Schlagwort: Sozialwirtschaft

New Learning in der sozialen Arbeit

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Beim Blick auf Lernen sind (mindestens) zwei Ebenen wichtig: die individuelle Ebene ebenso wie die organisationale Ebene (inkl. Ebene der Teams) des Lernens. Und gerade in der Sozialen Arbeit und in sozialen Organisationen sind wir darauf angewiesen, in Zeiten der Veränderung (VUCA-Blabla…) dringend neu, anders und weiter zu lernen. Hier kommt „New Learning“ ins Spiel, denn:

Das Lernen im Kontext von Dynamik und Komplexität funktioniert schon lange nicht mehr wie das aus Schule und Studium bekannte Lernen. Organisationales und individuelles Lernen wandelt sich radikal.

Aber der Reihe nach:

Im Beitrag erfährst du, was New Learning ausmacht, warum New Learning auch für Menschen in und für soziale Organisationen als Ganzes wichtig ist und wie Du (erste) konkrete Ansätze von New Learning für Dich und in Deiner Organisation umsetzen kannst.

Studien zur Situation der Personalentwicklung in Organisationen der Sozialen Arbeit sind spärlich gesät. Konkret die Frage, wie Lernen in unserer Branche stattfindet, welche Programme angeboten werden und welche Wirkungen was hat (auch wenn das nicht ganz einfach zu erfassen ist) lässt sich kaum beantworten. Das hat viele Gründe.

Eine sehr allgemein gehaltene These lautet, dass „Lernen“ in sozialen Organisationen nicht unbedingt einen großen Stellenwert hat. Stefan Gesmann von der FH Münster schreibt schon 2014, dass „die betriebliche Weiterbildung in Einrichtungen der Sozialen Arbeit oftmals nur unzureichend in das Managementhandeln von Leitungskräften eingebunden ist“. Und gemeinsam mit Berthold Dietz von der EH Freiburg habe ich beschrieben, „warum wir verpflichtende Weiterbildung in der Sozialen Arbeit“ brauchen.

Kurz: Hier ist viel Luft nach oben und einiges an Forschung und Entwicklung vonnöten.

Was ist New Learning?

Ich habe das Buch „New Work braucht New Learning – Eine Perspektivreise durch die Transformation unserer Organisations- und Lernwelten“ von Jan Foelsing und Anja Schmitz gelesen.

Falls Du Dich näher für das Buch oder meinen Eindruck zum Buch interessierst, findest Du hier eine ausführlichere Rezension auf dem Blog (und hier bei socialnet.de). Jedenfalls beziehe ich mich inhaltlich bei vielen Aspekten auf das Buch und ergänze die Ideen um spezifische Fragestellungen sozialer Arbeit und sozialer Organisationen.

Der Ansatz „New Learning“ versucht, die Herausforderungen der Veränderungen der Arbeitswelt und die Prinzipien von New Work (darauf ließe sich wiederum vertieft eingehen) mit der Frage zu kombinieren, wie wir als Individuen und als Organisationen jetzt und in Zukunft sinnvoll lernen.

Dabei steht ein Wechsel von tayloristisch geprägten, top-down organisierten und vorgegebenen Lernsettings hin zu zu bedürfnisorientierten, dynamik-komplexitätsrobusten, kollaborativen Lernökosystemen an, so die Autor*innen des Buchs. Lernen wird damit ein möglichst aktiver und sozialer Prozess, der bedürfnis- oder problemorientiert an echte Herausforderungen gebunden ist. Ziel ist, eine echte Verhaltensänderung herbeizuführen (vgl. ebd., 107).

Aktiv und sozial sind die wesentliche Stichworte:

Aktiv bedeutet, dass New Learning selbst gesteuert ist und sozial bedeutet, dass Lernen eingebunden in unterschiedlichste Netzwerke erfolgt. Hier liegen die wesentlichen Unterschiede zum „old learning“, wenn man diesen Begriff bemühen will:

Old learning basiert auf vorgegebenen, oftmals durch die eigene Organisation strukturierten Lernsettings. Diese von der Organisation angepriesenen „Fortbildungskataloge“, in denen Angebote aufgeführt sind, die niemand bucht, kennt wahrscheinlich jede*r von Euch, oder? Und wenn die Angebote gebucht werden, geht es vornehmlich um die Pausen, in denen man Menschen trifft, die man schon lange nicht mehr gesehen hat.

New Learning hingegen basiert auf der selbstgesteuerten, autonomen Gestaltung der eigenen Lernsettings wie auch der benötigten Lerninhalte. Und das Ganze findet dann eben noch eingebunden in analoge, hybride und/oder rein digitale Netzwerke statt.

Für mich ist das im Übrigen einer der wesentlichen Gründe, in den sozialen Medien aktiv zu sein:

Hier leben meine ganz individuellen Lernplattformen, meine Netzwerke und Communities (dickes Danke an dieser Stelle). Dabei geht es viel weniger um das reine Nutzen der Inhalte und Ideen der dort aktiven und weniger aktiven Menschen. Es geht um die co-kreative Gestaltung von neuen Ideen.

So kreiere ich meine Lernprozesse orientiert an meinen Bedarfen basierend auf unterschiedlichen Methoden als „Remix vielfältiger interner und externer Inhalte sowie im Austausch und co-Kreation mit [m]einen Learning Peers, selbst.“ (ebd., 108).

An dieser Stelle will ich nicht tiefer auf die neuen Lernmethoden eingehen, die genutzt werden können, um Kompetenzen für die Zukunft, sog. Future Skills, zu generieren. Es würde ausufern, hier Methoden von Working out loud #WOL über ambidextres Lernen bis hin zu Value-creation oriented Learning (VOL) zu beschreiben. Diese Methoden lassen sich bspw. im genannten Buch oder im Netz finden.

Wichtiger ist mir die Betonung, dass effektives Lernen von Individuen wie von Organisationen heute schon und in der Zukunft verstärkt zum einen zum zentralen Wettbewerbsvorteil wird (vgl. ebd., 160).

Zum anderen aber, und das finde ich noch relevanter, brauchen wir neue Lösungen für die gesamtgesellschaftlichen und auch globalen Herausforderungen der Zukunft. Diese Lösungen können wir nur durch Innovationen auf allen Ebenen und damit durch gemeinsames Neu- und Anders-Lernen gestalten, die, wie Scharmer schreibt, „die Fähigkeit zum gemeinsamen Spüren und zur gemeinsamen Gestaltung der Zukunft aufbauen“ (hier).

Auswirkungen von New Learning auf soziale Organisationen

Gibt es strukturierte Lernmöglichkeiten in Deiner Organisation?

Falls dem so ist, arbeitest du in einer Einrichtung, die nicht dem Standard entspricht. So lässt sich zwar konstatieren, dass soziale Organisationen, Non-Profits oder auch Organisationen der Sozialen Arbeit sehr personalintensiv sind, da die Leistungserbringung fast immer auf interpersonellen Austauschprozessen basiert.

Daraus folgt, dass die Menschen in den Organisationen wichtigste Ressource zur Wertschöpfung und gleichzeitig größter Kostenfaktor sind. Hinzu kommt, dass der Fachkräftemangel in einigen Arbeitsfeldern sozialer Arbeit existenzbedrohende Ausmaße annimmt.

Gerade unter diesen Bedingungen wäre es mehr als notwendig, effizient und effektiv, wenn Menschen ihre Kompetenzen bestmöglich einsetzen könnten. Denn die Mitarbeiter*innen sozialer Organisationen sind *die* strategisch wichtige, unverzichtbare Ressource (wenn man das so nennen will) zur Erreichung der Wertschöpfung der Organisationen (vgl. näher bspw. Englert, B. 2019, Personalmanagement in Nonprofit-Organisationen, S. 1).

Allein vor dem Hintergrund dieser minimalen Skizze ist es verwunderlich, dass der Personalentwicklung bislang so wenig Raum in sozialen Organisationen eingeräumt wird. Ja, I know, es ist keine Zeit und kein Geld da, aber der Waldarbeiter mit seiner ungeschärften Säge sollte uns warnendes Beispiel sein.

Mehr noch aber können Ansätze des New Learnings helfen, Lernen und Entwicklung und damit Innovation gerade in den hoch komplexen und anspruchsvollen Arbeitsbedingungen sozialer Arbeit unter Bedingungen begrenzter Ressourcen zu realisieren.

So geht es bei New Learning – der obigen Definition folgend – um das bedürfnis- und problemorientierte, selbstbestimmte Lernen, das an echte Herausforderungen gebunden ist. Beim New Learning geht es nicht mehr um die langweilige Weiterbildung, die in einem muffligen Keller-Raum der 60er Jahre („Das ist unser neues Innovation Lab, Steve Jobs hat auch so angefangen…“) verpflichtend abgehalten wird.

Es geht um die Frage, wer was – welche Inhalte, welche Verbindungen, welche Kontakte, welches Wissen, welche Ideen – zu welchem Zeitpunkt wofür braucht. Damit rücken gießkannenartige Weiterbildungskonzepte in den Hintergrund. Dem spezifischen, Problem-orientierten, individuellen Weg wird Vorrang eingeräumt.

Konkret ist dann nicht mehr der Master-Studiengang XY für die angehende Führungskraft sinnvoll, um „einmalig alles“ zum Thema zu erfahren, sondern peu a peu werden über ausgewählte Learn-Nuggets oder Micro-Learnings die für die neue Aufgabe wirklich benötigten Kompetenzen erworben.

Dieses Lernen erfolgt während bzw. parallel zur Arbeit und schont damit auch die Ressourcen, die sonst für ein langwieriges Bildungsprogramm aufgewendet worden wären (ich komme unten noch mal dazu, warum trotz aller Veränderung die traditionellen Programme ihre Berechtigung haben).

Wichtig im New Learning sind demzufolge zwei Dinge:

a) Es braucht eine grundlegende Kompetenz, selbstbestimmt und autonom lernen zu können (und zu wollen).

Und b) braucht es „Content Curation“, also die Aufbereitung und Zusammenstellung der unüberschaubaren Menge von (meist) frei verfügbaren Inhalten und die Begleitung der Menschen durch diese neuen Lernwelten.

Aus diesen beiden Aspekten folgt dann eine c) „New Learning Culture„, also eine Kultur, in der Lernen im Zentrum steht.

Kompetenz, selbstbestimmt zu lernen

Bei Punkt a) sehe ich einige Herausforderungen. So bereitet unser Bildungssystem im Kern nicht auf das selbstbestimmte, autonome Lernen vor, sondern verfolgt – verkürzt ausgedrückt – Prinzipien und Mechanismen, die vorhandenes Wissen in standardisierte und damit abprüfbare Einheiten unterteilen.

Hier sind wirklich gute Ansätze erkennbar, die jedoch vornehmlich von einzelnen, engagierten Menschen aus dem Bildungsbereich vorangetrieben werden. Systematische Veränderungen lassen – trotz Corona, Home-Schooling, Distance Learning… – seit etwa 60 Jahren auf sich warten. Das Bologna-System der Hochschulen hat übrigens nicht dazu beigetragen, hier auf akademischer Seite zeitgemäße Veränderungen herbeizuführen. Kurz: Lernen lernen muss man selbst lernen. Da ist viel Bedarf.

Content Creation

Und Punkt b) – Content Creation – ist in unserem Feld (ebenso wie in den meisten anderen Feldern) Neuland. Welches sind die „guten“ Inhalte, die Hand und Fuß haben? Wie komme ich daran, um meinen Bedarf jetzt zu decken? Warum ist es vielleicht nicht nur klug, meine Frage zum Thema XY in eine Facebook-Gruppe zu stellen? Wo kann man sonst noch schauen, um tiergehende Inhalte zu finden, die jetzt weiterhelfen? Wie baut man (s)eine Learning Community in und außerhalb der Organisation auf?

Diese und mehr Fragen sind oftmals unklar. Und gerade deshalb sind sie so wichtig – auch für die Soziale Arbeit.

Und noch einmal zu den Auswirkungen von New Learning (oder wie auch immer man das nennt…) auf soziale Organisationen insgesamt:

New Learning Culture

Ich bin davon überzeugt, dass sich für soziale Organisationen, die sich heute mit Fragen des Lernens von Morgen befassen und damit an ihrer eigenen Lernkultur arbeiten, enorme Wettbewerbsvorteile im Kampf um die besten Fachkräfte, vor allem aber echte Vorteile für ihre Klient*innen ergeben. Jan Foelsing und Anja Schmitz sprechen im Buch „New Learning“ von einer „New Learning Culture“, die sich zusammenfassend dadurch auszeichnet, dass

  • dem Lernen ein hoher Stellenwert beigemessen wird, .
  • kontinuierliches individuelles, team- und netzwerkorientiertes Lernen als zentral erachtet wird, um die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen der anstehenden Veränderungen bewältigen zu können und
  • Lernen hierbei als Basis für die nachhaltige Anpassungs-, Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Organisation gesehen wird (vgl. ebd., 198).

Cool wäre manchmal wohl schon eine Learning Culture, ohne New…

Erste Schritte im New Learning, die Du direkt umsetzen kannst!

New Learning ist bzw. die Ideen hinter dem, wie wir in unseren Organisationen zukünftig mit Lernen umgehen werden, sind enorm umfangreich, komplex und vielfältig:

Vom Individuum angefangen über das Lernen im Team bis zur Organisation und den auf die Organisation einströmenden technologischen und gesellschaftlichen Anforderungen durch die Umwelt, in die die Organisation eingebunden ist, wird deutlich, dass neues Lernen ganzheitlich zu betrachten ist.

Das ist einerseits super, da auf unterschiedlichen Ebenen angesetzt werden kann und Erfolge zu erzielen sind.

Andererseits ist es aber auch abschreckend, da überhaupt nicht klar ist, wo denn der beste „Hebel“ ist, an dem angesetzt werden kann. Das kann zum Erstarren oder dazu führen, einfach mal lieber nichts zu machen…

Und wo sind vor allem die Hebel, an denen Du „einfach“ ansetzen kannst, um weiter zu kommen?

Dazu hier ein paar Ideen:

Vision gestalten

Muhahaha…. Kleiner Schritt und wir beginnen wieder bei der Vision – also ganz oben?

Ja, aber mein Verständnis hier ist, dass Du die Vision auf alle angesprochenen Ebenen anwenden kannst: Auf die Organisation, Deine Abteilung und Dein Team und auf Dich selbst: Die Grundfrage lautet demnach:

  • Wo willst Du (aka Dein Team, Abteilung, Organisation) hin?
  • Wozu willst Du dich mit neuem Lernen beschäftigen?

Die Antworten darauf können sehr klein sein, aber das ist völlig passend: Die Intention, mit (neuem) Lernen zu beginnen, zählt – für Dich, Dein Team und Deine Organisation.

Exploitatives Lernen, oder: Herausforderungen identifizieren

Wo drückt der Schuh (wirklich)?

Die transparente Darlegung der aktuellen Herausforderungen, denen Du in der Arbeit auf individueller Ebene, auf Ebene der Teams und Abteilungen oder der Gesamtorganisation begegnest, zeigt Dir, wo wirklich Lernen angesagt ist, um zu neuen Ideen und Lösungen zu kommen.

Wenn klar ist, wo die Herausforderungen liegen, kannst Du Dich auf die Suche nach passenden Lern-Lösungen (vom YouTube-Video über Bücher, moocs und Blogs bis hin zu ganzen OE-Maßnahmen) machen.

Dieses Lernen lässt sich als „exploitatives Lernen“ definieren: „Exploitatives Lernen zielt auf Verbesserung der eigenen Kompetenzen, ihre möglichst effiziente Anwendung, sowie die Erweiterung, Verfeinerung oder Vertiefung von bereits bestehendem Wissen und Kompetenzen (…). Es geht also darum, die eigene Leistung im bestehenden Kontext möglichst schnell und kontinuierlich zu erhöhen, um die momentanen Aufgaben effizienter erledigen zu können“ (ebd., 111).

Lernen geschieht hier in der Absicht, bestimmte Lösungen zu generieren: Du hast ein Problem in Deinem aktuellen Arbeitskontext? Du brauchst eine Lösung in Deinem aktuellen Arbeitskontext!

Exploratives Lernen, oder: Lernen ohne Lösung

Was aber ist mit Lernen, das wirklich grundlegend Neues hervorbringt? Hier spricht man von „explorativem“, also dem entdeckenden Lernen: „Exploratives Lernen bezieht sich (…) auf die Erkundung von und das Experimentieren mit ungewohnten Kontexten und Fachgebieten, das Verlernen von Gewohntem, das sich Einlassen auf bisher „undenkbare“ Perspektiven, d. h. auf Lernen außerhalb der aktuellen Wissensdomänen. Dazu gehören Verhaltensweisen, wie z.B. suchen, variieren, experimentieren, spielen, oder entdecken, die ein tieferes Lernen ermöglichen“ (ebd.).

Die Herausforderung explorativen Lernens besteht darin, dass es nicht unmittelbar „nutzbar“ ist und trotzdem enorme Relevanz hat:

Ohne neue Ideen, ohne Innovation und wirkliche Entwicklung wird jede Organisation früher oder später in Schieflache geraten. Und trotzdem ist es nicht einfach, gegenüber Vorgesetzten die Notwendigkeit explorativen Lernens zu begründen.

Manche Arbeitgeber stellen ihren Mitarbeiter:innen 10% der Arbeitszeit zur vollkommen freien Verfügung bereit. In dieser Zeit können sich die Mitarbeiter:innen mit was auch immer beschäftigen und weiterbilden. Das sind optimale Bedingungen, um exploratives Lernen zu ermöglichen.

Deine Lernformate finden

Was sind Deine Lernformate? Diese Frage klingt trivial, ist aber mehr als wichtig: Bislang definierten wir Lernen in und für unsere Arbeitswelt und damit „Corporate Learning“ meist als staubig, trocken und in irgendwelchen Tagungshotels stattfindend – Wasser, Kaffee und Butterbrezeln inklusive.

Wenn „New Learning“ aber – wie oben definiert – ein möglichst aktiver und sozialer Prozess ist, der anhand Deiner Bedürfnisse bzw. Probleme echte Herausforderungen lösen will, ist es unabdingbar, dass Du Lernen für Dich in Deinen Formaten definierst. Die Formate können dabei komplett vielfältig sein:

  • Blogs,
  • Videos,
  • Social Media,
  • Podcasts,
  • Barcamps,
  • Bücher,
  • Online-Kurse,
  • Coachings,
  • klassische Weiterbildungen,
  • Formate wie Working out loud und ähnliche,

Die Möglichkeiten sind unbegrenzt, flexibel und oftmals enorm kostengünstig. Was sind aber die für Dich geeigneten Formate, damit Du für Dich wirklich weiterkommst? Womit gelingt es Dir am Besten, Dein Bedürfnis bestmöglich zu erfüllen?

Die Beantwortung der Fragen setzt voraus, dass man sich mit diesen Themen befasst. Darin sehe ich leider ein immer noch großes Problem auch und gerade sozialer Berufe: Nein, nach dem Studium bist Du nicht „fertig“ mit Deiner Ausbildung. Ja, Du kannst immer noch Lernen und Dich verändern. Das musst Du aber wollen. Und – das ist die andere Seite – Du musst es (in Bezug auf Dein Arbeitsleben) dürfen. Deine Organisation muss Lernen aktiv zulassen. Leider ist auch das, wie schon gesagt, immer noch eine echte Herausforderung.

Fazit: New Learning ist (d)eine neue Welt

Es gibt noch drölfzig weitere Ansatzpunkte, „Dein“ und „Euer“ New Learning zu finden. Nicht berücksichtigt ist bspw. die Frage, welche technischen Voraussetzungen, aber auch welche technischen Unterstützungsmöglichkeiten denkbar und sinnvoll sind.

So ist dieser Beitrag in seiner ersten Fassung vor „ChatGPT“ entstanden. Die mit den LLMs einhergehenden Möglichkeiten für die Gestaltung von Lernen und Weiterbildung sind enorm.

New Learning ist – wie New Work – kein Programm, kein Rezept, nicht ein-, sondern vieldimensional und hochgradig spannend.

Denn eins ist sicher: Lernen verändert sich massiv. Dabei ist es ganz egal, ob Du jetzt den Begriff magst oder nutzt oder nicht.

Diese Veränderung ist aus meiner Sicht definitiv zu begrüßen:

Wenn Autonomie und Selbstbestimmung nicht nur als Prämissen für New Work, sondern auch als Prämissen für New Learning, also das Lernen der Zukunft, fungieren, kann es nur gut werden.

Lernen bedeutet dann nicht mehr, sich einmalig und verpflichtend oben Wissen reinzustopfen, das von außen aufbereitet und vorgegeben und noch abgeprüft und wieder vergessen wurde.

New Learning ist emotional, interessen- und fähigkeitengeleitet, an individuellen Anforderungen und Bedarfen orientiert. Das war (echtes) Lernen zwar schon immer, aber angesichts unserer Herausforderungen wird immer deutlicher, dass es klassisch nicht mehr geht. Somit:

Such Dir Netzwerke und Unterstützung und begib Dich auf Deinen Weg hin zum New Learning.

Aber, und das ist mir abschließend mit Blick auf soziale Organisationen wichtig:

Wir sehen eine Menge Menschen, die nicht „gelernt“ haben, wie sie neu Lernen können. Gerade in sozialen Organisationen haben wir es in vielen Fällen mit Menschen zu tun, die extrem negative Schul- und Lernerfahrungen gesammelt haben, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind und die ganz grundlegende Schwierigkeiten in der Gestaltung des Lebens nach „unserer Normalität“ haben.

Soziale Organisationen sind dafür da, Menschen in ihrer Autonomie und Selbstbestimmung zu unterstützen (vgl. Definition Sozialer Arbeit). Um dies auch auf Ebene des Lernens gewährleisten zu können, sind wir – die Professionellen in der Sozialen Arbeit – verpflichtet, uns mit neuen Wegen des Lernens zu befassen. Nur so kann es gelingen, die Klient*innen auf ihren „New Learning Wegen“ zu begleiten.

Ach, und noch was: Vielleicht sind die Lernwege der Klient *innen viel näher am New Learning als das, was wir mit unserer professionellen Brille als „richtig“ empfinden?


Dieser Beitrag ist für die „Blogparade I/V: #NewLearning – was kann „Radikal Neu“ jetzt auch für das LERNEN bedeuten?“ leicht überarbeitet und aktualisiert worden. Deswegen: #NewLearning / #NextLearning 😉

Warum Einfachheit, Machbarkeit und Sinn so wichtig sind, oder: Gedanken zur organisationalen Salutogenese

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Gesundheit und Krankheit sind in Zeiten einer Pandemie aus guten Gründen besonders relevant. Ich habe noch nie soviel „Bleib gesund“s unter Mails gelesen und in Gesprächen gehört. Und die aktuelle „Neue Narrative“ titelt in der aktuellsten Ausgabe entsprechend:

„Wir sind doch alle krank!“

Da kommt die Salutogenese um die Ecke: Wuhuu… Neues Fremdwort! Salutogenese, schon mal gehört? Wahrscheinlich schon, denn gerade im Kontext von Organisationen des Sozial- und Gesundheitswesens sollte die Idee hinter dem Begriff geläufig sein.

