Die Entwicklungen hin zu mehr Selbstorganisation, flacheren Hierarchien, kollegialer Führung, Selbstverwaltung und Co. freuen mich riesig. Als ich vor fast 10 Jahren begonnen habe, mich tiefer in das Thema einzuarbeiten, war es nicht absehbar, dass sich diese positive Entwicklung ergibt – und dann auch noch in Organisationen der Sozialwirtschaft, in Bildungseinrichtungen und selbst in Kommunen. Die Befassung mit dem Thema erfordert aber auch, nicht nur die positiven Seiten zu beleuchten, sondern immer auch die Herausforderungen zu betrachten. Ich bewege mich schon zu lange im Kontext von Hochschulen und damit der Wissenschaft, um einzig lustige Konzepte zu verkaufen. Das macht es aus unternehmerischer Perspektive nicht einfach: Auf der einen Seite etwas gut, richtig und wichtig zu finden und auf der anderen Seite immer wieder die kritischen Aspekte ansprechen zu müssen ist in der Kundenkommunikation nicht „lukrativ“ 😉 Aber ich will hier einen mir wichtigen, kritisch zu betrachtenden Aspekt im Kontext der Gestaltung selbstbestimmt agierender Teams bzw. der Selbstorganisation ansprechen: Es geht um Angst und Selbstorganisation.
Warum sagt niemand was???
Angst in Bezug auf selbstorganisierte Strukturen ist mir im Kontext der Diskussionen rund um die Waldorfschulen noch einmal sehr deutlich ins Auge gestochen (kurzer Transparenzhinweis: meine Kids gehen auf die Waldorfschule):
Ich weiß nicht, ob Du den Beitrag von Böhmermann vor zwei Wochen gesehen hast. Darin versucht er, die Waldorfschulen zu „enttarnen“, was ihm – so meine Perspektive – nicht wirklich gut gelingt. Es werden alte Kamellen aufgegriffen, die mit Blick auf die Waldorfschulen immer wieder und seit vielen Jahren diskutiert werden. Kurz: Eher unspannend, in Teilen schlecht recherchiert aber manchmal ganz witzig, und ja, meine Kinder können ihren Namen tanzen…
Bei näherer Betrachtung zeigt sich mir jedoch ein strukturelles Problem.
Waldorfschulen sind selbstverwaltet. Im Gegensatz zum klassischen Schulsystem gibt es keine Rolle „Schulleitung“, die von einer Person ausgefüllt wird, sondern Kreise, die sich mit bestimmten Themen (und natürlich auch mit der Schulleitung) befassen. Daneben gibt es an den meisten Waldorfschulen noch eine Geschäftsführung für finanzielle und rechtliche Fragestellungen. Die Strukturen der Waldorfschulen erinnern sehr, sehr stark an Konzepte wie die kollegiale Führung verbunden mit soziokratischen Elementen.
Soweit, so gut. Nein, vielleicht sogar: Soweit, so sehr gut. Wie oben geschrieben bin ich von dem Steuerungsmodell der Selbstverwaltung, Selbstorganisation oder kollegialen Führung überzeugt.
Und gerade in Bildungseinrichtungen und sozialen Organisationen macht diese Art „Führung“ bzw. „Steuerung“ Sinn:
„Auch weil in ‚front-line organizations die Organisationsmitglieder, die an der Grenze zur Umwelt tätig sind, wesentliche Informationen aus der Umwelt erhalten und für die Organisation verarbeitungsfähig machen können und weil diese Organisationsmitglieder bei der Leistungserbringung eine relativ hohe Autonomie herausbilden müssen, wäre eine Verortung von ‚Steuerung‘ vornehmlich an der Spitze der Organisation dysfunktional.“
(Gesmann, Merchel, 2019, 79)
Aber!
Ja, ohne ein aber geht es nicht.
Selbstverwaltung und Selbstorganisation funktioniert nur unter Bedingungen von „Angstfreiheit“.
Rosa Elefanten grillen
Nur dann, wenn die Strukturen der Selbstorganisation so gestaltet sind, dass die Mitglieder einer Organisation oder eines Teams tatsächlich in der Lage sind, ihre Anliegen, Kritikpunkte, Ängste, Herausforderungen … angstfrei zu äußern, kann sich die Kraft der Selbstorganisation entfalten.
Ab dem Zeitpunkt jedoch, wo rosa Elefanten den Raum betreten und nicht gegrillt werden, beginnt das Konstrukt zu wackeln.
Ab dem Zeitpunkt, wo Anliegen, Ängste, Probleme, vielleicht auch nur Vermutungen über gegebenenfalls in der Zukunft auftretende Probleme aus Angst vor Ablehnung nicht mehr geäußert werden, bekommt das selbstverwaltete System Risse.
Während in klassisch strukturierten Organisationen die Führungskräfte explizit dazu da sind, die Umwelt zu beobachten, Entscheidungen zu treffen und damit auch bei Fehlverhalten einzelner Organisationsmitglieder rigoros durchzugreifen, ist diese Zuständigkeit in selbstverwalteten Strukturen nicht mehr „qua Rolle“ (bspw. als Teamleitung, Geschäftsführung, Schulleitung…) gegeben.
Angst, unpopuläre Dinge anzusprechen kann dazu führen, dass eben niemand mehr auf die kritischen Punkte schaut, die Schwierigkeiten anspricht, Probleme benennt.
Und jetzt? Keine Selbstorganisation?
Nein, das ist sicher nicht die Lösung.
Dafür sprechen in komplexen und dynamischen Umfeldern viel zu viele Argumente für die kompetenzbasierte Verteilung von Führung, für Selbstverwaltung, für mehr Autonomie und Selbstbestimmung.
Wenn die Komplexität in der Umwelt der Organisationen steigt, ist es notwendig, die interne Komplexität ebenfalls zu steigern (im Gegensatz zum Versuch, der Komplexität mit mehr „top-down“-Regeln und -Vorgaben zu begegnen).
Insbesondere sehe ich hier drei Wege, die zu gehen sind, um dem Problem fehlender Angstfreiheit zu begegnen:
Der erste Aspekt ist ohne Frage die Stärkung der psychologischen Sicherheit im Team bzw. den jeweiligen Kreisen der selbstverwalteten Organisation. Dies gelingt bspw. durch gleiche Redeanteile aller Beteiligten. Das in der Sozialen Arbeit zu gewisser Berühmtheit gelangte Wollknäuel kann gute Dienste leisten. Wenn man etwas hipper unterwegs sein will nimmt man einen Talking Stick, der nur dem*derjenigen erlaubt zu sprechen, der den Stick hat.
Der zweite Aspekt zur Begegnung der strukturellen Probleme liegt in der Schulung von Kompetenzen und Fähigkeiten der Teammitglieder in Methoden selbstorganisierter Arbeit und gemeinschaftlicher Entscheidungsfindung. Wenn es gelingt, Probleme anzusprechen (psychologische Sicherheit) müssen entsprechende Entscheidungen zum Umgang mit den Problemen getroffen werden. Wie gehen wir um mit Menschen, die rechte Nazischeiße in unserer Organisation verbreiten? Eigentlich natürlich keine Frage, aber es braucht eben die gemeinsam getroffene Entscheidung, diese Personen – egal ob Kolleg*innen oder Eltern oder Klientel – aus der Organisation zu entfernen.
Der dritte Aspekt liegt wieder auf struktureller Ebene: Dadurch dass sich gerade in der Selbstorganisation schnell informelle Routinen ausbilden braucht es formale Strukturen und Regeln, die das gemeinsam vereinbarte Vorgehen, die Wege der Entscheidungsfindung etc. absichern. Hier könnte man von einer Art „Grundgesetz der Organisation“ sprechen, das unantastbare rote Linien in der gemeinsamen Zusammenarbeit definiert.
Damit ist zwar immer noch nicht zu 100% ausgeschlossen, dass sich hoch problematische informelle Netzwerke, Schweigen und Angst ausbilden. Das ist auch in klassischen, formal-hierarchisch organisierten Organisationen nicht gesichert.
Aber es sind zumindest Vorkehrungen getroffen, die eine Ausbildung entsprechend problematischer Strukturen besser verhindern.
Mut, der Angst zu begegnen
Abschließend nur noch der Verweis auf die Waldorfschulen (wenn ich schon damit eingestiegen bin): Die geschilderten Probleme in manchen Waldorfschulen (die es zweifelsohne gab), sind damit nicht in erster Linie ein Problem der Schulform. Sie sind – wie ich es häufig auch in anderen Kontexten erlebe – struktureller Natur.
Zusammenfassend gilt es, den Mut zu haben, bislang gelebte Strukturen, Routinen und Vorgehen in der Organisation in Frage zu stellen und diese aktiv zu bearbeiten.
Das kann gelingen, wenn man sich Zeit nimmt und ernsthaft an der Zukunft arbeiten will.
Quellen:
Gesmann, Stefan, und Joachim Merchel. Systemisches Management in Organisationen der Sozialen Arbeit: Handbuch für Studium und Praxis. Erste Auflage. Systemische soziale Arbeit. Heidelberg: Carl-Auer Verlag GmbH, 2019.
In meiner Arbeit in sozialen Organisationen habe ich es in den allermeisten Fällen mit Teams zu tun. Und in den wiederum allermeisten Fällen geht es darum, die Zusammenarbeit der Menschen in den Teams zu verbessern – durch die Einführung von Strukturen der Selbstorganisation, durch das Finden eines gemeinsamen Zwecks, durch die Entwicklung von Leitlinien, die Klarheit und Verbindlichkeit in der Zusammenarbeit schaffen sollen und so weiter und so fort… Aber vor der Einführung von neuen Strukturen, Methoden und Co. steht die Frage: Wo liegen eigentlich die Probleme genau, die behoben werden sollen? Um diese Frage zu klären, nutze ich unter anderem gerne das GRPI-Modell.
Dieses einfache, aber wirkungsvolle Modell will ich im Folgenden vorstellen. Dabei werde ich zunächst darlegen, was das Modell ist, um dann zu beschreiben, wie ich damit arbeite. Vielleicht ergeben sich daraus ja hilfreiche Optionen für die Arbeit in deinem Team und/oder Deiner Organisation?
GRPI-Modell – was ist das eigentlich?
Das GRPI-Modell wurde vom amerikanischen Organisationstheoretiker Richard Beckhard im Jahr 1972 entwickelt. Damit an dieser Stelle herzlichen Glückwunsch zum 50sten Geburtstag!
Das Modell lässt sich dazu verwenden, Ursachen von Problemen und Funktionsstörungen in Teams zu diagnostizieren.
Basierend auf der Diagnose kann dann die Effektivität, Produktivität, Qualität und die Effizienz der Teams gesteigert werden.
Das Modell nimmt die vier Schlüsseldimensionen Ziele (Goals), Rollen (Roles), Prozesse (Processes) und Beziehungen (Interpersonal Relationships) in den Blick, die aus Perspektive von Beckhard Konflikte in Teams verursachen, sofern diese nicht klar und transparent sind.
Sehr einfach stellt das Modell die folgenden Fragen:
„Tun wir die richtigen Dinge?“ (Goals)
„Tun die richtigen Menschen die richtigen Dinge?“ (Roles)
„Tun wir die richtigen Dinge richtig?“ (Processes)
„Tun wir die richtigen Dinge miteinander richtig?“ (Interpersonal Relationsships)
Etwas differenzierter ist unter den vier Dimensionen Folgendes zu verstehen:
Goals (Ziele) fragt nach dem Zweck des Teams: Wozu existiert das Team und was ist dessen Existenzberechtigung? Was soll es erreichen? Dabei geht es außerdem, darum, wer die Stakeholder des Teams sind, wer also was von den Ergebnissen des Teams hat.
Roles (Rollen) nimmt die Verteilung der Aufgaben im Team in den Blick. Dabei steht vorab die Frage im Zentrum, welche unterschiedlichen Rollendefinitionen es im Team gibt und wie klar oder wie unklar diese formuliert sind?
Processes (Prozesse) fokussiert auf die Arbeitsabläufe, Arbeitsmethoden, Regeln und Vorgaben, an denen sich das Team in seiner Arbeit orientiert. Wiederum steht im Zentrum, ob und wie klar diese Konditionalprogramme (wenn-dann-Regeln) formuliert sind und wie effektiv bzw. effizient diese sind.
Interpersonal Relations (Beziehungen) fragt nach der Atmosphäre im Team: Wie wird das Miteinander, der Teamgeist, Zusammenhalt und das gemeinsame Vertrauen bewertet und wo liegen Interventionsnotwendigkeiten?
In der Studie wurden etwa 180 Google-Teams untersucht, um Muster zu finden, die zeigen, warum einige Teams scheitern, während andere Bestleistungen erreichen. Relevant für gute Zusammenarbeit im Team ist demnach, dass alle Teammitglieder zu Wort kommen und der Umgang miteinander respektvoll und geprägt von Sicherheit und Verlässlichkeit ist (Interpersonal Relationsships). Außerdem sind Klarheit und Struktur relevant sowie ein Empfinden von Sinn und Selbstwirksamkeit (Goals, Prozesses, Roles).
Arbeiten mit dem GRPI-Modell
Zu Beginn habe ich geschrieben, dass ich das Modell implizit oder explizit in meiner Arbeit mit Teams nutze.
Implizit meint, dass ich es bei bestimmten Themenstellungen einfach „in meinem Kopf“ als Hintergrundfolie mitlaufen lasse:
Was ist das für ein Team, das ich hier vor mir habe?
Wo könnten Fragen liegen, die das Team beschäftigen?
Wie agieren die Teammitglieder miteinander?
Wo – an welcher Stelle des GRPI-Modells – liegen die größten Herausforderungen?
Basierend darauf entwickeln sich dann Hypothesen, die ich durch gezielte Nachfragen teste, um daraus für das Team, aber auch für mich bessere Handlungsoptionen zu generieren.
Explizit meint, dass ich das GRPI-Modell zu Beginn einer Zusammenarbeit als Grundlage für die Analyse des Teams nutze.
Dazu stelle ich – bspw. in einer Teamklausur – das Modell in einem ersten Schritt kurz vor und erläutere den Nutzen und die im Folgenden dargelegten Fragestellungen. Es ist von Vorteil, dass das Modell einfach zu verstehen ist. Und gleichzeitig ist zu betonen, dass es ein Modell ist und entsprechend niemals die komplexe Realität eines Teams vollständig erfassen kann.
An die Vorstellung des Modells anschließend werden die vier Dimensionen des Modells in der Tiefe beleuchtet. Dabei nutze ich die folgenden Fragestellungen.
Goals
Unklare Ziele und ein unklares Verständnis der gemeinsamen Ausrichtung und des Zwecks – den „purpose“ – des Teams führen zu enormer Ineffizienz und bieten ein großes Konfliktpotential.
Entsprechend gilt es, ein gemeinsames Verständnis von Zielen und dem Zweck des Teams zu generieren. Dazu sollte sich jedes Teammitglied zu Beginn allein und dann in Kleingruppen und abschließend des Gesamtteams über die folgenden Fragen verständigen (angelehnt an die Methode 1 – 2 – 4 – all aus den Libertin Structures):
Was ist der Zweck unseres Teams? Welchen Zweck wollen wir für wen erreichen?
Was genau soll das Ergebnis für die Nutzer_innen sein? Was wird sich für die Nutzer_innen verändert haben, wenn wir unser Ergebnis erreicht haben?
Wie messen wir unseren Fortschritt? Welche messbaren oder beobachtbaren Indikatoren legen wir an?
Welche Ziele, die wir erreichen wollen, leiten sich aus dem Zweck ab? Wie unterteilen wir die Ziele in Teilziele? Wie und wie oft finden Retrospektiven bezogen auf unsere Ziele und Teilziele statt?
Stehen unsere Ziele und die Art, wie wir an den Zielen arbeiten noch im Einklang mit unserem Umfeld? Werden die Bedürfnisse und Erwartungen unserer Stakeholder erfüllt?
Stehen alle im Team hinter unseren Zielen?
Roles
Ein klarer Zweck und daraus abgeleitete Ziele allein reichen noch nicht aus, um wirklich gut zusammen arbeiten zu können.
Wenn die Struktur des Teams sowie die Rollen und Verantwortungsbereiche unter den Teammitgliedern nicht klar sind und außerdem den Kompetenzen der Rolleninhaber_innen entsprechen, ergeben sich Probleme, Konflikte und Schuldzuweisungen.
Insbesondere stelle ich in der Arbeit mit Teams fest, dass Konflikte häufig auf sich überschneidende Verantwortungsbereiche zurückzuführen sind, die zu Machtkämpfen zwischen den Rolleninhaber_innen führen können.
Die Beantwortung der folgenden Fragen kann Klarheit über die Gestaltung funktionaler Rollen und Verantwortungsbereiche im Team bringen:
Welche Aufgaben fallen bei uns an, um unsere Ziele zu erreichen? Tragen die Aufgaben dazu bei, unsere Ziele zu erreichen oder beschäftigen wir uns vornehmlich mit uns selbst bzw. den internen Referenzen der Organisation?
Wer soll was tun? Wer ist für welche Aufgaben verantwortlich? Wer in unserem Team hat welche Befugnisse?
Sind unsere Rollen klar beschrieben und verstehen alle im Team ihre eigenen Rollen und Verantwortungsbereiche? Sind sich alle Teammitglieder über die Rollen und Verantwortungsbereiche der anderen Teammitglieder im Klaren?
Sind alle Teammitglieder mit ihren Rollen und Verantwortlichkeiten zufrieden? Passen die Rollen der einzelnen Teammitglieder mit ihren persönlichen Ambitionen (Wollen) und Fähigkeiten (Können) zusammen?
Processes
Unter den Prozessen sind alle formal beschriebenen (Routine-)Vorgänge (Konditionalprogramme) zu verstehen, die dem Team ermöglichen, Entscheidungen zu treffen, Konflikte zu lösen, Informationen auszutauschen etc.
Klar definierte und beschriebene Prozesse ermöglichen eine wirksame Zusammenarbeit bei der Problemlösung sowie eine offene Kommunikation.
Und die meisten Teams sozialer Organisationen, die ich kennenlernen durfte, verfügen nicht über ein klar definiertes Set an Prozessen, um ihre Routinetätigkeiten effizient zu organisieren.
Helfen können die folgenden Fragen:
Haben wir klar definierte Regeln und Vorgehensweisen für die Bearbeitung der Wertschöpfung der Norm (Routinen)?
Auf welche Weise teilen und speichern wir Informationen (bspw. aus Teamsitzungen)?
Wie gehen wir vor, wenn wir in einer Sache nicht einer Meinung sind und keine gemeinsame Basis finden können?
Wie bilden wir die „Schnittstelle“ zur Außenwelt? Wie sammeln wir irritationsrelevante Informationen und geben sie weiter? Wie gehen wir mit Einmischungen von außen um?
Wie gut sind wir in der Lage, Regeln für nicht standardisierte Themen (Wertschöpfung der Ausnahme) zu finden?
Interpersonal Relations
Teams sind keine Maschinen und lassen sich entsprechend nicht wie Maschinen denken, geschweige denn „steuern“.
Entsprechend gilt es, die Art und Weise, wie die Teammitglieder miteinander und mit der Gemeinschaft umgehen, in den Blick zu nehmen. Sie hat einen großen Einfluss auf den Geist, die Atmosphäre, die Teamkultur, das emotionale Wohlbefinden und die allgemeine Effektivität des Teams.
Hier lohnt wieder der Blick auf die Studie von Google, die dem Thema „Umgang miteinander“ enorme Bedeutung zuweist, wenn es um das Funktionieren von Teams geht:
Wie oben kurz angedeutet hing der Erfolg der Teams und damit die gute Zusammenarbeit nicht an der Zusammensetzung der Teams oder dem Führungsstil der Vorgesetzten und ebensowenig daran, dass ein bestimmter Persönlichkeitstyp in den Teams vorherrschend war („Wir brauchen nur die richtigen Menschen!“). Der Erfolg der Teams hing auch nicht daran, ob diese selbstbestimmt agierend, mit wenigen Hierarchien oder – ganz traditionell – streng „top down“ geführt waren. Relevant für gute Zusammenarbeit im Team war laut der Studie, wie die Teammitglieder miteinander umgingen: In guten Teams kamen alle zu Wort, der Umgang miteinander war respektvoll, geprägt von Sicherheit und Verlässlichkeit. Klarheit und Struktur war relevant sowie ein Empfinden von Sinn und Selbstwirksamkeit.
