Schlagwort: Sozialwirtschaft

New Social Work, eine Zwischenbilanz – Part II: Der Blick zurück!

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Nach Part I – meiner New Social Work Definition – findest Du hier Part II der Serie „New Social Work Zwischenbilanz“. Darin werde ich auf meinen ganz persönlichen Weg hin zu New Social Work schauen und dann – anhand der vier Ebenen einer New Social Work (Individuum, Organisationen, Sozialwesen und Gesellschaft) etwas strukturierter die Anfänge der Entwicklungen rund um New Social Work darlegen.

Meine Anfänge rund um New Social Work

Damals, genauer 2014, habe ich – wie gesagt – das Buch „Reinventing Organizations“ verschlungen, erst auf Englisch als PDF, dann analog auf Englisch und Deutsch. Ich war fasziniert: Eine neue Art, Organisationen, Arbeit und übergreifend auch tradierte Grundprinzipien unseres Lebens in unserer Gesellschaft zu (über)denken.

Kurz zur Wiederholung: Laloux hat damals eine Studie bei 12 Organisationen durchgeführt. Die Kriterien zur Auswahl der Organisationen waren: mind. 100 Mitarbeiter sowie mindestens 5 Jahre Arbeit nach Strukturen und Prozessen, Praktiken und Kulturen, die mit den Merkmalen des integralen evolutionären Paradigmas übereinstimmen.

Es wurden Fragen gestellt, die sich auf 45 Praktiken und Prozesse in diesen Organisationen beziehen. Dabei wurden zentrale übergreifende Organisationsprozesse wie Strategie, Marketing, Verkauf, Unternehmensführung, Finanzplanung oder Controlling sowie wichtige Prozesse im Bereich Human Resources (bspw. Einstellungen, Weiterbildungen) und „Praktiken des Alltags“ wie Meetings, Organisationsfluss oder die Ausstattung der Büroräume in den Fokus genommen.

Es wurde versucht herauszufinden, „ob und auf welche Weise sich die Praktiken der Pioniere von konventionellen Managementmethoden unterscheiden“ (ebd., 8).

Ohne hier in die Tiefe zu gehen, lässt sich das Ergebnis der Studie dahingehend zusammenfassen, dass die Studie die drei wichtigen „Durchbrüche“ oder Prinzipien Selbststeuerung (oder Selbstführung), Ganzheit und evolutionären Sinn als wesentlich für Organisationen des integralen evolutionären Paradigmas gezeigt hat.

Selbststeuerung bedeutet, dass alle Mitglieder der Organisation alle Entscheidungen selbst treffen können, sofern sie sich 1. den Rat der von der Entscheidung Betroffenen und 2. den Rat der Experten in der jeweiligen Angelegenheit eingeholt haben. Ein wesentlicher Aspekt ist hier die Transparenz und der Zugang zu Informationen, auf deren Basis Entscheidungen getroffen werden können.

Evolutionärer Sinn bedeutet, dass die Organisationen, in denen die genannten Prinzipien funktionieren, einem klaren Sinn, einem Unternehmenszweck folgen, der für alle Mitglieder der Organisation verständlich, einleuchtend und sinngebend ist. Dabei geht es nicht nur um die „Weltverbesserung“, auch bspw. der Zweck der Schaffung von Arbeitsplätzen in einer strukturschwachen Region kann sinnstiftend wirken. Mit klaren, auf den Zweck ausgerichteten, freien Entscheidungen aller Mitarbeitenden wären bspw. Zielvereinbarungen hinfällig, da jeder wüsste, welchen Beitrag er zur Erreichung des Zwecks zu leisten imstande ist.

Ganzheitlichkeit bedeutet, dass „der ganze Mensch“ mit all seinen Emotionen, Zweifeln, Gedanken usw. die Organisation mitgestaltet. Daraus entsteht einer Kultur der Offenheit, Wertschätzung und Akzeptanz.

Die Verbindung der bei Frederic Laloux formulierten Kernaussagen von „teal organizations“ – Selbstorganisation, Ganzheitlichkeit und evolutionärem Sinn – mit den grundlegenden Funktionslogiken sozialer Organisationen war augenöffnend.

Denn davon ausgehend, dass

  • soziale Organisationen einen Zweck verfolgen, der sinnstiftend ist („Helfen“ oder Menschenrechte oder wie auch immer) und
  • das Menschen, die im Bereich der Sozialen Arbeit tätig sind, über ein bio-psycho-soziales Menschenbild der „Ganzheitlichkeit“ aufgrund ihrer Profession verfügen (sollten) und
  • darüber hinaus in der täglichen Arbeit immer wieder eigenverantwortlich, selbstgesteuert, idealerweise vor dem Hintergrund einer professionellen Haltung, mit entsprechendem Wissen, Kompetenzen und Methoden agiert und reagiert werden muss (wenn ich nicht blitzschnell eine Entscheidung treffe, haut der Jugendliche mir eine auf die Nase),

ist anzunehmen, dass Organisationen der Sozialwirtschaft „eigentlich“ das Ideal an eine neue Arbeitswelt, an eine „New Social Work“ verkörpern.

Der Blick auf und in Soziale Organisationen hingegen zeigte ein anderes, formal-hierarchisches Bild tradierter Organisationen, deren Mitglieder schon damals hohe Burn-Out-Raten aufwiesen und Sinnstiftung nicht unbedingt an erster Stelle stand.

Spätestens beim Blick auf einen Kernbereich sozialer Arbeit – die Stärkung von Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen – wurde deutlich:

Solange die Professionellen an vielen Stellen im Sozialwesen selbst nicht autonom und selbstbestimmt handeln können (begründet in organisationalen wie auch gesetzlichen Bedingungen) wird es schwer, wenn nicht gar unmöglich, Selbstbestimmung und Autonomie der Klient:innen zu stärken.

Seit diesem Zeitpunkt lassen mich Fragen rund um die funktionale Entwicklung, rund um die Gestaltung und das Design sozialer Organisationen nicht mehr los:

  • Machen klassische Hierarchien Sinn, wenn es um die Stärkung von selbstbestimmt agierenden Teams geht?
  • Wie organisieren wir Arbeit in der Sozialen Arbeit?
  • Macht die Art, wie wir soziale Organisationen denken und gestalten, überhaupt Sinn?
  • Welche Antworten können andere, auf den ersten Blick „moderne“ Ideen von Zusammenarbeit – bspw. die Ideen rund um Agilität – helfen, besser im Sinne der Nutzer:innen sozialer Dienstleistungen zu agieren?
  • Wie kann es besser gelingen, soziale Organisationen zu gestalten?

Reinventing Social Organizations und New Work

Neben dem Blick auf die Gestaltung der Organisationen kam ein zweiter Aspekt hinzu: Die „Real New Work“ im Sinne Frithjof Bergmanns. Auch hier kurz zur Wiederholung zusammenfassend:

New Work wurde von Bergmann als Alternative zum vorherrschenden Lohnarbeitssystem beschrieben. Bergmann geht es darum, dass unser Lohnarbeitssystem von Grund auf zu den in unserer Gesellschaft zunehmend verstärkt auftretenden Problemen führt:

“Sie besondere Form der Arbeit, die wir ‚Lohnarbeit‘ nennen, ist erst so alt wie die industrielle Revolution, also ungefähr 200 Jahre. schon als dieses System eingeführt wurde, gab es warnende Stimmen, die ihm keine gute Zukunft voraussagten. heute krankt das Lohnarbeitssystem an vielfältigen und schweren Mängeln. Deshalb ist es an der Zeit, die Arbeit von Grund auf neu zu organisieren. das Lohnarbeitssystem ist dabei, zu sterben, und das nächste System, die neue Arbeit, muss aufgebaut werden.” (Bergmann, 2004, 11).

New Work nach Bergmann basiert darauf, das System der Lohnarbeit zu ersetzen durch ein System, das aus den drei Teilen

  • – Erwerbsarbeit (1/3),
  • – High-Tech-Self-Providing (Selbstversorgung, 1/3) und
  • – dem „Calling“, der Berufung bzw. der Arbeit, die man wirklich, wirklich will (1/3)

besteht.

Hintergrund der Entwicklung des Konzeptes war schon damals die Feststellung, dass die „klassische“ Erwerbsarbeit insbesondere aufgrund der Roboterisierungs- und Automatisierungsprozesse zurückgehen wird. Aktuelle Entwicklungen rund um die sich mit enormer Geschwindigkeit entwickelnde KI unterstreichen die visionären Gedanken von Bergmann, dessen Ausführungen auf der zusammenbrechenden bzw. sich ins Ausland verlagernden amerikanischen Automobilindustrie in den 1980er/1990er Jahren und dem Niedergang von General Motors basierten. Sehr kurz dargestellt:

Es gab einfach deutlich weniger Arbeit – für (fast) alle Menschen!

Bergmann schlägt als Alternative zur Entlassung der von der Automatisierung betroffenen Menschen vor (bspw. 2/3 der Menschen) vor, die verbleibende Arbeit auf alle Menschen zu verteilen. Die Arbeitszeit jede:r Einzelnen sinkt (vgl. aktuelle Debatten um die Vier-Tage-Woche) – etwas schematisch – auf 1/3 seiner (Arbeits-)Zeit, die mit klassischer Lohnarbeit verbracht wird. Dafür aber gäbe es kaum vollständig arbeitslose Menschen.

Mit diesem ersten Drittel Erwerbsarbeit gelänge es, so Bergmann, eine finanzielle Basis für alle zu schaffen. Gleichzeitig werden durch das erzielte Einkommen Anschaffungen möglich, die nicht durch eigene Arbeit oder nachbarschaftliche Netzwerke erzeugt werden können.

Damit sind noch etwa 2/3 Zeit übrig. Das zweite Drittel der zur Verfügung stehenden Zeit sollte – so Bergmann – mit Selbstversorgung auf technisch höchstem Niveau zugebracht werden. Hier geht es nicht ausschließlich (aber auch) darum, Kartoffeln im eigenen Garten anzubauen. Es geht darum, mit den heute zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten (bspw. 3D-Druck) Dinge des täglichen Lebens (angefangen von der Kartoffel bis hin zu bspw. technischen Geräten) herzustellen.

Hinzu kommt, dass sich die Menschen zunehmend verstärkt Gedanken um den tatsächlich sinnvollen Konsum machen, wodurch sich der Bedarf nach Wachstum und neuen Produkten automatisch reduziert (vgl. hierzu die Notwendigkeit, ökologisch auf einen nachhaltigen Weg zu kommen). Außerdem bleibt Zeit, kaputte Dinge zu reparieren. Und immer noch bleibt 1/3 Zeit übrig.

Hier steht – als dritte Säule der „Real New Work“ – die Arbeit im Zentrum, die die Menschen „wirklich, wirklich tun wollen“:

Ausgehend von der Prämisse, dass Arbeit grundsätzlich – und vor allem in und nach enormen Krisen – niemals endet, wenn man Arbeit als über das Lohnarbeitssystem hinausgehend definiert (bspw. Familie, Pflege, Ehrenamt, Aufbau), ist dieser Bestandteil des Konzepts „Neue Arbeit/Neue Kultur“ (so Bergmanns Buchtitel 2004) als wesentlich, als Kern, anzusehen.

Bergmann favorisierte hier einen evolutionären Ansatz der Systemveränderung, der nur nach und nach erfolgen kann, vorangetrieben durch Menschen, die sich in ihrem Tun an ihrem „Calvin“, ihrer Berufung und damit dem orientieren, was sie wirklich, wirklich tun wollen. Aus seiner Perspektive brauchte es also Menschen, die sich als Vorbilder allmählich unabhängiger machen vom Lohnarbeitssystem durch Unternehmertum (im Besten Sinne) in Verbindung mit High-Tech-Selbstversorgung.

Zusammenfassend also soll New Work im Sinne Bergmanns die Abhängigkeit vom Lohnarbeitssystem für alle Menschen reduzieren und selbstorganisiert Selbstständigkeit, Freiheit und die Teilhabe an der Gemeinschaft ermöglichen. Der Zwang zur beinahe ausschließlichen Partizipation an traditionellen Lohnarbeitsstrukturen, um damit den Lebensunterhalt zu bestreiten, kann sich damit auflösen.

New Work betrifft aus Perspektive von Bergmann damit über jeden einzelnen Menschen das Gesellschaftssystem, in dem wir leben, als Ganzes. Das Konzept fokussiert auf die Frage, wie viel Selbstbestimmung und Eigenverantwortung den Menschen selbst zugetraut werden kann und darf.

Und Bergmann ging es an keiner Stelle seiner Veröffentlichungen um die Gestaltung von bestehenden Organisationen. Bergmann ging es um die Suche nach einem dritten Weg zwischen Sozialismus (keine gute Idee) und Kapitalismus (auch keine gute Idee).

Wie aber sähe eine Welt aus, in der wir nachhaltig, in Gemeinschaften, Communities und lokalen Netzwerken, das produzieren, was wirklich gebraucht wird? Eine Welt, in der die existierenden Dinge repariert und damit möglichst lange im Leben erhalten werden? Und eine Welt, in der die Menschen Zeit finden, das zu tun, was sie „wirklich, wirklich wollen“?.

Ziemlich utopisch, irgendwie, aber wiederum hat der Blick auf die Soziale Arbeit für mich das Feuer entfacht, stärker nachzudenken:

Soziale Arbeit fördert eben nicht nur die Selbstbestimmung und Autonomie von Menschen, sondern – so wie es in der internationalen Definition Sozialer Arbeit heißt – gesellschaftliche Entwicklungen. Und genau das ist doch das, was Bergmann impliziert hat:

  • – Wie sähe eine Förderung gesellschaftlicher Entwicklungen aus, die „enkelfähig“ und damit nicht nur für ein paar wenige, privilegierte Menschen nützlich, sondern für – global – möglichst alle Menschen zukunftsfähig ist?

Die Verbindung der Gestaltung von lebendigen, zeitgemäßen und bedarfsgerechten sozialen Organisationen und der Gestaltung von einer enkelfähigen Gesellschaft führte zu meiner „New Social Work Definition“.

Die vier Ebenen der New Social Work Zwischenbilanz im Rückblick

Nach diesen doch etwas ausführlicheren Vorgedanken 😉 will ich zumindest noch kurz auf die vier Ebenen einer New Social Work (Individuum, Organisationen, Sozialwesen und Gesellschaft) schauen.

Das Individuum im Rückblick

Es gibt – allein in Deutschland – etwa 80 Mio. Individuen, Tendenz leicht sinkend. Entsprechend maße ich mir nicht an, pauschale Aussagen zu treffen. Aber es lassen sich doch Entwicklungen über die letzten 10 Jahre erkennen, die zumindest ich ganz spannend finde.

Im Jahr 2014 sah die Welt (sofern man die Augen nicht weit öffnete) noch ziemlich rosig aus. Die wirtschaftliche Entwicklung war nach der Wirtschaftskrise 2008/2009 wieder grandios, Arbeitslosigkeit war kein Thema, Greta war auch Freitags noch in der Schule und der Klimawandel damit irgendwie noch nicht ganz so dramatisch. Selbst „die Digitalisierung“ steckte noch – zumindest mit Blick auf das Sozialwesen – in den Kinderschuhen.

Ich bin alles andere als Historiker, aber vielleicht war in der breiten Bevölkerung zu dem Zeitpunkt wirklich alles irgendwie „im Lot“. Danach ergaben sich aber ein paar Entwicklungen, die ich hier, auf individueller Ebene, herausgreifen will:

Spätestens im Jahr 2018, mit dem Beginn des Streiks von Greta und der Entwicklung von Fridays for Future unter dem Motto „Wir streiken bis ihr handelt!“ wurde der Freitag zum internationalen Streiktag, an dem Kinder und Jugendliche (!) auf die Straße gingen. Aber dem Zeitpunkt mussten sich auch Erna und Franz aus Hintertupfingen genauso Otto Normalverbraucher mit der Frage auseinandersetzen, ob Freitags zur Schule gehen wichtiger ist als die Rettung der Lebensgrundlagen des Planeten. Fridays for Future wurde DIE Bewegung, die in aller Munde war. Spätestens als Greta Thunberg bei Politiker:innen international Gehör fand und mit Barack Obama, dem Papst und vor der UNO sprechen konnte, war klar, dass es bei diesem Klima irgendwie doch Handlungsbedarf gibt (auch wenn der erste Bericht des Club of Rome bereits 1972 alles Wichtige rund um die zu erwartende Katastrophe dargelegt hat).

Der zweite „Einschlag“ kam dann zum Beginn des Jahres 2020 mit der Pandemie. Ich will hier nicht wiederholen, wie die Entwicklungen gelaufen sind, denn jede:r hat wohl noch eigene Bilder, Erlebnisse, dramatische Geschichten aber auch positive Errungenschaften im Kopf, die mit der Pandemie einhergingen. Meinen Pandemiebeginn habe ich damals hier verewigt.

Als wir dann alle irgendwie glaubten, dass jetzt auch mal gut sei mit der Dystopie, hat ein Verrückter aus Russland befohlen, die Ukraine anzugreifen und einen Angriffskrieg auf europäischem Boden anzuzetteln. Neben allem Schrecklichen eines Krieges war plötzlich jede:r ganz unmittelbar betroffen von steigenden Energiepreisen, von der Angst der zukünftigen Entwicklungen und, und, und…

Abschließend nur noch der Hinweis auf die aktuellen Entwicklungen rund um die künstliche Intelligenz bzw. konkret um die KI-basierte Textgeneratoren, allen voran ChatGPT:

Auch wenn es viele Fragen und Unklarheiten gibt, sind die Entwicklungen, die sich seit der Veröffentlichung von ChatGPT im November 2022 ergeben haben, über einbrechende Börsenkurse bis hin zur Entlassung von angestellten Texter:innen, beachtlich. Für einen tieferen Einblick lohnen sich die letzten 30 Minuten des Podcasts „Jetzt mal ehrlich“ (Du musst Bock auf Start-Up-Denglisch haben).

Aus diesen nur skizzierten Entwicklungen folgt:

Wer sich mit Wandel schwertut, wird es in Zukunft schwer haben. Und unsere jede:r Einzelne und damit unsere Gesellschaft insgesamt tut sich wahnsinnig schwer mit Veränderungen. Wir sind es – etwas pauschal – als Individuen in den letzten 60 Jahren nicht mehr gewohnt, komplexe und dynamische Entwicklungen zu bewältigen und zu gestalten und müssen dies erst wieder lernen.

Für den Blick auf die Soziale Arbeit zeigt sich, dass die Entwicklungen der letzten Jahre die Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, besonders hart treffen:

So ist der Klimawandel ein nicht nur ökologisches, sondern ein sozial-ökologisches Problem. Auf die massiven Auswirkungen der klimatischen Veränderungen insbesondere für Hilfsbedürftige – in Deutschland, Europa und natürlich auch global – weisen die Wohlfahrtsverbände an verschiedenen Stellen sehr deutlich hin (bspw. hier).

Die Steigerung der Energiekosten trifft – wenig verwunderlich – die von Armut betroffenen Menschen der Gesellschaft ganz anders als die „Oberschicht“ und auch die Auswirkungen der Roboterisierung und Technisierung und damit alles rund um KI und Co. sind ebenfalls für Menschen in prekären Lebenslagen massiver als für die „Bildungselite“ (für die diese Entwicklungen ebenfalls massive Auswirkungen haben werden).

Kurz: All die hier (alles andere als umfassend) skizzierten gesellschaftlichen Entwicklungen betrafen und betreffen jeden einzelnen Menschen und insbesondere das Klientel Sozialer Arbeit.

Ist es aber gelungen, passende Antworten – auch aus der Profession und Disziplin der Sozialen Arbeit heraus – auf diese Entwicklungen zu finden? In meinen Augen zeigen insbesondere die politischen Entwicklungen und konkret das Wahlverhalten, dass dies bislang leider nicht gelungen ist. Die demokratiezersetzenden Tendenzen sprechen Bände. Das liegt – so meine Einschätzung – an der wenig ausgeprägten Unsicherheitsbewältigungskompetenz, die für die aktuellen Zeiten notwendig ist. Dazu aber im nächsten Teil dieser Serie – dem Blick auf den Status Quo rund um New Social Work – mehr.

Die Organisationsentwicklung im Rückblick

New Social Work ist ziemlich komplex, das gebe ich zu. Vielleicht war das Komplexe auch ein Grund, warum meine Ausführungen zu New Social Work hier im Blog oder auch auf ersten Veranstaltungen, auf denen ich sprechen durfte, damals zwar auf Interesse, aber auch auf Kopfschütteln stießen („Spannend, ja, aber wie soll das denn gehen?“).

Gerade die „Profiteure des bestehenden Systems“ (Vorstände, Geschäftsführungen, Führungskräfte, politische Entscheidungsträger:innen) waren damals doch (diplomatisch ausgedrückt) „zurückhaltend“, was die Ideen zumindest rund um die Neugestaltung von Organisationen anging.

Und die gesellschaftlichen Megatrends steckten (aus meiner Perspektive) in den Kinderschuhen der Sozialwirtschaft:

  • Die Digitale Soziale Arbeit nahm erst 2015/2016 so richtig Fahrt auf.
  • Der demographische Wandel und der damit einhergehende Fachkräftemangel waren zwar am Horizont als dunkle Wolke erkennbar, aber der Regenschirm stand unbenutzt zu Hause.
  • Und erst heute rückt die (sozial-)ökologische Nachhaltigkeit flächendeckend in sozialen Organisationen auf die Agenda, auch wenn der erste Bericht des Club of Rome auch damals nicht neu war.

Persönlich muss ich betonen, dass es richtig cool war und ist, dass es schon damals viele Menschen gab, die progressiv in die Zukunft geschaut, den Blog gelesen, die Ideen verstanden und geteilt haben. Viele Menschen im Digitalen und Analogen haben schon damals erkannt, dass es sinnvoll und notwendig war, das „Soziale“ neu zu denken. Und viele dieser Menschen sind für mich langjährige und treue Wegbegleiter:innen und Freund:innen geworden. Danke dafür!

Übergreifend aber war das Thema „Organisationsentwicklung“ noch nicht so präsent, wie es dann geworden ist. Zwar profitiere ich selbst natürlich von den Entwicklungen ;-). Und trotzdem ist Vorsicht geboten: Haben sich die Bedingungen wirklich verändert oder sitzen auch soziale Organisationen „Managementmoden“ auf?

Managementmoden lassen sich charakterisieren als „breit geteilte Vorstellungen darüber, wie Unternehmen, Verwaltungen, Krankenhäuser, Hochschulen, Schulen, Armeen, Polizeien oder Verbände besser organisiert werden können. Die Managementmoden suggerieren dabei, dass durch die Einführung neuer Gestaltungsprinzipien die Anpassungs-, Leistungs- und Innovationsfähigkeit erhöht werden können. Sie setzen mit diesem Versprechen an dem in Organisationen verbreiteten Bedürfnis an, wahrgenommene Defizite zu beheben und bisher nicht genutzte Verbesserungsmöglichkeiten zu erschließen“ (Kühl, 2022).