Spannend ist – und darum geht’s im Beitrag – die Übertragung der Idee der Salutogenese und deren Dimensionen auf Organisationen als soziale Systeme. Die Leitfrage lautet also:

Wie sehen gesunde Organisationen aus? Und wie können wir diese gestalten?

Aber der Reihe nach:

Was ist Salutogenese?

Salutogenese bezeichnet – so Wikipedia – neben einer Fragestellung und Sichtweise für die Medizin vor allem ein Rahmenkonzept, „das sich auf Faktoren und dynamische Wechselwirkungen bezieht, die zur Entstehung und Erhaltung von Gesundheit führen.“

Im Gegensatz zur Pathogenese, die die Krankheit in den Mittelpunkt stellt, wird bei der Salutogenese versucht, die drei Einflussfaktoren Verständnis, Machbarkeit und Sinnhaftigkeit als Kohärenzgefühle in den Mittelpunkt der Entstehung von Gesundheit zu stellen. Gesundheit ist damit nicht als Zustand, sondern als Prozess zu verstehen. Risiko- und Schutzfaktoren stehen hierbei in einem Wechselwirkungsprozess.

Geprägt wurde der Begriff der Salutogenese durch den israelisch-amerikanischen Medizinsoziologen Aaron Antonovsky (1923–1994) in den 1980er Jahren. Ohne in die Tiefe zu gehen, war eine der Kernfragen seiner Forschung, wie es Menschen gelungen ist, unter den Bedingungen der KZ-Haft sowie in den Jahren danach ihre (körperliche und psychische) Gesundheit zu erhalten.

Gesundheit entsteht nach Antonovsky – wiederum sehr kurz gefasst – wenn Menschen ein Kohärenzgefühl haben.

Kohärenz umfasst nach Antonovsky die drei Dimensionen Verständnis, Machbarkeit und Sinnhaftigkeit :

  • Verständnis meint die Fähigkeit, die Zusammenhänge des Lebens zu verstehen.
  • Machbarkeit ist die Überzeugung, das eigene Leben gestalten zu können – das Gefühl der Handhabbarkeit oder Bewältigbarkeit (ähnlich dem Begriff der ‚Selbstwirksamkeitserwartung‘ nach Bandura).
  • Und Sinnhaftigkeit ist der Glaube an den Sinn des Lebens.

Heiner Keupp beschreibt die drei Komponenten des Kohärenzgefühl wie folgt:

„Kohärenz ist das Gefühl, dass es Zusammenhang und Sinn im Leben gibt, dass das Leben nicht einem unbeeinflussbaren Schicksal unterworfen ist.

  • Meine Welt ist verständlich, stimmig, geordnet; auch Probleme und Belastungen, die ich erlebe, kann ich in einem größeren Zusammenhang sehen (Verstehensebene).
  • Das Leben stellt mir Aufgaben, die ich lösen kann. Ich verfüge über Ressourcen, die ich zur Meisterung meines Lebens, meiner aktuellen Probleme mobilisieren kann (Bewältigungsebene).
  • Für meine Lebensführung ist jede Anstrengung sinnvoll. Es gibt Ziele und Projekte, für die es sich zu engagieren lohnt (Sinnebene).“

Die drei Ebenen bzw. die Dimensionen Verstehbarkeit, Selbstwirksamkeit und Sinn machen demnach Gesundheit aus.

Das ist sehr nachvollziehbar: Wenn ich das Gefühl habe, dass mein Leben für mich verstehbar, gestaltbar und sinnhaft ist, habe ich das Gefühl, lebendig, gesund zu sein, gestalten und mich entfalten zu können. Und dabei ist dieses Gefühl für jede*n von uns völlig individuell.

Wenn jedoch eine Dimension ins Wanken kommt, ich also den Überblick verliere, nicht mehr gestalten kann und/oder den Sinn meines Handelns oder mehr noch des Lebens verliere, gerät das komplette Konstrukt ins Wanken.

Schon hier kann man – mit Blick auf Führung und Personalarbeit, mit Blick auf HR, sehr tief einsteigen, damit die Menschen in den Organisationen gesund bleiben. So ist das Konzept der Salutogenese in der Mitarbeiterführung und Entwicklung sicherlich mehr als lohnenswert.

Mich interessiert aber, ob und wie es gelingen kann, die Dimensionen der Salutogenese auf Organisationen als Ganzes zu beziehen. Welchen Nutzen können also die Dimensionen der Salutogenese für Organisationen und Fragen der zeitgemäßen Organisationsentwicklung haben?

Und welche Handlungsoptionen lassen sich daraus ableiten?

Übertragung der Dimensionen der Kohärenz auf Organisationen

Noch einmal: Die Dimensionen Verstehbarkeit, Selbstwirksamkeit und Sinn machen Gesundheit aus. Wenn man Organisationen als soziale Systeme betrachtet (was für mich aus vielerlei Perspektive Sinn macht), kann man davon sprechen, dass Organisationen „lebendige“ Eigenschaften aufweisen. Denn „weder Menschen noch die Organisationen, in denen sie arbeiten, [sind] Maschinen.“ (Neue Narrative, #12, S. 16).

Aus diesem Verständnis heraus entwickeln Organisationen sich selbst, wollen von sich aus „lebendig bleiben“ (Autopoiese) und sind – ebenso wie das psychische System der Menschen – als nichttriviale Systeme nicht steuerbar im maschinellen Sinn.

Apropos Sinn…

Sinn

Sinn – als erste der Kohärenzdimensionen – wird dahingehend wichtig, wenn man den Zweck einer Organisation betrachtet: Organisationen benötigen zum Überleben einen Zweck, eine Existenzberechtigung. Organisationen ohne Zweck sterben. Oder sie werden künstlich, mit viel Marketing, am Leben erhalten.

Genau wie Menschen einen Sinn benötigen, um gut arbeiten zu können, benötigen Organisationen einen Sinn. Schon hier stellt sich die Frage, wie der Sinn, der Purpose, das Zusammenspiel zwischen Vision und Mission in Deiner Organisation ausgeprägt ist? Wann hat sich Deine Organisation das letzte Mal mit ihrem Sinn befasst? Wozu existiert Deine Organisation? Hör mal genau hin, vielleicht ist es etwas anderes, als das, was Du glaubst?

Selbstwirksamkeit

Das Selbstwirksamkeitserleben bzw. die Selbstwirksamkeitserwartung ist nicht nur wesentlich für die Gesunderhaltung von Menschen, sondern auch für ihre Entwicklung. Denn wer daran glaubt, etwas bewirken und auch in schwierigen Situationen selbstständig handeln zu können, kann als Person gezielt Einfluss auf die Dinge und die Welt nehmen, statt äußere Umstände, andere Personen, Zufall, Glück und andere unkontrollierbare Faktoren als ursächlich für das eigene „Schicksal“ anzusehen (vgl. Wikipedia).

Wenn mir – was ja nunmal vorkommt – das Leben Aufgaben stellt, die ich lösen kann, geht es mir gut. Ich verfüge über Ressourcen, die ich zur Meisterung meines Lebens, meiner aktuellen Probleme mobilisieren kann. Und für Organisationen gilt das Gleiche: Welche Aufgaben sind zu bewältigen? Befassen wir uns mit dem, was wir können? Denn nur daraus erwächst (Selbst-)Wirksamkeit.

Verstehbarkeit

Verstehbarkeit bedeutet, die Umwelt als geordnet, konsistent und erklärbar einzuschätzen. Menschen, die Begründungen für das finden, was sich um sie herum ereignet, gehen davon aus, dass auch künftig überraschend eintretende Ereignisse eingeordnet und erklärt werden können. Der Blick auf und vor allem der Blick in Organisationen zeigt jedoch, dass wir Organisationen geschaffen haben, die hochgradig kompliziert gestaltet sind. Regeln, Rituale, Vorgaben, Prozesshandbücher, QM-Richtlinien und vieles mehr sind nicht nur nicht mehr nachzuvollziehen oder verstehbar. Diese Strukturen von Organisationen führen zur Blockade der Möglichkeit, sich schnell an veränderte Bedingungen anpassen zu können.

Und genau das – diese Anpassungsfähigkeit – ist die berühmte Agilität, von der alle immer sprechen. Nicht umsonst überschreibt Jos de Blok (bspw. in diesem Video, aber auch an vielen anderen Stellen) den bzw. zumindest einen Aspekt des Erfolgs von Buurtzorg mit den Worten „keep it small, keep it simple“. Halte es einfach.

Halte Deine Organisation einfach.

Die Umschreibung des „Needing Principles“ mit den Worten Do, what’s needed! unterstreicht diese Einfachheit, Verstehbarkeit eindrücklich.

Das ist im Kern auch der Grund, warum ich glaube, dass selbstbestimmt agierende Teams und Organisationen nicht nur – wie oftmals vorgebracht wird – ein Thema für „Akademiker*innen“ sind. Im Gegenteil wird erst durch das Wegfallen von Strukturen, Hierarchien, Machtspielchen und interner Politik Klarheit, Einfachheit und Verstehbarkeit geschaffen. So ließe sich andersherum argumentieren, dass die etablierten Strukturen unserer Organisationen viel mehr dem Machterhalt als der eigentlichen Wertschöpfung dienen.

Aus der Einfachheit heraus ergibt sich im Übrigen viel Raum und Freiheit für die so viel beschworene und in vielen Bereichen wirklich benötigte Innovation.

Schlussfolgerungen für die Organisationsentwicklung

Es wurde deutlich, dass die Übertragung des Konzepts der Salutogenese auf Organisationen durchaus sinnvoll sein kann.

Verstehbarkeit, Selbstwirksamkeit und Sinn sind nicht nur für Menschen, sondern auch für Organisationen in einer sich dynamisch verändernden, komplexen Welt erstrebenswerte Aspekte, um „gesund zu bleiben“.

Es geht darum, überschaubar und nachvollziehbar sinnvoll handeln zu können.

Aber was kannst Du in Deiner Organisation konkret tun, um einen Schritt weiter zu einer gesunden Organisation zu kommen?

Dazu hier ein paar Ideen für

Verstehbarkeit:

  • Habt ihr eure Prozesse dokumentiert? Falls nicht: Machen! Denn es hilft ungemein, wiederholende Prozesse einmal zu fassen und dann auch anhand des PDCA-Zyklus weiterzuentwickeln. Falls ja: Wann habt ihr euch im Team oder der Organisation das letzte Mal ernsthaft mit den Prozessen befasst, diese aktualisiert und entmüllt? Prozesse zu dokumentieren macht nur Sinn, wenn diese dann auch gelebt werden.
  • Gibt es sonstige Regeln und Vorgaben, die ihr festgelegt habt und denen ihr folgen müsst? Machen diese Regeln und Vorgaben Sinn? Wenn nicht, weg damit.
  • Wie ist die Aufbaustruktur der Organisation gestaltet? Wie viele Hierarchieebenen gibt es? Und machen die Sinn? Wenn nicht, lohnt es sich perspektivisch, diese abzubauen. Das klingt einfacher, als es ist, aber das Ziel einer verständlichen Organisationsstruktur wäre ja eine echte Vision, oder?
  • Wie steht es eigentlich um die Strategie in der Organisation? Klar gibt es eine (hoffentlich…), aber ist diese auch den Mitarbeiter* innen bekannt. Und mehr noch: Kennen die Mitarbeiter* innen und Teams ihre Aufgaben und Projekte, mit denen sie zur Erreichung der Strategie beitragen? Falls nicht, lohnt es sich, die Strategie noch einmal genauer anzuschauen und gemeinsam Ziele zur Erreichung der Strategie auf den unterschiedlichen Ebenen der Organisation abzuleiten.
  • Und überhaupt Transparenz: Wie transparent sind Entscheidungen? Wie transparent ist die Kommunikation in der Organisation? Wie transparent sind auch die finanziellen Kennzahlen der Organisation? Denn: Wir können von den Mitarbeiter* innen nicht verlangen, dass sie Verantwortung übernehmen, wenn die Rahmenbedingungen unklar sind.

Selbstwirksamkeit

  • Ist der Gesamtorganisation klar, was Mission und Vision, was Purpose der Organisation ist? Das ist gerade bei sozialen Organisationen gar nicht so einfach, denn man kann ja irgendwie alles. Was aber gehört nicht zum Aufgabenbereich der Organisation? Was kann und muss von anderen bearbeitet werden?
  • Ist allen Mitarbeiter*innen auf Teamebene klar, was Vision und Mission ihrer Arbeit ist? Falls nicht macht es Sinn, im Team über die Aufgaben und die Ausrichtung des Teams gemeinsam zu sprechen. Wozu ist das Team da?
  • Gibt es in der Bearbeitung von Aufgaben eine Überschneidung dessen, was die Mitarbeiter *innen können, wollen und sollen? Das ist relevant, denn nur, wenn die Motivation mit den Fähigkeiten und Kompetenzen zusammenfällt und die dann hervorkommenden Ergebnisse noch das sind, was Aufgabe der Organisation ist, wird wirklich gute Arbeit geleistet. Was muss verändert werden, um eine Passung der drei Aspekte Wollen, Können und Sollen zu erreichen?
  • Welche Herausforderungen auf individueller Ebene sind zu bewältigen, um die Selbstwirksamkeit im Beruf zu erhöhen? Sind die Mitarbeiter*innen in der Lage, sich selbst zu organisieren, so, dass sie nicht von den anfallenden Aufgaben überfordert sind? Man kann nur dann selbstbestimmt im Team arbeiten, wenn man seine Aufgaben und sich selbst (halbwegs 😉 gut auf die Reihe bekommt.

Sinn

  • Mal ehrlich: Wenn man davon ausgeht, dass Deine Organisation ein soziales System ist: Was würde die Organisation selbst sagen: Macht das, was sie tut, Sinn?
  • Und ebenfalls ehrlich: Wenn es keinen Sinn macht, ist es auch OK, eine Organisation, ein Projekt oder ein Produkt sterben zu lassen. Manchmal macht der Neuanfang mehr Sinn.
  • Über Purpose, Vision und Mission habe ich ja schon geschrieben. Aber kennst Du die Vision, Mission und Purpose Deiner Organisation? Wirklich? Und macht das noch Sinn? Und wird das, was in der Vision, Mission und dem purpose steht, in konkrete Strategien übersetzt? Was also hat Deine Arbeit mit dem zu tun, was Sinn macht?

Naja, kann man ja mal drüber nachdenken…

Oder konkret dran arbeiten.

Wenn Du dabei Unterstützung brauchst, sag gerne Bescheid 😉

Besser wurschteln, oder: Wie gelingt erfolgreiche Selbstorganisation im Team?

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Viele Teams in und kleine soziale Organisationen als Ganzes „wurschteln“ so vor sich hin. Zum einen kenne ich das aus eigenen Arbeitserfahrungen in kleinen Agenturen (Grüße an dieser Stelle) und aus der Arbeit in Teams der stat. Jugendhilfe (auch hier Grüße 😉 Zum anderen lassen viele Berichte von Bekannten und Freund*innen in sozialen und Bildungseinrichtungen den „Wurschtel-Schluss“ zu. Dabei – das vorweg – klingt „wurschteln“ irgendwie negativ, aber so ist es überhaupt nicht gemeint. Wurschteln kann – gut gemacht – zu echter Selbstorganisation im Team führen.

Was ist „wurschteln“?

Unter „wurschteln“ versteht der Duden (ja, das Wort steht im Duden) „in einem gewissen Trott und ohne rechten Plan vor sich hin arbeiten„. Das ist spannend, vor allem der zweite Teil: „…ohne rechten Plan vor sich hinarbeiten“! Und genau darum geht es: Es gibt in vielen Teams und (kleinen) Organisationen keinen „rechten Plan“, an den man sich akribisch hält. Arbeit findet in dem Fall vielmehr „ungeplant“ statt, ein Wort, das in unserer Arbeitskultur nicht unbedingt auf Gegenliebe stößt.

An dieser Stelle kommt mir wieder die Natur in den Sinn: Ich bin mir ziemlich sicher, dass die auch so vor sich hinwächst, ohne rechten Plan. Pflanzen, Blumen, Wälder, Tiere, Sträucher usw. entwickeln sich nicht anhand eines Plans, sondern evolutionär, je nachdem, was gerade ansteht. Es steht nicht die Frage im Vordergrund, was „geplant“ was und „umgesetzt werden muss“, sondern das, was notwendig ist, was jetzt gebraucht wird. Und ohne in die Tiefe gehen zu können zeigt sich das „Wurschteln“ aus Perspektive der Systemtheorie in der Selbstreferentialität sozialer Systeme: Diese handeln nicht aufgrund externer Umwelteinflüsse, nicht aufgrund der gewollten Steuerung, nicht aufgrund der Umsetzung eines Plans, sondern selbstorganisiert, eigenständig und eigenverantwortlich aus sich selbst heraus.

Übertragen auf Arbeit in Teams ergibt sich daraus die sehr zeitgemäße Organisationsstrategie „Do, what’s needed!

Wie geht „wurschteln“?

Ich begleite aktuell einen kleinen sozialen Träger (Ein Team, 7 Mitarbeiter* innen), der mit der Frage an mich herangetreten ist:

„Wir arbeiten als Team irgendwie basisdemokratisch. (Wie) können wir damit zukünftig überleben?“

Zur Erläuterung der Struktur: Wir sprechen von einem kleinen Verein, dessen operative Arbeit von einem Team geleistet wird, das sich aus Menschen unterschiedlichen Alters zusammensetzt, die alle über eine ähnliche formale Qualifikation verfügen (Psychologie und Soziale Arbeit). Bislang war es nicht notwendig, über die notwendigen gesetzlichen Anforderungen hinaus (es braucht eine Geschäftsführung auf dem Papier) eine wie auch immer geartete „Hierarchie“ zu etablieren (was in der Größe auch gegen jeden Menschenverstand verstoßen würde).

In den Vorgesprächen zeigte sich, dass das Team die Art, wie die Zusammenarbeit bislang gestaltet ist, enorm positiv empfunden und als Bereicherung gesehen hat. Gleichzeitig kam jedoch auch die Angst heraus, mit der Art der „basisdemokratischen“ Zusammenarbeit im Team „irgendwie nicht mehr zeitgemäß“ zu sein und keine neuen Mitarbeiter* innen zu finden (es geht perspektivisch auch um Mitarbeitergewinnung). Im Angesicht zunehmender Konkurrenz, vielfältiger werdender Themenstellungen (bspw. auch das Thema Digitalisierung des Vereins) und gesetzlicher Anforderungen war die Gefahr der Überlastung der Organisation zunehmend spürbar.

Wie aber lässt sich angesichts der Rahmenbedingungen die vom Team als „basisdemokratisch“ bezeichnete Art der Zusammenarbeit zeitgemäß gestalten? Geht das überhaupt?

Wurschteln positiv belegen

Der Blick auf die Art der Zusammenarbeit im beschriebenen Team zeigt mir einerseits die unter dem evolutionären Vorgehen bzw. die unter „Was ist Wurschteln“ beschriebene Haltung: Das Team macht das, was notwendig ist. Anstehende Aufgaben werden „auf dem kurzen Weg“ besprochen und dann wird gehandelt. Es wird offen, transparent und sehr authentisch kommuniziert. Meist ergeben sich auch gute Ergebnisse.

Dem Team zu spiegeln, dass die Art, wie sie arbeiten, im Kern die Art zeitgemäßer Zusammenarbeit ist, die Organisationen „dynamikrobust“, wie Gerhard Wohland sagt, oder auch „komplexitätssensibel“, wie Maria Herrmann hier im Podcast sagt, macht, war enorm befreiend. Als These zusammengefasst:

„Wir brauchen keine Hierarchien und müssen auch nicht grundlegend anders arbeiten!“

What, How, Why, oder: Erst die Arbeit, dann die Visionen

Jede*r kennt wahrscheinlich den „Golden Circle“ von Simon Sinek. Darin plädiert Sinek dafür, zunächst das „Why“, das Wozu oder die Mission (manche sagen auch Purpose 😉 zu bestimmen. Davon ausgehend ist dann das How, also Werte und Prinzipien der Zusammenarbeit und der Organisation und dann das „What“, das konkrete Produkt, die konkrete Tätigkeit zu bestimmen.

Bei Interesse lohnt sich immer noch das folgende Video:

Simon Sinek – Start With Why – TED Talk Short Edited

Für Neugründungen macht das von Sinek beschriebene Vorgehen mehr als Sinn. Aber für die Arbeit in und mit bestehenden Teams erachte ich die umgekehrte Reihenfolge sinnvoller. Entsprechend sind wir im beschriebenen Team vorgegangen:

What first!

Zuerst haben wir die aktuellen Tätigkeiten der handelnden Personen beschrieben. Wer macht eigentlich was im Team? Das geht wunderbar online (ich arbeite mit Zoom und Conceptboard).

Die entstandene Übersicht an (digitalen) Klebezetteln mit den Aufgaben der einzelnen Teammitglieder haben wir dann zu ähnlichen, zusammengehörigen Aufgaben geclustert. Schon allein dabei ergaben sich spannende Erkenntnisse: „Ja, das mache ich doch auch!“ oder „Eigentlich könnten wir das doch zusammenlegen?!“ waren immer wieder auftauchende Aussagen.

Schritt drei war dann die Definition von „Mandaten“ (warum ich lieber von Mandaten als von Rollen spreche, muss ich mal erläutern. Gemeint ist aber das Gleiche). Unter einem Mandat lassen sich Aufgabenbündel verstehen, die jeweils einen bestimmten Zweck erfüllen und aus verschiedenen Tätigkeiten bestehen. Mandate können damit unterschiedliche „Größen“ aufweisen. Teammitglieder können mehrere Mandate übernehmen (oder auch nur ein Mandat). Damit sind Mandate etwas anderes als „Stellenprofile“, die einen Menschen auf eine Stelle reduzieren. Mandate hingegen werden im Team anhand der Kompetenzen (können) und der Motivation (wollen) der Menschen basierend auf einem Auswahlverfahren vergeben. Mandate haben jeweils einen spezifischen Namen, die sich aus den Aufgabenclustern ergeben (dabei ergeben sich lustige Mandatstitel, bspw. Finanzministerin, Evaluator…).

An der Übersicht der sich ergebenden Mandate zeigt sich die aktuelle, reale Aufgabenstruktur der Organisation bzw. des Teams. Anstatt also zu überlegen, wie die Strukturen aussehen sollten, wird davon ausgegangen, wie ganz real gearbeitet wird.

Das „Was“ des Golden Circle liegt damit sehr greifbar vor dem Team.

How second!

