Wider die Kindness Economy: Über Fachkräfte, Macht und die Zukunft von Organisationen

Wenn Organisationen nur die Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen ins Zentrum stellen, kommt es genauso zu Problemen, wie wenn sie die Bedürfnisse ignorieren. Wir müssen aufpassen, dass sich durch den Trend zur Kindness Economy nicht völlig neue Probleme ergeben.
Kindness Economy

Inhalt:

Gerade bin ich über den Begriff der „Kindness Economy“ gestolpert: Organisationen versuchen, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, um es damit „allen zu ermöglichen, bei der Arbeit so authentisch wie möglich zu sein“, wie es hier heißt. Ich bin da sehr skeptisch, denn ich glaube, dass wir damit – ausgelöst durch den Fachkräftemangel – in ein neues Problem laufen, das ich als „Machtverschiebung von Organisationen zu den Menschen“ bezeichnen und hier beschreiben will. Außerdem will ich versuchen, ein paar Ideen zu liefern, wie diesem Problem begegnet werden kann.

Früher kein Gedöns: Die Macht von Organisationen über Menschen

Nur kurz: Dass es einen Fachkräftemangel gibt und zunehmend geben wird, ist seit etwa 50 Jahren bekannt. Entsprechend verwundert mich, dass dieses Thema erst jetzt in den Organisationen anzukommen scheint. Wir verschließen so lange die Augen, bis die Probleme massiv werden und kaum noch abzuwenden sind – Klimawandel, ick hör dir trapsen!

Historisch betrachtet hatten Organisationen die Macht. Das hängt mit der Bevölkerungsentwicklung zusammen.

Denn zwischen 1871 und 1910, also während der Hochphase der Industrialisierung in Deutschland, stieg die Bevölkerung von 41 Millionen auf 65 Millionen Menschen an, was einem Wachstum von 58 Prozent entspricht (klick).

Und nach der Industrialisierung setzte sich das Bevölkerungswachstum in Deutschland fort. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich Deutschland zu einem Wachstumsland, und die Bevölkerungszahl stieg von 69,3 Millionen im Jahr 1950 auf rund 83,1 Millionen Menschen im aktuellen Zeitraum an (klick).

Neben sozialen Ungerechtigkeiten, Überbevölkerung in den Städten, mangelhaften Wohnbedingungen usw. führte das Bevölkerungswachstum vor allem zur Möglichkeit der Ausbeutung von Arbeitskräften. Arbeiter:innen, einschließlich Frauen und Kindern, arbeiteten lange Stunden, oft unter gefährlichen Bedingungen, für geringe Löhne. Es gab kaum Arbeitsschutzgesetze oder Gewerkschaften, die die Rechte der Arbeiter:innen schützten, was zu Ausbeutung und schlechter Arbeitsplatzsicherheit führte.

Auch wenn in den letzten Jahrzehnten Gott sei Dank soziale Sicherungssysteme eingeführt wurden, saß (und sitzt immer noch) die Angst vor dem sozialen Abstieg durch den Verlust des Arbeitsplatzes mit am Fließband, am Schreibtisch, an der Werkbank oder zumindest im Nacken.

Extrem formuliert war diese kurze, historisch sicherlich etwas unterkomplex dargestellte Entwicklung für Organisationen sehr praktisch:

Geringe Kosten in Kombination mit einem großen Angebot an Arbeitskräften, die noch dazu Angst hatten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, führten zu dicken Gewinnen (für ein paar Wenige). Außerdem musste man sich wenig Gedanken zu guten Arbeitsbedingungen, Work-Life-Balance, New Work Schnickschnack und sonstigem Gedöns machen.

Entsprechend wurden Organisationen und die Art, wie wir auch heute noch zusammen arbeiten, gestaltet:

Menschen waren Zahnrädchen, die bei zu geringer „Performance“ ausgetauscht wurden, Organisationen wurden als „Maschinen“ gedacht, gesteuert und entwickelt und die Sozialisation für dieses System wurde befeuert durch ein Bildungssystem, das auf „Ab-Teilung“, eine Klassengesellschaft, Benotung, Strafe, Druck, Befehl und Gehorsam gesetzt hat.

Jaja, ich weiß, etwas übertrieben. Aber im Kern ganz passend:

Die Organisationen hatten die Macht.

