Schlagwort: organisationsentwicklung

Werte und Prinzipien, oder: Warum ihr mehr als ein Leitbild braucht!

Tags: , , , , , , ,

Jede Organisation braucht ein Leitbild. Diese Aussage wird vermutlich jede*r unterschreiben? Dabei ist unklar, was genau unter einem Leitbild zu verstehen ist. Ich definiere Leitbild umfassend als Kombination aus Vision, Mission, Werten und Strategien einer Organisation. Mein Verständnis eines Leitbilds geht damit über lustige Sprüche am Eingang oder die irgendwo herunterladbare PDF hinaus. Ein Leitbild sollte vielmehr der Kern einer Organisation sein, der definiert, wozu die Organisation angetreten ist (Vision und Zweck), anhand welcher Werte und Prinzipien sie wie arbeiten will und was konkret die Organisation heute und in Zukunft umsetzen will (Strategie). Da sich insbesondere Werte und Strategien, aber auch die Vision ändert, ist meine Leitbilddefinition lebendig.

Leider leben Leitbilder leidlich…

Wenn Organisationen überhaupt ein Leitbild entwickelt haben, ist schon viel gewonnen. Wenn sich das Leitbild dann noch an dem skizzierten Aufbau von Vision, Mission, Werten und Strategien orientiert, ist es noch besser.

Die Herausforderung besteht jedoch in der Übersetzung des „global formulierten“ Leitbilds auf die Abteilungen, Teams bzw. in komplexen Organisationen der sozialen Arbeit in die Unterorganisationen. Erst dann wird es für die Mitarbeiter*innen und hoffentlich auch für die Nutzer*innen wirklich lebendig und entfaltet seine Wirkung in der Organisation (Leitbilder wirken übrigens auch auf der Schauseite der Organisation und haben einen Nutzen für die Außenwirkungen, vgl. bspw. Kühl, 2016).

Das Leitbild der Gesamtorganisation hat damit grobe Orientierungsfunktion. Und selbst auf dieser Ebene: Kennst Du das Leitbild Deiner Organisation? In welcher Organisation ist das Leitbild wirklich präsent?

Strategie wird über Objectives and Key Results lebendig

Bezogen auf Übersetzung der Strategie auf die Teamebene gibt es inzwischen Methoden und Frameworks, die sicherstellen sollen, dass auch auf Teamebene tatsächlich an der Strategie und nicht an irgendwas gearbeitet wird. Das Management-Framework „Objectives and Key Results“ (OKR) habe ich hier beschrieben.

Ein schöner Beitrag dazu findet sich auch im Blog von Sebastian Ottmann, in dem wir (Christian Müller, Sebastian Ottmann und ich) über „Social Objectives and Key Results (SOKRs)“ geschrieben haben.

Das Framework OKR klärt in der Gesamtorganisation, was bis wann von wem bearbeitet wird bzw. werden sollte, um die Vision der Organisation zu erreichen.

Unklar bleibt aber, wie die Zusammenarbeit erfolgen soll. Denn die im Leitbild der Gesamtorganisation global formulierten Werte sind noch nicht greifbar, lebendig und übersetzt auf den Alltag der Abteilungen, Teams und der einzelnen Menschen im Unternehmen.

Von globalen Werten zu Prinzipien der Zusammenarbeit

Hier hilft es, die global formulierten Werte heranzuziehen und diese in Prinzipien für die gemeinsame Arbeit zu spezifizieren.

Um es konkret zu machen ein Beispiel aus einem Leitbild eines großen, konfessionellen Komplexträgers der Sozialwirtschaft mit mehr als 3000 Mitarbeiter*innen. In dessen Leitbild heißt es unter anderem:

„Wir leisten unseren Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung.“

Das ist unmittelbar einleuchtend und in der heutigen Zeit angesichts des Klimawandels unabdingbar. Aber was heißt der Wert der ökologischen Nachhaltigkeit, der im Leitbild der Gesamtorganisation dieser Aussage zugrunde liegt, für den Alltag in einem Team – bspw. in der Jugendhilfe?

Denkbar wäre jetzt, gleiche Vorgaben für alle Teams zu beschließen, die den Umgang mit den Ressourcen regeln: „Abends ab 20 Uhr sind die Heizungen zu drosseln!“ oder „Die Raumtemperatur muss zwischen 20 und 22 Grad liegen!“ wären zwar denkbare, aber ziemlich absurde Regeln. Schon hier fällt auf, dass solche Regeln ziemlicher Quatsch wären.

Wenn es im Winter richtig kalt wird, macht es Sinn, die Heizungen vielleicht nach 20 Uhr anzulassen und die Raumtemperatur kann auch durch die Sonneneinstrahlung beeinflusst werden, wodurch die Regel noch nicht mal in alleiniger Macht der Mitarbeiter*innen liegt.

Regeln und Vorgaben sind unflexibel und oftmals unpassend zur Situation.

Es braucht vielmehr Prinzipien der Zusammenarbeit, die einfach, verständlich und gleichzeitig  handlungsleitend  für die Entscheidungen im Team sind. Denkbar wäre hier bspw., im Team das Prinzip zu definieren

„Wir handeln so effizient wie möglich im Sinne der Jugendlichen!“

Damit ist zum einen klar, um wen es geht (die Nutzer*innen), zum anderen bleibt individueller Spielraum, selbstbestimmt zu entscheiden, was in der jeweiligen, sich immer wieder ändernden Situation so effizient wie möglich ist.

Heuristiken als Alternativen zu Prinzipien

Denkbar ist hier auch, anstatt der Prinzipien sogenannte Heuristiken anzuwenden. Darunter lassen sich Hilfestellungen verstehen, „die es erlauben, mit begrenztem Wissen und unter Zeitdruck Entscheidungen zu treffen.“ (vgl. https://newworkglossar.de/)

Die vier Werte im agilen Manifest sind bspw. als Heuristiken formuliert:

  1. Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge
  2. Funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation
  3. Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als Vertragsverhandlung
  4. Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans

Ausgesagt wird, dass der erste Teil der Aussage wichtiger ist als der zweite Teil (wobei der zweite nicht unwichtig ist).

Im ersten Wert „Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge“ wird betont, dass Individuen und Interaktionen höher gewertet werden als Prozesse und Werkzeuge. Entsprechend kann in unklaren Entscheidungssituationen hier Orientierung gefunden werden. Übrigens habe ich auch die 6 Thesen zur Zukunft Sozialer Arbeit als Heuristiken formuliert.

Werte und Prinzipien helfen, wirkungsvoll und selbstbestimmt zu handeln

Deutlich wird: Führungskräfte können nicht erwarten, dass Mitarbeiter*innen selbstbestimmt entscheiden, wenn völlig unklar ist, woran sich die Entscheidung orientieren soll. Diese Orientierung kann über Heuristiken oder Prinzipien gegeben werden, die auf Ebene der Teams Werte (im Beispiel Jugendhilfe der Wert der Nachhaltigkeit und im Beispiel agiles Manifest die agilen Werte) in handlungsleitende Prinzipien übersetzen. Erst mit dieser Orientierung kann wirkungsvoll und selbstbestimmt agiert werden.

Im Gegensatz zu meist durch die Vorgesetzten oder äußere Bedingungen (bspw. Brandschutzvorgaben) festgelegte Regeln ist es notwendig, Prinzipien in einem dialogischen Prozess im Team bzw. auf Ebene der unmittelbar Betroffenen auszuhandeln, um im jeweiligen Kontext wirksam zu werden.

Das gilt im Übrigen nicht nur für Organisationen, sondern auch für Gesellschaften, aber das ist ein anderes Thema…

Werte und Prinzipien dialogisch aushandeln

Wie auch auf Ebene der Gesamtorganisation macht es auf Teamebene Sinn, sich vom gemeinsamen Zweck des Teams („Wozu sind wir da? Warum existieren wir als Team in dieser Organisation? Was ist unser Zweck und Auftrag?“) über die gemeinsamen Werte (Welche Werte sind uns in unserer Zusammenarbeit wirklich wichtig?) hin zu den konkreten, aus der Strategie abgeleiteten Zielen und Aufgaben („Was ist die konkrete Aufgabe? Wer ist verantwortlich?“) vorzuarbeiten.

Herauskommen kann so etwas wie das „Teamleitbild“, der gemeinsame Leitfaden der Zusammenarbeit, sowas wie die „10 Prinzipien unserer Arbeit“ oder die Leitlinien von Team XY. Wichtiger als der Titel ist, die Prinzipien so einfach und schlank wie möglich zu halten, um den Spielraum der Mitarbeiter*innen nicht unnötig einzuschränken.

Prinzipien lebendig halten

Abschließend ist relevant, die Prinzipien der Zusammenarbeit zum einen möglichst präsent zu halten. In Teamsitzungen, Gesprächen unter Mitarbeiter*innen und Führungskräften ebenso wie in Gesprächen mit Klient*innen sollten die Leitlinien angewendet werden. Ansonsten besteht die Gefahr, ein ähnliches Schicksal zu erleiden wie viele vergilbte Leitbilder vieler Organisationen: Zwar existent, aber alles andere als lebendig.

Zum anderen sind die Prinzipien nicht nur im Team zu entwickeln, sondern auch iterativ weiterzuentwickeln. Das Team sollte in bestimmten Abständen (bspw. einmal im Jahr) die Prinzipien selbst in den Blick nehmen und überlegen, ob sie noch Gültigkeit besitzen oder angepasst werden müssen.

Viele Leitbilder helfen, Diversität zu leben und Organisationskulturen sichtbar zu machen

Mit eigens formulierten „Leitlinien“ oder Teamleitbildern entsteht früher oder später ein enorm diverses „Biotop“ an lebendigen Werten und Prinzipien in der Organisation.

Die vielfältigen Unternehmenskulturen einer Organisation werden sichtbar.

Als Führungskraft gilt es, dies auszuhalten: Nein, wir müssen nicht alle gleich sein, es darf, kann, soll (und muss sogar) Unterschiede geben. Und mal ehrlich:

Diese Unterschiede gab es schon immer. Jetzt dürfen sie nur offensiv im Sinne der Organisation gelebt werden.

P.S.: Wie wäre es mit dem Prinzip, sich an die Vereinbarungen im Team zu halten? Dahinter steht der Wert der Verbindlichkeit. Ohne Verbindlichkeit, neudeutsch Committment, machen alle niedergeschriebenen Werte und Prinzipien keinen Sinn.

Open Strategy in der Praxis – die fünf wichtigsten Fragen

Tags: , , , , , , ,

Vor einem Jahr habe ich einen Beitrag zum Thema „Open Strategy in der Sozialwirtschaft“ geschrieben. Das war eher ein Überblicksartikel. Hier erfährst Du, wie der Ansatz „Open Strategy in der Praxis“ aussieht und vor allem, welche fünf Fragen zu klären sind, um einen guten „Open Strategy Process“ zu designen.

Dazu gehe ich kurz auf die Frage ein, was eine Unternehmensstrategie ist, was den Open Strategy Ansatz so besonders macht und welche fünf wichtigsten Fragen in der Praxis für einen guten Open Strategy Process zu beantworten sind.  

Was ist eine Unternehmensstrategie?

Open Strategy, schön und gut, aber was ist (Unternehmens)Strategie überhaupt? Ohne in die Tiefe zu gehen ist die Frage nicht ganz trivial. So gibt es keine einfache, richtige Antwort. Ich fasse hier den Begriff Strategie in Anlehnung an Kühl (2016) als die Bestimmung von Zwecken einer Organisation, für die dann Mittel gesucht werden:

„Bei der Vorgabe, jedes Jahr ein Return on Investment von 15 Prozent zu erreichen, handelt es sich ebenso um ein Zweckprogramm, mit dem die Suche nach Mitteln mobilisiert wird, wie bei dem Befehl an einen Geldeintreiber der Mafia, bei Restaurants in einem Stadtviertel wöchentlich das Schutzgeld einzusammeln“

Kühl, 2016, 28

Was macht Open Strategy so besonders?

Ganz grob lässt sich Open Strategy als Strategieentwicklungsansatz definieren, der möglichst viele Interessengruppen der Organisation in die Strategieentwicklung einbezieht.

Der Ansatz ist die Abkehr von der Norm, dass Strategien immer von oben – dem oberen Management – zu entwickeln sind. Open Strategy wird zum inklusiven und transparenten Ansatz, bei dem möglichst alle, interne wie externe, Stakeholder der Organisation miteinbezogen werden.

Hinzu kommt, dass die Strategie nicht nur nach innen, sondern auch nach außen transparent dargestellt wird. So gelingt es, kontinuierlich Feedback der Umwelt aufnehmen zu können.

Bei diesem Ansatz agiler Strategieentwicklung sind mir vor allem die folgenden Aspekte positiv und gerade für soziale Organisationen, Bildungseinrichtungen, Verwaltungen und NPO enorm gewinnbringend aufgefallen:

  1. Das Interesse der Öffentlichkeit (Gesellschaft, Politik…) an den Entwicklungen der genannten „besonderen“, im Wesentlichen durch öffentliche Gelder finanzierten Organisationen ist höher als das Interesse an „privat“ finanzierten Wirtschaftsorganisationen.
  2. Die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen sind komplex. Und der Umgang mit Komplexität gelingt nur gemeinsam, im Austausch, im Abgleich der Interessen, in Kooperation, im Wir. Konkret: Wenn man bspw. Digitalisierung als ein Strategiefeld der aktuellen Unternehmensstrategie formuliert hat, macht es Sinn, nicht ausschließlich die IT-Abteilung mit der Umsetzung zu beauftragen. Es macht Sinn, die Entwicklung, Veröffentlichung und Umsetzung (nicht nur) des Themas Digitalisierung mit möglichst vielen Interessengruppen gemeinsam in crossfunktionalen Teams zu verwirklichen.
  3. Mitarbeiter*innen sozialer Berufe definieren sich stark über ihren Beruf, ihre Profession. Die berufliche Identität ist ein viel diskutierter Aspekt Sozialer Arbeit. Entsprechend interessieren sich die Mitarbeiter*innen für die Mitgestaltung der zukünftigen Ausrichtung der Organisation. Hinzu kommt, dass die Strategieumsetzung ohne die Mitarbeiter*innen nicht denkbar ist.
  4. Soziale Organisationen, genauso wie Bildungseinrichtungen oder NPOs, sind „front-line organizations“. Die soziale Wertschöpfung findet an der Basis, in der konkreten Arbeit „mit Menschen“ statt. Die Menschen jedoch, die die Arbeit „an der Basis“ leisten, nicht (oder kaum) in den Entwicklungsprozess der Strategie mit einzubeziehen, ist fahrlässig.
  5. Angesichts einer notwendigen Komplexitätssteigerung im Inneren der Organisationen aka Selbstorganisation als Reaktion auf die Komplexitätssteigerung im Außen wird der Ruf nach selbstbestimmt, eigenverantwortlich oder gar autonom arbeitenden Teams und Mitarbeiter*innen immer lauter. Wie jedoch sollten Mitarbeiter* innen selbstorganisiert arbeiten können, wenn ihnen eine Strategie vor die Nase gesetzt wird, an der sie nicht im Ansatz beteiligt waren? Gelingende Selbstorganisation erfordert Transparenz und Beteiligung – und das gilt entsprechend für den Prozess der Entwicklung, Veröffentlichung und Umsetzung der Strategie. Aus Transparenz und Beteiligung erfolgt selbstorganisiert Strategieumsetzung.

Überzeugt?

Vielleicht…

Open Strategy in der Praxis – fünf Fragen

Welche Fragen aber sind vor einem Open Strategy Process in der Praxis zu klären? Wie sollte der Prozess aufgesetzt sein? Wie ist ein gutes Open Strategy Process Design (Akronym hab ich gerade erfunden: OSPD ;-)?

Um die Fragen bis hin zum OSPD (ich nutze das jetzt öfter) zu beantworten, gibt es seit Oktober 2021 das enorm hilfreiche Buch „Open Strategy – Mastering Disruption from Outside the C-Suite“ von Christian Stadler, Julia Hautz, Kurt Matzler und Stephan Friedrich von den Eichen.

Die folgenden Ausführungen habe ich dem Buch entnommen und zusammengeführt mit meinen Erfahrungen aus der Strategieentwicklung in verschiedenen Organisationen.

Da es nicht sinnvoll ist, kopflos in einen Strategieprozess zu starten, ist die Beantwortung der folgenden Fragen vor Beginn der Strategiearbeit wichtig

1. Wie offen soll der offene Strategieentwicklungsansatz sein?

Ja, es heißt open strategy, aber klar ist, dass es nicht für jeden Prozess, für jede Organisation und jeden Prozessschritt hilfreich ist, Gott und die Welt einzubeziehen. Die Steuerung des Prozesses wird aufwendiger, je mehr Personen und Gruppen einbezogen werden. Fraglich ist auch, wie „disruptiv“ die neue Strategie sein soll oder ob sich die Organisation weiterhin in ihrem angestammten Geschäftsfeld bewegen will (wogegen nichts einzuwenden ist, sofern die Umwelt, das eco-system der Organisation, berücksichtigt wird).

Als Fautregel lässt sich festhalten: Je disruptiver die Strategie sein soll, desto mehr Stakeholder(gruppen) sollten insbesondere zu Beginn (Sammlung) involviert werden, um mehr Aspekte abdecken zu können.

2. Sollen neben internen auch externe Stakeholder involviert werden?

Es ist immer sinnvoll, Menschen zu beteiligen, die nicht unmittelbar in der Kultur der Organisation „beheimatet“ sind. Diese etwas sperrige Formulierung deutet darauf hin, dass „Externe“ nicht auch Mitglieder der Organisation sein können. Vielmehr geht es darum, außerhalb bestehender Vorgaben, ausserhalb des Standards, außerhalb der Kultur denken zu können. Das können bspw. neue Mitarbeiter*innen (noch) wunderbar.

Und bei einem Träger mit mehr als 3.000 Mitarbeiter*innen finden sich sicherlich Menschen, die nicht dem „kulturellen Standard“ entsprechend. Falls aber alle Mitarbeiter*innen von der Culture gefrühstückt wurden: Außerhalb suchen und andere Interessengruppen einbinden.