Damit rücken hier die folgenden Fragen in den Blick:
Wie interagieren die Teammitglieder miteinander?
Wie sehr unterstützen sie sich gegenseitig?
Gibt es eine solide Grundlage für gegenseitiges Vertrauen? Wie viel Vertrauen besteht zwischen den Teammitgliedern?
Wie steht es um die psychologische Sicherheit im Team?
Wie respektvoll ist die Kommunikation zwischen den Teammitgliedern sowie zwischen Teammitgliedern und Führungskraft?
Wie ist die allgemeine Atmosphäre innerhalb des Teams?
Wie viel zwischenmenschliche Konflikte gibt es und wie wird damit umgegangen?
An dieser Stelle ist es relevant zu betonen, dass sich Probleme und Konflikte zwar in den allermeisten Fällen auf Ebene der Interpersonal Relations zeigen, diese aber fast immer ihren Ursprung in unklaren Strukturen, Prozessen oder dem Zweck des Teams haben.
Entsprechend gilt der Grundsatz:
„change the System – not the people!“
Fazit
Ich hoffe, dass Dir das Modell und die Fragen helfen, Dein Team besser zu verstehen und vielleicht sogar die richtigen Interventionen an der richtigen Stelle vorzunehmen? Eine Rückmeldung zu Deiner Arbeit mit dem Modell würde mich sehr freuen – gerne direkt in den Kommentaren!
Eine Intervention kann sein, Leitlinien für die Teams zu erarbeiten. Dabei kann das GRPI-Modell gut als Gliederung dienen. Mehr zur Erarbeitung von Leitlinien in Teams findest Du hier.
Das GRPI-Modell ist ein – genau – Modell. Es hilft, die komplexe Realität zu vereinfachen und sprachfähig zu werden. Es ist aber nicht die Realität. Es eignet sich aus meiner Sicht sehr gut, ein tieferes Verständnis der Funktionalitäten und der Dysfunktionalität innerhalb von Teams zu bekommen. Aus diesen Entdeckungen lassen sich dann Hypothesen ableiten, die zu Interventionsmöglichkeiten werden können, um den Dysfunktionalitäten zu begegnen.
Aber ich will hier noch einmal betonen, dass wir zwar die Tendenz haben, Probleme auf der gleichen Ebene lösen zu wollen, auf der sie sichtbar werden. Die Quelle der zwischenmenschlichen Konflikte zwischen Teammitgliedern und zwischen Führungskräften und Teammitgliedern liegt aber in den allermeisten Fällen auf einer anderen Ebene, und eben meist auf der G-, R- und/oder P-Ebene.
Entsprechend ist es ratsam, bei der Analyse von Problemen, Konflikten und Dysfunktionalitäten im Team das gesamte GRPI-Modell zu betrachten und nicht nur die Ebene, auf der sich das Problem manifestiert. Und das Problem beginnt sehr, sehr häufig mit unklaren und nicht abgestimmten Zielen, unklaren Prozessen und/oder nicht transparenten Rollen und Verantwortungsbereichen.
Change the system – not the people!
Hast Du das Modell mal auf Dein Team übertragen? Und welche Ergebnisse haben sich gezeigt? Hinterlasse doch einen Kommentar, damit wir alle etwas von Deinen Learnings haben…
Innovation braucht Platz. Innovation gelingt dann, wenn Raum ist, Neues ins Leben (und in die Organisation) zu bringen. Hinzu kommt, dass der Blick auf die aktuellen Herausforderungen, vor denen nicht nur soziale Organisationen, sondern alle Organisationen und wir als Gesellschaft stehen, erfordert, dass wir weniger machen. Angesprochen sei nur die Herausforderung, schon jetzt und in Zukunft eine ausreichende Anzahl an Fachkräften für die Aufrechterhaltung der Sozialer Dienste zu rekrutieren. Hier habe ich dargelegt, warum dies zukünftig nicht mehr gelingen wird. Neben dringend benötigten Innovationen brauchen wir zukünftig auch Exnovation. Aber was ist Exnovation genau und wie kann Exnovation und damit das Aufgeben von lieb gewonnenen, aber nicht mehr wirksamen Angeboten, internen Strukturen, Prozessen und Denkweisen gelingen?
Das will ich im Beitrag erläutern. Dazu wird zunächst der Blick darauf gerichtet, was Exnovation bedeutet. Daran anschließend wird dargelegt, wie in Organisationen vorgegangen werden kann, um erfolgreich zu „exnovieren“.
„Durch Exnovation werden Nutzungssysteme, Prozesse, Praktiken oder Technologien, die getestet und bestätigt wurden, aber nicht mehr wirksam sind oder nicht mehr mit der Strategie übereinstimmen, abgeschafft bzw. zurückgenommen.“
Es wird betont, dass es um die Abschaffung von „durchaus modernen, aber aus unterschiedlichsten Gründen nicht mehr erwünschten Dingen, Handlungen, Verhaltensweisen und Verfahren aus der Welt“ (ebd.).
Das ist relevant: Exnovation heißt nicht, in der Organisation eine Kultur der Nicht-Innovation zu propagieren (hier wäre ich dann auch ausgestiegen, denn die Entwicklung von Innovation und übergreifend von Innovationskompetenz ist aus meiner Sicht immer noch hochgradig relevant für soziale Organisationen).
Exnovation – der Ausstieg, die Abschaffung, das Beenden – gehört zur Innovation zwingend dazu – wie die zwei Seiten einer Medaille.Dies wird am Beispiel der aktuell noch anstehenden Exnovationsprozesse des Atom- und Kohleausstiegs deutlich:
Um den Ausstieg aus ehemals innovativen, inzwischen aber zum Problem gewordenen Technologien gelingen zu lassen, ist Innovation erforderlich: Der unmittelbare Ausstieg aus den alten Energien führt zum Kollaps der Gesellschaft. Wir brauchen entsprechend neue, regenerative Möglichkeiten, unseren Energiebedarf zu decken.
Innovation allein führt jedoch ausschließlich zu einer Ergänzung des Alten und somit fortdauernden Parallelstrukturen, zu einem „immer mehr“. Im privaten Kontext sehe ich die Nachbarn, die zwar ein E-Auto fahren, dies aber nur zusätzlich zum vorher ausreichenden Benziner. Im organisationalen Kontext sehe ich die Bemühungen, „jetzt auch noch agiles (Projekt-)Management“ zu machen, irgendwas mit New Work einzuführen oder dringend „neue Angebote“ zu schaffen, ohne jedoch Platz und Raum zu schaffen, damit das Neue Raum zur Entfaltung finden kann. Die Art des „Immer-Mehr“-Denkens scheint universell zu sein:
„Wenn Dinge oder Ideen verbessert werden sollen, wird automatisch hinzugefügt. Besser bedeutet für die meisten Menschen vor allem: mehr. Mehr Funktionen, mehr Projekte, mehr Arbeit, mehr Zeug. Dass es auch zu Verbesserung führen kann, Elemente zu entfernen, bedenkt kaum jemand.“
Exnovation allein reicht jedoch ebenfalls nicht, da viele Prozesse, Wege und Möglichkeiten mindestens notwendig erscheinen, wenn nicht gar notwendig sind. Der Ausstieg aus der Atomenergie gelingt nur, wenn Alternativen vorhanden sind genauso wie der Umstieg auf E-Autos (wenn das überhaupt die Lösung ist…) nur gelingt, wenn eine ausreichende Ladeinfrastruktur vorhanden ist.
Und im organisationalen Kontext gelingt Exnovation vor allem, wenn alternative Wege von Angeboten, Strukturen, Prozessen denkbar und möglich sind.
Im verlinkten Beitrag des ÖkoInstitut e.V. wird auch verdeutlicht, dass Exnovation auf zwei Wegen erfolgen kann. Angesprochen wird
a) die durch Innovation vorangetriebene („natürliche“) Exnovation und b) die gesteuerte („künstliche“) Exnovation.
Natürliche Exnovation durch echte Innovation
Exnovation durch Innovation lässt sich vielleicht als „natürliche Exnovation“ bezeichnen:
Dadurch, dass sich Produkte, Dienstleistungen, Prozesse, Strukturen, Geschäftsmodelle etc. als „besser“ herausstellen, werden bestehende Strukturen, Angebote etc. verdrängt. Als Beispiele lassen sich Webstühle, Kassetten- und Videorecorder oder auch Kohleöfen in Haushalten anführen.
Die Parallelen zu evolutionären, also allmählich stattfindenden Veränderungen und Entwicklungen werden deutlich (danke, Stefan, für den Hinweis).
Aus meiner Sicht ist dieser Punkt für Organisationen der Sozialwirtschaft unter „Disruptionsgesichtspunkten“ spannend:
Die Diskussionen (und auch die Keynotes) rund um „die Digitalisierung des Sozialen“ haben immer wieder „disruptive Geschäftsmodelle“ als Bedrohungsszenario für soziale Organisationen vorangestellt: Organisationen wie betreut.de werden immer wieder gerne als Beispiel herangezogen ebenso wie die Geschichten von UBER oder AirBnB, die verdeutlichen sollen, dass ganze Branchen ins Wanken geraten können, weil es neue, meist plattformbasierte, digitale Geschäftsmodelle gibt, die eine echte Bedrohung für etablierte, traditionelle Branchen darstellten. An dieser Stelle ein kleiner Hinweis auf die Serie „The Playlist“ bei Netflix, die die Spotify-Story sehenswert nachzeichnet. Ach ja, Netflix, auch so ein disruptives Geschäftsmodell…
An dieser Stelle aber auch meine Skepsis bezogen auf die Entwicklungen rund um digitale Geschäftsmodelle in der Sozialen Arbeit:
Wirklich erkennbar ist die prognostizierte „disruptive Entwicklung“ nicht – bislang zumindest. Und auch über die digitalen Angebote hinaus ist eine Verdrängung bestehender Angebote der Sozialwirtschaft durch bessere Angebote aus anderen Branchen kaum zu erkennen. Hier ist anzuführen, dass die Sozialwirtschaft eine eher konservative Branche ist und Soziale Organisationen damit nicht unter dem gleichen Innovationsdruck stehen, wie es in anderen Branchen der Fall ist.
Im Gegensatz zur Zerstörung der Sozialwirtschaft durch digitale Geschäftsmodelle lässt sich die Sozialwirtschaft in den letzten Jahren und Jahrzehnten vielmehr als „die Wachstumsbranche“ Deutschlands bezeichnen. So schreibt sozial.de im Jahr 2018, dass „inzwischen (…) knapp sechs Prozent aller Erwerbstätigen zum Sozialwesen [tätig sind], 1991 waren es lediglich etwas mehr als drei Prozent. Das Wachstum habe sich vor allem in den vergangenen Jahren noch mal beschleunigt.“
Diese Entwicklung ließe sich einerseits als enorme Erfolgsgeschichte der Sozialwirtschaft beschreiben.
Andererseits wird deutlich, dass ein „weniger, aber besser“ nicht stattgefunden hat. So ist Zweck Sozialer Arbeit die Verringerung sozialer Problemlagen. Extrem (und natürlich deutlich unterkomplex) formuliert kann man sagen, dass Soziale Arbeit dann erfolgreich ist, wenn sie nicht mehr gebraucht wird. Aus dieser Perspektive betrachtet hat Soziale Arbeit versagt (was natürlich nicht allein der Sozialen Arbeit zuzuschreiben ist).
Dieses „Versagen“ liegt auch daran, dass bestehenden Systeme und damit auch das Sozialsystem und die darin agierenden Organisationen strukturell konservativ sind und zur Bestandswahrung bzw. zum Wachstum neigen.
ökonomische Pfadabhängigkeiten (Skaleneffekte, getätigte Investitionen und daraus resultierende Kapitalbindung)
infrastrukturelle und technologische Pfadabhängigkeiten (mangelnde Infrastrukturen für Neues)
organisationale Pfadabhängigkeiten (prozessuale und strukturelle Routinen)
nutzerbezogene Pfadabhängigkeiten (kulturelle Standards, Verhaltensroutinen und individuelle sowie kollektive Unsicherheiten mit Blick auf Neues).
Allein der Blick auf diese Pfadabhängigkeiten und die Übertragung auf die Sozialwirtschaft ergeben spannende Fragen:
Welche der genannten Pfadabhängigkeiten sind in unserer Branche bzw. explizit in Deiner Organisation dominant?
Wo bedingen sich Pfadabhängigkeiten gegenseitig?
Welche Pfadabhängigkeiten lassen sich in Deiner Organisation proaktiv anders und neu gestalten, um „natürliche Exnovation“ einfacher zu ermöglichen?
Aber klar ist: „Mit den etablierten Strukturen sind Akteure verbunden, die Interesse an einer Beibehaltung des Status quo haben“ (ÖkoInstitut, 12). Dies gilt auch und vielleicht sogar gerade in der Sozialwirtschaft.
Hier will ich betonen, dass es nicht ausreicht, auf die angeblich ach so innovationsunfreundlichen Verbände, Träger und sozialen Organisationen zu schimpfen. Denn Soziale Organisationen stehen als pluralistische Organisationen in vielerlei Abhängigkeiten. Bspw. ergeben sich auch auf Seiten der Kostenträger Interessen, die zur Beibehaltung der gegebenen Strukturen führen. Ohne in die Tiefe zu gehen führt die Aufteilung der Mittelzuwendung basierend auf den Sozialgesetzbüchern zu Abhängigkeiten, die zur Aufrechterhaltung der dahinterliegenden Systeme auf Seiten der Kostenträger führen, auch wenn ein alternatives Vorgehen nicht nur sinnvoller im Sinne der Nutzer*innen, sondern ggf. auch kostengünstiger wäre.
Ferner darf auch die individuelle Ebene nicht unberücksichtigt bleiben: Die Mitarbeiter_innen sozialer Organisationen haben das Interesse, an dem Status Quo festzuhalten und das, was sie tun, weiter zu tun und die Nutzer*innen sozialer Dienstleistungen, für die Soziale Arbeit anwaltschaftlich eintritt, haben (berechtigtes) Interesse an der Weiterführung von Angeboten und Dienstleistungen.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es natürliche Exnovation aufgrund der genannten Pfadabhängkeiten nicht leicht hat – unabhängig davon, ob auf individueller, organisationaler oder gesellschaftlicher Ebene.
Künstliche Exnovation durch Entscheidungen
Exnovation lässt sich aber auch steuern. Ich verwende hier den von mir „erfundenen“ Begriff der „künstlichen Exnovation“ zur Abgrenzung von der „natürlichen Exnovation“.
Und der Unterschied ist offensichtlich:
Künstliche Exnovation erfolgt nicht durch die Verdrängung bestehender Strukturen, Prozesse, Angebote etc., weil das Neue besser ist.
Künstliche Exnovation erfolgt durch getroffene Entscheidungen, dass bestimmte Angebote, Strukturen, Technologien etc. nicht mehr weitergeführt werden sollen bzw. dürfen.
Auf gesellschaftlicher Ebene sind hier vor allem politische Entscheidungen und damit Gesetze anzuführen, die bspw. bestimmte, umweltschädliche Technologien verbieten. Ein Beispiel hierfür ist das Verbot von FCKW oder das Verbot von verbleitem Benzin.
Aber auch hier wirken die oben beschriebenen Pfadabhängigkeiten:
Wenn politische Entscheidungen allein basierend auf gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen getroffen würden, müssten wir längst aus der Nutzung fossiler Energien ausgestiegen sein, innerdeutsche Flüge verbieten, Kreuzfahrten sowieso usw.
Aber es gibt Widerstände der von der Nutzung dieser Technologien und Systeme abhängigen Menschen und Systeme. Lobbygruppen wehren sich mit aller Macht gegen die offensichtlichen und dringend benötigten Entscheidungen.
Und auch innerhalb von Organisationen treten entsprechende Widerstände bei „künstlicher Exnovation“ auf: Mitarbeiter_innen wehren sich gegen zu treffende Entscheidungen und blockieren Wandel und notwendige Veränderungen aus Besitzstandswahrung und Eigeninteresse.
In sozialen Organisationen kommt hier noch eine Hürde hinzu, wenn es um das Einstellen von nicht mehr wirksamen, vielleicht ineffizienten Angeboten geht:
Es werden (oftmals sehr berechtigte) ethische Argumente angeführt, die ein Beenden von Angeboten erschweren. Bspw. führt das Einstellen eines spezifischen Angebots dazu, dass die Zielgruppe des Angebots keine Angebote und damit keine Unterstützung mehr erhält. Eine rein aus ökonomischer Effizienz getriebene Argumentation, wie sie in ausschließlich wirtschaftlich agierenden Organisationen der Fall sein könnte, greift hier (Gott sei Dank) deutlich zu kurz.
Anders hingegen sieht es beim Blick auf die oftmals massiv überbordende Administration aus: QM- und andere Prozesse, Dokumentation, Berichtswesen… Hier macht das umittelbare Einstellen, Aufhören und Weglassen, auch wenn keine neuen Lösungen vorliegen, oft mehr als Sinn!
Wie Exnovation gelingen kann
Wie aber kann Exnovation – egal ob natürlich oder künstlich – auch in sozialen Organisationen unter den geschilderten Herausforderungen gelingen?
Im verlinkten Beitrag, der auf Fragen der Nachhaltigkeit und der ökologischen Transformation abzielt, werden die folgenden Schritte benannt, die ich hier auf die Herausforderungen sozialer Organisationen übertragen will. Dabei ist auffällig, dass sich die Vorgehensweisen nicht wesentlich von gelingenden Veränderungsprozessen unterscheiden.
1. Alternativen fördern und Unterstützung finden – das Fundament für Exnovation
Es geht im ersten Schritt darum, Alternativen zum Bestehenden zu fördern und Unterstützung für Exnovation zu finden.
„So wie Transformationsprozesse Exnovationen brauchen, brauchen sie selbstverständlich auch Innovationen“ (ebd., 15).
Das alleinige Verkünden und Durchsetzen davon, dass Angebot XY zukünftig nicht mehr gebraucht bzw. stattfinden wird, wird sicherlich Bewegung in die Organisation bringen. Ob die Bewegung jedoch die gewünschte Richtung aufweist, ist fraglich. Das Wundern über massiven Widerstand, Frustration und mögliche Kündigungen der Mitarbeiter_innen ist dann nur noch naiv.
An dieser Stelle spielen attraktive Zukunftsbilder und anziehende Visionen einer erstrebenswerten Zukunft eine wichtige Rolle. Sie geben den Menschen in der Organisation Orientierung in der Transformation. Diese Zukunftsbilder sind somit als Fundament der Exnovation wie auch jedes anderen Veränderungsprozesses notwendig.
Hinzu kommt, dass die Dringlichkeit, Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit der Transformation ebenso wie der Weg hin zu einer neuen, anderen Zukunft verständlich vermittelt werden muss:
Warum ist es sinnvoll und notwendig, neue Wege zu gehen, zu denen auch Einschnitte gehören.
Über die Entwicklung eines attraktiven Zukunftsbild sowie die Vermittlung der Notwendigkeit der Veränderungen, über die Darlegung der Bedeutung der Exnovationen wird es möglich, inner- und außerhalb des eigenen Teams und der eigenen Organisation Unterstützer*innen zu finden, die den Weg mitgehen.
Dabei ist es nicht nur im politischen Geschäft, sondern auch innerhalb der Organisation relevant, „Koalitionen bzw. Kooperationen unter mehreren Akteuren zu bilden, die nach Möglichkeit unterschiedliche Ressourcen mitbringen und unterschiedliche Zielgruppen ansprechen“ (ebd., 15).
Wer sind die Menschen in der Organisation, die „koalieren“ wollen bzw. die Bock auf die anstehenden Entwicklung haben?
Wer sollte zum „Exnovationsteam“ gehören?
Welche Kompetenzen werden noch gebraucht und woher kommen diese – intern oder extern?
2. Möglichkeitsfenster nutzen – Timing für Exnovation
Wenn das Fundament gelegt ist, die Bedeutung der Veränderung vermittelt sowie ein attraktives Zukunftsbild erarbeitet und ein „Exnovationsteam“ etabliert wurde, stellt sich die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt:
Wann ist die bestmögliche Zeit, um tiefgreifende Veränderungen hin zur Exnovation anzugehen?
Wo zeigt sich ein „window of opportunity“?
