatsächlich auf den Weg bringen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir im Marketing deutlich besser werden. Das ist unsere Schwachstelle, das sage ich ganz klar.

Wir haben natürlich auch viele andere Aufgaben. Wir haben, und das ist ein kleiner Unterschied, unsere Gremien, unseren Verband. Das kostet Zeit und ist für uns auch sehr, sehr wichtig. Das habe ich auch eingangs erwähnt. Aber wir müssen darin tatsächlich stärker werden und uns auch anders darstellen. Dafür setze ich mich auch schon lange ein, dass wir die Kommunikation anders gestalten. Ich finde auch, dass es in Wohlfahrtsverbänden dazugehört – Hendrik du weißt das – kritische Dialoge zu führen. Dass das sogar gut ist. Das ist auch ein wichtiger Dialog, der letztlich vielleicht auch euch, wenn du es so sehen möchtest Markus, auch weiterbringen kann.

Social Entrepreneurship und freie Wohlfahrtspflege: Wie es gelingen kann, voneinander zu lernen

Hendrik: Ich finde, das sind diese wichtigen Punkte, um zu schauen, wie es gelingt, das Verständnis für die jeweiligen Bereiche auf beiden Seiten aufzubauen. Joß, du hast gesagt, dass die Historie, die wir mit herumtragen, sozusagen in den Gremien endet. Diese machen es uns manchmal nicht ganz einfach, in den klassischen Wohlfahrtsverbänden schnell, innovativ zumindest nach außen zu wirken.

Joß: Da muss ich einhaken. Also innovativ sind wir vor Ort. Ich meinte eher die Kommunikationsarbeit. Vor Ort laufen ja viele Sachen, die gar nicht im Fokus sind. Weil die Leute, die sich in den Wohlfahrtsverbänden engagieren, eben nicht die sind, die nach ihrer Innovation sofort als nächstes einen Blogbeitrag schreiben, auf Twitter gehen und das öffentlich machen. Das machen sie nicht. Dafür machen sie es auch überhaupt nicht. Es sind nämlich auch oft Ehrenamtliche. Wir müssen es stärker abholen und auch die Marketingmaschinerie stärker anschmeißen. Da müssen wir uns von euch, Markus, ein Stück weit etwas abgucken.

Hendrik: Deswegen habe ich ganz bewusst „nicht innovativ wirken“ betont. Wir sind, glaube ich, hochgradig innovativ, weil wir immer mit begrenzten Mitteln das aufgebaut haben, was existiert. Aber wie bekommen wir es auf der anderen Seite hin, in Richtung Markus zu sagen:

Wie kann es gelingen, das Verständnis dafür aufzubringen, dass es da hunderttausende Beschäftigte gibt – ich weiß nicht genau wie viele es sind, aber allein die Caritas hat ungefähr 600.000, die in den unterschiedlichsten Organisationen dahinterstehen – und den Drive, den du schon mal angesprochen hast, als große Organisation? Wie kriegt man dieses Verständnis von beiden Seiten aus hin?

Auf der einen Seite sind große Organisationen, bei euch neue Ideen, die mit reinkommen. Vielleicht sind die Ideen teilweise auch gar nicht so neu. Aber es sind Leute, die irgendwie dazukommen und sagen: „Wir wollen aber etwas machen. Wir wollen die Gesellschaft verändern.“ Die dann eher bei euch andocken, weil sie nun mal kein klassisches Sozialarbeiterstudium durchlaufen haben und auch vielleicht nicht unbedingt zwingend Lust haben, sich in den Wohlfahrtsverbänden zu engagieren. Markus, jetzt aber zu dir. Wir haben gerade lange gesprochen.