Und die Anziehungskraft von Reinventing Organizations in Verbindung mit dem aus der Softwarebranche ausbrechenden „agilen Management“ war enorm. Sätze wie „Endlich so arbeiten, wie wir das schon immer gewollt haben!“ oder „Selbstorganisation? Da kann ich dann endlich mal denen da oben zeigen, wie es richtig geht!“ oder „Wenn es gelänge, unseren Laden so richtig agil zu gestalten, wären alle Probleme der Welt gelöst!“ wurden zwar nicht explizit geäußert, implizit gab es aber schon eine „Goldgräberstimmung“, immer begleitet von einem sehr sympathischen Holländer, dem es gelungen ist, die Pflegebranche der Niederlande zu revolutionieren. Hier habe ich einmal dargelegt, warum Du Buurtzorg nicht als Vorbild nehmen solltest.

Und in einem meiner letzten Newsletter habe ich „vom Ende der Euphorie“ geschrieben. Darunter habe ich die Abkehr vom doch sehr utopisch anmutenden Frederic Laloux hin zum realen, etwas nüchternen Blick auf die Funktionsweise sozialer Organisationen als komplexe soziale Systeme verstanden. So machen formale Hierarchien genauso wie das Konzept der Trennung von Person und Rolle in Organisationen sehr viel Sinn (vgl. dazu ausführlich Matthiesen, Muster, Laudenbach, 2022).

Ich will und kann hier in diesem Beitrag nicht in die Tiefe gehen, aber die folgende Frage wurde in meinen Augen in den letzten Jahren zu wenig gestellt:

„Wenn Organisationsentwicklung hin zu mehr Agilität, Selbstorganisation und Co. die Lösung ist, was ist dann eigentlich unser Problem?“

Falls Du Lust auf mehr Theorie hast, empfehle ich Dir diesen Beitrag zur „dominierenden Informalität in Sozialen Organisationen“, in dem ich dargelegt habe, dass soziale Organisationen an vielen Stellen sogar stärkerer Formalisierung bedürfen und nicht das halbherzige Umsetzen der neuesten Managementmode.

Die Ebene sozialer Organisationen zeigt im Rückblick ein sehr differenziert zu betrachtendes Bild: Organisationsentwicklung war und ist dringend erforderlich, aber nicht unbedingt so, wie es, durch viele Managementmoden angetrieben, gerne propagiert wurde.

Das Sozialwesen im Rückblick

Im Jahr 2016 wurde das BTHG – das Bundesteilhabegesetz – verabschiedet. In der Pressemeldung damals hieß es, dass „das Gesetz (…) mehr Möglichkeiten und mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen“ schafft (BMAS, 2016). Für mich zeigt diese Entwicklung recht viel:

Einerseits zeigten sich in den letzten Jahren politisch wirklich gute Entwicklungen, die bspw. Menschen mit Behinderung oder auch Kinder (Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz, inzwischen sogar ausgeweitet auf einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule) betrafen.

Bzgl. des BTHG sind Organisationen der Eingliederunghilfe zur Umsetzung des BTHG gefordert, neue Angebote und neue Organisationsstrukturen zu gestalten. Der Paradigmenwechsel von der Institutionenorientierung hin zur Personenorientierung ist hochgradig sinnvoll. Das BTHG soll die Teilhabe und damit die individuellen Rechte der Menschen mit Behinderung stärken. In der Praxis soll dies durch die Aufsplitterung der Betreuungsleistungen in Grund- oder Basismodule als Tagespauschale auf der einen Seite und auf der anderen Seite durch verschiedene individuell bemessene Assistenz- oder Fachleistungsmodule, über die bedarfsabhängige und personenzentrierte Einzelleistungen abgebildet werden, geschehen (vgl. zu Fragen der Organisationsentwicklung und dem BTHG diesen Beitrag hier).

Der genauere Blick in die Herausforderungen zur Umsetzung der mit dem Gesetzesvorhaben BTHG einhergehenden Veränderungen zeigt jedoch auch viel Schatten:

Die Umsetzung ist zum einen eine enorme bürokratische Aufgabe und zum anderen lässt sich das BTHG auch als massives Sparprogramm lesen. So zeigt sich die Paradoxie des BTHG darin, dass auf der einen Seite damit geworben wird, die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiterzuentwickeln. Die Leistungen sollen sich am individuellen Assistenzbedarf orientieren und passgenau erbracht werden. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber klar formuliert, dass durch die Reform des BTHGs die seit Jahrzehnten ansteigende Ausgabendynamik gebremst werden soll (vgl. Bt-Drs. 18/9522, S.3). Auf diesen Widerspruch kann man eigentlich nicht oft genug hinweisen.

Ich erwähne das Beispiel BTHG hier – auf der Ebene des Sozialwesens – so ausführlich, da ich in den letzten Jahren kaum echte Verbesserungen im Sozialwesen erkennen konnte. Oft sind die Entwicklungen eher potemkinsche Dörfer anstatt echte Verbesserungen im Sinne der Menschen zu bewirken.

So zeigt auch das Beispiel Ganztagsbetreuung in der Grundschule ähnliche Schwächen: Schon zur Verabschiedung des Gesetzes zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter (Ganztagsförderungsgesetz – GaFöG) war glasklar, wie sich die Personalsituation im Arbeitsfeld Erziehung und Bildung entwickeln wird. Wie kommt man also auf die Idee, ein Gesetz zu verabschieden, dass auf dem Rücken der Mitarbeiter:innen im Sozialwesen ausgetragen wird oder – auch keine bessere Perspektive – die Qualitätsstandards in der Ganztagsbetreuung soweit senkt, dass jeder Hans Wurst mit den Kids arbeiten kann („Waren Sie selbst mal Kind? Ja? Dann können Sie hier anfangen!“).

Du merkst – ich bin im Rückblick eher skeptisch, was die Entwicklungen des Sozialwesens angeht. Eine nachhaltige, zukunftsfähige „New Social Work“ im Sinne einer qualitativ hochwertigen Sozialen Arbeit, angeboten von zeitgemäß und bedarfsgerecht gestalteten Sozialen Organisationen, zur Förderung der gesellschaftlichen Entwicklungen (vgl. New Social Work Definition) ist kaum erkennbar.

Das hängt zu großen Teilen mit politischen Entscheidungen zusammen. Und Entscheidungen im politischen System sind leider alles andere als rational, wissenschaftlich fundiert oder immer so zukunftsfähig, wie es dringend nötig wäre.

Es geht im „System Politik“ nicht um die Leitdifferenz „richtig/falsch“, sondern um Mehrheiten, um Meinungen und um die Leitdifferenz „Macht/keine Macht“. Die Entscheidungen der Menschen im System, der Politiker:innen, orientieren sich – bewusst, meist aber unbewusst – an dieser Leitdifferenz.

Das erklärt die oftmals absurd wirkenden Äußerungen von Politiker:innen bspw. der konservativen Parteien aka CDU/CSU zu Themen rund um die Klimakatastrophe, voraussetzend, dass Merz, Söder und Co. nicht einfach nur dumm sind.

Und das erklärt eben auch die Entwicklungen rund um das ganze „Gedöns“ bzw. die Sozialpolitik, mit der für die politische Karriere kein Blumentopf zu gewinnen ist.

Ob sich das heute geändert hat und in Zukunft ändert? We’ll see in Part 3… Aber ich nehme sehr gerne Kommentare entgegen, die das Bild etwas positiver erscheinen lassen. Also:

Immer her mit den guten Nachrichten (bspw. hier in den Kommentaren oder unter diesem Link hier)!!!

Die Gesellschaft im Rückblick

Ich gehe hier nur noch sehr kurz drauf ein, da ich denke, schon zuvor, auf Ebene des Individuums und des Sozialwesens, einiges zur gesellschaftlichen Entwicklung geschrieben zu haben. Deswegen nur als Wiederholung:

Rückblickend lebten wir zwischen 2010 und 2020 in einer ziemlich ruhigen Dekade, die wirtschaftlich und politisch wenig Aufregendes gebracht hat. Ein Schelm, wer an die Angela denkt…

Nein, ernsthaft: Es ging bergauf, Sicherheit, zumindest die gefühlte Sicherheit, stand ob auf der Agenda. Und diese damals noch gefühlte Sicherheit wankt, an allen Ecken und Enden.

Das sind wir hier im globalen Norden in dieser Intensität nicht gewohnt. Entsprechend gespannt bin ich, wo es sich hinentwickelt.

Für das Sozialwesen bedeutet wirtschaftliches Wachstum und Stabilität natürlich auch (im Groben) „ruhige(re) Zeiten“, die sich schon jetzt und zukünftig weiter verändern werden.

Fazit Part II: New Social Work Zwischenbilanz und der Blick zurück

Puh, alles ganz schön komplex und an den wenigsten Stellen auch nur ansatzweise zu Ende diskutiert. Aber ich hoffe, einen kleinen Einblick in meine Gedankenwelt gegeben zu haben.

Spannend ist für mich jetzt die Frage, wie sich Deine Auseinandersetzung mit der Sozialen Arbeit, im Blick zurück und über die letzten 10 Jahre verändert hat?

Wo hast Du im Rückblick Verbesserungen erlebt? Wo ist es nicht besser geworden?

Ich würde mich riesig freuen, wenn Du unter diesem Link hier Deine Rückmeldung zum Blick zurück, zum Status Quo und zu einer wünschenswerten Zukunft teilen würdest… Die ersten Rückmeldungen trudeln über den Link bereits ein!

Danke dafür schon jetzt!

Quellen:

  • Bergmann, F. (2004): Neue Arbeit, Neue Kultur. Freiburg im Breisgau: Arbor Verlag.
  • Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS, 2016): Bundesteilhabegesetz verabschiedet. URL: https://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Meldungen/2016/bthg-verabschiedet.html. Download am 30.05.2023.
  • Kühl, S. (2022): Managementmoden – Wie man unsicheres in sicheres Wissen verwandelt. URL: https://versus-online-magazine.com/de/kolumne/stefan-kuehl/managementmoden/ . Download am 30.05.2023.
  • Matthiesen, K., Muster, J., Laudenbach, P. (2022): Die Humanisierung der Organisation. Wie man den Menschen gerecht wird, indem man den Großteil seines Wesens ignoriert. München: Verlag Franz Vahlen.

New Social Work, eine Zwischenbilanz – Part I: Die Definition!

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Dieser Beitrag ist der Auftakt einer Beitragsserie rund um New Social Work. Und zum Auftakt ist zunächst (m)eine New Social Work Definition darzulegen. Damit umreiße ich, was unter New Social Work zu verstehen ist (Part I). Daran anschließend will ich in Part II zurück, in die Historie, und in Teil III ins Jetzt, den Status Quo rund um New Social Work schauen. Dann, im (vorerst) abschließend in Teil IV, versuche ich, einen Blick in die Zukunft rund um „New Social Work“ zu wagen.

Hintergrund der Beitragsserie ist, dass ich im Jahr 2014 den Blog „IdeeQuadrat“ startete. Der erste Beitrag: Ein Review des Buchs „Reinventing Organizations“. Kurz drauf dann meine „Entdeckung“ des „Bergmannschen New Work“.

Die Verbindung aus neuen Formen der Organisationsentwicklung basierend auf Prinzipien von Selbstorganisation, Ganzheitlichkeit und der Suche nach dem „evolutionären Sinn“, mit den utopischen Gedanken einer Abkehr vom Lohnarbeitssystem haben mich begeistert, gefesselt und das finden lassen, was ich „wirklich, wirklich tun“ will. Das war der Beginn der Geschichte von IdeeQuadrat und der Beginn meiner vertieften Auseinandersetzung mit New Social Work.

Dabei leiten mich Fragen rund um zeitgemäße und bedarfsgerechte Organisationsentwicklung kombiniert mit dem Fokus auf soziale Organisationen, meiner beruflichen Herkunft, ohne gesellschaftliche Entwicklungen und deren Auswirkungen aus dem Blick zu verlieren. Ich habe damit von Beginn an Organisationen, die uns alle von der Wiege bis zur Bahre begleiten – Kitas, Kindergärten, Jugendhilfeeinrichtungen, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, Suchthilfe, Wohlfahrtsverbände, kleine Träger, Komplexträger mit mehreren tausend Mitarbeiter:innen und übergreifend „das Sozialwesen“ als gesellschaftsprägendes System fokussiert.

Und jetzt, nach fast zehn Jahren, ist einiges passiert. Einiges ist auch nicht passiert. Zeit für eine Zwischenbilanz. Und die beginnt mit Part 1 – der…

New Social Work Definition

New Social Work ist Organisationsentwicklung. New Social Work aus Blickrichtung der Organisationsentwicklung ist die Suche nach und das Gestalten von funktionalen, zeitgemäßen und bedarfsgerechten Organisationsdesigns für soziale Organisationen, die es ermöglichen, wirksame Soziale Arbeit im Sinne der Nutzer:innen wie der Mitarbeiter:innen sozialer Organisationen leisten zu können. Wortwörtlich: soziale Arbeit.

New Social Work ist gleichzeitig Arbeit an der Gesellschaft. New Social Work nimmt damit gesellschaftliche Entwicklungen in den Blick. Sie ist politisch – wie Soziale Arbeit schon immer politisch war. Und sie ist zukunftsorientiert, denn New Social Work nimmt „gesellschaftliche Megatrends“, die gesellschaftlichen Veränderungen in den Blick, von der digitalen Transformation, über die Individualisierung, den demographischen Wandel bis hin zu Fragen der ökologischen Nachhaltigkeit uvm.

Vier Ebenen einer New Social Work

Der Definition liegen vier Ebenen zugrunde, die hier skizziert und jeweils in den folgenden Beiträgen dieser Serie in den Blick genommen werden, um eine angemessene Betrachtungstiefe zu ermöglichen:

1. Ebene: Das Individuum

Der „Real New Work“ im Sinne Bergmanns ging es über die Schaffung einer Alternative zum klassisch-kapitalistischen Lohnarbeitssystem darum, Menschen zu befähigen, das zu finden, was sie „wirklich, wirklich tun“ wollen. Darüber rückt automatisch „der Mensch“ als Individuum nach auf die Bühne.

Es geht um die Vorstellungen, die wir in unserer Gesellschaft „vom Wesen des Menschen“ haben. Eas geht um unsere Menschenbilder: Nur dann, wenn die Vorstellung existiert, dass Menschen sich entwickeln, sich verändern können und wollen und damit nach Selbstbestimmung und Autonomie, nach Freiheit und Entfaltung der Persönlichkeit, nach Selbstverwirklichung und Sinn streben, machen Vorstellungen rund um New Work und die Suche nach dem, was Menschen „wirklich, wirklich tun wollen“ Sinn.

Nur aus dem gleichen Menschenbild heraus ist Soziale Arbeit als Profession und Disziplin denkbar. Nur dann, wenn wir als Professionelle davon ausgehen, dass wir einen Beitrag zur Selbstbestimmung und Autonomie der Menschen – egal in welchem Arbeitsfeld – leisten können, macht Soziale Arbeit Sinn.

Fraglich ist aber, wie es bestmöglich gelingen kann, zum einen Rahmenbedingungen in unserer Gesellschaft und unseren Organisationen zu schaffen, die dem Streben nach Selbstbestimmung und Autonomie zuträglich sind? Zum anderen ist fraglich, wie das „auf die Welt bringen des in den Menschen liegenden Potenzials“ bestmöglich gelingen kann. Hier rückt u.a. das Bildungssystem in den Fokus. Und – aus einer bestimmten Richtung – sind auch soziale Organisationen immer Organisationen der Bildung.

2. Ebene: Die Organisationen

Wie definiert umfasst New Social Work als einen Fokusbereich die Organisationsentwicklung und damit einer Veränderung der Arbeitswelt. Denn es wird im Wesentlichen durch die Veränderung der Arbeitswelt möglich, die Gesellschaft als Ganzes zu verändern, hin zu mehr Nachhaltigkeit, Zusammen-Leben, Sinn, Zeit für das wirklich, wirklich Wichtige für jeden einzelnen Menschen.

Das ist übrigens, wenn man die Geschichte betrachtet, schon immer so gewesen: Durch die Entwicklung der Landwirtschaft sind die Menschen sesshaft geworden, durch die Entwicklung der Webstühle und der Dampfmaschine wurde das Industriezeitalter eingeläutet und durch die Informationstechnologie bewegen wir uns immer in einer „Wissensgesellschaft“. Und all diese Veränderungen der Arbeitswelt haben zu neuen Gesellschaftssystemen geführt:

„Wichtige historische Gesellschaftsformationen sind nach Marx die klassenlose Urgesellschaft der frühen Stammesgesellschaften, die von Landwirtschaft und despotischer Herrschaft geprägte ‚asiatische Produktionsweise‘, die Sklavenhaltergesellschaft der Antike, der Feudalismus des Mittelalters und die bürgerlich-kapitalistische Produktionsweise“.

Hinzu kommen natürlich Sozialismus und Kommunismus, deren Bezug zur Arbeitswelt als „Diktatur des Proletariats“ auf der Hand liegt. Damit wird deutlich:

Die Veränderung der Organisationen und damit die Veränderung der Art, wie wir arbeiten, führt zu gesellschaftlicher Veränderung.

Und soziale Organisationen, die „als Vorreiter der gesellschaftlichen Transformation ihren wirkungsvollen Beitrag für eine lebenswerte Gesellschaft nachhaltig leisten„, spielen dabei eine unfassbar wichtige Rolle.

Für New Social Work rückt auf dieser Ebene die Frage ins Zentrum, wie es gelingen kann, Organisationen, deren Zwecke, Prozesse, formale Hierachien und darüber „soziale Arbeit“ so zu gestalten, dass der Zweck der jeweiligen Organisation bzw. des jeweiligen Teams bestmöglich erreicht werden kann.

3. Ebene: Das Sozialwesen

Soziale Organisationen sind eingebunden in ein nach bestimmten Bedingungen funktionierendes „funktionsspezifisches Teilsystem“ der Gesellschaft – das Sozialwesen.

Funktionsspezifische Teilsysteme sind „funktions-, leistungs-, medien-/codespezifische und (re-)programmierbare, sich selbst validierende selbstsubstitutive autopoietische Systeme“ (Krause, 2005, 44), die einerseits mehr oder weniger miteinander und andererseits in der Gesamtheit all dieser gesellschaftlichen Kommunikationen auch übereinander kommunizieren und damit Gesellschaft prägen. Sie sind operativ geschlossen. Der Code bzw. die Leitdifferenz des Sozialsystems ist „helfen/nicht helfen“ (Kleve, 2007, 147). Jedes funktionsspezifische gesellschaftliche Teilsystem übernimmt für die Gesellschaft exklusiv eine bestimmte Funktion (vgl. Krause, 2005, 49).

Auch wenn fraglich ist, ob das Sozialwesen exklusiv eine bestimmte Funktion übernimmt und damit per Definition ein eigenständiges, funktionsspezifisches Teilsystem unserer Gesellschaft ist, gehe ich zur Komplexitätsreduktion einmal davon aus. Soziale Dienstleistungen als öffentliche Güter und damit „das Sozialwesen insgesamt“ ist hochgradig abhängig von der geltenden Sozialpolitik.

Daraus resultieren wiederum Fragen: (Wie) gelang, gelingt und wird es zukünftig gelingen, zum einen der Sozialpolitik, sinnvolle, zukunftsgerichtete Entscheidungen für die Menschen, die auf soziale Dienstleistungen angewiesen sind, zu treffen? Und wie gelang, gelingt und wird es zukünftig den Verantwortungsträger:innen wie bspw. den Wohlfahrtsverbänden gelingen, diese Entscheidungen im Sinne der Anwaltschaft für die Nutzer:innen (und nicht nur zur eigenen Sicherung des Überlebens) zu beeinflussen?

4. Ebene: Die Gesellschaft

Der Blick in die Vergangenheit bis zur Gegenwart der Sozialen Arbeit zeigt Licht und Schatten. Die Entwicklung Sozialer Arbeit lässt sich als »wahre Erfolgsgeschichte« (Merten 2001, S. 165) erzählen. Thiersch bezeichnet das letzte Jahrhundert gar als »sozialpädagogisches Jahrhundert« (vgl. 1992). Das Wachstum des Sozialwesens, gemessen an Beschäftigtenzahlen oder volkswirtschaftlichem Nutzen, ist beeindruckend.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob das quantitative Wachstum des Sozialwesens mit qualitativen Verbesserungen, mit der Steigerung der Wirksamkeit Sozialer Arbeit und der Annäherung an die in der Definition Sozialer Arbeit dargelegten Vision einherging. Ohne Frage hat sich „die“ Soziale Arbeit weiterentwickelt.

Auf der vierten Ebene stellt sich die Frage, ob Soziale Arbeit wirklich gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen, den sozialen Zusammenhalt gefördert hat, aktuell fördert und zukünftig fördern wird?

Fazit Part I: New Social Work Definition

Wenn ich die Ausführungen zur New Social Work Definition so anschaue, könnte es ein ziemlich umfangreiches Unterfangen werden, eine Zwischenbilanz rund um New Social Work zu ziehen. Aber ich denke, es ist an der Zeit, innezuhalten und dies zu versuchen. Entsprechend will ich in den kommenden Beiträgen – für mich, für Dich und vielleicht auch darüber hinaus – auf die oben gestellten Fragen eingehen.

Dabei werden meine Antworten sicherlich immer sehr persönlich gefärbt sein. Ich hoffe, das passt für Dich…

Gespannt bin ich aber schon jetzt, zu hören, was Du von der Definition und den Ausführungen hältst? Lass doch einen Kommentar da und gib eine Rückmeldung dazu. Vielleicht kann ich diese in den weiteren Beiträgen einbauen… Danke schon jetzt!

Quellen

  • Gesmann, S., Merchel, J. (2019): Systemisches Management in Organisationen der Sozialen Arbeit: Handbuch für Studium und Praxis. Erste Aufl. Heidelberg: Carl-Auer Verlag GmbH.
  • Kleve, H. (2007): Postmoderne Sozialarbeit. Ein systemtheoretisch-konstruktivistischer Beitrag zur Sozialarbeitswissenschaft. 2. Aufl., Wiesbaden: Springer.
  • Krause, D. (2005): Luhmann-Lexikon. 4.Aufl., Stuttgart: Lucius & Lucius.
  • Merten, R. (2001): Wissenschaftliches und professionelles Wissen – Voraussetzungen für die Herstellung von Handlungskompetenz. In: Pfaffenberger, Hans (Hrsg.). Identität – Eigenständigkeit – Handlungskompetenz der Sozialarbeit/Sozialpädagogik als Beruf und Wissenschaft. Münster, Hamburg, London: LIT Verlag, S. 165–192.
  • Thiersch, H. (1992): Das sozialpädagogische Jahrhundert. In: Rauschenbach, Thomas/Gängler, H. (Hrsg.). Soziale Arbeit und Erziehung in der Risikogesellschaft. Neuwied, Kriftel, Berlin: Luchterhand Verlag, S. 9–23, 1992.