Meine Idee ist ja immer, Leistungsträger, Kommunen, Krankenkassen etc. explizit in die Strategieentwicklung der eigenen Organisation mit einzubinden. Daraus kann ein neues Verständnis voneinander im Sinne von echtem Verstehen der Unterschiede und Gemeinsamkeiten und damit ein gemeinsames Lernen werden.

3. Wie viele Personen sollen in die Entwicklung der Strategie eingebunden werden?

Ja, es gelingt auch, bei einer kleinen Gruppe von Stakeholdern, die sich an der Strategieentwicklung beteiligen, eine möglichst hohe Diversität sicherzustellen: Durch gezielte Auswahl der zu beteiligenden Stakeholder(gruppen) lässt sich die zu beteiligende Anzahl gut steuern. Auch macht eine größere Gruppe Sinn, wenn zu Beginn des Prozesses neue Ideen offen generiert werden sollen.

Eine kleinere Gruppe arbeitet hingegen deutlich fokussierter und eignet sich entsprechend gut für die Ausformulierung konkreter, strategischer Themenfelder und Ziele. Eine möglichst große Gruppe macht dann wieder Sinn, wenn die Strategie implementiert und umgesetzt werden soll.

4. Werden die zu beteiligenden Menschen explizit ausgewählt oder können sich die Personen basierend auf einer offenen Einladung beteiligen?

Die Antwort scheint klar zu sein: Kleine Gruppe = explizite Auswahl, große Gruppe = offene Einladung. Aber es ist darüber hinaus möglich, die offene Einladung zu ergänzen um gezielte Einladungen von Stakeholdern, die  – geplant oder zufällig – andere Menschen zur Teilnahme inspirieren. Dazu noch zwei Aspekte: Wenn Du daran denkst, beim nächsten Strategieprozess neue Ideen zu haben und wirklich diverse Gedanken zusammenzubringen, denke nicht unmittelbar an die „dicken Fische“: Ja, der Vorstand eines Wohlfahrtsverbands oder die Rektorin einer Uni machen Eindruck, liefern aber – aufgrund ihrer Rolle im System – nicht immer die wirklich inspirierenden Hinweise.

Hier macht es Sinn, breiter zu denken und neue „Köpfe“ einzubinden. Die sozialen Medien liefern hier spannende Einblicke… Und bedenkt abschließend bitte, dass eine Einladung nicht immer eine Einladung ist: Wenn der Chef zur Teilnahme einlädt (was vielleicht noch nie der Fall war), fällt es schwer, nicht zu erscheinen. Erst wenn eine „echte Einladungskultur“ etabliert ist, kann von echten Einladungen – die auch nicht angenommen werden müssen – gesprochen werden.

5. Agieren wir im Strategieprozess vornehmlich digital oder analog oder gar „hybrid“? 

Ich bin kein Freund hybrider Veranstaltungen, das vorweg. Ich habe noch kein Setting erlebt, das auf Beteiligung, Mitdenken und -machen ausgerichtet ist und in der Verbindung von digital und analog funktioniert hat. Hybrid will ich aber nicht ausschließen. Hybrid im Kontext von Veranstaltungen, Workshops etc. ist für mich nicht das Verständnis von „sowohl, als auch“, sondern von „entweder, oder“. Dann wird ein Schuh draus:  Machen wir Workshops, World Cafés und kreative Arbeit analog oder digital? Beides geht – getrennt voneinander und konsequent umgesetzt – wunderbar, das haben wir hoffentlich in den letzten beiden Jahren erfahren dürfen. Zusammen, also ein paar Menschen sind digital, ein paar analog beteiligt, geht nicht.

Die Vorteile digitaler Formaten liegen in der Möglichkeit, schnell mehr Personen einbinden zu können, das ist klar. Hinzu kommt aber noch die Frage, wie „synchron“ bzw. „asynchron“ die Beteiligung stattfindet: So ist die Einbindung externer (und interner) Teilnehmer*innen bspw. über die Nutzung von Online-Umfragen, bei denen selbstverständlich auch offene Antworten zu strategierelevanten Fragen gegeben werden können, einfach möglich (das Formulieren von guten Fragen ist wiederum ein eigenes Thema, da Fragen immer die Perspektive des Fragenden mit transportieren). Diesen Punkt zusammenfassend: Alles geht,  nur nicht gleichzeitig.

Fazit

Die Beantwortung der Fragen allein führt natürlich noch nicht zu einem erfolgreichen Prozess. Ohne eine Klärung der Fragen kommt es aber im Verlauf immer wieder zu Problemen.

Somit: Nimm Dir die Zeit und kläre die wichtigen Aspekte vorab. Das entspannt den Gesamtprozess. Und zu dem wirst Du hier hoffentlich zeitnah weitere Infos finden.

Und natürlich gerne stehe ich Dir bei weiteren Fragen 😉 zur Verfügung.


Um keinen Beitrag mehr zu verpassen, kannst Du Dich auch gerne zum IdeeQuadrat-Newsletter anmelden. Dann gibt es regelmäßig neue Beiträge, Inhalte, Links, Tools etc… direkt in Dein Postfach!

New Work und Verwaltung: Warum die kommunalen Verwaltung eine Schlüsselrolle einnimmt, wenn es um New Work geht

Tags: , , , , , , , ,

Vor Kurzem habe ich mir den Spaß erlaubt, New Work und Verwaltung zusammen zu denken. Mehr noch: Ich habe behauptet, dass die kommunale Verwaltung einer der wesentlichen Player sei, wenn es um New Work ginge… Haha, lustige Reaktionen auf Twitter, verwunderte Gesichter im Rahmen des Kommunalcamps, bei dem ich die gleiche Behauptung in einer Session aufgestellt habe:

https://twitter.com/HendrikEpe/status/1447942453475033095

Aber ehrlich: Es war gar kein  Spaß!

Ich meine das ernst. Wirklich!

Wirklich, wirklich!

Aber ich glaube, ich muss verschriftlichen, was ich mit meiner These meine. Denn es gab zwar Reaktionen auf den Tweet, aber niemand hat gefragt, was ich unter dem inzwischen wirklich strapazierten Flutschbegriff „New Work“ verstehe.

Also braucht es eine Definition von New Work. Daran anschließend sind die Herausforderungen der kommunalen Verwaltung kurz in den Blick zu nehmen, um zu einem neuen Verständnis der Rolle der kommunalen Verwaltung in der Entwicklung hin zu New Work zu kommen.

Was ist New Work?

Wer mir länger folgt, weiß, dass ich gerne zwischen a) New Work im Verständnis zeitgemäßer Organisationsentwicklung und b) New Work im Sinne Frithjof Bergmanns unterscheide.

Zu a) Unter New Work im Verständnis zeitgemäßer Organisationsentwicklung fällt aus meiner Sicht alles, was dazu dient, Organisationen anpassungsfähiger für kontinuierlichen Wandel zu machen. Die agilen Methoden, selbstorganisierten Strukturen und sinngetriebenen Ausrichtungen von Organisationen zählen dazu. Interessant ist, dass zeitgemäße Organisationsentwicklung bestehender Organisationen im Kern auf systemische Organisationsentwicklungstheorien aufbaut. Auch wenn es schwer fällt: Richtig neu ist das nicht. Unabhängig davon bleiben die Entwicklungen hin zu zeitgemäßen Organisationen aber aktueller denn je.

Zu b): Bergmann hingegen ging es in erster Linie nicht darum, hippe Organisationen zu designen, sondern die Gesellschaft zu verändern und ein anderes Lohnarbeitssystem zu schaffen, um damit den Herausforderungen unserer Zeit besser begegnen zu können.

Und die Herausforderungen sind vielfältig:

Klimakrise; digitale Transformation; massiver Fachkräftemangel in lebensrelevanten Branchen wie Gesundheit, Pflege und Erziehung; ein Bildungssystem, das auf allen Ebenen keine Chance hat, Zukunft zu gestalten, obwohl es für die Ausbildung der Kinder, Jugendlichen, jungen und älteren Erwachsenen zuständig sein sollte; eine globale Krise der (industriellen) Landwirtschaft, Urbanisierungstendenzen, die auch von einer Pandemie nicht gebrochen werden konnten und so weiter und so fort…

Bergmanns Idee zur Bewältigung der Herausforderungen lautet (sehr kurz) zusammengefasst:

Selber machen!

New Work heißt selber machen

Über High-Tech-Selbstversorgung muss es zukünftig darum gehen, materielle Dinge selbst zu reparieren und/oder via 3D-Druck in lokalen communities, in maker- und coworking-spaces neu zu gestalten. Dadurch spart man Material, Kosten und CO2.

Aber auch bei immateriellen Dingen wie der Gestaltung von Pflege und Betreuung können wir angesichts hundertausender fehlender Fachkräfte nicht mehr auf „Institutionen“ oder „den Staat“ warten.

Auch hier geht es darum, Netzwerke zu kreieren – caring communities, die lokal und kleinräumig und vor allem autonom und selbstbestimmt agieren.

Im Bildungssektor sind wir hier schon weiter, oder wer wartet noch darauf, dass klassische Institution der formalen Bildung vor Ort das gerade genau passende Angebot zur richtigen Zeit bereit stellen? Besser ist: Im Netz schauen, learning communities gestalten, einen WOL circle ins Leben rufen und los lernen – New Learning leben und – eben – selber machen.

Bei New Work geht es nicht darum, was ich „wirklich, wirklich tun will“

Um die Netzwerke und communities gestalten zu können, ist es jedoch notwendig – so Bergmann – sich mit sich selbst befasst zu haben. In meinen Augen liegt hier einer der Denkfehler der „New Work Community“:
Es geht nicht darum, was ich „wirklich, wirklich tun will“. So hat das, „was ich wirklich, wirklich tun will“, aus Perspektive Bergmanns wenig mit „Selbstfindung“ im klassischen Sinne zu tun:

Mir geht es um grundlegende Dinge, darum, dass Menschen sich nicht in Lohnarbeit, zu der sie keinen inneren Bezug haben, erschöpfen und am Lebensende feststellen, dass sie gar nicht richtig gelebt haben.

Interview mit Bergmann, 2017

Es ging Bergmann nicht darum, dass jeder egozentriert nackig im Wald sitzt und sein „Why“, seinen persönlichen „purpose“ oder whatever findet, auch wenn dieser in hippen Großstadtcafés gerne gesucht wird.

Vielmehr geht es bei dem, was man „wirklich, wirklich tun will“ darum, über die Auseinandersetzung mit sich selbst in die Lage versetzt zu werden, im Sinne der oben genannten Beispiele gestalterisch tätig zu sein. Arbeit wird damit zu etwas, was Menschen im Innersten stärkt, anstatt schwächt.

Erst dann, wenn ich die gesellschaftlichen Bedarfe sehe und meinen Anteil an der Gestaltung dieser Bedarfe erkenne, kann ich sinnvoll zu Gestaltung der Gesellschaft beitragen, indem ich das tue „was ich wirklich, wirklich tun will“.

Ich kann mich in privaten caring communities engagieren, maker spaces gründen, Politik für eine Gesellschaft der Zukunft machen, Kinder betreuen, mich selbständig machen, start-ups gründen, mir einen neuen Job suchen, Blogbeiträge schreiben, (m)einem „calling“ folgen…

Mit anderen Worten: Die Suche nach dem, was man wirklich wirklich tun will, allein reicht und hilft nicht. Es geht darum, Gesellschaft zu gestalten.

Dazu noch einmal Bergmann selbst:

Es gibt Alternativen zu diesem Lohnarbeitssystem, dem wir uns die letzten 200 Jahre unterworfen haben und das von uns verlangt, dass wir als Gegenleistung für die Existenzsicherung einen monotonen Job verrichten. Statt Grossunternehmen, in denen die Bürokratie und die Angst regieren, brauchen wir vermehrt kleine kooperative Organisationen, in denen Menschen wirklich etwas voranbringen wollen. 

Interview mit Bergmann, 2017

Soziale Innovationen ermöglichen, oder: New Work und Verwaltung

Und genau hier ergibt sich die Kreuzung der kommunalen Verwaltung mit dem Grundkonzept von „New Work“, wie ich es oben geschildert habe.

Im von mir hier postulierten Sinne geht es bei New Work nicht um die Arbeit in der kommunalen Verwaltung als Organisation. Es geht um die Arbeit an der Kommune. Oder noch größer: Bei New Work geht es darum, Gesellschaft zu gestalten. Und dazu braucht es Bedingungen, die dies ermöglichen.

Es braucht Initiativen, Unterstützung, Kompetenz und Raum, damit Menschen zusammen kommen können. Das Zusammenkommen dient dazu, gemeinsam, spontan und ungeplant neue Ideen und vor allem die Umsetzung neuer Ideen zu gestalten.

Das ist dann die oft beschworene, viel gesuchte und selten konkret gewordene soziale Innovation.

Raum ist wesentlich

Insbesondere der Raum ist wesentlich (und gut gestaltbar): Gerade nach der Pandemie (aber auch schon vorher) haben es Kommunen mit zunehmend leer stehenden und unattraktiven Innenstädten zu tun. Leider hat der Einzelhandel in vielen Fällen den Entwicklungen nicht standhalten können (und nein, es waren nicht die Entwicklungen der letzten zwei, sondern locker die Entwicklungen der letzten 15 Jahre, in denen die digitale Transformation im Einzelhandel verpennt wurde).

Hier kann die Kommune mit der Anmietung und Neugestaltung von Raum, der für die Gemeinde zur Verfügung gestellt wird, punkten. Coworking-Spaces brauchen in kleinen Gemeinden kommunalen Support, um überleben zu können, bringen aber enorm viel für die Gemeinde, wie Tobias Kremkau hier eindrücklich ausführt.

Und die handwerklich mehr als begabten Profis des Bauhofs können den Makerspace in einer leerstehenden Fabrikhalle nicht nur ausstatten, sondern auch inhaltlich betreuen. In diesen Maker-Spaces können dann Rentner*innen ihre Erfahrungen in alten Handwerken und Kulturtechniken an junge Menschen weitergeben (bspw. Mofa reparieren) und junge Menschen können die Skills hinsichtlich digitaler Angebote an Unerfahrene weitergeben (etwas plakativ, I know).

Neben agilen Bauhöfen (sowas gibt es wirklich) zur Betreibung der Maker-Spaces habe ich die Volkshochschulen im Kopf, die in den meisten Fällen zumindest ein kommunale Anbindung haben. Diese, oftmals sehr breit aufgestellten Organisationen haben über ihre Programme Verbindungen in alle Bevölkerungsteile und Generationen. Deutlich wird jedoch, dass VHS-Programme im klassischen Sinne zukünftig kaum noch tragfähig sind. Hier wäre ein Engagement in der Gestaltung der Kommune, bspw. als Betreiber der Coworking-Spaces mehr als sinnvoll denkbar. Darüber hinaus gewinnt „Neues Lernen“ in allen Richtungen an Bedeutung. Hier – im Rahmen von New Learning – könnten wiederum die VHS eine tragende Rolle spielen. Und Leuchttürme wie Oodi in Helsinki zeigen den Weg.

Aus der Gemeinde denken

Wichtig bei all diesen Überlegungen ist aber, dass Verwaltung nicht neue Programme aufsetzt, die die Gemeinde aus der Perspektive der Verwaltung neu gestalten.

Vielmehr ist ein Perspektivenwechsel notwendig – von den Bedarfen der Verwaltung hin zu den Bedarfen der Menschen. Es geht um Kundenorientierung in der Verwaltung, wenn man dieses Wort nutzen will.

Somit stehen vor der Anschaffung des 3D-Druckers für den Makerspace breite Beteiligungsprozesse, die in Workshop-Formaten die Bedarfe und Herausforderungen der Menschen in der Gemeinde in den Blick nehmen:

  • Was braucht die Gemeinde?
  • Was brauchen die Menschen in der Gemeinde?
  • Was gibt es schon?
  • Was kann unterstützt werden?

Entsprechende Formate und Prozesse sind nicht neu. Von World-Cafés über Design Thinking Prozesse auf kommunaler Ebene bis hin zur Veranstaltung von Barcamps, die explizit die kommunalen Belange in den Blick nehmen gibt es Formate, die genau die Anliegen der Beteiligung und Gemeindeentwicklung im Blick haben.

Neu ist jedoch, dass die kommunale Verwaltung diese Formate und Prozesse aktiv gestaltet und im Sinne einer lebenswerten Gemeinde vorantreibt und darüber aktiv gestaltend tätig wird.

Und selbst das ist nicht ganz neu: Die hier skizzierten Ideen sind an vielen Orten bereits Realität. So lohnt es beispielsweise, einmal bei Frederik Fischer zu den Themen rund um KoDorf und Coworking auf dem Land vorbeizuschauen, dessen Projekte ohne kommunale Unterstützung nicht stattfinden könnten.

New Work in der Verwaltung, oder: Was wird gebraucht?

Klingt alles gut, oder? Aber wie kann es konkret gelingen, die kommunale Verwaltung „on the way to new work“ zu bringen?

Aus meiner Sicht bedingen sich die Entwicklung der Gemeinde und die Entwicklung der kommunalen Verwaltung als Organisation. Hier kommen wir zu der Definition von New Work im Sinne der Organisationsentwicklung.

Im Rahmen dieses Beitrags ist es nicht möglich, alle Optionen der Organisationsentwicklung hin zu einer neuen Arbeitswelt darzulegen. Die grobe Orientierung an der Dreiteilung von Menschen (Haltungen, Kompetenzen…), Teams (Wie wollen wir zusammen arbeiten?) und der Organisation (Welche Strategien und Strukturen sind sinnvoll, um einen möglichst großen Mehrwert für die Nutzer*innen zu generieren?) zeigt schon auf, dass das Thema Organisationsentwicklung in diesem Kontext enorm komplex ist.