Markus: Ich sehe da wieder in eben genau den Themen, die du, Joß, angesprochen hast, riesige Chancen. Da gibt es tolle Lösungen von den etablierten Organisationen. Jetzt gerade auch digitale Lösungen, die auch während der Krise noch einmal gegriffen haben, genauso wie die aus dem Sektor. Du hast Nachbarschaftsplattformen erwähnt. Nebenan.de, die mit der Diakonie in ländliche Räume geht, hat so viel an Infrastruktur geboten, um schnelle Nachbarschaftshilfe zu ermöglichen. Salo Education, die ganz vielen Eltern, Schülern und Lehrern den Arsch gerettet haben – sie waren quasi das Wikipedia der Bildung.

Oder Startnext, das den Unternehmen, die durch die Corona-Hilfsprogramme gefallen sind, geholfen hat. Die haben 9,6 Millionen Euro von über 140.000 Bürgern für mehr als 1.400 Unternehmen mobilisiert. Das sind Beispiele, von denen ich sage, dass da genauso Impact und Wirkung da sind.

Da sind wir teilweise in komplementären Bereichen. Wir sind beim Thema Kommunikation, zu dem du sagtest, man könne sich etwas abschauen. Vielleicht auch, wie wir dann Lösungen, die funktionieren, größer machen. Vielleicht können wir uns da etwas abschauen. Da ist es wieder, das Gegenseitige-Lernen.

An einen Tisch setzen

Hendrik, du hast das Thema angesprochen. Wir haben Leute, die aus der Sozialen Arbeit kommen. Bei uns sind jetzt Leute dabei, die die Schnauze voll von klassischer Wirtschaft haben. Die vielleicht eher ihren Hintergrund im Techbereich haben, aber genauso sozial ticken und denen vielleicht auch an der einen oder anderen Stelle etwas fehlt und denen ich sagen kann, wo die Sachen gut zusammenkommen. Dazu ist es spannend, offene Innovationsprozesse anzuschauen. Das Rote Kreuz in Frankreich macht wirkliche Open Innovation Labs, die im Endeffekt schon in Richtung Accelerator gehen und in denen man gemeinsam an Lösungen arbeitet. Das sind genau die Dinge, wie wir Zukunft gestalten und wie wir die großen Herausforderungen lösen und dann noch mehr fragen: „Wo drückt der Schuh bei euch?“

Ich möchte es nochmal sagen, dass ich kritische Dialoge wichtig finde. Das Allerwichtigste ist, sich an einen Tisch zu setzen und zu sprechen. Ich möchte es noch einmal wiederholen, dieser Prozess hat ein Jahr lang stattgefunden. Wir haben die Leute von Purpose eingeladen. Wir haben Gemeinnützigkeit diskutiert. Wir haben viel über Innovationsthemen diskutiert. Wie gesagt, lass uns das gerne fortsetzen, komm dazu in die Runde. Nur wenn wir gemeinsam die Punkte diskutieren und schauen, wo es hin geht, finden wir eine Richtung. In dem ersten Blogbeitrag, den du geschrieben hast, geht es auch darum, wer wir sind und wo wir hinwollen.

Ich glaube, nicht nur die Wohlfahrt, nicht nur die Social Entrepreneurs, sondern die ganze Welt ist auf einer Art Sinnsuche. Was ist denn die Zukunft? Wir wissen alle, dass wir innerhalb der planetaren Grenzen mit der Wirtschaft, die wir gerade haben, mit dem auf Deutschland bezogenen demografischen Wandel die angesprochenen Herausforderungen nicht lösen können, wenn wir so weitermachen wie bisher. Wir können das nicht lösen, wenn wir die Prioritäten setzen wie bisher. Da haben wir nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen. Wir haben so viel Potenzial, gemeinsam Dinge zu machen und unterschiedliche Stärken zusammen zu schmeißen.

Zum politischen Kontext möchte ich noch einmal sagen, dass ich in der klassischen Start-up-Welt war. Ich weiß, welche Finanzierungsprogramme es da gibt. Und auch welche es für den Mittelstand gibt. Ihr und wir haben genau die gleichen Probleme. Es ist daher bescheuert, sich auf den Kopf zu hauen und zu sagen: „Ihr seid aber ein bisschen blöder als wir und wir sind da ein bisschen toller“ – egal aus welcher Richtung.