Das Dilemma der Agilisierung sozialer Organisationen – und was trotzdem getan werden kann!

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Warum gelingt es sozialen Organisationen so schwer, sich zeitgemäß und bedarfsgerecht zu verändern? Warum sehen wir an so wenigen Stellen echte Leuchttürme, best practice Beispiele, denen es in den letzten Jahren gelungen ist, ihr Organisationsdesign, ihre Strukturen, Arbeitsweisen, Prozesse usw. anpassungsfähig an sich komplex und dynamisch verändernde Umwelten zu gestalten und gleichzeitig ihren Zweck nicht aus den Augen zu verlieren? Die Antwort auf diese Fragen ist nicht eindimensional, sondern erfordert unterschiedliche Blickrichtungen. Im Folgenden wird insbesondere ein Aspekt herausgegriffen, der ein Dilemma, in dem soziale Organisationen stecken- ich nenne es das „Dilemma der Agilisierung sozialer Organisationen“ – beleuchtet. Außerdem werden Möglichkeiten dargelegt, die es ermöglichen, sich „trotzdem“ zu bewegen.

Das Dilemma, oder: Warum fällt es sozialen Organisationen so schwer, sich zu verändern?

Ein Dilemma ist eine Zwickmühle. Ein Dilemma bezeichnet eine Situation, die zwei Möglichkeiten der Entscheidung bietet, die beide zu einem unerwünschten Resultat führen und durch seine Ausweglosigkeit als paradox empfunden wird. Ein klassisches Beispiel ist das berühmt gewordene Dilemma von Buridans Esel. Der Esel verharrt unbeweglich zwischen zwei gleichgroßen und gleich weit entfernten Heubündeln. Er kann sich weder für das eine noch für das andere entscheiden – er verhungert.

Bezogen auf die Sozialen Organisation hier eine kurze Darlegung der beiden Heuhaufen:

Dilemma Perspektive 1: Das Überleben der Organisation

ChatGPT liefert auf die Frage danach, warum es sozialen Organisationen so schwerfällt, sich zu verändern, im ersten Punkt den folgenden Absatz und beschreibt damit sehr gut die eine Seite des Dilemmas:

„Soziale Organisationen oder – etwas präziser – Organisationen der Sozialwirtschaft haben oft eine komplexe Struktur und sind stark reguliert, um sicherzustellen, dass sie ihre gemeinnützigen Ziele erfüllen. Diese Regulierungen können dazu führen, dass Veränderungen schwierig umzusetzen sind, da sie häufig genehmigt und von den zuständigen Behörden überwacht werden müssen.“

Das fasst das Dilemma etwas verkürzt, aber treffend zusammen:

Soziale Organisationen sind nicht frei in ihrer Gestaltung, wenn sie überleben wollen.

Dieses Überleben nehme ich hier explizit auf, denn „Zweck 1. Ordnung“ eines sozialen Systems ist es, überleben zu wollen. Patrick Breitenbach schreibt dazu in einem Beitrag treffend:

„Was ist der Hauptzweck, der „Zweck 1. Ordnung“, einer Unternehmung, ja eines gesamten Wirtschaftssystems (und Systemen überhaupt)? Es ist die Selbsterhaltung, das Überleben – im Business auch „Viability“ genannt.

Es geht also um die Tragfähigkeit einer Unternehmung, eines Systems oder einer Existenz. Dieses Handeln ist evolutionär tief in unsere DNA eingebrannt. Kombiniert mit einem zunächst natürlichen und später zugleich künstlich verstärkten Wettbewerbssprinzip rund um knappe oder verknappte Ressourcen, beherrscht es unser gesamtes Dasein. Das ist der Kern unseres „Operating Models“ – wenn man so will.“

ChatGPT greift den Punkt auf und schreibt weiter:

„Ein weiterer Grund, warum Organisationen der Sozialwirtschaft Veränderungen schwerfallen kann, ist die Tatsache, dass sie oft von begrenzten finanziellen Ressourcen abhängig sind. Dies kann bedeuten, dass sie sich auf bestimmte Einkommensströme verlassen, wie beispielsweise staatliche Zuschüsse oder Spenden von privaten Spendern, die möglicherweise begrenzt oder schwankend sind. Diese Abhängigkeit von begrenzten Ressourcen kann dazu führen, dass Organisationen zögern, Veränderungen vorzunehmen, aus Angst, ihre finanzielle Stabilität zu gefährden.“

Die Gefährdung der finanziellen Stabilität ist es aber, was Organisationen an den Rand ihres Überlebens bringt. Entsprechend und völlig nachvollziehbar halten sozialen Organisationen an ihren bewährten, ihre Existenz sichernden Strukturen fest.

Eine wirkliche, tiefgreifende Veränderung der Strukturen, Prozesse und Arbeitsweisen kann die Existenz sozialer Organisation gefährden, da es von Seiten der Kostenträger kaum Spielraum zur Entwicklung, Experimentierfelder, Möglichkeiten zur Neugestaltung gibt.

Ohne den Fall in der Tiefe verfolgt zu haben wird zumindest in diesem Beitrag zum Insolvenzverfahrens von Buurtzorg Deutschland explizit darauf verwiesen, dass „die Abrechnung auf Stundenbasis statt nach Leistung für Krankenkassen ein Problem“ darstellt. Noch einmal:

Alternative Modelle und Arbeitsweisen sind für die Nutzer:innen (ggf.) super, scheitern aber an den Rahmenbedingungen der Kostenträger.

Dilemma Perspektive 2: Die Komplexität Sozialer Arbeit und die Notwendigkeit der Agilisierung sozialer Organisationen

Auf der anderen Seite steht die Herausforderung sozialer Organisationen, Komplexität bewältigen zu müssen. Jede Arbeit mit Menschen, ob in der Kita, in der Jugendhilfe, in der Gemeinwesensarbeit, in der Arbeit mit älteren Menschen oder auch mit Menschen mit Behinderung ist komplex, individuell und immer auf die Mitarbeit der Nutzer:innen angewiesen. Mehr noch: Die aktuelleren Methoden sozialer Arbeit betonen explizit, dass nicht die Expertise der Mitarbeiter:innen im Zentrum steht („Wir wissen schon, was für dich richtig ist!“), sondern der „Wille der Menschen“, wie es bspw. explizit im Konzept der Sozialraumorientierung heißt.

Diese Perspektive, die Ausrichtung am Willen des Menschen, die Stärkung von Autonomie und Selbstbestimmung als (ein) Zweck Sozialer Arbeit, ist nicht neu und sollte eigentlich nicht verwundern. Denn genau so heißt es auch in der Internationalen Definition Sozialer Arbeit, die ich ja immer wieder gerne anbringe:

„Soziale Arbeit fördert … die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen.“

Damit Mitarbeiter:innen sozialer Organisationen diese Perspektive einnehmen können, sind sie gefordert, die Regeln, Strukturen, Vorgaben, Prozesse usw. der eigenen Organisation zu „hintergehen“ und so zu agieren, dass sie bestmöglich im Sinne ihrer Klientel agieren können. Daraus resultiert die dominierende Informalität, die ich bereits in diesem Beitrag hier umfänglich dargelegt habe. Sehr kurz zusammengefasst:

Organisationen lassen sich vornehmlich über die Entwicklung von formalen Strukturen, Prozessen und der Veränderung des Personals entwickeln. Mitarbeiter:innen in sozialen Organisationen jedoch interessieren sich nicht großartig für das, was die Organisation vorgibt, sondern agieren so, dass sie – aus ihrer Perspektive gedacht – bestmögliche Hilfe für die Nutzer:innen leisten können. Organisationsentwicklungsprozesse „verpuffen“ dann, da die Mitarbeiter:innen einfach das weitermachen, was aus ihrer Sicht für die Nutzer:innen funktional ist. Wie gesagt, das ist nur eine sehr kurze Zusammenfassung dieses Artikels, der die Herausforderung der dominierenden Informalität ausführlich darlegt.

Aufgreifen will ich hier noch die auf den ersten Blick sehr positiven Veränderungen der Sozialgesetzbücher – allen voran die Entwicklungen rund um das BTHG. Teilhabe, Partizipation, Inklusion werden aber nicht nur dort, sondern auch im KJSG groß geschrieben. Beide Gesetze fokussieren zunehmend – wie auch die grundlegenden Methoden Sozialer Arbeit – auf die Perspektive der Nutzer:innen und stellen diese in den Mittelpunkt allen Handelns.

Kurz zusammengefasst wird die Institutionenorientierung von der Personenorientierung abgelöst (welche Auswirkungen das für die Organisationsentwicklung sozialer Organisationen hat, haben Florian Acker und ich hier dargelegt).

Zerrissenheit

Wenn aber mit Blick auf den einen Heuhaufen – um das Beispiel des Esels wieder aufzugreifen – „die Menschen in den Mittelpunkt rücken“ müssen (nicht die Mitarbeiter:innen, sondern die Nutzer:innen) und mit Blick auf den anderen Heuhaufen an den Finanzierungslogiken der Kostenträger festgehalten werden muss, sich die Organisationen also nicht gemäß ihrem Zweck entwickeln können, kommt es zur Zerrissenheit.

Dieses Dilemma ist (ohne dies für die Soziale Arbeit empirisch belegen zu können) aller Wahrscheinlichkeit nach (mit) ein Grund, warum die Burnoutraten in sozialen Organisationen so hoch sind (vgl. dazu bspw. den jährlich erscheinenden AOK Fehlzeitenreport).

Interessant sind in diesem Zusammenhang die Konzepte rund um „Moral Distress“, die im Kontext der Pflege bereits detailliert untersucht wurden.

Agilisierung sozialer Organisationen – was tun?

Welche Handlungsoptionen haben Soziale Organisationen, um die Zerrissenheit, um das Dilemma besser in den Griff zu bekommen? Ich betone dieses „besser“, da eine Auflösung des Dilemmas, so wünschenswert es auch wäre, wohl keine Option darstellt.

Auseinandersetzung mit dilemmatischen Konstellationen in der Organisation

Stabilität vs. Wandel, klare Verantwortlichkeiten vs. Flexibilität, Identifikation vs. Offenheit, Freiräume zur Entwicklung vs. Ausnutzung organisationsfremder Interessen. All dies sind Dilemmata, die in Organisationen immer wieder auftreten. Eine Tendenz zu einem Pol (z.B. Stabilität) geht immer auf Kosten des anderen Pols (z.B. Wandel). Es lässt sich kein einfacher oder dauerhafter Kompromiss erreichen (vgl. Weibler, Deeg, 2020).

Weibler und Deeg schreiben im verlinkten Beitrag, dass Dilemmata in Organisationen grundsätzlich „weniger gelöst als vielmehr (einigermaßen) neutralisiert bzw. in eine bearbeitbare Form gebracht werden, beispielsweise durch zeitliche Entzerrung“.

Für Führungskräfte gilt, dass „eher ein bewusstes Versuchen für den Moment angebracht [ist], das sich dann wieder in eine andere Richtung bewegt, wenn die Nachteile die errungenen Vorteile allmählich überwiegen. Dafür müssen Verschiebungen in deren Verhältnis allerdings aufmerksam beobachtet und am sich abzeichnenden Wendepunkt auch ein Umsteuern aktiv eingeleitet werden“ (ebd.).

Dabei ist relevant, „sich auch in schwierigsten Umständen nicht irritieren zu lassen und im quasi unstillbaren menschlichen Verlangen nach Gewissheit gründenden Versuchungen, nervös nach dem Naheliegenden mittels Heranziehung bestimmter Annahmen, Erklärungen oder Fakten zu greifen, zu widerstehen“ (ebd.).

Die Autoren betonen abschließend, dass es zusätzlich hilft, „ein ‚Entweder-Oder-Denken‘ zugunsten einer ‚Sowohl-als-auch-Herangehensweise‘ aufzugeben und mit Dilemmata möglichst kreativ und konstruktiv umzugehen. Dies ermöglicht es Führungskräften, neue Handlungsspielräume zu eröffnen und geschickter bzw. gewandter zu (re-)agieren, wenn sie sich in oftmals sehr unbehaglichen dilemmatischen Entscheidungssituationen bewegen. Weniger werden solche zukünftig wohl eher nicht“ (ebd.).

Die genannten Aspekte führen zu einer „Führung im Widerspruch“, die Michael Herzka schon 2013 ausführlich mit spezifischem Bezug zur Führung in sozialen Organisationen dargelegt hat.

Das oben beschriebene Dilemma jedoch zeigt sich nicht innerhalb sozialer Organisationen, die organisationsintern mit den mindestens gleichen Dilemmata zu kämpfen haben wie andere Organisationen auch. Das Dilemma zeigt sich vielmehr zwischen der Organisation und den Kostenträgern.

Wie also kann hier vorgegangen werden?

Basics der Organisationsentwicklung, oder: Das Mögliche tun

Oftmals wird die Abhängigkeit von den gesetzlichen Rahmenbedingungen als – überspitzt formuliert – Ausrede herangezogen, um keine Änderungen vornehmen zu müssen („Wir können nicht anders, weil die Kostenträger dies und jenes…“).

Das ist zu kurz gegriffen. Es gibt immer Handlungsoptionen und seien sie auch noch so klein.

Hier setzen die Basics an, die ich in Teams und sozialen Organisationen häufig vermisse. Unter diesen Basics fasse ich auf organisationaler Ebene eine regelmäßige Beschäftigung mit der Mission, der Vision, den Werten und den Strategien der Organisation.

Ich sehe Leitbilder, die vor Dekaden erstellt wurden, Leitbilder, die Werte propagieren, die auf Hochglanzbroschüren in Schubladen, an Wänden oder auch im Internet vergilben. Hier gilt es, diese Leitbilder regelmäßig in die Hand zu nehmen und zu prüfen, ob sie zum einen geeignet sind, Orientierung zu geben und zum anderen zu prüfen, ob sich grundlegende Veränderungen ergeben haben, die eine Anpassung des Leitbilds erfordern.

Auf Teamebene ist es ähnlich: Ich sehe in den seltensten Fällen so etwas wie einen „Teamkodex“, der für die Mitglieder eines Teams Orientierung gibt und darlegt, wie gemeinsam im Team gearbeitet werden soll.

Beides, die iterative Überprüfung des Leitbilds der Organisation sowie die Entwicklung und ebenfalls regelmäßige Überprüfung und Anpassung eines Teamkodex bedeutet nicht, einen riesigen Aufwand betreiben zu müssen. Es bedeutet auch nicht, die Gesamtorganisation komplett auf den Kopf zu stellen, neu, agil, demokratisch oder wie auch immer zu strukturieren.

Vielmehr ist die regelmäßig investierte Zeit in die grundlegenden Strukturen, Prozesse und Arbeitsweisen hilfreich, um für die Zukunft besser in den nicht auflösbaren Widersprüchen Sozialer Arbeit agieren zu können.

Organisationsbewusstsein entwickeln

Den berühmten „Praxisschock“ kennen wahrscheinlich alle, die sich mit Studium und Ausbildung in sozialen Berufen befassen. In Studium und Ausbildung kommt eine Auseinandersetzung mit der Funktionsweise sozialer Systeme zu kurz. Zwar haben Sozialarbeiter:innen (hoffentlich) immer grundlegende systemische Kompetenzen erlangt. Diese beziehen sich jedoch in den allermeisten Fällen auf die Klientensysteme und nicht auf das soziale System „Organisation“. Entsprechend sollte die Funktionsweise von sozialen Organisationen in ihren komplexen Abhängigkeiten unter den aktuellen Gegebenheiten (Fachkräftemangel, Digitalität und Co.) deutlich verstärkt Thema in Ausbildung und Studium werden, damit die Absolvierenden im Arbeitsleben nicht frustriert werden.

Gleiches gilt für Weiterbildungsangebote, die soziale Organisationen für ihre Mitarbeiter:innen und Führungskräfte anbieten: Insbesondere Führungskräfteschulungen sollten einen wesentlichen Teil darauf verwenden, die Funktionslogiken sozialer Systeme in den Mittelpunkt stellen. Damit können zum einen die „Steuerungsphantasien“ der (angehenden) Führungskräfte in Grenzen gehalten und zum anderen Handlungsoptionen zur Gestaltung von Teams und Organisationen – wiederum mit offener Kommunikation über die Dilemmata Sozialer Arbeit – vermittelt werden.

Dialog mit den Kostenträgern

Wie ich im Beitrag oben und bspw. auch hier ausführlich dargelegt habe, „ticken“ soziale Organisationen diametral entgegengesetzt zu den Kostenträgern. Mit anderen Worten:

„Im Gegensatz zu den auf die Gestaltung von Komplexität angelegten Sozialen Organisationen sind die Sozialleistungsträger (u.a. Bund, Länder, Kommunen, Sozialversicherungsträger, Krankenkassen, die für die Kosten aufkommen) nicht im Erziehungssystem anhand der genannten Codes organisiert, sondern fokussieren in ihren Strukturen und Handlungsweisen auf Rechtmäßigkeit und Berechenbarkeit bei hoher Zuverlässigkeit, Effektivität und Effizienz.“

In dem verlinkten Beitrag habe ich als (eine) Lösungsoption formuliert, dass es „im Zuge grundlegender Transformationen gelingen muss, alle basierend auf einer System-Umwelt-Analyse definierten Stakeholder an einen Tisch zu bekommen – und das schon vor dem anstehenden OE-Prozess. Nur durch gemeinsames Verständnis der Anliegen der jeweils anderen Seiten kann (nicht: muss) sich die Option eröffnen, neue Wege gehen und dringend benötigte Experimente in der Neugestaltung pluralisitscher Organisationen realisieren zu können.“

Diese Dialogforen, diese gemeinsamen Gespräche zur zukünftigen Zusammenarbeit vermisse ich noch auf vielen Ebenen – im Kleinen wie im Großen.

Wie wollen wir leben? Oder: Zukunft gestalten

Oben habe ich die Definition Sozialer Arbeit sehr verkürzt und auf die Arbeit mit den Individuen fokussiert dargestellt.

Ausführlich heißt die Definition aber:

„Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen.“

Es kommt die Förderung gesellschaftlicher Veränderungen, sozialer Entwicklungen und die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts hinzu. Krasse Aufgabe, ehrlich gesagt.

Diese Aufgabe beinhaltet eine gesellschaftliche Gestaltungsaufforderung an die Soziale Arbeit. Kurz gesagt:

Wie wollen wir leben?

Diese Frage ist nicht dadurch zu beantworten, dass Soziale Arbeit – neben dem, dass sie Gesetze umsetzen muss – nach immer neuen Lösungen für aktuelle Probleme sucht. Innovation ist gut und wichtig, greift aber – sofern sie auf Problemlösungen ausgerichtet ist – zu kurz.

Wir brauchen vielmehr eine Auseinandersetzung mit wünschenswerten Zukünften.

Dazu bedarf es einer deutlich weitergehenden Perspektive, einem Blick in die nicht existierende Zukunft. Es braucht Szenarien, die zwischen Utopie und Dystopie Möglichkeiten thematisieren, welche gesellschaftlichen Entwicklungen zu welchen Realitäten führen können. Es braucht eine Auseinandersetzung dazu, was Visionen Sozialer Arbeit der Zukunft sein können.

Auf Twitter habe ich mal gefragt: „Was ist eigentlich die Vision der Sozialwirtschaft 2035?“.

Es gab keine Antwort dazu (und ich selbst habe diese Antwort auch nicht.

Und ChatGPT 😉 liefert auf die Frage nach der Vision der Sozialwirtschaft auch wenig Erhellendes (Stärkere Betonung der Nachhaltigkeit, stärkere Nutzung von Technologie, stärkere Betonung sozialer Gerechtigkeit).

Nur in einem Punkt bin ich sehr bei dem, was die AI sagt:

„Ausbau der Zusammenarbeit: Die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Organisationen der Sozialwirtschaft und anderen Akteuren wie der öffentlichen Hand und Unternehmen könnte verstärkt werden, um gemeinsam gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen.“ (siehe oben).

Es ist dringend Zeit, sich mit der Zukunft zu befassen.

Fazit zum Umgang mit Dilemmata

Dilemmata sind normal in Organisationen. Allein das Verhältnis von Organisation und den darin eingespannten Individuen ist hier zu benennen. Weitere Dilemmata habe ich oben angeführt.

Das Dilemma zwischen sozialen Organisationen und den Kostenträgern geht darüber jedoch hinaus. Entsprechend gilt es, auch über die eigene Organisation hinaus zu denken und neben den Handlungsoptionen innerhalb der Organisationen in der Branche der Sozialwirtschaft den Dialog mit den politischen Akteuren, den Kostenträgern, deutlich zu intensivieren. Soziale Arbeit muss aus dieser Perspektive wieder politischer werden.

Hinzu kommt die Auseinandersetzung mit einer Zukunft, die als lebenswert angesehen wird.

Innovationen im Sinne von Problemlösungen reichen da nicht (mehr) aus.

Es gilt, sowohl die Zukünfte Sozialer Arbeit zu gestalten als auch die Organisationsentwicklung soweit möglich in Angriff zu nehmen – weg von der Institutionen- hin zur Personenorientierung.


P.S.: Wenn Du nach dem Lesen dieses Beitrags Deine Organisation zwischen diesen herausfordernden Polen entwickeln magst, stehe ich Dir gerne als Begleiter zur Seite. Einfach hier Kontakt aufnehmen

Das SCARF-Modell und die Sozialen Berufe, oder: Wie Deine Mitarbeiter motiviert bleiben!

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Mit diesem Beitrag will ich die Perspektive verändern vom sozialen System „Organisation“ auf die Ebene der Menschen, der Personen in der Organisation. Mitarbeiter und natürlich Mitarbeiterinnen lassen sich nicht motivieren. Es ist nur möglich, sie nicht zu demotivieren. Aber welche Faktoren sollten gegeben sein, damit es gelingt, Mitarbeiter:innen nicht zu demotivieren? Dazu beschreibe ich im Folgenden das SCARF-Modell – ein Modell, das aus meiner Sicht gut geeignet ist, Ansatzpunkte zu finden, um die Motivation Deiner Mitarbeiter:innen aufrechtzuerhalten.