Hierzu lohnt es sich, auf Krisen, Umbrüche und die erhöhte Sensibilität bezogen auf bestimmte Themen in der Organisation zu reagieren, um die damit einhergehende, breitere Bereitschaft zur Veränderung nutzen zu können.
Beispielhaft ist denkbar, die Einführung von selbstbestimmt agierenden Teams mit dem Weggang einer Teamleitung zu beginnen, da hier so oder so Veränderungen angestanden hätten.
Im Kontext der Kirchen könnten Bewegungen wie #outinchurch oder der missratene Umgang der katholischen Kirche mit den Missbrauchsfällen und der damit einhergehende gesellschaftliche Aufschrei als Möglichkeiten genutzt werden, echte, tiefgreifende Veränderungen anzugehen. Könnte…
Andere Möglichkeitsfenster können aber auch gesamtgesellschaftliche Krisen wie die Corona-Pandemie, aktuell die Krise rund um den brutalen Angriffskrieg auf die Ukraine oder ein extrem trockener Sommer darstellen. Hier sind die Menschen wiederum sensibilisiert für die Notwendigkeit, dass es „so nicht weitergehen kann“. Das „window of opportunity“ ist geöffnet.
Das „Warten“ auf ein entsprechendes Möglichkeitsfenster sollte jedoch dringend genutzt werden, Innovationen bereits anzudenken und soweit möglich vorzubereiten. Eine Auseinandersetzung mit der Einführung selbstbestimmt agierender Teams sollte vor der Einführung stattfinden, die Auswirkungen des Wegfalls von Angeboten sollten vor dem Wegfall von Angeboten bedacht werden und die Zeit, während wir auf den Kohleausstieg warten, sollte mit sinnvoller Politik, die massiv auf Innovationen rund um den Ausbau erneuerbarer Energien setzt, gefüllt werden. Und die Vermittlung eines attraktiven Zukunftsbilds sollte ebenfalls in der Wartezeit geschehen.
3. Gestaltung des Exnovationsprozesses
Eine Einstiegsfrage ist:
Müssen Exnovationen möglichst mit allen von der Veränderung Beteiligten bzw. Betroffenen konsensual ausgehandelt?
Oder reicht nicht auch das Treffen und die Durchsetzung der Entscheidung durch die Nutzung „formaler Macht“?
Hierzu schreibt das Heyen, dass „das Ausmaß der nötigen Zugeständnisse für Exnovations-Entscheidungen im Konsens mit den Betroffenen (…) von Fall zu Fall verschieden sein [wird] – abhängig von der Macht und dem Verhandlungsgeschick beider Seiten. Ausgehandelte Kompromisse werden nicht in allen Exnovations-Fällen notwendig, geeignet oder machbar sein. Bei hohen rechtlichen Hürden oder drohenden Strukturbrüchen scheint der konsensuale Weg aber empfehlenswert“ (ebd., 19).
Die Übertragung dessen auf Organisationen fällt nicht schwer, wenn man sich bewusst macht, wie massiv der Strukturbruch durch eine Exnovationsentscheidung sein kann.
Hier hilft die Unterscheidung zwischen Veränderungen erster und zweiter Ordnung (vgl. bspw. Kruse, P.; Schomburg, F., 2016, 9):
Veränderung erster Ordnung bedeutet, dass Veränderungen innerhalb einer bestehenden Struktur, bestehenden Prozessen und bestehenden Systemen vorgenommen werden. Veränderung erster Ordnung ist das „Basteln am System“. Es geht hier darum mehr oder weniger von etwas tun, was man sowieso tut, bestehende Prozesse besser, schneller oder präziser zu machen und inkrementelle Änderungen vornehmen. Veränderung erster Ordnung lässt das System mit seinen Ergebnissen bestehen, jedoch verändern sich die Mittel, um diese Ergebnisse zu erzielen.
Veränderung zweiter Ordnung hingegen lässt sich als „transformativ“, „revolutionär“, „radikal“ oder „disruptiv“ beschrieben. „Bei einer Veränderung zweiter Ordnung geht es um die Stimulierung kreativer Musterwechsel“ (ebd.). Es geht darum, bestehende Systeme grundlegend zu ändern, abzuschaffen oder umzugestalten. Veränderungen zweiter Ordnung sind für die meisten Menschen beängstigend – vor allem dann, wenn die Veränderungen von oben oder von außen auferlegt werden und sie Möglichkeit der Partizipation haben.
Bei Exnovationen bewegen wir uns vornehmlich auf der Ebene der Veränderung zweiter Ordnung. Denn es geht ja genau darum, nicht das bestehende System ein wenig besser oder anders zu gestalten, sondern in Kombination mit Innovation neue bzw. andere Optionen, Wege und Optionen zu eröffnen und damit das bestehende System durch einen kreativen Musterwechsel infrage zu stellen.
Hierzu bedarf es in den allermeisten Fällen die Beteiligung der Betroffenen, um nicht Gefahr zu laufen, die Gesamtorganisation bzw. die betroffene Organisationseinheit an den Rand des Zusammenbruchs zu bringen.
Gleichzeitig jedoch ist wichtig zu betonen, dass Beteiligung insbesondere in Organisationen nicht bedeutet, „bei allem mitentscheiden zu können“. Um Entscheidungen zu treffen gibt es in „traditionellen“, formal-hierarchisch strukturierten Organisationen die Rolle der Führungskräfte, die eine andere Verantwortung tragen als die Mitarbeiter_innen. Diese organisationalen Realitäten wiederum gilt es im Exnovationsprozess zu verdeutlichen, um nicht falsche Erwartungen auf Seiten der Betroffenen hinsichtlich ihrer Beteiligungsmöglichkeiten zu wecken.
Um es konkret zu machen, hilft ein Beispiel: Ein Komplexträger der Sozialwirtschaft analysiert sein Angebotsportfolio. Dabei wird deutlich, dass eine Sparte – nehmen wir mal den Bereich der Sozialpädagogischen Familienhilfe – zum einen nicht kostendeckend arbeitet und es zum anderen kaum mehr möglich ist, geeignetes Personal zu finden (wie gesagt, es ist ein Beispiel). In dem Bereich arbeiten 30 Menschen.
Eine einfache Entscheidung wäre jetzt, den Bereich zu schließen und die Mitarbeiter_innen irgendwo anders im Unternehmen zu beschäftigen. Diese Entscheidung wäre möglich. Diese Entscheidung – top-down – wäre jedoch mit enormem Widerstand der Mitarbeiter_innen verbunden.
Hinzu kommt, dass das Wegbrechen des Angebots der SPFH aus Perspektive der Nutzer_innen eine Lücke reißen würde: Die dringend benötigte Unterstützung für hoch belastete Familien fällt weg.
Aus Perspektive der Organisation kommt hinzu, dass der Wegfall des Angebots in der Außendarstellung zu echten Problemen führt: Die Wirkung in der Öffentlichkeit, die es hat, einen Angebotsbereich wegfallen zu lassen, ist gerade für soziale Organisationen nicht zu unterschätzen.
Was aber tun?
Bevor die Exnovationsentscheidung zur Einstellung des Angebots getroffen wird, gilt es, gemeinsam mit den beteiligten internen und externen Stakeholdern – Mitarbeiter_innen, Nutzer_innen und Kostenträgern – zu erarbeiten, wie eine Alternative aussehen könnte:
Wie kann es gelingen, die Zielgruppe anders, vielleicht sogar besser, zu erreichen und die notwendigen Kosteneinsparungen trotzdem realisieren zu können?
Ergeben sich vielleicht digitale Möglichkeiten in Ergänzung zur Arbeit mit den Nutzer_innen vor Ort? Lassen sich Prozesse der Arbeit deutlich effizienter gestalten, die zu Kosteneinsparungen führen? Lässt sich die Arbeit in der Kombination mit ehrenamtlichen besser realisieren? Lässt sich der Sozialraum der Nutzer_innen (Nachbarschaft, Netzwerke, Verwandtschaft…) besser in die Unterstützung einbinden? Welche Optionen ergeben sich, wenn man nicht mehr out of the box, sondern ohne Box denkt?
Vielleicht ergeben sich durch die Beteiligung der Mitarbeiter_innen Ideen und Ansätze, die bislang noch nicht berücksichtigt wurden. Vielleicht ergeben sich neue Angebotsformen, die das bestehende Angebot nicht ersetzen, aber anders gestalten könnten?
Vielleicht kommt man aber auch zu dem Schluss, dass es ohne Einstellung des Angebots nicht geht. Sollte es so sein, hat man aber zumindest ein gemeinsames Verständnis über die Notwendigkeit der Einstellung des Angebots geschaffen.
4. Zeit
Es kann sinnvoll sein, „Exnovationsprozesse durch Übergangsfristen zeitlich zu strecken und so den Widerstand zu reduzieren“ (Heyen, 2016, 20).
Der Ausstieg aus dem Verbrennermotor ist ein Beispiel für diese Streckung:
Ein unmittelbares Verbot würde zu massiven Problemen führen. Entsprechend wird den betroffenen Unternehmen eine angemessene Übergangsfrist eingeräumt, um ihre Produktion umzustellen und/oder neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Übertragen auf soziale Organisationen ist es relevant, hier mit notwendigen Entscheidungen nicht „hinter dem Berg zu halten“ und dann die Mitarbeiter_innen und die Nutzer_innen mit kurzfristigen Entscheidungen zu überraschen, sondern frühzeitig in die offene Kommunikation einzusteigen.
„Eine frühzeitige Entscheidung und Kommunikation ist auch im Sinne der Planungs- und Investitionssicherheit von Unternehmen, gerade in Branchen mit langen Investitionszyklen, aber auch von Arbeitnehmer/innen im Hinblick auf Berufswahl oder von Konsument/innen im Hinblick auf Kaufentscheidungen“ (ebd.).
Die frühzeitige Kommunikation ermöglicht es, neue Ideen, Geschäftsmodelle, Optionen, interne Strukturen und Prozesse zu entwickeln, die einen Ausstieg deutlich vereinfachen.
Die frühzeitige Kommunikation ermöglicht auf Seiten der betroffenen Mitarbeiter_innen dann auch, dass sie sich entweder innerhalb oder auch außerhalb der Organisation entwickeln können. Weiterbildungsoptionen können frühzeitig geplant und in Anspruch genommen werden.
Fazit, oder: Warum Weniger besser ist
Die aktuellen Herausforderungen, denen sich soziale Organisationen gegenübersehen, erfordern es, die „weniger schönen Seiten der Transformation“ in den Blick zu nehmen.
Die Neuentwicklung von Angeboten, Prozessen, Strukturen und Arbeitsweisen allein reicht nicht (mehr) aus, um die Herausforderungen bewältigen zu können.
Es gilt, den bisherigen Innovationsfokus zu ergänzen „durch eine stärkere Beschäftigung mit Exnovation: dem Ausstieg aus nicht-nachhaltigen Infrastrukturen, Technologien, Produkten und Praktiken“ (ebd., 26).
„Ergänzen“ bedeutet aber nicht „ersetzen“!
So wurde im Beitrag dargelegt, dass Exnovation nur mit der Schaffung von Alternativen sinnvoll gelingen kann.
Das alleinige Einstellen, Verlernen, Weglassen oder die Zurücknahme von Nutzungssystemen, Prozessen, Praktiken oder Technologien, die getestet und bestätigt wurden, aber nicht mehr wirksam sind oder nicht mehr mit der Strategie übereinstimmen, ist nur in wenigen Fällen sinnvoll und führt zu enormen Verwerfungen – in Organisationen ebenso wie in der Gesellschaft.
Wenn jedoch Reduzierung, wenn „weniger“ und damit Exnovation mit Innovation einhergeht, bleibt die Steigerung der Innovationsfähigkeit sozialer Organisationen auch und gerade in herausfordernden Zeiten wesentlich für ihre Zukunftsfähigkeit.
Denn: Ziel kann nicht sein, allein „weniger“ zu machen.
Ziel von Exnovation muss sein, „weniger, aber besser“ zu werden.
Eigentlich ein schöner Schlusssatz, aber eins will ich noch hinzufügen:
Wenn es uns als Individuen ebenso wie unseren Organisationen und der Gesellschaft als Ganzes gelingt, zu verinnerlichen, dass gerade das Weniger zu einem Besser führen kann und nicht zu einem Verlust, wird es möglich, neue Denk- und Handlungsräume zu öffnen.
Heyen, D. (2016): Exnovation: Herausforderungen und politische Gestaltungsansätze für den Ausstieg aus nicht nachhaltigen Strukturen. ÖkoInstitut Working Paper. Download am 04.11.22 unter http://www.oeko.de/fileadmin/oekodoc/WP-Exnovation.pdf.
Kruse, P.; Schomburg, F. (2016): Führung im Wandel: Ohne Paradigmenwechsel wird es nicht gehen. In: Geramanis, O.; Hermann, K. (Hrsg.): Führen in ungewissen Zeiten. Impulse, Konzepte und Praxisbeispiele. Wiesbaden: Springer Gabler. S. 3 – 15.
Zum anderen haben wir nichts, zumindest nichts Wesentliches dagegen getan – nichts gegen die Klimakatastrophe und nichts gegen den Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft. Bei beidem hätte es Lösungen gegeben. Der Umstieg auf erneuerbare Energien hätte nicht seit gestern (hat er?), sondern spätestens seit den 80er Jahren Priorität haben müssen. Genauso hätte es seit den 80er Jahren Bemühungen geben müssen, unser Sozialsystem und damit die sozialen Organisationen (und alles was damit zusammenhängt) umzugestalten. Haben wir nicht gemacht, beides. Und der Versuch, jetzt, hoppladihopp, etwas gegen den Klimawandel zu tun, ist zum Scheitern verurteilt.
Genauso ist der Versuch, den Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft mal eben so zu beseitigen und neue Fachkräfte für die Soziale Arbeit zu bekommen, zum Scheitern verurteilt.
Nur ein Beispiel: Da nehmen Komplexträger mit mehreren Tausend Beschäftigten viel Geld in die Hand, um ausländische Fachkräfte zu gewinnen (eine mögliche Strategie). Konkret fliegen mehrere Mitarbeiter:innen in der Welt herum, um als Ergebnis 3 (in Worten: drei) neue Fachkräfte aus irgendeinem afrikanischen Land zu uns zu holen. Das Ganze macht aus Schauseitenperspektive Sinn („Schaut mal, wir tun was! „). Aus Effizenzgesichtspunkten ist es:
Quatsch!
Worauf ich hinaus will? Ganz einfach:
Wir sollten aufhören, so zu tun, als könnten wir den Klimawandel „abwenden“ genauso wie wir aufhören sollten, viel Hoffnung (und Ressourcen) in Gewinnung neuer Fachkräfte zu investieren.
Nein, damit will ich nicht sagen, dass es – mit Blick auf das Klima – keinen Sinn macht, politische Entscheidungen für die Zukunft (der Menschheit, nicht der Welt) zu treffen, Kartoffeln regional einzukaufen und weniger Auto zu fahren. Im Gegenteil: Ich sehe keine wirklich großen, politischen Initiativen geschweige denn Entscheidungen, die wirklich langfristig etwas an der Klimasituation verändern würden. Diese wären dringend notwendig.
Genauso wenig will ich sagen, dass – mit Blick auf den Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft – jetzt alle Stellenausschreibungen beendet werden und soziale Organisationen nicht mehr an ihrer Arbeitgebermarke arbeiten sollten oder wir uns nicht mehr weiter um eine Steigerung des gesellschaftlichen Ansehens (und damit der Bezahlung) der Gesundheits- und Sozialberufe bemühen müssen.
Das Bild zeigt die aktuelle Situation. Mit ein wenig „Blick nach vorne“ wird die Situation nicht besser, wie bspw. diese Studie hier darlegt, die bis zum Jahr 2026 die Fachkräftesituation in den Blick nimmt – und zwar für die Sozialen Berufe sehr sicher. Hier mal die Top-5 der Top-30 Engpassberufe bis 2026 basierend auf der verlinkten Studie:
Wir sollten endlich damit aufhören, darüber zu lamentieren, dass es keine Fachkräfte gibt. Absurd wird das Lamentieren übrigens dann, wenn – Stichwort quiet quitting – darüber gejammert wird, dass die neue Generation nicht mehr 100% unter den aktuellen Bedingungen arbeiten will – also 120 %.
Ja, ist doch logisch…
Und auch wenn es etwas pessimistisch klingt sollten wir uns darüber freuen, dass der Sommer 2022 der kälteste Sommer mit Blick aus der Zukunft war. Und genauso sollten wir uns darüber freuen, dass die Fachkräftesituation aktuell so gut ist, wie nie mehr in den nächsten Jahren.
(Wenn wir uns schon gerade freuen, ein weiterer lustiger Aspekt: Die Bundesregierung verspricht – neben der Absurdität des Rechts auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder im Jahr 2026 – in ihrer „5-Punkte-Strategie“ zur Bekämpfung des Fachkräftemangels, die Möglichkeiten zur Kinderbetreuung weiter auszubauen! Kein Witz…).
Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft: Neu denken (und machen)
Die (kleine) Freude sollten wir zum Anlass nehmen, anstatt permanent am Status Quo zu hängen, damit zu beginnen, Alternativen zu dem zu entwickeln, wie wir aktuell Soziale Arbeit und Soziale Organisationen denken und strukturieren, um bestmögliche Soziale Arbeit leiten zu können.
Das klingt einfacher, als es im komplexen Alltag und unter den gesetzlichen Rahmenbedingungen ist, keine Frage.
Aber es ist notwendig.
Für mich ergeben sich sehr konkrete Ansatzpunkte bezogen auf den Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft, die aus organisationaler Perspektive für eine Soziale Arbeit der Zukunft und damit für eine #NewSocialWork angegangen werden können. Diese Punkte habe ich in den folgenden 8 Thesen zusammengeführt:
These 1: Qualität vor Quantität stellen!
Auf den ersten Blick klingt es hart:
Wir werden zukünftig nicht mehr alle Angebote und Dienstleistungen aufrecht erhalten können, wenn wir dazu nicht mehr eine ausreichende Anzahl an Mitarbeiter:innen haben. Wir werden Angebote einstellen müssen. Das wird auch dazu führen, dass Mitarbeiter:innen das, was sie bislang getan haben, nicht mehr tun können. Und es wird auch dazu führen, dass Nutzer:innen bislang vorgehaltene Angebote nicht mehr wahrnehmen können. Es gilt, Abschied zu nehmen.
Auf den zweiten Blick aber ist Loslassen hilfreich:
So ist es normal, dass Angebote, Produkte und Dienstleistungen – genauso wie Organisationen – einem Lebenszyklus unterliegen. Bedarfe von Nutzer:innen verändern sich und damit verändert sich auch die Frage des Überlebens von Angeboten. Faxgerätehersteller ebenso wie Hersteller von Filmen für die analoge Fotografie wissen das. Und ja, es gibt immer noch einige Firmen, Schulen und Verwaltungen, die gerne analoge Fotos per Fax verschicken würden – geht aber eben nicht mehr.
Entsprechend gilt es, das Angebotsportfolio Sozialer Arbeit kritisch in den Blick zu nehmen und genau abzuwägen, ob die Leistungen in der bereitgestellten Art und Weise weiterhin angeboten werden müssen.
Haben nicht manche Projekte und Angebote die Reifephase überschritten und werden als tote Pferde weiter geritten?
Das Abwägen, ob Angebote sinnvoll sind oder nicht, kann und darf in sozialen Organisationen aber nicht allein an monetären Kennzahlen festgemacht werden. Soziale Organisationen sind – sofern sie ihren Auftrag ernst nehmen – mehr als Unternehmen, die ausschließlich auf Profit ausgerichtet sind.
Aus meiner Perspektive kommt hier die Frage der Wirkungsorientierung in den Fokus. Dazu schreibt Sebastian Ottmann sehr passend:
„In Zeiten von knappen Haushaltsmitteln und eventuell drohenden Kürzungen von Zuschüssen und Finanzierungen von Angeboten der Sozialen Arbeit wird es immer wichtiger, die Wirkung und Relevanz der Angebote und Leistungen der Sozialen Arbeit darzustellen.“
Wie gesagt: Nicht nur drohende Kürzungen der Mittel, sondern auch Mangel an Fachkräften erzwingen diesen Blick.
Kurz:
Welche Wirkung entfalten Ihre Angebote?
Und woran halten Sie trotzdem fest?
