Wahrscheinlich ist Dir schon aufgefallen, dass sich Organisationen der Sozialwirtschaft nicht einfach verändern lassen, oder? Aber woran liegt das? Neben den üblichen Beharrungskräften in Organisationsentwicklungsprozessen – wie bspw. dem Widerstand der Mitarbeitenden gegen Veränderung oder dem Drang sozialer Systeme nach Stabilität – verfolge ich hier die These, dass dafür auch und insbesondere die ausgeprägte Organisationskultur von Organisationen der Sozialwirtschaft verantwortlich ist. Aber: Was ist Organisationskultur?
Im Folgenden gehe ich dieser Frage aus systemtheoretischer Perspektive nach. Das ist aus meiner Sicht wichtig, weil (fast) immer, wenn über Probleme in Organisationen gesprochen wird – seien es Reibungen in der Zusammenarbeit, mangelnde Veränderungsbereitschaft oder Konflikte zwischen Teams und Abteilungen – der Begriff der „Organisationskultur“ sehr schnell fällt: „Wir müssen die Kultur verändern, damit wir…!“ oder „Wir brauchen eine andere Führungskultur, damit wir…!“
Mit dem „Flutschbegriff Kultur“ bzw. Organisationskultur hat jede:r ein eigenes Bild im Kopf, alle stimmen irgendwie zu und die Kommunikation „flutscht“ weiter – ohne das klar ist, was genau der Begriff eigentlich meint. Und vor allem wird nicht deutlich, was denn mit dieser „Organisationskultur“ eigentlich gemacht bzw. wie diese beeinflusst werden kann.
P.S.: Auch dieser Beitrag ist entstanden, weil ich in Workshops und Fort- und Weiterbildungen immer wieder ähnliche Ausführungen rund um die Frage der Organisationskultur mache und es sich – vielleicht – lohnt, sie hier zum Nachlesen zu hinterlassen. Der Beitrag knüpft an den Beitrag „Was sind Organisationen – eine Einführung“ an. Und wahrscheinlich werde ich perspektivisch weitere Auszüge aus Workshops und Fortbildungen (z.B. zu den Besonderheiten sozialer Organisationen) hier niederschreiben.
Organisationskultur – was ist das eigentlich?
Wie gesagt: Fast immer, wenn über Probleme in Organisationen gesprochen wird – seien es Reibungen in der Zusammenarbeit, mangelnde Veränderungsbereitschaft oder Konflikte innerhalb oder zwischen Teams und Abteilungen – fällt der Begriff der „Organisationskultur“ sehr schnell. Um hier mehr Klarheit zu schaffen, lohnt ein vertiefender Blick auf Organisationskultur aus systemtheoretischer Perspektive.
In populären Managementdiskursen und selbst der Organisationswissenschaft wird Organisationskultur unterschiedlich definiert und häufig auf grundlegende Annahmen, „Haltungen“, das Mindset der Mitarbeitenden“, die im Leitbild dargestellten Werte, Artefakte, das „Organisationsklima“ oder gar das Verhalten einzelner Personen reduziert (Kühl, 2018: 8). Systemtheoretisch gedacht, greift das aber zu kurz.
Um der Organisationskultur aber näher zu kommen, ist einführend wieder auf die drei Seiten der Organisation (Schauseite, formale Seite und informale Seite) und die vier verschiedenen Typen formaler Organisationsstrukturen (Zweckprogramme, Konditionalprogramme, Kommunikationswege und Personal) zu verweisen. Genauer beschrieben habe ich das im Beitrag „Was sind Organisationen – eine Einführung“.
Mit Blick auf die Organisationskultur müssen die sog. Entscheidungsprämissen genauer betrachtet werden.
Entscheidungsprämissen – was ist das schon wieder?
Das ist recht einfach erklärt:
Immer dann, wenn mehrere Menschen versuchen, miteinander auszukommen, bilden sich gegenseitige Erwartungen heraus. Eine Erwartung ist bspw., dass man sich in der Schlange an der Kasse nicht vordrängelt, alle Menschen in einem Workshop mehr als eine Unterhose tragen, sich beim Betreten eines Raums kurz grüßen oder während eines Gesprächs nicht dauernd auf’s Handy schauen.
„Könnte man als Mensch nicht auf diese Stützen sozialer Erwartungen – man könnte auch sagen: auf diese sozialen Strukturen – zurückgreifen, wäre das Leben ziemlich kompliziert, wenn nicht gar unmöglich“ (Kühl, 2018a: 10).