Das SCARF-Modell

Ganz grundlegend ist das SCARF-Modell ein Modell, das von David Rock im Jahr 2008 entwickelt wurde. Das Modell betrachtet Faktoren, die Auswirkungen auf das Verhalten, auf Performance, Ausgeglichenheit, Kooperation und Lernbereitschaft eines Menschen und damit auf dessen Motivation haben.

Das Modell basiert auf den Erkenntnissen der modernen Hirnforschung und will die elementaren Grundbedürfnisse des Menschen beschreiben.

Die fünf elementaren Grundbedürfnisse des Menschen sind laut dem Modell:

  • – Status,
  • – Certainty (Sicherheit)
  • – Autonomy (Selbstbestimmung)
  • – Relatedness (Verbundenheit) und
  • – Fairness.

Ich will hier gar nicht tiefer in die Beschreibung der Hintergründe des Modells eintauchen. Diese sind sehr schön aufbereitet im Blog „Digitale Neuordnung“ von Andreas Diehl beschrieben.

Aber was genau steht hinter den Grundbedürfnissen?

Status

Das Grundbedürfnis „Status“ bezieht sich auf die relative Stellung einer Person zu anderen Personen und damit auf den „sozialen Status“ einer Person. Es geht darum, dass wir uns wünschen, dass unsere Fähigkeiten und Kompetenzen anerkannt und unsere Leistungen gewürdigt werden.

Als Führungskraft gilt es, die Anerkennung tatsächlich in Bezug auf die Leistung zu erklären und nicht bezogen auf die Person. Wenn die Person gewürdigt wird („Der Klaus ist ein toller Typ!“) erhöht dies den Status des Gewürdigten zulasten des Status anderer Teammitglieder.

Entsprechend gilt es, den Einsatz der Mitarbeiter:innen, ihre Leistungen bezogen auf eine konkrete Aufgabe anstatt die „Person als Ganzes“ zu würdigen.

Wenn wir an dieser Stelle einmal rauszoomen und die Stellung der Berufe des Gesundheits- und Sozialwesens in der Gesellschaft betrachten, wird es aus meiner Sicht spannend: Im Verhältnis zu anderen Berufen ist der Status, die Wertschätzung sozialer Berufe leider nicht dort, wo sie sein sollte.

Selbst eine Pandemie hat nicht geholfen, die nicht nur system-, sondern überlebensrelevanten Berufe in ihrem Status wirklich anzuheben. Klar, in politischen Sonntagsreden wird zwar die Bedeutung von Erzieher:innen betont, die Wichtigkeit der Pflege mit viel Klatschen unterstrichen oder die Soziale Arbeit insgesamt hervorgehoben.

In der Realität der Aufwertung sozialer Berufe passiert jedoch wenig. Im Gegenteil: Aktuelle Einsparungsnotwendigkeiten setzen zuerst am Kontext Kultur, spätestens dann aber am Sozialen an. Freiwillige Leistungen können wir sowieso abschreiben, aber auch gesetzlich vorgeschriebene soziale Dienstleistungen kommen massiv unter Druck.

Dass nicht unbedingt viele Menschen einen sozialen Beruf ergreifen und sich der Fachkräftemangel auch durch fehlenden Status des gesamten Berufsfelds verschärft, liegt auf der Hand.

Wieder reingezoomt in die Arbeit in Deinem Team stellen sich Fragen wie:

  • – Wie ist Dein Status bezogen auf die anderen Mitarbeiter:innen?
  • – Werden Deine Leistungen durch Deine Führungskraft angemessen gewürdigt?
  • – Werden die Leistungen bspw. durch Angehörige, durch Eltern, gewürdigt?
  • – Wie kann es Dir in Deinem aktuellen Umfeld gelingen, Deinen „Status“ zu erhöhen?

Und als Führungskraft sind es ähnliche Fragen:

  • – Wo würdigst Du die Personen anstatt deren Leistungen?
  • – Welche positiven Leistungen der Teammitglieder kannst Du erkennen, die dringend gewürdigt werden sollten?
  • – Wo feiert ihr Eure gemeinsam erreichten Erfolge?
  • – Wie gehst Du mit bspw. tariflich bedingten Unterschieden in Deinem Team um (Assistenzkräfte, Referent:innen…)?

Certainity – Sicherheit

Jeder Mensch braucht einen sicheren Rahmen, grundlegend erfüllte Bedürfnisse, ohne die ein Leben nicht möglich ist. Maslows Bedürfnispyramide setzt nicht umsonst nach den physiologischen Bedürfnissen das Bedürfnis nach Sicherheit auf Ebene 2.

Im Kontext der (Zusammen-)Arbeit gilt genauso, dass Abläufe eine gewisse Stabilität und Vorhersagbarkeit haben müssen, damit Lernen, Kooperation und gute Zusammenarbeit überhaupt möglich sind und nicht Angst und Unsicherheit überwiegen.

Wichtig dabei ist, dass nicht jede:r Mitarbeiter:in das gleiche Bedürfnis nach Sicherheit hat. Manche Mitarbeiter:innen kommen durch die kleinsten Veränderungen an die Grenze des Aushaltbaren, wohingegen eine gewisse Unsicherheit bei anderen erst die Neugier weckt.

Wieder rausgezoomt sehen wir in den globalen und nationalen Entwicklungen einen enormen Anstieg schneller Veränderungen, Dynamik und Komplexität – VUCA, ick hör dir trapsen. Das löst bei vielen Menschen den Ruf nach „klaren Antworten“, nach Sicherheit und Vorhersagbarkeit aus, ohne diese Antworten und damit Sicherheit geben zu können. UNsicherheitsbewältigungskompetenz oder auch Ambiguitätstoleranz ist gefragt, wird aber im Bildungssystem wenig gefördert, was zu den aufsteigenden rechtsextremen Tendenzen und einer Krise der Demokratie führt.

Zurückgezoomt in soziale Berufe kann man einerseits sagen, dass die Jobsicherheit enorm hoch ist:

Um unter den aktuellen Bedingungen bspw. als Erzieher:in oder Pflegekraft gekündigt zu werden, sind schon einige Anstrengungen erforderlich. Ob das für die Organisationen immer gut ist, wage ich zu bezweifeln, aber das ist ein anderes Thema.

Direkt im Beruf, in der Interaktion mit dem Klient:innen, in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen oder auch alten Menschen ist die Unsicherheit andererseits enorm groß:

Wenn ich an meine eigene Zeit in der stationären Jugendhilfe und der Arbeit mit männlichen Jugendlichen denke, gab es Situationen, die von körperlicher Bedrohung geprägt waren – das Gegenteil von Sicherheit. Und meine Frau, die als Erzieherin und Heilpädagogin in einer Kita arbeitet, muss sich jeden Tag auf das einstellen, was vor Ort zum jeweiligen Zeitpunkt neu passiert – es ist nie sicher, was passiert.

Als Teamleitung und Führungskraft folgt daraus, dass es gerade in sowieso unsicheren Settings darauf ankommt, soweit wie es eben geht einen “sicheren”, vorhersagbaren und verlässlichen Rahmen der Zusammenarbeit zu gestalten. Unsicherheit, Chaos und fehlende Verlässlichkeit senken das Sicherheitsempfinden und werden als Bedrohung empfunden.

Es gilt, möglichst klare klare Spielregeln, feste Rahmenbedingungen oder auch „Leitlinien für die Arbeit im Team“ zu formulieren, die regeln, wie zusammengearbeitet wird. Ich finde es ehrlich gesagt immer wieder faszinierend, dass diese einfachen Möglichkeiten in den Teams sozialer Organisationen kaum berücksichtigt werden.

Autonomie

Die dritte Dimension im SCARF Modell – Autonomie – scheint im Gegensatz zu stehen zum Bedürfnis nach Sicherheit. Aber Menschen sind autonome Wesen. Menschen wollen ihr Umfeld frei gestalten und kontrollieren. Es geht weniger um ein „entweder – oder“, als um ein „sowohl, als auch“: Menschen wollen sowohl ihre Arbeit frei gestalten und über hohe Entscheidungsspielräume verfügen und gleichzeitig ein Sicherheitsempfinden haben.

Auch wenn es kaum erwähnenswert ist, ist wieder darauf hinzuweisen, dass es natürlich unterschiedliche Menschen mit unterschiedlich ausgeprägtem Bedürfnis nach Autonomie gibt.

An dieser Stelle will ich kurz rauszoomen auf die Ebene der Profession und Disziplin Sozialer Arbeit: Gemäß der internationalen Definition Sozialer Arbeit der IFSW ist Aufgabe Sozialer Arbeit u.a. die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Hier geht es also explizit darum, den Handlungsspielraum der Menschen zu erweitern und Möglichkeiten der Erfahrung von Selbstwirksamkeit zu schaffen.

Und zurück in die Tiefen des operationalen Alltags könnte man in sozialen Berufen ja annehmen, dass – wenn die Sicherheit kaum gegeben ist – zumindest Autonomie und Selbstbestimmung, Wahlfreiheit, Mitbestimmungsmöglichkeiten usw. in besonderem Ausmaß gegeben sind, oder?

Wer aber einmal Zeit mit kleinen Kindern verbracht hat, weiß, dass oft genau das Gegenteil Realität ist:

In der Arbeit mit Menschen geht es eben nicht darum, selber zu entscheiden, sondern emphatisch den Weg mitzugehen, der vom Gegenüber eingefordert bzw. gerade benötigt wird. Kurz: Wenn Fritzchens Windel voll ist fällt Ottos Glas herunter und gleichzeitig haut Paula dem Emil auf’s Maul, weil es ihr Eimer ist oder zumindest werden soll.

Für Führungskräfte und Teamleitungen gilt entsprechend, dass es relevant ist, die Mitarbeiter:innen zumindest dort partizipieren zu lassen, wo dies möglich ist. Insbesondere ist es relevant, Beteiligungsmöglichkeiten in der Entwicklung von Zielen und Zwecken und der oben angesprochenen Rahmenbedingungen der gemeinsamen Arbeit zu schaffen. Wenn auf diesen Ebenen ebenfalls Fremdbestimmung vorherrscht, fühlen sich die Mitarbeiter:innen komplett – genau – fremdbestimmt.

Relatedness – Verbundenheit

Verbundenheit beschreibt das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gruppe – das “Wir Gefühl”.

Andreas Diehl schreibt, dass die Verbundenheit als „der wichtigste Faktor im SCARF Modell“ angesehen werden kann:

„Denn die moderne Hirnforschung zeigt, dass der Ausschluss aus einer Gruppe die gleichen neuronalen Netzwerke aktiviert wie physischer Schmerz. Das mag evolutionsbiologische Gründe haben, schließlich war der Ausschluss aus der Sippe vor ein paar tausend Jahren ein fast sicheres Todesurteil.“

Andreas Diehl

Daraus resultiert, dass Menschen Gruppen gründen und sich diesen zugehörig fühlen wollen. Neue Menschen, der Wechsel in ein anderes Team und natürlich eine Kündigung werden als Bedrohung wahrgenommen. Das erklärt auch, warum es so wichtig ist, Räume und Zeiten zu schaffen, in denen Menschen „einfach so“ und scheinbar belanglos beieinander sein können: Kaffeeecken, Weihnachtsfeiern, gemeinsames Ablästern uvm. sind dafür da, genau diese Verbundenheit herzustellen – in allen und vielleicht sogar noch mehr in sozialen Arbeitskontexten.

Aus meiner ganz individuellen Perspektive stelle ich mir hier die Frage, wo denn meine Verbundenheit herkommt? Eine Idee ist, dass ich mich – neben meiner kleinen Familienherde – beruflich sehr, sehr verbunden fühle zu meiner Aufgabe, meiner Passion, meiner Möglichkeit, mich mit Dingen zu befassen, auf die ich tief im inneren richtig Bock habe. Und trotzdem brauche ich immer wieder den Austausch mit Menschen, die ganz ähnliche Arbeit machen – Grüße an die Fraggles-Runde – oder auch den „belanglosen“ Austausch bspw. beim IdeeQuadrat Check In – reinschauen lohnt sich 😉

Und hier habe ich beschrieben, wie es gelingen kann, eine Kultur der Verbundenheit in Deiner Organisation zu erzeugen.

Fairness

Fairness ist beschreibt den in uns Menschen tief verankerten Wunsch nach Gerechtigkeit.

Das im Beitrag von Andreas Diehl beschriebene Ultimatumspiel zeigt eindrücklich auf, dass wir uns eher selbst schaden, als Ungerechtigkeit zuzulassen.

Du kennst es schon, ich zoome mal kurz wieder raus:

Die Anerkennung sozialer Berufe, die in unserer Gesellschaft auch mit Bezahlung einhergeht, zeigt, dass es mit der Fairness nicht weit her ist. Überlebensrelevante Berufe werden im Verhältnis zu Bullshit-Jobs (ich weiß, etwas überspitzt ausgedrückt) nicht fair honoriert. Mehr noch: Es gibt Studien, die darlegen, dass Berufe mit den höchsten Gehältern keinen gesellschaftlichen Mehrwert liefern bzw. diesen sogar zerstören. Der gesellschaftliche Impact einer Pflegekraft ist weit höher als der eines Investmentbankers, was im Gegensatz zu deren Bezahlung steht.

Zurück ins Team ist es hochgradig relevant, klare Erwartungen, Ziele und Spielregeln zu etablieren, die für alle Mitarbeiter:innen möglichst fair und gerecht sind. Andreas Diehl schreibt:

Sobald Entscheidungen einen Hauch von Willkür tragen oder nicht ausreichend begründet sind, mag es vorkommen, dass Mitarbeiter mit Entzug und Widerstand reagieren.“

Entsprechend gilt es, transparent mit Informationen umzugehen, Mitarbeiter:innen aktiv einzubeziehen und teambasierte Entscheidungen zu treffen. Dies zahlt wiederum auf Status und Autonomie ein.

Neue Formen der Zusammenarbeit und das SCARF Modell

Interessant ist ja, dass an allen Ecken und Enden daran gearbeitet wird, Organisationen zeitgemäß und bedarfsgerecht zu gestalten, mehr Selbstbestimmung und Eigenverantwortung zu etablieren, die interne Komplexität in Organisationen über die Gestaltung selbstbestimmt agierender Teams zu erhöhen usw. Ich bin selbstverständlich der Letzte, der etwas dagegen hat 😉

All diese Bemühungen verändern jedoch – sofern sie ernstgemeint sind und echte Musterwechsel erfolgen sollen – die Art der Zusammenarbeit:

Das, was bisher galt, gilt zukünftig nicht mehr oder zumindest nicht mehr so ganz. Wenn man das SCARF-Modell in den Hintergrund legt, wundert es nicht, dass Mitarbeiter:innen mit Widerstand auf die neue Situation, auf angeblich neue, moderne Arten der Zusammenarbeit reagieren – egal in welchem Arbeitskontext.

Wenn man außerdem die Besonderheiten sozialer Organisationen und die Besonderheiten sozialer Arbeit berücksichtigt, wird deutlich, dass der alleinige Ruf nach „mehr Agilität“, nach Eigenverantwortung der Mitarbeiter:innen und Co. nicht immer der Weisheit letzter Schluss ist:

Wenn die Mitarbeiter:innen an der Basis tagtäglich mit enormer Unsicherheit konfrontiert sind, macht es bspw. Sinn, anstatt einfach nur mehr Unsicherheit und Eigenverantwortung zu verlangen, Sicherheit in den Rahmenbedingungen, im „Wie“ der gemeinsamen Arbeit zu schaffen.

Konkret habe ich oben die Idee der Leitlinien für die Zusammenarbeit im Team aufgeführt:

Über klar vereinbarte Regeln und Vorgehen und die Einforderung der Einhaltung dieser Regeln wird die Unsicherheit auf Seiten der Mitarbeiter:innen zumindest in den Bereichen gesenkt, in denen dies möglich ist:

  • – Was ist das Ziel unserer Arbeit?
  • – Welche Werte leiten unser Handeln?
  • – Wer im Team hat welche Rolle und Zuständigkeiten?
  • – Welche Prozesse können wir wie gestalten?
  • – Wo ist Zeit für persönlichen Austausch, wo arbeiten wir aber konkret an Ergebnissen?
  • – Wie werden Entscheidungen getroffen?

Das widerspricht überhaupt nicht den agilen Arbeitsweisen, im Gegenteil:

Agilität braucht klare Strukturen.

Die Arbeit mit dem SCARF-Modell im Team

Das SCARF-Modell eignet sich super für Teamentwicklungen und die Gestaltung der Zusammenarbeit.

Denkbar ist, dass sich zu Beginn eines Workshops und der Vorstellung des Modells jede:r Mitarbeiter:in bezogen auf die fünf Bereiche zum aktuellen Zeitpunkt einordnet. Daraus wird auch deutlich, welches Bedürfnis für wen im Team welche Bedeutung hat. Daran anschließend wird (anonym oder offen) abgefragt, wie denn für jede:n die optimale Situation aussehen würde – ein klassischer Soll-Ist-Abgleich.

Im Anschluss diskutiert ihr die Ergebnisse im Team.

Wie Andreas Diehl sehr passend schreibt:

„Damit erhältst Du nicht nur einen Spiegel deiner Teamdynamik, sondern siehst als Führungskraft, welche Faktoren unter Umständen mehr Aufmerksamkeit benötigen. Vor allem aber stärkt das die Verbundenheit im Team. Denn plötzlich sieht jeder, dass es den anderen genauso geht.“

Außerdem kann das Modell eine spannende Grundlage für Mitarbeiter:innengespräche sein, die tiefer gehen als das übliche, strategisch orientierte Blabla…

Die individuelle Arbeit mit dem SCARF-Modell

Neben der Arbeit im Team und die Möglichkeiten, die sich daraus für die Teamgestaltung ergeben, ist das Modell auch für die Betrachtung der eigenen beruflichen Situation sehr hilfreich:

Wie steht es in Deinem beruflichen Kontext um

  • – Status,
  • – Sicherheit,
  • – Autonomie,
  • – Verbundenheit und
  • – Fairness?

Und was kannst Du tun, um einen vielleicht für Dich nicht passenden Bereich zu verbessern? Dazu hilft es wenig, von heute auf morgen zu kündigen oder Dir große, neue Ziele zu setzen, ohne zu wissen, wie Du diese erreichen kannst.

Hilfreicher ist es oft, zu überlegen, welche kleinen Schritte Du jetzt tun kannst, um Verbesserungen zu erreichen:

  • – Welche Mittel hast Du jetzt zur Verfügung?
  • – Wen kennst Du, der/die Dir vielleicht einen Schritt weiterhelfen kann?
  • – Welche neuen Ideen und Möglichkeiten, welche neuen Ressourcen ergeben sich daraus?

Ich für meinen Teil habe durch die Selbständigkeit den Bereich „Sicherheit“ natürlich maximal reduziert, was meinen inneren Sicherheitsbeauftragten immer wieder zur Verzweiflung bringt. Aber was kann ich jetzt, heute, mit den vorhandenen Mitteln tun, damit dieser trotzdem befriedigt wird? Zum Beispiel Blogbeiträge schreiben 😉

Ach ja, es kann auch Sinn machen, außerhalb Deines Berufs zu schauen, ob Du Deine Bedürfnisse besser erfüllen kannst: Vielleicht gibt Dir die Vorstandschef im Kaninchenzuchtverein das, was Du im Beruf nicht findest?

Motivation behalten

Zusammenfassend ist das SCARF-Modell sehr gut geeignet, auf die Bedürfnisse zu schauen, die es braucht, um die Motivation aufrecht zu erhalten – aus beiden Perspektiven:

  • – Als Führungskraft kannst Du darauf schauen, was es in Deinem Team braucht, damit Deine Mitarbeiter:innen motiviert bleiben.
  • – Und Du selbst kannst für Dich schauen, was Du brauchst, damit Du Deine Motivation im Job nicht verlierst.

Dabei gilt es immer, auch die Rahmenbedingungen im Blick zu halten, die Deine aktuelle Tätigkeit beeinflussen. Die Rahmenbedingungen sind manchmal gestaltbar, manchmal aber auch nicht.

Aber genau daraus kannst Du dann ableiten, was es für Dich und Dein Team zum aktuellen Zeitpunkt braucht.

In diesem Sinne: Frohes Schaffen! 😉

Danke, oder: Weihnachtsretro 2022

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Mit dem letzten Beitrag im Jahr 2022 will ich Dir einfach nur Danke sagen! Und ja, ich will auch einmal auf das Jahr 2022 – also zurück – schauen. Aber zuerst einmal:

Danke!

Danke dafür, dass Du meine Beiträge liest. Und noch mehr Danke dafür, dass wir (je nach Leser_in) zusammen gedacht, gelacht, gemacht haben. Für mich ist das großartig, an vielen Stellen sogar unglaublich.

Warum?

Das will ich im Folgenden anhand einer kleinen Retrospektive des Jahres 2022 erläutern. Und nein, ich will nicht auf die herausfordernden Seiten des Jahres blicken – gerade weil die Probleme uns von allen Seiten anspringen.

Denn in einem Weihnachtsgruß (danke an dieser Stelle an alle Weihnachtsgrüßler_innen) stand der Satz

„Resignation ist keine Option!“

Aber los jetzt, wie war das oder besser: mein Jahr 2022?

Was war richtig gut?

Punkt 1: Das Jahr aus Perspektive von IdeeQuadrat.

Ja, wir reden in good old Germany nicht über Geld und Du wirst hier auch nicht mehr erfahren als die Tatsache, dass es mir gelungen ist, meine Familie auch mit selbständiger Arbeit nicht verhungern zu lassen. Das ist natürlich völlig untertrieben: Es war ein geschäftlich gutes Jahr (wenn wir mal das Finanzamt außen vorlassen…). Und das ist, vor allem wenn ich an den Beginn des Jahres denke, unglaublich. Dazu aber später mehr.

Dass es ein gutes Jahr war resultiert natürlich aus Dir, aus Euch, aus den Menschen, mit denen ich zusammen arbeiten durfte. Und die Menschen waren wirklich immer richtig gut.

Jede*r, mit dem ich zusammenarbeiten durfte, hatte das Bedürfnis, Dinge in die Hand zu nehmen, die eigene Organisation zu entwickeln, andere Menschen über Veranstaltungen zu inspirieren, dazu anzuregen, über den Tellerrand des mehr als herausfordernden Business as Usual hinauszuschauen.

Richtig gut war auch die Entscheidungen, eigene, kleine Online-Workshops durchzuführen. Auch darüber habe ich viele neue Menschen kennengelernt und konnte hoffentlich einige Ideen weitertragen, die dann in der eigenen Organisation Wurzeln schlagen und zu echter Entwicklung führen.

Und richtig gut ist es, jetzt einige Tage innehalten zu können und nicht zu arbeiten 😉

Was habe ich gelernt?