Gleichzeitig ergeben sich über die Zusammensetzung der Mandate, über deren Struktur und Aufbau erste Hinweise auf das „Wie“ und die damit zusammenhängenden Werte und Prinzipien der gemeinsamen Arbeit.

Hinzu kommt, dass jetzt, nach der Sammlung der Aufgaben, der Raum gerichtet ist, um sich gemeinsam auf die Suche nach den Werten der Zusammenarbeit zu begeben, da schon bei der Sammlung der Aufgaben viele Diskussionen aufgekommen sind, die in den Vordergrund stellen, warum dies oder jenes so oder so getan wurde, wer warum welche Aufgaben übernommen hat und wo Redundanzen und Unstimmigkeiten herrschen. Damit ist es einfacher, sich bewusst zu werden, warum und wozu was in der Organisation und im Team getan wird.

Why third!

Außerdem ergibt sich der aktuelle Zweck, die Mission oder von mir aus auch der Purpose aus den konkreten Tätigkeiten in der Verbindung zu den Werten und Prinzipien. Der „Purpose“ ist damit nichts „abgehoben Ausgedachtes“, wie es oftmals in Leitbildern der Fall zu sein scheint. Der Zweck ist vielmehr ganz real an den aktuellen Gegebenheiten, Aufgaben und Notwendigkeiten orientiert.

Und wenn wir nicht mehr versuchen, die Zukunft der Organisation zu erzwingen, sondern sich diese evolutionär entwickeln kann, erwächst ein deutlich klareres Commitment der Teammitglieder zur Ausrichtung der Organisation.

Start with What! Oder: Selbstorganisation im Team ist Arbeit

Ich bin gespannt, ob die Ideen zu „Start with What“ auf Eure Resonanz treffen. Damit sieht zumindest der „Golden Circle“ nicht mehr ganz so golden aus 😉 Gerade die Arbeit in bestehenden Organisationen und die Arbeit im Team sollte sich daran ausrichten, was getan wird. Daraus ergibt sich häufig ein „Wie“ und das „Wozu“, da erfolgreiche Arbeit auch immer die Nutzer*innen der Leistungen im Blick hat und nicht im leeren Raum existiert.

Ich hoffe damit, dass in dem kurzen Beitrag deutlich wurde, dass gelingende Selbstorganisation im Team und in kleinen Organisationen kein Hexenwerk ist, keine esoterischen Selbstfindungstrips verlangt und auch keine neuen Stufen irgendwelcher Mindsets zu erklimmen sind.

Selbstorganisation im Team ist vielmehr die sehr handfeste Auseinandersetzung mit dem, was getan wird. Selbstorganisation im Team ist das, was Arbeit ist.

Denn darum geht’s:

Do, what’s needed.

Werkraum Zukunft, oder: #sozialcamp weiter denken

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2015 habe ich mich mit Sabine am Kölner Hauptbahnhof getroffen. Sabine ist eine meiner ersten Bekanntschaften aus der Blogger*innenszene, die es aus der virtuellen Welt in mein reales Leben geschafft haben. Vor mehr als 5 Jahren war das für mich noch eine echte Besonderheit und ich glaube, dass es für viele, viele Menschen da draußen immer noch eine Besonderheit ist: Nachhaltige Begegnung geht auch online.

Sozialcamp?

Unsere Begegnung mündete in der Diskussion darüber, dass es dringend ein Barcamp für die Soziale Arbeit braucht. Ich rede gerne, Sabine macht halt mal und hat ein Jahr später, 2016, (mit einem engagierten Team, natürlich) das erste Sozialcamp auf die Beine gestellt. Dieses Jahr hat das Sozialcamp damit zum fünften Mal stattgefunden, natürlich digital, denn digital war für die barcampenden Sozial-Profis schon immer natürlich.

Für mich war das Barcamp immer eine mehr als bereichernde Erfahrung, irgendwo zwischen Klassentreffen (dem Wiedersehen der digitalen Sozialblase ;-)), Klassenarbeit (Vorbereitung gehört genauso dazu wie Neu- und Ver-Lernen) und Tanztee (bissle Party muss schon sein…). Ich bin überzeugt, dass das Sozialcamp auch weiterhin mein Jahr bereichern wird (auch wenn es – kleiner Hinweis – sehr zu einem „Caritas-Camp“ geworden ist).

Was ist ein Barcamp?

Nur kurz, für Barcamp-Neulinge:

Das Publikum, die Teilnehmer*innen, nein, besser Teilgeber*innen, gestalten das Programm. Wer mag, kommt nach vorne, stellt kurz sein Thema vor, seine Frage, seinen Vortrag oder was auch immer, und wenn sich genügend Interessierte am Thema finden, findet die Session statt. Eine Session dauert 45 Minuten, wer da ist, ist da und wer wieder gehen will, geht. Das Gesetz der zwei Füße ist zwar gnadenlos, aber auch ehrlich, im Gegensatz zu Versammlungen, auf denen zwangsweise zu den langweiligsten Grußworten des Vorsitzenden gelächelt werden muss, um nicht gegen die kulturellen Regeln zu verstoßen.

Ich liebe die auf Barcamps herrschende Zwanglosigkeit, die zu Offenheit und echtem Lernen führt. Gleichzeitig bleibt ein Problem in der 45minütigen Taktung: 45 Minuten sind brutal kurz, um ein Thema tiefergehend zu beleuchten. Hinzu kommt, dass die Dokumentation eines Barcamps nicht ganz leicht ist: Zwar sollen die sozialen Medien fleißig mit einem entsprechenden Hashtag befüllt werden (schaut mal unter dem #sozialcamp bei Twitter), aber gerade in unserer Sozialszene ist die flächendeckende Nutzung und Verbreitung sozialer Medien (teilweise auch aus guten Gründen) noch immer nicht Standard.

Meetup?

Braucht es also noch was Neues, ein anderes Format? Ich habe dazu mit Sabine gesprochen, die sofort begeistert war, ein neues Projekt zu initiieren, da sie ebenfalls darüber nachdachte: Wie gelingt es, die die Sozialwirtschaft bewegenden Themen so zu bearbeiten, dass man einerseits einen tieferen Einblick bekommt und nachhaltiger an Themen arbeiten kann und man andererseits die Freiheiten des Barcamps jenseits von trockener Veranstaltungslangeweile genießen kann.

Dafür gibt es das Meetup, das sich wie folgt definieren lässt:

„A meetup is an organized gathering of people, especially a regular meeting of people who share a common interest or hobby. It is usually initiated and arranged through a social network or website.“

Joah, klingt nicht so kompliziert: Ein organisiertes Treffen von Menschen, die ein gemeinsames Interesse haben, digital organisiert. Unser gemeinsames Interesse ist:

Eine zunehmend unsichere Zukunft positiv zu gestalten!

Meetup Werkraum Zukunft

Eine zunehmend unsichere Zukunft lässt sich am Besten in einem unfertigen Lernraum gestalten. Wir müssen an dieser Zukunft gemeinsam rumschrauben, hier mal was schweißen, dort mal was basteln, Dinge absägen und in den Müll werfen, etwas dreckig, manchmal, irgendwie auch überraschend, nicht wissend, was herauskommen wird – ein Werkraum Zukunft!

Geboren war das Meetup „Werkraum Zukunft.

Zum einen hatte ich die URL noch irgendwo rumliegen ;-), zum anderen wollten wir bewusst nicht „das Soziale“ mit in den Titel aufnehmen, da sich Zukunft ausschließlich gemeinsam und interdisziplinär gestalten lässt.

Selbstverständlich hat der „Werkraum Zukunft“ in der heutigen Zeit seine Tore in der digitalen Welt geöffnet. Das mit dem analogen Zusammenkommen ist gerade so semi-begeisternd (auch wenn alle danach lechzen, wieder real zusammen kommen zu können, das holen wir dann nach, versprochen!).

Nachhaltigkeit in der Sozialwirtschaft am 17.12.2020 um 20 Uhr

Wir freuen uns riesig, noch vor Weihnachten, bereits am 17.12.2020 um 20 Uhr, digital via Zoom zusammen zu kommen.

Für den Abend hat Peter Stepanek spontan zugesagt, um uns bei Glühwein und Spekulatius mitzunehmen in das Thema Nachhaltigkeit in der Sozialwirtschaft.

Peter ist Professor für Sozialwirtschaft an der FH Campus Wien, geschäftsführender Vorsitzender der Internationalen Arbeitsgemeinschaft Sozialmanagement / Sozialwirtschaft e.V. (INAS) und lehrt und forscht im Europäischen Masterstudium Sozialwirtschaft & Soziale Arbeit. Dort beschäftigt er sich mit seinen Studierenden unter anderem intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Sozialwirtschaft.

Hier findest Du Peter Stepanek auf Twitter.

Du willst Dir im Werkraum Zukunft die Hände schmutzig machen und Zukunft mitbauen?

Dann musst Du Dich zu unserem ersten Treffen anmelden, damit wir Dir den Link zur Zoom-Konferenz schicken können. das geht ganz einfach hier über diesen Link.

Hier kannst Du übrigens selbst Themenvorschläge einbringen. Wir versuchen, Dein Thema zeitnah zu terminieren (ohne Gewähr, natürlich, und mit dem Hinweis, dass der Werkraum Zukunft etwa alle 3 – 4 Monate stattfinden wird).

Und jetzt sind wir noch gespannt auf Dein Feedback, Anregungen und Ergänzungen, wie wir die Veranstaltung besser machen können. Danke!!!

Hier geht’s zur Website www.werkraum-zukunft.de!

Die perfekte New Work Weiterbildung

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Es interessiert mich, seit ich mich mit New Work beschäftige: Kann man New Work lernen und lässt sich daraus eine Weiterbildung, ein Programm basteln?

Ja klar, da gibt es schon Angebote auf dem Markt, aber so richtig zufrieden gestellt haben die mich nicht. Mehr noch: Meist ärgere ich mich über diese Angebote:

https://twitter.com/HendrikEpe/status/1312271434807480320

Bei New Work geht es nicht um mehr Produktivität, Effektivität, höhere Zufriedenheit oder Geschwindigkeit! Das ist vielleicht sogar das Gegenteil von New Work, das ist allerhöchstens „Lohnarbeit im Minirock„, wie es Bergmann ausdrückte. Und in den Weiterbildungen zum Thema New Work geht es nur – wenn überhaupt (siehe oben) – um (unbestritten wichtige) Fragen zeitgemäßer Organisationsentwicklung, die unter dem Label New Work verkauft werden. Aber wenn man das ursprüngliche Konzept von Bergmann zugrunde legt, wird es eng, denn:

New Work ist weit mehr als Organisationsentwicklung.

Faszinierenderweise bin ich aber endlich auf die perfekte New Work Weiterbildung gestoßen, die nicht nur den Aspekt der Organisationsentwicklung, sondern auch das Individuum und die Gesellschaft in den Blick nimmt. Es werden Menschen als Individuen ebenso wie Gruppen in deren Nahräumen in den Blick genommen. Der organisationale Aspekt kommt leider ein wenig kurz, aber zumindest die Grundgedanken selbst der Ideen zeitgemäßer Organisationsentwicklung werden vermittelt. Und dann kann man – wenn man will – auch noch Vertiefungen belegen, die bspw. Innovation, Organisation oder die Arbeit mit dem Individuum, der Gruppe oder der Gesellschaft spezifisch aufgreift.

Unfassbar, eigentlich, oder?

Ich skizziere im Folgenden mal die Vision, das Grundkonzept und – zumindest in Ansätzen – die mit der New Work Weiterbildung vermittelten Kompetenzen.

Die Vision der New Work Weiterbildung

Die New Work Weiterbildung fokussiert praxisorientiert auf gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage für die New Work Weiterbildung. Dabei stützt sie sich auf ein interdisziplinäres Theoriegerüst, angefangen bei den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften über Medizin und Psychologie bis hin zur Systemtheorie uvm.. Mit der New Work Weiterbildung werden Menschen befähigt und ermutigt, so dass sie die Herausforderungen ihres Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern, dabei werden organisationale Strukturen berücksichtigt.

Klingt schon mal gut, oder? Mir gefällt der Aspekt der Autonomie und Selbstbestimmung ganz besonders, da ich davon überzeugt bin, dass Menschen nur dann Autonomie und Selbstbestimmung stärken können, wenn sie selbst autonom und selbstbestimmt handeln.

Jetzt aber zum Grundkonzept:

Grundkonzept der New Work Weiterbildung

Die New Work Weiterbildung ist so aufgebaut, dass am Anfang eine selbst zu definierende Aufgabenstellung, deren Bearbeitung durch New Work Professionals erfolgen kann/soll/muss, steht.

Dabei wird unterstellt, dass New Work Professionals nicht nur individuell, sondern in professioneller und gesellschaftlicher Verantwortung tätig werden. Sie reagieren nicht nur auf bestehende, allgemein erkannte Aufgabenstellungen, sondern agieren auch durch die Bearbeitung‚ von gesellschaftlich und/oder professionell als relevant angesehenen Herausforderungen.

Die für die Bearbeitung von solchen Aufgabenstellungen notwendigen allgemeinen Fähigkeiten und professionellen Eigenschaften sind einerseits individuell verortet (individuelle Kompetenzen). Andererseits sind sie auch Teil des kollektiven Wissens- und Fähigkeitskanons sowie eines grundlegend geteilten New Work Selbstverständnisses.

Die New Work Profesionals können auf dieser Basis und damit im Bewusstsein der Folgen ihrer Tätigkeit für die von ihnen zu beratenden, zu betreuenden und/oder zu begleitenden Menschen/Organisationen und soziale Systeme in kritischer Reflexion gesellschaftlicher Funktionszusammenhänge handeln.

Die New Work Weiterbildung folgt, ausgehend von einer grundsätzlichen Entscheidung für eine grundständige, generalistische Ausrichtung, der gedanklichen Linie von Erweiterung und Vertiefung von Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kompetenzen und Haltungen mit der darauf folgenden Möglichkeit zur Spezialisierung, wie bereits oben angesprochen.

Zur Ermöglichung professionellen „New Work Handelns“ beginnt die Weiterbildung, wie gesagt, mit der gemeinsamen Definition einer bestimmten Problemstellung, die je nach Interesse, individuell, bezogen auf eine Gruppe oder Gemeinschaft oder die Gesellschaft, national wie international, ausgerichtet sein kann. In einem zweiten Schritt werden grundlegendes Wissen und ein Verständnis geschaffen, damit die Aufgabenstellung in ihrer Komplexität eingeordnet werden kann und die hinter der Aufgabenstellung liegende Problemstellung greifbar wird.

Etwas konkreter gefasst differenziert die New Work Weiterbildung zwischen den folgenden Bereichen, die alle zu absolvieren sind:

  • Bereich ‚Grundlagen New Work‘
  • Bereich ‚Erweitertes Gegenstands- und Erklärungswissen für New Work‘
  • Bereich ‚Normative Grundlagen für New Work‘
  • Bereich ‚Gesellschaftliche und institutionelle Rahmenbedingungen für New Work‘
  • Bereich ‚Allgemeine Handlungstheorie und spezielle Handlungstheorien / Methoden für New Work“
  • Bereich ‚Handlungsfelder und Zielgruppen für New Work‘
  • Bereich ‚Forschung und Entwicklung für New Work‘

Kompetenzen der New Work Weiterbildung

Es ist nicht ganz leicht, hier genau zu sagen, welche Kompetenzen vermittelt werden, da sich die Weiterbildung ja an den Problemstellungen der Teilnehmer*innen orientiert. Und für jeden der oben angesprochenen Bereiche ließe sich hinsichtlich der Kompetenzen in die Tiefe gehen. Beispielhaft greife ich nur den Bereich ‚Gesellschaftliche und institutionelle Rahmenbedingungen für New Work‘ heraus. Da heißt es:

„Die Kenntnis der Rahmenbedingungen, unter denen New Work stattfindet, ist nicht nur Ausgangspunkt für die Analyse von Handlungsspielräumen, sondern auch für eine Analyse im Hinblick auf die Notwendigkeit einer Veränderung dieser Bedingungen. Der Bereich umfasst folgende Themen:

  • Sozialpolitik, Sozialrechte als nationale Rechtsbasis
  • Rechtliche Rahmenbedingungen im Vergleich: lokal/national, europäisch (Europäische Menschenrechts-/Sozialcharta) und international; Entstehung und Wandel im Vergleich
  • Wirtschafts-, Bildungs- und Gesundheitspolitik in ihrer Bedeutung für New Work
  • New Work im Dreieck zwischen ziviler und sozialer Bürgerschaft/Nichtregierungsorganisationen, Staat/Politik und Wirtschaft“

Klingt vielversprechend, oder? Vielleicht sogar ein wenig zu optimistisch, aber man darf ja nach den Sternen greifen.

Voraussetzungen und Rahmenbedingungen

Das Beste an der New Work Weiterbildung ist, dass diese umsonst ist und an ganz vielen Orten in Deutschland absolviert werden kann. Ja, es machen sich einige private Anbieter auf den Weg, die Weiterbildung auch anzubieten, um damit Geld zu verdienen, was ich persönlich unproblematisch finde. Gute Konkurrenz belebt in dem Fall wirklich das Geschäft und die Entwicklung der Weiterbildung insgesamt. Voraussetzung ist, das man Abitur hat und studieren darf, aber wer darf das heute nicht? Die Dauer liegt bei mindestens 3 Jahren, in Vollzeit. Es gibt aber inzwischen auch Varianten, die berufsbegleitend absolviert werden können.

Fazit:

Noch einmal zusammenfassend orientiert sich die New Work Weiterbildung am Handlungsbereich des Verhinderns und der Bewältigung sozialer Probleme, die sich in ungleichen Möglichkeiten zur Lebensführung, unterschiedlichen Teilhabemöglichkeiten am gesellschaftlichen Leben sowie dem Mangel an Bildung, Gesundheit, Beschäftigung, Einkommen, sozialen Beziehungen und weiteren gesellschaftlichen Ressourcen zeigen. Führung und Management von Unternehmen inkl. Betriebswirtschaftslehre, Personal- und Organisationsentwicklung, Projektberatung und Projektmanagement sind Teil, aber nicht Kern der Weiterbildung.

Die Weiterbildung untergliedert sich in verschiedene „Bereiche“, die alle absolviert werden müssen, um dem generalistischen Anliegen zu folgen. Vertiefungen lassen sich später absolvieren. Und inzwischen haben auch schon tausende junge Menschen die New Work Weiterbildung absolviert, in Deutschland, Europa und sogar weltweit.

Unglaublich, oder? Für mich zeigt sich: Wir haben kein Erkenntnisproblem. Es ist alles da.

Wir haben aber definitiv ein Problem damit, die umfassenden Kompetenzen, die in der Weiterbildung vermittelt werden, so darzustellen, dass deutlich wird, was die New Work Professionals wirklich draufhaben.

Das könnten wir ändern, in dem wir – die wir alle diese Weiterbildung absolviert haben – mit der Gestaltung der Gesellschaft beginnen: Im Kleinen, den Einrichtungen, Diensten, Kindergärten und Kitas, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, Pflegediensten etc. und im Großen, in den Verbänden und Institutionen, die Politik gestalten können.

Und beim vorherigen Absatz ist es wohl deutlich geworden:

Ich spreche von dem grundständigen Studium der Sozialen Arbeit 😉 Meine Inhalte sind entlehnt aus der „Internationalen Definition für Soziale Arbeit„, die sich auf den Seiten des DBSH findet, sie sind aus dem „Qualifikationsrahmen für Soziale Arbeit“, die vom Fachbereichstag Soziale Arbeit erstellt wurden (und mal wieder aktualisiert werden müssten) und aus dem „Kerncurriculum Soziale Arbeit“ der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit. Meist musste ich in den genutzten Quellen nur Soziale Arbeit mit New Work ersetzen, an manchen Punkten habe ich kleine Anpassungen vorgenommen. Deutlich wird:

Soziale Arbeit, vielleicht aus dem Verständnis einer „New Social Work“, kann die Profession und Disziplin sein, die gerade heute, gerade in Zeiten von (lokalen und globalen) Krisen und Umbrüchen, ganzheitlich, sinnorientiert und zeitgemäß Antworten, Methoden, Vorgehensweisen und Hilfe anbieten kann. Dafür braucht es engagierte Menschen im sozialen Sektor und mutige soziale Organisationen, die Schritte nach vorne gehen und immer wieder auf’s Neue Zukunft gestalten.

18 Gründe, warum soziale Organisationen scheitern (und was man dagegen tun kann)

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Manchmal ist Ende: Das Projekt läuft nicht! Die Nutzer* innen nutzen nicht und die Abteilung, die sich um XY kümmern sollte, ist so abgeteilt, dass keine Verbindung zur Organisation besteht. Oder die Einrichtung steht vor der Insolvenz und ist einfach pleite. Kurz: Es gibt Entwicklungen, die es notwendig machen, der Realität ins Auge zu sehen und den Tod des Pferdes festzustellen, den Stecker zu ziehen, das Projekt zu beenden und die Einrichtung zu schließen. Scheitern gibt es auch in sozialen Organisationen. Einige Negativbeispiele haben es in den letzten Jahren – aus unterschiedlichsten Gründen – sogar in die Öffentlichkeit geschafft: Die Treberhilfe in Berlin mit Maserati-Harald ist wahrscheinlich das Paradebeispiel, auch wenn die Gründe sehr speziell sind.

Aber natürlich gibt es auch Insolvenzen, die wenig spektakulär aufbereitet werden. Hier findet sich bspw. die Tabelle der Insolvenzen nach Branchen bis zum Jahr 2019 für Hessen. Demnach melden jährlich etwa 35 Unternehmen des Sozial- und Gesundheitswesens (ich weiß, sehr unspezifisch) in Hessen Insolvenz an. Über genauere Zahlen für Deutschland (bspw. in den Kommentaren) freue ich mich.

Scheitern, Insolvenz und Corona

An dieser Stelle ist noch ein Hinweis relevant: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie lassen sich zwar erahnen, aufgrund der öffentlichen Rettungsschirme ist jedoch noch nicht absehbar, wie sich die Situation möglicher Insolvenzen in der Sozialwirtschaft entwickelt. Meine Befürchtung (und in Teilen leider schon Realität) ist, dass freiwillige Leistungen enormen Kürzungen unterworfen sein werden. Schon hier der Hinweis an die Organisationen, die auf freiwillige Leistungen setzen: Arbeitet an Eurem Geschäftsmodell! Dazu aber später noch mehr…

Zusammenfassend: Es gibt Scheitern, auf Ebene von Projekten wie auf Ebene ganzer Organisationen, auch im Sozialwesen. Gleichzeitig fällt es unserer Branche außerordentlich schwer, Scheitern bzw. das Ende eines Projekts, einer Organisationseinheit oder auch die Insolvenz und das Ende ganzer Organisation in einem Verband oder auch außerhalb zu akzeptieren.