Ich schimpfe auch mit den eigenen Reihen, wenn jemandem vielleicht sagt, dass, wie du es angesprochen hast, Hendrik, die Strukturen bei den Etablierten ein bisschen zu verkrustet sind. Ich sage, das hat auch viele Vorteile und auch eine Resilienz innerhalb der Gesellschaft. Es ist ja genau dieses Zusammenspiel zwischen den Leuten, die Innovationen machen, egal ob intern oder extern, und den Leuten, die Dinge erst nach dreimal hinterfragen weitertreiben. Ich komme noch einmal auf meine Rolle, in der ich interne Veränderungsprozesse angestoßen habe. Mir haben immer Leute von außen geholfen. Wenn ich Internen erzähle, dass wir das jetzt so machen, aber bisher hat es noch niemand gemacht, dann ist es schwierig.

Wenn ich aber zwei, drei Beispiele habe und sage: „Wenn die das können, dann können wir das doch erst recht“, dann sind die mit dabei und gehen mit einer ganz anderen Vision und Leidenschaft ran. Da sind die Potenziale viel, viel größer. Mich würde es freuen, wenn wir über diese Themen reden.

Hendrik: Angesichts der Zeit, wir gehen langsam auf eine Stunde zu, ist der oder die Hörer*in – ich weiß gar nicht, vielleicht hören die auch extrem lang. Es gibt ja auch extrem lange Podcast, die man so acht Stunden lang hört, „Alles gesagt?“ von Zeit Online beispielsweise. Aber ganz so viel Zeit haben wir nicht. Deswegen möchte ich noch einmal konkret zusammenzuführen, was wir gehört haben.

Auf der einen Seite ist Joß. Bei dir ist die politische Kommunikation ein Thema. Was wird nach außen kommuniziert und mit welchen Effekten? Also welche Auswirkungen hat das, was nach außen kommuniziert wird? Auf der anderen Seite ist Markus. Du sagst: „Wir müssen zusammenkommen. Wir müssen vor allen Dingen miteinander reden. Das haben wir ein Jahr lang gemacht.“ Für dich ist das wichtig, damit man gemeinsam Gesellschaft, oder wie auch immer man das nennen mag, gestalten kann. Was mir noch ein bisschen fehlt, ist der Punkt, weil du das gerade auch zum Abschluss gesagt hast, Markus, was denn konkrete Umsetzungen sein könnten. Wie könnte man denn zusammenkommen?

Ich habe einen Teil im Kopf. Ich habe hier in Freiburg im Grünhof die Social Innovation Night ins Leben gerufen. Das ist jetzt ein paar Jahre her. Die Idee war, etablierte Sozialwirtschaft mit neu denkenden Sozialunternehmern zusammenbringen. Das waren schöne Veranstaltungen, wo, glaube ich, auch Vernetzungen rausgekommen sind, um beide Bereiche transparenter zu machen. Das ging dann in Richtung Öffentlichkeitsarbeit, wie wir das besser, anders nach außen darstellen können.

Was sind von euch aus gesehen greifbare Aspekte, bei denen ihr sagt, dass ihr da voneinander lernen könnt? Das ist immer irgendwie ein bisschen dahingesagt. Aber was kann man machen? Ich spreche keinen bewusst an.

Gemeinsame Innovationsräume

Markus: Du hast es schon angesprochen. Gemeinsame Innovationsräume, in denen unterschiedliche Akteure zusammenkommen und gemeinsam an Lösungen arbeiten, finde ich einen der spannendsten Punkte. Das ist auch das, was wir als gemeinsame Position damals mit der Wohlfahrt festgelegt haben. Dass es eine Schnittstelle ist, die allen Seiten helfen würde und wo sich genau das befruchtet. Ich habe ja diese Diskussion „etablierte Akteure versus Neulandgestalter“ schon ein paar Mal hinter mir.