Ich habe gelernt…

…wie unfassbar großartig die Arbeit ist, die in vielen Einrichtungen und Organisationen trotz herausfordernder Bedingungen geleistet wird.
…dass es 2022 leider besser war, das Auto anstatt den Zug zu nehmen.
…dass es nicht reicht, Veränderung einseitig zu betrachten, sondern immer das komplexe, zu verändernde System mit allen Facetten mitgedacht werden muss.
…besser meinen eigenen, dunklen Seiten und tief verborgenen Ängsten begegnen zu können, ohne gleich wegzurennen.
…mehr Vertrauen in mich und die Menschen um mich herum zu haben.

Ich habe das Jahr 2022 mit dem Versuch einer Vorausschau, mit meiner Strategie 2025 gestartet, die unter dem Titel „Verführungen am äußeren Rand der Panikzone“ stand.

Dazu lässt sich zusammenfassend sagen, dass ich 2022 Gott sei Dank aus der Panikzone in die Lernzone gelangt bin. Nein, die Lernzone ist nicht meine Komfortzone.

Und das ist gut so.

Was hat mir gefehlt?

2022 hat mir schon an manchen Tagen das Vertrauen in mich und meine Entscheidung gefehlt. Ich habe mich selbständig gemacht. Krasser Scheiß! Von vielen Menschen habe ich gehört, wie mutig das gewesen wäre.

Ich habe dann immer geantwortet, dass der Grat zwischen Mut und Wahnsinn ziemlich schmal ist – vor allem dann, wenn man nicht nur für sich da ist, sondern für eine Familie mit drei Kindern Verantwortung trägt.

Gefehlt hat mir an manchen Stellen Unterstützung dahingehend, dass es so viele große Themen zu bearbeiten gibt, die aber allein nicht angegangen werden können, da die zeitlichen Ressourcen dafür fehlen. Zum einen heißt es hier Abstand nehmen und sich auf den eigenen Circle of Influence zu fokussieren.

Zum anderen bleiben Gedanken, Ideen, Visionen, wie IdeeQuadrat sinnvoll, gut und sicher wachsen und sich entwickeln kann.

Und noch ein ähnlicher, aber übergreifender Aspekt, der mir gefehlt hat:

In meinem letzten Newsletter habe ich mich über die bei Kund_innen fehlenden Ressourcen für wirklich nachhaltige Veränderung aufgeregt.

Um aber von der Funktionsoptimierung zum Prozessmusterwechsel (vgl. Kruse, 2020, 24ff), zum Neuen, zu innovativem Handeln gelangen zu können, braucht es Mut zum Risiko. Es gilt, die Unsicherheit in Phasen der Instabilität auszuhalten. Prozessmusterwechsel gelingen dann, wenn Systeme in aus der Stabilität in „kritische Instabilität“ (vgl. ebd., 61) versetzt werden und von dort aus Neugestaltung stattfinden kann (der Beginn der Pandemie war ein gutes Beispiel).

Um die Phasen der Unsicherheit, der kritischen Instabilität auszuhalten und bewältigen zu können, sind jedoch wiederum Ressourcen notwendig, wenn gleichzeitig zur Neugestaltung der „Laden am Laufen gehalten“ werden soll. Und diese Ressourcen fehlen angesichts der zu 120% ausgelasteten Systeme, sozialen Organisationen, Einrichtungen an vielen Stellen.

Das ist nur zum Teil eine Frage der Prioritäten der Mittelverwendung der Organisationen. Es ist vor allem eine Frage der angemessenen Finanzierung sozialer Dienstleistungen. Diese muss es ermöglichen, einen angemessenen Overhead für wirksame Personal- und Organisationsentwicklung bereitzustellen.

Abschließend hat mir mit Blick auf die gesellschaftlichen Entwicklungen (immer noch) gefehlt, dass unsere Branche angemessen in der öffentlichen Wahrnehmung berücksichtigt wird. Angesichts der Polykrisen unserer Zeit und der Möglichkeiten der Sozialwirtschaft, in diesen Krisen echte Lösungen zu bieten, ist das dramatisch.

Die fehlende Aufmerksamkeit ist sicherlich ein hausgemachtes Problem: Politische Kommunikation, Selbstvermarktung, „einen auf dicke Hose machen“ liegt uns nicht unbedingt und wird auch im Studium nicht vermittelt. Die Sozialwirtschaft tut Gutes, redet aber nicht darüber.

Und dann kommen „Social Entrepreneurs“, deren Beitrag zur Innovation sozialer Dienstleistungen ich in keinster Weise in Abrede stellen will, die aber mit „einfachen Lösungen“ wunderbar an die Politik andocken können. Politik braucht kurze Antworten, Politik braucht Lösungen, die medienwirksam „rausgehauen“ werden können. Da passen komplexe, systemische Herangehensweisen nicht so geil (wahrscheinlich ein Wort, das niemand mehr nutzt, außer so GenXler).

Hier müssen wir in Zukunft nachlegen.

Wonach sehne ich mich?

Ich will diesen letzten Punkt nicht vertieft besprechen. So müsst ihr Euch darauf einstellen, auch einen Beitrag zum Ausblick für 2023 zu lesen. Das kommt dann aber im Januar 😉

Nur ein paar Gedanken:

Angesichts des oben Geschriebenen sehne ich mich 2023 nach mehr Vertrauen in meine Entscheidungen.

Und ich sehne mich danach, meine „Work-Life-Balance“ besser in den Griff zu bekommen. Darin, im Ausgleich, im Finden der guten Mitte zwischen Anspannung und Entspannung, in der Verbindung aus Ying und Yang war ich noch nie gut. In der Selbständigkeit ist das nicht unbedingt von Vorteil 🙂

Ich sehne mich auch danach, Ideen, Möglichkeiten, Gedanken, Methoden, Herangehensweisen, Fragen zu den mich beschäftigenden Themen tiefer durchdenken zu können. So habe ich gelernt – ein Punkt für oben – das es einen Unterschied gibt zwischen Arbeit und bezahlter Arbeit. Ich liebe es, zu schreiben, zu denken, zu verbinden, zu recherchieren, um darüber zu Antworten zu kommen, die auf den ersten Blick nicht offensichtlich waren. Hier würde ich gerne mehr reingehen.

Und jetzt sehne ich mich danach, abzuschalten, rauszukommen, Family und Weihnachten zu genießen, die Rauhnächte zu erleben und das, was war, loszulassen, offen zu werden, mich wieder zu sammeln und auf das Neue zu fokussieren.

Habt eine gute Zeit, gesegnete Weihnachten, einen guten Start ins Jahr 2023! Und noch einmal:

Danke!

P.S.: Die Grafik oben ist von meiner Tochter, K1 😉

Quellen

Kruse, Peter, Andreas Greve, und Frank Schomburg. Next practice – erfolgreiches Management von Instabilität: Veränderung durch Vernetzung. 9., um Ein Geleitwort erweiterte Auflage. Offenbach: GABAL, 2020.

Das GRPI-Modell zur Teamentwicklung

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Bei meiner Arbeit in sozialen Organisationen habe ich es in den allermeisten Fällen mit Teams zu tun. Und wiederum in den allermeisten Fällen geht es darum, die Zusammenarbeit der Menschen in den Teams zu verbessern – durch die Einführung von Strukturen der Selbstorganisation, durch das Finden eines gemeinsamen Zwecks, durch die Entwicklung von Leitlinien, die Klarheit und Verbindlichkeit in der Zusammenarbeit schaffen sollen, und so weiter und so fort… Doch vor der Einführung neuer Strukturen, Methoden etc. steht die Frage: Wo liegen eigentlich genau die Probleme, die gelöst werden sollen? Um diese Frage zu beantworten, verwende ich unter anderem gerne das GRPI-Modell.

Dieses einfache, aber wirkungsvolle Modell möchte ich im Folgenden vorstellen. Dabei werde ich zunächst erläutern, was das Modell ist, um dann zu beschreiben, wie ich damit arbeite. Vielleicht ergeben sich daraus hilfreiche Optionen für die Arbeit in Deinem Team und/oder Deiner Organisation?

GRPI-Modell – was ist das eigentlich?

Das GRPI-Modell wurde 1972 von dem amerikanischen Organisationstheoretiker Richard Beckhard entwickelt. Das Modell kann verwendet werden, um die Ursachen von Problemen und Störungen in Teams zu diagnostizieren.

Auf der Grundlage dieser Diagnose kann dann die Effektivität, Produktivität, Qualität und Effizienz von Teams verbessert werden.

Das Modell betrachtet die vier Schlüsseldimensionen Ziele (Goals), Rollen (Roles), Prozesse (Processes) und Beziehungen (Interpersonal Relationships), die aus Beckhards Sicht zu Konflikten in Teams führen, wenn sie nicht klar und transparent sind.

Vereinfacht stellt das Modell folgende Fragen:

  • „Tun wir die richtigen Dinge?“ (Goals)
  • „Tun die richtigen Menschen die richtigen Dinge?“ (Roles)
  • „Tun wir die richtigen Dinge richtig?“ (Processes)
  • „Tun wir die richtigen Dinge miteinander richtig?“ (Interpersonal Relationsships)

Etwas differenzierter ist unter den vier Dimensionen Folgendes zu verstehen:

  • Goals (Ziele) fragt nach dem Zweck des Teams: Wozu existiert das Team und was ist seine Daseinsberechtigung? Was soll es erreichen? Hier geht es auch darum, wer die Stakeholder des Teams sind, d.h. wer was von den Ergebnissen des Teams hat.
  • Roles (Zuständigkeiten, Rollen) beschäftigt sich mit der Aufgabenverteilung im Team. Hier steht die Frage im Vordergrund, welche unterschiedlichen Rollen, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten es im Team gibt und wie klar oder unklar diese formuliert sind?
  • Processes fokussiert auf die Arbeitsabläufe, Arbeitsweisen, Regeln und Vorgaben, an denen sich das Team in seiner Arbeit orientiert. Auch hier steht im Mittelpunkt, ob und wie klar diese Konditionalprogramme (Wenn-Dann-Regeln) formuliert sind und wie effektiv bzw. effizient sie sind.
  • Interpersonal Relations (Beziehungen) fragt nach der Atmosphäre im Team: Wie wird das Miteinander, der Teamgeist, der Zusammenhalt und das gegenseitige Vertrauen bewertet und wo gibt es Interventionsbedarf?

Interessant an dieser Stelle finde ich die Überschneidung zu den Ergebnissen der Aristotle-Studie von Google, zu der Du hier mehr Informationen findest. Nur kurz:

In der Studie wurden rund 180 Google-Teams untersucht, um Muster zu finden, warum einige Teams scheitern, während andere Spitzenleistungen erbringen. Relevant für eine gute Zusammenarbeit im Team ist demnach, dass alle Teammitglieder zu Wort kommen und der Umgang miteinander respektvoll und von Sicherheit und Verlässlichkeit geprägt ist (Interpersonal Relationsships). Darüber hinaus sind Klarheit und Struktur sowie Sinnhaftigkeit und Selbstwirksamkeit wichtig (Goals, Processes, Roles).

Arbeiten mit dem GRPI-Modell

Zu Beginn habe ich geschrieben, dass ich das Modell in meiner Arbeit mit Teams implizit oder explizit verwende.

Implizit bedeutet, dass ich es bei bestimmten Themen einfach „im Kopf“ als Hintergrundfolie mitlaufen lasse:

  • Was ist das für ein Team, das ich hier vor mir habe?
  • Wo könnten Fragen liegen, die das Team beschäftigen?
  • Wie agieren die Teammitglieder miteinander?
  • Wo – an welcher Stelle des GRPI-Modells – liegen die größten Herausforderungen?

Auf dieser Basis entwickle ich Hypothesen, die ich durch gezieltes Nachfragen teste, um daraus bessere Handlungsoptionen für das Team, aber auch für mich zu generieren.

Explizit bedeutet, dass ich zu Beginn einer Zusammenarbeit das GRPI-Modell als Grundlage für die Teamanalyse verwende.

Dazu stelle ich – z.B. im Rahmen einer Teamklausur – das Modell in einem ersten Schritt kurz vor und erläutere den Nutzen und die im Folgenden dargestellten Fragestellungen. Es ist von Vorteil, dass das Modell leicht verständlich ist. Gleichzeitig ist zu betonen, dass es sich um ein Modell handelt und daher die komplexe Realität eines Teams nie vollständig erfassen kann.

Nach der Vorstellung des Modells werden die vier Dimensionen des Modells vertieft. Dies geschieht anhand der folgenden Fragen:

Goals

Unklare Ziele und ein unklares Verständnis der gemeinsamen Ausrichtung und des Zwecks – des „purpose“ – des Teams führen zu enormer Ineffizienz und bergen ein großes Konfliktpotenzial.

Daher ist es wichtig, ein gemeinsames Verständnis der Ziele und des Zwecks des Teams zu schaffen. Zu diesem Zweck sollte sich jedes Teammitglied zunächst allein, dann in Kleingruppen und schließlich im gesamten Team über folgende Fragen verständigen (methodisch bspw. mithilfe der Methode 1 – 2 – 4 – all aus den Liberting Structures):

  • Was ist der Zweck unseres Teams? Welchen Zweck wollen wir für wen erreichen?
  • Was genau soll das Ergebnis für die Nutzer_innen sein? Was wird sich für die Nutzer_innen verändert haben, wenn wir unser Ergebnis erreicht haben?
  • Wie werden wir unseren Fortschritt messen? Welche messbaren oder beobachtbaren Indikatoren legen wir fest?
  • Welche Ziele, die wir erreichen wollen, leiten sich aus dem Zweck ab? Wie unterteilen wir die Ziele in Unterziele? Wie und wie oft überprüfen wir unsere Ziele und Teilziele?
  • Stehen unsere Ziele und die Art und Weise, wie wir an ihnen arbeiten, noch im Einklang mit unserem Umfeld? Werden die Bedürfnisse und Erwartungen unserer Stakeholder erfüllt?
  • Stehen alle im Team hinter unseren Zielen?

Roles

Ein klarer Zweck und daraus abgeleitete Ziele allein reichen nicht aus, um wirklich gut zusammenarbeiten zu können.

Wenn die Struktur des Teams sowie die Rollen und Verantwortungsbereiche unter den Teammitgliedern nicht klar sind und außerdem nicht den Kompetenzen der Rolleninhaber:innen entsprechen, entstehen Probleme, Konflikte und Schuldzuweisungen.

Insbesondere stelle ich in der Arbeit mit Teams fest, dass Konflikte häufig auf sich überschneidende Verantwortungsbereiche zurückzuführen sind, die zu Machtkämpfen zwischen den Rolleninhaber_innen führen können.

Die Beantwortung der folgenden Fragen kann Klarheit in die Gestaltung der funktionalen Rollen und Verantwortungsbereiche im Team bringen:

  • Welche Aufgaben fallen bei uns an, um unsere Ziele zu erreichen? Tragen die Aufgaben dazu bei, unsere Ziele zu erreichen, oder beschäftigen wir uns hauptsächlich mit uns selbst bzw. mit organisationsinternen Bezügen?
  • Wer soll was tun? Wer ist für welche Aufgaben zuständig? Wer in unserem Team hat welche Befugnisse?
  • Sind unsere Rollen klar beschrieben und verstehen alle Teammitglieder ihre eigenen Rollen und Verantwortlichkeiten? Sind allen Teammitgliedern die Rollen und Verantwortungsbereiche der anderen Teammitglieder klar?
  • Sind alle Teammitglieder mit ihren Rollen und Zuständigkeiten zufrieden? Entsprechen die Rollen der einzelnen Teammitglieder ihren persönlichen Ambitionen (Wollen) und Fähigkeiten (Können)?

Processes

Unter den Prozessen sind alle formal beschriebenen (Routine-)Vorgänge (Konditionalprogramme) zu verstehen, die dem Team ermöglichen, Entscheidungen zu treffen, Konflikte zu lösen, Informationen auszutauschen etc.

Klar definierte und beschriebene Prozesse ermöglichen eine wirksame Zusammenarbeit bei der Problemlösung sowie eine offene Kommunikation.

Und die meisten Teams sozialer Organisationen, die ich kennenlernen durfte, verfügen nicht über ein klar definiertes Set an Prozessen, um ihre Routinetätigkeiten effizient zu organisieren.

Helfen können die folgenden Fragen:

  • Haben wir klar definierte Regeln und Verfahren für den Umgang mit dem Mehrwert der Norm (Routinen)?
  • Wie teilen und speichern wir Informationen (z.B. aus Teamsitzungen)?
  • Wie gehen wir vor, wenn wir uns in einer Frage nicht einig sind und keine gemeinsame Basis finden?
  • Wie stellen wir die „Schnittstelle“ zur Außenwelt her? Wie sammeln wir irritationsrelevante Informationen und geben sie weiter? Wie gehen wir mit Einmischungen von außen um?
  • Wie gut sind wir in der Lage, Regeln für nicht standardisierte Themen zu finden (Wertschöpfung der Ausnahme)?

Interpersonal Relations

Teams sind keine Maschinen und können daher nicht wie Maschinen gedacht, geschweige denn „gesteuert“ werden.

Die Art und Weise, wie die Teammitglieder miteinander und mit der Gemeinschaft umgehen, muss daher berücksichtigt werden. Dies hat einen großen Einfluss auf den Geist, die Atmosphäre, die Teamkultur, das emotionale Wohlbefinden und die allgemeine Effektivität des Teams.

Hier lohnt wieder der Blick auf die Studie von Google, die dem Thema „Umgang miteinander“ enorme Bedeutung zuweist, wenn es um das Funktionieren von Teams geht:

Wie oben bereits kurz angedeutet, hing der Erfolg der Teams und damit die gute Zusammenarbeit nicht von der Zusammensetzung der Teams oder dem Führungsstil der Vorgesetzten ab und auch nicht davon, ob ein bestimmter Persönlichkeitstyp in den Teams vorherrschte („Wir brauchen nur die richtigen Leute!“). Der Erfolg der Teams hing auch nicht davon ab, ob sie selbstbestimmt, mit flachen Hierarchien oder – ganz traditionell – streng „top down“ geführt wurden. Relevant für eine gute Zusammenarbeit im Team war der Studie zufolge, wie die Teammitglieder miteinander umgingen: In guten Teams kamen alle zu Wort, der Umgang miteinander war respektvoll und von Sicherheit und Verlässlichkeit geprägt. Klarheit und Struktur waren ebenso relevant wie Sinnhaftigkeit und Selbstwirksamkeit.

Damit rücken hier die folgenden Fragen in den Blick:

  • Wie gehen die Teammitglieder miteinander um?
  • Inwieweit unterstützen sie sich gegenseitig?
  • Gibt es eine solide Basis für gegenseitiges Vertrauen? Wie hoch ist das Vertrauen zwischen den Teammitgliedern?
  • Wie ist es um die psychologische Sicherheit im Team bestellt?
  • Wie respektvoll ist die Kommunikation zwischen den Teammitgliedern und zwischen Teammitgliedern und Führungskraft?
  • Wie ist die allgemeine Atmosphäre im Team?
  • Wie viele zwischenmenschliche Konflikte gibt es und wie wird damit umgegangen?

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Probleme und Konflikte zwar in den allermeisten Fällen auf der zwischenmenschlichen Ebene auftreten, ihre Ursache aber fast immer in unklaren Strukturen, Abläufen oder Zielsetzungen des Teams haben.

Daher gilt der Grundsatz:

„change the System – not the people!“

Fazit

Ich hoffe, dass Dir das Modell und die Fragen helfen, Dein Team besser zu verstehen und vielleicht sogar die richtigen Interventionen an der richtigen Stelle vorzunehmen? Eine Rückmeldung zu Deiner Arbeit mit dem Modell würde mich sehr freuen – gerne direkt in den Kommentaren!

Eine Intervention kann sein, Leitlinien für die Teams zu erarbeiten. Dabei kann das GRPI-Modell gut als Gliederung dienen. Mehr zur Erarbeitung von Leitlinien in Teams findest Du hier.

Es hilft, die komplexe Realität zu vereinfachen und sprachfähig zu machen. Aber es ist nicht die Realität. Aus meiner Sicht eignet es sich sehr gut, um ein tieferes Verständnis für das Funktionieren und Nicht-Funktionieren von Teams zu gewinnen. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich dann Hypothesen ableiten, die zu Interventionsmöglichkeiten werden können, um den Dysfunktionalitäten zu begegnen.

Ich möchte aber noch einmal betonen, dass wir zwar dazu neigen, Probleme auf der gleichen Ebene lösen zu wollen, auf der sie sichtbar werden. Die Quelle der zwischenmenschlichen Konflikte zwischen Teammitgliedern und zwischen Führungskräften und Teammitgliedern liegt aber in den allermeisten Fällen auf einer anderen Ebene, und eben meist auf der G-, R- und/oder P-Ebene.

Daher ist es ratsam, bei der Analyse von Problemen, Konflikten und Dysfunktionen im Team das gesamte GRPI-Modell zu betrachten und nicht nur die Ebene, auf der sich das Problem manifestiert. Und das Problem beginnt sehr oft mit unklaren und nicht abgestimmten Zielen, unklaren Prozessen und/oder nicht transparenten Rollen und Verantwortungsbereichen.

Change the system – not the people!


Hast Du das Modell mal auf Dein Team übertragen? Und welche Ergebnisse haben sich gezeigt? Hinterlasse doch einen Kommentar, damit wir alle etwas von Deinen Learnings haben…

Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft, oder: Hört auf, zu suchen (und was stattdessen sinnvoll ist)!

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Was hat der Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft mit dem Klimawandel gemeinsam?

Aus meiner Sicht mindestens zwei Dinge:

Zum einen ist beides alles andere als ein neues Problem! Wir wissen spätestens seit dem Bericht des Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“ aus dem Jahr 1972 (50jähriges Jubiläum – herzlichen Glückwunsch), dass und auch was da auf uns zukommt (die Erwähnung des Sommers 2022 spare ich mir mal). Und genauso wissen wir seit Jahren, was in Bezug auf den Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft auf uns zukommt: Der demographische Wandel ist nicht neu. So liegt die Geburtenrate seit den 1970er Jahren unter der Sterberate. Was das bedeutet sehen wir heute in fast allen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit. Ich selbst habe bereits 2017 einen Beitrag zum Thema hier verfasst (den ich heute so nicht mehr verfassen würde). Deutlich fundierter ist aber bspw. diese Promotion von Dr. Anja Warning, die sich bereits im Jahr 2012 mit dem „Fachkräftemangel und Fachkräfteengpässe in Deutschland: Befunde, Ursachen und Handlungsbedarf“ auseinandergesetzt hat.