Aber wo liegen Gründe für scheiternde Projekte und Organisationen in der Sozialwirtschaft? Und warum tun wir uns schwer mit Scheitern? Was könnte helfen, Scheitern von Projekten, Organisationen etc. zu verhindern bzw. mit dem Scheitern besser umgehen zu können?

Warum scheitern Projekte und soziale Organisationen?

Warum scheitern Projekte in und soziale Organisationen als Ganzes? Um ein paar Anregungen zu bekommen, habe ich diese Frage auf Twitter gestellt. An dieser Stelle ganz herzlichen Dank für alle Mitdenken *innen für die Anregungen und Beispiele.

https://twitter.com/HendrikEpe/status/1306663817049448448

Es ist mehr geworden als ein paar Anregungen. Es ließe sich mindestens ein Buch schreiben. Ich will es trotzdem zunächst bei diesem Blogbeitrag belassen.

Hier also kommentierte Gründe, warum Projekte in und soziale Organisationen als Ganzes scheitern:

Scheitern aufgrund von schlecht ausgebildeten Führungskräfte

Führungskräfte sozialer Organisationen müssen sich mit komplexen, oft widersprüchlichen Anforderungen auseinandersetzen. Einerseits müssen sie fachlich versiert sein, um ernst genommen zu werden, andererseits müssen sie Management-, Führungs- bzw. Leadershipkompetenzen mitbringen, um die Herausforderungen der Unternehmensführung zu bewältigen. Oft fehlt es auf einer der beiden Seiten (BWLer als Führungskräfte reichen ebensowenig wie Sozialarbeiter* innen ohne Zusatzausbildung). Daraus resultiert entweder ein Fokus nur auf die Zahlenseite oder nur auf die fachliche Seite, mit den entsprechenden Folgen. Fraglich in diesem Zusammenhang ist jedoch, ob die Führungskräfteausbildung im Sozialwesen (bspw. Sozialmanagement-Studiengänge) zeitgemäß ist.

Scheitern aufgrund von oftmals ehrenamtlich operativ tätigen Führungskräften

Der erstgenannte Punkt verschärft sich, wenn in Vereinen Vorstände zwar ehrenamtlich engagiert sind, diese jedoch operativ Führungsverantwortung haben. In einem Beitrag auf IdeeQuadrat habe ich dieses Problem bereits einmal aufgegriffen: Ehrenamtliche, hoch engagierte Menschen sind für professionelle Arbeit in sozialen Organisationen verantwortlich. Hier bestehen zwei Möglichkeiten: Entweder, der geschäftsführende Vorstand lässt die Mitarbeiter*innen machen. Das ist gut, führt aber oftmals zu Chaos. Die Affen regieren den Zoo mit den bekannten Konsequenzen: Keine Führung, keine Struktur, Konflikte und Chaos statt fokussierter Zusammenarbeit! Oder aber die ehrenamtlichen Führungskräfte sind in ihrem professionellen Leben selbst Führungskraft (wer ist das nicht) oder haben zumindest schon mal davon gehört, dass man manchmal kräftig auf den Tisch klopfen muss. Beides – machen lassen ebenso wie immer mal wieder hart durchgreifen – führt zum Vertrauensverlust in die Führung und zum Scheitern der Projekte bzw. Organisationen.

Scheitern aufgrund von unprofessioneller Umsetzung der Unterstützungsprozesse

Unterstützungsprozesse sind Arbeitsabläufe, die die eigentliche Arbeit (die Kernprozesse) unterstützen (zum Prozessmanagement empfehle ich Dir den Podcast mit Philipp). Zu den Unterstützungsprozessen gehört bspw. auch die Buchhaltung, die in kleinen Einrichtungen häufig nebenbei, ebenfalls von den „Fachkräften“ erledigt werden muss. Das kann (auf Dauer) gut gehen, muss aber nicht. Gleichzeitig können sich gerade kleine Einrichtungen, Vereine oder Initiativen keine professionelle Unterstützung leisten. Oder? Vielleicht macht es Sinn, Arbeiten, die man nicht beherrscht, auszulagern. Es gibt inzwischen umfangreiche und recht kostengünstige Unterstützungsmöglichkeiten gerade hinsichtlich Buchhaltung oder Office-Organisation.

Scheitern aufgrund des fehlenden Umgangs mit Konflikten

„Wer glaubt, dass Sozialarbeiter sozial arbeiten, glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten.“ Was witzig klingt, impliziert, dass es oftmals hochgradig konfliktgeladen einhergeht. Gleichzeitig werden Konflikten nicht offen angesprochen und geklärt, gerade weil wir doch alle so sozial sind. Das führt früher oder später zur Explosion des Kessels und damit zum Scheitern der Projekte oder der Organisation. Oder wie geht ihr mit echten Konflikten um?

Scheitern aufgrund des „Nicht-Eingestehens“, dass die Idee nicht funktioniert

Manchmal fängt man etwas an, dass sich im Nachhinein als nicht praktikabel erweist oder sich dahin entwickelt, nicht mehr praktikabel zu sein: Gesetze ändern sich, Menschen ändern ihre Vorlieben, Technik kommt hinzu und verändert Geschäftsmodelle uvm. Da Projekte und Engagement insgesamt in der Sozialwirtschaft immer „gut gemeint“ und außerdem immer Menschen in irgendeiner Weise beteiligt sind (als Nutzer* innen wie als Mitarbeiter* innen) fällt es noch schwerer, der Realität ins Auge zu sehen und Scheitern zu akzeptieren.

Scheitern aufgrund der Verwendung der Arbeitszeit zur Absicherung der eigenen Stelle

A propos Mitarbeiter*innen: Aufgrund der Projektlogik, mit der ein großer Teil sinnvoller sozialer Arbeit finanziert wird, ist es notwendig, dass sich Mitarbeiter*innen mehr mit dem nächsten Projektantrag beschäftigen, als eigentlich Mehrwert zu generieren. Daraus resultiert Projektumsetzung, die noch Luft nach oben hat. Organisationen, die sich insgesamt zu großen Teilen aus Projekten finanzieren, sollten dies immer mitbedenken: Wie hoch ist der Anteil der Arbeit, die in die Projektentwicklung und -beantragung fließt, anstatt in die eigentliche Arbeit?

Scheitern aufgrund fehlenden Slack Ressources

Unter Slack Ressourcen sind Mittel, Personal, Zeit etc. zu verstehen, die in kritischen Zeiten als Puffer dienen können. Die aktuelle Pandemie hat vor allem zu Beginn die fehlenden Ressourcen im Gesundheitswesen aufgezeigt. Diese Slack Ressourcen sind jedoch nicht nur notwendig für besondere Situationen. Sie sind auch relevant für die Ermöglichung von Organisationsentwicklung und Innovation. Denn: Wenn die Organisation zu 100% ausgelastet und damit an der Grenze der Belastung ist, besteht keine Möglichkeit, sich weiter zu entwickeln. Ich hab dazu bereits einen Beitrag geschrieben.

Scheitern aufgrund unpassender Organisationsstrukturen

Unpassende Organisationsstrukturen und damit die Gestaltung von zeitgemäßen Organisationen sind ja dass Hauptthema meiner Arbeit mit IdeeQuadrat. Entsprechend nehmen diese natürlich auch hier einen Stellenwert ein: Es besteht – sehr passend von Georg auf den Punkt gebracht – ein „Dilemma zwischen Sicherung der Gemeinwohlorientierung durch zentralistische demokratische Entscheidungsstrukturen einerseits und Agilität durch dezentrale Selbstorganisation an der Basis“ andererseits. Anders formuliert sind soziale Organisationen „front-line organizations“, bei denen die Wertschöpfung selbstorganisiert an der Basis erfolgt. Sinnvoll wären hier – aus mehreren Gründen – netzwerkartige Strukturen, die sich in allen „organisationalen New Work Konzepten“ wiederfinden lassen. Soziale Organisationen müssten sich in kleine, lebensfähige Einheiten organisieren, die möglichst selbstorganisiert agieren. Gleichzeitig gibt es jedoch klassische Organisationsverständnisse ebenso wie gesetzliche Anforderungen, die dazu zwingen, die Organisation hierarchisch zu gestalten, obwohl jeder weiß, dass es keinen Sinn macht. Dieses Dilemma führt zu enormen Herausforderungen bis hin zum Scheitern der Organisationen.

Scheitern aufgrund fehlender Kundenorientierung und der Abhängigkeit von externer Finanzierung

Soziale Dienstleistungen werden politisch gesteuert und nicht anhand des wirklichen Bedarfs. Kundenorientierung ist entsprechend ein guter Wunsch und eine Ausrichtung, jedoch kaum wirklich erreichbar, denn: Wer zahlt, bestimmt die Musik. Wenn die Organisation nur von einem Kostenträger abhängig ist entsteht natürlich ein enormes Risiko: Was, wenn der Kostenträger nicht mehr zahlt? Dieses Risiko steigt, wenn das Sozialwesen für neue Player lukrativ wird und zunehmend neue Konkurrenzorganisationen mitspielen wollen: Schon allein die bessere Kommunikation, auch auf politischer Ebene, des exakt gleichen Angebots reicht oft aus, die Kostenträger zum Wechsel der finanzierten Einrichtung zu bewegen. Aus meiner Perspektive liegt hier ein enormes Potential für von außen in den Markt des Sozialen eindringende „Disruptoren“. Abschließend sei nur noch erwähnt, dass die fehlende Kundenorientierung auch dazu führt, dass das Kundenfeedback ausbleibt: Die Nutzer *innen geben nicht zurück, wenn die angebotene Dienstleistung nicht mehr den Erwartungen entspricht, sondern bleiben häufig unwidersprochen. Das funktioniert kurzfristig, führt aber mittel- und langfristig zum abrupten Zusammenbruch der Organisation.

Scheitern aufgrund fehlender Lernkurve

Lernen in und von Organisationen ist ein super spannendes Thema. So bin ich davon überzeugt, dass viele Diskussionen im Kontext angeblich neuer Organisationsmodelle auch unter dem Begriff der „Lernenden Organisation“ zu finden sind. Für mich ist Reflexion und Lernen vielmehr Grundlage für Agilität. Warum aber fällt Lernen oft so schwer? Warum bleibt die Lernkurve flach? Das kann daran liegen, dass nicht auf der zweiten Ebene des Lernens gelernt wird: Oftmals reicht es nicht. durch bestimmte Handlungen ausgelöste Konsequenzen im Team (oder allein) zu reflektieren, um daraus neue Handlungen abzuleiten (auch wenn das schon mal was ist). Es ist viel häufiger notwendig, die hinter den Aufgaben stehenden Werte, Haltungen, Zielsetzungen in den Blick zu nehmen: Sind wir als Organisation noch auf dem Weg, den wir leben wollen? Sind unsere Leitwerte noch die Werte, die für uns wichtig sind? Gelingt es uns als Team, den größtmöglichen Nutzen zu stiften, für unsere Organisation, vor allem aber für unsere Kund* innen? Und wie können wir gegensteuern, wenn es uns auffällt, dass es nicht mehr der richtige Weg ist? Auf dieser Ebene ist eine wirklich tiefgreifende Möglichkeit geschaffen, das Scheitern zu analysieren: Warum sind wir wirklich gescheitert? Diese Reflexion und Analyse findet leider selten statt.

Scheitern aufgrund zu lange verteidigter Traditionen

„Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme.“

Dieses berühmte Zitat von Thomas Morus bringt es auf den Punkt: Wir halten in unseren Organisationen oftmals die schon längst erloschene Asche in den Händen, anstatt rechtzeitig die noch brennende Flamme weiterzugeben, wodurch das Scheitern verhindert worden wäre. Tradition hat dabei auch viel mit Kultur und der Frage zu tun, wie diese verändert werden kann: Eingeschliffene Regeln, Strukturen, Vorgehensweisen sind einfacher zu befolgen, als neue Wege. Es werden lieber Menschen eingestellt, die ähnlich ticken, anstatt Menschen mit neuem Feuer. Über die Tradition von oftmals männlich geprägten Netzwerken in kirchlichen Organisationen braucht man hier nicht viele Worte zu verlieren…

Scheitern aufgrund unprofessionellen Projektmanagements

Ja, es gibt auch Methoden, die Projekte gemanaged werden können. Agile Methoden wie Scrum oder auch klassische PM-Methoden oder hybride Vorgehensweisen sind denkbar. Problematisch ist es jedoch, einfach so vor sich hinzuwurschteln. Deswegen: Egal wie, nur professionell sollte es sein, auch wenn agile Methoden besser zu den komplexen Anforderungen sozialer Probleme passen (ach ja, die Kosten- und Projektträger sind leider alles andere als agil unterwegs)…

Scheitern aufgrund der Herausforderungen der Arbeit mit Ehrenamtlichen

Hm, spannender Aspekt: Die Arbeit mit Ehrenamtlichen ist ein riesiger Vorteil sozialer Organisationen: Menschen engagieren sich für die Sache und nicht für die Karotte! Welche Organisation kann das schon von sich behaupten? Die Arbeit mit Ehrenamtlichen setzt jedoch voraus, dass die im Konflikt mit den Hauptamtlichen auftretenden Störungen professionell bearbeitet werden – sonst kommen sich zwei Denk- und Handlungslogiken sehr schnell in die Quere. Entsprechend müssen Menschen und Organisationen Kompetenzen in der Arbeit mit Ehrenamtlichen herausbilden.

Scheitern aufgrund von „Dienst nach Vorschrift“

Manche Führungskraft wird sich jetzt denken: Wenn die doch wenigstens mal nach Vorschrift arbeiten würden… Aber Dienst nach Vorschrift impliziert, dass keine oder zu wenige Regelbrüche stattfinden. Und der Dienst nach Vorschrift, also das Unterbinden von Regelbrüchen, ist eine der effektivsten Streikformen:

„Erst die Möglichkeiten zur punktuellen Abweichung vom formalen Regelwerk geben der Organisation eine gewisse „Leichtigkeit“. Widersprüchliche Anforderungen an die Mitarbeiter müssen nicht sofort durch ein neues formales Regelwerk entschieden werden, sondern man duldet, dass Mitarbeiter in gut begründeten Fällen von den formalen Regeln abweichen. Gleichzeitig verhindert die Existenz der formalen Ordnung, dass sich eine Organisation „balkanisiert“ und alle tun, was sie wollen.“ (Kühl, 2020)

In der Begleitung sozialer Organisationen stelle ich oft fest, dass zu wenige formale Regeln oder besser klare Prozesse, dafür aber informelle, und mindestens genauso wirkungsvolle Rituale vorhanden sind: Es ist nicht transparent, was geht und was nicht. Das führt dann dazu, dass vorhandene Regeln besonders strikt umgesetzt werden. Wir brauchen genau diese Transparenz, auch in den Regeln und Prozessen, um Agilität zu ermöglichen.

Scheitern aufgrund fehlendem Vertrauen in die Mitarbeiter*innen

Dieser Punkt erschließt sich von selbst: Wenn die Führungskraft den Mitarbeiter*innen nicht vertraut, kommt es zu Mikromanagement: Jeder kleine Schritt wird überprüft, verlangsamt, hinterfragt, wodurch niemand vorwärts kommt. Vertrauen ergibt sich jedoch durch die erfolgreiche Bewältigung von verantwortlich übernommenen Aufgaben. Um jedoch Aufgaben verantwortlich übernehmen zu können, muss die Verantwortung für die Aufgaben aber wirklich, wirklich abgegeben werden. Das kostet Mut, wird aber belohnt.

Scheitern aufgrund fehlendem Unternehmertum und der Bequemlichkeit der Mitarbeiter* innen

§ 14 AT, Absatz 5, der Caritas-Arbeitsvertragsrichtlinien besagt, dass nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren bei demselben Dienstgeber, frühestens jedoch nach dem vollendeten 40. Lebensjahr des Mitarbeiters, eine ordentliche Kündigung durch den Dienstgeber ausgeschlossen ist. Es gibt noch ein paar Sonderregeln, aber im Grunde ist es wie Beamtentum. Ohne irgendwem irgendwas unterstellen zu wollen, sind die Anreize, sich einem Projekt mit vollem Herzblut zu widmen, eher gering, wenn nichts passieren kann. Ja, ich weiß, negative Anreize durch Drohung mit der Kündigung ist nicht sinnvoll. Jedoch ist unternehmerisches Handeln, also die Notwendigkeit, mit wenigen Mitteln risikobehaftet Neues zu gestalten, in unserer Branche sehr gering ausgeprägt.

Scheitern aufgrund von Beratungsresistenz

Ja, wir in sozialen Berufen sind eierlegende Wollmilchsäue, Spezialgeneralisten, hab ich das mal irgendwo genannt. Wir können irgendwie alles, also auch mit Zahlen umgehen, Organisationen aufbauen und gestalten, Geschäftsmodelle designen und skalieren, Projekte entwickeln und managen usw. Da brauchen wir doch keine Beratung von außen! Na, vielleicht manchmal eben doch! Und wenn die externe Beratung nur dazu dient, die eigenen blinden Flecken zu verdeutlichen, ist schon viel gewonnen. Dann muss man „nur noch“ umsetzen, was gemeinsam erarbeitet wurde…

Scheitern aufgrund des Dilemmas zwischen Effizienz und Wertorientierung

Soziale Organisationen sind mehr als Wirtschaftsbetriebe. Neben den Anforderungen an wirtschaftlich effizientes Handeln müssen soziale Organisationen moralisch deutlich höhere Standards umsetzen als „normale“ Unternehmen. Wenn eine soziale Organisation, ein Geschäftsbereich oder auch nur ein Projekt scheitert, steht im Hintergrund sofort die Öffentlichkeit mit der moralischen Keule: Die Freisetzung von Mitarbeiter* innen oder auch die aufgrund der Insolvenz dann fehlende Versorgung der Nutzer* innen ist „ja nun mal gar nicht sozial! Und mit christlichen Werten hat das ja nun mal gar nichts zu tun“. Für Führungskräfte ergeben sich hieraus deutlich höhere Anforderungen, da sie permanent gefordert sind, diese Widerspräche aushalten zu müssen: „Soziale Organisationen sind äußerst komplexe Gebilde. Sie sind gleichzeitig in verschiedenen Märkten tätig, müssen mit einer Vielzahl von internen und externen Stakeholdern Beziehungen pflegen und deren oftmals gegensätzliche Interessen berücksichtigen. (Herzka, 2013, 135).

Wie kann Scheitern und Insolvenz (besser) verhindert werden?

Puh, die Liste der Gründe, warum soziale Organisationen und Projekte in sozialen Organisationen in Schieflage geraten, scheitern oder gar Insolvenz anmelden müssen, ist lang (und wahrscheinlich nicht vollständig).

Entsprechend lang ist auch die Darlegung von Möglichkeiten, die Scheitern und Insolvenzen verhindern helfen. Aber lassen sich übergreifende Gemeinsamkeiten entdecken, die erste, konkrete Ansätze bieten, die Organisation resilienter gegenüber Scheitern und Krisen zu gestalten?

Vorab ist zu erwähnen, dass Scheitern und auch Insolvenzen zum (Arbeits-)Leben dazugehören. Auch soziale Organisationen müssen für ihre Entwicklung, für Innovation und auch für die Optimierung ihrer Prozesse und Arbeitsabläufe Risiken eingehen. Und es ist einem Risiko inhärent, dass es nicht zwingend gut ausgehen muss. Hinzu kommen unvorhersehbare Ereignisse, aktuell natürlich die Corona-Pandemie, die es notwendig machen, völlig neu zu denken und zu agieren. Offene Jugendarbeit ist schwierig und anders, wenn alles geschlossen ist, als Beispiel, Digitalisierung hält Einzug in die hinterste Eso-Bude und soziale Organisationen und Verbände stellen sich ihren Daseinszweck völlig neu. Da kann und darf auch mal etwas scheitern. Hinzu kommt, dass jede Organisation, jedes Projekt und auch jede soziale Dienstleistung hat einen bestimmten Lebenszyklus hat. Dieser ist mal länger, mal kürzer.

Scheitern akzeptieren und lernen

Daraus folgt Punkt 1: Wir müssen lernen, Scheitern zu akzeptieren. Das ist manchmal hart, vor allem, weil es in sozialen Organisationen immer wieder die Schwächsten unserer Gesellschaft betrifft, Kinder, Menschen, die behindert werden, ältere oder kranke Menschen.

Wichtig bei der Akzeptanz des Scheiterns ist, aus den gemachten Fehlern zu lernen. Das wiederum setzt aber Reflexion voraus, die oftmals ressourcenintensiv ist. Man muss sich Zeit nehmen für die Reflexion. Oder besser: Wir sollten der Reflexion des Scheiterns Priorität geben. Denn: Keine Zeit für etwas zu haben bedeutet, dass ich diesem etwas keine ausreichende Priorität gebe.

Kompetenzen kennen, einbringen können und entwickeln

Ein Aspekt, der oben immer wieder durchscheint, ist die Frage der Kompetenzen: Können die Menschen in Deiner Organisation ihre Kompetenzen dort einbringen, wo sie die größte Wirkung entfalten können? Oder geht es nur darum „Stellen zu besetzen“? Um dahin zu gelangen, (Zusammen-)Arbeit wirklich anhand verteilter, auf den Kompetenzen der Menschen basierenden Autoritäten und kollektiver Intelligenz anstatt anhand formal-hierarchischer Macht- und Entscheidungsstrukturen zu organisieren, muss erst einmal klar werden, wer überhaupt welche Kompetenzen hat. Das ist in den meisten Unternehmen völlig unklar. Frag doch mal Deine Mitarbeiter* innen (oder Dich selbst) nach ihren drei größten Stärken. Dies offene Auseinandersetzung mit den Stärken und Fähigkeiten der Mitarbeiter* innen ist ein Prozess, der sich wirklich lohnt. Darüber wird dann auch klar, wo noch Lücken hinsichtlich der professionellen und damit effektiven und effizienten Arbeit an und in der Organisation sind. Diese ggf. vorhandenen Lücken (bspw. zum Thema Projektmanagement, Grundlagen der BWL…) lassen sich dann sehr viel gezielter ausgleichen, als „vermutete“ Bedarfe, die zu hohen Weiterbildungskosten führen.

Krisenresiliente Organisation gestalten

Wie würdest Du deine Organisation strukturieren, wenn Du noch einmal komplett neu, auf der grünen Wiese, beginnen könntest? Sicherlich nicht formal-hierarchisch, um die individuellen Interessen einzelner Menschen herum, oder? Das macht keinen Sinn. Mehr Sinn macht es, die Organisation um die Wertschöpfung zu strukturieren, die generiert wird. Konkret: Einzelne, kleine, möglichst autarke und damit interdisziplinär zusammengesetzte Teams, die in direktem Kontakt zu den Nutzer* innen der Leistungen stehen, organisieren ihre Zusammenarbeit anhand der Kompetenzen der Menschen im Unternehmen und nicht anhand vorgegebener Hierarchiestufen. Bezogen auf die Frage des Scheiterns lässt sich konstatieren, dass diese sog. „Rekursiv-fraktale Organisationsstruktur“ deutlich resilienter ist, als die formal-hierarchische Organisationsstruktur. Und Krisenresilienz werden wir nicht nur aktuell, sondern auch bezogen auf die anstehenden Herausforderungen brauchen.