Heute Kindness Economy: Die Macht der Menschen über die Organisationen

Heute stehen wir aber – angesichts der absehbaren demographischen Zahlen wenig überraschend – an einem Kipppunkt in die andere Richtung:

Die Macht wandert von den Organisationen zu den Mitarbeiter:innen. Diese können sich aussuchen, wann, wie lange, zu welchen Konditionen und vor allem wo sie arbeiten. Im Kontext der Sozialwirtschaft ist dieses Phänomen extrem ausgeprägt, da die Organisationen nur wenige Möglichkeiten haben, auf Mitarbeiter:innen zu verzichten oder ihre Kernprozesse zu digitalisieren. Oder anders gesagt:

Wenn sich im Finanzamt die Akten bis zur Decke stapeln oder die Produktion von beheizbaren Lenkrädern aufgrund fehlender Mitarbeiter:innen stillsteht, passiert erst einmal – nichts! Wenn in einer Kita aber X Mitarbeiter:innen fehlen, wird die Gruppe geschlossen und die Kinder, die uns in Deutschland ja ach so viel Wert sind, eben nicht mehr begleitet.

Schlimmer stellt sich die Situation noch in stationären Wohnformen dar, da die dort lebenden Menschen nicht nur auf Unterstützung angewiesen sind, sondern die Einrichtungen oftmals ihre (teilweise einzige) Heimat sind.

Was Organisationen versuchen

Im Grunde könnte man jetzt ja glücklich sein:

Endlich müssen sich die Organisationen – egal welcher Branche – um ihre Mitarbeiter:innen bemühen. Obstkörbe sind obligatorisch, gratis Kaffee Standard und der Dienstwagen für die Auszubildenden ist flächendeckend nicht mehr fern, nur um auf Teufel komm raus Mitarbeiter:innen zu gewinnen und zu halten.

Angesichts dieser Entwicklungen steigen auch die Löhne, da die Mitarbeiter:innen (fast) unmittelbar wechseln, wenn es bei der Konkurrenz ein paar Euro mehr gibt.

Kurz: Organisationen verschieben ihren Fokus von ihrem Zweck hin zu den Mitarbeiter:innen. Nicht mehr die Kunden- oder Nutzer:innenorientierung ist handlungsleitend, sondern die Orientierung an den Mitarbeiter:innen bzw. den Betreuungsbedarfen ihrer Hunde, Katzen, Hamster, Omas, Kinder…

Warum sollte man – wenn man es sich denn leisten kann – unter diesen Bedingungen noch in Vollzeit arbeiten? Entsprechend werden Teilzeitregelungen normal, die nichts mit den ach so faulen Generationen, sondern mit den Rahmenbedingungen und damit den Möglichkeiten der jüngeren Generationen am Arbeitsmarkt zu tun haben.

Und auch hier wieder: Das ist doch grandios! Die Menschen können sich ihren Job so gestalten, dass dieser zu ihrem Leben passt (auch wenn diese Möglichkeiten die Situation für die Sozialwirtschaft verschärfen, da grundsätzlich in direkter Interaktion mit den Klient:innen gearbeitet werden muss und in vielen Arbeitsfeldern die Notwendigkeit von 24/7 Betreuung besteht).

Wenn sich also die Organisationen endlich an die Mitarbeiter:innen anpassen müssen, sieht es doch aus wie das Schlaraffenland, oder worin besteht das Problem?

Organisationen brauchen keine Menschen

Jaja, ich weiß, wieder eine völlig unterkomplexe Überschrift. Aber sehr grob betrachtet, trifft es das: Das Problem besteht darin, dass soziale Systeme und damit eben auch Organisationen nicht dafür gemacht sind, sich an Menschen bzw. den Mitarbeiter:innen zu orientieren.

Soziale Systeme sind dafür gemacht, einen Zweck zu verfolgen, ein Problem zu lösen, das durch einzelne Menschen allein nicht gelöst werden kann. Zwecke sind bspw. die Verwaltung von Steuergeldern, die Produktion von beheizbaren Lenkrädern, Gebet und Spiritualität, Bildung, das zur Verfügung stellen von Wohnraum, Lobbyarbeit oder, oder, oder…

Zuvorderst aber verfolgen Organisationen als Soziale Systeme das Ziel, zu überleben. Sie wollen, ganz lapidar, weiterhin bestehen bleiben – und zwar unabhängig von den ziemlich unzuverlässigen Menschen (im Sinne der Mitarbeiter:innen). Deswegen gibt es so etwas wie Stellen, Rollen, Hierarchien, Strukturen usw. die dafür sorgen, dass die Organisation auch dann weiterbesteht, wenn Menschen „das Unternehmen verlassen“.

Eine Organisation, die ihren Zweck nicht mehr erfüllen kann (oder vollständig erfüllt hat), wird ebenso nicht mehr weiter bestehen können wie eine Organisation, die sich vollständig an den Menschen und ihren Bedürfnissen ausrichtet.