Zum anderen haben wir nichts, zumindest nichts Wesentliches dagegen getan – nichts gegen die Klimakatastrophe und nichts gegen den Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft. Bei beidem hätte es Lösungen gegeben. Der Umstieg auf erneuerbare Energien hätte nicht seit gestern (hat er?), sondern spätestens seit den 80er Jahren Priorität haben müssen. Genauso hätte es seit den 80er Jahren Bemühungen geben müssen, unser Sozialsystem und damit die sozialen Organisationen (und alles was damit zusammenhängt) umzugestalten. Haben wir nicht gemacht, beides. Und der Versuch, jetzt, hoppladihopp, etwas gegen den Klimawandel zu tun, ist zum Scheitern verurteilt.

Genauso ist der Versuch, den Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft mal eben so zu beseitigen und neue Fachkräfte für die Soziale Arbeit zu bekommen, zum Scheitern verurteilt.

Nur ein Beispiel: Da nehmen Komplexträger mit mehreren Tausend Beschäftigten viel Geld in die Hand, um ausländische Fachkräfte zu gewinnen (eine mögliche Strategie). Konkret fliegen mehrere Mitarbeiter:innen in der Welt herum, um als Ergebnis 3 (in Worten: drei) neue Fachkräfte aus irgendeinem afrikanischen Land zu uns zu holen. Das Ganze macht aus Schauseitenperspektive Sinn („Schaut mal, wir tun was! „). Aus Effizenzgesichtspunkten ist es:

Quatsch!

Worauf ich hinaus will? Ganz einfach:

Wir sollten aufhören, so zu tun, als könnten wir den Klimawandel „abwenden“ genauso wie wir aufhören sollten, viel Hoffnung (und Ressourcen) in Gewinnung neuer Fachkräfte zu investieren.

Nein, damit will ich nicht sagen, dass es – mit Blick auf das Klima – keinen Sinn macht, politische Entscheidungen für die Zukunft (der Menschheit, nicht der Welt) zu treffen, Kartoffeln regional einzukaufen und weniger Auto zu fahren. Im Gegenteil: Ich sehe keine wirklich großen, politischen Initiativen geschweige denn Entscheidungen, die wirklich langfristig etwas an der Klimasituation verändern würden. Diese wären dringend notwendig.

Genauso wenig will ich sagen, dass – mit Blick auf den Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft – jetzt alle Stellenausschreibungen beendet werden und soziale Organisationen nicht mehr an ihrer Arbeitgebermarke arbeiten sollten oder wir uns nicht mehr weiter um eine Steigerung des gesellschaftlichen Ansehens (und damit der Bezahlung) der Gesundheits- und Sozialberufe bemühen müssen.

Aber kurz- und mittelfristig: No Chance!

Da sind einfach keine Fachkräfte mehr. Unterstrichen wird dieser „Eindruck“ bspw. auch durch die aktuelle Studie von Hickmann und Koneberg (2022) „Die Berufe mit den aktuell größten Fachkräftelücken“:

Das Bild zeigt die aktuelle Situation. Mit ein wenig „Blick nach vorne“ wird die Situation nicht besser, wie bspw. diese Studie hier darlegt, die bis zum Jahr 2026 die Fachkräftesituation in den Blick nimmt – und zwar für die Sozialen Berufe sehr sicher. Hier mal die Top-5 der Top-30 Engpassberufe bis 2026 basierend auf der verlinkten Studie:

Wir sollten endlich damit aufhören, darüber zu lamentieren, dass es keine Fachkräfte gibt. Absurd wird das Lamentieren übrigens dann, wenn – Stichwort quiet quitting – darüber gejammert wird, dass die neue Generation nicht mehr 100% unter den aktuellen Bedingungen arbeiten will – also 120 %.

Ja, ist doch logisch…

Und auch wenn es etwas pessimistisch klingt sollten wir uns darüber freuen, dass der Sommer 2022 der kälteste Sommer mit Blick aus der Zukunft war. Und genauso sollten wir uns darüber freuen, dass die Fachkräftesituation aktuell so gut ist, wie nie mehr in den nächsten Jahren.

(Wenn wir uns schon gerade freuen, ein weiterer lustiger Aspekt: Die Bundesregierung verspricht – neben der Absurdität des Rechts auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder im Jahr 2026 – in ihrer „5-Punkte-Strategie“ zur Bekämpfung des Fachkräftemangels, die Möglichkeiten zur Kinderbetreuung weiter auszubauen! Kein Witz…).

Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft: Neu denken (und machen)

Die (kleine) Freude sollten wir zum Anlass nehmen, anstatt permanent am Status Quo zu hängen, damit zu beginnen, Alternativen zu dem zu entwickeln, wie wir aktuell Soziale Arbeit und Soziale Organisationen denken und strukturieren, um bestmögliche Soziale Arbeit leiten zu können.

Das klingt einfacher, als es im komplexen Alltag und unter den gesetzlichen Rahmenbedingungen ist, keine Frage.

Aber es ist notwendig.

Für mich ergeben sich sehr konkrete Ansatzpunkte bezogen auf den Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft, die aus organisationaler Perspektive für eine Soziale Arbeit der Zukunft und damit für eine #NewSocialWork angegangen werden können. Diese Punkte habe ich in den folgenden 8 Thesen zusammengeführt:

These 1: Qualität vor Quantität stellen!

Auf den ersten Blick klingt es hart:

Wir werden zukünftig nicht mehr alle Angebote und Dienstleistungen aufrecht erhalten können, wenn wir dazu nicht mehr eine ausreichende Anzahl an Mitarbeiter:innen haben. Wir werden Angebote einstellen müssen. Das wird auch dazu führen, dass Mitarbeiter:innen das, was sie bislang getan haben, nicht mehr tun können. Und es wird auch dazu führen, dass Nutzer:innen bislang vorgehaltene Angebote nicht mehr wahrnehmen können. Es gilt, Abschied zu nehmen.

Auf den zweiten Blick aber ist Loslassen hilfreich:

So ist es normal, dass Angebote, Produkte und Dienstleistungen – genauso wie Organisationen – einem Lebenszyklus unterliegen. Bedarfe von Nutzer:innen verändern sich und damit verändert sich auch die Frage des Überlebens von Angeboten. Faxgerätehersteller ebenso wie Hersteller von Filmen für die analoge Fotografie wissen das. Und ja, es gibt immer noch einige Firmen, Schulen und Verwaltungen, die gerne analoge Fotos per Fax verschicken würden – geht aber eben nicht mehr.

Entsprechend gilt es, das Angebotsportfolio Sozialer Arbeit kritisch in den Blick zu nehmen und genau abzuwägen, ob die Leistungen in der bereitgestellten Art und Weise weiterhin angeboten werden müssen.

Haben nicht manche Projekte und Angebote die Reifephase überschritten und werden als tote Pferde weiter geritten?

Das Abwägen, ob Angebote sinnvoll sind oder nicht, kann und darf in sozialen Organisationen aber nicht allein an monetären Kennzahlen festgemacht werden. Soziale Organisationen sind – sofern sie ihren Auftrag ernst nehmen – mehr als Unternehmen, die ausschließlich auf Profit ausgerichtet sind.

Aus meiner Perspektive kommt hier die Frage der Wirkungsorientierung in den Fokus. Dazu schreibt Sebastian Ottmann sehr passend:

„In Zeiten von knappen Haushaltsmitteln und eventuell drohenden Kürzungen von Zuschüssen und Finanzierungen von Angeboten der Sozialen Arbeit wird es immer wichtiger, die Wirkung und Relevanz der Angebote und Leistungen der Sozialen Arbeit darzustellen.“

https://blog.soziale-wirkung.de/2022/07/13/relevanz-und-wirkung-angeboten-sozialen-arbeit-darstellen-sechs-tipps/

Wie gesagt: Nicht nur drohende Kürzungen der Mittel, sondern auch Mangel an Fachkräften erzwingen diesen Blick.

Kurz:

  • Welche Wirkung entfalten Ihre Angebote?
  • Und woran halten Sie trotzdem fest?

Ich kann hier nicht in aller Breite auf das Thema Wirkungsorientierung eingehen. Dazu ist meine dringende Empfehlung, den Blog von Sebastian in den Blick zu nehmen.

Und – im Vorgriff auf die nächste These – gilt es, „Exnovationskompetenz“ zu entwickeln. Exnovation, das Wort gibt es wirklich und es lohnt sich, sich einmal damit zu befassen (zum Beispiel über diesen Beitrag zum Thema Exnovation):

Was kann weg?

These 2: Innovationskompetenz entwickeln!

Das Abschmelzen des Angebotsportfolios, die Exnovation, allein kann aber nicht die Lösung sein.

Zwar ist weniger manchmal mehr, aber es gilt parallel, innerhalb (und vielleicht auch außerhalb) der (noch) herrschenden gesetzlichen Rahmenbedingungen neue, wirksame Ideen zum Leben zu erwecken und damit Innovationen zu ermöglichen.

Hierzu ein Blick in die Ergebnisse meiner im Jahr 2016 verfassten Master-Thesis, in der ich die Steigerung der Innovationskompetenz sozialer Organisationen explizit in den Blick genommen habe.

Darin definiere ich Innovation wie folgt:

„Unter einer Innovation wird die zielgerichtete Durchsetzung von neuen sozialen Dienstleistungen, wirtschaftlichen, organisationsstrukturellen und -prozessualen sowie sozialen Problemlösungen verstanden, die darauf ausgerichtet sind, die Unternehmensziele auf eine neuartige Weise zu erreichen.“

Deutlich wird, dass sich Innovation und damit die Steigerung der Innovationskompetenz nicht ausschließlich auf die Neuentwicklung von Angeboten bezieht, sondern explizit auch auf den Blick in die Organisation, auf Strukturen, Strategien, Prozesse und Fragen der Neuorganisation von Führung und Zusammenarbeit innerhalb der Organisationen. Innovation ist damit ganzheitlich zu betrachten.

Innovation ist aber nicht immer das Große, Bahnbrechende, Krasse und „Disruptive“. Innovation kann auch das kleine Neue sein, das, was Sie vielleicht als „normal“ erachten.

Hier gilt es, hinzuschauen, wahrzunehmen und neue Möglichkeiten für wirksame Angebote ebenso wie für die Neugestaltung von funktionalen Strukturen und Prozessen zu testen – „in der Hoffnung, dass es besser wird“ (Wolf Lotter).

  • Was haben Sie in den letzten Jahren neu gestaltet?
  • Warum ist das gelungen?
  • Und wie können welche Innovationen dazu führen, wirkungsvoller zu arbeiten?

Mir fällt in vielen Organisationen auf, dass diese zwar von Innovation sprechen und auch willig sind, neue Wege zu gehen. Einen Prozess jedoch, wie aus einer Idee eine Innovation werden kann, haben wenige Organisationen. Hier habe ich beschrieben, wie die 4 Schritte zu einem lebendigen Innovationsmanagement aussehen können.

These 3: Organisationen an ihrem Zweck orientieren!

Die Kernfrage in der Arbeit mit sozialen Organisationen ist für mich:

„Passen die Strukturen der Organisation zum Zweck, den die Organisation verfolgt?“

Damit stehen zwei Dinge im Fokus meiner Beratungstätigkeit:

  • Welchen Zweck verfolgt die Organisation?

Und

  • Welche Strukturen weist die Organisation auf?

Hinter den Fragen stehen dann verschiedene komplexe Zusammenhänge: Bezogen auf die Strukturen zeigt allein die Unterscheidung von formalen und informellen Strukturen die sich eröffnende Komplexität. Und die Frage nach dem Zweck ist in sich hochgradig ausdifferenzierenden pluralistischen Organisationen, die unterschiedliche Arbeitsfelder bedienen (Komplexträger), nicht einfach und für alle Bereiche der Organisationen gleich zu beantworten.

Entsprechend gilt es, den Zweck nicht nur auf Ebene der Gesamtorganisation (bspw. im Leitbild), sondern auch innerhalb verschiedener Organisationsbereiche, Abteilungen, Arbeitsfeldern und auch Teams zu definieren:

  • Wozu sind wir (als Organisation, als Abteilung, als Bereich, als Team) da?

Aus der Beantwortung ergibt sich die Suche nach den für die jeweilige Einheit bestmöglich passenden – funktionalen – formalen Strukturen.

Dabei kann es – als ein Beispiel – für die Organisation funktional sein, selbstbestimmt agierende Teamstrukturen einzuführen (die nicht weniger Strukturen aufweisen, aber andere!).

Es kann – bei entsprechendem Zweck – genauso funktional sein, zunächst die Prozesse der jeweiligen Einheit zu analysieren, zu straffen und hinsichtlich komplexer und komplizierter Prozesse zu unterscheiden. Darüber lassen sich dann u.a. Digitalisierungsoptionen finden, die – wenn gut gemacht – Ressourceneinsparungen und Arbeitserleichterungen ermöglichen.

Noch einmal: Die Strukturen sollten funktional sein!

Für soziale Organisationen gilt übergreifend:

  • Wo, an welcher Stelle, in welchem Bereich, in welcher Abteilung und in welchem Team arbeiten wir funktional im Sinne des Zwecks der Organisation?
  • Wo zeigt sich „Verschwendung“ im Sinne von dysfunktionalen Strukturen, Arbeitsschritten und Prozessen?
  • Wo existieren nicht funktionale Fettpolster (Slack), die an anderer Stelle dringend benötigt und wirkungsvoller eingesetzt werden können?

These 4: Qualität und Kultur durch Strukturen gestalten!

Mit Blick auf den Fachkräftemangel steht im Raum, dass eine Aufweichung der Zugangshürden in soziale Berufe (bspw. durch die Einstellung von fachfremd ausgebildeten Menschen, durch die Abschaffung der Notwendigkeit, die staatliche Anerkennung vorzuweisen) zu einer abnehmenden Qualität Sozialer Arbeit führt.

Bevor ich meinen Gedanken ausführe: Auch aus meiner Sicht ist es erstrebenswert, wenn in Sozialen Berufen ausschließlich Menschen mit der bestmöglichen Qualifikation arbeiten würden. Dies sehe ich als unbedingt empfehlenswert an, da es in vielen Bereichen (bspw. Kita) um unser wertvollstes Gut – um unsere Kinder – und ingesamt ganz einfach um Menschen geht.

Aber so bitter es ist: Die Fachkräfte fehlen. Oft wird inzwischen nicht mehr von Fachkräfte-, sondern von Arbeitskräftemangel gesprochen. Die Einstellung von fachfremden oder weniger gut ausgebildeten Fachkräften als Arbeitskräfte ist die notwendige Konsequenz, um Angebote aufrecht zu erhalten (sofern sinnvoll, siehe oben).

Es bleibt keine andere Wahl, als Mitarbeiter:innen einzustellen, die wir uns hinsichtlich ihrer fachlichen Kompetenzen nicht „gewünscht“ haben. Hinzu kommt, dass Sie Menschen – selbst wenn sie die fachlichen Qualifikation erfüllen würden – hinsichtlich ihrer „Haltung“ oder ihrem „Mindset“ niemals einstellen würden, wenn Sie die Wahl hätten.

Die Wahl haben Sie aber oft nicht (mehr).

Theoretisch ausgedrückt verlieren damit Personalentscheidungen, die neben den Konditional- und Zweckprogrammen sowie den Kommunikations- und Entscheidungswegen als Strukturtypus von Organisationen (vgl. bspw. Kühl, 2016) fungieren, ihre Wirkkraft.

Entsprechend ist es notwendig, explizit auf die Gestaltung funktionaler formaler Strukturen in Ihren Teams und Organisationen zu achten:

Wenn Sie die Qualität Ihrer Angebote mit den vorhandenen Mitarbeiter:innen (Fach- wie Arbeitskräften) aufrecht erhalten wollen, müssen Sie die formalen Strukturen sehr klar gestalten:

  • Wer ist für was zuständig?
  • Welche Schritte sind – bspw. bei einer Eingewöhnung in der Kita – unbedingt einzuhalten?
  • Wie sind die Arbeitszeiten ausgestaltet?
  • Wie sind Vertretungsregelungen?
  • Wie verlaufen die formalen Kommunikationswege?
  • Und so weiter…

Die festgelegten formalen Strukturen, Prozesse und Abläufe (Konditionalprogramme) müssen übrigens nicht in Stein gemeißelt werden. Vielmehr sollten die Vorgaben in regelmäßigen Zeitabständen (Iterationen) in den Blick genommen und verbessert werden:

  • Wo hakt es?
  • Was passt – was nicht?
  • Wo ergeben sich Schwierigkeiten?
  • Welche sinnvollen Änderungen können wir vornehmen?

Denn es geht nicht darum, möglichst viele formale Vorgaben zu machen.

Es geht darum, funktionale formale Vorgaben zu machen, die Orientierung für Mitarbeiter:innen – unabhängig von ihren fachlichen Kompetenzen – ebenso wie Sicherheit für die Nutzer*innen bzgl. der zu erwartenden Leistung im komplexen Alltag bieten.

Kleine Anekdote: Ich hatte vor Kurzem ein Gespräch, indem mein Gesprächspartner mit Blick auf den Fachkräftemangel von der „notwendigen „McDonaldisierung“ Sozialer Arbeit sprach. Auch wenn das Bild bei vielen sicher auf Skepsis stößt und der Vergleich an vielen Stellen hinkt:

McDonalds hat es geschafft, durch klare Prozesse und Strukturen, durch eindeutige Konditional- bzw. „Wenn – dann“ -Programme, eine verblüffend gleiche Qualität (ohne Wertung 😉 an egal welchem Standort anzubieten. Die Pommes schmecken überall gleich! Das gelingt nicht durch eine umfassende Ausbildung aller Mitarbeiter:innen, in der diese „auf die Spur gebracht werden“ oder durch die Vermittlung des „purpose“ von McDonalds. Das gelingt auch nicht durch Mitarbeiterbespaßungsprogramme und gratis Obst. Das gelingt durch die klare Vorgabe von Arbeitsschritten, durch eindeutige Konditionalprogramme bezogen auf das, was zu tun ist.

Aber – dazu später mehr – diese Konditionalprogramme („wenn – dann“) sind in Arbeitsfeldern Sozialen Arbeit aufgrund der immer individuellen Interaktionen nicht mal eben so zu gestalten.

These 5: Studium ebenso wie interne Aus- und Weiterbildung entwickeln

Angesichts der Schilderungen der anzunehmenden Entwicklungen der Personalsituation ist es notwendig, Studium, Aus- und Weiterbildung zu überdenken.

Ich bin großer Fan der generalistischen Ausbildung Sozialer Arbeit auf Bachelor-Ebene. Menschen in Sozialen Berufen brauchen den breiten Blick, das Systemdenken, die Vernetzungen… um das ganze Bild des Menschen und der Systeme, in denen Menschen leben, und nicht nur einen Teilbereich (Körper, Psyche…) oder ein einzelnes Funktionssystem (Recht, Politik, Wirtschaft, Medizin…) berücksichtigen zu können.

Sozialarbeiter:innen (ebenso wie Erzieher:innen) sind Spezialist:innen für das Generelle.

Das wird bspw. deutlich, wenn man die „Internationale Definition Sozialer Arbeit“ in den Blick nimmt, die Soziale Arbeit als Disziplin und Profession definiert, die gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen fördert (bzw. fördern will).

Dahinter steht ein Menschenbild, eine professionelle „Haltung“:

Wir sind nicht die Expert:innen für die Lösung der Probleme der Menschen. Wir stärken die Autonomie und Selbstbestimmung der Menschen und befähigen sie darin, „es selbst zu tun“.

Wenn jetzt aber zunehmend Menschen als Arbeitskräfte ohne die notwendigen Fachkompetenzen und ggf. auch ohne bzw. mit einer anderen professionellen Haltung als Mitarbeiter:innen in die Organisationen kommen, sind die Professionellen gefragt, neben den fachlichen Fragen dieses sozialarbeiterische Menschenbild, diese professionelle Haltung Sozialer Arbeit in der Organisation mit Blick auf die Nutzer:innen aufrechtzuerhalten.

Die Fachkräfte sind aber darüber hinaus gefragt, nicht nur die Nutzer:innen sozialer Dienstleistungen, sondern auch die neuen Mitarbeiter:innen darin zu befähigen, „es selbst zu tun“.

Diese Haltung zur Befähigung zu mehr Selbstbestimmung und Autonomie, die im Studium bezogen auf die Nutzer:innen bereits Standard ist (oder zumindest sein sollte), ist damit zum einen bereits im Studium auszuweiten auf die Haltung und auch auf Methoden und Kompetenzen zur Befähigung der neuen Mitarbeiter:innen in den Organisationen zu mehr Selbstbestimmung und Autonomie.

Damit werden alle Fachkräfte zugleich auch Führungskräfte, was im Studium deutlicher als bislang zu betonen ist. Es gilt, im Studium neben dem Fokus auf die Nutzer:innen sowie deren Lebenswelten einen Fokus auf Organisation, Leitung und Führung ebenso wie auf Organisations- und Personalentwicklung zu legen. Kurz:

Das Organisationsbewusstsein der Fachkräfte Sozialer Arbeit ist zu stärken.

Denn: Fachkräfte Sozialer Arbeit müssen zukünftig verstärkt aktiv „als Führungskräfte“ in die Personalentwicklung der Mitarbeiter:innen, die nicht Fachkräfte sind, in den organisationalen Alltag eingebunden werden.

Daraus folgt neben der Weiterentwicklung von Studium und Ausbildung (was ziemlich lange dauern kann) auch die Notwendigkeit der Entwicklung der Personalarbeit innerhalb der Organisationen Sozialer Arbeit:

Es gilt, auch innerhalb der Organisationen und mit Blick auf das vorhandene Personal deutlich stärker zu analysieren und zu gestalten, wie die Fachkräfte in die Entwicklung der neuen Mitarbeiter:innen eingebunden werden können. Damit, um dies noch einmal zu wiederholen, werden alle Fachkräfte Sozialer Arbeit zu Führungskräften.

Wenn diese Entwicklung aktiv von den Organisationen – bspw. über entsprechend gestaltete Führungskräfteentwicklungsprogramme – angegangen wird, kann daraus ein Potential zur Mitarbeiterbindung erwachsen:

Es ergeben sich neue Aufgaben für die Fachkräfte in der Entwicklung der Mitarbeiter:innen. In der Fachsprache geht es um „job enrichment“ und damit um die qualitative Erweiterung des Aufgabenspektrums der Fachkräfte.

These 6: Führung leben!

A propos Führung:

Das mit den Strukturen ist ja nett, oder? Und wahrscheinlich haben Sie als Führungskraft an der ein oder anderen Stelle klare Vorgaben, Regeln und Prozesse und damit formale Strukturen und Konditionalprogramme eingeführt, um die Rahmenbedingungen und Arbeitsabläufe transparent zu gestalten?