Man hat am Anfang Gründerzentren gemacht, nur die Start-ups gepampert und am Schluss hat man gesagt: „So, das ist jetzt die Lösung.“ Das funktioniert nicht. Ich vertrete die feste Meinung, dass die unterschiedlichen Akteure mit ihren unterschiedlichen Stärken zusammenkommen müssen. Das ist Inkubation, also gemeinsame Ideen entwickeln, Acceleration, bei der unterschiedliche Stärken wieder zusammenkommen. Man schaut, wie man das gut verzahnen kann. Vielleicht auch interne Innovationsteams mit rausholen, damit in beiden Welten eine Durchlässigkeit ist. Was ich mir wünschen würde, sind z. B. Personal-Austausch-Programme. Die einen schnuppern in die Welt und die anderen schnuppern in die Welt. Dass man ein bisschen mitbekommt, wie beim anderen der Hase läuft. Vielleicht hier auch Brücken baut für eine bessere Verständigung, für ein besseres Verständnis der anderen Seite.

Bei den Ideen selbst kann man definitiv viel machen, um die Zusammenarbeit zu verbessern. Wichtig ist mir auch, darüber nachzudenken, wie wir neue Ideen finanzieren können, wenn wir doch die gleichen Herausforderungen haben. Ich meine nicht nur klassische Lobbyarbeit, sondern wirklich die Überlegung, wie wir gemeinsam darauf hinwirken können. Ich finde es fürchterlich, wenn ich mitbekomme, in welcher Geschwindigkeit sich Dinge durch die Digitalisierung verändern. Welche enorme Machtkonzentration, und da ist ALDI ein Witz dagegen, gerade bei den digitalen Plattformen entsteht. Wenn wir keine gemeinwohlorientierten, digitalen Lösungen hinbekommen und damit auch flankierende Prozesse wie soziale Innovation beeinflussen, ist die Frage, wie sich die Arbeitswelt verändern wird.

Wie können wir da neu zusammenarbeiten. Dass man gemeinsam darauf hinarbeitet, weil ich glaube, dass die Gesellschaft insgesamt davon profitieren wird. In meinen Augen bringt die Wohlfahrt ein riesengroßes Asset mit, weil sie Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen eigentlich in ihrer Kern-DNA hat und daher ein super Partner wäre.

Hendrik: Joß, was wären Ideen?

Offenheit vor Ort

Joß: Alles, was praktisch vor Ort ist, ist immer offen. Das habe ich schon gesagt. Da gibt es ja auch schon extrem viele Beispiele für z. B. gemeinsame Innovationsräume. Wir hatten auch beim DRK, auch auf Bundesverbandsebene, mal ein Innovationslabor. In der Jury waren dann auch Akteure eingebunden, Leute eingebunden, die aus eurem Umfeld kommen, Markus. Das haben wir auch ganz bewusst gemacht, um den Austausch untereinander anzuregen. Um die Fragen „Was sind Innovationen“ und „Was können Sie im DRK sein“ auf den Tisch zu legen. Das war wirklich für alle eine super interessante Sache.

Alles, was so praktisch ist, das geht immer. Es ist auch kein Problem, wenn ihr interessante Ideen und Interesse daran habt, die gemeinsam mit uns in die Spur zu bringen. Bei etwas, was vor Ort ganz praktisch wirkt, bin ich immer vorsichtig. Das Rote Kreuz ist ein föderal organisierter, komplexer Verband. Ich kann nicht sagen: „Dann machen wir das.“ Erst recht nicht für die Wohlfahrtspflege und schon gar nicht als Antwort auf irgendwelche größeren Linien der Plattform Wirtschaft oder ähnliches. Da überheben wir uns ganz einfach.

Ich kann aber mittlerweile sehr gut einschätzen, wo eine Chance ist und wie man die Kommunikation auf den Weg bringt. Ich habe hier Kolleginnen und Kollegen in meinem Bereich, die damit sehr viel Erfahrung haben und so etwas sehr behutsam in die Spur bringen können. Da sind wir dabei. Das ist kein Problem. Ich glaube, da gibt es auch bei keinem der Wohlfahrtsverbände irgendwelche Probleme. Ich würde sagen, alle Wohlfahrtsverbände sind mit ihren Spezifika, das muss man natürlich klarmachen, auch offen dafür. Jeder hat seine inhaltlichen Schwerpunkte, wo es besser oder schlechter passt.