Hinweisen will ich nur darauf, dass gerade in traditionellen Organisationen (zu denen Verwaltungen zweifelsohne zu rechnen sind) oft eine technokratische Vorstellung auch der Art vorherrscht, wie Veränderung angegangen werden sollte. Klassische (und ehrlich gesagt gruselige) Vorstellungen von Change Management im Sinne von unfreezing – changing – refreezing sind vorherrschend.

Im Zuge kontinuierlichen Wandels jedoch macht das keinen Sinn. Ein zeitlicher Ablauf, der darlegen soll, was wann wie genau nacheinander passieren muss, ist (und war schon immer) hinfällig. Rezepte für komplexe Fragestellungen funktionieren nicht. Nicht umgesetzte Rezepte führen vielmehr dazu, dass Entwicklung nicht passiert:

„Weil Schritt 1 von X nicht passiert ist, weil sich Abteilung XY nicht bewegt hat und überhaupt nicht digital genug ist, weil der Hans nicht das richtige Mindset hat, nicht richtig tickt und sowieso nicht alle Tassen im Schrank hat, konnten wir ja auch nicht so weitermachen, wie geplant und deswegen konnten wir dann auch noch keine Beteiligungsprozesse anstossen und überhaupt, Corona!“

Kurz: Verzichtet also auf Rezepte! Versucht vielmehr, auf vielen Ebenen viele kleine, strukturelle Schritte konkreter Veränderung anzustoßen. Iterative Organisationsentwicklung ist hier das Stichwort. Fragen dazu sind:

  • Was ist eine Herausforderung, eine Spannung? Was wollen wir konkret ändern?
  • Wie lautet eine Hypothese dazu? Wenn wir XY anders machen, erwarten wir, das Z passiert!
  • Was kann mein Team machen, um die Hypothese zu testen?
  • Und: Was kann ich heute und morgen anders machen, um die Hypothese zu testen?
  • reflektiert Euch: Führt regelmäßige Retrospektiven zur Hypothese durch!

Und schon allein die Änderung der Durchführung der Meetings im Team kann Wunder bewirken. Man kann mit einer stillen Minute zum Einstieg beginnen, Check-In Fragen nutzen, Meetings im Stehen abhalten, die Moderation wechseln lassen, kein Protokoll mehr anfertigen, sondern ein Fotoprotokoll nutzen oder – als einfachste Intervention – sich nicht immer auf den gleichen Platz setzen.

Wenn Du Dich dahin setzt, wo normalerweise die Teamleitung sitzt, wird das Auswirkungen haben. Kleine zwar, aber immerhin.

Alternativ dazu:

Wo sammelt ihr im Team die Dinge, die verändert werden sollten oder müssen? Nutzt ihr ein Team-Board oder ähnliches, um den Fortschritt von angestoßenen Projekten zu visualisieren? Dann braucht ihr auch kein Protokoll mehr…

Und so weiter, und so fort… Hinweise dazu, was alles anders gemacht werden kann, findest Du zum Beispiel im Buch „New Work Hacks“.

Gebraucht wird also Mut, kleine Schritte zu gehen und Dinge selbst anders zu machen. Nutze den Einfluss, den Du hast, um neue Wege zu gehen.

Nicht jetzt alles!

Es geht nicht darum, von jetzt auf gleich den kompletten Verwaltungsapparat zu drehen. Das wird nicht gelingen, die Mühe lohnt nicht. Genausowenig lassen stete, kleine Veränderungen selbst den steifsten Beamten kalt. Steter Tropfen höhlt den Stein. Lasst es tropfen. Macht Dinge anders, selbst.

Daraus, aus dem „selbst machen“ erwächst die Kultur der Organisation, nach und nach. Und mit dem Selbst machen sind wir wieder bei der Grundidee von Bergmann:

Wir müssen die Veränderungen, die wir wünschen, selbst in die Hand nehmen.

New Work und Verwaltung? Kein Scheiß!

Kein Scheiß?

Ja, sorry für den Ausdruck, aber vor einigen Jahren habe ich unter dem Titel „New Work zwischen Spiritualität, elitärem Scheiß und dringender Notwendigkeit“ einen Beitrag veröffentlicht.

Damals schon ging es um den Begriff „New Work“ und um das, was aus dem Begriff geworden ist, was darunter verstanden wird (und um die Frage, wie teuer ein Tag auf einer hippen Veranstaltung eigentlich sein kann…).

Für mich gab es eine Dreiteilung zwischen Spiritualität, dringender Notwendigkeit und elitärem Scheiß.

Unter der Spiritualität habe ich die Konzepte gefasst, die New Work vor allem am „Mindset“ festmachen aka „Wir müssen nur die Menschen ändern, dann läuft das schon mit diesem New Work!“

Unter elitärem Scheiß habe ich die Diskussionen um Organisationen gefasst, die New Work verstehen als „hippes, auf jeden Fall digitales Arbeiten“ in irgendwelchen Agenturen und den Besuch von völlig überteuerten Veranstaltungen, auf denen selbst Manager weiße Turnschuhe tragen (und geduzt werden müssen, bitte).

Unter „New Work als dringende Notwendigkeit“ jedoch verstehe ich die dringend notwendige Idee einer Neuen Arbeit dort, wo sie wirklich, wirklich gebraucht wird.

New Work, als Arbeit, die den Menschen stärkt, muss gerade die Menschen stärken, die einen wesentlichen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Und dazu gehören eben auch die Menschen in der kommunalen Verwaltung.

New Work und kommunale Verwaltung ist damit kein elitärer Scheiß, sondern dringende Notwendigkeit 😉

Und jetzt los!

6 Thesen zur Zukunft Sozialer Arbeit

Tags: , , , , , , , , ,

Einen Vortrag über die Zukunft einer Branche, zur Zukunft Sozialer Arbeit, zu halten, mitten in einer hoffentlich irregulären Zeitphase, mitten in einer Pandemie, ist ziemlich wagemutig. 

Wir haben in den letzten anderthalb Jahren zwar gelernt, was unter der VUCA-Welt zu verstehen ist. Wir haben gelernt, was Komplexität bedeutet. Wir haben gelernt, dass Digitalisierung auch in der Sozialwirtschaft auf unterschiedlichen Ebenen angekommen ist – oder zumindest nicht mehr als völlig absurd abgestempelt wird 😉

Wir haben gelernt, dass es anders kommen kann als geplant. All dies und noch viel mehr haben wir gelernt.

Aber wir lernen in der Regel aus den Erfahrungen der Vergangenheit, vielleicht aus der Gegenwart. Aber ein Lernen aus der Zukunft, die ja bekanntlich vor uns liegt, ist entsprechend schwierig.

Ich will aber trotzdem versuchen, ein paar Aspekte aufzugreifen, die die Zukunft der Sozialen Arbeit vielleicht ausmachen könnten.

In einigen Jahren können wir dann alle Wetten abschließen und uns noch einmal anschauen, was geblieben ist, was richtig, und was auch kompletter Blödsinn war.

Bevor ich euch meine Thesen – es sind dann doch mehr als drei Thesen geworden – für die Zukunft zeige, zwei Prämissen vorab:

Als erstes bitte ich euch, die internationale Definition der Sozialen Arbeit im Hinterkopf zu haben. 

Je länger ich mich mit dieser Definition sozialer Arbeit befasse, die ihr bspw. beim DBSH auf der Homepage findet, umso besser gefällt sie mir. In dieser Definition steht, dass

„Soziale Arbeit gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen fördert. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit. (….) Soziale Arbeit befähigt und ermutigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern, dabei bindet sie Strukturen ein.“

Definition Soziale Arbeit DBSH

Mir gefällt die Definition so gut, weil sie zum einen Soziale Arbeit als gesellschaftliche Veränderungen befördernd ansieht. Die Definition gibt der Sozialen Arbeit also eine sehr aktive Rolle in der Gestaltung gesellschaftlicher Veränderungen.

Soziale Arbeit ist damit immer noch – und in meinen Augen in der Zukunft noch mehr – auch politische Arbeit.  Zum anderen geht es auf individueller Ebene um die Förderung von Selbstbestimmung und Autonomie.

Das gibt eine sehr klare Vision vor, worauf die Arbeit mit Menschen zielen soll – egal ob Kita, Kindergarten, Jugendhilfe oder Altenhilfe. Und eine leitende Vision ist in Zeiten des Umbruchs enorm relevant, um Orientierung zu bieten.

Und mehr noch: Selbstbestimmung und Autonomie lässt sich auch wunderbar auf den Sozialraum, die Gemeinde, das Quartier übertragen. Und Selbstbestimmung und Autonomie ist nicht irgendwann abgeschlossen, sie bleibt Daueraufgabe und ist damit zukunftsorientiert.

Für mich und vielleicht auch für Euch bietet diese Definition einen Fixpunkt, an dem sich gut orientieren lässt, wohin es in der Zukunft gehen kann, denn auch die gesellschaftlichen Veränderungen sind nie abgeschlossen.

Es geht damit um die Gestaltung eines Prozesses, wie unsere Zukunft aussehen kann/könnte.

Nach der Definition, die ihr bitte im Hinterkopf behaltet, seht ihr gleich, dass ich meine Thesen als Heuristiken gestaltet habe. Gerd Gigerenzer definiert Heuristik als Strategie, die mit nur wenigen Informationen arbeitet und den Rest ignoriert. Ihr kennt das vielleicht aus dem agilen Manifest, in dem der eine Wert mehr als der andere zählt, aber beide wichtig sind.

Damit versuche ich, die hinter den jeweiligen Aussagen liegende Komplexität des Systems, über das wir reden, halbwegs im Griff zu behalten.

So hat jede und jeder von Euch eigene Erfahrungen und eigene Vorstellungen von dem, was Soziale Arbeit ist und ausmacht. Allein die Tatsache, dass in unserer Branche mehrere Millionen Menschen arbeiten, zeigt, wie komplex das System ist.

Hinzu kommt, dass unsere Organisationen abhängig sind von anderen Funktionssystemen, die in ihrer Systemlogik diametral entgegengesetzt zu unserer Branche funktionieren.

So sind wir auf die Gestaltung von Dynamik und Komplexität angewiesen – oder was ist komplexer als eine Gruppe Kindergartenkinder?

Hingegen sind die Kostenträger – egal ob Kommunen, Kassen… – an Überprüfbarkeit, Regelkonformität und der Einhaltung von Vorgaben interessiert. Das macht es doppelt schwer, gestalterisch tätig zu werden.

Damit aber genug der Vorrede, auf in die Thesen:

These 1: Agieren und die Zukunft agil gestalten ist wertvoller als abwarten und reagieren

Zukunft Soziale Arbeit

Auf den ersten Blick klingt diese These trivial, oder? Aber ich bin ziemlich fest von dem überzeugt, was Alan Kay in dem Zitat hier aussagt:

„Die Zukunft kann man am besten voraussagen, wenn man sie selbst gestaltet.“

Aufgrund der Pandemie, aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen, aufgrund anstehender politischer Veränderungen und auch aufgrund der sich durch die Digitalisierung verändernde Konkurrenzsituation werden soziale Einrichtungen, Organisationen, Wohlfahrtsverbände und jede und jeder einzelne verstärkt gefordert, Zukunft aktiv zu gestalten.

Es wird nicht mehr ausreichen, in die nächste Leistungsvereinbarung zu gehen und zu hoffen, dass am Ende genauso viel herauskommt wie in der Vergangenheit.

Zur aktiven Gestaltung stellt sich die Frage, in welcher Ausrichtung aktiv gestaltet werden soll. Hier bin ich davon überzeugt, dass der Fokus noch stärker als bisher auf der Wertschöpfung der Organisation – also der Frage danach, wie die geleistete Arbeit in der Einrichtung zu höherem Wert – für die Klient*innen, die Quartiere, die Familien – liegen wird.

Das ist der wesentliche Fokus der Organisationen.

Dazu wiederum brauchen Soziale Einrichtungen Strategien. Diese Aussage allein ist schon wichtig, da ich immer wieder Organisationen sehe, die keine Strategie haben. Wichtig bei der Strategie ist aber nicht nur die Entwicklung, sondern vor allem die agile Umsetzung der Strategie. Agile Strategieumsetzung verstehe ich im Sinne einer möglichst hohen Anpassungsfähigkeit mit einem klaren Fokus auf die Nutzer*innen der Organisation.

Es wird in Zukunft wesentlich stärker darum gehen, die Wertschöpfung der eigenen Arbeit in den Mittelpunkt zu stellen.

Und – wie gesagt – die Wertschöpfung sind nicht Nebenkriegsschauplätze wie – als ein Beispiel – die Frage, ob Menschen im Büro, also wieder in Präsenz, oder remote arbeiten dürfen. Diese Frage interessiert die Klientin, die Nutzerin, den Kunden nicht. Und ja, mir ist bewusst, dass diese Kundenfrage bei uns etwas komplexer ist, mit Kostenträgern, Krankenkassen und Kommunen als Finanzierer sozialer Arbeit.

Aber gerade mit Blick auf diese sollte immer klar sein, warum wir was wie für unsere Nutzer*innen leisten.

These 2: Sich auf das eigene Können, die eigenen „Wurzeln“ besinnen ist wertvoller als methodischen „Moden“ nachzujagen!

Zukunft Soziale Arbeit

Wenn es – wie ich es in These 1 postuliert habe – zunehmend wichtiger wird, Zukunft aktiv und mit Strategien zu bestreiten, die auf die Kund*innen, die Nutzer*innen zugeschnitten sind,  braucht es eine Orientierung, woran die eigene Arbeit methodisch ausgerichtet werden kann.

Ich habe mich in den letzten Jahren stark damit befasst, angeblich als „neu“ titulierte Management-Methoden auf soziale Organisationen zu übertragen bzw. die Verbindungen zwischen den Methoden und der Realität in sozialen Organisationen herzustellen. Agile Management-Methoden sind natürlich ein wesentliches Stichwort.

Kanban, Scrum, Design Thinking oder Effectuation sind Methoden, die zu mehr Innovation, mehr Anpassungsfähigkeit und zu einer neuen Art von Arbeit führen sollen. Viele dieser Ansätze sind auch in der Sozialen Arbeit mehr als sinnvoll zu adaptieren. Eine Auseinandersetzung mit diesen lohnt sich wirklich.

Aber mein Plädoyer für These 2 ist, erst im eigenen Werkzeugkoffer zu schauen und die Methoden, Tools und Werkzeuge, die soziale Berufe qua ihrer Ausbildung und ihres Studiums im Koffer haben, wirklich zu verstehen und zu nutzen.

So liegt der Kern agilen Arbeitens bei all den genannten Methoden für mich in drei Punkten:

  • Enge Zusammenarbeit in (möglichst interdisziplinären) Teams, die für ihre Arbeit Verantwortung tragen (Kollaborieren)
  • In kurzen Iterationen Ergebnisse zu erzielen (Liefern)
  • Und in regelmäßigen Reflexionen der Iterationen, wozu die Anpassung, Entwicklung, Verbesserung gehört (Reflektieren)

All diese Aspekte sind jedoch Standard sozialer Arbeit – egal ob mit Menschen, Gruppen oder im Gemeinwesen.

Jedes Hilfeplangespräch in der Jugendhilfe ebenso wie jede Intervention in der Beratung basiert genau darauf, das Problem zu erfassen, Hypothesen zu bilden, diese zu testen, dann gemeinsam zu reflektieren und neue Hypothesen zu bilden. Niemand setzt in der Sozialen Arbeit vorab ein Ziel wie in der Wasserfall-Logik: „Der Jugendliche XY muss im Jahr 2027 Rechtsanwalt sein, bitteschön.“ Das ist Nonsens.

In der Sozialen Arbeit – und damit wären wir wieder bei der eingangs genannten Definition – geht es um die Begleitung hin zu Selbstbestimmung und Autonomie. Das ist alles andere als statisch, sondern eine klassische Vision.

Ich warne nur davor, Methoden Sozialer Arbeit – wie bspw. das Empowerment – zu verstehen als „jeder kann machen was er will“.

Ich will Intuition und Gefühl in der Sozialen Arbeit überhaupt nicht in Abrede stellen, im Gegenteil, aber die Herangehensweise „Intuitiv habe ich im Gefühl, dass es bestimmt richtig und gut sein könnte, was ich mache!“ führt zu Gewurschtel und Chaos.

Zum einen – und das ist der wesentliche Fokus – mit Blick auf unsere Nutzer*innen müssen wir professionelle Entscheidungen auf Daten basieren lassen. Diese Daten lassen sich gewinnen, indem man regelmäßig Fortschritte auswertet – die Retrospektiven im agilen Management.

Zum anderen werden wir die Daten aber auch in der Rechtfertigung unserer Leistungen gegenüber den Kostenträgern brauchen. Gegenüber Kommunen und Krankenkassen zu argumentieren, dass diese oder jene Intervention bestimmt irgendwie vielleicht wirkt, wird in Zukunft nicht dazu führen, eine ausreichende Finanzierung seiner Arbeit zu bekommen.

Hier sehe ich, das nur als kleiner Exkurs, ein wesentliches Disruptionspotential:

Wenn es anderen Playern, die neu in den Sozialmarkt eindringen, gelingt, besser und datenbasiert zu argumentieren, warum welche Leistung wie benötigt wird, lässt sich darüber enormes Geld sparen. Dass diese Anbieter von den Kostenträgern bevorzugt werden, ist dann nicht verwunderlich. 

These 3: Unbedingt systemisch denken ist wertvoller als Denken in vereinfachenden Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen. 

Zukunft Soziale Arbeit

Unter These 2 habe ich versucht, zu argumentieren, dass agiles Denken und Handeln den Methoden Sozialer Arbeit inhärent ist. Der Sozialen Arbeit ebenfalls inhärent ist der Kern von These 3:

Der Fokus Sozialer Arbeit ist immer das soziale System. Entsprechend komplex ist die Ausbildung für soziale Arbeit: Soziologische Aspekte werden ergänzt um medizinische und psychologische Aspekte. Hinzu kommen eigene disziplinäre Anteile ebenso wie Erfahrungswissen aus der sozialen Arbeit heraus. In der Sozialen Arbeit geht es um Ganzheitlichkeit.

Nicht der Fokus auf die Psyche oder auf den Körper, das Medizinische, zählt, sondern der Fokus auf das System, in dem Menschen agieren.