Ich kann hier nicht in aller Breite auf das Thema Wirkungsorientierung eingehen. Dazu ist meine dringende Empfehlung, den Blog von Sebastian in den Blick zu nehmen.
Und – im Vorgriff auf die nächste These – gilt es, „Exnovationskompetenz“ zu entwickeln. Exnovation, das Wort gibt es wirklich und es lohnt sich, sich einmal damit zu befassen (zum Beispiel über diesen Beitrag zum Thema Exnovation):
Was kann weg?
These 2: Innovationskompetenz entwickeln!
Das Abschmelzen des Angebotsportfolios, die Exnovation, allein kann aber nicht die Lösung sein.
Zwar ist weniger manchmal mehr, aber es gilt parallel, innerhalb (und vielleicht auch außerhalb) der (noch) herrschenden gesetzlichen Rahmenbedingungen neue, wirksame Ideen zum Leben zu erwecken und damit Innovationen zu ermöglichen.
„Unter einer Innovation wird die zielgerichtete Durchsetzung von neuen sozialen Dienstleistungen, wirtschaftlichen, organisationsstrukturellen und -prozessualen sowie sozialen Problemlösungen verstanden, die darauf ausgerichtet sind, die Unternehmensziele auf eine neuartige Weise zu erreichen.“
Deutlich wird, dass sich Innovation und damit die Steigerung der Innovationskompetenz nicht ausschließlich auf die Neuentwicklung von Angeboten bezieht, sondern explizit auch auf den Blick in die Organisation, auf Strukturen, Strategien, Prozesse und Fragen der Neuorganisation von Führung und Zusammenarbeit innerhalb der Organisationen. Innovation ist damit ganzheitlich zu betrachten.
Innovation ist aber nicht immer das Große, Bahnbrechende, Krasse und „Disruptive“. Innovation kann auch das kleine Neue sein, das, was Sie vielleicht als „normal“ erachten.
Hier gilt es, hinzuschauen, wahrzunehmen und neue Möglichkeiten für wirksame Angebote ebenso wie für die Neugestaltung von funktionalen Strukturen und Prozessen zu testen – „in der Hoffnung, dass es besser wird“ (Wolf Lotter).
Was haben Sie in den letzten Jahren neu gestaltet?
Warum ist das gelungen?
Und wie können welche Innovationen dazu führen, wirkungsvoller zu arbeiten?
Mir fällt in vielen Organisationen auf, dass diese zwar von Innovation sprechen und auch willig sind, neue Wege zu gehen. Einen Prozess jedoch, wie aus einer Idee eine Innovation werden kann, haben wenige Organisationen. Hier habe ich beschrieben, wie die 4 Schritte zu einem lebendigen Innovationsmanagement aussehen können.
These 3: Organisationen an ihrem Zweck orientieren!
Die Kernfrage in der Arbeit mit sozialen Organisationen ist für mich:
„Passen die Strukturen der Organisation zum Zweck, den die Organisation verfolgt?“
Damit stehen zwei Dinge im Fokus meiner Beratungstätigkeit:
Welchen Zweck verfolgt die Organisation?
Und
Welche Strukturen weist die Organisation auf?
Hinter den Fragen stehen dann verschiedene komplexe Zusammenhänge: Bezogen auf die Strukturen zeigt allein die Unterscheidung von formalen und informellen Strukturen die sich eröffnende Komplexität. Und die Frage nach dem Zweck ist in sich hochgradig ausdifferenzierenden pluralistischen Organisationen, die unterschiedliche Arbeitsfelder bedienen (Komplexträger), nicht einfach und für alle Bereiche der Organisationen gleich zu beantworten.
Entsprechend gilt es, den Zweck nicht nur auf Ebene der Gesamtorganisation (bspw. im Leitbild), sondern auch innerhalb verschiedener Organisationsbereiche, Abteilungen, Arbeitsfeldern und auch Teams zu definieren:
Wozu sind wir (als Organisation, als Abteilung, als Bereich, als Team) da?
Aus der Beantwortung ergibt sich die Suche nach den für die jeweilige Einheit bestmöglich passenden – funktionalen – formalen Strukturen.
Dabei kann es – als ein Beispiel – für die Organisation funktional sein, selbstbestimmt agierende Teamstrukturen einzuführen (die nicht weniger Strukturen aufweisen, aber andere!).
Es kann – bei entsprechendem Zweck – genauso funktional sein, zunächst die Prozesse der jeweiligen Einheit zu analysieren, zu straffen und hinsichtlich komplexer und komplizierter Prozesse zu unterscheiden. Darüber lassen sich dann u.a. Digitalisierungsoptionen finden, die – wenn gut gemacht – Ressourceneinsparungen und Arbeitserleichterungen ermöglichen.
Noch einmal: Die Strukturen sollten funktional sein!
Für soziale Organisationen gilt übergreifend:
Wo, an welcher Stelle, in welchem Bereich, in welcher Abteilung und in welchem Team arbeiten wir funktional im Sinne des Zwecks der Organisation?
Wo zeigt sich „Verschwendung“ im Sinne von dysfunktionalen Strukturen, Arbeitsschritten und Prozessen?
Wo existieren nicht funktionale Fettpolster (Slack), die an anderer Stelle dringend benötigt und wirkungsvoller eingesetzt werden können?
These 4: Qualität und Kultur durch Strukturen gestalten!
Mit Blick auf den Fachkräftemangel steht im Raum, dass eine Aufweichung der Zugangshürden in soziale Berufe (bspw. durch die Einstellung von fachfremd ausgebildeten Menschen, durch die Abschaffung der Notwendigkeit, die staatliche Anerkennung vorzuweisen) zu einer abnehmenden Qualität Sozialer Arbeit führt.
Bevor ich meinen Gedanken ausführe: Auch aus meiner Sicht ist es erstrebenswert, wenn in Sozialen Berufen ausschließlich Menschen mit der bestmöglichen Qualifikation arbeiten würden. Dies sehe ich als unbedingt empfehlenswert an, da es in vielen Bereichen (bspw. Kita) um unser wertvollstes Gut – um unsere Kinder – und ingesamt ganz einfach um Menschen geht.
Aber so bitter es ist: Die Fachkräfte fehlen. Oft wird inzwischen nicht mehr von Fachkräfte-, sondern von Arbeitskräftemangel gesprochen. Die Einstellung von fachfremden oder weniger gut ausgebildeten Fachkräften als Arbeitskräfte ist die notwendige Konsequenz, um Angebote aufrecht zu erhalten (sofern sinnvoll, siehe oben).
Es bleibt keine andere Wahl, als Mitarbeiter:innen einzustellen, die wir uns hinsichtlich ihrer fachlichen Kompetenzen nicht „gewünscht“ haben. Hinzu kommt, dass Sie Menschen – selbst wenn sie die fachlichen Qualifikation erfüllen würden – hinsichtlich ihrer „Haltung“ oder ihrem „Mindset“ niemals einstellen würden, wenn Sie die Wahl hätten.
Die Wahl haben Sie aber oft nicht (mehr).
Theoretisch ausgedrückt verlieren damit Personalentscheidungen, die neben den Konditional- und Zweckprogrammen sowie den Kommunikations- und Entscheidungswegen als Strukturtypus von Organisationen (vgl. bspw. Kühl, 2016) fungieren, ihre Wirkkraft.
Entsprechend ist es notwendig, explizit auf die Gestaltung funktionaler formaler Strukturen in Ihren Teams und Organisationen zu achten:
Wenn Sie die Qualität Ihrer Angebote mit den vorhandenen Mitarbeiter:innen (Fach- wie Arbeitskräften) aufrecht erhalten wollen, müssen Sie die formalen Strukturen sehr klar gestalten:
Wer ist für was zuständig?
Welche Schritte sind – bspw. bei einer Eingewöhnung in der Kita – unbedingt einzuhalten?
Wie sind die Arbeitszeiten ausgestaltet?
Wie sind Vertretungsregelungen?
Wie verlaufen die formalen Kommunikationswege?
Und so weiter…
Die festgelegten formalen Strukturen, Prozesse und Abläufe (Konditionalprogramme) müssen übrigens nicht in Stein gemeißelt werden. Vielmehr sollten die Vorgaben in regelmäßigen Zeitabständen (Iterationen) in den Blick genommen und verbessert werden:
Wo hakt es?
Was passt – was nicht?
Wo ergeben sich Schwierigkeiten?
Welche sinnvollen Änderungen können wir vornehmen?
Denn es geht nicht darum, möglichst viele formale Vorgaben zu machen.
Es geht darum, funktionale formale Vorgaben zu machen, die Orientierung für Mitarbeiter:innen – unabhängig von ihren fachlichen Kompetenzen – ebenso wie Sicherheit für die Nutzer*innen bzgl. der zu erwartenden Leistung im komplexen Alltag bieten.
Kleine Anekdote: Ich hatte vor Kurzem ein Gespräch, indem mein Gesprächspartner mit Blick auf den Fachkräftemangel von der „notwendigen „McDonaldisierung“ Sozialer Arbeit sprach. Auch wenn das Bild bei vielen sicher auf Skepsis stößt und der Vergleich an vielen Stellen hinkt:
McDonalds hat es geschafft, durch klare Prozesse und Strukturen, durch eindeutige Konditional- bzw. „Wenn – dann“ -Programme, eine verblüffend gleiche Qualität (ohne Wertung 😉 an egal welchem Standort anzubieten. Die Pommes schmecken überall gleich! Das gelingt nicht durch eine umfassende Ausbildung aller Mitarbeiter:innen, in der diese „auf die Spur gebracht werden“ oder durch die Vermittlung des „purpose“ von McDonalds. Das gelingt auch nicht durch Mitarbeiterbespaßungsprogramme und gratis Obst. Das gelingt durch die klare Vorgabe von Arbeitsschritten, durch eindeutige Konditionalprogramme bezogen auf das, was zu tun ist.
Aber – dazu später mehr – diese Konditionalprogramme („wenn – dann“) sind in Arbeitsfeldern Sozialen Arbeit aufgrund der immer individuellen Interaktionen nicht mal eben so zu gestalten.
These 5: Studium ebenso wie interne Aus- und Weiterbildung entwickeln
Angesichts der Schilderungen der anzunehmenden Entwicklungen der Personalsituation ist es notwendig, Studium, Aus- und Weiterbildung zu überdenken.
Ich bin großer Fan der generalistischen Ausbildung Sozialer Arbeit auf Bachelor-Ebene. Menschen in Sozialen Berufen brauchen den breiten Blick, das Systemdenken, die Vernetzungen… um das ganze Bild des Menschen und der Systeme, in denen Menschen leben, und nicht nur einen Teilbereich (Körper, Psyche…) oder ein einzelnes Funktionssystem (Recht, Politik, Wirtschaft, Medizin…) berücksichtigen zu können.
Sozialarbeiter:innen (ebenso wie Erzieher:innen) sind Spezialist:innen für das Generelle.
Das wird bspw. deutlich, wenn man die „Internationale Definition Sozialer Arbeit“ in den Blick nimmt, die Soziale Arbeit als Disziplin und Profession definiert, die gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen fördert (bzw. fördern will).
Dahinter steht ein Menschenbild, eine professionelle „Haltung“:
Wir sind nicht die Expert:innen für die Lösung der Probleme der Menschen. Wir stärken die Autonomie und Selbstbestimmung der Menschen und befähigen sie darin, „es selbst zu tun“.
Wenn jetzt aber zunehmend Menschen als Arbeitskräfte ohne die notwendigen Fachkompetenzen und ggf. auch ohne bzw. mit einer anderen professionellen Haltung als Mitarbeiter:innen in die Organisationen kommen, sind die Professionellen gefragt, neben den fachlichen Fragen dieses sozialarbeiterische Menschenbild, diese professionelle Haltung Sozialer Arbeit in der Organisation mit Blick auf die Nutzer:innen aufrechtzuerhalten.
Die Fachkräfte sind aber darüber hinaus gefragt, nicht nur die Nutzer:innen sozialer Dienstleistungen, sondern auch die neuen Mitarbeiter:innen darin zu befähigen, „es selbst zu tun“.
Diese Haltung zur Befähigung zu mehr Selbstbestimmung und Autonomie, die im Studium bezogen auf die Nutzer:innen bereits Standard ist (oder zumindest sein sollte), ist damit zum einen bereits im Studium auszuweiten auf die Haltung und auch auf Methoden und Kompetenzen zur Befähigung der neuen Mitarbeiter:innen in den Organisationen zu mehr Selbstbestimmung und Autonomie.
Damit werden alle Fachkräfte zugleich auch Führungskräfte, was im Studium deutlicher als bislang zu betonen ist. Es gilt, im Studium neben dem Fokus auf die Nutzer:innen sowie deren Lebenswelten einen Fokus auf Organisation, Leitung und Führung ebenso wie auf Organisations- und Personalentwicklung zu legen. Kurz:
Das Organisationsbewusstsein der Fachkräfte Sozialer Arbeit ist zu stärken.
Denn: Fachkräfte Sozialer Arbeit müssen zukünftig verstärkt aktiv „als Führungskräfte“ in die Personalentwicklung der Mitarbeiter:innen, die nicht Fachkräfte sind, in den organisationalen Alltag eingebunden werden.
Daraus folgt neben der Weiterentwicklung von Studium und Ausbildung (was ziemlich lange dauern kann) auch die Notwendigkeit der Entwicklung der Personalarbeit innerhalb der Organisationen Sozialer Arbeit:
Es gilt, auch innerhalb der Organisationen und mit Blick auf das vorhandene Personal deutlich stärker zu analysieren und zu gestalten, wie die Fachkräfte in die Entwicklung der neuen Mitarbeiter:innen eingebunden werden können. Damit, um dies noch einmal zu wiederholen, werden alle Fachkräfte Sozialer Arbeit zu Führungskräften.
Wenn diese Entwicklung aktiv von den Organisationen – bspw. über entsprechend gestaltete Führungskräfteentwicklungsprogramme – angegangen wird, kann daraus ein Potential zur Mitarbeiterbindung erwachsen:
Es ergeben sich neue Aufgaben für die Fachkräfte in der Entwicklung der Mitarbeiter:innen. In der Fachsprache geht es um „job enrichment“ und damit um die qualitative Erweiterung des Aufgabenspektrums der Fachkräfte.
These 6: Führung leben!
A propos Führung:
Das mit den Strukturen ist ja nett, oder? Und wahrscheinlich haben Sie als Führungskraft an der ein oder anderen Stelle klare Vorgaben, Regeln und Prozesse und damit formale Strukturen und Konditionalprogramme eingeführt, um die Rahmenbedingungen und Arbeitsabläufe transparent zu gestalten?
Diese Gestaltung der Rahmenbedingungen – die Arbeit an statt in der Organisation – ist – so meine Auffassung – bereits ein Kern von Führung:
„Welche Strukturen und Rahmenbedingungen braucht es, damit unsere Organisation, mein Team etc. bestmöglich arbeiten kann?“
Führung dient dazu, formal bindende, manchmal auch unpopuläre Entscheidungen über die Rahmenbedingungen der Arbeit zu treffen, von denen andere tangiert werden.
Sonst bräuchte es keine Führung.
Die erste Frage bezogen auf Führung lautet damit:
Trauen Sie und Ihre Führungskräfte sich, Entscheidungen zu treffen, von denen andere betroffen sind?
Selbstverständlich können (und sollten an vielen Stellen) diese Entscheidungen gemeinsam, partizipativ im Team und nicht nur im stillen Kämmerlein vorbereitet werden.
Das Treffen der Entscheidungen kann dann entweder über Sie als Führungskraft direkt – top down – erfolgen oder aber – sofern funktional für den Zweck – gemeinsam im Team.
Dazu bedarf es dann aber ein Wissen über kollektive Entscheidungsmethoden, damit kollektive Entscheidungen nicht in bekannten, für alle frustrierende Minimalkonsense (Plural von Konsens ist Konsense, hab ich extra nachgeschaut…) enden.
Aber noch einmal: Sie als Führungskraft tragen die Verantwortung.
Offen bleibt damit jedoch, ob die durch Sie oder im Team vereinbarten formalen Regeln verbindlich eingehalten werden.
In vielen Gesprächen mit Mitarbeiter:innen und Führungskräften erlebe ich diesbezüglich ein „Verbindlichkeitsproblem“ in sozialen Organisationen:
Zwar sind (kollektiv oder klassisch) Vorgaben und Strukturen definiert und entschieden worden. Diese Entscheidungen werden jedoch – aus unterschiedlichsten Gründen – von den Mitarbeiter:innen nicht eingehalten.
Hier ist wiederum Führung gefragt:
Ist Führung in der Lage, die auf den ersten Blick unangenehmen Gespräche im Team zu führen und anzusprechen, dass Vereinbarungen nicht eingehalten wurden?
Gelingt es, die notwendige psychologische Sicherheit im Team herzustellen, um thematisieren zu können, warum wer (in welcher Rolle) was nicht zur Zufriedenheit erledigt hat?
Dabei ist relevant, zwischen Menschen und den Rollen der Menschen in der Organisation zu unterscheiden:
Nicht „der Klaus als Mensch“ ist doof, weil er seine Aufgaben nicht einhält. Aber Klaus erfüllt die an ihn gestellten Anforderungen in seiner Rolle (als Mitarbeiter, Führungskraft, QMB…) nicht.
Entsprechend gilt es hier, wieder auf die formalen Strukturen zu schauen:
Warum ist aus Sicht der Rolle (von Klaus) sinnvoll, dass bestimmte Strukturen, Regeln und Vorgaben nicht eingehalten werden? Sind diese vielleicht nicht funktional?
Was braucht es von der und für die Rolle, damit die funktionalen Vorgaben eingehalten werden können?
Und in allerletzter Konsequenz braucht es auch Wege, die Nichteinhaltung von funktionalen Vorgaben zu sanktionieren. Denn Organisationen sind nicht dazu da, dass sich die Mitarbeiter:innen in ihnen wohlfühlen und „machen können, was sie wollen“.
Organisationen sind dazu da, einen bestimmten Zweck bestmöglich zu erfüllen. Wenn die dazu notwendigen Bedingungen nicht erfüllt werden, kann die Mitgliedschaft in der Organisation – wie gesagt: in letzter Konsequenz – auch beendet werden.
„In der Organisation ist der Maschinenraum der Ort, an dem die Wertschöpfung geschieht und die Arbeit getan wird, die die Organisation legitimiert. Die Brücke der Organisation tut gut daran, dies sich immer vor Augen zuhalten und wertzuschätzen, indem sie den Maschinenraum mit größtem Respekt und seine Bedürfnisse ernst nimmt behandelt.“
Für soziale Organisationen gilt dies in besonderem Maße, da im Maschinenraum keine Maschinen, sondern Menschen (in ihren jeweiligen Rollen) arbeiten. Anders ausgedrückt:
Im Zentrum sozialer Dienstleistungen stehen individuelle und damit kaum standardisierbare, in der Regel immaterielle Interaktionen, deren Produktion und Konsumtion meist standortgebunden zusammenfallen (vgl. Gesmann, Merchel: 2019, 69).
Daraus folgt, dass Standard- bzw. Konditionalprogramme („wenn – dann“) bezogen auf den Zweck, das „Wozu“ oder den Inhalt der Arbeit nur an wenigen Stellen funktional sind.
Das scheint sich auf den ersten Blick widersprüchlich zu den Ausführungen oben. Dort habe ich doch geschrieben, dass – aus unterschiedlichen Gründen – Konditionalprogramme hilfreich sein können? Und ja, sind sie auch:
Die Vorgabe von Konditionalprogrammen, von klaren Regeln und einzuhaltenden Standards ist wichtig, um das „Wie“ der Zusammenarbeit zu regeln.
Bezogen auf das „Wozu“ und das „Was“ und damit den Inhalt Sozialer Arbeit sind Konditionalprogramme (vorgegebene Prozesse) hingegen wenig zielführend.
Vielmehr kommt es darauf an, dass die Menschen den Zweck ihrer Arbeit kennen, möglichst gut zusammenarbeiten, die Herausforderungen sozialer Arbeit anerkennen und mit den Möglichkeiten der Gestaltung guter Zusammenarbeit von Menschen (in Teams oder Gruppen) vertraut sind.
Dies wird jedoch in unserer Branche oftmals einfach vorausgesetzt:
Wir gehen davon aus, dass Sozialarbeiter:innen schon irgendwie und irgendwoher wissen, wie gute Zusammenarbeit gelingt.