Der Weg dahin ist nicht ganz ohne, aber mit einem Teil der Organisation, einer Organisationseinheit zu beginnen, die sowieso in einem Umbruch ist, kann ein Weg sein. Wichtig dabei wieder: Lernen, Erfahrungen reflektieren und anpassen.

Vorhandene Stärken nutzen

Abschließend und als Fazit will ich nur noch einen Aspekt betonen: Menschen in Sozialen Organisationen und damit auch die Organisationen an sich sind eigentlich optimal geeignet, die genannten Aspekte umzusetzen. Denn: Krisen, Scheitern, Herausforderungen und Probleme sind der Kern sozialer Arbeit. Wir sind „Krisenprofis“, bezogen auf individuelle Krisen, bezogen auf Krisen in Gruppen und bezogen auf Krisen in sozialen Systemen wie bspw. Quartieren. Wir sind erfahren in systemischen Denkweisen, gehen mit einer ganzheitlichen, „bio-psycho-sozialen“ Sicht an die sich ergebenden Problemstellungen und lösen Probleme dort, wo sie entstehen. Nur in unseren Organisationen greifen wir nicht auf unsere Stärken zurück, sondern rennen oftmals komplett veralteten Bildern eines maschinellen Managements hinterher. Ja ich weiß:

Oftmals fordern die Kostenträger und Projektträger, von denen wir in der Finanzierung abhängig sind, genau diese veralteten, auf Misstrauen basierenden Management-Logiken. Da kommen wir auch nicht drum herum (auch wenn es oft noch so widersprüchlich ist). Hier gilt es, beidhändig zu fahren: Einerseits können wir (nach außen) die Anforderungen bedienen und „Management-Theater“ spielen. Nach innen jedoch, in die Organisationen hinein, sollten wir dringend unser Potential nutzen und echte „Soziale Arbeit“ gestalten.


Jetzt bin ich gespannt auf weitere Ideen, Anregungen und Feedback 😉

Wir brauchen Transparenz! oder: Agilität an der Basis sozialer Organisationen

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Was wäre, wenn Agilität das Problem ist?

Diese Frage habe ich in Twitter gehauen:

https://twitter.com/HendrikEpe/status/1287289323013001216

Es gab Reaktionen. Aber erst sehr spät kam die Frage danach, was denn eigentlich meine Definition von Agilität wäre und wie ich den Tweet eigentlich meine. Bei der Menge an (auch emotionalen) Reaktionen ist dies zumindest verwunderlich. Deswegen hier die Aufklärung, was ich eigentlich mit dem Tweet meine und was meine Gedanken dazu sind.

Zunächst einmal definiere ich Agilität als Anpassungsfähigkeit. Das ließe sich tiefer ausführen, aber nur kurz:

Open Strategy in der Sozialwirtschaft

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Strategieentwicklung geschieht – leicht überspitzt – so, dass eine Auswahl meist hochrangiger Mitarbeiter* innen, Führungskräfte, Vorstand, Geschäftsführung, Aufsichtsrat… in geschlossenem Kämmerlein sitzen und sich Gedanken um die Zukunft der Organisation machen: Was sind die zukünftig wichtigen Themen, mit denen sich unsere Organisation befassen muss? Wie gelingt es, die strategisch relevanten Themen in Ziele und diese dann in operationalisierbare Teilziele herunterzubrechen? Heraus kommen oft Hochglanzbroschüren mit der neuen Strategie oder die Strategie wird in hübscher Form auf der Homepage präsentiert oder bei der nächsten Jahreshauptversammlung vorgestellt. Vielmehr passiert … genau … nicht.

Wichtig ist also, die Umsetzung der Strategie vor die Aufhübschung der Strategie zu stellen, damit überhaupt etwas passiert. Dazu legt man – so mein Verständnis – Verantwortliche fest, die die einzelnen Themen „unter sich“ haben (klingt immer noch bewusst sperrig). Die Verantwortlichen suchen sich dann die für die Umsetzung wichtigen Menschen im Unternehmen und beginnen, möglichst iterativ, also in kurzen Schleifen, an der Umsetzung zu arbeiten. Gegen dieses Vorgehen der Strategieentwicklung und -umsetzung nicht sonderlich viel einzuwenden. Ich habe dazu schon ein paar Beiträge verfasst.

Open strategy als Kritik an der geschlossenen Strategie

Einzuwenden ist jedoch, dass der Prozess bis zur fertigen Strategie, die Strategieentwicklung also, von wenigen Menschen der Organisation allein, im mehr oder weniger stillen Kämmerlein, im Elfenbeinturm oder in der Einöde (je nach Organisation) durchlaufen wird. Hier setzt der Ansatz „open strategy“ an.

Open Strategy ist die Abkehr von der skizzierten Norm, dass Strategien immer vom oberen Management zu entwickeln sind. Open Strategy ist damit zum einen ein inklusiver und transparenter Ansatz zur Formulierung einer Strategie, bei dem möglichst alle, interne wie externe, Stakeholder der Organisation miteinbezogen werden und zum anderen ein Ansatz zur transparenten Darstellung der Strategie nach außen, um darüber wieder Feedback der Umwelt aufnehmen zu können.

Open Strategy, digitale Transformation und soziale Organisationen

Die Vorteile eines entsprechenden, meist über interne Blogs, Wikis, Enterprise Social Networks (ESN) etc., also IT-gestützten, Prozesses liegen auf der Hand: Es wird das kreative Potenzial aller an einer Organisation interessierten Stakeholder aufgegriffen und mit einbezogen. Strategische Entscheidungen haben darauf basierend deutlich mehr Rückhalt bzw. Akzeptanz im Unternehmen.

Für die hier spezifisch im Fokus stehenden Organisationen der Sozialwirtschaft ergeben sich aus einem möglichst offenen Vorgehen und einer Transparenz in der Darstellung der Strategie mindestens die Aspekte Öffentlichkeit, gesellschaftliche Veränderungen und organisationsinterne Besonderheiten sozialer Organisationen, die beachtenswert sind. Hinzu kommt noch ein kurzer Blick auf Selbstorganisation und den open strategy Ansatz.

Open strategy und öffentliche Interessen an sozialen Organisationen

So ist zum einen das Interesse der Öffentlichkeit, der Gesellschaft und der Politik an den Entwicklungen sozialer Organisationen von besonderer Bedeutung, da soziale Organisationen im Wesentlichen über externe Gelder, Steuergelder etc., finanziert werden. Die Frage also, welche Investitionen bspw. ein Wohlfahrtsverband in Zukunft plant, ist für mehr Menschen von Interesse, als die Frage, ob der Fliesenleger um die Ecke eine gute Auftragssituation hat. Spannend ist dies auch, da in einigen Regionen Deutschlands einzelne Wohlfahrtsverbände bzw. Soziale Träger beinahe als Monopolisten die soziale Versorgung gewährleisten und darüber auch eine enorme Arbeitsmarktrelevanz besitzen. Der Stellenabbau von Mercedes trifft Stuttgart genauso wie die neue Strategie der Caritas in Region XY die jeweilige Region beeinflusst.

Open Strategy und gesellschaftliche Entwicklungen

Zum anderen ist der Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen insgesamt zu richten: Davon ausgehend, dass an dem VUKA-Narrativ irgendwas dran ist, stellt sich die Frage, wie mit zunehmender Komplexität, die zu einer höheren Unsicherheit und Mehrdeutigkeit in Verbindung mit zunehmender Veränderungsgeschwindigkeit führt, umzugehen ist. Ja, hier spielt auch die digitale Transformation mit rein, aber eben nicht nur. Digitalisierung, verstanden als eine Möglichkeit, das Leben der Menschen zu verbessern, existiert – gerade aus Blick sozialer Organisationen – nicht „an sich“, sondern entfaltet die Möglichkeiten in der Frage, wie wir in der Nutzung von Technologie das Leben von Menschen wirklich verbessern können. Digitalisierung ist Werkzeug, das wir für unsere Zwecke nutzen können und müssen, nicht Zweck an sich.

Kurz: Der Umgang mit Fragen gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen, die für Soziale Organisationen viel unmittelbarere Auswirkungen haben als für andere Unternehmen und Funktionssysteme, gelingt nur gemeinsam, im Austausch, im Abgleich der Interessen, in Kooperation, im Wir. Oder noch konkreter: Wer Digitalisierung als ein Strategiefeld der aktuellen Unternehmensstrategie formuliert oder gar eine eigene Digitalisierungsstrategie erarbeiten will, ist gut beraten, nicht die IT-Abteilung (die Digitalisierungsexperten) allein mit der Umsetzung zu beauftragen. Viel sinnvoller ist es, die Entwicklung und Veröffentlichung der eigenen Strategie mit möglichst vielen Interessengruppen gemeinsam in crossfunktionalen Teams zu verwirklichen.

Open Strategy und der Blick in Soziale Organisation

Der Blick in soziale Organisationen zeigt abschließend, dass das Interesse der Mitarbeiter* innen an den Entwicklungen der eigenen Organisation hoch und oftmals höher als in „normalen“ Organisationen ist. Hintergrund sind hier wiederum mindestens zwei Sichtweisen:

Zum einen identifizieren sich die Mitarbeiter*innen in sozialen Berufen stärker über ihren Beruf, ihre Profession. Die Berufliche Identität ist ein viel diskutierter Aspekt in der Sozialen Arbeit. Entsprechend wählerisch sind die Menschen in dem, was die Organisationen als Visionen, Strategien, Werte und Ziele nach außen vermitteln und nach innen leben. Eine Organisation in konfessioneller Trägerschaft tut gut daran, die entsprechenden Werte nicht nur ins Leitbild zu schreiben oder im Verhältnis zu Nutzer *innen, sondern auch im Verhältnis zu den eigenen Mitarbeiter*innen zu leben. Und genauso interessiert sind die Mitarbeiter*innen an der Mitgestaltung der zukünftigen Ausrichtung der Organisation.

Zum anderen findet die Wertschöpfung sozialer Organisationen als „front-line organizations“ an der Basis statt: Der Erzieher am Kind ebenso wie die Beraterin in der Drogenberatung ist Ausweis der Qualität der sozialen Organisation. Die Geschäftsführung leistet – etwas überspitzt – reine Unterstützungsarbeit, damit die Menschen an der Basis ihre Arbeit möglichst gut machen können. Die Menschen an der Basis jedoch nicht (oder kaum) in den Entwicklungsprozess der Strategie mit einzubeziehen, ist fahrlässig. Wiederum das Thema Digitalisierung als Beispiel aufgreifend ist es notwendig, die Fachkräfte mit in die Frage einzubinden, ob und wie digitale Technologien jetzt und in Zukunft zu nutzen sind. Ansonsten wird der Widerstand der Mitarbeiter* innen groß sein.

Open Strategy und Selbstorganisation

Hier noch abschließend ein weiterer Gedanke: Viele Organisationen rufen gerade händeringend nach selbstbestimmt, eigenverantwortlich oder gar autonom arbeitenden Mitarbeiter* innen. Wie jedoch sollten Mitarbeiter* innen selbstorganisiert arbeiten können, wenn ihnen eine Strategie vor die Nase gesetzt wird, an der sie nicht im Ansatz beteiligt waren? Kurz: Selbstorganisation erfordert Transparenz und Beteiligung – das gilt auch für den Prozess der Entwicklung und der Veröffentlichung der Strategie. Nur aus Transparenz und Beteiligung erfolgt dann auch selbstorganisiert Strategieumsetzung.

Die Jungs von „Corporate Rebels“ schreiben zu radikaler Tranparenz:

After visiting 100+ pioneering organizations around the globe we found radical transparency to be an important characteristic of the progressives. Simply, people are more involved, perform better, and have higher trust if their leaders foster a culture of transparency (instead of a traditional culture of secrecy).

Grenzen des open strategy Ansatzes?

Open strategy setzt – in der Entwicklung und der Verbreitung – auf Partizipation und Transparenz. Das leuchtet ein und (hoffentlich) jeder wird die skizzierten Vorteile zumindest intellektuell verstehen (was noch nicht „umsetzen“ bedeutet).

Gleichzeitig zeigt uns Corona gerade, dass viele Notwendigkeiten im Kontext der Digitalisierung sozialer Organisationen „unter Zwang“ umgesetzt wurden. Partizipation war angesichts der unmittelbaren Notwendigkeit der Umstellung auf Distanz, Homeoffice etc. ein irgendwo im Hinterkopf schlummerndes Konzept, das jedoch nicht ganz oben auf der Prioritätenliste stand. Daraus folgt zumindest die Frage, wo strategische Entscheidungen ohne Beteiligung umzusetzen und die Schmerzen und den Widerstand auszuhalten sind, um dafür wirklich einige Schritte weiterzukommen?

Anders gewendet zeigt sich jedoch, dass Veränderungen, auch und gerade strategische, langfristige und umfassende Veränderungen, immer einen Anlass, ein Anliegen bzw. ein echtes Problem brauchen:

Wir können noch so lange über Digitalisierung reden und theoretisch Digitalisierungsinitiativen fordern. Wenn es eigentlich noch kein Problem gibt, Veränderung also auf Einsicht basieren muss, wird es nicht leicht. Wenn also Kostenträger keine Finanzierung von digitaler Infrastruktur ermöglichen, die Mitarbeiter* innen im Studium kein Wort zur Digitalisierung hören, die Organisationen Faxe verschicken usw. bleibt unklar, warum Digitalisierung wichtig sein sollte. Erst dann, wenn das Problem jedoch unmittelbar an die Tür klopft, wird es notwendig, sich wirklich zu bewegen.

Und dann wiederum macht es mehr Sinn, sich gemeinsam, offen und transparent zu bewegen. Das kann man bspw. durch open strategy Ansätze im Kleinen wie im Großen lernen.

Und wie jetzt?

Abschließend wird in Blogs ja immer gefordert, irgendwelche Handlungsanleitungen mit an die Hand zu geben. Das ist berechtigt, jedoch angesichts der Komplexität des Feldes kaum erfolgsversprechend. So sehe ich auf die Frage „Und wie jetzt?“ die Antwort „Kommt drauf an!“ als leider passend an. Denn es kommt an auf

  • Eure Organisation: Wer seid ihr? Wohin wollt ihr? In welcher Umwelt agiert ihr?
  • die Kultur Eurer Organisationen: Wie offen lebt ihr Beteiligung bislang?
  • Strukturen und bisherige Strategien: Wie funktioniert ihr als Organisation? Wie digital seid ihr?
  • die Zukunft: Wie transparent, partizipativ und offen wollt ihr sein? Und warum überhaupt?

Im bereits zitierten Beitrag auf dem lesenswerten Blog „Corporate Rebels“ heißt es als abschließender Tipp sehr passend:

„Pioneering organizations believe radical transparency is vital, at all levels of the organization and on almost all topics. The starting point is simple: all information should be made public.“

Radical Transparency: Powerful Example of How to Fight a Toxic Workplace

Das ist einfach(er gesagt als getan): Alles öffentlich machen. Und damit auch die Strategie! Auf geht’s…

Und mehr folgt hoffentlich in weiteren Beiträgen zum Thema…


Wie läuft die Strategieentwicklung und -umsetzung bei Euch ab? Wo seht ihr Chancen und Möglichkeiten eines entsprechend offenen Ansatzes der Strategieentwicklung? Und wo sind Grenzen? Diskutiert gerne hier im Blog oder sonstwo im Netz… 😉

Hier könnt ihr Euch übrigens an einen kleinen Austausch zum Thema bei Twitter beteiligen (open, halt…):

Zitiervorschlag: Epe, Hendrik (2020): „Open Strategy in der Sozialwirtschaft“. In: IdeeQuadrat – Beratung, Entwicklung, Inspiration. (Abgerufen unter: https://www.ideequadrat.org/open-strategy-sozialwirtschaft/)

Zwischen Hoffnung und Schuld: Widersprüche in der Führung sozialer Organisationen

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In den letzten Wochen und Monaten habe ich in verschiedenen Veranstaltungen die Frage behandelt: Wie gelingt Führung sozialer Organisationen? Hinzu kamen aktuell Ergänzungen wie „in der Krise“ oder „digitale Führung“ oder ähnliches. Alle Veranstaltungen waren (aus meiner Sicht zumindest) sehr zufriedenstellend: Wir konnten gemeinsam Führung reflektieren, Herausforderungen für die jeweiligen Organisationen ansprechen und konkrete Stolpersteine und Möglichkeiten eruieren. Und ja: Das geht auch digital (auch wenn der Fokus der Videokonferenzen echt zehrt).

Was ist direkte und indirekte Führung?

Podcast: Wie können Social Entrepreneurship und die freie Wohlfahrtspflege voneinander lernen?

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Das Thema „Social Entrepreneurship“ oder Sozialunternehmertum begleitet mich hier bei IdeeQuadrat schon länger: Zum einen glaube ich, dass wir nicht nur im Sozialwesen gerade in der aktuellen Zeit und in Zukunft Unternehmertum im besten Sinne als Grundkompetenz brauchen, um Gesellschaft positiv zu gestalten: Wir müssen selbst etwas unternehmen, damit es (was auch immer damit gemeint ist) besser wird. Zum anderen habe ich hier im Blog schon oft das Thema aufgegriffen – in Interviews, in Methoden und im Hinterfragen.

Entsprechend überrascht war ich vom Thread, den Joss Steinke am 18. Mai 2020 veröffentlichte:

Daraus ergab sich eine große Diskussion:

Das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland, also SEND e.V., hat sich daraufhin natürlich auch eingeschaltet. Ihr kennt den SEND e.V. vielleicht durch das Interview mit Katrin Elsemann, das ich vor drei Wochen geführt habe und das als Podcast erschien.

Ich habe die Diskussion verfolgt und dann Markus und Joss zu einem gemeinsamen Gespräch in meinen Podcast eingeladen und freue mich jetzt, Euch hier das Interview als Transkription auch zum Lesen zu geben (hinten findet ihr auch noch die Links).

Transkription: Wie gelingt gemeinsames Verständnis, Markus Sauerhammer und Joß Steinke?

Hendrik Epe: Liebe Hörerinnen und Hörer des IdeeQuadrat-Podcast, das erste Mal ist es ein Podcast, bei dem ich zwei Teilnehmer dabeihabe – das glaube ich jedenfalls. Ich bin mir gerade nicht ganz sicher, auf jeden Fall sind mehrere Leute in der Leitung.

Ich spreche heute mit Dr. Joß Steinke und Markus Sauerhammer – mal wieder über das Thema Social Entrepreneurship und Wohlfahrt. Lustigerweise habe ich vor kurzem schon mit Katrin Elsemann darüber gesprochen. Dabei ging es darum, was Social Entrepreneurship eigentlich ist. Sie hat dazu viel Input gegeben.

Jetzt noch einmal Social Entrepreneurship als Thema, dieses Mal aber basierend auf einem Tweet von Joß Steinke. Auf diesen kommen wir gleich noch einmal zurück. Ich möchte euch beide erst einmal kurz vorstellen. So sparen wir Zeit und können sofort zum Inhaltlichen kommen.

Markus Sauerhammer ist der Geschäftsführer des Social Entrepreneurship Netzwerks Deutschlands. Wenn man ein bisschen weiter in seiner Historie zurückgeht, ist er Landwirt, ausgebildeter Landwirt. Das finde ich ganz spannend. Er kommt aus dem Dorf Strüth in Franken. Das hört man noch ein bisschen am Dialekt. Ich glaube, du bist inzwischen in Berlin. Du hast Management und Marketing studiert, danach noch einen MBA gemacht.

Du hast bei Startnext gearbeitet und bist über den Bundesverband der deutschen Start-ups zum Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland gekommen. Bzw. vielmehr hast du eigentlich das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland aufgebaut, wenn ich das in den letzten Jahren richtig verfolgt habe. Markus, was habe ich vergessen, was unbedingt erwähnt werden muss?

Markus Sauerhammer: Ich bin nicht Geschäftsführer. Mit Katrin, unserer Geschäftsführerin, hast du ja gesprochen. Ich bin Vorstand. Meine Rolle als Gründungsvorstand, meine Aufbauarbeit und dass ich gelernter Landwirt bin, hast du bereits angesprochen. Jetzt bewege ich mich im Thema Zukunftspolitik. Dabei ist die Parallele eigentlich die gleiche: Wir ernten, was wir säen. Von daher halte ich nur einen anderen Acker.

Hendrik: Ok, du bist also Landwirt geblieben und dabei nur auf einen anderen Acker gewechselt.

Auf der „anderen“ Seite sitzt Dr. Joß Steinke. Er leitet den Bereich Jugend und Wohlfahrtspflege beim Deutschen Roten Kreuz in Berlin. Wenn ich es richtig rausgefunden habe, analysiert und bearbeitet dieser Bereich Fragen der Sozial- und Wohlfahrtsarbeit des Deutschen Roten Kreuzes, das einer der großen Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege ist.

Joß Steinke war vorher, das war aber auch das Einzige, was ich bei meiner spontanen Suche herausbekommen habe, beim AWO Bundesverband tätig und hat dort den Bereich Arbeit, Soziales und Europa geleitet. Er ist also ein echter Fachmann im Bereich der freien Wohlfahrtspflege. Joß, was habe ich vergessen, von dir zu erzählen? Was müssen die Hörerinnen und Hörer noch wissen?

Dr. Joß Steinke: Dass ich ein Leben vor der freien Wohlfahrtspflege hatte, ist vielleicht auch noch erwähnenswert. Ich war vorher beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. Da schließt sich der Kreis zu Franken. Ich bin 2011 von dort aus nach Berlin gewechselt zum AWO Bundesverband. Ich mache also jetzt, seit knapp neun Jahren, im weitesten Sinne die Arbeit im Bundesverband für Wohlfahrtspflege.

Hendrik: Herzlichen Dank. Wir sprechen ja miteinander, um die Gegensätze zu beleuchten und am Ende hoffentlich dahin zu kommen, diese Gegensätze wieder zusammenzubringen. Um zu schauen, wo sind denn eigentlich Gemeinsamkeiten, Lernmöglichkeiten aus den Bereichen Wohlfahrtspflege und Social Entrepreneurship. Mich beschäftigt einfach beides, das muss ich ganz klar sagen.

Ich selbst komme ursprünglich aus der Wohlfahrtspflege. Ich war Sozialarbeiter, bin auch immer noch im Bereich der Caritas unterwegs und berate soziale Einrichtungen in diesem Kontext. Ich verorte mich eher in der Wohlfahrtspflege, aber dieses Unternehmertum interessiert mich auch. Dann gab es diesen Tweet von Joß Steinke, in dem er, wenn ich es negativ formuliere, Social Entrepreneurships angegriffen hat.

Joß, magst du einmal kurz auf den Hintergrund von dem Tweet eingehen?