Systemdenken ist somit Kern sozialer Arbeit.

Systemdenken ist immer dann sinnvoll, wenn komplexe, mehrstufige, vielfältige und dynamische Strukturen in den Blick genommen werden. Wir sollten gelernt haben, dass die Veränderung sozialer Systeme darin besteht, Impulse in die Systeme zu senden und zu hoffen, dass die hypothesengeleitete, gewünschte Veränderung eintritt.

Der Blick in unsere Umwelt, in Funktionssysteme, von denen Soziale Arbeit abhängig ist, zeigt jedoch, dass das Denken in Kausalitäten, in „wenn – dann“ Beziehungen und damit in Abhängigkeiten Überhand gewinnt. Ich nehme wieder die schon in der vorherigen These angesprochene Wirkungsmessung, um zu verdeutlichen, was ich meine:

Wir sehen uns in den nächsten Jahren einer deutlich angespannteren Finanzlage der Kostenträger gegenüber. Entsprechend zurückhaltend werden die Kostenträger sein, Gelder für soziale Leistungen auszugeben. Das Klatschen für die angeblich so relevanten Branchen ist da nur noch zynische Hintergrundmusik.

Vielmehr geht es um den Nachweis, dass die Investition entsprechende Wirkung entfaltet. Kurz: Wenn auf Seite A Geld reingesteckt wird, wird erwartet, dass bei B entsprechende Ergebnisse sichtbar werden. Wenn keine Wirkung nachweisbar ist, werden Gelder gekürzt. 

Gegen diese einseitigen Tendenzen gilt es zukünftig verstärkt gegenzuhalten.

Es gilt, deutlich zu machen, dass sich soziale Systeme – dazu gehören übrigens auch soziale Organisationen – nicht kausal, nicht technokratisch, nicht regelgeleitet verändern lassen. Damit spreche ich nicht gegen die Wirkungsmessung sozialer Arbeit, im Gegenteil:

Wir sind aufgefordert, zukünftig viel stärker unsere eigene Professionalität zu betonen und über diese Professionalität, zu der das Systemdenken zwingend gehört, die Wirkung sozialer Arbeit darzulegen.

Der Bezug zur Definition Sozialer Arbeit zeigt die Komplexität und die Notwendigkeit, in Systemen zu denken, indem nicht nur ein Funktionssystem angesprochen wird, sondern auf Ebene der Menschen, der Gruppen, der Organisation und der Gesellschaft Veränderung hin zu Autonomie und Selbstbestimmung gefordert und durch Soziale Arbeit gefördert wird. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage Sozialer Arbeit.

Einfaches Denken und Handeln in Ursache – Wirkungsbeziehungen greift da schon jetzt und zukünftig verstärkt zu kurz.

These 4: Den Sinn sozialer Arbeit an der Lebensrelevanz für die Klienten festmachen ist wertvoller als ihn an den vermeintlichen Bedarfen des gesellschaftlichen Systems auszurichten.

Zukunft Soziale Arbeit

Den Begriff der Lebensrelevanz habe ich in einem Podcast mit Hartmut Rosa gehört.

Hartmut Rosa erläutert, dass wir in der Pandemie die Lebensrelevanz vor die Systemrelevanz gesetzt haben. Konkret spricht er davon, dass wir uns als Gesellschaft dazu entschieden haben, den Wert des Lebens vor die Notwendigkeiten des Systems zu stellen. Gesundheitsschutz geht vor Wirtschaft.

Natürlich gibt es hier auch einige Stimmen, die in Teilen berechtigt die Wichtigkeit der Wirtschaft betonen, aber der wesentliche Teil der Bevölkerung hat verstanden, dass Leben, egal welches, unbezahlbar ist.

Für mich folgt daraus, dass es uns im Sozialen wieder gelingen muss, die Lebensrelevanz unserer Berufe, unserer Branche zu betonen. Wir leisten mehr als das Ruhighalten der Gesellschaft. Und daraus folgt, dass Soziale Arbeit politisch ist und bleibt – vielleicht mehr noch als in den letzten Jahren und Jahrzehnten. 

Gerade angesichts der Bundestageswahl finde ich es auf der einen Seite mehr als relevant, die Programme der zur Wahl stehenden Parteien dahingehend zu analysieren, ob und wie das Soziale berücksichtigt wird. Da gibt es einige Unterschiede. Und ich glaube, es ist kein Geheimnis, dass ein „Weiter so“ für mich ein No Go wäre:

Hier brauchen wir einen zeitgemäßen, zukunftsgerichteten Neuanfang.

Auf der anderen Seite plädiere ich dafür, egal wie die Wahlen ausgehen, die politische Verantwortung der Sozialen Arbeit wahrzunehmen. Es ist notwendig, für seine Interessen, vor allem aber für die Interessen der Menschen einzustehen, für die wir da sind.

Und gerade die marginalisierten Gruppen von Menschen brauchen unsere Unterstützung.

Das ist einerseits die Aufgabe von jeder und jedem im sozialen Sektor. Für mich ist es aber insbesondere eine Führungsaufgabe, da politische Arbeit im Sozialwesen Interessenvertretung und damit Lobbyarbeit ist, auf lokaler, kommunaler und überregionaler Ebene.

These 5: Digitale Chancen nutzen und „normal“ werden lassen ist wertvoller als die bequeme Rückkehr zum Gewohnten

Zukunft Soziale Arbeit

Bislang bin ich eher allgemein geblieben. Agieren mehr als Reagieren, die eigenen Wurzeln mehr als neue Moden, Systemdenken mehr als kausale Zusammenhänge und auch Lebensrelevanz mehr als Systemrelevanz betonen das große Ganze, auch wenn hieraus natürlich sehr konkrete Handlungen abzuleiten sind. Lasst uns aber jetzt ein wenig tiefer gehen und über Digitalisierung sprechen.

Wir haben in den letzten 18 Monaten von zu Hause gearbeitet, remote Prozesse sozialer Arbeit gestaltet und auch im Sozialwesen erspürt, was es mit dieser Digitalisierung so auf sich haben könnte.

Aber mal ehrlich:

In weiten Teilen haben wir auf eine Krise reagiert, auch wenn das – so mein Eindruck – in vielen sozialen Organisationen wirklich gut gelungen ist. Das, was oft passiert ist, war Krisenmanagement.

Programme, Angebote und Strategien zum Umgang mit einer Pandemie wurden aus dem Boden gestampft. Da war das mit den digitalen Tools und Möglichkeiten hilfreich. Aber das war und ist noch längst nicht das, was die digitalen Möglichkeiten bieten. Eher sogar im Gegenteil.

So höre ich immer wieder die Aussage, dass „Videokonferenzen nun wirklich nicht vermisst“ wurden oder die „Veranstaltung Gott sei Dank wieder in Präsenz“ stattfinden kann oder oder oder… Der Wunsch, wieder in die „Normalität“ zurückzukehren ist nicht nur ungebrochen, sondern hat sich natürlich in den letzten Monaten verstärkt.

Wer will nicht „Normalität“ nach 18 Monaten Pandemie?

Aber wir haben – so Sascha Lobo – „jetzt einen Slot, in dem Menschen eine große Einsicht entwickelt haben in die Notwendigkeit der Instrumente der digitalen Vernetzung.“

Und auch im Sozialwesen haben wir diesen Slot jetzt.

Aber auch Lobo warnt davor, dass die Einsicht in notwendige Veränderungen nachlässt, sobald der Druck nachlässt, verändern zu müssen.

Daraus folgt, dass es die Aufgabe von Euch, von den „digitalen Vorreiter*innen“ in sozialen Organisationen ist, jetzt – solange das Möglichkeitsfenster noch offen ist – Prozesse und Strukturen zu gestalten, die ein „wieder zurück zur Normalität“ verhindern und eine digital vernetzte, kreative, kollaborative, auf CoCreation setzende neue Normalität schaffen.

Dazu sind Widerstände zu überwinden, denn das alte System ist bekannt, das neue aber erst in wenigen Ansätzen erkennbar.

These 6: Lernerfahrungen in verunsichernden Prozessen machen ist wertvoller als die oft illusorische Ausrichtung an perfekten Projektergebnissen.

New Learning

Die geschilderten Herausforderungen neuer Wege in der Gestaltung von Arbeit, von Organisationen und digital vernetzter Arbeit erzeugen ein Gefühl der Unsicherheit. Das Gefühl der Unsicherheit jedoch, ist nie angenehm. Menschen streben immer nach Stabilität und dem Altbekannten. Sie tun das, um Energie zu sparen.

In Organisationen ist das genauso. Neue Wege, Veränderungen und Innovationen in Organisationen sind störend. Und damit ergibt sich ein Dilemma, denn jedem ist bewusst, dass sich Dinge ändern müssen, um voranzukommen. Hier setzt These 6 an:

Wenn es gelingt, nicht mehr die perfekten Ergebnisse, die Resultate am Ende eines Projekts in den Mittelpunkt zu stellen, sondern die gemachten Lernerfahrungen, wird es einfacher, mit der Unsicherheit umzugehen.

Es wurde schon in den letzten Monaten und Jahren viel von der experimentellen oder auch agilen Haltung gesprochen. Experimente machen und früh Scheitern war das Credo. Da wird jede*r Geschäftsführung Angst und Bange, denn wer will schon scheitern?

Aber lernen wollen wir alle.  Und dieser Switch, dieser Wechsel wird zukünftig vermehrt Bedeutung haben:

Lernerfahrungen müssen in den Vordergrund rücken.

Es muss in der Arbeit vermehrt darum gehen, sich auf den Weg zu begeben, zu lernen und den Weg auf Basis der Lernerfahrungen weiterzugehen. Das ist gar nicht so schwierig, setzt aber die Disziplin voraus, sich an bestimmte Prozesse, vor allem Lern- und Reflexionsprozesse zu halten. Da können wir in sozialen Berufen noch deutlich besser werden.

Fazit zur Zukunft sozialer Arbeit: Radikal auf dem Weg in eine Kultur sozialer Digitalität

Kultur der Digitalität

Zur Wiederholung noch einmal meine Thesen für eine Zukunft der Sozialen Arbeit:

These 1: Agieren mehr als Reagieren 

These 2: Die eigenen Wurzeln mehr als neue Moden  (besser These 1???)

These 3: Systemdenken mehr als kausale Zusammenhänge 

These 4: Lebensrelevanz mehr als Systemrelevanz (besser These 2)

These 5: Digital anfangen mehr als aufhören! 

These 6: Lernerfahrung mehr als Ergebnisse 

Ich will meinen Vortrag mit einem Zitat von Erich Fromm beenden.

Erich Fromm sagt, dass

„Die Wahrheit (…) nicht nur bedeutsam und ganz sein [muss], sie muss auch radikal sein, nicht geschönt, gesüßt, mit Zuckerguß überzogen. Die Erfahrung zeigt, dass die Wahrheit, das heißt die Konfrontation mit der Wirklichkeit, dort eine besondere Wirkung hat, wo man sie vollständig, klar und ohne Kompromisse sieht.“

Erich Fromm

Wahrheit muss radikal sein.

Der Begriff „Radikal“, der im Zitat von Erich Fromm sehr prominent steht, kommt aus dem mittellateinischen radicalis und meint „an die Wurzel gehend, von Grund auf, gründlich“.

Und ich denke, dass es Zeit ist, gründlich die Wurzeln sozialer Arbeit in den Blick zu nehmen und zu schauen, wie diese Wurzeln in die Zukunft führen können. Denn in diesen Wurzeln ist angelegt, dass Soziale Arbeit mehr ist als ein Hilfsmittel zur Aufrechterhaltung des bestehenden Systems. Soziale Arbeit ist lebensrelevant.

Um jedoch auch zukünftig lebensrelevant zu bleiben, gilt es, jetzt aktiv zu werden.

Wir – die Professionellen der sozialen Arbeit, die Menschen, die Verantwortung tragen, müssen agieren und die Zukunft der Sozialen Arbeit in die Hand nehmen. Das geht aber nicht mehr, indem langfristige Pläne geschmiedet und diese dann mithilfe von Meilensteinen umgesetzt werden.  Die komplexen Herausforderungen lassen sich nicht mit (mono-)kausalem Denken und Handeln lösen.

Vielmehr braucht es Kollaboration, Vernetzung, gemeinsames Miteinander, um kreativ neue Wege gehen zu können.

Das gilt auch und insbesondere mit Blick auf eine digitalisierte Welt, in der sich die Soziale Arbeit wiederfindet. Mehr noch:

Es gilt, jetzt wo der digitale Grundstein gelegt ist, weiterzumachen bzw. anzufangen digital zu denken und zu handeln. Es gilt jetzt und in Zukunft, die Kultur der Digitalität sozial zu gestalten, um auch zukünftig eine lebenswerte Gesellschaft für uns in der sozialen Arbeit und für alle Menschen zu gestalten.

Abschließend noch einmal der Hinweis auf die Definition Sozialer Arbeit. Der Satz, dass Soziale Arbeit gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen fördert, unterstreicht aus meiner Perspektive, dass die Gestaltung einer Kultur sozialer Digitalität radikal – also vom Grund auf und im Kern – Aufgabe sozialer Arbeit ist.

Jetzt und in Zukunft.


Jetzt bin ich gespannt: Was meint ihr? Was fehlt? Wo seht ihr die wesentlichen Veränderungen und Herausforderungen? Lasst doch einfach einen Kommentar da…

Oder Du trägst Dich einfach in meinen Newsletter ein und bekommst regelmäßig Updates zu spannenden Aspekten der Organisationsentwicklung von Organisationen der Sozialen Arbeit.

Warum Einfachheit, Machbarkeit und Sinn so wichtig sind, oder: Gedanken zur organisationalen Salutogenese

Tags: , , , , , , , , ,

Gesundheit und Krankheit sind in Zeiten einer Pandemie aus guten Gründen besonders relevant. Ich habe noch nie soviel „Bleib gesund“s unter Mails gelesen und in Gesprächen gehört. Und die aktuelle „Neue Narrative“ titelt in der aktuellsten Ausgabe entsprechend:

„Wir sind doch alle krank!“

Da kommt die Salutogenese um die Ecke: Wuhuu… Neues Fremdwort! Salutogenese, schon mal gehört? Wahrscheinlich schon, denn gerade im Kontext von Organisationen des Sozial- und Gesundheitswesens sollte die Idee hinter dem Begriff geläufig sein.

Spannend ist – und darum geht’s im Beitrag – die Übertragung der Idee der Salutogenese und deren Dimensionen auf Organisationen als soziale Systeme. Die Leitfrage lautet also:

Wie sehen gesunde Organisationen aus? Und wie können wir diese gestalten?

Aber der Reihe nach:

Was ist Salutogenese?

Salutogenese bezeichnet – so Wikipedia – neben einer Fragestellung und Sichtweise für die Medizin vor allem ein Rahmenkonzept, „das sich auf Faktoren und dynamische Wechselwirkungen bezieht, die zur Entstehung und Erhaltung von Gesundheit führen.“

Im Gegensatz zur Pathogenese, die die Krankheit in den Mittelpunkt stellt, wird bei der Salutogenese versucht, die drei Einflussfaktoren Verständnis, Machbarkeit und Sinnhaftigkeit als Kohärenzgefühle in den Mittelpunkt der Entstehung von Gesundheit zu stellen. Gesundheit ist damit nicht als Zustand, sondern als Prozess zu verstehen. Risiko- und Schutzfaktoren stehen hierbei in einem Wechselwirkungsprozess.

Geprägt wurde der Begriff der Salutogenese durch den israelisch-amerikanischen Medizinsoziologen Aaron Antonovsky (1923–1994) in den 1980er Jahren. Ohne in die Tiefe zu gehen, war eine der Kernfragen seiner Forschung, wie es Menschen gelungen ist, unter den Bedingungen der KZ-Haft sowie in den Jahren danach ihre (körperliche und psychische) Gesundheit zu erhalten.

Gesundheit entsteht nach Antonovsky – wiederum sehr kurz gefasst – wenn Menschen ein Kohärenzgefühl haben.

Kohärenz umfasst nach Antonovsky die drei Dimensionen Verständnis, Machbarkeit und Sinnhaftigkeit :

  • Verständnis meint die Fähigkeit, die Zusammenhänge des Lebens zu verstehen.
  • Machbarkeit ist die Überzeugung, das eigene Leben gestalten zu können – das Gefühl der Handhabbarkeit oder Bewältigbarkeit (ähnlich dem Begriff der ‚Selbstwirksamkeitserwartung‘ nach Bandura).
  • Und Sinnhaftigkeit ist der Glaube an den Sinn des Lebens.

Heiner Keupp beschreibt die drei Komponenten des Kohärenzgefühl wie folgt:

„Kohärenz ist das Gefühl, dass es Zusammenhang und Sinn im Leben gibt, dass das Leben nicht einem unbeeinflussbaren Schicksal unterworfen ist.

  • Meine Welt ist verständlich, stimmig, geordnet; auch Probleme und Belastungen, die ich erlebe, kann ich in einem größeren Zusammenhang sehen (Verstehensebene).
  • Das Leben stellt mir Aufgaben, die ich lösen kann. Ich verfüge über Ressourcen, die ich zur Meisterung meines Lebens, meiner aktuellen Probleme mobilisieren kann (Bewältigungsebene).
  • Für meine Lebensführung ist jede Anstrengung sinnvoll. Es gibt Ziele und Projekte, für die es sich zu engagieren lohnt (Sinnebene).“

Die drei Ebenen bzw. die Dimensionen Verstehbarkeit, Selbstwirksamkeit und Sinn machen demnach Gesundheit aus.

Das ist sehr nachvollziehbar: Wenn ich das Gefühl habe, dass mein Leben für mich verstehbar, gestaltbar und sinnhaft ist, habe ich das Gefühl, lebendig, gesund zu sein, gestalten und mich entfalten zu können. Und dabei ist dieses Gefühl für jede*n von uns völlig individuell.