Und wir gehen davon aus, dass Leitungskräfte darin geschult wären, Teams in ihrer Zusammenarbeit zu (beg-)leiten. Wer Sozialarbeiter:in oder Erzieher:in ist, weiß dass doch, oder?
In meiner Arbeit mit Teams und Organisationen zeigt sich jedoch häufig, dass dies nicht immer der Fall ist.
Basics der Funktionsweisen sozialer Systeme, Basics in der Gestaltung von Teamarchitekturen, Basics in Führung und Leitung von Teams in den komplexen und herausfordernden Alltagssituationen sind nicht oder kaum vorhanden – was (siehe oben) auch nicht verwunderlich ist, da dies nur in geringem Umfang Teil der Ausbildung ist.
Aus diesem „Nichtwissen“ wiederum folgen Entscheidungen der Leitungskräfte, die – mit externem Blick mehr als nachvollziehbar – wunderbar dazu geeignet sind, jegliche Motivation der Teammitglieder zu zerstören.
Entsprechend gilt es, den Ort der sozialen Wertschöpfung, den Maschinenraum und damit die Arbeit in den Teams an der Basis viel genauer in den Blick zu nehmen:
Was ist Zweck der Arbeit?
Was passiert „an der Basis“?
Was brauchen die Mitarbeiter:innen an der Basis, um ihren Job möglichst gut erledigen zu können?
Wie gelingt es, den Zweck bestmöglich zu erfüllen?
Es gilt darüber hinaus, Führungskräfte in ihrer Arbeit zu begleiten und zu entwickeln.
Wie werden Ihre Führungskräfte in ihrer Arbeit begleitet?
Haben Sie Zeiten und Räume, in denen sich Führungskräfte über ihre Arbeit austauschen können?
Haben Sie funktionale Führungskräfteentwicklungsprogramme?
Es gilt außerdem, Teamentwicklungen zu begleiten, Architekturen und Strukturen für gute Zusammenarbeit zu entwickeln und alles daran zu setzen, dass die Motivation der Mitarbeiter:innen (und damit auch die Motivation der Führungskräfte) nicht zerstört wird.
Oder in den Worten von Thomas:
„Daher gilt: Ab in den Maschinenraum. Hingehen, Beobachten, aufmerksam Zuhören, Verstehen und Wertschätzen.“
Denn die Konsequenz bei Nichtbeachtung ist klar:
Die wenigen noch vorhandenen Mitarbeiter:innen suchen das Weite.
These 8: Banden bilden!
Abschließend noch ein über die eigene Organisation hinausgehender Blick:
Kooperation wird zwischen sozialen Organisationen recht groß geschrieben.
So sind viele Organisationen und Einrichtungen in Wohlfahrtsverbänden zusammengeschlossen. Kooperation und gegenseitige Zusammenarbeit fällt entsprechend leicht.
Hinzu kommt, dass soziale Probleme in den meisten Fällen nicht monokausal zu lösen, sondern komplex und damit aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und anzugehen sind. Soziale Organisationen arbeiten – genau – mit Menschen und die Kooperation auf inhaltlicher Ebene ist notwendig, um den Menschen wirklich zu helfen.
Kooperation endet jedoch häufig da, wo die inhaltliche Ebene verlassen wird und es entweder um Geld („Welcher Verband bekommt den Zuschlag für welche Leistung?“) oder um Fachkräfte geht.
Dass Mitarbeiter*innen von einem Arbeitgeber zum anderen wechseln, wird nicht gerne gesehen. Teilweise gibt es bereits explizit ausgeschriebene Stellen, die bspw. Pflegekräfte von anderen Unternehmen abwerben sollen.
Anstatt jedoch gegeneinander zu arbeiten und sich die Fachkräfte streitig zu machen, macht es vielmehr Sinn, miteinander auch auf Ebene der Arbeits- und Fachkräftegewinnung und -bindung zu arbeiten.
Damit meine ich, dass Soziale Organisationen aus ihrem eigenen Denkraum heraus- und über den Tellerrand blicken und sich mit anderen – entweder fachlich ähnlichen oder regional an einem Ort befindlichen – Organisationen zu „Fachkräftenetzwerken“ zusammenschließen.
Dahinter steht die Überlegung, dass Fachkräfte aus unterschiedlichsten (persönlichen und anderen) Gründen die Organisation verlassen. Wenn es aber gelingt, einen Wechsel in eine andere Organisation (sofern Wechsel gewünscht ist) innerhalb des Netzwerks zu ermöglichen, ist die Person nicht ganz raus, sondern verbleibt zumindest innerhalb des Netzwerks.
Die Möglichkeit, innerhalb eines Netzwerks zu wechseln, setzt jedoch voraus, dass eine Kultur innerhalb der eigenen Organisation herrscht, in der ein Wechsel des Arbeitsplatzes bzw. der Organisation nicht abgestraft wird, sondern als Chance zu Entwicklung (der Menschen und der Organisation) erlebt wird.
Anstatt also den:die wechselnden Mitarbeiter:in für den Wunsch zum Wechsel zu kritisieren und ihm:ihr Steine in den Weg zu legen, sollten Möglichkeiten geschaffen werden, auch den Gang aus der Organisation (und idealerweise in eine Organisation im Fachkräftenwetzwerk) positiv zu begleiten. Daraus folgt, dass Mitarbeiter:innen ja auch wieder zurückkommen können.
Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft – Fazit
Die in diesem viel zu langen Beitrag (Danke für Deine Zeit an dieser Stelle) angesprochenen Thesen – bezogen auf die Möglichkeit, dem Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft zu begegnen – sind sicherlich nicht vollständig. So bin ich bspw. nicht auf die Möglichkeit der „Ausweitung der Arbeitsmarktpartizipation“ durch Weiterbeschäftigung von älteren Mitarbeiter:innen eingegangen, was aber viele Organisationen bereits sehr erfolgreich umsetzen („Senior Experts“).
Auch bin ich nicht auf die Notwendigkeit eingegangen, über Lobbyarbeit das Image Sozialer Arbeit weiter zu verbessern – auch wenn ich davon überzeugt bin, dass es eines anderen Ansehens Sozialer Berufe in der Gesellschaft und damit perspektivisch eine bessere Bezahlung braucht.
Ich bin auch nicht darauf eingegangen, dass es – davon bin ich zunehmend überzeugt – ein Aufbrechen der Versäulung in den Sozialgesetzbüchern braucht, um zu einer generalistischen und damit zurück zu einer wirksamen Sozialen Arbeit zu gelangen (vgl. dazu den Podcast mit Patrick Ehmann zur Integrierten Sozialberatung).
Aber die Veränderung des Images und das Aufbrechen der Versäulung in den Sozialgesetzbüchern sind nicht unmittelbar durch die Organisationen selbst beeinflussbar.
Mir geht es in dem Beitrag jedoch um einen anderen Blick auf die Herausforderungen des Fachkräftemangels und auf die in sozialen Organisationen vorhandenen Möglichkeiten zur Begegnung des Fachkräftemangels und der „Mitarbeiterbindung“ (ich mag das Wort nicht, da ich zumindest als Mitarbeiter nicht ge-, sondern eher verbunden sein will).
Daran zu glauben, dass sich kurzfristig etwas an der Quantität der gut ausgebildeten Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt ändert, ist so aussichtsreich, wie daran zu glauben, dass wir den Welthunger mit fünf Broten und zwei Fischen beenden. Die wundersame Fachkräftevermehrung wird kurz- und mittelfristig nicht stattfinden.
Die Suche nach neuen Fachkräften, die im gleichen System die gleiche Arbeit machen, ist entsprechend hoffnungslos.
Vielmehr gilt es, die Gestaltungsmöglichkeiten, die Organisationen haben, zu nutzen. Und die Gestaltungsmöglichkeiten liegen vornehmlich in der Gestaltung ihrer Strukturen und Rahmenbedingungen, unter denen Soziale Arbeit innerhalb der je spezifischen Organisation geleistet wird. Es gilt, sinnvolle Organisationsentwicklung zu betreiben.
Puh, ganz schön lang geworden. Aber was sind Deine Gedanken zum Thema? Hinterlasse doch hier gerne einen Kommentar! Würde mich sehr freuen…
In (nicht nur) sozialen Organisationen arbeiten wir meistens als Teams zusammen. Das wird meist unhinterfragt vorausgesetzt. Und selbst als „Solopreneur“, wie ich mich gerade verstehe, ist gute Zusammenarbeit mit anderen Menschen mehr als wichtig. Teamfähigkeit ist einer der wohl meistgefragten „Skills„, die in Stellenausschreibungen gefordert werden. Aber die Frage im Titel wird dadurch noch lange nicht beantwortet: Wie gelingt eigentlich gute Zusammenarbeit im Team? Dazu findest Du hier einige Ergebnisse einer Studie, die Google – bekannt unter dem Project Aristotele – durchgeführt hat.
Wie steht es um die Zusammenarbeit in Deinem Team?
Zu Beginn aber: Wie bewertest Du die folgenden fünf Fragen zur Zusammenarbeit in Deinem Team für Dich auf einer Skala von 1 (trifft nicht zu) bis 5 (trifft voll zu):
„Wenn ich im Team einen Fehler mache, wird mir das nicht übelgenommen.“
„Wenn meine Kolleg*innen sagen, dass sie etwas tun, halten sie sich auch daran.“
„Wenn wir im Team eine Entscheidung zu treffen haben, wissen wir, wie uns das gemeinsam am Besten gelingt. Wir haben einen effektiven Entscheidungsfindungsprozess.“
„Die Arbeit, die ich für mein Team mache, ist bedeutungsvoll für mich.“
„Ich verstehe, wie die Arbeit unseres Teams zum Erfolg unserer Organisation beiträgt.“
Natürlich kannst Du die Fragen auch gemeinsam mit Deinem Team beantworten. Lass doch mal nen Kommentar hier, was herausgekommen ist 😉
Mit der Beantwortung der Fragen erhältst Du einen ersten Überblick darüber, wie es um die Zusammenarbeit in Deinem Team steht.
Was ist eigentlich ein Team?
Ich werde auf diese Frage hier nicht vertieft eingehen, aber sie ist trotzdem wichtig, denn – wie einleitend geschrieben – gehen wir fast immer davon aus, dass dort, wo mehrere Menschen zusammenarbeiten, automatisch ein „Team“ arbeitet.
Es macht aber mindestens Sinn, zwischen Teams und Arbeitsgruppen zu unterscheiden.
Arbeitsgruppen lassen sind durch ein geringes Maß an gegenseitiger Abhängigkeit kennzeichnen. Sie basieren auf einer Organisations- oder Führungshierarchie (Abteilung). Arbeitsgruppen treffen sich ggf. regelmäßig, um Informationen zu hören und auszutauschen – you know die regelmäßig stattfindenden Teamsitzungen…
Teams sind hingegen in hohem Maße voneinander abhängig – sie planen die Arbeit, lösen Probleme, treffen Entscheidungen und überprüfen den Fortschritt im Rahmen eines bestimmten Projekts. Und am allerwichtigsten: Die Teammitglieder brauchen einander, um die Arbeit zu erledigen.
Tiefergehende Ausführungen zum Unterschied von Teams und Arbeitsgruppen finden sich bspw. hier und hier.
Für soziale Organisationen ergeben sich daraus einige Fragestellungen:
Seid ihr ein Team? Braucht ihr einander, um die Arbeit zu erledigen? Braucht ihr die verschiedenen Kompetenzen der Menschen im Team? Braucht es die Interdisziplinarität und die unterschiedlichen Fähigkeiten? Nicht umsonst habe ich das Bild der Feuerwehr für den Beitrag verwendet…
Oder erledigt jede*r von Euch seine Aufgaben, ohne auf andere Menschen angewiesen zu sein? Ist die interdisziplinäre Zusammensetzung vielleicht schön und hilfreich, aber nicht notwendig? Könnt ihr, wenn eine Person das Team verlässt, die Aufgabe nicht mehr zufriedenstellend erledigen und braucht es entsprechend jemanden mit zumindest ähnlichen Fähigkeiten? Oder macht ihr nicht einfach weniger von dem, was ihr ohnehin macht?
Das Projekt von Google konzentrierte sich auf Teams und damit auf Gruppen mit wirklich voneinander abhängigen Arbeitsbeziehungen. Entsprechend sind die Ergebnisse zu werten…
Gute Zusammenarbeit bei Google
Vorab: Das Project Aristotle von Google ist nicht neu.
Von 2012 bis 2014 wurden etwa 180 Google-Teams untersucht, „um Muster zu finden, die zeigen, warum einige Teams scheitern, während andere Bestleistungen erreichen“ (Wikipedia). Die im Rahmen des Projekts untersuchten Teams bestanden aus drei bis fünfzig Personen (mit einem Durchschnittswert von neun Mitgliedern).
Die Ergebnisse der Studie sind gleichwohl spannend (und je mehr ich mich mit Zusammenarbeit in Teams befasse, werden sie immer spannender):
Der Erfolg der Teams und damit die gute Zusammenarbeit hing nicht an der Zusammensetzung oder dem Führungsstil der Vorgesetzten („Der Fisch stinkt vom Kopf her…“).
Es ging auch nicht darum, dass ein bestimmter Persönlichkeitstyp in den Teams vorherrschend war („Wir brauchen nur die richtigen Menschen!“) ebensowenig wie darum, dass die Teammitglieder bestimmte berufliche Hintergründe hatten.
Und interessanterweise hing der Erfolg der Teams auch nicht daran, ob diese selbstbestimmt agierend, mit wenigen Hierarchien oder – ganz traditionell – streng „top down“ geführt waren.
Relevant für gute Zusammenarbeit im Team war vielmehr, wie die Teammitglieder miteinander umgingen:
In guten Teams kamen alle zu Wort, der Umgang miteinander war respektvoll, geprägt von Sicherheit und Verlässlichkeit. Klarheit und Struktur war relevant sowie ein Empfinden von Sinn und Selbstwirksamkeit.
Eigentlich gar nicht so schwer, oder?
Wie steht es um die Zusammenarbeit in Deinem Team?
Wenn Du den Status Quo des Stands der Zusammenarbeit in Deinem Team tiefer erforschen willst, kannst Du auch folgende Frageliste nutzen (die von Google als Leitfaden zur Verfügung gestellt wird, um die Effektivität der Zusammenarbeit zu bewerten):
Psychologische Sicherheit
Fühlen sich alle Teammitglieder wohl, wenn sie miteinander sprechen und gemeinsam Ideen entwickeln?
Haben alle im Team das Gefühl, dass sie auch Fehler machen dürfen?
Verlässlichkeit
Wenn Teammitglieder sagen, dass sie etwas erledigen werden, tun sie es dann tatsächlich?
Struktur und Klarheit
Kennen die Teammitglieder die Ziele des Teams und wissen, wie sie erreicht werden sollen?
Haben alle im Team das Gefühl, Eigenverantwortung zu tragen und eigene Projekte zu haben?
Sinn
Wird die Arbeit im Team auf Grundlage von Fähigkeiten und Interessen verteilt?
Gibt die Arbeit allen im Team ein Gefühl der persönlichen und beruflichen Erfüllung?
Selbstwirksamkeit
Haben alle im Team das Gefühl, dass ihre Arbeit bedeutsam ist?
Sehen die Teammitglieder, dass ihre Arbeit etwas zum Besseren verändert?
Entwicklungsfelder für gute Zusammenarbeit
Aus den Antworten auf die Fragen lassen sich Entwicklungsfelder aufspüren, mit denen ihr Eure Teamarbeit gestalten könnt:
Was könnt ihr tun, um zu besseren Ergebnissen in den einzelnen Bereichen zu kommen?
Dazu empfehle ich immer ein experimentelles, auf Hypothesen basierendes Vorgehen:
Macht die Ergebnisse der Befragung oben transparent (Pinnwand, Whiteboard…).
Leitet aus den Ergebnissen möglichst viele Handlungsoptionen als Hypothesen ab: „Wenn wir XY tun würden, würde sich Z verbessern!“
Einigt Euch auf eine (oder ein paar wenige) Hypothesen, die ihr testen wollt (Priorisierung bspw. durch Bepunktung der Hypothesen).
Legt die Rahmenbedingungen für den Test fest: Wie lange wollt ihr was genau verändern? Wann überprüft ihr die Ergebnisse mithilfe einer Retrospektive? Woran genau macht ihr fest, dass sich etwas geändert hat?
Feiert den Erfolg, passt die Vorgehensweise an oder beendet einfach den Versuch. Dann könnt ihr direkt die nächste Hypothese testen.
Was macht gute Zusammenarbeit für Dich aus?
Was ist richtig gute Zusammenarbeit für Dich?
Welche Strukturen und Rahmenbedingungen müssen aus Deiner Sicht gegeben sein, damit Zusammenarbeit gelingt?
Welche Eigenschaften und Fähigkeiten müssen die Teamkolleg*innen aus Deiner Sicht mitbringen, damit Zusammenarbeit im Team funktioniert?
Du kannst Deine Antworten gerne hier direkt in die Kommentare schreiben! Dann haben wir alle was davon 😉
Kennst Du Workshops oder auch Teamsitzungen, in denen direkt mit der Tür ins Haus gefallen wird? Oder anders: In denen direkt mit dem Abarbeiten einer Tagesordnung begonnen wird? Ich schon… Alternativ dazu starten Workshops und Teamsitzungen gerade im sozialen Bereich oft mit einer „Befindlichkeitsrunde“ à la „Wie geht’s uns denn heute?“ Beides macht wenig Sinn. Entweder sind die Teilnehmer*innen nicht wirklich bei der Sache, sind eigentlich noch im letzten Gespräch oder sonst wo verhaftet oder es beginnt eine Runde, in der nicht wirklich viel rauskommt (ohne, dass ich hier die Befindlichkeiten abwerten will). Besser ist in meinen Augen der Start in entsprechende Gespräche, Arbeitssitzungen, Workshops und Teamsitzungen mit einem Check In zu starten.
Warum Check In?
Der CheckIn vor dem eigentlichen Workshop dient dazu, Eure Ablenkungen zu beseitigen und Dir, dem Team oder den Teilnehmer*innen zu ermöglichen, sich ganz auf den Workshop und damit auf das Neue einzulassen.
Der Check In ist eine bewusste Vorgehensweise, bei der es nicht unbedingt um den Inhalt des Workshops gehen muss (aber kann), sondern darum, die eigenen Gedanken zu ordnen und die Zusammenarbeit zu fördern. Denn wenn man erkennt, was einen ablenkt, ist es einfacher, diese Dinge, diese Gedanken für die Zeit des Workshops beiseite zu legen und sich produktiv in das Thema einzubringen.
Oft ist es doch so, dass wir mit tausend anderen Dingen beschäftigt sind: Die einzuhaltende Frist für die Abgabe des Projektantrags steht vor der Tür, die Krankmeldungen flattern rein, die Kids zu Hause sind krank und die Partnerin musste auf eine wichtige Dienstreise. Und da steht die nächste Teamsitzung an (hier habe ich übrigens beschrieben, wie man Teamsitzungen gestaltet – aber sinnvoll!) und wir sollen jetzt auch noch einen Workshop zum Thema XY machen?
Ja, manchmal ist das so. Und deswegen braucht es die volle Aufmerksamkeit: Wir wollen nicht nur effektiv an den richtigen und oftmals wichtigen Dingen arbeiten, sondern auch noch möglichst effizient sein. Denn die (zeitlichen) Ressourcen sind enorm begrenzt.
Ein Check In bietet außerdem die Möglichkeit, schon zu Beginn des Workshops Stimmungen wahrzunehmen oder Probleme anzusprechen, die sonst den gesamten Workshop belastet hätten („Mir gehts heut nicht gut, weil…“ oder „Mich beschäftigt gerade, dass…“).
Check In – wie geht man vor?
Das Vorgehen ist denkbar einfach:
Bei einem Check In beantwortet jede*r Teilnehmer*in zu Beginn des Workshops (ach ja: oder zum Beginn der Teamsitzung) eine vorab durch den*die Moderator*in festgelegte Frage, die – wie gesagt – nichts mit dem Workshop zu tun haben muss (aber kann).
Es geht darum, schnell und einfach einzusteigen.
Wichtig ist jedoch, dass jede Person zu Wort kommt oder aber – in Online-Workshops – den Chat zur Antwort nutzt oder auf ein vorab vorbereitetes Whiteboard schreibt.