Diese Gestaltung der Rahmenbedingungen – die Arbeit an statt in der Organisation – ist – so meine Auffassung – bereits ein Kern von Führung:

  • „Welche Strukturen und Rahmenbedingungen braucht es, damit unsere Organisation, mein Team etc. bestmöglich arbeiten kann?“

Führung dient dazu, formal bindende, manchmal auch unpopuläre Entscheidungen über die Rahmenbedingungen der Arbeit zu treffen, von denen andere tangiert werden.

Sonst bräuchte es keine Führung.

Die erste Frage bezogen auf Führung lautet damit:

  • Trauen Sie und Ihre Führungskräfte sich, Entscheidungen zu treffen, von denen andere betroffen sind?

Selbstverständlich können (und sollten an vielen Stellen) diese Entscheidungen gemeinsam, partizipativ im Team und nicht nur im stillen Kämmerlein vorbereitet werden.

Das Treffen der Entscheidungen kann dann entweder über Sie als Führungskraft direkt – top down – erfolgen oder aber – sofern funktional für den Zweck – gemeinsam im Team.

Dazu bedarf es dann aber ein Wissen über kollektive Entscheidungsmethoden, damit kollektive Entscheidungen nicht in bekannten, für alle frustrierende Minimalkonsense (Plural von Konsens ist Konsense, hab ich extra nachgeschaut…) enden.

Aber noch einmal: Sie als Führungskraft tragen die Verantwortung.

Offen bleibt damit jedoch, ob die durch Sie oder im Team vereinbarten formalen Regeln verbindlich eingehalten werden.

In vielen Gesprächen mit Mitarbeiter:innen und Führungskräften erlebe ich diesbezüglich ein „Verbindlichkeitsproblem“ in sozialen Organisationen:

Zwar sind (kollektiv oder klassisch) Vorgaben und Strukturen definiert und entschieden worden. Diese Entscheidungen werden jedoch – aus unterschiedlichsten Gründen – von den Mitarbeiter:innen nicht eingehalten.

Hier ist wiederum Führung gefragt:

  • Ist Führung in der Lage, die auf den ersten Blick unangenehmen Gespräche im Team zu führen und anzusprechen, dass Vereinbarungen nicht eingehalten wurden?
  • Gelingt es, die notwendige psychologische Sicherheit im Team herzustellen, um thematisieren zu können, warum wer (in welcher Rolle) was nicht zur Zufriedenheit erledigt hat?

Dabei ist relevant, zwischen Menschen und den Rollen der Menschen in der Organisation zu unterscheiden:

Nicht „der Klaus als Mensch“ ist doof, weil er seine Aufgaben nicht einhält. Aber Klaus erfüllt die an ihn gestellten Anforderungen in seiner Rolle (als Mitarbeiter, Führungskraft, QMB…) nicht.

Entsprechend gilt es hier, wieder auf die formalen Strukturen zu schauen:

  • Warum ist aus Sicht der Rolle (von Klaus) sinnvoll, dass bestimmte Strukturen, Regeln und Vorgaben nicht eingehalten werden? Sind diese vielleicht nicht funktional?
  • Was braucht es von der und für die Rolle, damit die funktionalen Vorgaben eingehalten werden können?

Und in allerletzter Konsequenz braucht es auch Wege, die Nichteinhaltung von funktionalen Vorgaben zu sanktionieren. Denn Organisationen sind nicht dazu da, dass sich die Mitarbeiter:innen in ihnen wohlfühlen und „machen können, was sie wollen“.

Organisationen sind dazu da, einen bestimmten Zweck bestmöglich zu erfüllen. Wenn die dazu notwendigen Bedingungen nicht erfüllt werden, kann die Mitgliedschaft in der Organisation – wie gesagt: in letzter Konsequenz – auch beendet werden.

These 7: Im und am Maschinenraum arbeiten!

Thomas Michl schreibt in einem „Gedankenblitz“ über die Notwendigkeit der Brücke, den Maschinenraum der eigenen Organisation zu verstehen:

„In der Organisation ist der Maschinenraum der Ort, an dem die Wertschöpfung geschieht und die Arbeit getan wird, die die Organisation legitimiert. Die Brücke der Organisation tut gut daran, dies sich immer vor Augen zuhalten und wertzuschätzen, indem sie den Maschinenraum mit größtem Respekt und seine Bedürfnisse ernst nimmt behandelt.“

Für soziale Organisationen gilt dies in besonderem Maße, da im Maschinenraum keine Maschinen, sondern Menschen (in ihren jeweiligen Rollen) arbeiten. Anders ausgedrückt:

Im Zentrum sozialer Dienstleistungen stehen individuelle und damit kaum standardisierbare, in der Regel immaterielle Interaktionen, deren Produktion und Konsumtion meist standortgebunden zusammenfallen (vgl. Gesmann, Merchel: 2019, 69).

Daraus folgt, dass Standard- bzw. Konditionalprogramme („wenn – dann“) bezogen auf den Zweck, das „Wozu“ oder den Inhalt der Arbeit nur an wenigen Stellen funktional sind.

Das scheint sich auf den ersten Blick widersprüchlich zu den Ausführungen oben. Dort habe ich doch geschrieben, dass – aus unterschiedlichen Gründen – Konditionalprogramme hilfreich sein können? Und ja, sind sie auch:

Die Vorgabe von Konditionalprogrammen, von klaren Regeln und einzuhaltenden Standards ist wichtig, um das „Wie“ der Zusammenarbeit zu regeln.

Bezogen auf das „Wozu“ und das „Was“ und damit den Inhalt Sozialer Arbeit sind Konditionalprogramme (vorgegebene Prozesse) hingegen wenig zielführend.

Vielmehr kommt es darauf an, dass die Menschen den Zweck ihrer Arbeit kennen, möglichst gut zusammenarbeiten, die Herausforderungen sozialer Arbeit anerkennen und mit den Möglichkeiten der Gestaltung guter Zusammenarbeit von Menschen (in Teams oder Gruppen) vertraut sind.

Dies wird jedoch in unserer Branche oftmals einfach vorausgesetzt:

Wir gehen davon aus, dass Sozialarbeiter:innen schon irgendwie und irgendwoher wissen, wie gute Zusammenarbeit gelingt.

Und wir gehen davon aus, dass Leitungskräfte darin geschult wären, Teams in ihrer Zusammenarbeit zu (beg-)leiten. Wer Sozialarbeiter:in oder Erzieher:in ist, weiß dass doch, oder?

In meiner Arbeit mit Teams und Organisationen zeigt sich jedoch häufig, dass dies nicht immer der Fall ist.

Basics der Funktionsweisen sozialer Systeme, Basics in der Gestaltung von Teamarchitekturen, Basics in Führung und Leitung von Teams in den komplexen und herausfordernden Alltagssituationen sind nicht oder kaum vorhanden – was (siehe oben) auch nicht verwunderlich ist, da dies nur in geringem Umfang Teil der Ausbildung ist.

Aus diesem „Nichtwissen“ wiederum folgen Entscheidungen der Leitungskräfte, die – mit externem Blick mehr als nachvollziehbar – wunderbar dazu geeignet sind, jegliche Motivation der Teammitglieder zu zerstören.

Entsprechend gilt es, den Ort der sozialen Wertschöpfung, den Maschinenraum und damit die Arbeit in den Teams an der Basis viel genauer in den Blick zu nehmen:

  • Was ist Zweck der Arbeit?
  • Was passiert „an der Basis“?
  • Was brauchen die Mitarbeiter:innen an der Basis, um ihren Job möglichst gut erledigen zu können?
  • Wie gelingt es, den Zweck bestmöglich zu erfüllen?

Es gilt darüber hinaus, Führungskräfte in ihrer Arbeit zu begleiten und zu entwickeln.

  • Wie werden Ihre Führungskräfte in ihrer Arbeit begleitet?
  • Haben Sie Zeiten und Räume, in denen sich Führungskräfte über ihre Arbeit austauschen können?
  • Haben Sie funktionale Führungskräfteentwicklungsprogramme?

Es gilt außerdem, Teamentwicklungen zu begleiten, Architekturen und Strukturen für gute Zusammenarbeit zu entwickeln und alles daran zu setzen, dass die Motivation der Mitarbeiter:innen (und damit auch die Motivation der Führungskräfte) nicht zerstört wird.

Oder in den Worten von Thomas:

„Daher gilt: Ab in den Maschinenraum. Hingehen, Beobachten, aufmerksam Zuhören, Verstehen und Wertschätzen.“

Denn die Konsequenz bei Nichtbeachtung ist klar:

Die wenigen noch vorhandenen Mitarbeiter:innen suchen das Weite.

These 8: Banden bilden!

Abschließend noch ein über die eigene Organisation hinausgehender Blick:

Kooperation wird zwischen sozialen Organisationen recht groß geschrieben.

So sind viele Organisationen und Einrichtungen in Wohlfahrtsverbänden zusammengeschlossen. Kooperation und gegenseitige Zusammenarbeit fällt entsprechend leicht.

Hinzu kommt, dass soziale Probleme in den meisten Fällen nicht monokausal zu lösen, sondern komplex und damit aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und anzugehen sind. Soziale Organisationen arbeiten – genau – mit Menschen und die Kooperation auf inhaltlicher Ebene ist notwendig, um den Menschen wirklich zu helfen.

Kooperation endet jedoch häufig da, wo die inhaltliche Ebene verlassen wird und es entweder um Geld („Welcher Verband bekommt den Zuschlag für welche Leistung?“) oder um Fachkräfte geht.

Dass Mitarbeiter*innen von einem Arbeitgeber zum anderen wechseln, wird nicht gerne gesehen. Teilweise gibt es bereits explizit ausgeschriebene Stellen, die bspw. Pflegekräfte von anderen Unternehmen abwerben sollen.

Anstatt jedoch gegeneinander zu arbeiten und sich die Fachkräfte streitig zu machen, macht es vielmehr Sinn, miteinander auch auf Ebene der Arbeits- und Fachkräftegewinnung und -bindung zu arbeiten.

Damit meine ich, dass Soziale Organisationen aus ihrem eigenen Denkraum heraus- und über den Tellerrand blicken und sich mit anderen – entweder fachlich ähnlichen oder regional an einem Ort befindlichen – Organisationen zu „Fachkräftenetzwerken“ zusammenschließen.

Dahinter steht die Überlegung, dass Fachkräfte aus unterschiedlichsten (persönlichen und anderen) Gründen die Organisation verlassen. Wenn es aber gelingt, einen Wechsel in eine andere Organisation (sofern Wechsel gewünscht ist) innerhalb des Netzwerks zu ermöglichen, ist die Person nicht ganz raus, sondern verbleibt zumindest innerhalb des Netzwerks.

Die Möglichkeit, innerhalb eines Netzwerks zu wechseln, setzt jedoch voraus, dass eine Kultur innerhalb der eigenen Organisation herrscht, in der ein Wechsel des Arbeitsplatzes bzw. der Organisation nicht abgestraft wird, sondern als Chance zu Entwicklung (der Menschen und der Organisation) erlebt wird.

Anstatt also den:die wechselnden Mitarbeiter:in für den Wunsch zum Wechsel zu kritisieren und ihm:ihr Steine in den Weg zu legen, sollten Möglichkeiten geschaffen werden, auch den Gang aus der Organisation (und idealerweise in eine Organisation im Fachkräftenwetzwerk) positiv zu begleiten. Daraus folgt, dass Mitarbeiter:innen ja auch wieder zurückkommen können.

Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft – Fazit

Die in diesem viel zu langen Beitrag (Danke für Deine Zeit an dieser Stelle) angesprochenen Thesen – bezogen auf die Möglichkeit, dem Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft zu begegnen – sind sicherlich nicht vollständig. So bin ich bspw. nicht auf die Möglichkeit der „Ausweitung der Arbeitsmarktpartizipation“ durch Weiterbeschäftigung von älteren Mitarbeiter:innen eingegangen, was aber viele Organisationen bereits sehr erfolgreich umsetzen („Senior Experts“).

Auch bin ich nicht auf die Notwendigkeit eingegangen, über Lobbyarbeit das Image Sozialer Arbeit weiter zu verbessern – auch wenn ich davon überzeugt bin, dass es eines anderen Ansehens Sozialer Berufe in der Gesellschaft und damit perspektivisch eine bessere Bezahlung braucht.

Ich bin auch nicht darauf eingegangen, dass es – davon bin ich zunehmend überzeugt – ein Aufbrechen der Versäulung in den Sozialgesetzbüchern braucht, um zu einer generalistischen und damit zurück zu einer wirksamen Sozialen Arbeit zu gelangen (vgl. dazu den Podcast mit Patrick Ehmann zur Integrierten Sozialberatung).

Aber die Veränderung des Images und das Aufbrechen der Versäulung in den Sozialgesetzbüchern sind nicht unmittelbar durch die Organisationen selbst beeinflussbar.

Mir geht es in dem Beitrag jedoch um einen anderen Blick auf die Herausforderungen des Fachkräftemangels und auf die in sozialen Organisationen vorhandenen Möglichkeiten zur Begegnung des Fachkräftemangels und der „Mitarbeiterbindung“ (ich mag das Wort nicht, da ich zumindest als Mitarbeiter nicht ge-, sondern eher verbunden sein will).

Daran zu glauben, dass sich kurzfristig etwas an der Quantität der gut ausgebildeten Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt ändert, ist so aussichtsreich, wie daran zu glauben, dass wir den Welthunger mit fünf Broten und zwei Fischen beenden. Die wundersame Fachkräftevermehrung wird kurz- und mittelfristig nicht stattfinden.

Die Suche nach neuen Fachkräften, die im gleichen System die gleiche Arbeit machen, ist entsprechend hoffnungslos.

Vielmehr gilt es, die Gestaltungsmöglichkeiten, die Organisationen haben, zu nutzen. Und die Gestaltungsmöglichkeiten liegen vornehmlich in der Gestaltung ihrer Strukturen und Rahmenbedingungen, unter denen Soziale Arbeit innerhalb der je spezifischen Organisation geleistet wird. Es gilt, sinnvolle Organisationsentwicklung zu betreiben.


Puh, ganz schön lang geworden. Aber was sind Deine Gedanken zum Thema? Hinterlasse doch hier gerne einen Kommentar! Würde mich sehr freuen…

Und falls Du Lust hast, für Deine Organisation zu schauen, ob bspw. die Strukturen funktional, können wir gerne dazu sprechen. Hier kannst Du direkt einen – natürlich völlig unverbindlichen – Termin mit mir ausmachen.

Und hier kannst Du den Beitrag auch als PDF herunterladen.

Wie gelingt gute Zusammenarbeit im Team?

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In (nicht nur) sozialen Organisationen arbeiten wir meistens als Teams zusammen. Das wird meist unhinterfragt vorausgesetzt. Und selbst als „Solopreneur“, wie ich mich gerade verstehe, ist gute Zusammenarbeit mit anderen Menschen mehr als wichtig. Teamfähigkeit ist einer der wohl meistgefragten „Skills„, die in Stellenausschreibungen gefordert werden. Aber die Frage im Titel wird dadurch noch lange nicht beantwortet: Wie gelingt eigentlich gute Zusammenarbeit im Team? Dazu findest Du hier einige Ergebnisse einer Studie, die Google – bekannt unter dem Project Aristotele – durchgeführt hat.

Wie steht es um die Zusammenarbeit in Deinem Team?

Zu Beginn aber: Wie bewertest Du die folgenden fünf Fragen zur Zusammenarbeit in Deinem Team für Dich auf einer Skala von 1 (trifft nicht zu) bis 5 (trifft voll zu): 

  • „Wenn ich im Team einen Fehler mache, wird mir das nicht übelgenommen.“
  • „Wenn meine Kolleg*innen sagen, dass sie etwas tun, halten sie sich auch daran.“
  • „Wenn wir im Team eine Entscheidung zu treffen haben, wissen wir, wie uns das gemeinsam am Besten gelingt. Wir haben einen effektiven Entscheidungsfindungsprozess.“
  • „Die Arbeit, die ich für mein Team mache, ist bedeutungsvoll für mich.“
  • „Ich verstehe, wie die Arbeit unseres Teams zum Erfolg unserer Organisation beiträgt.“ 

Natürlich kannst Du die Fragen auch gemeinsam mit Deinem Team beantworten. Lass doch mal nen Kommentar hier, was herausgekommen ist 😉

Mit der Beantwortung der Fragen erhältst Du einen ersten Überblick darüber, wie es um die Zusammenarbeit in Deinem Team steht. 

Was ist eigentlich ein Team?

Ich werde auf diese Frage hier nicht vertieft eingehen, aber sie ist trotzdem wichtig, denn – wie einleitend geschrieben – gehen wir fast immer davon aus, dass dort, wo mehrere Menschen zusammenarbeiten, automatisch ein „Team“ arbeitet.

Es macht aber mindestens Sinn, zwischen Teams und Arbeitsgruppen zu unterscheiden.

  • Arbeitsgruppen lassen sind durch ein geringes Maß an gegenseitiger Abhängigkeit kennzeichnen. Sie basieren auf einer Organisations- oder Führungshierarchie (Abteilung). Arbeitsgruppen treffen sich ggf. regelmäßig, um Informationen zu hören und auszutauschen – you know die regelmäßig stattfindenden Teamsitzungen
  • Teams sind hingegen in hohem Maße voneinander abhängig – sie planen die Arbeit, lösen Probleme, treffen Entscheidungen und überprüfen den Fortschritt im Rahmen eines bestimmten Projekts. Und am allerwichtigsten: Die Teammitglieder brauchen einander, um die Arbeit zu erledigen.

Tiefergehende Ausführungen zum Unterschied von Teams und Arbeitsgruppen finden sich bspw. hier und hier.

Für soziale Organisationen ergeben sich daraus einige Fragestellungen:

  • Seid ihr ein Team? Braucht ihr einander, um die Arbeit zu erledigen? Braucht ihr die verschiedenen Kompetenzen der Menschen im Team? Braucht es die Interdisziplinarität und die unterschiedlichen Fähigkeiten? Nicht umsonst habe ich das Bild der Feuerwehr für den Beitrag verwendet…
  • Oder erledigt jede*r von Euch seine Aufgaben, ohne auf andere Menschen angewiesen zu sein? Ist die interdisziplinäre Zusammensetzung vielleicht schön und hilfreich, aber nicht notwendig? Könnt ihr, wenn eine Person das Team verlässt, die Aufgabe nicht mehr zufriedenstellend erledigen und braucht es entsprechend jemanden mit zumindest ähnlichen Fähigkeiten? Oder macht ihr nicht einfach weniger von dem, was ihr ohnehin macht?

Das Projekt von Google konzentrierte sich auf Teams und damit auf Gruppen mit wirklich voneinander abhängigen Arbeitsbeziehungen. Entsprechend sind die Ergebnisse zu werten…

Gute Zusammenarbeit bei Google

Vorab: Das Project Aristotle von Google ist nicht neu.

Von 2012 bis 2014 wurden etwa 180 Google-Teams untersucht, „um Muster zu finden, die zeigen, warum einige Teams scheitern, während andere Bestleistungen erreichen“ (Wikipedia). Die im Rahmen des Projekts untersuchten Teams bestanden aus drei bis fünfzig Personen (mit einem Durchschnittswert von neun Mitgliedern).

Die Ergebnisse der Studie sind gleichwohl spannend (und je mehr ich mich mit Zusammenarbeit in Teams befasse, werden sie immer spannender):

Der Erfolg der Teams und damit die gute Zusammenarbeit hing nicht an der Zusammensetzung oder dem Führungsstil der Vorgesetzten („Der Fisch stinkt vom Kopf her…“).

Es ging auch nicht darum, dass ein bestimmter Persönlichkeitstyp in den Teams vorherrschend war („Wir brauchen nur die richtigen Menschen!“) ebensowenig wie darum, dass die Teammitglieder bestimmte berufliche Hintergründe hatten.

Und interessanterweise hing der Erfolg der Teams auch nicht daran, ob diese selbstbestimmt agierend, mit wenigen Hierarchien oder – ganz traditionell – streng „top down“ geführt waren. 

Relevant für gute Zusammenarbeit im Team war vielmehr, wie die Teammitglieder miteinander umgingen:

In guten Teams kamen alle zu Wort, der Umgang miteinander war respektvoll, geprägt von Sicherheit und Verlässlichkeit. Klarheit und Struktur war relevant sowie ein Empfinden von Sinn und Selbstwirksamkeit.

Eigentlich gar nicht so schwer, oder? 

Wie steht es um die Zusammenarbeit in Deinem Team?

Wenn Du den Status Quo des Stands der Zusammenarbeit in Deinem Team tiefer erforschen willst, kannst Du auch folgende Frageliste nutzen (die von Google als Leitfaden zur Verfügung gestellt wird, um die Effektivität der Zusammenarbeit zu bewerten):  

Psychologische Sicherheit

  • Fühlen sich alle Teammitglieder wohl, wenn sie miteinander sprechen und gemeinsam Ideen entwickeln?
  • Haben alle im Team das Gefühl, dass sie auch Fehler machen dürfen?

Verlässlichkeit

  • Wenn Teammitglieder sagen, dass sie etwas erledigen werden, tun sie es dann tatsächlich?

Struktur und Klarheit

  • Kennen die Teammitglieder die Ziele des Teams und wissen, wie sie erreicht werden sollen?
  • Haben alle im Team das Gefühl, Eigenverantwortung zu tragen und eigene Projekte zu haben?

Sinn

  • Wird die Arbeit im Team auf Grundlage von Fähigkeiten und Interessen verteilt?
  • Gibt die Arbeit allen im Team ein Gefühl der persönlichen und beruflichen Erfüllung?

Selbstwirksamkeit

  • Haben alle im Team das Gefühl, dass ihre Arbeit bedeutsam ist?
  • Sehen die Teammitglieder, dass ihre Arbeit etwas zum Besseren verändert?

Entwicklungsfelder für gute Zusammenarbeit

Aus den Antworten auf die Fragen lassen sich Entwicklungsfelder aufspüren, mit denen ihr Eure Teamarbeit gestalten könnt:

  • Was könnt ihr tun, um zu besseren Ergebnissen in den einzelnen Bereichen zu kommen?

Dazu empfehle ich immer ein experimentelles, auf Hypothesen basierendes Vorgehen:

  1. Macht die Ergebnisse der Befragung oben transparent (Pinnwand, Whiteboard…).
  2. Leitet aus den Ergebnissen möglichst viele Handlungsoptionen als Hypothesen ab: „Wenn wir XY tun würden, würde sich Z verbessern!“
  3. Einigt Euch auf eine (oder ein paar wenige) Hypothesen, die ihr testen wollt (Priorisierung bspw. durch Bepunktung der Hypothesen).
  4. Legt die Rahmenbedingungen für den Test fest: Wie lange wollt ihr was genau verändern? Wann überprüft ihr die Ergebnisse mithilfe einer Retrospektive? Woran genau macht ihr fest, dass sich etwas geändert hat?
  5. Feiert den Erfolg, passt die Vorgehensweise an oder beendet einfach den Versuch. Dann könnt ihr direkt die nächste Hypothese testen.