Wenn jedoch eine Dimension ins Wanken kommt, ich also den Überblick verliere, nicht mehr gestalten kann und/oder den Sinn meines Handelns oder mehr noch des Lebens verliere, gerät das komplette Konstrukt ins Wanken.

Schon hier kann man – mit Blick auf Führung und Personalarbeit, mit Blick auf HR, sehr tief einsteigen, damit die Menschen in den Organisationen gesund bleiben. So ist das Konzept der Salutogenese in der Mitarbeiterführung und Entwicklung sicherlich mehr als lohnenswert.

Mich interessiert aber, ob und wie es gelingen kann, die Dimensionen der Salutogenese auf Organisationen als Ganzes zu beziehen. Welchen Nutzen können also die Dimensionen der Salutogenese für Organisationen und Fragen der zeitgemäßen Organisationsentwicklung haben?

Und welche Handlungsoptionen lassen sich daraus ableiten?

Übertragung der Dimensionen der Kohärenz auf Organisationen

Noch einmal: Die Dimensionen Verstehbarkeit, Selbstwirksamkeit und Sinn machen Gesundheit aus. Wenn man Organisationen als soziale Systeme betrachtet (was für mich aus vielerlei Perspektive Sinn macht), kann man davon sprechen, dass Organisationen „lebendige“ Eigenschaften aufweisen. Denn „weder Menschen noch die Organisationen, in denen sie arbeiten, [sind] Maschinen.“ (Neue Narrative, #12, S. 16).

Aus diesem Verständnis heraus entwickeln Organisationen sich selbst, wollen von sich aus „lebendig bleiben“ (Autopoiese) und sind – ebenso wie das psychische System der Menschen – als nichttriviale Systeme nicht steuerbar im maschinellen Sinn.

Apropos Sinn…

Sinn

Sinn – als erste der Kohärenzdimensionen – wird dahingehend wichtig, wenn man den Zweck einer Organisation betrachtet: Organisationen benötigen zum Überleben einen Zweck, eine Existenzberechtigung. Organisationen ohne Zweck sterben. Oder sie werden künstlich, mit viel Marketing, am Leben erhalten.

Genau wie Menschen einen Sinn benötigen, um gut arbeiten zu können, benötigen Organisationen einen Sinn. Schon hier stellt sich die Frage, wie der Sinn, der Purpose, das Zusammenspiel zwischen Vision und Mission in Deiner Organisation ausgeprägt ist? Wann hat sich Deine Organisation das letzte Mal mit ihrem Sinn befasst? Wozu existiert Deine Organisation? Hör mal genau hin, vielleicht ist es etwas anderes, als das, was Du glaubst?

Selbstwirksamkeit

Das Selbstwirksamkeitserleben bzw. die Selbstwirksamkeitserwartung ist nicht nur wesentlich für die Gesunderhaltung von Menschen, sondern auch für ihre Entwicklung. Denn wer daran glaubt, etwas bewirken und auch in schwierigen Situationen selbstständig handeln zu können, kann als Person gezielt Einfluss auf die Dinge und die Welt nehmen, statt äußere Umstände, andere Personen, Zufall, Glück und andere unkontrollierbare Faktoren als ursächlich für das eigene „Schicksal“ anzusehen (vgl. Wikipedia).

Wenn mir – was ja nunmal vorkommt – das Leben Aufgaben stellt, die ich lösen kann, geht es mir gut. Ich verfüge über Ressourcen, die ich zur Meisterung meines Lebens, meiner aktuellen Probleme mobilisieren kann. Und für Organisationen gilt das Gleiche: Welche Aufgaben sind zu bewältigen? Befassen wir uns mit dem, was wir können? Denn nur daraus erwächst (Selbst-)Wirksamkeit.

Verstehbarkeit

Verstehbarkeit bedeutet, die Umwelt als geordnet, konsistent und erklärbar einzuschätzen. Menschen, die Begründungen für das finden, was sich um sie herum ereignet, gehen davon aus, dass auch künftig überraschend eintretende Ereignisse eingeordnet und erklärt werden können. Der Blick auf und vor allem der Blick in Organisationen zeigt jedoch, dass wir Organisationen geschaffen haben, die hochgradig kompliziert gestaltet sind. Regeln, Rituale, Vorgaben, Prozesshandbücher, QM-Richtlinien und vieles mehr sind nicht nur nicht mehr nachzuvollziehen oder verstehbar. Diese Strukturen von Organisationen führen zur Blockade der Möglichkeit, sich schnell an veränderte Bedingungen anpassen zu können.

Und genau das – diese Anpassungsfähigkeit – ist die berühmte Agilität, von der alle immer sprechen. Nicht umsonst überschreibt Jos de Blok (bspw. in diesem Video, aber auch an vielen anderen Stellen) den bzw. zumindest einen Aspekt des Erfolgs von Buurtzorg mit den Worten „keep it small, keep it simple“. Halte es einfach.

Halte Deine Organisation einfach.

Die Umschreibung des „Needing Principles“ mit den Worten Do, what’s needed! unterstreicht diese Einfachheit, Verstehbarkeit eindrücklich.

Das ist im Kern auch der Grund, warum ich glaube, dass selbstbestimmt agierende Teams und Organisationen nicht nur – wie oftmals vorgebracht wird – ein Thema für „Akademiker*innen“ sind. Im Gegenteil wird erst durch das Wegfallen von Strukturen, Hierarchien, Machtspielchen und interner Politik Klarheit, Einfachheit und Verstehbarkeit geschaffen. So ließe sich andersherum argumentieren, dass die etablierten Strukturen unserer Organisationen viel mehr dem Machterhalt als der eigentlichen Wertschöpfung dienen.

Aus der Einfachheit heraus ergibt sich im Übrigen viel Raum und Freiheit für die so viel beschworene und in vielen Bereichen wirklich benötigte Innovation.

Schlussfolgerungen für die Organisationsentwicklung

Es wurde deutlich, dass die Übertragung des Konzepts der Salutogenese auf Organisationen durchaus sinnvoll sein kann.

Verstehbarkeit, Selbstwirksamkeit und Sinn sind nicht nur für Menschen, sondern auch für Organisationen in einer sich dynamisch verändernden, komplexen Welt erstrebenswerte Aspekte, um „gesund zu bleiben“.

Es geht darum, überschaubar und nachvollziehbar sinnvoll handeln zu können.

Aber was kannst Du in Deiner Organisation konkret tun, um einen Schritt weiter zu einer gesunden Organisation zu kommen?

Dazu hier ein paar Ideen für

Verstehbarkeit:

  • Habt ihr eure Prozesse dokumentiert? Falls nicht: Machen! Denn es hilft ungemein, wiederholende Prozesse einmal zu fassen und dann auch anhand des PDCA-Zyklus weiterzuentwickeln. Falls ja: Wann habt ihr euch im Team oder der Organisation das letzte Mal ernsthaft mit den Prozessen befasst, diese aktualisiert und entmüllt? Prozesse zu dokumentieren macht nur Sinn, wenn diese dann auch gelebt werden.
  • Gibt es sonstige Regeln und Vorgaben, die ihr festgelegt habt und denen ihr folgen müsst? Machen diese Regeln und Vorgaben Sinn? Wenn nicht, weg damit.
  • Wie ist die Aufbaustruktur der Organisation gestaltet? Wie viele Hierarchieebenen gibt es? Und machen die Sinn? Wenn nicht, lohnt es sich perspektivisch, diese abzubauen. Das klingt einfacher, als es ist, aber das Ziel einer verständlichen Organisationsstruktur wäre ja eine echte Vision, oder?
  • Wie steht es eigentlich um die Strategie in der Organisation? Klar gibt es eine (hoffentlich…), aber ist diese auch den Mitarbeiter* innen bekannt. Und mehr noch: Kennen die Mitarbeiter* innen und Teams ihre Aufgaben und Projekte, mit denen sie zur Erreichung der Strategie beitragen? Falls nicht, lohnt es sich, die Strategie noch einmal genauer anzuschauen und gemeinsam Ziele zur Erreichung der Strategie auf den unterschiedlichen Ebenen der Organisation abzuleiten.
  • Und überhaupt Transparenz: Wie transparent sind Entscheidungen? Wie transparent ist die Kommunikation in der Organisation? Wie transparent sind auch die finanziellen Kennzahlen der Organisation? Denn: Wir können von den Mitarbeiter* innen nicht verlangen, dass sie Verantwortung übernehmen, wenn die Rahmenbedingungen unklar sind.

Selbstwirksamkeit

  • Ist der Gesamtorganisation klar, was Mission und Vision, was Purpose der Organisation ist? Das ist gerade bei sozialen Organisationen gar nicht so einfach, denn man kann ja irgendwie alles. Was aber gehört nicht zum Aufgabenbereich der Organisation? Was kann und muss von anderen bearbeitet werden?
  • Ist allen Mitarbeiter*innen auf Teamebene klar, was Vision und Mission ihrer Arbeit ist? Falls nicht macht es Sinn, im Team über die Aufgaben und die Ausrichtung des Teams gemeinsam zu sprechen. Wozu ist das Team da?
  • Gibt es in der Bearbeitung von Aufgaben eine Überschneidung dessen, was die Mitarbeiter *innen können, wollen und sollen? Das ist relevant, denn nur, wenn die Motivation mit den Fähigkeiten und Kompetenzen zusammenfällt und die dann hervorkommenden Ergebnisse noch das sind, was Aufgabe der Organisation ist, wird wirklich gute Arbeit geleistet. Was muss verändert werden, um eine Passung der drei Aspekte Wollen, Können und Sollen zu erreichen?
  • Welche Herausforderungen auf individueller Ebene sind zu bewältigen, um die Selbstwirksamkeit im Beruf zu erhöhen? Sind die Mitarbeiter*innen in der Lage, sich selbst zu organisieren, so, dass sie nicht von den anfallenden Aufgaben überfordert sind? Man kann nur dann selbstbestimmt im Team arbeiten, wenn man seine Aufgaben und sich selbst (halbwegs 😉 gut auf die Reihe bekommt.

Sinn

  • Mal ehrlich: Wenn man davon ausgeht, dass Deine Organisation ein soziales System ist: Was würde die Organisation selbst sagen: Macht das, was sie tut, Sinn?
  • Und ebenfalls ehrlich: Wenn es keinen Sinn macht, ist es auch OK, eine Organisation, ein Projekt oder ein Produkt sterben zu lassen. Manchmal macht der Neuanfang mehr Sinn.
  • Über Purpose, Vision und Mission habe ich ja schon geschrieben. Aber kennst Du die Vision, Mission und Purpose Deiner Organisation? Wirklich? Und macht das noch Sinn? Und wird das, was in der Vision, Mission und dem purpose steht, in konkrete Strategien übersetzt? Was also hat Deine Arbeit mit dem zu tun, was Sinn macht?

Naja, kann man ja mal drüber nachdenken…

Oder konkret dran arbeiten.

Wenn Du dabei Unterstützung brauchst, sag gerne Bescheid 😉

Systeme verbinden, oder: Ein Dilemma in der Transformation pluralistischer Organisationen

Tags: , , , , , , , , ,

Soziale Organisationen ebenso wie NPOs, Schulen und Bildungseinrichtungen lassen sich als pluralistische Organisationen definieren. Unter pluralistischen Organisationen sind Organisationen zu verstehen, die sich an verschiedenen gesellschaftlichen Funktionssystemen orientieren müssen, um existieren zu können. Bei sozialen Organisationen lassen sich insbesondere die Funktionssysteme Recht, Wirtschaft, Politik, Erziehung, Wissenschaft, Medizin und Religion hervorheben.

Daraus resultiert, dass pluralistische Organisationen mit „einem besonders divergierenden Spektrum unterschiedlicher Umwelterwartungen konfrontiert sind und diesen Erwartungen auch zu entsprechen suchen. Diese unterschiedlichen Erwartungen externer Anspruchsgruppen schlagen sich in multiplen Zielen nieder, denen eine pluralistische Organisation zugleich gerecht zu werden versucht.“ [mfn]Hörer, H. (2013): Entscheidungsfähigkeit in pluralistischen Organisationen – Rekonstruktion von Entscheidungsmustern eines diakonischen Unternehmens. Dissertation[/mfn]

Das ist soweit nicht besonders. Viele Organisationen und insbesondere die Führungskräfte in diesen Organisationen sind es gewohnt, die mit den Herausforderungen der Verbindung multipler Ziele einhergehenden Dilemmata auszubalancieren. Widerspruchsmanagement ist Alltag von Führungskräften pluralistischer Organisationen.[mfn]vgl. bspw. Herzka, M. (2013): Führung im Widerspruch – Management in Sozialen Organisationen. Wiesbaden, Springer[/mfn]

Veränderung dritter Ordnung als Unmöglichkeit pluralistischer Organisationen

Problematisch wird es jedoch, wenn die Notwendigkeit besteht, die Organisationen nicht nur weiterzuentwickeln bzw. zu optimieren (Veränderung erster Ordnung), sondern grundlegende Transformationen der Art, wie die Organisationen gearbeitet haben, zu gestalten.

Innovation, Bruch, Disruptionen, schöpferische Zerstörung oder Veränderung zweiter, wenn nicht dritter Ordnung sind Stichworte.

So zeigen die inzwischen reichlich strapazierten Megatrends schon lange die Notwendigkeit nicht nur von Musterwechseln innerhalb bestehender Systeme, sondern die Notwendigkeit des radikalen Wechsels des Systems an sich [mfn]vgl. Kruse, P., Schaumburg, F. (2016): Führung im Wandel: Ohne Paradigmenwechsel wird es nicht gehen. In: Geramanis, O., Hermann, K. (Hrsg.): Führen in ungewissen Zeiten – Impulse, Konzepte und Praxisbeispiele. Wiesbaden, Springer. S. 3 – 16.[/mfn].

Und spätestens die aktuelle Corona-Pandemie hat gezeigt, wo in den gesellschaftlichen Funktionssystemen die wirklichen Probleme stecken. Das Klatschen über die doch angeblich so systemrelevanten Branchen haben viele noch im Ohr, aber in den Branchen selbst sieht es an vielen Stellen düster aus.

Über das starre Bildungssystem wurde schon viel berichtet, aber die Bildungskatastrophe in der Pandemie war dann schon oft sehr überraschend: Montags Zettel abholen, die dann Freitags ausgefüllt zurückgebracht werden müssen, ist keine Bildung. Es zeigt aber, dass die Primärfunktion von Schule vielleicht gar nicht Bildung, sondern die Betreuung der Kinder, damit die Eltern arbeiten können, ist?

Und der sowieso schon enorme Fachkräftemangel in Erziehung und Pflege hat durch die Pandemie trotz aller Beteuerungen über das erwartbare Maß hinaus zugenommen. Und nein, die Pflegekräfte aus dem Ausland sind keine Alternative, wie der Beitrag hier mit Blick aus Spanien, Italien und England darlegt.

System-Umwelt-Analyse als Grundlage der Organisationsentwicklung pluralistischer Organisationen

Vom großen Ganzen zurück zum Kleinklein gelingender Organisationsentwicklung pluralistischer Organisationen: Eine erste Intervention zeitgemäßer Organisationsentwicklung, ist die System-Umwelt-Analyse. Hierbei wird das zu betrachtende System (die eigene Organisation) in Verbindung zu den Systemen der Umwelt der Organisation gebracht.

Dabei kommen häufig interessante Einblicke zutage und es wird die schon genannte Besonderheit sozialer Organisationen ebenso wie Bildungseinrichtungen als pluralistische Organisationen deutlich: Sie sind in viele Funktionssysteme eingebunden, deren Funktionen, Codes und Programme sich oftmals widersprechen.

So ist – als Beispiel – die Funktion des Bildungs- und Erziehungssystems so etwas wie Sozialisation, der Code wäre in der Schule vielleicht „Besser lernen/schlechter lernen“, in der Sozialen Arbeit eher „Inklusion/Exklusion“ oder „Hilfe/Nicht-Hilfe“. Unter den Programmen sind Bildung oder die Angebote sozialer, personenbezogener Dienstleistungen zu verstehen. Diese sind in ihrer Ausgestaltung – das ist nichts Neues – hochgradig komplex. So besteht eine der Besonderheiten sozialer Organisationen darin, dass personenbezogene, soziale Dienstleistungen kaum standardisierbar sind und deren Effektivität immer an die Koproduktionsbereitschaft der Nutzer*innen gebunden ist. Spannend ist, dass in Bildungskontexten wie Schulen und Hochschulen noch immer versucht wird, Standardprogramme zu fahren, anstatt die individuellen Anforderungen anzuerkennen, aber das ist wiederum ein anderes Thema…

Gestaltung von Komplexität vs. Denken in Zuständigkeiten

Im Gegensatz zu den auf die Gestaltung von Komplexität angelegten Sozialen Organisationen sind die Sozialleistungsträger (u.a. Bund, Länder, Kommunen, Sozialversicherungsträger, Krankenkassen, die für die Kosten aufkommen) nicht im Erziehungssystem anhand der genannten Codes organisiert, sondern fokussieren in ihren Strukturen und Handlungsweisen auf Rechtmäßigkeit und Berechenbarkeit bei hoher Zuverlässigkeit, Effektivität und Effizienz.

Auch die Entwicklungen rund um „Neue Steuerungsmodelle“ (NSM) und seit etwa 2013 Kommunale Steuerungsmodelle (KSM) und damit die Versuche, von der inputorientierten über outputorientierte hin zu outcomeorientierten Steuerungen zu kommen, haben an der Grundorientierung der Arbeit der Sozialleistungsträger im Kern nicht viel verändert.