Ob online oder in Präsenz: Durch den Check In zu Beginn des Workshops
steigerst Du die gedankliche und körperliche Präsenz Deiner Teilnehmer*innen.
steigerst Du die gemeinsame Wahrnehmung als Team oder Gruppe.
bauen die Teilnehmer*innen Nähe und Vertrauen auf.
kommt jede*r zu Wort: Das Eis wird gebrochen und die Hürde, später Wortbeiträge zu leisten, sinkt deutlich, weil jede*r bereits in der Gruppe gesprochen hat.
werden online technische Probleme deutlich, die sofort behoben werden können.
können Stimmungen und Störungen wahrgenommen werden.
Macht ein Check In auch bei Online-Workshops Sinn?
Kurz: Auf jeden Fall!
In meinen Augen sind Check Ins gerade bei Online-Workshops besonders wichtig, da es keine räumliche Trennung zwischen dem vorherigen Termin, dem Füttern der Kinder, Katze, Kanarienvogel…, der klingelnden Waschmaschine und dem letzten Meeting gibt.
Du bewegst Dich räumlich nicht in ein anderes Setting. Entsprechend schwer ist es, Deine Dich beschäftigenden Gedanken hinter Dir zu lassen und Dich auf den Workshop einzulassen. Somit:
Gerade bei Online-Workshops sollte der Check In nicht fehlen.
Was ist zu beachten?
Wenn Du einen guten CheckIn machen willst, solltest Du drei Aspekte beachten:
Für einen guten CheckIn braucht es:
a) Relevanz
Eine relevante Frage nimmt Bezug auf das Thema und/ oder die Gruppe bzw. die Teilnehme*innen und passt zur Gruppe.
Der Fragestellung sind jedoch keine Grenzen gesetzt. Sie kann sich auf die Stimmung, die Gedanken oder die Neugierde der Teilnehmer*innen beziehen.
Manchmal macht es aber auch Sinn, Fragen zu wählen, die überraschen und zunächst wie ein Bruch wirken.
b) Dauer
Ein Check In ist nicht das Meeting.
Check Ins sollten entsprechend schnell gehen. Es geht nicht darum, dass eine Person fünf Minuten am Stück redet, sondern es soll schnell und dynamisch zugehen.
Je nach Dauer des Workshops kann die Dauer des Check In natürlich variieren. Für eine zweistündige Teamsitzung sollte der Check In aber nicht über 10 Minuten hinausgehen, bei einem zweitägigen Workshop kann das anders aussehen.
Mehr als 1 – 2 Minuten pro Teilnehmer*in sollten aber nicht überschritten werden.
c) Vorgaben
Damit Relevanz und Dynamik bleiben, macht es Sinn, die Erwartungen an die Antworten vorab klar zu kommunizieren. Klare Vorgaben, bspw. über die Länge der Antworten oder darüber, wer beginnt (online beginne ich immer „auf meinem Bildschirm oben links“, in Präsenz mache ich keine Vorgaben), geben den Rahmen vor.
Beispiele für Check In – Fragen
Wie gesagt: Beinahe jede Frage ist möglich. Wichtig ist jedoch, dass die typische Check In – Frage einfach, von jede*m zu beantworten und relevant ist.
Du kannst sehr allgemeine Fragen stellen (was sich empfiehlt, wenn sich Gruppen noch nicht gut kennen):
Was würdest du anstelle dieses Workshops tun, wenn es jetzt einen längeren Stromausfall gäbe?
Was war dein Lieblingsfach in der Schule? Warum?
Was würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen?
Wo möchtest du leben, wenn du in Rente bist?
Welchen Hashtag gibst Du Deinem Tag bisher?
…
Du kannst aber auch Fragen stellen, die sich auf das Thema des Workshops beziehen:
Was erwartest du vom heutigen Workshop?
Wie sieht die perfekte Zusammenarbeit für Dich aus?
Arbeitest Du lieber allein oder im Team? Und warum?
Wofür möchtest du den Workshop heute nutzen?
…
Ich selbst nutze als Inspiration für Check In – (und Check Out -) Fragen die Seite www.checkin-generator.de.
Die Fragen kannst du direkt nutzen.
In Online-Workshops lasse ich mich (und die Teilnehmer*innen) auch immer gerne überraschen:
Ich teile meinen Bildschirm mit der Seite www.checkin-generator.de, frage eine*n Teilnehmer*in nach einer Zahl zwischen 1 und 10 und klicke dann die Fragen durch. Daraus ergeben sich manchmal sehr passende, oft überraschende, spontane und ungefilterte Rückmeldungen.
Kennst Du diese nervigen Feedback-Runden am Ende eines Workshops? Jede Person sagt das, was die vorherige Person bereits gesagt hat – und eigentlich wollen alle nach Hause?
Das macht in meinen Augen wenig Sinn.
Vielmehr sollte – kurz und knackig – jede Person am Ende des Workshops (bzw. am Ende des Tages) kurz zu einer Check Out – Frage antworten, die Relevanz besitzt und als sauberer Abschluss dem Workshop bzw. der Sitzung einen Rahmen gibt.
Rückmeldungen können zu den wichtigsten Learnings des Workshops, zu noch offenen Punkten, zum Grad der Erfüllung der Erwartungen zu Beginn des Workshops, zur aktuelle Stimmung oder, oder, oder… gegeben werden.
Weshalb bist du traurig, dass das Meeting schon vorbei ist?
…
Workshops besser beginnen – und besser beenden!
Durch einen Check In (und den entsprechenden Check Out) kannst Du Workshops, Teamsitzungen etc. anders und in meinen Augen deutlich besser beginnen und enden lassen.
Die Teilnehmer*innen können wirklich ankommen. Sie können beim Workshop dabei sein. Die wenigen Minuten zu Beginn sind definitiv gut investiert, denn sie erleichtern das Ankommen und fördern das Vertrauen in der Gruppe.
Außerdem entfalten die kurzen, überraschenden Fragen (und vor allem die Antworten) manchmal echte Tiefenwirkung.
Sie sind in Präsenz genauso wie Online relevant.
Es gibt unendlich viele Check-in-Fragen, deshalb kannst Du sie auch immer passend zum Thema oder zur Gruppe auswählen.
Welches sind Deine Lieblingsfragen beim Check In? Hinterlasse doch einfach hier nen Kommentar, dann können wir alle davon profitieren…
Wie lernst Du? Diese Frage tangiert die aus meiner Sicht wichtigste Kompetenz für die Zukunft: Lernen! Lernen heißt in Zukunft vor allem selbstgesteuertes Lernen – Lernen also, das nicht formal vorgegeben, sondern frei gewählt ist. Ich lerne sehr gerne selbstgesteuert, je nach meinen individuellen Bedürfnissen, Interessen und Herausforderungen, die ich bewältigen muss. Dazu nutze ich – neben Büchern und Podcasts – Blogs. Hier will ich Dir die für mich 11 besten Blogs rund um agiles Management, Organisationsentwicklung und Co. vorstellen. Vielleicht ist da ja was für Dich Neues dabei, wenn Du im Sommer ein wenig Zeit hast, die Ferien genießt oder einfach sinnvolle Ablenkung auf Arbeit brauchst 😉
Thomas Michl ist ne Maschine! Er haut jeden Montag in seinen Links der Woche kuratierte Beiträge, Blog- und Podcastempfehlungen raus. Dabei beschäftigt er sich mit Produktivität, Lean Management, agilem Arbeiten und übergreifenden Management-Themen. Ich weiß gar nicht, ob es überhaupt einmal vorkam, dass die Links der Woche nicht erschienen sind. Und falls doch, war Thomas wahrscheinlich wirklich krank oder er hat das Internet ausgeschaltet… Ach ja, es lohnt sich übrigens, Thomas auf Twitter zu folgen.
Wo wir schon bei Thomas Michl sind… Er ist (noch) Vorsitzender des Forums Agile Verwaltung. Und die Macher*innen betreiben ebenfalls einen richtig guten Blog, in dem regelmäßig Beiträge zu unterschiedlichen Themen rund um Agilität erscheinen. Für mich ist es insofern spannend, die Beiträge zu lesen, weil es einige Parallelen zwischen der öffentlichen Verwaltung und den oftmals ähnlichen Strukturen sozialer Organisationen gibt. Und noch dazu ist die öffentliche Verwaltung ja auf Seiten der Kostenträger eng mit der Sozialwirtschaft verbandelt. Was auch in dem häufig als „verstaubt“ angesehen Verwaltungskontext möglich ist, wenn ein paar kreative Köpfe zusammenkommen und neu denken, ist beeindruckend.
Der Blog „Führung erfahren“ wird von Dr. Marcus Raitner betrieben. Marcus beschäftigt sich – wie der Name schon sagt – mit allen Themen rund um das große Wort „Führung“. Für mich ist der Blog insbesondere deshalb lesenswert, weil Marcus zum einen aus einem reichhaltigen Erfahrungsschatz schöpft und zum anderen richtig gut schreiben kann. Und falls Du was von Marcus in der Hand halten willst: Er hat das „Manifest für menschliche Führung“ verfasst – ein kleines, aber sehr hilfreiches Buch, das Führung für eine neue Arbeitswelt beleuchtet.
Seit einigen Jahren gibt es das „Versus Magazin“ – ein Online-Magazin mit tiefgehenden Texten rund um die Herausforderungen und Lösungen in Unternehmen, Verwaltungen und anderen Organisationen. Das Magazin gehört zu Metaplan, einer systemtheoretisch und organisationssoziologisch orientierten Beratungsagentur. Und das merkt man: Die Aufbereitung der Inhalte ist auf den ersten Blick oft verwirrend, irritierend und anders, manchmal kühl, manchmal theoretisch. Aber die Beiträge eröffnen einen realistischen Blick auf Organisationen, Agilität, New Work und alles, was sich in dem Kontext so bewegt. Das ist erfrischend anders und hilft mir sehr, meine eigenen Beratungsprojekte zu reflektieren und nicht (zu sehr 😉 den Management-Moden zu verfallen.
Auf Komfortzonen schreiben Dirk Bathen, Valentin Heyde und Jörg Jelden zu Haltungen, Denkmodellen und Workshop-Tools, die sie in Workshops, der Prozessbegleitung von Unternehmen und Initiativen und Beratungsprojekten nutzen. Ich finde auf dem Blog immer wieder tolle neue Herangehensweisen und Methoden für Fragestellungen, die in meinen Workshops auftauchen. Logo: Jede Methode muss zum Zweck, zur Gruppe, den Rahmenbedingungen… passen. Aber als Inspiration ist der Blog für mich Gold wert. Danke für Eure Arbeit!
kommunikato ist die Seite von Kato aka Karin Gildner. Neben ihrem großartigen Schreibstil, der mich immer wieder begeistert (sie hat nen ziemlich witzigen Newsletter), finde ich bei ihr immer wieder Buchrezensionen und Ideen für meine eigene Freiberuflichkeit. Und außerdem betreibt sie https://erzaehldavon.de/ – eine Website, die Vereine und Ehrenamtliche dabei unterstützt, mehr Sichtbarkeit für ihre sozialen Projekte zu schaffen. Und ja, da finden kleine wie große soziale Organisationen Ideen und Anregungen, wie sie ihre Kommunikation richtig geil (sagt man nicht mehr, oder?) machen.
In der Liste nicht fehlen darf der Intrinsify Blog. Auch wenn ich immer wieder etwas über die Art der Kommunikation stolpere (so richtig Augenhöhe fühlt sich anders an…) sind die Anregungen von Mark Poppenborg und Lars Vollmer (ich lasse den Dr. und den Prof. mal weg, OK? ;-)) richtig gut, um einen differenzierten Blick auf Arbeit, Organisationen und die Menschen darin zu bekommen. Schaut mal rein, dann könnt ihr euch ja einen eigenen Eindruck verschaffen 😉
Ah ja, neue Arbeit gibt es nicht nur in Deutschland. Für einen Blick über den Tellerrand hinaus empfehle ich die Corporate Rebels. Die beiden aus den Niederlanden stammenden Beteiber des Blogs – Joost Minnaar und Pim de Morree – schreiben schon lange zu den Themen New Work und der Veränderung der Arbeitswelt. Dabei liefern sie immer wieder inspirierende Einblicke in die Funktionsweisen anderer Organisationen in anderen Teilen der Welt. Auch hier wieder: Abkupfern von irgendwelchen Organisationsmodellen auf die eigene Organisation macht keinen Sinn, aber die Inspiration, wie es auch anders gehen kann, ist mehr als hilfreich.
Vielleicht gelingt es mir, mit diesem Post den lieben Thomas zu inspirieren, wieder mehr zu schreiben? Das ist ein wenig meine Hoffnung, denn ich habe seine Einträge in seinem Blog aka „Geschäftsführertagebuch“ sehr geliebt. Thomas ist Geschäftsführer des Stadtteilzentrums Berlin-Steglitz und außerdem Geschäftsführer der .garage Berlin – beides sehr inspirierende soziale Organisationen. Und ja, ich bin in meiner Lobhudelei vielleicht etwas befangen: Thomas hat mich vor Jahren dazu angeregt, meinen Blog zu starten. Danke dafür – unglaublich, was daraus geworden ist… Ach, und noch was: Es lohnt sich, auch in die älteren Beiträge reinzulesen.
Christian aka sozial-pr.net ist ebenfalls langjähriger Begleiter und Inspirator (sagt man das so?). Christian ist mein, nein, Christian ist DER Ansprechpartner, wenn es um digitale Kommunikation in sozialen Organisationen geht. Er bietet aber nicht nur gute Beratung, sondern immer wieder auch spannende Inhalte auf seinem Blog, in seinem Podcast und (da kann ich noch was lernen) in seinem Videocontent. Aktuell befasst er sich bspw. mit der Frage, ob und wie die Soziale Arbeit eine positive Systemveränderung unterstützen kann. Allein der Beitrag hat mich ziemlich zum Nachdenken gebracht und aller Voraussicht nach werde ich mich damit noch mal tiefer befassen…
Last but not least darf der Blog von Sabine hier nicht fehlen: Sabine ist aktuell Landesleitung Schleswig-Holstein bei der Caritas im Norden. Sie arbeitet damit nicht nur im, sondern vor allem am System der Sozial- und Gesundheitswirtschaft. Und in ihrem Blog setzt sie sich mit „Sozialer Arbeit im Wandel“ auseinander. Es geht um die übergreifenden Themen rund um soziale Organisationen, die Herausforderungen und Möglichkeiten der Digitalisierung im sozialen Sektor, neue Arten von (Zusammen-) Arbeit und vieles mehr. Dieser übergreifende Blick hilft mir immer wieder, mich zu verorten und meine eigene Arbeit zu reflektieren.
Blogs, Podcasts und Co.: Was inspiriert Dich?
Ich hoffe, bei den 11 besten Blogs rund um agiles Management, Organisationsentwicklung und Co. waren ein paar Anregungen für Dich dabei?
Aber hast Du noch Blogtipps, die es zu lesen lohnt? Oder noch übergreifender gefragt:
Welche Blogs, Beiträge, Podcasts rund um die Themen agiles Management, Organisationsentwicklung, Führung und Co. liest oder hörst Du?
Was und wie lernst Du dabei?
Lass doch gerne nen Kommentar hier oder schreib mir – dann lernen wir alle 😉
Kennst Du die Taylorwanne? Dahinter verbirgt sich ein Modell von Gerhard Wohland, das den groben historischen Verlauf der Marktdynamik und die jeweils dominierenden Produktionstypen sowie die Anforderungen an Kompetenzen der Menschen darlegt. Ich nutze das Modell gerne zur Erläuterung der Notwendigkeit zur Organisations- und Kompetenzentwicklung, die auch für soziale Organisationen von Bedeutung sind. Hier, in diesem Beitrag, will ich den Aufbau der Taylorwanne nicht erläutern, das kann viel besser bspw. hier kurz und übersichtlich nachgelesen werden. Vielmehr will ich das Tool zur Organisationsanalyse „missbrauchen“. Denn ich glaube, dass es hierzu gute Dienste leisten kann.
Der Anlass dieses Beitrags ist die Anmerkung einer Teilnehmerin in einem meiner letzten Führungskräfteworkshops. Sie bezog die Taylorwanne auf die Arbeit in ihrer Organisation. Konkret: Ihre Aussage war, dass sie das Gefühl hat, dass die Mitarbeiterinnen „in der vorindustriellen Zeit“ hängen geblieben sind. Mit Blick auf die Arbeit mit den Klient_innen war die Aussage:
„Wir arbeiten in einem „Meister-Lehrling-Modell“. Wir betrachten uns als die Meister, die bezogen auf die Klient_innen schon wissen, was richtig ist.“
Dieser für mich neue Blick auf die Taylorwanne hat dann zu einer intensiven Diskussion der Teilnehmer_innen geführt.
Organisationsanalyse – Betrachtungsebene 1: Soziale Arbeit aus der Meister-Lehrling-Perspektive
Die eine Gruppe konnte dieser Aussage sehr gut zustimmen:
Die Sozialarbeiter_innen agieren als Expert_innen für die Bedarfe der Klient_innen. Das ist ein grundlegendes Problem Sozialer Arbeit an der Basis: Die Professionellen agieren häufig als Expert_innen für die Belange ihrer Klient_innen. Die wirklichen, vielleicht von den Bedarfen der Sozialarbeiter_innen abweichenden Bedarfe der Menschen geraten dadurch leicht aus dem Blick bzw. werden bewusst nicht wahrgenommen, da sie für die Professionellen deutlich anstrengender, anders, neu… sind, als den gewohnten Stiefel zu fahren.
Übergreifend gedacht eröffnen sich für mich hier auch spannende Parallelen zu Fragen der Führung: Wo agieren Führungskräfte in einer „Meister-Lehrling“-Perspektive ala „Ich weiß schon sehr genau, was hier, in dieser und jener Situation richtig ist“? Auch die oftmals alles blockierende Aussage „Das haben wir hier schon immer so gemacht!“ fällt in diese Kategorie: Ohne alles Alte schlecht reden zu wollen, werden durch diese Haltung neue Entwicklungen, neue Bedarfe der Mitarbeiter_innen, Teams und der Organisation als Ganzes gar nicht in den Blick genommen. Die Orientierung am echten Bedarf der „Nutzer_innen“ findet nicht statt.
Organisationsanalyse – Betrachtungsebene 2: Soziale Arbeit als Fließbandarbeit
Andere Teilnehmer_innen hatten mit Blick auf die Taylorwanne jedoch eher den Eindruck, dass in ihrer Organisation versucht wird, die Arbeit mit den Klient_innen „tayloristisch“ zu gestalten. Es wird versucht – auch ausgelöst durch externe Anforderungen der Kostenträger – die Einrichtung auf Effizienz – auf eine Fließbandlogik – zu trimmen und in einer zweckrationalen Denkhaltung alle, alles und jedes in transparente, kausale Prozesse zu pressen.
Auch hier lässt sich wiederum ein etwas distanzierterer Blick einnehmen und auf „die Sozialwirtschaft“ als Ganzes schauen:
Es ist der Funktionslogik Sozialer Arbeit inhärent, tagtäglich Komplexität gestalten zu müssen. Organisationen der Sozialen Arbeit befassen sich in der Regel mit der sozialen Wertschöpfung der Ausnahme.
Hingegen sind die Finanzierungsstrukturen auf die Einhaltung von Vorgaben und Regeln und damit auf die Wertschöpfung der Norm bedacht.
Kurz zur Unterscheidung der beiden Begriffe:
Die Wertschöpfung der Norm fokussiert auf Probleme, für die bereits Lösungen erarbeitet wurden. Das Wissen über diese Lösungen kann per Vorgaben oder per Anweisung weitergegeben werden. Es werden „Prozesse oder Regeln eingerichtet, in die das Wissen so eingearbeitet wird, dass es bei dessen Befolgung zur Anwendung kommt. Auf dieser Idee basiert die gesamte tayloristische Organisationsführung“ (vgl. näher hier) und die Denk- und Handlungsweise der Kostenträger.
Die Wertschöpfung der Ausnahme ist hingegen die Lösung von Problemen, für die es noch kein Wissen gibt. In der Sozialen Arbeit ist jede_r Klient_in individuell zu betrachten, es lassen sich kaum Standardprogramme einrichten. Entsprechend braucht es „Ideen und damit Mitarbeiter, die in bestimmten Problemsituationen ein besonders gutes Gefühl für die passenden Ideen entwickeln“ (ebd.).