Ich wünsche mir, dass es eine Basis für alle politischen Gespräche gibt. Für uns hat jegliche Veränderung im Bereich des Gemeinnützigkeitsrechts erhebliche Implikationen. Ich hatte das schon erwähnt, die Trägerdienste und Einrichtungen des DRK sind gemeinnützig. Was auch immer man da macht, das macht ja nicht ihr, sondern das macht dann möglicherweise der Gesetzgeber. Das hat er ja auch vor. Das hat erhebliche Auswirkungen auch auf das DRK. Da gucken wir ganz genau hin. Ich sage keine Kooperation zu, weder für das DRK, das kann ich sowieso nicht, noch für die anderen Verbände. Ich glaube, da sind auch die Auswirkungen nicht immer so ganz klar, auch für euch nicht. Das können sie auch nicht, weil das auch unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen.

Der Tweet, der Anlass für dieses Gespräch ist, hat sich eigentlich gar nicht an euch gewandt, Markus, sondern an die Bundestagsfraktionen von SPD und Union. Immer wenn jemand einen Antrag diskutiert oder eine Initiative einbringt, in der die Kolleginnen und Kollegen der Wohlfahrtspflege, die sich einsetzen, um die Einrichtungen und ihre Angebote für die Leute immer besser zu machen, so unter Wert verkauft und abgefrühstückt werden wie in diesem Antrag, werde ich mich zu Wort melden.

Das mache ich immer. Das ist auch mein Job und das tue ich auch tatsächlich mit Leidenschaft. Denn dafür bin ich auch da, ihnen eine Stimme zu geben. Aber damit mache ich euch nicht schlecht. Es ist ja auch legitim. So etwas passiert. Ich setze mich dafür ein und tue, was ich kann, um der Wohlfahrtspflege zu der Geltung zu verhelfen, die ihr tatsächlich auch zukommen sollte. Und das ist es dann vielleicht auch die Basis für weitere Gespräche, so wie wir heute eines führen.

Hendrik: Ganz herzlichen Dank. Markus, magst du noch ein abschließendes Statement bringen? Joß hat dann auch noch einmal das Wort. Danach würde ich den Deckel drauf machen und sagen: „Okay, das Gespräch hat begonnen.“

Verständnis schaffen ist, glaube ich, einer der wesentlichen Aspekte. Auch Verständnis für die Auswirkungen von Handlungen schaffen, die man lostritt. Was kommt dabei raus? Ein weiterer Punkt ist auf lokaler Ebene ganz konkret zusammenzuarbeiten und auf der Verbands- und übergreifenden SEND-Ebene dann in Richtung Positionen etc. weiterzudenken.

Markus: Beim Gemeinnützigkeitsrecht würde ich mir einen super engen Austausch wünschen. Da bin ich hundertprozentig bei dir, da habt ihr viel mehr Deutungshoheit. Deswegen ist es für uns auch wichtig zu sagen: „Hey Leute, wenn ihr ein Stück zu weit geht, dann ist es ein Problem.“ Es geht nicht in allen Bereichen. Ich war früher bei Startnext. Am Anfang waren sie nur im Bereich Kultur unterwegs. Sie konnten nicht gemeinnützig bleiben, weil es ganz andere Bereiche sind. Die haben das fest in der DNA verankert.

Es gibt die Plattform „Gemeinsam leben, die ja von mehreren Wohlfahrtsorganisationen gemeinsam gegründet wurde. Eben auch aus den Gründen, weil das Finanzamt die Gemeinnützigkeit nicht kennt. Die eben nicht gemeinnützig ist, nicht in einer gemeinnützigen Trägerform ist, weil die Wirtschaftsförderung und die Digitalförderprogramme eben nicht für Gemeinnützige greifen. Es gibt Herausforderungen, die genauso für Akteure der Wohlfahrt da sind. Ich würde mir super gern einen konstruktiv-kritischen Austausch wünschen und dann wirklich am Tisch, so dass wir uns nicht über Twitter fetzen.