Joß: Kurz, das ist natürlich gar nicht so leicht. Aber ich habe es ja auch im Tweet geschafft. Deswegen schaffe ich es jetzt auch kurz. Wobei es mir schon wichtig ist: Ich greife nicht Social Entrepreneurs oder Start-ups an. Mir geht es tatsächlich um politische Kommunikation. Hendrik, du fragst, wie man es schafft, einen Ausgleich herzustellen. Für mich ist nach wie vor ungeklärt, mit was ich es eigentlich zu tun habe. Eine meiner Kritiken oder Fragen ist: Was ist eigentlich Social Entrepreneurship? Meines Erachtens nach ist es immer noch nicht geklärt.

Wenn ihr euch den Tweet und die Antworten dazu genau anguckt, findet ihr ganz viele unterschiedliche Antworten auf die Frage: Was ist Social Entrepreneurship? Und solange ich natürlich auch nicht weiß, mit was ich es hier zu tun habe, wofür und für wen sie sich einsetzen, finde ich es auch schwierig auf so einer Ebene miteinander zu arbeiten. Mir ist es auch wichtig, das noch einmal zu sagen: Wenn es gute Ideen, gute Initiativen gibt, mit denen man kooperieren kann, dann bin ich der Letzte, der hier nein sagt. Im Gegenteil, ich glaube, dass ich in den letzten acht Jahren immer wieder auch dafür gesorgt habe, dass gerade der Austausch mit den Initiativen selbst auch gefördert worden ist.

Hendrik: Darf ich einhaken? Die Frage, die du gerade gestellt hast, ist auch ein Teil der Grundlage für unser Gespräch: Was ist Social Entrepreneurship? Das möchte ich für die Beantwortung an Markus weitergeben. Wenn es jemand beantworten können sollte, dann bist du das Markus. Du müsstest uns sagen können, was das Gegenüber der freien Wohlfahrtspflege ist – wenn man mit diesen Polen arbeiten möchte.

Social Entrepreneurship ist im Kern die Lösung gesellschaftlicher Herausforderung mit unternehmerischen Instrumenten.

Markus: Ich würde es gar nicht als Gegenüber sehen, sondern wenn wir uns die historische Entwicklung anschauen, woher es eigentlich kommt, ist es so, dass wir in großen Umbruchzeiten und nach großen technologischen Revolutionen immer soziale und gesellschaftliche Innovationen hatten. Bei der industriellen Revolution war es so, dass Genossenschaften entstanden sind, als wir eine Monopolisierung von Strukturen in ländlichen Regionen bei Geldverleihern, beim Landhandel hatten.

Das damals die Sozialversicherungen oft aus kommunalen Kontexten heraus entstanden. Da waren vor Ort Macher*innen, die einfach Prototypen umgesetzt haben. Oft waren es auch Intrapreneurs aus der Kirche. Ich finde es ganz spannend, wenn man sich die Geschichte von Adolph Kolping anschaut. Oder, und da nehme ich das Rote Kreuz, einen Unternehmer, der damals in Zukunftsmärkten gegründet hat. Er hat Napoleon III. wegen geschäftlicher Dinge besucht und dabei gesehen, dass Missstände herrschen. Daraufhin hat er das Rote Kreuz mitgegründet.

Hendrik: Henry Dunant meinst du?

Markus: Ja genau, Henry Dunant. Eigentlich ist es genau das Gleiche: Wir sind wieder in einer großen Umbruchphase. Wir kämpfen mit gesellschaftlichen Herausforderungen, mit der digitalen Transformation, weiteren neue Herausforderungen, die hinzukommen. Was geht alles mit dem Klima- oder dem demografischen Wandel in Deutschland einher?

Oder die Globalisierung, die definitiv nicht zum Wohle aller gelaufen ist, sondern bei der eine kleine Anzahl von Menschen sehr enorm profitiert hat. Das heißt, wir leben in einer Zeit, in der wir Herausforderungen haben, die wir in den nächsten Jahren lösen müssen. Social Entrepreneurship ist im Kern die Lösung gesellschaftlicher Herausforderung mit unternehmerischen Instrumenten. Unternehmerische Instrumente heißt nicht, dass es das klassische Geschäft ist, sondern dass nachhaltige Strukturen da sind. Wir haben auch versucht, das in unsere Definition mit aufzunehmen – es gibt ja in den europäischen Ländern unterschiedliche offizielle Definitionen.

Wir haben uns hingesetzt und eine Basis gemacht. Es ist wichtig, dass das Thema jetzt kommen muss. Dass wir sagen, da bin ich komplett bei Joß, wie wir uns abgrenzen und was das Ganze ist. Das ist ja ein Prozess, der gerade entsteht. Es geht auch nicht darum, dass wir die Weisheit mit Löffeln gefressen haben, sondern dass wir uns fragen: Was funktioniert bei uns super? Was sind die Sachen, die wir in die Zukunft tragen wollen? Und wie können wir das auf die Lösungen der heutigen Herausforderungen adaptieren? Das ist eben nicht nur eine Entwicklung in Deutschland, sondern eine internationale.

Hendrik: Ganz herzlichen Dank. Da sind natürlich viele Aspekte von den Gründern der Wohlfahrtsverbände drin. Henry Dunant ist da auf einer Seite, aber auch bei den konfessionellen Verbänden haben wir solche Persönlichkeiten wie Johann Hinrich Wichern bei der Diakonie oder Lorenz Werthmann bei der Caritas. Bei denen weiß man, dass sie etwas unternommen haben. Die waren unternehmerisch tätig. Aber, Joß, aus deiner Perspektive: Wo siehst du die Herausforderungen dabei? Wenn man das als ein Sammelbecken gesellschaftlicher Herausforderungen sieht, die mit unternehmerischen Mitteln gelöst werden wollen.

Joß: Solange das ein Diskurs unter uns bleibt, ist das kein Problem. Wenn man aber, und das macht ihr, Markus, auch sehr erfolgreich – das ist keinesfalls ein Vorwurf –, politisches Lobbying für etwas betreibt, das du zwar beschrieben hast, aber was ich nicht festmachen kann, dann hat das Konsequenzen, über die ich gerne noch einmal sprechen möchte. Die ich persönlich sehr, sehr schwierig finde und die mich auch zu dem Tweet animiert haben. Aber Markus, du hast es ja selber gesagt, ihr müsst euch oder ihr seid dabei, euch stärker abzugrenzen.

Ich habe gestern Abend noch einmal nachgedacht und dabei ist mir eingefallen, dass ich mal eine ganz interessante Diskussion hatte. Ich beschäftige mich mit dem Thema Soziale Innovation und Social Entrepreneurship seit 2012, weil ich damals neu in die Wohlfahrtspflege gekommen bin.

Das klingt erst einmal alles interessant und man möchte auch bei neuen Themen dabei sein und partizipieren, wenn man ganz neu in dem Bereich ist. Da gab es eine Multi-Stakeholder-Konferenz, bei der wir in der Debatte eigentlich auch an den Punkten waren, wo wir jetzt auch immer wieder sind. Bei dieser Konferenz hatte ich am Rande eines Gesprächs eine Diskussion mit einem Vertreter von ALDI, der gesagt hat: „ALDI ist ein Social Entrepreneur.“ Denn überall, wo ALDI hingeht, würden die Preise für Lebensmittel sinken. Das sei ursozial, weil die Leute dann mehr Geld dafür auch bei niedrigen Einkommen hätten.

Hendrik: Das kann man zumindest diskutieren.

Joß: Ja, das kann man sicher. Aber wer entscheidet das und nach welchen Kriterien? Wofür? Das ist die Frage. Wer und woran macht man denn was fest? Sozialunternehmertum ist nicht abgegrenzt, Social Entrepreneur ist nicht abgegrenzt. Mit welchen Argumenten, Markus, würdest du dann sagen: „Nö, also Aldi … ich weiß jetzt nicht, ob ich mich für die im Bundestag einsetzen würde“? Vielleicht würdest du es ja auch tun.

Ich will damit nur sagen, letztlich hat mich das damals auch bewogen, zu sagen: „Man muss es vielleicht noch einmal schärfen. Denn solange ich nicht weiß, mit wem ich es zu tun habe, was das ist, ob es Unternehmen sind, ob es gewerbliche oder gemeinnützige sind, ist es für mich schwierig, eine Kooperation auf einer politischen Ebene einzugehen. Ich hoffe, dass das irgendwie verständlich rüberkam.

Markus: Das kommt super rüber. Also erst einmal: Das Beispiel, das du angebracht hast, finde ich super. Schauen wir zurück: 1950 war es so, dass wir 44 %, knapp die Hälfte unseres Einkommens für Lebensmittel ausgegeben haben. Das heißt, einen halben Tag bin ich schaffen gegangen, damit die Familie ernährt wird. Heute sind es ungefähr 13, 14 %. Hat Aldi etwas verändert, gesellschaftliche Mehrwerte geleistet? Wenn ich nur nach dem Preis gehe, bin ich definitiv bei dir. Ich habe aber auch landwirtschaftliche Wurzeln. Damit kommen wir auch darauf, warum ich genau in diesem Bereich gelandet bin. Wir haben mittlerweile eine Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel von 85 %, also vier Anbieter haben 80, 85 % Marktanteil.

Ganz genau weiß ich es aktuell nicht. Viele meiner ehemaligen Studienkollegen arbeiten im Lebensmitteleinzelhandel als Einkäufer, als Verkäufer. Die Marktmacht wird schonungslos ausgespielt. Was wir gerade bei den Schlachthöfen erleben, ist jetzt wegen Corona nach oben gepoppt. Es ist eine komplette Wertschöpfungskette, bis hin zu den Landwirten, Produzenten, Erzeugern darunter, bei der wir doch eine hohe Marktkonzentration, Machtkonzentration, ein enormes Ungleichgewicht haben. Da hat ein Mission-drift stattgefunden. Das heißt, der gesellschaftliche Mehrwert ist definitiv verloren gegangen.

Es wurde aus einem Konstrukt, das gesellschaftliche Mehrwerte geleistet hat, definitiv zu einem Instrument, zu dem ich sage, dass wir heute hart diskutieren können. Ich glaube, es gibt immer noch Leute, die sagen: „Lebensmittel könnten günstiger sein.“ Ich glaube das nicht.

Das, was du beschreibst, da bin ich bei dir, ist gesellschaftliche Innovation. Social Entrepreneurship ist nicht die Konkurrenz zur Wohlfahrt, sondern sie gibt es in der Wirtschaft. Die meisten unserer Akteure sind eher in der klassischen Wirtschaft unterwegs, viele auch in Wohlfahrtsbereichen. Aber der Schwerpunkt liegt in dem Bereich. Ich glaube, wir brauchen ein krasses Umdenken, wenn wir uns anschauen, wie sich die Welt gerade verschiebt.

Ich war eine Zeitlang in der klassischen Start-up-Welt. Ich habe dann ein Aufbaustudium, einen MBA, gemacht. Ich war dabei und irgendwann sagen die uns: „Erzählt den Leuten, was ihr Gutes tut. Und dann holt ihr Venture-Capital rein, Netzwerk-Lock-in-Effekte. Danach dockt ihr ans Geschäftsmodell an und könnt die Kunden melken.“ Das heißt, wenn wir bei der industriellen Revolution zum Produktionsfaktor wurden, werden wir heute zum Produkt – in einer ganz anderen Geschwindigkeit, in einer ganz anderen Machtkonzentration.

Wenn man die Bilder logisch weiter malt, dann brauchen wir ein Umdenken. Deswegen wünsche ich mir, dass wir genau diesen Austausch haben und es kritisch diskutieren. Ein Jahr lang fand jetzt regelmäßig eine Runde statt, in der sich Vertreter der Wohlfahrt mit den Social Entrepreneurs zusammengesetzt haben. Wir haben uns wahnsinnig viel Zeit genommen, um genau über diese Punkte zu diskutieren. Darin schlummert das Potenzial, dass wir uns nicht gegeneinander, sondern konstruktiv aneinander zu reiben. Dass wir sagen, was gut und was schlecht ist, was man vielleicht anders machen muss.

Aber das funktioniert nur, wenn man gemeinsam am Tisch sitzt und daran arbeitet. Die Menschen, von denen die Kritik kommt, saßen aber nicht mit am Tisch. Gewünscht hatte ich mir das, denn wir schaffen es nur gemeinsam. Ich bin komplett bei dir, denn keiner von uns möchte die Wohlfahrt in Frage stellen, sondern wir haben hier ein Riesenpotenzial, was wir in die neue Zeit tragen müssen.

Hendrik: Lasst uns nochmal kurz bei der Abgrenzung bleiben, um es noch ein bisschen greifbarer zu machen. Die Erläuterung des Beispiels ALDI ist ganz spannend. Das, was mir in den Kopf kam, ist das Familienunternehmen Bosch, das eine Stiftung ist. Diese Purpose-Unternehmen gehen ja in eine ähnliche Richtung. Es sind nicht veräußerbare Unternehmen, die dahinterstehen. Wenn man ein Unternehmen aufbaut und es dann möglichst meistbietend veräußert, ist das auch ein mehr oder weniger soziales Problem.

Also könnte man auch Bosch als sinnstiftendes Unternehmen und als Löser von sozialen Problemen bezeichnen. Gleichzeitig hast du den Bereich der Lebensmittel angesprochen. Es gibt in der gesellschaftlichen Problemlage, die wir vor uns haben, eine Spannbreite von A bis Z. Das könnte man in unterschiedlichste Bereiche auffächern.

Eure Definition hast du eben erläutert. Die deutschsprachige Definition der sozialen Arbeit, nicht Wohlfahrtspflege, des DBSH (Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V.) lautet: „Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen.“ Diese geht natürlich noch weiter und wird auch noch tiefer.

Ich finde, das ist alles sehr groß und sehr breit und wenn ich dich richtig verstanden habe, Joß, geht die Abgrenzung eigentlich nur über den Aspekt der Gemeinnützigkeit. Das heißt, die Frage ist, wie denn eigentlich der politische und gesetzliche Rahmen ist, unter denen Wohlfahrt agiert. Ist das richtig?

Die Abgrenzung zwischen Wohlfahrtspflege und Social Entrepreneurship geht nur über den Aspekt der Gemeinnützigkeit

Joß: Ja, natürlich ist das richtig. Wir können benennen, was wir sind. Wir sind gemeinnützig und man muss eben letztlich Teil einer der Wohlfahrtsverbände sein und sich dann dementsprechend auch den Regularien und Satzungen dieser Verbandsstrukturen unterwerfen. Das bedeutet, dass es bestimmte Bedingungen gibt, um Mitglied beispielsweise im DRK, in der AWO oder im Paritätischen zu sein. Sind diese Kriterien nicht erfüllt, kann man kein Mitglied sein. Die Satzungen sind zwar alle unterschiedlich, aber sie gelten. Und sie sind verpflichtend, nicht nur gemeinnützig, sondern verpflichtend in den Satzungen auch gemeinwohlorientiert. Beides geht hier Hand in Hand.

Markus, deine Antwort ist nachvollziehbar. Ich habe mich nicht dafür ausgesprochen, ALDI als Social Entrepreneur zu bezeichnen. Ich wollte von dir wissen, was ihr macht, wenn die kommen und sagen: „Wir sind es!“? Ich sehe keine Mechanismen oder Bedingungen, die hier greifen, sondern du sagst einfach: „Sie sind es nicht.“ Du argumentierst dabei auch nachvollziehbar, dass es dann den Landwirten schlechtgeht. Das verstehe ich auch.

Aber die Frage ist doch: Gibt es etwas, an was man das festmachen kann, dass das auch gilt, wenn ein ähnliches Unternehmen kommt, bei dem es weniger eindeutig ist? Das gibt es nicht. Vielleicht sagst du auch: „Doch, gibt es!“ Aber welches Gremium entscheidet das und nach welchen Kriterien? Im Moment ist das noch so bunt und schwer zu verorten. Deshalb ist es so schwierig, in einen solchen Dialog zu kommen.

Ich möchte, wenn ich darf Hendrik, gleich auch noch einmal auf den Punkt zu sprechen kommen, was mich dazu bewogen hat, auf Twitter so hart reinzugehen. Dabei geht es mir nicht nur um die Definition, sondern es geht mehr um die politische Kommunikation, die mir da wirklich sehr, sehr wichtig ist.

Hendrik: Gerne! Vorher aber noch einmal die Frage der Abgrenzung an dich Markus. Was sind die Kriterien, um bei euch mitspielen zu dürfen? Und dann zu dir, Joß, mit der Frage, was die Beweggründe hinter diesem Tweet waren. Du sagtest: „Politische Kommunikation“. Was steht da eigentlich dahinter? Markus, magst du die Kriterien benennen, wenn ihr diese habt?

Kriterien für Sozialunternehmertum

Markus: Bei uns ist es so, dass wir einen ziemlich umfangreichen Fragebogen haben. Wenn jemand Mitglied werden möchte, muss er klar machen, was die gesellschaftliche Mission ist, wie das erreichten werden soll, was das Wirkungsmodell dahinter ist und wie sichergestellt wird, dass kein Mission-drift stattfindet. Den Fragebogen haben wir nach dem Definitionsprozess noch einmal nachjustiert. Wenn wir uns anschauen, mit welcher Dynamik sich das Thema gerade global entwickelt, egal ob Social Entrepreneurship oder soziale Innovationen – gesellschaftliche Innovation ist mir als Wort fast noch lieber –, dann sehen wir eine enorme Bewegung.

Damals in der Zeit von Henry Dunant gab es, glaube ich, noch keine Gemeinnützigkeit. Es konnte also allein an dem Kriterium festgemacht werden. Wenn ich nun dieses Kriterium nehme, denke ich an einen Blogbeitrag, in dem diskutiert wurde, dass nur eine kleine Anzahl unserer Mitglieder gemeinnützig ist. Schauen wir uns die Erhebungen an, ist zwar der kleinste Teil im Bereich der Wohlfahrt unterwegs, aber die Hälfte ist gemeinnützig. Also viele der Akteure tragen eigentlich die Gemeinnützigkeit in klassische Bereiche der Wirtschaft.

Das, was uns wichtig ist, ist: Wie verhindern die Akteure einen Mission-drift? Dabei ist neben der Gemeinnützigkeit noch ein Themenbereich, der schon angesprochen wurde, relevant: Wie schaffen wir ein Rechtsformkonstrukt für Unternehmen, die klassisch in der Wirtschaft agieren und trotzdem eine Zweckorientierung verankern, das keine Konkurrenz zur Gemeinnützigkeit und auch nicht Gemeinnützigkeit light ist. Du hast vorhin Bosch angesprochen.

Ich würde Bosch nicht als Sozialunternehmen sehen, sondern sie haben den Zweck festgelegt, dass der Großteil in Innovationen investiert wird und die Überschüsse in die Stiftung fließen. Solche Unternehmen sind resilienter und entlassen nicht so schnell Mitarbeiter. In Dänemark gibt es solche Modelle. Wenn man in Deutschland so ein Konstrukt mit einer Doppelstiftungsstruktur aufbauen will, ist man schnell einen sechsstelligen Betrag los und nur dann kann man das, was man verspricht, auch wirklich halten. Das ist z.B. ein Kriterium. Ein anderes sind Instrumente wie Gemeinwohlökonomie, die B-Corp-Zertifizierung, das Phineo-Wirkt-Siegel, Social Reporting Standard. Damit kann auch sichergestellt werden, dass es wirklich eine Wirkungsorientierung gibt.

Das Thema ist in Deutschland einfach in der Dynamik noch ein relativ junges Thema, auch wenn wir die Dialoge schon eine Weile führen. Das sich da viel verändern wird und definitiv Prozesse nachgezogen werden müssen, ist klar. Das hat man jetzt auch mit dem Antrag der Regierungsfraktionen gesehen, dass eine offizielle Definition kommen muss. Dann haben wir endlich eine Grundlage. Etwas, dass nicht nur theoretisch existiert, sondern es ist ein Konstrukt, das in einem Prozess erarbeitet wurde, das dann auch eine Möglichkeit zur Finanzierung von Förderprogrammen schafft.

Wir kämpfen dafür, dass Innovationen der Wohlfahrt und von Social Start-ups genauso gefördert werden wie Innovationen der gewerblichen Wirtschaft. Bisher sind beide Akteure dabei außen vor. Social Start-ups können auf die meisten Innovationsprogramme nicht zugreifen, die klassischen Akteure der Wohlfahrt auch nicht. Dabei geht es darum, wie wir Gemeinsamkeiten schaffen können. Gemeinsamkeiten, die auf Ziele einzahlen, die wirklich gesellschaftliche Mehrwerte möglich machen. Es geht nicht in allen Fällen über die Gemeinnützigkeit, das ist mir noch einmal wichtig zu sagen.

Hendrik: Joß, zum Hintergrund des Tweets.

Joß: Das ist auch wirklich mein Problem. Wenn ihr auftretet, dann vertretet ihr häufig kleinere, ideenreiche Start-ups. Das ist Bosch ja nun wirklich nicht. Ihr habt euren Monitor herausgebracht. In dem habt ihr eine Umfrage unter den Einrichtungen und Initiativen, die sich als Social Entrepreneurs begreifen, gemacht. Die nennen z. B. das Problem der Rechts- oder Organisationform überhaupt nicht. Bei den Problemen, bei den aktuellen Herausforderungen, die genannt werden, kommt es eher an hinterer Stelle. Wenn ich mit jemandem eine Kooperation eingehe, möchte ich gerne wissen, wessen Interessen derjenige eigentlich vertritt. Was ich bisher gehört habe, ist ja nicht falsch – auch das, was du sagst. Aber das ist eher so eine Art, ich nenne es mal, Lebensgefühl, das sicherlich auch davon getragen wird, dass wir in Umbrüchen leben. Wir müssen uns neu aufstellen. Das stimmt auch alles. Jedoch macht das noch keine Interessenvertretung aus.

Genau das ist für mich schwierig, denn ich vertrete eine Organisation, die echt ist, die klar ist. Dahinter stehen Menschen, die sich in der Wohlfahrt, der Jugend- und Altenhilfe, der Migrationsarbeit, der Behindertenhilfe, in Gesundheitsprogrammen einbringen. Diese Menschen gibt es. Die kann ich benennen. Ich kann die Einheiten benennen. Mit denen arbeite ich, für diese arbeite ich. Mit ihnen machen wir auch Innovationsförderung. Das ist für mich benennbar. Auf der anderen Seite, und da weiß ich nicht, ob es den Zuhörerinnen und Zuhörern dabei anders geht als mir, ist es für mich noch nicht richtig klar und das ist meine Kritik. Denn auf dieser Basis wird jetzt politisch gehandelt und das ist gefährlich. Ihr seid echt gut in der politischen Kommunikationsarbeit, im Marketing und auch in der Kommunikation über soziale Medien.