Und dies unabhängig von der Branche, in der die Organisation tätig ist.

Die Chance für „New Work“

Kurz auf den Punkt gebracht sind die Ausführungen ja nachvollziehbar: Es macht – unabhängig vom Fachkräftemangel – keinen Sinn, Organisationen und damit auch unsere Arbeit so zu gestalten, dass die 100%ige Effizienz herrscht, die Menschen wie Zitronen ausgepresst werden und einzig der Takt der Maschinen (oder vorgeschriebenen Prozesse) regiert.

Genauso wenig sinnvoll ist es aber, alles in einer Organisation ausschließlich auf die je individuellen und damit sehr vielfältigen Bedarfe der Mitarbeiter:innen auszurichten. Das wird Organisationen früher oder später zum Zusammenbruch führen.

Wie so oft gilt es, einen guten Mittelweg zwischen den Bedürfnissen der Menschen und den Bedürfnissen der Organisationen zu finden.

Und hier kann aus meiner Sicht eine große Chance aus a) sinnvoller, zeitgemäßer und bedarfsgerechter Organisationsentwicklung und aus diesem b) „New Work“ im ursprünglichen Sinne erwachsen.

Möglichkeiten zeitgemäßer und bedarfsgerechter Organisationsentwicklung

Im Folgenden finden sich – sicherlich nicht abschließend – einige Ansätze, wie es gelingen kann, die Entwicklung der eigenen Organisation so voranzutreiben, dass die Bedürfnisse von Menschen und der Organisation berücksichtigt werden.

Verständnis über die Funktionsweisen von Organisationen als soziale Systeme

Grundlegend für die Möglichkeiten zeitgemäßer und bedarfsgerechter Organisationsentwicklung ist aus meiner Sicht ein Verständnis über die Funktionsweisen von Organisationen als soziale Systeme.

Die Entwicklung dieses „Organisationsbewusstseins“ schützt massiv vor Steuerungsphantasien, was insbesondere Führungskräften enorme Erleichterung verschaffen müsste: Sie haben den Laden nicht in der Hand, im Griff oder sonstwo. Organisationsentwicklung ist vielmehr, wie es Ruth Seliger sagt, der Versuch, die Organisation in die gewünschte Richtung zu verführen.

Daraus resultiert, dass es immer darum geht, Versuche im Hier und Jetzt zu machen, Experimente, mit denen man auf die Nase fallen kann, die aber auch gelingen und dann ungeahnte (positive) Auswirkungen haben können.

Wichtig bei dieser „agilen Organisationsentwicklung“ ist jedoch, immer wieder innezuhalten und zu prüfen, ob und welche Wirkungen die gemachten Veränderungen hatten und ob man sich damit auf dem angestrebten Weg befindet.

Vielfalt zulassen

Für die im Beitrag geschilderte Problematik des Ausbalancierens zwischen den Bedarfen der Organisation und den Bedarfen der Mitarbeiter:innen gilt es, Versuche zu machen, die das Ziel verfolgen, wegzukommen von der Vereinheitlichung hin zu einer möglichst hohen Vielfalt in der Organisation:

Team A ist anders als Team B, warum sollten die nicht anders arbeiten? Einrichtung Z liegt auf dem Land und arbeitet anders als Einrichtung Y in der Stadt. Ja, cool, warum nicht?

Diese Vielfalt fällt vielen Organisationen schwer, ist aber für Soziale Organisationen (hoffentlich) daily Business. Denn nur durch die Vielfalt auf Seiten der Einrichtungen kann den vielfältigen Bedarfen der Nutzer:innen auf der anderen Seite adäquat begegnet werden.

Mir gefällt an dieser Stelle das Bild eines Mischpults ganz gut:

Es gibt verschiedene Regler, die für die einzelnen Bereiche, Teams und Arbeitsfelder einer Organisation bezogen auf die jeweils geltenden Ziele, Strukturen und Prozesse unterschiedlich eingestellt sein können. Erst daraus, dass sie unterschiedlich eingestellt sind, ergibt sich der ganz spezifische Klang der Gesamtorganisation.

Gemeinsam entscheiden

Neben der Ermöglichung von Vielfalt gilt es außerdem, die Kompetenzen, Ideen, Erfahrungen und die Kreativität der Mitarbeiter:innen viel stärker als vielleicht bislang üblich in Entscheidungsfindungen mit einzubinden. Partizipation wird zwar oft groß geschrieben, endet aber genauso oft an der Realität.

Eine einfache Option zur echten Beteiligung der Mitarbeiter:innen ist die Arbeit mit der Konsent-Methode, die hier ausführlich beschrieben ist.