So schreiben Michl und Steinbrecher, dass das Denken in Einzelzuständigkeiten ein Grundprinzip des Arbeitens in Verwaltungen darstellt: „Auch komplexe Aufgaben werden in ‚kleine Häppchen‘ zerteilt und jedes Häppchen einem zuständigen Sachgebiet oder auch einer anderen beteiligten Behörde und darin jeweils einer Person zugeordnet. Diese Arbeitsweise ist über 200 Jahre alt und in vielen Situationen der heutigen Zeit nicht mehr angemessen.“ [mfn]Michl, T., Steinbrecher, W. (2018): Wozu kann unsere Gesellschaft eine „agile Verwaltung“ brauchen? In: Bartonitz, M. Et. al: Agile Verwaltung – Wie der öffentliche Dienst aus der Gegenwart die Zukunft entwickeln kann. Wiesbaden: Springer[/mfn]

Besonderheiten öffentlicher Verwaltungen liegen den Ausführungen von Richter[mfn]vgl. Richter, P. (2012): Die Organisation öffentlicher Verwaltung. In: Apel, M., Tacke, V. (Hrsg.): Handbuch Organisationstypen. Wiesbaden: Springer. 91 – 112[/mfn] u.a. in der Funktion einer Stabilisierung von Herrschaft, einer primär hierarchischen Ordnung der Interaktion von Verwaltungsorganisationen mit anderen Verwaltungsorganisationen mittels spezifischer Regelungsformen (Federführung) unter bestimmten Voraussetzungen (regional, fachlich) und einer bürokratischen Binnenrationalität und bürokratischen Organisationsformen.

Die Nähe dieses in weiten Teilen regelbasierten Vorgehens zum Taylorismus ist offensichtlich. Und dieses Vorgehen ist alles andere als schlecht, denn es passt für komplizierte Vorgehen und lineare Wirkungsketten wunderbar. Im Kern ist Verwaltung – mit Recht – als zwar kompliziertes, aber letztlich triviales System organisiert, auf dem unser Staat aufbaut.

Diese Funktionslogik gilt auch für weitere Sozialleistungsträger wie bspw. Krankenkassen und eben auch für die Funktionssysteme, auf die Schulen, Hochschulen und auch Volkshochschulen angewiesen sind: Obwohl jeder nachvollziehen kann, dass Bildung hochkomplex und nicht standardisierbar ist, wird – etwas verkürzt ausgedrückt – über Lehrpläne, Akkreditierungsvorgaben und eine Organisation in Ämtern (an VHS bspw.) versucht, Bildung zu organisieren, nein, zu kontrollieren.

Die Transformation pluralistischer Organisationen scheitert an der Inkompatibilität der Funktionsweisen der Systeme

Was ich sagen will: Die Codes und Funktionsweisen von Sozialen und Bildungsorganisationen unterscheiden sich radikal von denen der Sozialleistungsträger und für Bildung zuständigen Amtsstrukturen. Die einen sind im Kern auf die Gestaltung von Komplexität, die anderen auf die regelbasierte Abarbeitung von (gesetzlichen) Vorgaben, Plänen und die Kontrolle der Einhaltung von Regeln ausgerichtet.

Daraus resultiert, so meine These, dass die Transformation sozialer Organisationen ebenso wie die Transformation von NPO; Schulen und anderen Bildungsorganisationen an der Inkompatibilität der Funktionsweisen der Systeme scheitert.

Diese These wiederum scheint nicht besonders spektakulär oder neu zu klingen. Sie entfaltet ihre Wirkung jedoch im konkreten Alltag von Schulen, von frei-gemeinnützigen Organisationen, Komplexträgern, Wohlfahrtsverbänden uvm.

Überbordende Kontrolle, Dokumentationspflichten, klare Regeln und Vorgaben, Zuständigkeiten und Hierarchien stehen auf Seiten der Kostenträger schon immer der Notwendigkeit der Gestaltung von Dynamik und Komplexität auf Seiten pluralistischer Organisationen gegenüber. Hinzu kommt in der heutigen Zeit – VUCA und Co. sei Dank – eine zeitliche, sachliche und soziale und damit eine dreifache Dynamisierung, wie Kleve [mfn]Kleve, H. (2020): Die Rückkehr des „Menschlichen“: Integration des Psycho-Sozialen, Emotionalen und Elementaren als Voraussetzung für gelingende Selbstorganisation. In: Geramanis, O., Hutmacher, S. (Hrsg.): Der Mensch in der Selbstorganisation. Wiesbaden: Springer. 247 – 260. [/mfn] es nennt:

„Für Organisationen beschleunigen sich die Prozesse, auf die sie in ihrer sozialen Umwelt reagieren müssen; das ist der zeitliche Aspekt. In sachlicher und sozialer Hinsicht können wir von einer Diversifizierung und globalen Vernetzung von Ereignissen und Personen (…) ausgehen (…). Somit lässt sich eine enorme Steigerung der Komplexität konstatieren, also ein rasanter Zuwachs an Vielschichtigkeit und Verwobenheit von Ereignissen, die auf die Grenzen von Organisationen treffen.“

Autonomie und Selbstbestimmung pluralistischer Organisationen stehen dem Zuständigkeitsdenken der Kostenträger diametral entgegen

Pluralistische Organisationen sind gefordert, die zunehmende Komplexität zu bearbeiten. Dies gelingt, indem sie auf die Zunahme der äußeren Komplexität reagieren, indem sie ihre inner-organisatorische Komplexität erhöhen. Die Erhöhung der inner-organisationalen Komplexität bedarf neben einer Re-Emotionalisierung der Kommunikation innerhalb von Unternehmen (vgl. ebd., 251) die Gestaltung sich zunehmend selbststeuernder, autonomer Teams und damit einhergehend die auf Kompetenzen basierende Übernahme von Führung und Verantwortung.

Sich selbst steuernde, autonom agierende Teams und kompetenzbasierte Führung stehen jedoch im krassen Gegensatz zum Zuständigkeits-, Sicherheits- und Vorgabendenken der Sozialleistungsträger, Schulämter und Kultusminister.

Kurz: Die Kostenträger kommen mit den Notwendigkeiten zeitgemäßer Organisationen nicht klar. Die Abwehr geschieht nicht böswillig. Die Kostenträger können nicht anders. Vielleicht hilft diese Einsicht schon bei der nächsten Leistungsvereinbarung (die durch die Pandemie nicht einfacher werden).

Nochmal anders: Sachbearbeiter Jürgen ist nicht selten doof, sondern aus seiner Funktion im System eines Kostenträgers agiert er völlig rational. Jürgen kann gar nicht anders. Sein Verhalten und vor allem die getroffenen Entscheidungen passen „nur“ nicht zur dringenden Notwendigkeit der Komplexitätsgestaltung pluralistischer Organisationen.

Gestaltung pluralistischer Organisationen gelingt durch Einbeziehung aller Stakeholder

Daraus wiederum folgt, dass es im Zuge grundlegender Transformationen gelingen muss, alle basierend auf einer System-Umwelt-Analyse definierten Stakeholder an einen Tisch zu bekommen – und das schon vor dem anstehenden OE-Prozess.

Nur durch gemeinsames Verständnis der Anliegen der jeweils anderen Seiten kann (nicht: muss) sich die Option eröffnen, neue Wege gehen und dringend benötigte Experimente in der Neugestaltung pluralisitscher Organisationen realisieren zu können.

Abschließend nur noch ein Gedanke zur Notwendigkeit der Entwicklung der Kostenträger, insbesondere der öffentlichen Verwaltungen: Auch diese sind gefordert, im Zuge zunehmender äußerer Komplexität ihre innere Komplexität zu erhöhen, um überhaupt noch adäquat auf die sich verändernden Anforderungen reagieren zu können. Zwar besteht kein unmittelbarer Druck im Sinne der Notwendigkeit unternehmerischen Handelns, aber der Druck nimmt mindestens durch den Fachkräftemangel in der Verwaltung zu. Der schon angesprochene Jürgen weiß zwar, dass er im Sinne des Systems und damit im Sinne von Zuständigkeiten und Dienstanweisungen handeln muss. Jürgen weiß jedoch, dass er eigentlich anders – komplexitätssensibel – agieren müsste. Das zerreißt ihn innerlich. Und darauf hat – trotz aller vermeintlicher Sicherheit im öffentlichen Dienst – niemand mehr wirklich Bock…


P.S.: Ich kenne inzwischen zunehmend Beispiele, wie auch in den Verwaltungen versucht wird, anders zu agieren. Das ist schön zu sehen. Hinzuweisen ist als Sammlung der Beispiele auf den Blog „www.agile-verwaltung.org.

P.P.S.: Im Rahmen des (virtuellen) Socialbarcamps in Kiel habe ich eine Session zu dem Thema des Beitrags gehalten. Die Ergebnisse der Diskussion in der Session, wie es gelingen kann, die beiden sehr unterschiedlichen Systeme und Funktionslogiken zusammen zu bringen, kannst Du hier abrufen.

Geschäftsmodellinnovation sozialer Organisationen, oder: Neue Wege erfordern einen Blick zurück!

Tags: , , , , ,

Hier der tweet:

https://twitter.com/HendrikEpe/status/1372527464212226051

Der Beitrag erläutert, warum genau ich den Blick zurück für einen wesentlichen Ansatz erachte, wenn es um die Neuausrichtung sozialer Organisationen geht. Dazu wird kurz erläutert, was ein Geschäftsmodell ist und warum auch soziale Organisationen ein Geschäftsmodell haben. Daran anschließend wird dargelegt, warum es für soziale Organisationen wichtig ist, in einer digitalisierten Welt das Geschäftsmodell zu reflektieren um abschließend darauf einzugehen, warum der Blick zurück wesentlich ist für die Neuausrichtung zur Gestaltung einer lebendigen Zukunft.

Was ist und haben soziale Organisationen ein Geschäftsmodell?

Unter einem Geschäftsmodell ist die Grundlogik zu verstehen, die beschreibt, wie welcher Nutzen für die Nutzer* innen (in den meisten Unternehmen sind dies Kund* innen) und Stakeholder gestiftet wird. Folgende Elemente (die je nach Autor* in leicht variieren können) machen ein Geschäftsmodell aus (vgl. bspw. Affenzeller, P., 2016, 52):

  • In der Dimension der Nutzer* innen (Für wen?) sind die Nutzersegmente, die Nutzerkanäle und die Nutzerbeziehungen zu fassen.
  • Die Nutzendimension (Was?) beinhaltet die Leistungen der Organisation und der dadurch generierte Nutzen.
  • In der Wertschöpfungsdimension (Mit was?) beinhaltet die Ressourcen, die benötigten Fähigkeiten und die Geschäfts-, Management- und Unterstützungsprozesse.
  • Die Partnerdimension (Wer wird gebraucht?) beinhaltet die Partner, die Partnerkanäle und die Partnerbeziehungen.
  • Die Finanzdimension beinhaltet die Umsätze und die Kosten (Was kostet es und was verdienen wir daran?).

Ich habe hier nicht von Kund*innen gesprochen, da dieser Begriff in sozialen Organisationen schwierig ist. Die Betrachtung der zu beantwortenden Fragen macht jedoch unmittelbar deutlich, dass auch soziale Organisationen ein Geschäftsmodell und oftmals sogar mehrere Geschäftsmodelle haben.

Als Beispiel ist für eine stationäre Jugendhilfeeinrichtung zu klären, für wen welche Leistungen wie erbracht und wie damit Wirkung und Wert generiert werden kann. Das gilt auch für eine Drogenberatungsstelle. Dabei ergeben sich – um das Beispiel der Drogenberatung aufzugreifen – unterschiedliche Optionen – je nachdem, wie die Fragen beantwortet werden. In der Arbeit mit suchtkranken Jugendlichen werden andere Wege der Leistungserstellung gegangen als in der Arbeit mit älteren Menschen, wobei immer zu berücksichtigen ist, ob und wie mit der Arbeit nicht nur Wirkung im Sinne von Outcomes für die Nutzer* innen und Impact für die Gesellschaft, sondern auch monetärer Wert (zur Bezahlung der anfallenden Kosten) generiert werden kann.

Mehrere Geschäftsmodelle einer Organisation ergeben sich bspw. daraus, dass eine Jugendhilfeeinrichtung neben stationären und ambulanten Wohn- und Betreuungsformen auch Schulen und Werkstätten für die Ausbildung der Jugendlichen unterhält. Wohngruppen und Schulen bzw. Ausbildungsstätten generieren zwar für die gleiche Zielgruppe völlig unterschiedliche Nutzen, die wiederum völlig unterschiedlich bereitgestellt und finanziert werden.

Warum ist Geschäftsmodellinnovation in der digitalen Transformation auch für soziale Organisationen wesentlich

Vorab ist hervorzuheben, dass soziale Organisationen mit Blick auf die zukünftige Gestaltung ihres Geschäftsmodells weit weniger frei sind als Unternehmen der Privatwirtschaft. Zwar ist den Mitarbeiter*innen an der Basis sozialer Organisationen (und auch den anderen Verantwortlichen wie bspw. Führungskräften) mehr als bewusst, dass sie sich und ihr Geschäftsmodell wandeln müssen. Die Ertragsmechanik jedoch – „Wie wird Wert generiert?“ – hinkt den Notwendigkeiten hinterher: Die gesetzlichen Grundlagen, auf denen soziale personenbezogene Dienstleistungen finanziert werden, ändern sich nicht in der Geschwindigkeit, wie es für die Bedarfe der Nutzer*innen notwendig wäre. Zusammenfassend habe ich diese Problematik vor einiger Zeit beschrieben unter dem Titel „Wer zahlt bestimmt die Musik“ (hier wird auch die Kundenorientierung als Problem sozialer Arbeit aufgegriffen)!

ABER: Die damit einhergehende Problematik entlastet soziale Einrichtungen nicht von der Notwendigkeit, ihr Geschäftsmodell soweit möglich im Sinne ihrer Nutzer*innen auszugestalten. Sich darauf auszuruhen, dass „man ja nichts machen kann, weil die da oben die Gesetze nicht ändern…“ ist der sichere Weg zur Schließung der Organisation.

Für mich zeigen sich mindestens drei Gründe, warum das Geschäftsmodell auch sozialer Organisationen immer wieder infrage gestellt und angepasst werden muss:

a) Soziale Organisationen sind hochgradig innovativ, da es ihnen immer wieder gelingt, die doch oftmals starren Rahmenbedingungen so zu nutzen, dass die Nutzer*innen wirklich etwas von der angebotenen Leistung haben, der outcome also entsprechend groß ist. Wenn die Mittel vorhanden und die (gesetzlichen) Hürden gering sind, kann ja jeder innovative Geschäftsmodelle entwickeln. Soziale Organisationen müssen das auch unter widrigen Bedingungen immer wieder für ihre Nutzer* innen leisten (und leisten dies auch). Vielleicht sollten wir beginnen, uns selbst dieses Narrativ innovativer sozialer Organisationen zu erzählen…

b) Soziale Organisationen sind oftmals gezwungen, ihr im Grunde funktionierendes Geschäftsmodell eben aufgrund der Anpassung gesetzlicher Rahmen und damit der Änderung der Ertragsmechanik neu zu gestalten. Die Entwicklungen des Bundesteilhabegesetzes sind da ein gutes Beispiel: Viele Einrichtungen, die bspw. Angebote für Menschen mit den unterschiedlichsten Beeinträchtigungen im Rahmen der Eingliederungshilfe bereithalten, sind massiv damit konfrontiert, sich neu auszurichten, ihre Angebotsstrukturen neu auszugestalten und damit ihre Geschäftsmodell in einigen Bereichen zu entwickeln.

c) Hinzu kommt (neben anderen Megatrends) die digitale Transformation als ausschlaggebend für eine Neuausrichtung des Geschäftsmodell. Spätestens seit dem großen C wird selbst in der Sozialwirtschaft (fast 😉 niemand mehr bezweifeln, dass „in der digitalen Transformation (…) etablierte Unternehmen vor der Herausforderung [stehen], sich in einem umfassenden Sinn neu zu erfinden. Dies reicht von der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle über das Neudenken von Innovationsstrategien und Produktionsprozessen bis hin zur Einführung neuer Organisationsformen von Arbeit. [mfn]Boes, A. et. al (2021): Empowerment in der agilen Arbeitswelt – ein Schlüssel für die nachhaltige Gestaltung neuer Arbeitsformen. In: Arbeit in der digitalisierten Welt – Praxisbeispiele und Gestaltungslösungen aus dem BMBF-Förderschwerpunkt. Wilhelm Bauer · Susanne Mütze-Niewöhner · Sascha Stowasser · Claus Zanker · Nadine Müller (Hrsg.). Wiesbaden, Springer.[/mfn] Bspw. lassen sich die zunehmend digitale Kommunikation (mit Nutzer* innen und unter den Professionellen), die zunehmend digitale Daten- und Informationsverarbeitung (bspw. Nutzung von Daten für Planung, Auswertung und Wirkungsmessung, Falldokumentation…) und die zunehmende Digitalisierung der sozialen, personenbezogenen Dienstleistungen selbst anführen, die in der Sozialen Arbeit von der digitalen Transformation tangiert und transformiert werden [mfn]vgl. Apollonio, L. et al., (2020): Digitale Arbeitswelten von helfenden Berufen – Notwendige Skills und Kompetenzen für eine zukunftsgewandte Arbeit in sozialen Unternehmen. Regensburg: Walhalla[/mfn].

Die Notwendigkeit der Anpassung des Geschäftsmodells im Zuge der Entwicklungen der digitalen Transformation ist jedoch besonders relevant, da branchenfremde Organisationen zunehmend Geschäftsmodelle etablieren, die die traditionellen sozialwirtschaftlichen Player „alt aussehen“ lassen. In der Szene schon oft angeführte Entwicklungen wie Amazon.care, betreut.de oder auch Neugründungen wie die Etablierung neuer Modelle der ambulanten Pflege in den Niederlanden, die so nur durch die transparente Bereitstellung aller Informationen auf digitale Weise funktionieren kann, sind da nur die sichtbare Spitze des Eisbergs.

Unterhalb der Wasseroberfläche brodeln digitale Ideen, die ganze Arbeitsfelder infrage stellen. Und nein, damit meine ich nicht irgendwelche Pflegeroboter, die die „Pflege am Bett“ abschaffen werden – davon sind wir wirklich meilenweit entfernt. Ich meine vielmehr kleine, innovative Unternehmer* innen, die mit anderen (und nicht immer nur betriebswirtschaftlichen) Mitteln versuchen, soziale Probleme zu lösen. Der stetig wachsende und von der Politik hofierte Bereich des social entrepreneurships bringt neue Ideen voran und bereichert „den Markt“ sozialer Dienstleistungen. Ich meine aber auch große Unternehmen, die in und nach dem großen C feststellen werden, dass die Sozialwirtschaft eine finanziell attraktive Branche ist und mit neuen, digital getriebenen Geschäftsmodellen neue Wege geht. Plattformmodelle – als einfaches Beispiel – gibt es nicht nur bezogen auf die Pflege, sondern auch, bspw. unter dem Dach von IKEA, als haushaltsnahe Dienstleitung bei Taskrabbit.