Man bekommt den Eindruck, dass hier eine riesige Geschichte läuft. Das finde ich tatsächlich beachtlich und habe Respekt davor. Aber ich halte es nicht für ungefährlich. Ihr habt einen Antrag der Regierungsfraktionen, in dem es um soziale Innovationen geht, gelobt, der mich auch geärgert hat. Die Wohlfahrtspflege wird dabei zum Steigbügelhalter für innovative Ideen von Dritten degradiert. Das wird den Leuten, für die ich auch spreche, einfach nicht gerecht. Das ist nicht in Ordnung! Das sagen wir auch noch einmal wirklich deutlich im Bundestag. Das ist aber gar nicht mein größtes Problem.

Social-Entrepreneurship-Himbeersoße

Mein größtes Problem ist, dass ich das Gefühl habe – das wollt ihr zwar nicht, aber das kann dabei entstehen –, dass bei politischen Entscheidungsträgern der Eindruck erweckt wird, dass die Lösung der Probleme Social Entrepreneurship ist. Auch durch dieses Auftreten habe ich manchmal das Gefühl, dass ihr alles mit so einer Social-Entrepreneurship-Himbeersoße übergießt und alles ist irgendwie total super. Hendrik, du weißt, dass wir so heftige Probleme in der Sozialen Arbeit haben, Dinge voranzubringen. Dass wir Probleme wegen Unterfinanzierungen haben.

Da sind Leute, die sich engagieren, wegen denen wir dringend an die Sache ranmüssen. Zusätzlich besteht auch ein Misstrauen gegenüber der Sozialen Arbeit, das wir nicht wegkriegen. Woran wir uns immer wieder stoßen, auch jetzt in der Corona-Zeit. Das Social Entrepreneurship nicht euer Ziel ist, weiß ich. Aber ich habe die Sorge, dass das als Problemlösung verstanden wird. Dann verklebt diese Himbeersoße wieder alle Problemlagen und wir kommen nicht dazu, über die eigentlichen Sachen zu sprechen, um die es im sozialen Bereich in Deutschland aus meiner Sicht tatsächlich geht. Dann wird es nämlich eigentlich nicht mehr besser, sondern klebrig.

Hendrik: Weil du es gerade angesprochen hast, aus meiner Perspektive gibt es die Herausforderungen, die wir in diesem Wohlfahrtssektor haben, eigentlich schon, seitdem es ihn gibt. Seitdem professionelle soziale Arbeit oder professionelle Wohlfahrt geleistet wird, haben wir diese Herausforderungen. Die fangen an beim Frauenberuf, in dem wir unterwegs sind, gehen über Finanzierungsengpässe bis hin zu Misstrauen der Kostenträger, die Gelder geben.

Das, was du, Joß, gerade gesagt hast, erinnert mich an die Technisierung. Es gibt eine technische Lösung für Probleme, die hochgradig komplex sind. Diese Komplexität kann man aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten, aber die Lösung selber ist erst einmal nur systemisch. Es wurde in unserem Bereich bereits lange und mit viel Aufwand, mit unterschiedlichen Netzwerken usw. daran gearbeitet. Aber die eine Lösung gibt es eben nicht. Das ist das, was ich bei dir rausgehört habe. Markus, wie reagierst du darauf?

Markus: Ich finde es schade, weil es in die Richtung Rechtfertigung geht. Was passiert da und wie macht ihr es? Die Rechtsform ist eine der größten Herausforderungen. Im letzten DSEM (Deutscher Social Entrepreneurship Monitor) haben 51,4 % das Fehlen einer geeigneten Rechtsform als Problem angegeben. Dabei ist es so, dass es eine Herausforderung ist, aber weniger in Abgrenzung oder als Konkurrenz im Bereich der Wohlfahrt oder Gemeinnützigkeit, sondern eher bei Unternehmen, die so tun, als würden sie etwas Gutes machen, aber eigentlich ist das Gegenteil der Fall.

Die haben einfach eine coole Corporate-Social-Responsibility-Abteilung, die irgendwo im Marketing angedockt ist. Aber das ist nichts, wenn man so tut als ob, sondern es muss wirklich in der DNA verankert sein. Wenn Gesellschafter keine Gewinne mehr entnehmen können, es ihnen aber im unternehmerischen Kontext wichtig ist, ihren Geldgebern, wenn Geldgeber oder bei innovativen Gründungen Investoren vorhanden sind, genauso Zinsen zahlen zu können, dann ist dieser eine Vorschlag eine Möglichkeit. Denn klassische Darlehen passen da nicht.

Ich baue seit zehn Jahren Brücken zwischen etablierten Akteuren und Neulandgestaltern. Ich habe den Prozess nicht nur einmal durchgemacht, sondern ganz oft. Die Leute, die es immer gemacht haben, belächeln diejenigen, die neu dazukommen und etwas machen. Dann wird sich ein bisschen bekämpft und man hackelt sich, aber am Ende kommt man doch zusammen. Ich freue mich, dass wir zumindest schon auf Stufe zwei sind. Ich hoffe, dass wir bald auf Stufe drei kommen und wirklich gemeinsam daran arbeiten können.

Brücken bauen zwischen etablierten Akteuren und Neulandgestaltern

Ich bin der festen Meinung, dass die Sachen, die du, Joß, angesprochen hast, Herausforderungen sind, die Social Entrepreneurs nicht alleine lösen. Für mich gehören die internen Innovatoren, die Intrapreneurs und die Entrepreneurs fest zusammen. Mit einer etablierten Organisation hat man unterschiedliche Stärken. Es gibt super Strukturen, etablierte Prozesse. Man hat ein starkes Netzwerk und es ist wahnsinnig viel Erfahrung da. Das sind Dinge, die die Akteure nicht haben. Dafür haben Sie manchmal die Naivität, zu sagen: „Geht nicht, gibt‘s nicht! Ich mach es jetzt einfach mal.“ Sie suchen nach neuen Lösungen, wissen das Scheitern dazugehört. Sie probieren vielleicht auch mal andere Sachen aus, an die sie mit einem anderen Mindset rangehen.

Ich habe es so oft mitgemacht. In den Bereichen, in denen es darum geht, gesellschaftliche Mehrwerte zu schaffen, sollten wir wirklich gemeinsam daran arbeiten. Was sind die besten Prozesse? Was sind die besten Lösungen und wie können wir gemeinsam daran arbeiten, dass die besten Lösungen groß werden? Deswegen finde ich die negative Abgrenzung in der ganzen Diskussion fürchterlich.

Mit dem Antrag bin ich komplett bei dir. In dem steht viel zu wenig Wohlfahrt drin. Ich würde jetzt gerne einfach mal ein kurzes Rollenspiel mit dir machen. Stell dir vor, du bist ein Bundestagsabgeordneter und du setzt dich mit dem Thema auseinander. Ich habe vorhin schon gesagt, dass wir in der industriellen Revolution, soziale Innovationen hatten. Ein Teil wurde über staatliche Strukturen, ein anderer Teil über die Wohlfahrt und noch ein anderer Teil wurde am Markt skaliert. Das heißt, es gibt nun unterschiedliche soziale Innovationen. Du hast dich mit den unterschiedlichen Akteuren auseinandergesetzt, schreibst Papiere oder Anträge und dann klingelt dein Telefon. Es ruft jemand an und sagt: „Das ist alles Bullshit!“

Das passiert nicht einmal, sondern es passiert immer wieder. Wenn du dann diesen Menschen nicht zuhörst und auch mit den anderen nicht sprichst und das alles einfach schlecht machst, dann hat jemand vielleicht nicht mehr so viel Lust, das mit reinzunehmen. Daher ist es wichtig, dass wir Dialog-Prozesse schaffen, in denen wir den anderen zuhören, aber ohne sie zu verurteilen. Die brauchen wir, um festzustellen, dass wir in einer Zeit großer Umbrüche sind und es gemeinsam machen müssen.

Genauso ist es auch bei dem Finanzierungsthema, das du angesprochen hast. Wir waren mit dem Vorschlag zum Aufbau eines Social Impact Fonds in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. Dank dir, konnten wir das Modell vorstellen. Wir sind bemüht, eben nicht um Töpfe zu ringen, die da sind und die definitiv zu klein sind. Auch da bin ich zu hundert Prozent bei dir. Wir suchen Wege, wie wir es schaffen, dass Innovationsfördermittel genauso für soziale und gesellschaftliche Innovationen zur Verfügung stehen und nicht nur, wie momentan, dem gewerblichen Bereich. Wie schaffen wir es, Kapital zu mobilisieren, das momentan tot auf Bankkonten liegt, das aber niemandem gehört und das Banken nach 30 Jahren als Gewinn einbuchen?

Dieses Kapital könnte für solche Lösungen genommen werden. Dabei geht es nicht um Ego-Nummern oder darum, Social Entrepreneurship größer zu machen. Es geht darum, dass wir gemeinsam Problemlösungen voranbringen und genau an den Sachen arbeiten, die du genannt hast. Es wird nicht alle Probleme lösen, aber es ist bereits sehr viel vorhanden.

Beim Thema politische Aufmerksamkeit muss ich meine persönliche Motivation erklären, warum ich mich am Anfang so reingekniet habe. Ich habe eine Zeit lang als Intrapreneur bei einer Industrie- und Handelskammer gearbeitet. Die Strukturen sind sehr dezentral, es ist sehr traditionell. Früher waren sie top, jetzt sind sie auch in einer Umbruchphase. Dort habe ich gelernt, wieviel Lobbyarbeit für klassische Unternehmen stattfindet. Danach habe ich durch die Crowdfunding-Plattform Startnext gesehen, dass Start-ups, die Lösungen in sich tragen, nicht an die klassischen Finanzierungs- und Förderinstrumente kommen.

Die meisten Leute in dem Sektor arbeiten selbstausbeuterisch, aber sie haben so grandiose Ideen. Als ich aus meiner Landwirtschaftsbubble in die krasse Start-up-Welt eingetaucht bin, in der Milliarden an Venture Capital hin und her geschoben werden, bin ich in eine Welt eingetaucht, wo Utopien real wurden. Du hast vorhin ALDI angesprochen und ich habe die Parallelen des landwirtschaftlichen Strukturwandels, der Machtkonzentration im Lebensmitteleinzelhandel der digitalen Transformation gegenübergestellt.

Wenn wir das weiterdenken und hier eben nicht zusammenwirken und keinen gemeinsamen Weg finden, um Kapital für soziale und gesellschaftliche Innovation zu mobilisieren, dann wird es keine Utopie, sondern eine Dystopie. Und wir sind auf dem Weg in diese Dystopie. Mir geht es darum, das gemeinsam anzupacken und gemeinsam dafür zu kämpfen, dass für Lösung Geld da ist.

Hendrik: Das möchte ich an Joß übergeben. Da waren so viele Punkte, Perspektiven und Aspekte dabei, die du angesprochen hast, Markus. Wie kann es gelingen, diese beiden Bereiche zusammenzubringen?

Joß: Für mich ist immer noch nicht klar, was es ist. Es ist für mich schwierig, mich dann mit jemandem auf Augenhöhe hinzusetzen. Was passiert hier? Ich frage nach, worum es geht, welche Konsequenzen euer politisches Handeln hat, auch wenn ihr das nicht intendiert. Bei den Antworten habe ich aber das Gefühl, dass du, Markus, mich in ein bisschen in die Rolle des Verleugners des Guten, Wahren, Schönen drängst. Als ob ich nicht will, dass sich die Gesellschaft nicht weiterentwickelt.

Aber das stimmt ja nicht. Mit Ashoka z. B. habe ich viel weniger Probleme als mit SEND, weil ich weiß, wofür die stehen, welche Organisationen, Organisationstypen und -formen sie vertreten. Bei SEND weiß ich das eben nicht so genau. Das wünsche ich mir auch von euch, von SEND. Was ihr öffentlich auf Twitter immer gut macht, ist, dass ihr euch mal für Vereinsstrukturen, mal für Gemeinnützige, mal für Start-ups, mal für Bosch einsetzt. Das kann ich nicht greifen. Immer wenn ich nachfrage, wird so ein großes Thema aufgemacht. Dann habe ich aber weiter Fragen, z. B. nach der Voraussetzung Definition oder dass wir noch einmal die großen Themen ansprechen. „Unser neues Selbstverständnis von Unternehmen“, so hieß es mal in einem Tweet.

Man kann es in den Tweets auch nachvollziehen und ich höre das auch ein bisschen bei dir raus, Markus. Jemand hat mir dann geschrieben, dass die Freie Wohlfahrtspflege, Social Entrepreneurs, Start-ups, Business und Genossenschaften wollen ja alle für Menschen und Gesellschaft Probleme lösen. Und da ist es wieder: Das nivelliert alle Unterschiede. Es heißt, wir können alle irgendwie gemeinsam in den Sonnenuntergang reiten. Ich glaube nicht, dass das gut ist. Es gibt eben auch Unterschiede, es gibt Interessengegensätze. Man braucht auch ein Bild von Gesellschaft und Sozialstaat. Welche Rolle spielen denn Unternehmen im Sozialstaat? Für mich ist und bleibt Sozialpolitik, echte Sozialpolitik immer ein Eingriff in den Markt. Wir müssen uns auch einmal darüber unterhalten, wie euer Bild von Gesellschaft, Staat und Sozialstaat aussieht.

Ihr seid im Bundestag unterwegs und darauf wollte ich auch hinaus. Da gibt es im Moment wenige Berührungspunkte. Einfach ganz schlicht deshalb, weil wir im Moment an ganz anderen Stellen gefordert sind. Wir haben ein riesiges Problem mit dem Stellenwert der sozialen Arbeit. Und damit meine ich keine App, sondern Jugendhilfe, Leute, die sich dort einsetzen, Streetworker. Die meine ich damit. Das ist ein Riesenproblem. Finanzierungen sind ein Riesenproblem, Tarife und ähnliches auch. Das sind alles Probleme, über die wir reden müssen. Es gab einen riesigen Krampf, weil es eine Prämie für die Pflege geben sollte und die aber keiner finanzieren und bezahlen wollte. Das sind reale Probleme.

Da müssen wir tatsächlich ran. Wenn das passiert, sich der Bundestag aber gleichzeitig mit sozialen Innovationen beschäftigt, dann kann es sehr schnell passieren, dass eine solche Diskussion die eigentlichen Probleme über Jahre überdeckt. Sie einfach überlagert. So etwas passiert tatsächlich ganz häufig und ohne dass ihr das wollt, haben wir dann am Ende keinen besseren Sozialstaat, keine bessere Sozialpolitik und wir werden auch nicht zukunftsfähig. Genau das Gegenteil passiert.

Dass das ein Dialog sein muss, da bin ich dabei. Deswegen sind wir ja hier und deshalb machen wir das ja auch öffentlich. Aber ich glaube, wir müssen ein paar Sachen einfach klären, damit dieser Dialog auch vernünftig stattfindet.

Hendrik: Das geht so ein wenig in die Richtung des Beispiels von dem Bundestagsabgeordneten, der permanent angerufen wird, das Markus vorhin einbrachte.

Joß hat die langjährigen und vielleicht auch sehr tradierten Probleme der sozialen Arbeit angesprochen. Damit beschäftigt sich der Bundestagsabgeordnete seit 30 Jahren. Da sind immer wieder die gleichen Themen auf dem Schirm. Dann kommt der SEND e.V. und bietet ihm Lösungen an.

Dann ist es natürlich einfacher, diese sozialen Innovationslösungen zu nehmen und diese zu unterstützen als die Herausforderung von ca. sechs Millionen Beschäftigen in der Sozialwirtschaft. Das ist ein riesiger Brocken, den man nicht mal eben so einfach bewegt.

Joß: Ich behaupte ja, er bietet keine Lösung an, sondern ein Wort.

Hendrik: Ein Wort? Welches?

Joß: Social Entrepreneurship ist im Moment einfach ein Wort und es steht für alles Mögliche. Ich wollte gleich auch noch einmal ein Beispiel nennen, aber Markus ist zuerst dran.

„Die ganze Welt ist auf Suche, wo es in Zukunft hingeht“

Markus: Jetzt sind wir wieder bei: „Wir gegeneinander und was ist nicht perfekt?“.

Ich finde es total spannend. Die ganze Welt ist auf Suche, wo es in Zukunft hingeht. Wir leben in mehrerlei Hinsicht in einer globalen Umbruchphase. Das heißt, es gibt keine vorgefertigten Antworten. Es ist genau wie damals, als die Leute gesagt haben: „Lasst uns die Herausforderung unserer Zeit in den Blick nehmen und Lösungen erarbeiten.“ Es ist schwierig zu sagen, dass es nicht fertig ist, sondern es ist ein Prozess. Genau dieser Prozess ist das, was wichtig ist. Social Entrepreneurs oder Intrapreneurs, also genauso die Menschen innerhalb einer Organisation, die Lösungen voranbringen, schauen, welche neuen Chancen und Potenziale es gibt, um das Ganze zu tun.

Du hast ganz viele Themen aufgeworfen, bei denen du sagst, dass sich die Wohlfahrt dafür einsetzt. Keiner der Akteure aus unserem Sektor hat irgendwo, irgendetwas in die Richtung schlechtgeredet. Du sagst, dass sich die Politiker nur damit auseinandersetzen sollen. Ich habe dir erzählt, aus welcher Welt ich komme. Ich habe gesehen, wie für das Bestehende wahnsinnig viel Lobby da ist und Lobby betrieben wird. Für das, was neu entstehen kann, bei dem Potenziale da sind und was diese Potenziale entfalten kann, ist keine Lobby da. Du sagst, wir machen gute Lobbyarbeit. Aber ganz ehrlich, welche Budgets stehen in dem Antrag drin? Was ist da wirklich im Rahmen der zur Verfügung stehende Haushaltsmittel unterfüttert? Jetzt machen wir mal was, aber es ist kein: „Wir tun nicht wirklich was“.

Das, was du beschreibst, ist etwas, was ich so oft gehört habe bei diesem „Brückenbauen“. Die Leute, die damit beschäftigt sind und weil sie so viel zu tun und zu wenig Ressourcen haben, dann nicht genug Zeit haben, um mit den Innovationen und den Potenzialen dahinter voranzukommen. Das ist weder ein Vorwurf noch Schwäche, sondern das sind unterschiedliche Stärken.

Noch einmal: Mir und den meisten Akteuren geht es darum, unsere Gemeinsamkeiten zu finden. Wenn du dich aber erst an den Tisch setzen und darüber reden willst, wenn es fertig ist, dann entsteht etwas, aber es wird noch schwieriger, zusammenzufinden und in den Dialog zu kommen.

Joß: Unser Thema ist politische Kommunikation. Das ist mir einfach wichtig. Unsere Tür stand und steht für gute Ideen, für einzelne Akteure, Initiativen usw. immer offen. Das war auch in den letzten Jahren so. Wir haben nie die Tür zugeschlagen bzw. nein, sogar andersherum. Wir haben das immer gesucht und wir haben auch Formate gefunden. Z. B. haben wir mal einen Innovationstag gemacht. Der fand ganz bewusst am Hasso-Plattner-Institut statt.

Dabei haben wir die Wohlfahrtspflege mit Start-ups und anderen Initiativen zusammengebracht, um konkret zu überlegen, was kann man gemeinsam weitermachen. Das finde ich richtig, wichtig und das gehört dazu. Das hat uns auch inspiriert und aus dem einen oder anderen ist vielleicht sogar etwas geworden. Das ist aber gar nicht unser Thema hier. Sondern unser Thema ist eigentlich eher die politische Kommunikation.

Ich werfe niemandem was vor. Ich sage nur, dass ich das wirklich schwierig finde. Ich finde diesen Antrag auch schwierig. Da muss ich natürlich auch ganz klar sagen, dass wir da natürlich auch nachlegen müssen. Es sind aber nicht nur die alten Themen. Ich weiß auch nicht, wie es uns gelingen kann, dieses Image endlich loszuwerden. Es sind ja viele neue Themen dabei. Ich nenne mal ein Beispiel, wie auch Innovation wirklich richtig, also auch nachhaltig gelingen kann. Für mich gehört auch dazu, dass der Einfluss von Social Start-ups, oder wie auch immer wir sie nennen und abgrenzen möchten, auch einmal nüchtern untersucht wird. Denn wissenschaftliche Analysen, die es gibt, auch Prof. Dr. Rolf Heinze und andere sind da eher nachdenklich und kommen nicht zu dem Schluss, dass das das neue große Ding wird.

Ich komme zu dem Beispiel. Wir haben für die Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer des BAMF die ganze Beratung auf Online Formate umgestellt, und zwar ist das schon seit Jahren so. Das ist durch Höhen und Tiefen gegangen. Wir haben einen Zuwendungsgeber mit dem BAMF, der das über die Jahre unterstützt hat, weil er daran geglaubt hat, so etwas zu machen. Das ist jetzt in der Corona-Krise natürlich durch die Decke gegangen und es wird auch nach der Corona-Krise bleiben. Das ist, ich sage es ein bisschen überspitzt, bei der 25. Nachbarschaftshilfe-App vielleicht nicht unbedingt so. Ich will nur damit sagen, es gibt unglaublich viele innovative Ansätze, die wir gemeinsam mit anderen, mit Dritten, mit Zuwendungen tatsächlich auf den Weg bringen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir im Marketing deutlich besser werden. Das ist unsere Schwachstelle, das sage ich ganz klar.

Wir haben natürlich auch viele andere Aufgaben. Wir haben, und das ist ein kleiner Unterschied, unsere Gremien, unseren Verband. Das kostet Zeit und ist für uns auch sehr, sehr wichtig. Das habe ich auch eingangs erwähnt. Aber wir müssen darin tatsächlich stärker werden und uns auch anders darstellen. Dafür setze ich mich auch schon lange ein, dass wir die Kommunikation anders gestalten. Ich finde auch, dass es in Wohlfahrtsverbänden dazugehört – Hendrik du weißt das – kritische Dialoge zu führen. Dass das sogar gut ist. Das ist auch ein wichtiger Dialog, der letztlich vielleicht auch euch, wenn du es so sehen möchtest Markus, auch weiterbringen kann.

Social Entrepreneurship und freie Wohlfahrtspflege: Wie es gelingen kann, voneinander zu lernen

Hendrik: Ich finde, das sind diese wichtigen Punkte, um zu schauen, wie es gelingt, das Verständnis für die jeweiligen Bereiche auf beiden Seiten aufzubauen. Joß, du hast gesagt, dass die Historie, die wir mit herumtragen, sozusagen in den Gremien endet. Diese machen es uns manchmal nicht ganz einfach, in den klassischen Wohlfahrtsverbänden schnell, innovativ zumindest nach außen zu wirken.

Joß: Da muss ich einhaken. Also innovativ sind wir vor Ort. Ich meinte eher die Kommunikationsarbeit. Vor Ort laufen ja viele Sachen, die gar nicht im Fokus sind. Weil die Leute, die sich in den Wohlfahrtsverbänden engagieren, eben nicht die sind, die nach ihrer Innovation sofort als nächstes einen Blogbeitrag schreiben, auf Twitter gehen und das öffentlich machen. Das machen sie nicht. Dafür machen sie es auch überhaupt nicht. Es sind nämlich auch oft Ehrenamtliche. Wir müssen es stärker abholen und auch die Marketingmaschinerie stärker anschmeißen. Da müssen wir uns von euch, Markus, ein Stück weit etwas abgucken.