Und nein, die Entscheidungsfindung anhand der Konsens-Methode dauert nur gefühlt länger, wie bspw. hier in diesem Podcast erläutert wird.

Die Organisations-DNA beschreiben

Im gleichen Podcast sprechen die Gründerinnen der sozKom GmbH auch von der Entwicklung ihrer DNA. Darunter ist ein kurzes „Leitbild“ zu verstehen, das allen, internen wie externen, Stakeholdern vermittelt, was die Grundwerte der gemeinsamen Arbeit sind und wie in der Organisation zusammen gearbeitet wird.

Das Betriebssystem entwickeln

Diese „DNA“ oder das gelebte Leitbild ist auch die Grundlage für das gemeinsame „Betriebssystem“ der Organisation.

Dieses Betriebssystem beschreibt die basalen Regeln, nach denen gearbeitet und vor allem entschieden wird (siehe auch Konsent).

Dabei ist wiederum relevant, nicht irgendwelche Konzepte wie „Holocrazy“ oder das „Spotify Modell“ oder die „Orbit Organisation“ oder „so wie Buurtzorg“ auf die eigene Organisation zu stülpen, sondern die Individualität der Rahmenbedingungen der Organisation anzuerkennen und – genau – Vielfalt zuzulassen.

Nichts in Stein meißeln

Bei alle den Bemühungen der Entwicklung zeitgemäßer und bedarfsgerechter Organisationen geht es nicht darum, ein für allemal festzuzurren, was für die nächsten 300 Jahre gelten soll.

Durch die in der Organisation arbeitenden Menschen ebenso wie durch die sich verändernden Rahmenbedingungen, Megatrends, gesellschaftlichen Entwicklungen usw. verändert sich auch die Organisation.

Dieses „inspect and adapt“ sollte als Grundsatz jeglicher Entscheidungen rund um die Organisationsentwicklung gelebt werden. Daraus ergeben sich anpassungsfähige Teams und Organisationen.

Arbeiten

Die hier skizzierten „Schritte“ hin zu einer Organisation, der es gelingt, neben den eigenen auch die Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen in den Blick zu nehmen, erfordern auf Seiten der Mitarbeiter:innen Mitarbeit.

Das klingt vielleicht irgendwie albern, ist aber wichtig: Führungskräfte wie die Mitarbeiter:innen müssen sich bewusst sein, dass die gemeinsame Entwicklung hin zu einer guten, lebenswerten und (über-)lebensfähigen Organisation nur in gemeinsamer Anstrengung gelingt. Dazu braucht es – ein Thema, an dem ich gerade persönlich hänge – das Commitment, sich auf diese Arbeit einzulassen. Oder die Entscheidung, andere Wege zu gehen.

Möglichkeiten von New Work

Selbstverständlich sind die Ausführungen zur Organisationsentwicklung nicht abschließend und alles andere als eine „Anleitung“, wie es rezepthaft gelingt, die Bedürfnisse von Menschen und Organisationen auszutarieren. Es sind Impulse, Ideen, Möglichkeiten.

Und etwas übergreifender will ich abschließend die aus dem ursprünglichen Konzept „New Work“ ausgehenden Impulse, Ideen und Möglichkeiten aufgreifen, um darüber zur Annäherung von Menschen und Organisationen zu kommen.

Macht das Sinn?

Die Ursprungsideen von New Work stellen im Kern nicht die Frage nach dem Menschen und dem, was dieser (also Du und ich) „wirklich, wirklich tun will.“

Die Ursprungsideen von New Work stellen die große Frage danach, ob unsere Art zu wirtschaften, ob der Kapitalismus in der existierenden Form, sinnvoll ist. Bergmann ging es um eine Alternative zum Lohnarbeitssystem und nicht um organisationalen Schnickschnack.

New Work ist damit radikal im besten Wortsinn: New Work geht an die Wurzel, an den Kern. Und dieser Kern lautet für mich:

Macht das Sinn?

Anders könnte man auch fragen: Ist das, was wir hier als Gesellschaft, als Organisation, als Team und das, was ich als Mensch tue, sinnvoll und wirksam?

Ich will hier gar nicht tief einsteigen, aber der Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen lässt mich oft mit einem dicken „WTF???“ zurück. Unsere Metakrisen Klima, Krieg, Individualisierung und Co. werden im eigenen Kleinklein beantwortet. Ideen, Visionen, Utopien einer echten Zukunft fehlen.

Und genauso sieht es in Organisationen aus. „Purpose-Diskussionen“ übertünchen den dahinterliegende Schimmel, ohne die Kernfrage zu stellen:

Macht das Sinn, was wir hier tun?