Kurz (und alles andere als neu oder überraschend): Wenn soziale Organisationen nicht mit der Zeit gehen, gehen sie mit der Zeit.

Warum aber ist der Blick zurück wesentlich für die Geschäftsmodellinnovation zur Gestaltung lebendiger Zukünfte?

Alle oben angeführten Aspekte zeigen die (für die meisten Leser*innen wohl nicht neue) Notwendigkeit, warum soziale Organisationen gefordert sind, sich und damit ihr Geschäftsmodell immer wieder an veränderte Bedingungen anzupassen. Der letzte Punkt jedoch – die Auswirkungen der und die neuen Konkurrenzen durch die digitale Transformation – erfordert nicht mehr eine Anpassung, nichtm ehr die Optimierung, nicht merh nur „das Alte besser machen“. Es erfordert die wirklich innovative Neuausrichtung des Geschäftsmodells. Im St. Galler Management-Modell wird hier explizit zwischen Optimierung (als Anpassung des Bestehenden) und Innovation (als echte Neuerfindung) unterschieden.

Zwar ist nicht abzustreiten, dass tradierte, soziale Organisationen ebenfalls in der Lage sind, völlig neue Geschäftsmodelle „aus heiterem Himmel“ zu entwickeln und zu etablieren. Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch eher gering. Es bedarf vielmehr der Auseinandersetzung mit entsprechenden Fragen, mit der eigenen Organisation, mit der Mission und der zukünftigen Strategie. Dabei ist die Frage, woher die Organisation kommt, erfolgsversprechend. Dazu zwei (plus x) Beispiele aus meiner jüngeren Vergangenheit:

Beispiel 1: In der Diskussion mit einer Organisation, die 1991, direkt nach der Wende, für Senior*innen gegründet wurde, die aufgrund der Umbrüche im ostdeutschen Arbeitsmarkt in die Arbeitslosigkeit bzw. den nicht freiwilligen Vorruhestand gerutscht waren, ergab sich, dass genau dieser Fokus im Jahr 2021 wieder zukunftsweisend ist. So ist davon auszugehen, dass die Arbeitslosigkeit gerade bei den weniger gut ausgebildeten Menschen mittleren und höheren Alters aufgrund der Auswirkungen der Pandemie steigen wird. Hinzu kommen die Auswirkungen einer zunehmend digitalisierten Welt: Roboterisierung substituiert zunehmend die Tätigkeiten insbesondere (aber nicht nur) der weniger gut ausgebildeten Menschen. Beide Entwicklungen führen dazu, dass wir – so meine Prognose – immer mehr Menschen im Alter von 50+ sehen werden, die ihre Arbeit aufgrund der Pandemie verloren haben und aufgrund fehlender digitaler Skills keine neue Arbeit finden werden. Es mag sogar sein, dass wir uns diese Menschen als Gesellschaft „leisten“ könnten und unser Wohlstand nicht merklich sinken würde. Ob wir uns diesen Umgang mit Menschen jedoch leisten wollen und ob es menschenwürdig ist, dass diese Menschen ihrem Schicksal in der Selbstunwirksamkeit überlassen werden, ist mehr als fraglich.

Genau dies jedoch eröffnet völlig neue Perspektiven für den Verein in der Gestaltung der Angebote: Nicht mehr die zweifellos wichtigen Kurse Fahrradfahren, Schach und Häkeln und die Frage, wie diese digital gestaltet werden können, sind im Fokus, sondern die Bedarfe der Kernzielgruppe: Die Vermittlung digitaler Kompetenzen (welche genau?) und vor allem die Ermöglichung von Selbstwirksamkeitserfahrungen zeigen neue Angebotsoptionen auf. So kann der Schweißer oder Maschinenschlosser mit den Jugendlichen die Schwalbe reparieren oder die Schneiderin (oder der Schneider) kann mit den Kids, Jugendlichen oder wer sonst noch mag eigene Klamotten designen. Hier ließen sich die Verbindungen zu dem, was „New Work“ ausmacht, vertiefen, dazu dient der Beitrag aber nicht.

Das zweite Beispiel bezieht sich auf einen größeren Träger, der unterschiedliche Angebote im Bereich der Suchthilfe bereitstellt. Hier war ich vor einiger Zeit in der Strategieentwicklung (noch vor Corona…) eingebunden. Insbesondere dann, wenn es sich um eine etablierte Einrichtung handelt, ist es oftmals nicht leicht, die verständlicherweise recht umfassend formulierte Vision in greifbare Themen und Schritte herunterzubrechen, die als strategische Themen dienen. Als jedoch der Gründer der Organisation seine Beweggründe zur Gründung der Institution sehr anschaulich und emotional dargelegt hat, wurde regelrecht spürbar, welche Themen auch und gerade in Zukunft zu bearbeiten sind. Auch hier zeigt sich, dass der Fokus auf die Zielgruppe im Laufe der Jahre aus dem Blick zu geraten droht, dies aber Antrieb für die Gründung der Organisation ist. Kein*e Gründer*in einer sozialen Einrichtung – die ich bislang kennengelernt habe – geht diesen Schritt, um damit reich zu werden. Es geht immer um das Wohl bestimmter Zielgruppen.

Das dritte der beiden Beispiele 😉 bezieht sich auf die für mich gerade neue und spannende Arbeit mit Bildungseinrichtungen – konkret Volkshochschulen. Hier bin ich in mehreren Projekten eingebunden, in denen es um die Entwicklung völlig unterschiedlich großer Organisationen in Richtung (auch, aber nicht nur) digitale Zukunft geht. Und auch hier ist es spannend, nicht allein auf die Frage zu schauen, welche „digitalen Angebote“ denn aus dem Boden gestampft werden könnten. Vielmehr ist die Mission, also der Zweck der Institution in den Blick zu nehmen: Wozu sind Volkshochschulen angetreten? Wer ist Hauptzielgruppe? Wer könnten neue Zielgruppen sein? Und welche Angebote folgen daraus?

Und zu den konkreten Angeboten ist wichtig zu betonen, dass neue Angebote, personenbezogene Dienstleistungen, Bildungsprogramme oder was auch immer in der Kultur der Digitalität nicht zwingend digital sein müssen. Vielmehr sollte die Frage im Vordergrund stehen, wie das Angebot gestaltet ist: Gemeinsam mit den Nutzer*innen, offen, transparent, vielfältig, kollaborativ oder kreativ sind hier Stichworte, die für ein Verständnis einer digitalisierten Welt richtungsgebend sind.

Gelebte Kultur der Digitalität sozialer Organisationen

Und ganz konkret kann es bspw. für einen sozialen Träger auf dem Land Sinn machen, die Gebäude, die so oder so vorhanden sind, in einen Coworking-Space zu verwandeln oder Programme zu starten, die ältere Menschen mit tollen Kompetenzen in ihrer Selbstwirksamkeit stärken, indem sie jüngeren Menschen Häkeln, Schrauben, Kochen, Backen, Schreinern, Schweißen… beibringen. Vielleicht brauchen wir in der Gesellschaft der Zukunft Fähigkeiten, die wir in den letzten Jahren als „veraltet“ abgetan haben. Diese Herangehensweise ist „gelebte Digitalität“ im Gegensatz zur nächsten dollen App, die niemand wirklich braucht.

Du siehst: Es lohnt sich, zunächst zurückzublicken und dann daraus die Zukunft der kommenden Welt zu gestalten.

Besser wurschteln, oder: Wie gelingt erfolgreiche Selbstorganisation im Team?

Tags: , , , , , , , ,

Viele Teams in und kleine soziale Organisationen als Ganzes „wurschteln“ so vor sich hin. Zum einen kenne ich das aus eigenen Arbeitserfahrungen in kleinen Agenturen (Grüße an dieser Stelle) und aus der Arbeit in Teams der stat. Jugendhilfe (auch hier Grüße 😉 Zum anderen lassen viele Berichte von Bekannten und Freund*innen in sozialen und Bildungseinrichtungen den „Wurschtel-Schluss“ zu. Dabei – das vorweg – klingt „wurschteln“ irgendwie negativ, aber so ist es überhaupt nicht gemeint. Wurschteln kann – gut gemacht – zu echter Selbstorganisation im Team führen.

Was ist „wurschteln“?

Unter „wurschteln“ versteht der Duden (ja, das Wort steht im Duden) „in einem gewissen Trott und ohne rechten Plan vor sich hin arbeiten„. Das ist spannend, vor allem der zweite Teil: „…ohne rechten Plan vor sich hinarbeiten“! Und genau darum geht es: Es gibt in vielen Teams und (kleinen) Organisationen keinen „rechten Plan“, an den man sich akribisch hält. Arbeit findet in dem Fall vielmehr „ungeplant“ statt, ein Wort, das in unserer Arbeitskultur nicht unbedingt auf Gegenliebe stößt.

An dieser Stelle kommt mir wieder die Natur in den Sinn: Ich bin mir ziemlich sicher, dass die auch so vor sich hinwächst, ohne rechten Plan. Pflanzen, Blumen, Wälder, Tiere, Sträucher usw. entwickeln sich nicht anhand eines Plans, sondern evolutionär, je nachdem, was gerade ansteht. Es steht nicht die Frage im Vordergrund, was „geplant“ was und „umgesetzt werden muss“, sondern das, was notwendig ist, was jetzt gebraucht wird. Und ohne in die Tiefe gehen zu können zeigt sich das „Wurschteln“ aus Perspektive der Systemtheorie in der Selbstreferentialität sozialer Systeme: Diese handeln nicht aufgrund externer Umwelteinflüsse, nicht aufgrund der gewollten Steuerung, nicht aufgrund der Umsetzung eines Plans, sondern selbstorganisiert, eigenständig und eigenverantwortlich aus sich selbst heraus.

Übertragen auf Arbeit in Teams ergibt sich daraus die sehr zeitgemäße Organisationsstrategie „Do, what’s needed!

Wie geht „wurschteln“?

Ich begleite aktuell einen kleinen sozialen Träger (Ein Team, 7 Mitarbeiter* innen), der mit der Frage an mich herangetreten ist:

„Wir arbeiten als Team irgendwie basisdemokratisch. (Wie) können wir damit zukünftig überleben?“

Zur Erläuterung der Struktur: Wir sprechen von einem kleinen Verein, dessen operative Arbeit von einem Team geleistet wird, das sich aus Menschen unterschiedlichen Alters zusammensetzt, die alle über eine ähnliche formale Qualifikation verfügen (Psychologie und Soziale Arbeit). Bislang war es nicht notwendig, über die notwendigen gesetzlichen Anforderungen hinaus (es braucht eine Geschäftsführung auf dem Papier) eine wie auch immer geartete „Hierarchie“ zu etablieren (was in der Größe auch gegen jeden Menschenverstand verstoßen würde).

In den Vorgesprächen zeigte sich, dass das Team die Art, wie die Zusammenarbeit bislang gestaltet ist, enorm positiv empfunden und als Bereicherung gesehen hat. Gleichzeitig kam jedoch auch die Angst heraus, mit der Art der „basisdemokratischen“ Zusammenarbeit im Team „irgendwie nicht mehr zeitgemäß“ zu sein und keine neuen Mitarbeiter* innen zu finden (es geht perspektivisch auch um Mitarbeitergewinnung). Im Angesicht zunehmender Konkurrenz, vielfältiger werdender Themenstellungen (bspw. auch das Thema Digitalisierung des Vereins) und gesetzlicher Anforderungen war die Gefahr der Überlastung der Organisation zunehmend spürbar.

Wie aber lässt sich angesichts der Rahmenbedingungen die vom Team als „basisdemokratisch“ bezeichnete Art der Zusammenarbeit zeitgemäß gestalten? Geht das überhaupt?

Wurschteln positiv belegen

Der Blick auf die Art der Zusammenarbeit im beschriebenen Team zeigt mir einerseits die unter dem evolutionären Vorgehen bzw. die unter „Was ist Wurschteln“ beschriebene Haltung: Das Team macht das, was notwendig ist. Anstehende Aufgaben werden „auf dem kurzen Weg“ besprochen und dann wird gehandelt. Es wird offen, transparent und sehr authentisch kommuniziert. Meist ergeben sich auch gute Ergebnisse.

Dem Team zu spiegeln, dass die Art, wie sie arbeiten, im Kern die Art zeitgemäßer Zusammenarbeit ist, die Organisationen „dynamikrobust“, wie Gerhard Wohland sagt, oder auch „komplexitätssensibel“, wie Maria Herrmann hier im Podcast sagt, macht, war enorm befreiend. Als These zusammengefasst:

„Wir brauchen keine Hierarchien und müssen auch nicht grundlegend anders arbeiten!“

What, How, Why, oder: Erst die Arbeit, dann die Visionen

Jede*r kennt wahrscheinlich den „Golden Circle“ von Simon Sinek. Darin plädiert Sinek dafür, zunächst das „Why“, das Wozu oder die Mission (manche sagen auch Purpose 😉 zu bestimmen. Davon ausgehend ist dann das How, also Werte und Prinzipien der Zusammenarbeit und der Organisation und dann das „What“, das konkrete Produkt, die konkrete Tätigkeit zu bestimmen.

Bei Interesse lohnt sich immer noch das folgende Video:

Simon Sinek – Start With Why – TED Talk Short Edited

Für Neugründungen macht das von Sinek beschriebene Vorgehen mehr als Sinn. Aber für die Arbeit in und mit bestehenden Teams erachte ich die umgekehrte Reihenfolge sinnvoller. Entsprechend sind wir im beschriebenen Team vorgegangen:

What first!

Zuerst haben wir die aktuellen Tätigkeiten der handelnden Personen beschrieben. Wer macht eigentlich was im Team? Das geht wunderbar online (ich arbeite mit Zoom und Conceptboard).

Die entstandene Übersicht an (digitalen) Klebezetteln mit den Aufgaben der einzelnen Teammitglieder haben wir dann zu ähnlichen, zusammengehörigen Aufgaben geclustert. Schon allein dabei ergaben sich spannende Erkenntnisse: „Ja, das mache ich doch auch!“ oder „Eigentlich könnten wir das doch zusammenlegen?!“ waren immer wieder auftauchende Aussagen.

Schritt drei war dann die Definition von „Mandaten“ (warum ich lieber von Mandaten als von Rollen spreche, muss ich mal erläutern. Gemeint ist aber das Gleiche). Unter einem Mandat lassen sich Aufgabenbündel verstehen, die jeweils einen bestimmten Zweck erfüllen und aus verschiedenen Tätigkeiten bestehen. Mandate können damit unterschiedliche „Größen“ aufweisen. Teammitglieder können mehrere Mandate übernehmen (oder auch nur ein Mandat). Damit sind Mandate etwas anderes als „Stellenprofile“, die einen Menschen auf eine Stelle reduzieren. Mandate hingegen werden im Team anhand der Kompetenzen (können) und der Motivation (wollen) der Menschen basierend auf einem Auswahlverfahren vergeben. Mandate haben jeweils einen spezifischen Namen, die sich aus den Aufgabenclustern ergeben (dabei ergeben sich lustige Mandatstitel, bspw. Finanzministerin, Evaluator…).

An der Übersicht der sich ergebenden Mandate zeigt sich die aktuelle, reale Aufgabenstruktur der Organisation bzw. des Teams. Anstatt also zu überlegen, wie die Strukturen aussehen sollten, wird davon ausgegangen, wie ganz real gearbeitet wird.

Das „Was“ des Golden Circle liegt damit sehr greifbar vor dem Team.

How second!

Gleichzeitig ergeben sich über die Zusammensetzung der Mandate, über deren Struktur und Aufbau erste Hinweise auf das „Wie“ und die damit zusammenhängenden Werte und Prinzipien der gemeinsamen Arbeit.

Hinzu kommt, dass jetzt, nach der Sammlung der Aufgaben, der Raum gerichtet ist, um sich gemeinsam auf die Suche nach den Werten der Zusammenarbeit zu begeben, da schon bei der Sammlung der Aufgaben viele Diskussionen aufgekommen sind, die in den Vordergrund stellen, warum dies oder jenes so oder so getan wurde, wer warum welche Aufgaben übernommen hat und wo Redundanzen und Unstimmigkeiten herrschen. Damit ist es einfacher, sich bewusst zu werden, warum und wozu was in der Organisation und im Team getan wird.

Why third!

Außerdem ergibt sich der aktuelle Zweck, die Mission oder von mir aus auch der Purpose aus den konkreten Tätigkeiten in der Verbindung zu den Werten und Prinzipien. Der „Purpose“ ist damit nichts „abgehoben Ausgedachtes“, wie es oftmals in Leitbildern der Fall zu sein scheint. Der Zweck ist vielmehr ganz real an den aktuellen Gegebenheiten, Aufgaben und Notwendigkeiten orientiert.

Und wenn wir nicht mehr versuchen, die Zukunft der Organisation zu erzwingen, sondern sich diese evolutionär entwickeln kann, erwächst ein deutlich klareres Commitment der Teammitglieder zur Ausrichtung der Organisation.

Start with What! Oder: Selbstorganisation im Team ist Arbeit

Ich bin gespannt, ob die Ideen zu „Start with What“ auf Eure Resonanz treffen. Damit sieht zumindest der „Golden Circle“ nicht mehr ganz so golden aus 😉 Gerade die Arbeit in bestehenden Organisationen und die Arbeit im Team sollte sich daran ausrichten, was getan wird. Daraus ergibt sich häufig ein „Wie“ und das „Wozu“, da erfolgreiche Arbeit auch immer die Nutzer*innen der Leistungen im Blick hat und nicht im leeren Raum existiert.