Hinzu kommt noch, dass die für die Bedienung der Anforderungen der Kostenträger notwendigen Prozesse, Regeln und Vorgaben in die Organisationen übertragen werden und dort zu unfassbar umfänglichen Prozessbeschreibungen, QM-Handbüchern und der irrealen Vorstellung der Führungskräfte führen, die Organisation zweckrational steuern zu können.
Historisch lässt sich die Entwicklung hin zu klassisch betriebswirtschaftlichen Prinzipien sowie tayloristischen Denk- und Handlungsweisen und damit zur Ökonomisierung und Managerialisierung der Sozialen Arbeit (vgl. bspw. Michael Meyer/Florentine Maier, 2018, 207) wunderbar nachzeichnen, sprengt hier aber den Rahmen des Beitrags.
Organisationsanalyse – Betrachtungsebene 3: Soziale Arbeit als Co-Creation
Wenn man sich die Taylorwanne in der Ausführung von Bernd Oestereich anschaut, wird auf der dritten Ebene deutlich, dass es in der aktuellen Zeit um Innovation, Experimentieren, um gemeinsames Neugestalten und um die Ko-Kreation neuer Lösungen geht. Die Frage nach dem „Wer“ (im Gegensatz zum „Wie“) und damit die Frage nach den individuellen Fähigkeiten rückt in den Vordergrund.
Übertragen auf die direkte Arbeit mit den Klient_innen in sozialen Einrichtungen eröffnet sich über die Ko-Kreation (näher dazu bspw. in dem Beitrag der Neuen Narrative) eine andere Sichtweise:
(Wo) sind wir in unseren Organisationen soweit, dass Klient_innen zu Co-Creator_innen werden?
In dem oben genannten Workshop, in dem das Thema aufkam, gab es bereits einige Führungskräfte, die ihr Team und ihre Organisation zumindest „auf dem Weg zur kokreativen Arbeit mit den Klient_innen“ beschrieben haben.
Erstmalig begegnet ist mir der Gedanke, dass die Nutzer_innen Sozialer Arbeit die KoKreator_innen ihrer Leistungen sind, bei Otto Scharmer in einem Video zur Theorie U begegnet:
Auf der von ihm beschriebenen vierten Ebene wird die Klientin zur „Co-Creatorin“ und der Sozialarbeiter zur Hebamme.
Hebamme? Klingt gewöhnungsbedürftig, oder?
Aber die Übertragung dieser Denklogik passt für mich ziemlich gut:
Eine Hebamme hilft dabei ein Kind, ein Wunder, etwas Unglaubliches auf die Welt zu bringen. Und im übertragenen Sinne geht es in der Sozialen Arbeit ja auch darum, dabei zu helfen, die in den Klient_innen verborgenen Stärken, die Möglichkeiten, das bislang Verborgene auf die Welt zu bringen. Es geht nicht darum, was die_der Sozialarbeiter_in im Bild des „Meisters“ für die Klient_innen als „Richtig“, als „sinnvoll“ oder „erstrebenswert“ oder gar „gesellschaftlich passend“ ansehen. Es geht – so heißt es in der Definition der Sozialen Arbeit – um die Förderung von Selbstbestimmung und Autonomie der Menschen.
Hebamme ist dazu ein sehr schönes, passendes Bild.
Exkurs: Die Führungskraft als Hebamme zur Ermöglichung von Co-Creation
Lässt sich das Bild der Hebamme aber auch übertragen auf die Führungsarbeit in Organisationen? Dazu ein kurzer Gedankenexkurs, weg von der Taylorwanne:
Organisationen sollten so gestaltet sein, dass sie ihren Zweck bestmöglich erfüllen können.
Führungskräfte sind aus dieser Perspektive in der Verantwortung, die Strukturen, Rahmenbedingungen, formalen und informellen Regeln und Rituale so zu gestalten, dass wiederum der Zweck bestmöglich erfüllt werden kann. Führungskräfte sind in meinen Augen jedoch nicht dazu da, an den ihnen anvertrauten Mitarbeiter_innen herumzubasteln (und trotzdem können sie gerne Vorbild sein ;-).
Zur bestmöglichen Erfüllung des Zwecks insbesondere sozialer Organisationen sind die Mitarbeiter_innen jedoch unabdingbar. „Der Mensch ist Werkzeug“ in allen Arbeitsfeldern Sozialer Arbeit. Wir haben keinen Hammer, keine Maschinen und keine Roboter, um die immer wieder individuellen Interaktionen mit den Klient_innen zu gestalten.
Entsprechend gilt es für Führungskräfte, Hebamme in Bezug auf die Kompetenzen und Fähigkeiten der Mitarbeiter_innen zu sein, um sie bestmöglich anhand ihrer Fähigkeiten einsetzen zu können.
Und insbesondere dann, wenn es um die zeitgemäße Entwicklung und Gestaltung der Teams oder Organisationen geht, sind Führungskräfte gefragt, als Hebamme das Neue, das Unerwartete, das Zukünftige auf die Welt zu bringen.
Fazit: Die Taylorwanne als Modell zur Organisationsanalyse sozialer Organisationen
Alle beschriebenen Ebenen sind – zumindest aus meiner Perspektive – nachvollziehbar und die Realität in den Organisationen zeigt, dass alle drei Betrachtungsebenen in sozialen Organisationen vorkommen. Teilweise lassen sich die Betrachtungsebenen unmittelbar im Sinne der Organisationsanalyse auf eine Gesamtorganisation beziehen, teilweise finden sich alle drei Ebenen mehr oder weniger ausgeprägt in einer Organisation, teilweise auch in einem Team.
Wenn Du die drei oben beschriebenen Betrachtungsebenen in den Blick nimmst: Wo steht Deine Organisation? Wo steht Dein Team? Und wo stehst Du?
Agierst Du und Deine Organisation in einem hochgradig individuellen, ausschließlich auf eine_n Klient_in zugeschnittenen Meister-Lehrling-Setting? Agieren Deine Mitarbeiter_innen als „Expert_innen“ für die Anliegen ihrer Klient_innen?
Oder herrscht in Deiner Organisation ein maschinelles, zweckrationales Denken vor? Wird versucht, alles in Prozesse zu pressen? Kommt Dir Deine Organisation wie ein bürokratisches Monster vor?
Oder betrachtest Du Dich als Hebamme und versuchst, gemeinsam mit den Dir anvertrauten Menschen – Mitarbeiter_innen wie Klient_innen – deren Potentiale in einem ko-kreativen Prozess auf die Welt zu bringen?
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Ein Modell – und sei es noch so eingängig – kann nie die komplexe Realität abbilden, aber für mich ist es hilfreich, diese drei Ebenen anzuschauen und mit der Realität in der Organisation und dem Team abzugleichen. Vielleicht hilft es Dir auch zur Organisationsanalyse oder für die Arbeit in Deinem Team? Freu mich auf Deine Einschätzung dazu (gerne in den Kommentaren)!
In Vorträgen und Impulsen habe ich in den letzten Jahren immer wieder postuliert, dass es für echte, tiefgreifende Veränderung in Organisationen das Committment der obersten Führungsebene braucht. Meine These war, dass nur dann, wenn die oberste Führungsebene, Vorstand oder Geschäftsführung, die Veränderung mitträgt, Veränderung und Transformation gelingen kann. Auf meiner Folie stand meist „Ohne oben geht es nicht!“ Aber ist das wirklich so? Blockieren wir durch das Warten auf die große Transformation oder die Entscheidungen der obersten Führungsebene nicht vielmehr den nötigen Wandel? Macht es nicht vielmehr Sinn, in seinem eigenen Spiel- und Handlungsraum zu schauen, welche Veränderungen angegangen werden können? Oder anders formuliert: Welche Rolle spielt das untere und mittlere Management im organisationalen Wandel? Darum geht es in diesem Beitrag.
Dazu werde ich zunächst auf die Rolle der obersten Führungsebene in Veränderungsprozessen eingehen um dann zu argumentieren, warum den unteren und mittleren Führungsebenen eine besondere Verantwortung im kontinuierlichen Wandel zukommt. Der Beitrag schließt mit einem Plädoyer für die eigene Freiheit.
Die Rolle der obersten Führungsebene in Veränderungsprozessen
Laloux schreibt in seinem immer noch beeindruckenden Buch „Reinventing Organizations“ (vgl. Laloux, 2014, 237ff), dass es zwei notwendige Bedingungen für echte Veränderung gibt:
„The research behind this book suggests that there are two ― and only two ― necessary conditions, in the following two spheres:
Top leadership: The founder or top leader (let’s call him the CEO for lack of a better term) must have integrated a worldview and psychological development consistent with the Teal developmental level. Several examples show that it is helpful, but not necessary, to have a critical mass of leaders operating at that stage.
Ownership: Owners of the organization must also understand and embrace Evolutionary-Teal worldviews. Board members that “don’t get it,” experience shows, can temporarily give a Teal leader free rein when their methods deliver outstanding results. But when the organization hits a rough patch or faces a critical choice, owners will want to get things under control in the only way that makes sense to them―through top-down, hierarchical command and control mechanisms.“
Andere Veröffentlichungen zum Thema Change und Veränderung sprechen ebenfalls vom „Erfolgsfaktor oberste Führungsebene“ (vgl. beispielhaft Eberhardt, 2013, 95). Und auch der Blick auf die Gestaltungsmöglichkeiten von Organisationskultur zeigt, dass, wenn „der einzige Hebel des Managements, die Organisationskultur zu verändern, (…) Veränderungen der Formalstruktur“ sind (Kühl, 2018), die Veränderungen der Formalstruktur formal zu beschließen sind. Und wer kann das tun? Die obere oder oberste Führung.
Wie häufig habe ich eine kleine Umfrage auf Twitter gestartet, die ebenfalls danach fragt, wer denn ausschlaggebend ist für gelingende Veränderungen in Organisationen:
Und, auch wenn die Frage zu unterkomplex ist, die Rückmeldungen zeigen wieder die besondere Bedeutung des obersten Managements (lest auch mal die Antworten unter dem Tweet, daraus ergibt sich ein differenzierteres Bild).
Wenn aber Laloux und viele andere Veröffentlichungen (und sogar Twitter!!!111!!!) die oberste Führungsebene als „make – or break factors“ (ebd., 238) definieren, ist zu fragen: Was genau ist das Ziel der dargestellten Veränderungen, was ist die Perspektive auf Veränderung?
Die Perspektive auf Veränderung
Laloux spricht – wenn er von „teal organizations“ spricht – von grundlegenden, tiefgreifenden Veränderungen in der Art, wie Organisationen funktionieren. Seine Ausführungen und die Beispiele wie Buurtzorg in den Niederlanden sind mehr als beeindruckend und – für mich zumindest – als erstrebenswerte Vision einer Arbeitswelt der Zukunft in jedem Veränderungsprozess als Hintergrundfolie mitzudenken.
Aber diese Hintergrundfolie einer erstrebenswerten „New Work“ zeigt das Bild großer Veränderungsprojekte, das Bild der Transformation der Grundlogik, wie wir in Organisationen arbeiten. Es geht in vielen Veröffentlichungen zum Thema Change, New Work und Transformation um enorme, langwierige und aufwendige Veränderungsprozesse, die die „DNA der Organisation“ verändern. Es geht um Veränderungen zweiter Ordnung – Systemveränderungen. Und auch eine Antwort auf meinen o.g. Tweet verdeutlicht dies.
So schreibt Alexander Krause:
Ich will diese Veröffentlichungen, Tweets und Berichte an dieser Stelle gar nicht Kleinreden: Die große Perspektive ist wichtig, hilfreich und notwendig, um eine Vorstellung von dem Möglichen, von dem zu bekommen, was erstrebenswert ist. Mit anderen Worten: Ohne die Arbeit an den Grundlogik unseres Arbeitens und Wirtschaftens werden wir keine tiefgreifenden Veränderungen erreichen.
Aus dieser Perspektive heraus erlebe ich jedoch mindestens zwei Herausforderungen:
Zum einen bleibt oft unklar, wo jenseits von einer Entwicklung des angestrebten Zielzustands genau angesetzt werden kann bzw. was im stressigen Arbeitsalltag – und hier spreche ich insbesondere aus der Perspektive oftmals völlig überlasteter sozialer Organisationen – zur großen, tiefgreifenden Veränderung geleistet werden kann.
Daraus wiederum resultiert ein mehrseitiges Problem: Mitarbeiter_innen und Führungskräfte auf unteren und mittleren Ebenen werden zwar in partizipativen Prozessen eingeladen, sich an Veränderung zu beteiligen. Sie bekommen hier und da auch Einblicke durch spannende Keynotes und Veranstaltungen zum Thema New Work – meist verbunden mit den Herausforderungen, Möglichkeiten und Notwendigkeiten der digitalen Transformation – und dann bleibt unklar, was sie denn wie konkret umsetzen müssen.
Zwar sehen die Kaninchen die Schlange, aber bewegen fällt schwer.
Und die oberste Führungsebene kennt zwar die Schlange beim Vornamen, weiß also genau Bescheid, dass dringend der kulturelle, technologische und nachhaltige Wandel angegangen und umgesetzt werden muss, wartet aber zunehmend frustriert auf die Bewegung der Kaninchen aka der Mitarbeiter_innen und unteren und mittleren Führungsebene.
Und damit bewegt sich – nichts! Es bewegt sich nicht im Kleinen an der Basis und nicht im Großen an der „Spitze“. Alle machen weiter wie bisher.
Alle sind nur etwas frustrierter, da eigentlich jedem und jeder in der Organisation bewusst ist, dass es so nicht mehr lange weitergehen kann und wird! Die Digitalisierung kommt nicht voran, die Veränderungen hinsichtlich des Fachkräftemangels nehmen keine Gestalt an, die Geschwindigkeit der Entscheidungen in der Organisation nimmt ab, die dringend nötigen Anpassungen bzgl. des Wegs zu mehr ökologischer Nachhaltigkeit werden nicht angegangen, die Arbeitskultur bewegt sich weiter auf Ebene von Command and Control, die Konkurrenz schläft nicht und so weiter und so fort…
Zum anderen haben wir es in der Sozialwirtschaft nicht nur mit „uns selbst“ zu tun, sondern mit gesetzlichen Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich die Organisationen mehr oder weniger bewegen können. Das soll keine Ausrede im Sinne von „Wir würden ja, dürfen aber nicht!“ sein. Es erschwert jedoch entweder den Anstoß zur Veränderung oder zwingt durch gesetzliche Anpassungen (bspw. BTHG, KJSG) zur Veränderung – gewollt oder nicht!
Perspektivwechsel, oder: Die Rolle des mittleren Managements im organisationalen Wandel
Wie wäre es aber, wenn wir die Perspektive wechseln. Wie wäre es, wenn wir nicht mehr das Warten auf die große Vision, die großen Entscheidungen, die radikale Transformation, die tiefgreifenden Wandel in der Art, wie wir arbeiten, in den Mittelpunkt stellen?
Was wäre, wenn wir selbst, jede_r auf seiner Ebene beginnt, Veränderungen zu initiieren?
Und wenn wir agile Management-Konzepte ernst nehmen, geht es doch nicht um den langfristig geplanten Wandel und das Erreichen eines vorab definierten Zielbilds. Es geht genau nicht darum, eine „agile Organisation“ oder „teal“ zu werden oder „unser Betriebssystem nach Holocracy“ zu strukturieren. Es geht um die „bewusste kontinuierliche Gestaltung organisationalen Wandels“ (Grunwald, 2022, 78).
Wenn Agilität für die anpassungsfähige, zeitgemäße, bedarfsgerechte und bewusste Gestaltung von Organisationen steht, dann ist immer wieder – kontinuierlich – zu prüfen, was denn auf welcher Ebene der Organisation notwendig ist, um anpassungsfähig, zeitgemäß und bedarfsgerecht agieren zu können.
Und hier kommen insbesondere die unteren und mittleren Führungsebenen, die Abteilungs- und Teamleitungen in den Blick:
Gerade in dezentral organisierten, hochgradig komplex strukturierten Organisationen der Sozialwirtschaft ist vor Ort, im Team, zu entscheiden, was notwendig und möglich ist.
Es ist vor Ort zu entscheiden, welche Strukturen, Prozesse, Innovationen, Angebote und Dienstleistungen sinnvoll und machbar sind. Es ist vor Ort zu entscheiden, wie das Team miteinander möglichst gut arbeiten kann. Das für die strategische Ausrichtung der Organisation notwendige Gesamt-Leitbild ist vor Ort zu operationalisieren und anzupassen, damit die konkreten Bedingungen vor Ort in den Blick genommen und bedarfsgerecht im Sinne der Nutzer_innen gestaltet werden können.
Hier kommt hinzu, dass die oberste Führungsebene – völlig nachvollziehbar – oft keinen Einblick in die notwendigen Bedarfe vor Ort hat bzw. aufgrund der Komplexität der Organisation haben kann.
Zur Einordnung ist relevant, dass ich nicht den kleinen, freien Träger mit 20 Mitarbeiter_innen im Blick habe, sondern Komplexträger sozialer Dienstleistungen, die oftmals mit vielen hundert, teilweise auch mit mehreren tausend Mitarbeiter_innen lokal, regional und auch national die soziale Landschaft in unserem Land gestalten.
Aber selbst – um ein konkretes Beispiel zu nennen – bei einem Kita-Träger mit einigen Kitas und Kindergärten arbeiten an jedem Standort unterschiedliche Menschen unter unterschiedlichen Bedingungen. Während ein produzierendes, mittelständisches Unternehmen erwarten kann und muss, dass – egal an welchen Standort – die gleichen Produkte in gleicher Qualität hergestellt werden, ist es in sozialen Organisationen so, dass die Rahmenbedingungen und damit die Umwelt der Organisation enorm relevant sind und nicht außer acht gelassen werden dürfen: Eine Kita in Freiburgs Nobel-Stadtteil Herdern unterliegt völlig anderen Herausforderungen als ein Kindergarten in einem Dorf im Schwarzwald oder einer Einrichtung in einem Brennpunkt-Viertel, obwohl alles Kindergärten sind.
Unter diesen Bedingungen darauf zu warten, dass die oberste Führungsebene die richtigen Entscheidungen trifft, um die Zusammenarbeit in jedem Team, in jeder Organisationseinheit zukunftsfähig zu gestalten, ist naiv und überfordert die Führung. Viel wichtiger ist, vor Ort, im Alltag, in der Vielfalt, Komplexität und Dynamik zu entscheiden, wie die jeweilige Einrichtung, der eigene Arbeitsbereich, das eigene Team, die Menschen bestmöglich den angestrebten Zweck erfüllen können. Und hier sind vor allem die Menschen auf den unteren und mittleren Führungsebenen, die Abteilungs- und Teamleitungen entscheidend.
Was es braucht
Die Ausführungen zur Rolle und Bedeutung des unteren und mittleren Managements sind – so hoffe ich doch – nachvollziehbar. Und gleichzeitig sehe ich in meiner Arbeit mit Organisationen und Menschen auf der unteren und mittleren Führungsebenen, mit Team- und Bereichs- oder Abteilungsleitungen einige Herausforderungen, die es anzugehen gilt, um kontinuierlichen Wandel zu ermöglichen.
Übergreifend fällt mir immer wieder auf, dass sich Führungskräfte auf der unteren und mittleren Führungsebenen, Team- und Bereichs- oder Abteilungsleitungen im operativen Alltag verlieren. Sie wurschteln und rödeln vor sich hin, oft mit dem bitteren Ergebnis des Burnouts oder dem Verlassen der Organisationen und des Arbeitsfeldes. Hinzu kommt, dass es zunehmend schwerer wird, überhaupt Führungskräfte für diese Ebenen zu gewinnen, wodurch wiederum der operative Druck steigt und die Menschen alles andere als erfüllende Arbeit machen. Der Anspruch von #RealNewWork – die Gestaltung einer Arbeit, die Menschen stärkt – wird zur Farce.
Was aber braucht es, damit Führung auf unterer und mittlerer Ebene zum einen wieder zu einer Arbeit wird, die die Menschen „wirklich, wirklich tun wollen“ und Führung zum anderen dazu beiträgt, den Zweck der Organisation bestmöglich zu erfüllen?