Was macht gute Zusammenarbeit für Dich aus? 

  • Was ist richtig gute Zusammenarbeit für Dich? 
  • Welche Strukturen und Rahmenbedingungen müssen aus Deiner Sicht gegeben sein, damit Zusammenarbeit gelingt? 
  • Welche Eigenschaften und Fähigkeiten müssen die Teamkolleg*innen aus Deiner Sicht mitbringen, damit Zusammenarbeit im Team funktioniert? 

Du kannst Deine Antworten gerne hier direkt in die Kommentare schreiben! Dann haben wir alle was davon 😉


P.S.: Wenn Du Lust hast, die Zusammenarbeit in Deinem Team zu stärken, können wir gerne mal sprechen. Hier kannst Du einfach einen Termin mit mir ausmachen.

Die 11 besten Blogs rund um agiles Management, Organisationsentwicklung und Co. – und warum es sich lohnt, sie zu lesen

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Wie lernst Du? Diese Frage tangiert die aus meiner Sicht wichtigste Kompetenz für die Zukunft: Lernen! Lernen heißt in Zukunft vor allem selbstgesteuertes Lernen – Lernen also, das nicht formal vorgegeben, sondern frei gewählt ist. Ich lerne sehr gerne selbstgesteuert, je nach meinen individuellen Bedürfnissen, Interessen und Herausforderungen, die ich bewältigen muss. Dazu nutze ich – neben Büchern und Podcasts – Blogs. Hier will ich Dir die für mich 11 besten Blogs rund um agiles Management, Organisationsentwicklung und Co. vorstellen. Vielleicht ist da ja was für Dich Neues dabei, wenn Du im Sommer ein wenig Zeit hast, die Ferien genießt oder einfach sinnvolle Ablenkung auf Arbeit brauchst 😉

Toms Gedankenblog

Thomas Michl ist ne Maschine! Er haut jeden Montag in seinen Links der Woche kuratierte Beiträge, Blog- und Podcastempfehlungen raus. Dabei beschäftigt er sich mit Produktivität, Lean Management, agilem Arbeiten und übergreifenden Management-Themen. Ich weiß gar nicht, ob es überhaupt einmal vorkam, dass die Links der Woche nicht erschienen sind. Und falls doch, war Thomas wahrscheinlich wirklich krank oder er hat das Internet ausgeschaltet… Ach ja, es lohnt sich übrigens, Thomas auf Twitter zu folgen.

Agile Verwaltung

Wo wir schon bei Thomas Michl sind… Er ist (noch) Vorsitzender des Forums Agile Verwaltung. Und die Macher*innen betreiben ebenfalls einen richtig guten Blog, in dem regelmäßig Beiträge zu unterschiedlichen Themen rund um Agilität erscheinen. Für mich ist es insofern spannend, die Beiträge zu lesen, weil es einige Parallelen zwischen der öffentlichen Verwaltung und den oftmals ähnlichen Strukturen sozialer Organisationen gibt. Und noch dazu ist die öffentliche Verwaltung ja auf Seiten der Kostenträger eng mit der Sozialwirtschaft verbandelt. Was auch in dem häufig als „verstaubt“ angesehen Verwaltungskontext möglich ist, wenn ein paar kreative Köpfe zusammenkommen und neu denken, ist beeindruckend.

Führung erfahren

Der Blog „Führung erfahren“ wird von Dr. Marcus Raitner betrieben. Marcus beschäftigt sich – wie der Name schon sagt – mit allen Themen rund um das große Wort „Führung“. Für mich ist der Blog insbesondere deshalb lesenswert, weil Marcus zum einen aus einem reichhaltigen Erfahrungsschatz schöpft und zum anderen richtig gut schreiben kann. Und falls Du was von Marcus in der Hand halten willst: Er hat das „Manifest für menschliche Führung“ verfasst – ein kleines, aber sehr hilfreiches Buch, das Führung für eine neue Arbeitswelt beleuchtet.

Versus Magazin

Seit einigen Jahren gibt es das „Versus Magazin“ – ein Online-Magazin mit tiefgehenden Texten rund um die Herausforderungen und Lösungen in Unternehmen, Verwaltungen und anderen Organisationen. Das Magazin gehört zu Metaplan, einer systemtheoretisch und organisationssoziologisch orientierten Beratungsagentur. Und das merkt man: Die Aufbereitung der Inhalte ist auf den ersten Blick oft verwirrend, irritierend und anders, manchmal kühl, manchmal theoretisch. Aber die Beiträge eröffnen einen realistischen Blick auf Organisationen, Agilität, New Work und alles, was sich in dem Kontext so bewegt. Das ist erfrischend anders und hilft mir sehr, meine eigenen Beratungsprojekte zu reflektieren und nicht (zu sehr 😉 den Management-Moden zu verfallen.

Komfortzonen

Auf Komfortzonen schreiben Dirk Bathen, Valentin Heyde und Jörg Jelden zu Haltungen, Denkmodellen und Workshop-Tools, die sie in Workshops, der Prozessbegleitung von Unternehmen und Initiativen und Beratungsprojekten nutzen. Ich finde auf dem Blog immer wieder tolle neue Herangehensweisen und Methoden für Fragestellungen, die in meinen Workshops auftauchen. Logo: Jede Methode muss zum Zweck, zur Gruppe, den Rahmenbedingungen… passen. Aber als Inspiration ist der Blog für mich Gold wert. Danke für Eure Arbeit!

kommunikato

kommunikato ist die Seite von Kato aka Karin Gildner. Neben ihrem großartigen Schreibstil, der mich immer wieder begeistert (sie hat nen ziemlich witzigen Newsletter), finde ich bei ihr immer wieder Buchrezensionen und Ideen für meine eigene Freiberuflichkeit. Und außerdem betreibt sie https://erzaehldavon.de/ – eine Website, die Vereine und Ehrenamtliche dabei unterstützt, mehr Sichtbarkeit für ihre sozialen Projekte zu schaffen. Und ja, da finden kleine wie große soziale Organisationen Ideen und Anregungen, wie sie ihre Kommunikation richtig geil (sagt man nicht mehr, oder?) machen.

Intrinsify

In der Liste nicht fehlen darf der Intrinsify Blog. Auch wenn ich immer wieder etwas über die Art der Kommunikation stolpere (so richtig Augenhöhe fühlt sich anders an…) sind die Anregungen von Mark Poppenborg und Lars Vollmer (ich lasse den Dr. und den Prof. mal weg, OK? ;-)) richtig gut, um einen differenzierten Blick auf Arbeit, Organisationen und die Menschen darin zu bekommen. Schaut mal rein, dann könnt ihr euch ja einen eigenen Eindruck verschaffen 😉

Corporate Rebels

Ah ja, neue Arbeit gibt es nicht nur in Deutschland. Für einen Blick über den Tellerrand hinaus empfehle ich die Corporate Rebels. Die beiden aus den Niederlanden stammenden Beteiber des Blogs – Joost Minnaar und Pim de Morree – schreiben schon lange zu den Themen New Work und der Veränderung der Arbeitswelt. Dabei liefern sie immer wieder inspirierende Einblicke in die Funktionsweisen anderer Organisationen in anderen Teilen der Welt. Auch hier wieder: Abkupfern von irgendwelchen Organisationsmodellen auf die eigene Organisation macht keinen Sinn, aber die Inspiration, wie es auch anders gehen kann, ist mehr als hilfreich.

Mampels Welt

Vielleicht gelingt es mir, mit diesem Post den lieben Thomas zu inspirieren, wieder mehr zu schreiben? Das ist ein wenig meine Hoffnung, denn ich habe seine Einträge in seinem Blog aka „Geschäftsführertagebuch“ sehr geliebt. Thomas ist Geschäftsführer des Stadtteilzentrums Berlin-Steglitz und außerdem Geschäftsführer der .garage Berlin – beides sehr inspirierende soziale Organisationen. Und ja, ich bin in meiner Lobhudelei vielleicht etwas befangen: Thomas hat mich vor Jahren dazu angeregt, meinen Blog zu starten. Danke dafür – unglaublich, was daraus geworden ist… Ach, und noch was: Es lohnt sich, auch in die älteren Beiträge reinzulesen.

Sozial-PR

Christian aka sozial-pr.net ist ebenfalls langjähriger Begleiter und Inspirator (sagt man das so?). Christian ist mein, nein, Christian ist DER Ansprechpartner, wenn es um digitale Kommunikation in sozialen Organisationen geht. Er bietet aber nicht nur gute Beratung, sondern immer wieder auch spannende Inhalte auf seinem Blog, in seinem Podcast und (da kann ich noch was lernen) in seinem Videocontent. Aktuell befasst er sich bspw. mit der Frage, ob und wie die Soziale Arbeit eine positive Systemveränderung unterstützen kann. Allein der Beitrag hat mich ziemlich zum Nachdenken gebracht und aller Voraussicht nach werde ich mich damit noch mal tiefer befassen…

Zeitzuteilen

Last but not least darf der Blog von Sabine hier nicht fehlen: Sabine ist aktuell Landesleitung Schleswig-Holstein bei der Caritas im Norden. Sie arbeitet damit nicht nur im, sondern vor allem am System der Sozial- und Gesundheitswirtschaft. Und in ihrem Blog setzt sie sich mit „Sozialer Arbeit im Wandel“ auseinander. Es geht um die übergreifenden Themen rund um soziale Organisationen, die Herausforderungen und Möglichkeiten der Digitalisierung im sozialen Sektor, neue Arten von (Zusammen-) Arbeit und vieles mehr. Dieser übergreifende Blick hilft mir immer wieder, mich zu verorten und meine eigene Arbeit zu reflektieren.

Blogs, Podcasts und Co.: Was inspiriert Dich?

Ich hoffe, bei den 11 besten Blogs rund um agiles Management, Organisationsentwicklung und Co. waren ein paar Anregungen für Dich dabei?

Aber hast Du noch Blogtipps, die es zu lesen lohnt? Oder noch übergreifender gefragt:

Welche Blogs, Beiträge, Podcasts rund um die Themen agiles Management, Organisationsentwicklung, Führung und Co. liest oder hörst Du?

Was und wie lernst Du dabei?

Lass doch gerne nen Kommentar hier oder schreib mir – dann lernen wir alle 😉

Hach, es bleibt spannend… Und jetzt:

Hab nen guten Sommer!

Organisationsanalyse: Wie die Taylorwanne zur Betrachtung sozialer Organisationen genutzt werden kann

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Kennst Du die Taylorwanne? Dahinter verbirgt sich ein Modell von Gerhard Wohland, das den groben historischen Verlauf der Marktdynamik und die jeweils dominierenden Produktionstypen sowie die Anforderungen an Kompetenzen der Menschen darlegt. Ich nutze das Modell gerne zur Erläuterung der Notwendigkeit zur Organisations- und Kompetenzentwicklung, die auch für soziale Organisationen von Bedeutung sind. Hier, in diesem Beitrag, will ich den Aufbau der Taylorwanne nicht erläutern, das kann viel besser bspw. hier kurz und übersichtlich nachgelesen werden. Vielmehr will ich das Tool zur Organisationsanalyse „missbrauchen“. Denn ich glaube, dass es hierzu gute Dienste leisten kann.

Der Anlass dieses Beitrags ist die Anmerkung einer Teilnehmerin in einem meiner letzten Führungskräfteworkshops. Sie bezog die Taylorwanne auf die Arbeit in ihrer Organisation. Konkret: Ihre Aussage war, dass sie das Gefühl hat, dass die Mitarbeiterinnen „in der vorindustriellen Zeit“ hängen geblieben sind. Mit Blick auf die Arbeit mit den Klient_innen war die Aussage:

„Wir arbeiten in einem „Meister-Lehrling-Modell“. Wir betrachten uns als die Meister, die bezogen auf die Klient_innen schon wissen, was richtig ist.“

Dieser für mich neue Blick auf die Taylorwanne hat dann zu einer intensiven Diskussion der Teilnehmer_innen geführt.

Organisationsanalyse – Betrachtungsebene 1: Soziale Arbeit aus der Meister-Lehrling-Perspektive

Die eine Gruppe konnte dieser Aussage sehr gut zustimmen:

Die Sozialarbeiter_innen agieren als Expert_innen für die Bedarfe der Klient_innen. Das ist ein grundlegendes Problem Sozialer Arbeit an der Basis: Die Professionellen agieren häufig als Expert_innen für die Belange ihrer Klient_innen. Die wirklichen, vielleicht von den Bedarfen der Sozialarbeiter_innen abweichenden Bedarfe der Menschen geraten dadurch leicht aus dem Blick bzw. werden bewusst nicht wahrgenommen, da sie für die Professionellen deutlich anstrengender, anders, neu… sind, als den gewohnten Stiefel zu fahren.

Übergreifend gedacht eröffnen sich für mich hier auch spannende Parallelen zu Fragen der Führung: Wo agieren Führungskräfte in einer „Meister-Lehrling“-Perspektive ala „Ich weiß schon sehr genau, was hier, in dieser und jener Situation richtig ist“? Auch die oftmals alles blockierende Aussage „Das haben wir hier schon immer so gemacht!“ fällt in diese Kategorie: Ohne alles Alte schlecht reden zu wollen, werden durch diese Haltung neue Entwicklungen, neue Bedarfe der Mitarbeiter_innen, Teams und der Organisation als Ganzes gar nicht in den Blick genommen. Die Orientierung am echten Bedarf der „Nutzer_innen“ findet nicht statt.

Organisationsanalyse – Betrachtungsebene 2: Soziale Arbeit als Fließbandarbeit

Andere Teilnehmer_innen hatten mit Blick auf die Taylorwanne jedoch eher den Eindruck, dass in ihrer Organisation versucht wird, die Arbeit mit den Klient_innen „tayloristisch“ zu gestalten. Es wird versucht – auch ausgelöst durch externe Anforderungen der Kostenträger – die Einrichtung auf Effizienz – auf eine Fließbandlogik – zu trimmen und in einer zweckrationalen Denkhaltung alle, alles und jedes in transparente, kausale Prozesse zu pressen.

Auch hier lässt sich wiederum ein etwas distanzierterer Blick einnehmen und auf „die Sozialwirtschaft“ als Ganzes schauen:

Es ist der Funktionslogik Sozialer Arbeit inhärent, tagtäglich Komplexität gestalten zu müssen. Organisationen der Sozialen Arbeit befassen sich in der Regel mit der sozialen Wertschöpfung der Ausnahme.

Hingegen sind die Finanzierungsstrukturen auf die Einhaltung von Vorgaben und Regeln und damit auf die Wertschöpfung der Norm bedacht.

Kurz zur Unterscheidung der beiden Begriffe:

Die Wertschöpfung der Norm fokussiert auf Probleme, für die bereits Lösungen erarbeitet wurden. Das Wissen über diese Lösungen kann per Vorgaben oder per Anweisung weitergegeben werden. Es werden „Prozesse oder Regeln eingerichtet, in die das Wissen so eingearbeitet wird, dass es bei dessen Befolgung zur Anwendung kommt. Auf dieser Idee basiert die gesamte tayloristische Organisationsführung“ (vgl. näher hier) und die Denk- und Handlungsweise der Kostenträger.

Die Wertschöpfung der Ausnahme ist hingegen die Lösung von Problemen, für die es noch kein Wissen gibt. In der Sozialen Arbeit ist jede_r Klient_in individuell zu betrachten, es lassen sich kaum Standardprogramme einrichten. Entsprechend braucht es „Ideen und damit Mitarbeiter, die in bestimmten Problemsituationen ein besonders gutes Gefühl für die passenden Ideen entwickeln“ (ebd.).

Zu dem Dilemma der beiden unterschiedlichen Systemlogiken von Sozialen Organisationen und den Kostenträgern habe ich hier bereits einen Beitrag verfasst.

Hinzu kommt noch, dass die für die Bedienung der Anforderungen der Kostenträger notwendigen Prozesse, Regeln und Vorgaben in die Organisationen übertragen werden und dort zu unfassbar umfänglichen Prozessbeschreibungen, QM-Handbüchern und der irrealen Vorstellung der Führungskräfte führen, die Organisation zweckrational steuern zu können.

Historisch lässt sich die Entwicklung hin zu klassisch betriebswirtschaftlichen Prinzipien sowie tayloristischen Denk- und Handlungsweisen und damit zur Ökonomisierung und Managerialisierung der Sozialen Arbeit (vgl. bspw. Michael Meyer/Florentine Maier, 2018, 207) wunderbar nachzeichnen, sprengt hier aber den Rahmen des Beitrags.

Organisationsanalyse – Betrachtungsebene 3: Soziale Arbeit als Co-Creation

Wenn man sich die Taylorwanne in der Ausführung von Bernd Oestereich anschaut, wird auf der dritten Ebene deutlich, dass es in der aktuellen Zeit um Innovation, Experimentieren, um gemeinsames Neugestalten und um die Ko-Kreation neuer Lösungen geht. Die Frage nach dem „Wer“ (im Gegensatz zum „Wie“) und damit die Frage nach den individuellen Fähigkeiten rückt in den Vordergrund.

Übertragen auf die direkte Arbeit mit den Klient_innen in sozialen Einrichtungen eröffnet sich über die Ko-Kreation (näher dazu bspw. in dem Beitrag der Neuen Narrative) eine andere Sichtweise:

(Wo) sind wir in unseren Organisationen soweit, dass Klient_innen zu Co-Creator_innen werden?

In dem oben genannten Workshop, in dem das Thema aufkam, gab es bereits einige Führungskräfte, die ihr Team und ihre Organisation zumindest „auf dem Weg zur kokreativen Arbeit mit den Klient_innen“ beschrieben haben.

Erstmalig begegnet ist mir der Gedanke, dass die Nutzer_innen Sozialer Arbeit die KoKreator_innen ihrer Leistungen sind, bei Otto Scharmer in einem Video zur Theorie U begegnet:

Auf der von ihm beschriebenen vierten Ebene wird die Klientin zur „Co-Creatorin“ und der Sozialarbeiter zur Hebamme.

Hebamme? Klingt gewöhnungsbedürftig, oder?

Aber die Übertragung dieser Denklogik passt für mich ziemlich gut:

Eine Hebamme hilft dabei ein Kind, ein Wunder, etwas Unglaubliches auf die Welt zu bringen. Und im übertragenen Sinne geht es in der Sozialen Arbeit ja auch darum, dabei zu helfen, die in den Klient_innen verborgenen Stärken, die Möglichkeiten, das bislang Verborgene auf die Welt zu bringen. Es geht nicht darum, was die_der Sozialarbeiter_in im Bild des „Meisters“ für die Klient_innen als „Richtig“, als „sinnvoll“ oder „erstrebenswert“ oder gar „gesellschaftlich passend“ ansehen. Es geht – so heißt es in der Definition der Sozialen Arbeit – um die Förderung von Selbstbestimmung und Autonomie der Menschen.

Hebamme ist dazu ein sehr schönes, passendes Bild.

Exkurs: Die Führungskraft als Hebamme zur Ermöglichung von Co-Creation

Photo by Pixabay: https://www.pexels.com/photo/grayscale-photography-of-baby-holding-finger-208189/

Lässt sich das Bild der Hebamme aber auch übertragen auf die Führungsarbeit in Organisationen? Dazu ein kurzer Gedankenexkurs, weg von der Taylorwanne:

Organisationen sollten so gestaltet sein, dass sie ihren Zweck bestmöglich erfüllen können.

Führungskräfte sind aus dieser Perspektive in der Verantwortung, die Strukturen, Rahmenbedingungen, formalen und informellen Regeln und Rituale so zu gestalten, dass wiederum der Zweck bestmöglich erfüllt werden kann. Führungskräfte sind in meinen Augen jedoch nicht dazu da, an den ihnen anvertrauten Mitarbeiter_innen herumzubasteln (und trotzdem können sie gerne Vorbild sein ;-).

Zur bestmöglichen Erfüllung des Zwecks insbesondere sozialer Organisationen sind die Mitarbeiter_innen jedoch unabdingbar. „Der Mensch ist Werkzeug“ in allen Arbeitsfeldern Sozialer Arbeit. Wir haben keinen Hammer, keine Maschinen und keine Roboter, um die immer wieder individuellen Interaktionen mit den Klient_innen zu gestalten.

Entsprechend gilt es für Führungskräfte, Hebamme in Bezug auf die Kompetenzen und Fähigkeiten der Mitarbeiter_innen zu sein, um sie bestmöglich anhand ihrer Fähigkeiten einsetzen zu können.

Und insbesondere dann, wenn es um die zeitgemäße Entwicklung und Gestaltung der Teams oder Organisationen geht, sind Führungskräfte gefragt, als Hebamme das Neue, das Unerwartete, das Zukünftige auf die Welt zu bringen.

Fazit: Die Taylorwanne als Modell zur Organisationsanalyse sozialer Organisationen

Alle beschriebenen Ebenen sind – zumindest aus meiner Perspektive – nachvollziehbar und die Realität in den Organisationen zeigt, dass alle drei Betrachtungsebenen in sozialen Organisationen vorkommen. Teilweise lassen sich die Betrachtungsebenen unmittelbar im Sinne der Organisationsanalyse auf eine Gesamtorganisation beziehen, teilweise finden sich alle drei Ebenen mehr oder weniger ausgeprägt in einer Organisation, teilweise auch in einem Team.

Wenn Du die drei oben beschriebenen Betrachtungsebenen in den Blick nimmst: Wo steht Deine Organisation? Wo steht Dein Team? Und wo stehst Du?

  • Agierst Du und Deine Organisation in einem hochgradig individuellen, ausschließlich auf eine_n Klient_in zugeschnittenen Meister-Lehrling-Setting? Agieren Deine Mitarbeiter_innen als „Expert_innen“ für die Anliegen ihrer Klient_innen?
  • Oder herrscht in Deiner Organisation ein maschinelles, zweckrationales Denken vor? Wird versucht, alles in Prozesse zu pressen? Kommt Dir Deine Organisation wie ein bürokratisches Monster vor?
  • Oder betrachtest Du Dich als Hebamme und versuchst, gemeinsam mit den Dir anvertrauten Menschen – Mitarbeiter_innen wie Klient_innen – deren Potentiale in einem ko-kreativen Prozess auf die Welt zu bringen?

Logo:

Ein Modell – und sei es noch so eingängig – kann nie die komplexe Realität abbilden, aber für mich ist es hilfreich, diese drei Ebenen anzuschauen und mit der Realität in der Organisation und dem Team abzugleichen. Vielleicht hilft es Dir auch zur Organisationsanalyse oder für die Arbeit in Deinem Team? Freu mich auf Deine Einschätzung dazu (gerne in den Kommentaren)!