Ich hoffe damit, dass in dem kurzen Beitrag deutlich wurde, dass gelingende Selbstorganisation im Team und in kleinen Organisationen kein Hexenwerk ist, keine esoterischen Selbstfindungstrips verlangt und auch keine neuen Stufen irgendwelcher Mindsets zu erklimmen sind.

Selbstorganisation im Team ist vielmehr die sehr handfeste Auseinandersetzung mit dem, was getan wird. Selbstorganisation im Team ist das, was Arbeit ist.

Denn darum geht’s:

Do, what’s needed.

5 Ideen zur Gestaltung lebendiger Organisationsstrukturen

Tags: , , , , , ,

Die Diskussion um neue Organisationsformen, zeitgemäße Organisationsentwicklung, die Gestaltung lebendiger Organisationsstrukturen oder das, was immer wieder als „New Work“ verkauft wird, kann zur Vorstellung führen, dass es genau zwei sinnvolle Logiken zur Strukturierung einer Organisation gibt:

Auf der einen Seite stehen traditionelle Hierarchiemonster, in viele Ebenen gestaffelte, pyramidale, hoch komplizierte, mit Stabsstellen versehene Organigramm-Konstrukte, gegen die die Pyramiden von Gizeh alt aussehen. Die Mitarbeiter* innen sind grauer als die Graumänner bei Momo und Frau Malzahn ist Chef. You know what I mean…

Auf der anderen Seite stehen sich evolutionär entwickelnde, einer integralen Logik folgende, dauermeditierende Hipsterbuden, die die Netzwerklogik so übertreiben, dass sie schon allein deswegen nicht ganz dicht sind, weil sie für alles und jeden offen sind. Matetee ersetzt Kaffee und das einzige Statussymbol sind die selbstgehäkelten, erkreiselten Pulswärmer. Da kann einem schon schwindlig werden…

Warum Polarisierung wichtig ist

Ja, ich überspitze, sehr bewusst. Aber eine Polarisierung ist (oder, besser: war) wichtig, um beide Seiten gegeneinander zu stellen und über die Polarität zu verdeutlichen, wo die Herausforderungen vor allem der formal-hierarchischen, einer technokratischen Management-Logik folgenden, bürokratischen Strukturen liegen. Und es bleibt wichtig, die beiden Pole aufzumachen, um zu verdeutlichen, dass Arbeit heute und in Zukunft anders sein muss, wenn wir die Herausforderungen unserer Welt gestalten wollen. Ich finde es immer wieder faszinierend, dass wir so sozialisiert sind, Arbeit immer in „oben und unten“ zu denken, immer in „Ich Chef, du nix!“ zu agieren, immer anhand von Belohnung und Bestrafung zu entscheiden. Das hat mit der Realität im Übrigen ganz wenig zu tun, denn: Wenn man genau hinschaut, sieht man die hinter der Formalstruktur liegende Beziehungsstruktur der Organisation ebenso wie die Struktur, die für die Wertschöpfung zuständig ist. Aber dafür fehlen uns oft die Worte.

Der andere, der von mir oben sehr abschätzig als sich evolutionär entwickelnde, einer integralen Logik folgende, dauermeditierende, türkise Pol, schreckt aber genauso ab, wie die erste Seite. Das kommt wiederum durch die Sozialisation: Das, was wir nicht kennen, macht erstmal Angst, löst Unsicherheit aus, lehnen wir ab. Das geht uns mit fremden Menschen und Kulturen so wie mit nervigen Pandemien und der Art, wie wir Arbeit denken und strukturieren.

Die Realität zwischen den Polen

Zwischen den beiden – wichtigen – Polen (unten zeige ich dann, dass es diese so auch nicht existieren) gibt es jedoch deutlich mehr Optionen der Strukturierung von Arbeit. Vor kurzem bin ich im Buch „Corporate Rebels: Make work more fun“ über die im Folgenden skizzierten fünf möglichen „Zwischenformen“ organisationaler Struktur gestolpert. Ich greife sie hier mal als Anregung auf und bin gespannt, ob und wo Du noch Ergänzungen siehst:

1. Das reine Verständnis darüber, wo die Wertschöpfung geleistet wird

In einem pyramidalen Organisationsbild erfolgt die Wertschöpfung an der Basis. Dass die Basis damit wichtiger ist als die Führung, ist für viele immer noch verwunderlich, denn es wird immer und überall so getan, als wäre „weiter oben wichtiger“. Das ist aber nicht so, denn Führungskräfte sind ohne Mitarbeiter* innen: Nichts. Eine erste Stufe ist somit schon erreicht, wenn Führungskräfte dies einsehen. Das muss nicht ganz oben geschehen oder als „die Menschen im Mittelpunkt“ im Leitbild festgehalten werden. Das ist im täglichen Handeln der Führungskräfte gegenüber ihren Mitarbeiter* innen viel wichtiger (und kostet tatsächlich einfach erstmal nichts). Die Feststellung, dass die Führungskräfte dazu da sind, den Mitarbeiter* innen zu ermöglichen, bestmögliche Arbeit zu leisten, verändert einiges im Unternehmen.

2. Selbstorganisiert Arbeiten

Unglaublich, aber wahr: Wenn die Gesamtorganisation den Weg hin zur sich selbst organisierenden Netzwerkorganisation nicht geht, hält Dich niemand davon ab, trotzdem in Deinem Team die Werkzeuge, Methoden und Tools selbstorganisierten Arbeitens anzuwenden. Warum nicht die Entscheidungen im Team mithilfe des Delegation-Board anders verteilen? Warum nicht andere Entscheidungswerkzeuge verwenden? Warum nicht die Meetings sinnvoll gestalten? Warum nicht Vertrauen im Team vor Kontrolle setzen? Einfach mal ausprobieren, wirkt Wunder (und vielleicht sogar auf die anderen Teams der Organisation).

3. Flachere Hierarchien

Bevor Du komplett auf Hierarchien in Deiner Organisation verzichtest, macht es vielleicht Sinn, einige Hierarchieebenen zu hinterfragen: Könnten wir die Bereiche XY nicht anders gestalten, so dass diese sich selbst organisieren, aber gleichzeitig die Verantwortung immer noch bei Bereichsleitungen (oder wie auch immer) liegen? Wichtig ist in dieser Form, dass sich die einzelnen Teams darüber bewusst sind, wie sie arbeiten: Wollen Sie klassisch mit einer Teamleitung agieren oder wollen sie selbstorganisiert ihre Arbeit erledigen? Denn wenn das nicht klar ist, besteht die Gefahr flacher Hierarchien: Die Komplexität für die Bereichsleitung ist viel zu hoch und nicht mehr überschaubar.

4. Netzwerkorganisation

Buurtzorg, ein beliebtes Beispiel in diesem Kontext, ist als Netzwerkorganisation zu verstehen: Autonom agierende Teams werden unterstützt durch ein kleines Zentrum, in dem vor allem administrative Aufgaben abgearbeitet werden. Eine weitere wichtige Aufgabe des head office ist die Unterstützung der Teams in Fragen der Selbstorganisation: Wie gelingt Entscheidungsfindung? Wie gehen wir mit Konflikten um? Wie realisieren wir Einstellungen? usw. Mit dem head office existiert somit nur noch eine Hierarchieebene oberhalb der Teams.

Hier erläutere ich übrigens, warum Du Buurtzorg nicht als Vorbild heranziehen solltest.

5. Eco-System autonomer Mini-Firmen

Hier wird Haier, ein chinesischer Industriekonzern, der weltweit Marktführer im Bereich Haushaltsgroßgeräte ist, angeführt. Allein das ist schon sehr verwunderlich: Nicht die kleine Berliner Software-Schmiede oder der Öko-Versand aus Freiburg, sondern ein international agierender Konzern mit weit über 70.000 Mitarbeiter* innen. Das Besondere ist, dass sich Haier für die aktuelle Strategie darauf vereinbart hat, ein vertrauenswürdiges Ökosystem und eine Co-Sharing-Plattform durch Reformen des Organisationsmodells zu werden. Auf der Homepage findet sich der Vergleich des Konzerns mit einer Stadt, die im Gegensatz zum klassischen Unternehmen auch in Zeiten des Wandels überleben wird (vgl. Auch Kevin Kelly, The Inevitable: Understanding the 12 Technological Forces That Will Shape Our Future).

Entsprechend diesem Bild ist Haier nicht als eine Firma zu verstehen, sondern als Zusammenschluss vieler „Mikro-Unternehmen“ zu einem Ökosystem, das sich den Herausforderungen der Zukunft anpasst: „Selbstorganisierende Mikrounternehmen mit Selbstunternehmertum bilden eine Grundeinheit der Wertschöpfung.“ (klick)

Was lässt sich daraus für die Gestaltung lebendiger Organisationsstrukturen lernen?

Meine zu Beginn eröffnete Polarität kommt an die Grenze:

Ja, auf der einen Seite der beiden Pole stehen klassische Unternehmen, die formal-hierarchisch strukturiert basierend auf einem technokratischen Management-Verständnis versuchen, die alte Welt zu bewahren. Traurigerweise laufen wir auch in der jetzt notwendigen Transformation unseres Wirtschaftssystems Gefahr, diese Unternehmen zu stützen, obwohl immer deutlicher wird, dass deren Betriebssystem am Ende ist (Lufthansa als Beispiel).

Der andere Pol jedoch existiert nicht: Wenn die Entwicklung von Unternehmen und Organisationen evolutionär gedacht wird, wenn Städte oder, noch besser, Ökosysteme als Grundlage der Gestaltung von Organisation gedacht werden, gibt es kein Ende, keinen zweiten Pol. Vielmehr stehen wir vor einer offenen Landschaft enormer Vielfalt, die durch uns gestaltet werden kann. Wieder einmal zeigt sich, dass diese Vielfalt nützlicher, resilienter und krisenfester ist, als Monokulturen.

Abschließend noch ein Gedanke zu sozialen Organisationen:

Es wäre denkbar (und mir sind die Hürden sehr wohl bewusst), gerade große Wohlfahrtsverbände so zu strukturieren, dass diese ebenfalls dem sich gegenseitig befruchtenden Gedanken eines Ökosystems entsprechen. Und ganz ehrlich: Auf dem Papier sind sie es in vielen Fällen schon. Wichtig ist aber, nicht den Verband als Organisation, sondern die darunter liegenden Organisationseinheiten, Beratungsstellen, Kindergärten, ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen… gesondert als je eigene Organisation zu betrachten. Um im Bild von Haier zu bleiben, ginge damit einher, die kleinen Einheiten mit allen Verantwortlichkeiten auszustatten, wodurch – so die Hoffnung – auch das Unternehmertum innerhalb der Einheiten gestärkt werden kann.


P.S.: Vielfalt ist im Übrigen auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene mehr als sinnvoll. Die absurden Geschehen in Amerika führen und gerade vor Augen, wie hoch problematisch gegensätzliche Lager ohne Gesprächsbereitschaft sind.

Das Subsidiaritätsprinzip als handlungsleitendes Prinzip zur Gestaltung zeitgemäßer sozialer Organisationen

Tags: , , , , ,

Meine These seit Beginn der Beschäftigung mit der Gestaltung sozialer Organisationen lautet: Soziale Organisationen sind (eigentlich) perfekte Organisationen, um den Herausforderungen gesellschaftlichen Wandels gewachsen zu sein.

Diese These begründet sich zum einen aus den vielfältigen Anforderungen unterschiedlichster Funktionssysteme, denen sich soziale Organisationen als pluralistische Organisationen gegenüber sehen: Soziale Organisationen müssen den Anforderungen des Wirtschaftssystems und des Politik- sowie Rechtssystems ebenso gerecht werden wie – je nach Arbeitsfeld – den Anforderungen des Bildungssystems oder des Gesundheitssystems. Ein Umgang mit dieser Komplexität kann nur gelingen, wenn die Organisationen nicht einem klassischen, zweckrationalen Organisationsverständnis folgen.

Zum anderen begründet sich die These durch die Art der Organisationen als „front-line organizations“: Auch wenn der Begriff arg nach militärischer Logik klingt, sagt er nur aus, dass die Wertschöpfung der Organisationen durch die Professionellen unmittelbar an der Basis erfolgt: Geschäftsmodelle Sozialer Organisationen (ja, sowas gibt es) basieren nicht auf der angeblich herausragenden Arbeit der Führungskräfte und schon gar nicht auf Maschinen oder digitalen Technologien, sondern auf der Arbeit von Menschen mit Menschen, in der Beziehung, im direkten Kontakt. Maschinen, digitale Technologien ebenso wie die Führung können (und müssen) Unterstützung leisten, damit die Arbeit bestmöglich umgesetzt werden kann.

Daraus folgt, dass Soziale Arbeit – wenn sie denn erfolgreich sein soll – nur durch selbstorganisierte, möglichst autonom agierende Teams gelingen kann: Die Menschen an der Basis entscheiden selbst, was in der jeweiligen Situation gut und richtig ist. Sie orientieren sich an ihrer Profession, ihrer persönlichen Haltung sowie an organisationalen Prinzipien.

Selbstorganisation wiederum ist eins der wesentlichen Prinzipien zeitgemäßer und damit „agiler“ (im Sinne von anpassungsfähiger) Organisationen. Die anderen Prinzipien sind – mit Blick auf die Menschen – Ganzheitlichkeit und – mit Blick auf die Vision – der organisationale Sinn. Ich habe bereits hier ausgeführt, warum Selbstorganisation, Ganzheitlichkeit und Sinn nicht nur als Prinzipien für zeitgemäße Organisationen, sondern auch als grundlegend für gelingende soziale Organisationen gelten können.

Subsidiarität als Grundprinzip der Selbststeuerung

Meine o.g. These wird – drittens – unterstützt durch das die Arbeit sozialer Organisationen prägende Subsidiaritätsprinzip. Jeder Studierende der Sozialen Arbeit lernt im ersten Semester wenn nicht die Bedeutung, so zumindest das Wort „Subsidiaritätsprinzip kennen. Zur Wiederholung des im Studium hoffentlich Gelernten:

„Das S.sprinzip ist ein Strukturprinzip einer freiheitlichen und menschenwürdigen Staats- und Gesellschaftsordnung. Es verpflichtet den Staat ebenso zur Aktivität wie zur Selbstbeschränkung. Es verpflichtet ihn zur Hilfe für die kleineren und untergeordneten Gliederungen (Länder, Kreise, Kommunen, Selbstverwaltungseinrichtungen), um der einzelnen Bürger und der Familien willen, aber es verbietet ihm auch die Intervention in deren Aufgaben, wenn diese sie aus eigenen Kräften erfüllen können. Können sie diese Aufgaben aus eigenen Kräften nicht erfüllen – z. B. im Bildungs- oder Sozialbereich – dann verpflichtet das S.sprinzip den Staat darüber hinaus, diese Aufgaben nicht gleich an sich zu ziehen, sondern Wege zu suchen, auf denen sich die Selbsthilfekräfte stärken lassen. Dem S.sprinzip eignet also eine positive, den Staat aktivierende, und eine negative, ihn abwehrende und zugleich vor Überforderung schützende Dimension. Beiden Dimensionen zugleich gerecht zu werden, ist das dauernde und häufig kontroverse Geschäft der Politik.“ (Spieker M. (2020): Subsidiarität).

Für mich ist insbesondere spannend, dass es dem Staat verboten ist, in die Arbeit und die Aufgaben der untergeordneten Teilsysteme einzugreifen, wenn diese sie aus eigenen Kräften erfüllen können. Wenn jedoch die eigenen Kräfte nicht ausreichen, wird die übergeordnete Stelle (der Staat, in diesem Fall) verpflichtet, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben: Die untergeordnete Stelle wird darin unterstützt, selbstbestimmt und autonom handeln zu können.

Übertragen auf Organisationen lässt sich festhalten, dass es unter Voraussetzung des Subsidiaritätsprinzips nicht rein selbstorganisierte Organisationen geben muss (und kann). Es ist jedoch grundsätzlich davon auszugehen, dass die an der Basis agierenden Kräfte von der übergeordneten Ebene darin unterstützt werden (sollten), sich selbst zu helfen – sofern sie ihre eigenen Aufgaben nicht allein bewältigen können.

Das Subsidiaritätsprinzip verlangt dienende Führung

Führung wird damit zur „dienenden Führung“: einer Führung also, die die Menschen an der Basis, dort, wo die Wertschöpfung sozialer Organisationen stattfindet, unterstützt, damit sie ihre Arbeit autonom und selbstbestimmt und damit bestmöglich machen können.

Gerade in Zeiten von Corona, von Lockdown und Homeoffice wird dies vielen Führungskräften schmerzlich bewusst: In der operativen Arbeit werden sie nicht gebraucht. Gebraucht werden sie aber, um die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die Arbeit auch unter erschwerten Bedingungen gut gelingen kann. Das kann die strategische Weiterentwicklung der Organisation bedeuten. Das kann aber auch bedeuten, einfach mal Pizza und Bier zu bestellen. Und im einfachsten Fall kann es bedeuten, den Mitarbeiter*innen zu vertrauen und einfach mal nichts zu tun. Wie im Subsidiaritätsprinzip angelegt:

Es ist der übergeordneten Stelle verboten, in die Arbeit und die Aufgaben des untergeordneten Teilsystems einzugreifen, wenn dieses die Arbeit aus eigener Kraft erfüllen kann.

Das Kapital sozialer Organisationen

Abschließend sei nur noch der Verweis darauf gestattet, dass es – nicht nur mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip – jeder Führungskraft mehr als einleuchten sollte, dass das wirkliche Kapital jeder sozialen Organisation bei den Menschen an der Basis liegt.

Die Menschen, die Sozialarbeiter* innen, die Pflegekräfte, die Erzieher *innen, sind in ihrer Entwicklung so zu unterstützen, dass sie ihre Arbeit bestmöglich, selbstbestimmt und autonom erledigen können. Das jedoch zeigt sich leider nicht in allen sozialen Organisationen, geschweige denn in der gesellschaftlichen Wertschätzung dieser Berufsgruppen. Klatschen allein hilft hier nicht.