Hier könnte ich jetzt in eine detaillierte Beschreibung benötigter Kompetenzen für gesellschaftliche Entwicklungen, benötigtem Bewusstsein für die Besonderheiten sozialer Organisationen, benötigter sozialpolitischer Kompetenz, benötigter Dilemmatakompetenz, benötigtem systemischem und systemtheoretischen Denken und Handeln, benötigter Methodenkompetenz zur Gestaltung agiler Arbeit, benötigter Selbstkompetenz und damit übergreifend in die Beschreibung von Kompetenzen für zeitgemäße und bedarfsgerechte Führungskompetenz einsteigen. Das ist aber zu lang für einen Blogbeitrag.
Plädoyer für die eigene Freiheit
Vielmehr will ich den Beitrag mit einem „Plädoyer für die eigene Freiheit“ schließen.
Wenn Du Führungskraft auf unterer und mittlerer Führungsebene, Team-, Bereichs- oder Abteilungsleitung bist, plädiere ich dafür, dass Du Deine eigene Freiheit nutzt. Du entscheidest, wie die Zusammenarbeit vor Ort, in Deinem Team und mit den Dir anvertrauten Menschen ausgestaltet sein kann und sollte. Du hast Handlungsspielraum und Freiheit, zu entscheiden, immer. Sonst wärst Du keine Führungskraft.
Freiheit setzt Mut voraus. Freiheit setzt den Mut voraus, Bestehendes anders zu sehen, neu zu denken und im Sinne des Zwecks der Organisation anders zu machen. Die Nutzung der eigenen Freiheit geht damit immer mit der Übernahme von Verantwortung einher.
Meine Erfahrung zeigt, dass die Übernahme von Verantwortung mehr als gewünscht wird. Die Angst also, von der oberen Führung „einen auf den Deckel zu bekommen“ ist unbegründet. Im Gegenteil wünschen sich die Verantwortlichen in allen mir bekannten Organisationen Mitarbeiter_innen, die Eigenverantwortung übernehmen.
Und selbst, wenn einmal etwas schiefgehen sollte: Was kann passieren? Denn ganz ehrlich: Du wirst nicht gekündigt, weil Du mutig warst und – begründet! – etwas Neues im Sinne Deiner Organisation, Deines Teams oder der Nutzer_innen ausprobiert hast. Falls doch:
Sei froh!
Denn Arbeit unter Bedingungen, die Autonomie und Selbstbestimmung nicht zulässt, macht keinen Sinn. Vor allem dann nicht, wenn Ziel jeglicher Sozialer Arbeit die Förderung von Autonomie und Selbstbestimmung ist.
Quellen:
Eberhardt, D. (Hrsg., 2013): Unternehmenskultur aktiv gestalten. Praxisfälle aus Wirtschaft, öffentlichem Dienst, Kultur & Sport. Wiesbaden: Springer.
Grunwald, K. (2022): Management sozialwirtschaftlicher Organisationen. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer.
Unternehmenskultur gestalten – das will irgendwie jedes Unternehmen und es ist auch was dran: So gibt es immer wieder Anfragen zur „Kulturentwicklung“, etwa mit den folgenden Wortlauten: „Unsere Kommunikationskultur ist schlecht!“ „Wir brauchen eine neue Kultur der Verbindlichkeit!“ „Wir haben keine gute Fehlerkultur!“ „Unsere Kultur der Zusammenarbeit passt nicht zu unserem Auftrag!“ Weitere Anfragen lauten auf die Entwicklung einer offenen Organisations- bzw. Unternehmenskultur, einer agilen Unternehmenskultur, auf die Entwicklung guter, starker, dialogischer oder whatever Unternehmenskultur. Aber was ist Unternehmenskultur eigentlich? Und wie geht Kulturentwicklung? Dazu findest Du hier Antworten, die Du schnell und einfach in Deiner Organisation umsetzen kannst. Denn dazu sind „Culture Hacks“ hilfreich. Aber der Reihe nach:
Was ist Unternehmenskultur?
Zu dieser Frage gibt es X-tausend Veröffentlichungen. Diese will und kann ich hier nicht vollständig wiedergeben. Entsprechend halte ich mich hier an die Ausführungen aus Wikipedia. Demnach beschreibt der Begriff Organisationskultur die Entstehung und Entwicklung kultureller Wertmuster innerhalb von Organisationen.
„Die Organisationskultur wirkt auf alle Bereiche des Managements (…). Jede Aktivität in einer Organisation ist auf Basis ihrer Kultur entstanden und dadurch kulturell beeinflusst. Das Selbstverständnis der Organisationskultur erlaubt es Organisationsmitgliedern, Ziele besser verwirklichen zu können. Außenstehende können durch diese Kenntnis die Organisation besser verstehen.“
Zur Komplexitätsreduktion hier die Definition von Unternehmenskultur von Edgar H. Schein:
Organisations- bzw. Unternehmenskultur zeigt sich demnach als „ein Muster grundlegender Annahmen – erfunden, entdeckt oder entwickelt von einer vorgegebenen Gruppe, während diese lernt mit den Problemen der externen Adaption und internen Integration umzugehen – die gut genug funktionierten, um [von dieser Gruppe] als gültig angesehen zu werden, und die deshalb neuen Mitgliedern vermittelt werden als richtige Methode der Wahrnehmung, des Denkens und des Fühlens bezüglich dieser Probleme.“ (1985, 9)
Schein entwickelte das Kultur-Ebenen-Modell, wonach sich Organisationskultur auf den folgenden drei Ebenen zeigt (aus Wikipedia):
„An der Oberfläche liegen die sichtbaren Verhaltensweisen und andere physische Manifestationen, Artefakte und Erzeugnisse. Beispiele sind Kommunikationsverhalten mit Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten, Logo, Parkplätze, Bürolayout, verwendete Technologie, das Unternehmensleitbild aber auch die Rituale und Mythen der Organisation.
Unter dieser Ebene liegt das Gefühl, wie die Dinge sein sollen; kollektive Werte sind beispielsweise „Ehrlichkeit“, „Freundlichkeit“, „Technik-Verliebtheit“, „spielerisch“, „konservativ“ usw. also Einstellungen, die das Verhalten von Mitarbeitern bestimmen.
Auf der tiefsten Ebene sind die Dinge, die als selbstverständlich angenommen werden für die Art und Weise, wie man auf die Umwelt reagiert (Grundannahmen). Diese Grundannahmen (engl. basic assumptions) werden nicht hinterfragt oder diskutiert. Sie sind so tief im Denken verwurzelt, dass sie von Mitgliedern der Organisation nicht bewusst wahrgenommen werden.“
Soweit, so gut.
Aber interessant ist ja vor allem die Frage, wie sich Unternehmenskultur gestalten lässt.
Wie lässt sich Unternehmenskultur gestalten?
Unternehmenskultur lässt sich „nicht (…) durch die Verkündigung neuer organisationskultureller Werte verändern“ (Kühl, 2018).
Anders ausgedrückt:
Das Ausrufen von einer „neuen Fehlerkultur“, die Durchführung eines Innovationsworkshops und die Hoffnung, dass am Montag alles innovativ wird oder die Festschreibung neuer Werte zur Verbesserung der Kommunikationskultur bringen – kurz – nix!
Was aber dann? Dazu bringt es Kühl auf den Punkt:
„Der einzige Hebel des Managements, die Organisationskultur zu verändern, sind Veränderungen der Formalstruktur. Nicht so, wie es sich ein steuerungsbegeistertes Management vielleicht wünschen mag – nämlich, dass mit der Verkündigung der formalen Struktur auch gleichzeitig die passenden Veränderungen der Organisationskultur mitangeregt werden könnten, sondern vielmehr dadurch, dass jede Veränderung in den offiziellen Berichtswegen, jede Verkündigung eines neuen offiziellen Ziels, jede Einstellung, Versetzung oder Entlassung Auswirkungen auf die informalen Prozesse in den Bereichen, Abteilungen oder Teams hat.“
Das wiederum sagt, dass egal, was getan wird, alle Veränderungen, die die Formalstruktur betreffen, Auswirkungen auf die Kultur haben.
Unter der Formalstruktur lassen sind die expliziten, in der Regel verschriftlichten Vorgaben innerbetrieblicher Abläufe und Strukturen in einer vorgegebenen Ordnung zu verstehen. Das können z.B. die Definition der Arbeitsteilung, die Beschreibung der Prozesse und Arbeitsabläufe oder die Festlegung von Weisungsbefugnissen sein.
Unklar bei der Veränderung der Formalstruktur bleibt jedoch, welche Auswirkungengenau diese Entscheidungen und damit Veränderungen auf die Kultur haben.
Und daraus wiederum folgt, „dass jede Entscheidung zur Veränderung der formalen Strukturen auf der Seite der Organisationskultur nicht nur antizipierte und gewollte, sondern auch ungewollte Nebenfolgen mit sich bringt“ (ebd.).
Schwierig, oder?
Egal, was in der Organisation an der Formalstruktur geändert wird, hat irgendwelche Auswirkungen auf die Kultur der Organisation. Und da soll man als Führungskraft durchblicken, Entscheidungen treffen und entspannt bleiben? Gibt es keine Möglichkeit, Kulturveränderungen „sicher“ anzugehen?
Doch, gibt es, zumindest „halbwegs sicher“:
Culture Hacks!
Unternehmenskultur gestalten: 19 Culture Hacks (nicht nur) für soziale Organisationen
Culture Hacks lassen sich als kleinen Interventionen und Impulse definieren, die einfach, schnell und „sicher“ getan werden können, um eine positive, sich idealerweise verstärkende Veränderung der Formalstrukturen herbeizuführen.
Culture Hacking ist damit die bewusste Gestaltung, Umsetzung und Bewertung kleiner Maßnahmen, um einen positiven kulturellen Wandel in der Organisation herbeizuführen.
Jetzt aber los.
Hier folgen 17 Culture Hacks für die Gestaltung der Unternehmenskultur sozialer Organisationen, die ich aus der eigenen Arbeit und natürlich aus dem Netz zusammengetragen habe. An dieser Stelle ganz lieben Dank an Maike Kueper, die unter dem Link hier einen tollen Thread versammelt hat, der sich ebenfalls mit kleinen Interventionen auf die Kultur befasst. Lohnt sich…
#1: Besprechungen nur im Stehen
Nicht umsonst heißen Daily StandUps StandUps: Sie finden im Stehen statt. Damit soll ausgedehnten Beschwerdesitzungen vorgebeugt werden. Dazu müssen idealerweise alle Möbelstücke aus dem Raum entfernt werden. Denn wenn man sich nirgends anlehnen oder den Ellbogen aufstützen kann, kann man sich auch nicht bequem (bspw. im eigenen Gejammer) niederlassen.
#2: Harte Fragen
Es wird keine Teamsitzung beendet, bevor nicht jede_r drei wirklich schwierige, harte Fragen gestellt hat. Damit sind Fragen gemeint, die man sich normalerweise im informellen Raum an der Kaffeemaschine nach dem Ende der Sitzung gegenseitig unter den Mitarbeiter_innen stellt. Dies setzt psychologische Sicherheit voraus und erfordert auch von der Führungskraft die Bereitschaft, sich auf die schwierigen Fragen offen einzulassen.
#3: Keine verpflichtende Teilnahme an Teamsitzungen
In meinem letzten Beitrag habe ich von der Idee geschrieben, Teamsitzungen zu gestalten, zu denen die Menschen kommen dürfen und nicht müssen. Probier das doch mal bei Dir aus: Es ist kein Problem, wenn jemand nicht kommt. Wenn Teamsitzung einladungsbasiert gestaltet werden, stellst Du fest, ob sie wirklich sinnvoll sind. Alternativ denkbar ist auch, Meetings wie Barcamps zu gestalten und das Gesetz er zwei Füße walten zu lassen: Wenn es Dir nicht passt, stehe auf und gehe aus der Sitzung!
#4: Keine Sitzungen und Meetings
Etwas radikaler als der vorgenannte Hack ist es, einfach mal für eine bestimmte Zeit alle Sitzungen nicht stattfinden zu lassen und zu schauen, was passiert. Vielleicht können endlich mal alle wirklich arbeiten.
#5: Nutzer*innen einbeziehen
Wie wäre es, bei allen (!) zu treffenden Entscheidungen die Nutzer*innen Deiner Organisation, die Zielgruppe, einzubeziehen? Und ja, egal welche Entscheidung – bei allen!
#6: Tabus benennen
Installiere ein Whiteboard im Eingang Deiner Organisation und schreibe nur eine einzige Frage drauf: „Was ist das größte Tabu hier ?“ Und dann lege jede Menge PostIts und Stifte daneben. (Danke an Nicolas Korte für die Idee) Alternativ könntest Du auch die Frage draufschreiben: „Wenn du eine Sache hier ändern könntest, was wäre das?“
#7: DUzen
Keine Ahnung, wie es in Deiner Organisation gehandhabt wird, aber wie wäre es, einfach alle zu duzen – wie gesagt, zumindest für einen begrenzten Zeitraum?
#8: Menschen zum Lern Coffee einladen
Selbst getestet und für gut befunden: Kennst Du alle Menschen in Deiner Organisation? Naja, alle ist vielleicht etwas viel. Aber gestalte doch eine Einladung zu einem Leon Coffee und verteile diese an Menschen, von denen Du denkst, dass ein Austausch weiterhelfen kann. Leon Coffee kennst Du nicht? Dann schau doch mal hier. https://agile-verwaltung.org/2016/08/18/aus-der-agilen-methodenkiste-lean-coffee-kollegialer-wissensaustausch-leicht-gemacht/
#9: Barcamp veranstalten
Ja klar, etwas aufwendiger, aber warum muss die nächste Veranstaltung in Deiner Organisation so wie immer (Kaffee, Vorstand spricht, Pausen sind das Beste) ablaufen? Wie wäre es stattdessen mit einem organisationsinternen Barcamp?
#10: Menschen auf Barcamps schicken
Wenn es schon kein eigenes Barcamp ist, warum nicht einfach festlegen, dass jede*r im Team mindestens ein Barcamp pro Jahr besuchen muss? Ja, muss! Um zu erleben, welche Kraft die Ideen der vielen entfalten kann und wie singhaft es ist, mitzugestalten.
#11: 10% Arbeit an eigenen Projekten ermöglichen
Ja, ich weiß, in unserem Kontext ist das oft schwierig, da sowieso alle zu 110 % ausgelastet sind und freie Zeit schon mal gar nicht finanziert wird. Aber vielleicht gelingt es ja für einen begrenzten Zeitraum: Jede_r darf 10% seiner_ihrer Arbeit für eigene Ideen, Projekte oder auch für das eigene Lernen aufwenden, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Am Ende wird vorgestellt, wer sich mit was befasst hat.
#12: Montags keine Meetings
Oben hatte ich ja vorgeschlagen, gar keine Meetings zu machen. Aber wie wäre es, wenn zumindest ein Tag in der Woche meetingfrei wäre? Gerne in Verwaltungs-, Führungs- oder Referent_innenpositionen muss man neben den Meetings ja auch irgendwann mal arbeiten…
#13: Geld für die Kündigung
Wie wäre es, jedem_r Mitarbeiter_in 5.000 EUR anzubieten, wenn er oder sie sofort kündigt? Klingt komisch, bringt aber zum Nachdenken über die Passung zum Unternehmen… Ja, ich weiß, unter Bedingungen des Fachkräftemangels nicht so einfach. Und gleichzeitig ist es so, dass die Menschen in der Organisation die Kultur prägen, immer.
#14: Feheler feiern
Oben hatte ich was von Fehlerkultur geschrieben. Aber mal ernsthaft: Geben wir Fehler gerne zu? Eher nicht, oder? Wir sind es vielmehr gewohnt, dass Fehler mit Sanktionen geahndet werden, was dazu führt, dass man neue, vielleicht etwas riskante Dinge gar nicht erst angeht. Wie wäre es stattdessen, Fehler explizit zu belohnen (Fehler des Monats?) und – das ist wichtig – daraus zu lernen?
#15: Befassung mit dem Wie der Zusammenarbeit
Anstatt dauernd über das Was (Aufgaben, Zeiten, Telefondienst…) zu sprechen, eine Teamsitzung explizit zur Festlegung von Leitlinien der gemeinsamen Zusammenarbeit nutzen und das gemeinsame Wie der Zusammenarbeit festlegen. Diese Leitlinien immer wieder anpassen (bspw. bei MA-Wechsel).
#16: 1 – 2 – 4 – all in Teamsitzungen nutzen
Irgendwie ist es doch immer so, dass die Lautesten am meisten sprechen?! Dagegen hilft es, die Methode 1 – 2 – 4 – all aus den liberating structures zu nutzen und somit alle (!) Beteiligten zu Wort kommen zu lassen.
#17: Lesen
Jede*r im Team muss ein (Fach-)Buch im Monat lesen und darüber berichten. Was??? Es gibt Fachbücher? Ja, sogar für das Sozialwesen. Aber leider ist es so, dass Fachliteratur nach dem Studium kaum noch in die Hand genommen wird. Das solltest Du ändern. Und wer nicht gerne liest: Wie wäre es mit Podcasts oder Youtube-Videos, die dann gemeinsam reflektiert werden und deren Ideen für die gemeinsame Arbeit genutzt werden?
#18: Bewerbungsverfahren abschaffen
Oben hatte ich den Fachkräftemangel schon mal erwähnt. Dieser ist real in unserer Branche. Und wie wäre es vor dem Hintergrund, einfach auf die oft sinnlosen Bewerbungsverfahren zu verzichten und nur die notwendigsten Dokumente einzufordern? Und dann gemeinsam zu arbeiten und die Probezeit wirklich als Probezeit – für beide Seiten – zu verstehen?
#19: Die Mitarbeiter_innen nach weiteren Culture Hacks fragen
Yoah, warum eigentlich nicht? Da kommt sicherlich etwas Spannendes zustande. Und dann einfach mal ausprobieren, was wie wirklich wirkt…
Experimentieren, oder: Der Culture Hacking Prozess
Im letzten Punkt habe ich „einfach mal ausprobieren“ geschrieben. Ein Prozess, der Sicherheit im Neuen gibt, macht jedoch Sinn. Denn um Culture Hacks einzuführen und zu testen ist ein experimentelles, aber trotzdem geleitetes Vorgehen hilfreich. Das geht so:
Der erste Schritt ist, sich im Team für einen Culture Hack, den man für einen bestimmten Zeitraum testen will, zu entscheiden. Hier hilft ein hypothesenbasiertes Vorgehen: „Wenn wir XY testen, passiert Z!“
Dann wählt man idealerweise eine_n Beauftrage_n, die den Prozess organisiert und am Laufen hält.
Zum Prozess ist relevant, einen Zeitraum bzw. eine Häufigkeit der Durchführung des Hacks festzulegen. Der Zeitraum sollte nicht zu lang und nicht zu kurz sein. Bewährt haben sich Zeiträume zwischen einem und drei Monaten, so dass genug Lernmöglichkeiten bestehen, das Durchhalten möglich ist und nicht vorzeitig abgebrochen wird.
Relevant ist außerdem, dass Feedback und Rückmeldungen zur Intervention gesammelt und nicht direkt diskutiert werden. Denn dazu sind die Retrospektiven da:
In der Retrospektive wird dann geschaut, was gut lief und wo Schwierigkeiten aufgetreten sind. Wichtig ist hier die Teamentscheidung, ob man den Hack fortsetzen oder wieder einstellen will. Darauf folgt dann entweder der nächste Schritt oder eine Pause.
Übergreifend macht es dann Sinn, die Erkenntnisse und Erlebnisse im Sinne des Co-learnings in der Organisation weiterzutragen.
Zum Abschluss ist mir noch wichtig, dass es sich bei den hier skizzierten Hacks um Culture Hacks auf Teamebene handelt. Es lohnt sich aber auch, zu überlegen, was Du ganz individuell ändern kann, um Impulse zu setzen und Veränderung zu bewirken. Wie wäre es bspw. damit, jeden Tag jemandem ganz explizit Danke zu sagen und die Arbeit einer_s Kolleg_in zu wertschätzen? Oder noch einfacher: Setz Dich einfach mal in der nächsten Teamsitzung auf den Platz, an dem normalerweise der_die Chef_in sitzt… 😉
Und jetzt Du: Welche Hacks kennst Du noch? Welchen Hack willst Du bei Dir vielleicht sogar testen? Und wenn Du schon getestet hast: Welche Erfahrungen hast Du gemacht? Lass uns teilhaben an Deinen Erfahrungen.
Quellen:
Herget, J. (2021): Culture Hacks strategisch einsetzen – Mit gezielter Irritation zur gewünschten Unternehmenskultur. Springer. Download.
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