Hendrik: Deswegen habe ich ganz bewusst „nicht innovativ wirken“ betont. Wir sind, glaube ich, hochgradig innovativ, weil wir immer mit begrenzten Mitteln das aufgebaut haben, was existiert. Aber wie bekommen wir es auf der anderen Seite hin, in Richtung Markus zu sagen:

Wie kann es gelingen, das Verständnis dafür aufzubringen, dass es da hunderttausende Beschäftigte gibt – ich weiß nicht genau wie viele es sind, aber allein die Caritas hat ungefähr 600.000, die in den unterschiedlichsten Organisationen dahinterstehen – und den Drive, den du schon mal angesprochen hast, als große Organisation? Wie kriegt man dieses Verständnis von beiden Seiten aus hin?

Auf der einen Seite sind große Organisationen, bei euch neue Ideen, die mit reinkommen. Vielleicht sind die Ideen teilweise auch gar nicht so neu. Aber es sind Leute, die irgendwie dazukommen und sagen: „Wir wollen aber etwas machen. Wir wollen die Gesellschaft verändern.“ Die dann eher bei euch andocken, weil sie nun mal kein klassisches Sozialarbeiterstudium durchlaufen haben und auch vielleicht nicht unbedingt zwingend Lust haben, sich in den Wohlfahrtsverbänden zu engagieren. Markus, jetzt aber zu dir. Wir haben gerade lange gesprochen.

Markus: Ich sehe da wieder in eben genau den Themen, die du, Joß, angesprochen hast, riesige Chancen. Da gibt es tolle Lösungen von den etablierten Organisationen. Jetzt gerade auch digitale Lösungen, die auch während der Krise noch einmal gegriffen haben, genauso wie die aus dem Sektor. Du hast Nachbarschaftsplattformen erwähnt. Nebenan.de, die mit der Diakonie in ländliche Räume geht, hat so viel an Infrastruktur geboten, um schnelle Nachbarschaftshilfe zu ermöglichen. Salo Education, die ganz vielen Eltern, Schülern und Lehrern den Arsch gerettet haben – sie waren quasi das Wikipedia der Bildung.

Oder Startnext, das den Unternehmen, die durch die Corona-Hilfsprogramme gefallen sind, geholfen hat. Die haben 9,6 Millionen Euro von über 140.000 Bürgern für mehr als 1.400 Unternehmen mobilisiert. Das sind Beispiele, von denen ich sage, dass da genauso Impact und Wirkung da sind.

Da sind wir teilweise in komplementären Bereichen. Wir sind beim Thema Kommunikation, zu dem du sagtest, man könne sich etwas abschauen. Vielleicht auch, wie wir dann Lösungen, die funktionieren, größer machen. Vielleicht können wir uns da etwas abschauen. Da ist es wieder, das Gegenseitige-Lernen.

An einen Tisch setzen

Hendrik, du hast das Thema angesprochen. Wir haben Leute, die aus der Sozialen Arbeit kommen. Bei uns sind jetzt Leute dabei, die die Schnauze voll von klassischer Wirtschaft haben. Die vielleicht eher ihren Hintergrund im Techbereich haben, aber genauso sozial ticken und denen vielleicht auch an der einen oder anderen Stelle etwas fehlt und denen ich sagen kann, wo die Sachen gut zusammenkommen. Dazu ist es spannend, offene Innovationsprozesse anzuschauen. Das Rote Kreuz in Frankreich macht wirkliche Open Innovation Labs, die im Endeffekt schon in Richtung Accelerator gehen und in denen man gemeinsam an Lösungen arbeitet. Das sind genau die Dinge, wie wir Zukunft gestalten und wie wir die großen Herausforderungen lösen und dann noch mehr fragen: „Wo drückt der Schuh bei euch?“

Ich möchte es nochmal sagen, dass ich kritische Dialoge wichtig finde. Das Allerwichtigste ist, sich an einen Tisch zu setzen und zu sprechen. Ich möchte es noch einmal wiederholen, dieser Prozess hat ein Jahr lang stattgefunden. Wir haben die Leute von Purpose eingeladen. Wir haben Gemeinnützigkeit diskutiert. Wir haben viel über Innovationsthemen diskutiert. Wie gesagt, lass uns das gerne fortsetzen, komm dazu in die Runde. Nur wenn wir gemeinsam die Punkte diskutieren und schauen, wo es hin geht, finden wir eine Richtung. In dem ersten Blogbeitrag, den du geschrieben hast, geht es auch darum, wer wir sind und wo wir hinwollen.

Ich glaube, nicht nur die Wohlfahrt, nicht nur die Social Entrepreneurs, sondern die ganze Welt ist auf einer Art Sinnsuche. Was ist denn die Zukunft? Wir wissen alle, dass wir innerhalb der planetaren Grenzen mit der Wirtschaft, die wir gerade haben, mit dem auf Deutschland bezogenen demografischen Wandel die angesprochenen Herausforderungen nicht lösen können, wenn wir so weitermachen wie bisher. Wir können das nicht lösen, wenn wir die Prioritäten setzen wie bisher. Da haben wir nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen. Wir haben so viel Potenzial, gemeinsam Dinge zu machen und unterschiedliche Stärken zusammen zu schmeißen.

Zum politischen Kontext möchte ich noch einmal sagen, dass ich in der klassischen Start-up-Welt war. Ich weiß, welche Finanzierungsprogramme es da gibt. Und auch welche es für den Mittelstand gibt. Ihr und wir haben genau die gleichen Probleme. Es ist daher bescheuert, sich auf den Kopf zu hauen und zu sagen: „Ihr seid aber ein bisschen blöder als wir und wir sind da ein bisschen toller“ – egal aus welcher Richtung.

Ich schimpfe auch mit den eigenen Reihen, wenn jemandem vielleicht sagt, dass, wie du es angesprochen hast, Hendrik, die Strukturen bei den Etablierten ein bisschen zu verkrustet sind. Ich sage, das hat auch viele Vorteile und auch eine Resilienz innerhalb der Gesellschaft. Es ist ja genau dieses Zusammenspiel zwischen den Leuten, die Innovationen machen, egal ob intern oder extern, und den Leuten, die Dinge erst nach dreimal hinterfragen weitertreiben. Ich komme noch einmal auf meine Rolle, in der ich interne Veränderungsprozesse angestoßen habe. Mir haben immer Leute von außen geholfen. Wenn ich Internen erzähle, dass wir das jetzt so machen, aber bisher hat es noch niemand gemacht, dann ist es schwierig.

Wenn ich aber zwei, drei Beispiele habe und sage: „Wenn die das können, dann können wir das doch erst recht“, dann sind die mit dabei und gehen mit einer ganz anderen Vision und Leidenschaft ran. Da sind die Potenziale viel, viel größer. Mich würde es freuen, wenn wir über diese Themen reden.

Hendrik: Angesichts der Zeit, wir gehen langsam auf eine Stunde zu, ist der oder die Hörer*in – ich weiß gar nicht, vielleicht hören die auch extrem lang. Es gibt ja auch extrem lange Podcast, die man so acht Stunden lang hört, „Alles gesagt?“ von Zeit Online beispielsweise. Aber ganz so viel Zeit haben wir nicht. Deswegen möchte ich noch einmal konkret zusammenzuführen, was wir gehört haben.

Auf der einen Seite ist Joß. Bei dir ist die politische Kommunikation ein Thema. Was wird nach außen kommuniziert und mit welchen Effekten? Also welche Auswirkungen hat das, was nach außen kommuniziert wird? Auf der anderen Seite ist Markus. Du sagst: „Wir müssen zusammenkommen. Wir müssen vor allen Dingen miteinander reden. Das haben wir ein Jahr lang gemacht.“ Für dich ist das wichtig, damit man gemeinsam Gesellschaft, oder wie auch immer man das nennen mag, gestalten kann. Was mir noch ein bisschen fehlt, ist der Punkt, weil du das gerade auch zum Abschluss gesagt hast, Markus, was denn konkrete Umsetzungen sein könnten. Wie könnte man denn zusammenkommen?

Ich habe einen Teil im Kopf. Ich habe hier in Freiburg im Grünhof die Social Innovation Night ins Leben gerufen. Das ist jetzt ein paar Jahre her. Die Idee war, etablierte Sozialwirtschaft mit neu denkenden Sozialunternehmern zusammenbringen. Das waren schöne Veranstaltungen, wo, glaube ich, auch Vernetzungen rausgekommen sind, um beide Bereiche transparenter zu machen. Das ging dann in Richtung Öffentlichkeitsarbeit, wie wir das besser, anders nach außen darstellen können.

Was sind von euch aus gesehen greifbare Aspekte, bei denen ihr sagt, dass ihr da voneinander lernen könnt? Das ist immer irgendwie ein bisschen dahingesagt. Aber was kann man machen? Ich spreche keinen bewusst an.

Gemeinsame Innovationsräume

Markus: Du hast es schon angesprochen. Gemeinsame Innovationsräume, in denen unterschiedliche Akteure zusammenkommen und gemeinsam an Lösungen arbeiten, finde ich einen der spannendsten Punkte. Das ist auch das, was wir als gemeinsame Position damals mit der Wohlfahrt festgelegt haben. Dass es eine Schnittstelle ist, die allen Seiten helfen würde und wo sich genau das befruchtet. Ich habe ja diese Diskussion „etablierte Akteure versus Neulandgestalter“ schon ein paar Mal hinter mir.

Man hat am Anfang Gründerzentren gemacht, nur die Start-ups gepampert und am Schluss hat man gesagt: „So, das ist jetzt die Lösung.“ Das funktioniert nicht. Ich vertrete die feste Meinung, dass die unterschiedlichen Akteure mit ihren unterschiedlichen Stärken zusammenkommen müssen. Das ist Inkubation, also gemeinsame Ideen entwickeln, Acceleration, bei der unterschiedliche Stärken wieder zusammenkommen. Man schaut, wie man das gut verzahnen kann. Vielleicht auch interne Innovationsteams mit rausholen, damit in beiden Welten eine Durchlässigkeit ist. Was ich mir wünschen würde, sind z. B. Personal-Austausch-Programme. Die einen schnuppern in die Welt und die anderen schnuppern in die Welt. Dass man ein bisschen mitbekommt, wie beim anderen der Hase läuft. Vielleicht hier auch Brücken baut für eine bessere Verständigung, für ein besseres Verständnis der anderen Seite.

Bei den Ideen selbst kann man definitiv viel machen, um die Zusammenarbeit zu verbessern. Wichtig ist mir auch, darüber nachzudenken, wie wir neue Ideen finanzieren können, wenn wir doch die gleichen Herausforderungen haben. Ich meine nicht nur klassische Lobbyarbeit, sondern wirklich die Überlegung, wie wir gemeinsam darauf hinwirken können. Ich finde es fürchterlich, wenn ich mitbekomme, in welcher Geschwindigkeit sich Dinge durch die Digitalisierung verändern. Welche enorme Machtkonzentration, und da ist ALDI ein Witz dagegen, gerade bei den digitalen Plattformen entsteht. Wenn wir keine gemeinwohlorientierten, digitalen Lösungen hinbekommen und damit auch flankierende Prozesse wie soziale Innovation beeinflussen, ist die Frage, wie sich die Arbeitswelt verändern wird.

Wie können wir da neu zusammenarbeiten. Dass man gemeinsam darauf hinarbeitet, weil ich glaube, dass die Gesellschaft insgesamt davon profitieren wird. In meinen Augen bringt die Wohlfahrt ein riesengroßes Asset mit, weil sie Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen eigentlich in ihrer Kern-DNA hat und daher ein super Partner wäre.

Hendrik: Joß, was wären Ideen?

Offenheit vor Ort

Joß: Alles, was praktisch vor Ort ist, ist immer offen. Das habe ich schon gesagt. Da gibt es ja auch schon extrem viele Beispiele für z. B. gemeinsame Innovationsräume. Wir hatten auch beim DRK, auch auf Bundesverbandsebene, mal ein Innovationslabor. In der Jury waren dann auch Akteure eingebunden, Leute eingebunden, die aus eurem Umfeld kommen, Markus. Das haben wir auch ganz bewusst gemacht, um den Austausch untereinander anzuregen. Um die Fragen „Was sind Innovationen“ und „Was können Sie im DRK sein“ auf den Tisch zu legen. Das war wirklich für alle eine super interessante Sache.

Alles, was so praktisch ist, das geht immer. Es ist auch kein Problem, wenn ihr interessante Ideen und Interesse daran habt, die gemeinsam mit uns in die Spur zu bringen. Bei etwas, was vor Ort ganz praktisch wirkt, bin ich immer vorsichtig. Das Rote Kreuz ist ein föderal organisierter, komplexer Verband. Ich kann nicht sagen: „Dann machen wir das.“ Erst recht nicht für die Wohlfahrtspflege und schon gar nicht als Antwort auf irgendwelche größeren Linien der Plattform Wirtschaft oder ähnliches. Da überheben wir uns ganz einfach.

Ich kann aber mittlerweile sehr gut einschätzen, wo eine Chance ist und wie man die Kommunikation auf den Weg bringt. Ich habe hier Kolleginnen und Kollegen in meinem Bereich, die damit sehr viel Erfahrung haben und so etwas sehr behutsam in die Spur bringen können. Da sind wir dabei. Das ist kein Problem. Ich glaube, da gibt es auch bei keinem der Wohlfahrtsverbände irgendwelche Probleme. Ich würde sagen, alle Wohlfahrtsverbände sind mit ihren Spezifika, das muss man natürlich klarmachen, auch offen dafür. Jeder hat seine inhaltlichen Schwerpunkte, wo es besser oder schlechter passt.

Ich wünsche mir, dass es eine Basis für alle politischen Gespräche gibt. Für uns hat jegliche Veränderung im Bereich des Gemeinnützigkeitsrechts erhebliche Implikationen. Ich hatte das schon erwähnt, die Trägerdienste und Einrichtungen des DRK sind gemeinnützig. Was auch immer man da macht, das macht ja nicht ihr, sondern das macht dann möglicherweise der Gesetzgeber. Das hat er ja auch vor. Das hat erhebliche Auswirkungen auch auf das DRK. Da gucken wir ganz genau hin. Ich sage keine Kooperation zu, weder für das DRK, das kann ich sowieso nicht, noch für die anderen Verbände. Ich glaube, da sind auch die Auswirkungen nicht immer so ganz klar, auch für euch nicht. Das können sie auch nicht, weil das auch unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen.

Der Tweet, der Anlass für dieses Gespräch ist, hat sich eigentlich gar nicht an euch gewandt, Markus, sondern an die Bundestagsfraktionen von SPD und Union. Immer wenn jemand einen Antrag diskutiert oder eine Initiative einbringt, in der die Kolleginnen und Kollegen der Wohlfahrtspflege, die sich einsetzen, um die Einrichtungen und ihre Angebote für die Leute immer besser zu machen, so unter Wert verkauft und abgefrühstückt werden wie in diesem Antrag, werde ich mich zu Wort melden.

Das mache ich immer. Das ist auch mein Job und das tue ich auch tatsächlich mit Leidenschaft. Denn dafür bin ich auch da, ihnen eine Stimme zu geben. Aber damit mache ich euch nicht schlecht. Es ist ja auch legitim. So etwas passiert. Ich setze mich dafür ein und tue, was ich kann, um der Wohlfahrtspflege zu der Geltung zu verhelfen, die ihr tatsächlich auch zukommen sollte. Und das ist es dann vielleicht auch die Basis für weitere Gespräche, so wie wir heute eines führen.

Hendrik: Ganz herzlichen Dank. Markus, magst du noch ein abschließendes Statement bringen? Joß hat dann auch noch einmal das Wort. Danach würde ich den Deckel drauf machen und sagen: „Okay, das Gespräch hat begonnen.“

Verständnis schaffen ist, glaube ich, einer der wesentlichen Aspekte. Auch Verständnis für die Auswirkungen von Handlungen schaffen, die man lostritt. Was kommt dabei raus? Ein weiterer Punkt ist auf lokaler Ebene ganz konkret zusammenzuarbeiten und auf der Verbands- und übergreifenden SEND-Ebene dann in Richtung Positionen etc. weiterzudenken.

Markus: Beim Gemeinnützigkeitsrecht würde ich mir einen super engen Austausch wünschen. Da bin ich hundertprozentig bei dir, da habt ihr viel mehr Deutungshoheit. Deswegen ist es für uns auch wichtig zu sagen: „Hey Leute, wenn ihr ein Stück zu weit geht, dann ist es ein Problem.“ Es geht nicht in allen Bereichen. Ich war früher bei Startnext. Am Anfang waren sie nur im Bereich Kultur unterwegs. Sie konnten nicht gemeinnützig bleiben, weil es ganz andere Bereiche sind. Die haben das fest in der DNA verankert.

Es gibt die Plattform „Gemeinsam leben, die ja von mehreren Wohlfahrtsorganisationen gemeinsam gegründet wurde. Eben auch aus den Gründen, weil das Finanzamt die Gemeinnützigkeit nicht kennt. Die eben nicht gemeinnützig ist, nicht in einer gemeinnützigen Trägerform ist, weil die Wirtschaftsförderung und die Digitalförderprogramme eben nicht für Gemeinnützige greifen. Es gibt Herausforderungen, die genauso für Akteure der Wohlfahrt da sind. Ich würde mir super gern einen konstruktiv-kritischen Austausch wünschen und dann wirklich am Tisch, so dass wir uns nicht über Twitter fetzen.

Ich kann komplett verstehen, welchen Frust du wegen dem Antrag in dir trägst. Ich kann dir eins sagen, in unserem Statement steht auch, dass die Wohlfahrt zu wenig berücksichtigt ist. Wir haben das Thema immer mitgetragen. Es ist der Wirtschafts- und Forschungsausschuss, der den Antrag gemacht habt. Soziale Innovation ist ein Querschnittsthema und nichts, was nur ein Ministerium macht. Eine Herausforderung ist, wenn bestimmte Akteure nicht mit am Tisch sitzen. Ich glaube, es muss darauf hinwirkt werden, dass das Thema ganzheitlich angegangen wird. Dass es endlich mal eine anständige Koordination gibt und es auch wirklich übergreifend gesehen wird. Mich würde es freuen. Ich kann ganz viele Dinge nachvollziehen. Die Diskussion über die unterschiedlichen Stärken und was mehr wert hat in einer Zeit der Umbrüche, werden wir immer zwischen etablierten Akteuren und denen, die es außerhalb der Strukturen machen, haben.

Ganz wichtig ist, dass es kein Mensch schlechtredet. Das Spannende ist, wie wir gemeinsam gestalten können. Wenn wir uns die aktuelle Phase anschauen, sehen wir, dass genug Probleme für alle da sind. Die Probleme werden nicht ausgehen. Wir müssen gestalten. Wir müssen lösen. Und wenn wir es nicht hinkriegen, werden wir irgendwann eine Generation nach uns haben, die uns tierisch auf den Deckel haut und sagt: „Hey Leute, warum seid ihr damals nicht in die Puschen gekommen? Und warum habt ihr euch nicht zusammengetan?“

Dieses Zusammentun, der Hashtag #GemeinsamWirken ist keine Floskel. Wir tun nicht so als ob, sondern es ist wirklich ernst gemeint und zwar in den Bereichen der Wohlfahrt, aber genauso in Bereichen der Wirtschaft, in Bereichen der Politik, Verwaltung. Lasst uns das in den Blick nehmen, was zählt!

Hendrik: Danke für deine Perspektive. Ich glaube, das ist ein gutes Schlusswort von Markus. Noch ein Schlusswort von dir, Joß, dann Deckel drauf.

Joß: Markus, ich habe keinen Frust, ich habe eine Aufgabe. Die Aufgabe mache ich gerne und die habe ich auch mehrfach beschrieben. Zu Gesprächen sind wir natürlich bereit. Aber ich wünsche mir natürlich auch in der Kommunikation, dass Kritik auch so aufgenommen wird, wie sie gemeint ist. Nämlich als Weiterentwicklung, als Schärfung der Positionen, damit es eine Grundlage gibt, auf der der wir weitere Gespräche führen können.

Hendrik: Herzlichen Dank.

Ganz herzlichen Dank an euch beide für die Bereitschaft, euch hier in diesem Podcast, in diesem Format, was natürlich ein anderes Format als Twitter oder der große Tisch ist, auszutauschen. In Corona-Zeiten ist das vielleicht gar kein schlechtes Format. Wir sind tatsächlich sehr, sehr weit voneinander entfernt.

Es liegen ungefähr 800 Kilometer zwischen Berlin und Freiburg.

Ganz herzlichen Dank aber auch an die Hörerinnen und Hörer fürs Zuhören. Ich bin gespannt, welche Reaktionen darauf kommen. Ich glaube, es ist ein guter Anfang in diese Auseinandersetzung zu kommen, sich damit weiter auszutauschen, nachdem die großen Anfänge in den letzten Jahren natürlich schon gemacht worden sind. Herzlichen Dank. Macht’s gut, Grüße nach Berlin. Ciao.


Das war das Gespräch mit Joß Steinke und Markus Sauerhammer zum Thema Social Entrepreneurship versus Wohlfahrtspflege. Ich stocke schon bei diesen Worten, weil ich glaube, dass es tatsächlich Möglichkeiten gibt, voneinander zu lernen, zu profitieren. Dass es Möglichkeiten gibt, gemeinsame Wege zu gehen. Ich glaube, da kommt es einfach auf jeden Einzelnen an, neue Ideen ganz lokal auszuprobieren und sich im großen Ganzen zu engagieren. Zu engagieren für eine positive Zukunft. Das gilt für die Menschen in den Wohlfahrtseinrichtungen, in den Wohlfahrtsverbänden, für Studierende an Hochschulen, Studentinnen und Studenten. Eine Stimme zu haben und sich für den sozialen Sektor, gegen soziale Probleme zu engagieren, um das Thema auf dem Schirm zu haben in diesen etwas herausfordernden Zeiten, in denen wir uns gerade befinden und die sicherlich nicht mal ebenso zu Ende gehen werden.

Zum Abschluss nur noch der kurze Hinweis darauf, dass ihr den Podcast sehr gerne unterstützen könnt.

Ich habe vor Kurzem einen Beitrag dazu veröffentlicht, in dem es darum geht, wohin es mit dem Podcast in Zukunft gehen soll. Darin steht die Zukunft der sozialen Arbeit im Vordergrund. Jetzt ist draußen Gewitter. Ich weiß nicht, wie es bei euch aussieht, aber zumindest regnet es mal wieder. Das freut mich. Bleibt trocken und macht’s gut. Bis dahin. Tschau, tschau.

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