Wenn sich Menschen und Organisationen ernsthaft auf die Beantwortung dieser Frage konzentrieren, kommt es zwangsläufig dazu, dass Dinge, Angebote, Projekte weggelassen werden müssen. Weglassen ist aber nicht in uns Menschen angelegt. Wir wollen immer mehr, hinzufügen, addieren. Das funktioniert aber nicht mehr – aus Gründen von Klima und Co. ebenso wie aus Gründen von Fachkräftemangel.

Wenn wir – das ist ja das Thema des Beitrags – Menschen und Organisationen wieder zusammenführen wollen, müssen wir uns mit Exnovation befassen und einem „weniger, aber besser“. Auch wenn das auf den ersten Blick schmerzhaft erscheint.

Was will ich wirklich, wirklich tun?

Erst aus der Beantwortung der Sinnfrage ergibt sich die aktuell breitgetretene „New Work Frage“ danach, was die Menschen „wirklich, wirklich tun wollen“.

Die Frage ist wieder radikal, denn – mal ehrlich – eine Beantwortung ist kaum möglich.

Ich für mich kann sagen, dass das, was ich wirklich, wirklich tun will, von unfassbar vielen Faktoren abhängig ist, die sich je nach Tag, Stimmung, Wetter… immer wieder ändern.

Und losgelöst von mir persönlich pendeln Menschen in dem was sie wirklich, wirklich wollen, individuell irgendwo im „Pentagon“ (Fünfeck) zwischen Anerkennung, Sicherheit, Autonomie, Verbundenheit und Fairness – wie hier im SCARF-Modell beschrieben.

Wichtiger als eine Antwort auf die Frage ist damit eine Beschäftigung mit der Frage – ohne eine eindeutige Antwort zu erwarten.

Das erfordert die berühmte Ambiguitätstoleranz, die Kompetenz zum Umgang mit Widersprüchen und Mehrdeutigkeit.

Aus organisationaler Perspektive gilt es dann wieder, Ambiguitätstoleranzlernmöglichkeiten zu schaffen – Möglichkeiten, in denen sich die Menschen „in“ der Organisation mit den Widersprüchen zwischen ihnen als Personen und der Organisation befassen können und nicht gleich beim kleinsten Gegenwind oder beim nächstbesten Angebot der Konkurrenz von der Organisation abwenden.

Über dieses „Aushalten von Widersprüchen“ gelingt es dann vielleicht auch, dem näher zu kommen, was man wirklich, wirklich tun will…

Mehr als Kindness Economy, oder: Organisationen brauchen Menschen und Menschen brauchen Organisationen

Natürlich sind Organisationen auf Menschen angewiesen, auf Arbeitskräfte. Sie sind angewiesen auf die Persönlichkeiten, die Ideen, die Kreativität der Individuen. Genauso sind aber auch Menschen auf Organisationen angewiesen. Wer will bitteschön die Errungenschaften wegdiskutieren, die die Arbeitsteilung mit sich gebracht hat. Wer will zu einem „Heiler“ gehen, anstatt in ein Krankenhaus, in dem Expert:innen gemeinsam an echten Lösungen arbeiten? Wer will seine Kinder in Betreuungseinrichtungen geben, die nur „satt und sauber“ anstatt echte Bildung und Begleitung leben? Wer will im Alter vor sich hin vegetieren, anstatt von Profis gepflegt zu werden?

Kurz – wir brauchen beides:

Funktionierende Organisationen, die unabhängig von einzelnen Menschen ihren Zweck erfüllen und gleichzeitig die Bedarfe der Mitarbeiter:innen berücksichtigen und darüber zu lebenswerten „Ökosystemen“ werden.

Das erfordert zum einen gelingende Organisationsentwicklung zur Gestaltung zeitgemäßer und bedarfsgerechter Organisationen. Zum anderen erfordert es individuell und organisational die Auseinandersetzung mit dem Sinn, mit der Frage nach Wirksamkeit.

„Kindness Economy“ allein wird da nicht helfen.

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One comment on “Wider die Kindness Economy: Über Fachkräfte, Macht und die Zukunft von Organisationen

  1. Ralf am

    Na ja, meine Realitäten sehen anders aus! In der Sozialen Arbeit sind wir fern von Obstkörben, kostenlosen Kaffee, Dienstwagen oder anderen Dingen. Man bekommt beim Jobwechsel mit 20 Jahren Berufserfahrungen ein Berufsanfänger-Gehalt mit vier Monaten Befristung angeboten! Das liegt nicht am Träger, aber am Finanzierungsgeber. Also so erlebe ich es!

    Antworten

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