Ich kann komplett verstehen, welchen Frust du wegen dem Antrag in dir trägst. Ich kann dir eins sagen, in unserem Statement steht auch, dass die Wohlfahrt zu wenig berücksichtigt ist. Wir haben das Thema immer mitgetragen. Es ist der Wirtschafts- und Forschungsausschuss, der den Antrag gemacht habt. Soziale Innovation ist ein Querschnittsthema und nichts, was nur ein Ministerium macht. Eine Herausforderung ist, wenn bestimmte Akteure nicht mit am Tisch sitzen. Ich glaube, es muss darauf hinwirkt werden, dass das Thema ganzheitlich angegangen wird. Dass es endlich mal eine anständige Koordination gibt und es auch wirklich übergreifend gesehen wird. Mich würde es freuen. Ich kann ganz viele Dinge nachvollziehen. Die Diskussion über die unterschiedlichen Stärken und was mehr wert hat in einer Zeit der Umbrüche, werden wir immer zwischen etablierten Akteuren und denen, die es außerhalb der Strukturen machen, haben.

Ganz wichtig ist, dass es kein Mensch schlechtredet. Das Spannende ist, wie wir gemeinsam gestalten können. Wenn wir uns die aktuelle Phase anschauen, sehen wir, dass genug Probleme für alle da sind. Die Probleme werden nicht ausgehen. Wir müssen gestalten. Wir müssen lösen. Und wenn wir es nicht hinkriegen, werden wir irgendwann eine Generation nach uns haben, die uns tierisch auf den Deckel haut und sagt: „Hey Leute, warum seid ihr damals nicht in die Puschen gekommen? Und warum habt ihr euch nicht zusammengetan?“

Dieses Zusammentun, der Hashtag #GemeinsamWirken ist keine Floskel. Wir tun nicht so als ob, sondern es ist wirklich ernst gemeint und zwar in den Bereichen der Wohlfahrt, aber genauso in Bereichen der Wirtschaft, in Bereichen der Politik, Verwaltung. Lasst uns das in den Blick nehmen, was zählt!

Hendrik: Danke für deine Perspektive. Ich glaube, das ist ein gutes Schlusswort von Markus. Noch ein Schlusswort von dir, Joß, dann Deckel drauf.

Joß: Markus, ich habe keinen Frust, ich habe eine Aufgabe. Die Aufgabe mache ich gerne und die habe ich auch mehrfach beschrieben. Zu Gesprächen sind wir natürlich bereit. Aber ich wünsche mir natürlich auch in der Kommunikation, dass Kritik auch so aufgenommen wird, wie sie gemeint ist. Nämlich als Weiterentwicklung, als Schärfung der Positionen, damit es eine Grundlage gibt, auf der der wir weitere Gespräche führen können.

Hendrik: Herzlichen Dank.

Ganz herzlichen Dank an euch beide für die Bereitschaft, euch hier in diesem Podcast, in diesem Format, was natürlich ein anderes Format als Twitter oder der große Tisch ist, auszutauschen. In Corona-Zeiten ist das vielleicht gar kein schlechtes Format. Wir sind tatsächlich sehr, sehr weit voneinander entfernt.

Es liegen ungefähr 800 Kilometer zwischen Berlin und Freiburg.

Ganz herzlichen Dank aber auch an die Hörerinnen und Hörer fürs Zuhören. Ich bin gespannt, welche Reaktionen darauf kommen. Ich glaube, es ist ein guter Anfang in diese Auseinandersetzung zu kommen, sich damit weiter auszutauschen, nachdem die großen Anfänge in den letzten Jahren natürlich schon gemacht worden sind. Herzlichen Dank. Macht’s gut, Grüße nach Berlin. Ciao.


Das war das Gespräch mit Joß Steinke und Markus Sauerhammer zum Thema Social Entrepreneurship versus Wohlfahrtspflege. Ich stocke schon bei diesen Worten, weil ich glaube, dass es tatsächlich Möglichkeiten gibt, voneinander zu lernen, zu profitieren. Dass es Möglichkeiten gibt, gemeinsame Wege zu gehen. Ich glaube, da kommt es einfach auf jeden Einzelnen an, neue Ideen ganz lokal auszuprobieren und sich im großen Ganzen zu engagieren. Zu engagieren für eine positive Zukunft. Das gilt für die Menschen in den Wohlfahrtseinrichtungen, in den Wohlfahrtsverbänden, für Studierende an Hochschulen, Studentinnen und Studenten. Eine Stimme zu haben und sich für den sozialen Sektor, gegen soziale Probleme zu engagieren, um das Thema auf dem Schirm zu haben in diesen etwas herausfordernden Zeiten, in denen wir uns gerade befinden und die sicherlich nicht mal ebenso zu Ende gehen werden.

Zum Abschluss nur noch der kurze Hinweis darauf, dass ihr den Podcast sehr gerne unterstützen könnt.

Ich habe vor Kurzem einen Beitrag dazu veröffentlicht, in dem es darum geht, wohin es mit dem Podcast in Zukunft gehen soll. Darin steht die Zukunft der sozialen Arbeit im Vordergrund. Jetzt ist draußen Gewitter. Ich weiß nicht, wie es bei euch aussieht, aber zumindest regnet es mal wieder. Das freut mich. Bleibt trocken und macht’s gut. Bis dahin. Tschau, tschau.

Links

Und hier kannst Du den Podcast direkt hören:

Podcast: Ist eine agile Organisation krisenfester?

Tags: , , , , ,

„Ich hoffe, dass jede Organisation in einen gemeinsamen Reflexionsprozess kommt. Das ist wichtig, um zu reflektieren, was die Krise jetzt eigentlich mit uns, mit der Organisation gemacht hat!“

Das sagt Thomas Mampel, Geschäftsführer des Stadtteilzentrums Berlin-Steglitz und Vorsitzender des Verbands für sozialkulturelle Arbeit (VSKA e.V.).

Mit Thomas habe ich zu einer nicht menschlichen Uhrzeit gesprochen und er hat sich bereit erklärt, drei Fragen zu seiner Arbeit und den Entwicklungen des Stadtteilzentrums Steglitz im Krisenmodus zu beantworten.

Thomas liefert hochgradig spannende Einblicke in seinen Alltag als Geschäftsführer (über den er übrigens selbst bloggt), die Herausforderungen der Krise und vor allem den „agilen“ Organisationsentwicklungsprozess des Stadtteilzentrums.

Außerdem gibt es zum Schluss noch einen Ausblick und die Beantwortung der Frage, warum die Krise Kooperationen stärkt und die Kultur der Gesamtorganisation radikal verändert.

Und falls Du Dich für eine begleitete Reflexion Deiner Organisation interessierst, kannst Du gerne in meine „Lösungsorientierte Kurzzeitsstrategie in der Krise“ rein schauen.

Viel Spaß beim Hören! Hier geht’s zum Podcast:


Die Folge mit Thomas ist übrigens auch die erste Folge in meiner Interviewreihe, in der ich mit Entscheider*innen der Sozialwirtschaft zu ihren Eindrücken und Learnings in und aus der aktuellen Corona-Krise (und weit darüber hinaus) spreche. In unregelmäßigen Abständen werde ich die Folgen hier als Beiträge posten, so dass Du sie auch hier finden kannst…

P.S.: Wenn Du selbst mit mir sprechen magst oder jemanden kennst, der unbedingt einmal hier auftauchen sollte, immer her mit den Daten. Schreibt einfach ne mail an he@ideequadrat.org

Ach ja und falls Dir der Podcast gefällt und Du zum weiteren Bestehen beitragen willst, kannst Du hier eine kleine Spende dalassen…

Digital Leadership in Organisationen der Sozialwirtschaft

Tags: , , , , , , , , , ,

Braucht es Digital Leadership in Organisationen der Sozialwirtschaft? Das ist die den Beitrag leitende Fragestellung.

Grundsätzlich ließe sich einwenden, dass jetzt versucht wird, jede digitalen Sau auch in Strukturen, Anforderungen und Bedürfnisse von Organisationen der Sozialwirtschaft zu pressen. Das will ich jedoch keinesfalls. Mir geht es mit diesen, zumindest bezogen auf den Kontext der Sozialwirtschaft „neuen“ Ansatz darum, die Möglichkeiten und Grenzen eines „Digital Leadership“ zumindest zu skizzieren.

Dazu bedarf es einführend einer kurzen Darlegung, was unter dem Ansatz des Digital Leadership zu verstehen ist. Daran anschließend erfolgt eine Übertragung der Bereiche oder Grundelemente des Konzepts auf die Sozialwirtschaft mit einer anschließenden kritischen Beurteilung im Fazit:

Macht das Sinn? 

Wie die Sozialwirtschaft von Social Entrepreneurship lernen kann – und umgekehrt!

Tags: , , , , , ,

Die Sozialwirtschaft steht unter dem Druck permanenter Veränderung.

So habe ich in meinen letzten Beiträgen immer wieder versucht, die Veränderungen herauszuarbeiten und zu beschreiben.

Schlagworte wie der Fachkräftemangel, Generationenmanagement, zunehmende Komplexität, Veränderung der Arbeitswelt usw. müssen kaum noch weiter erläutert werden und treffen die Organisationen der Sozialwirtschaft in unterschiedlicher Intensität – aber:

Sie treffen!

Das ist unausweichlich.

Neben den eigenen Problemen gibt es da auf einmal noch die coolen Jungs und Mädels aus dem Bereich des „Social Entrepreneurships“!

Sozialunternehmer!

Da kommen hoch motivierte, engagierte, in völlig anderen Bereichen gut ausgebildete, meist junge Menschen und „wildern“ in klassischen Feldern der Sozialwirtschaft. Bieten Programme an, um „die Gesellschaft zu verbessern“! „Impact“ zu liefern“!

Die Welt zu verändern!

Die Welt zu verändern?

Gibt es doch gar nicht! Dürfen die das denn? Die machen das einfach…

Ich will hier gar nicht erläutern, was genau unter „Social Entrepreneurship“ zu verstehen ist. Das können andere viel besser. Nachlesen kann man das zum Beispiel hier oder hier oder hier.

Ein interessantes, die Bewegung des „Sozialunternehmertums“ eher kritisch und aus Sicht der Sozialwirtschaft beleuchtendes Buch ist übrigens hier zu finden.

Aber ich frage mich, ob es nicht möglich ist voneinander zu lernen?

Wie mehr Mitbestimmung möglich wird

Tags: , , , , , , ,

In meinem letzten Artikel habe ich versucht, herauszuarbeiten, warum mehr Mitbestimmung in sozialen Organisationen sinnvoll ist.

Die Reaktionen auf den Artikel haben mich bewogen, darüber nachzudenken, wie das mit der Mitbestimmung denn bitte gehen soll.

Noch einmal kurz zusammengefasst:

Neun Gründe für mehr Mitbestimmung in sozialen Organisationen

Tags: , , , , , ,

Irgendwie sind alle unzufrieden: Die Mitarbeiter, natürlich und vor allem, mit dem Chef! Der Chef vor allem mit den Mitarbeitern und irgendwie auch mit den stressigen Kunden,. Wenn die nicht wären, könnte der Job so schön sein.Die Kunden sind aber irgendwie auch unzufrieden, und zwar mit den Mitarbeitern, und damit insgesamt der Firma. In der Sozialwirtschaft: Wie oft habe ich die Jungs, mit denen ich zusammengearbeitet habe, schimpfen gehört über die sie betreuenden Fachkräfte. Alles irgendwie Mist.