Die sozialen Erwartungen definieren aber nicht, wie genau man zu handeln hat, sondern liefern immer einen gewissen Spielraum: Man kann auch nicht grüßen, sich vordrängeln oder nur mit (oder sogar ohne) Unterhose zum Workshop gehen. Man muss dann aber die Konsequenzen tragen.
Soziale Erwartungen können sich in zwei Formen ausbilden – „entweder, indem über diese Erwartungen durch ein Management, einen Gesetzgeber oder ein Familienoberhaupt entschieden wird oder indem sich die Erwartungen, ohne dass sie jemals klar entschieden werden, allein durch Imitationen und Wiederholungen einschleichen“ (ebd.). Hier kommen also Entscheidungen ins Spiel.
Entscheidungsprämissen sind dann die grundlegende Entscheidungen, die als Voraussetzung (Prämisse) für dann folgende Entscheidungen verwendet werden. Sie schränken die Auswahlmöglichkeiten für weitere Entscheidungen ein, ohne jedoch die folgenden Entscheidungen ganz genau festzulegen. Kurz gesagt sind Entscheidungsprämissen die Spielregeln, die das Spiel (nicht nur in Organisationen) regeln (vgl. näher hier).
Mit dem Blick auf Organisationen, auf die drei Seiten und die vier verschiedenen Typen formaler Organisationsstrukturen werden diese Entscheidungsprämissen und damit die Spielregeln deutlich:
Darüber wird definiert, was in einer Organisation als erwartbar gilt.
Und wenn über das, was als erwartbar gilt, nicht formal entschieden wurde, sind wir bei der Organisationskultur.
Organisationskultur sind die nicht entschiedenen Entscheidungsprämissen
Diese „nichtentschiedenen Entscheidungsprämissen“ sind – im Gegensatz zu den Verhaltenserwartungen, über die formal entschieden wurde (formale Seite) – auch eine Form von Struktur:
Es sind Verhaltenserwartungen, über die nicht entschieden wurde, sondern die sich durch häufige Wiederholungen ausgebildet haben: Erst dann, wenn ein bestimmtes Verhalten nicht nur bei eine:r einzigen Mitarbeiter:in als „Ausnahme“ beobachtet werden kann, sondern sich als erwartbar eingeschlichen und etabliert hat, hat es den Status einer informalen Erwartung und wird damit zur „Kultur“.
Als Beispiel wird die Nutzung des kurzen Dienstweges erst dann zur Kultur, wenn dieser immer wieder genommen wird. Genauso wird die Nicht-Einhaltung von gemeinsamen Vereinbarungen im Team erst dann zu einer „Kultur der Unverbindlichkeit“, wenn die Vereinbarungen wiederholt nicht eingehalten werden.
Wenn man noch etwas genauer hinschaut, muss Organisationskultur im Sinne der „nicht entschiedenen Entscheidungsprämissen“ noch weiter auseinander genommen werden – und zwar in a) Entscheidungsprämissen, „die prinzipiell unentscheidbar sind und sich deswegen grundsätzlich einer Überführung in eine entschiedene Entscheidungsprämisse entziehen, und in b) Entscheidungsprämissen, die nicht entschieden sind, aber prinzipiell entscheidbar wären“ (ebd., 17):
Zu a): Prinzipiell unentscheidbare Entscheidungsprämissen werden bspw. deutlich, wenn Organisationen versuchen, „Herzlichkeit“ im Umgang mit Angehörigen, die „Innovationskultur“ oder den „wertschätzenden Umgang“ untereinander anzuordnen. All das mag vielleicht toll klingen – formal entscheidbar ist das alles nicht.
Zu b): Prinzipiell entscheidbar ist hingegen all das, was von Seiten der Organisation auch in formale Mitgliedschaftsbedingungen gegossen und bei Nichteinhaltung sanktioniert werden kann bzw. könnte. Als Beispiel kann (und wird meistens) der genaue Arbeitsbeginn klar festgelegt werden. Wenn dieser jedoch nicht festgelegt ist, kann sich eine „Kultur“ einschleichen, in der die Mitarbeitenden „kommen, wann sie wollen“ – mit allen damit einhergehenden positiven und negativen Effekten. Genauso kann die Kultur der Verbindlichkeit über die Festlegung von Sanktionen bei Nichteinhaltung beeinflusst geregelt werden. Konkret lässt sich zum Beispiel festlegen, dass die Vereinbarungen für alle transparent festgehalten werden und in jeder Teamsitzung gemeinsam überprüft wird, ob die Vereinbarungen eingehalten wurden.
Die Unterscheidung zwischen nichtentschiedenen, aber prinzipiell entscheidbaren Entscheidungsprämissen und prinzipiell unentscheidbaren Entscheidungsprämissen mag wie „Haarspalterei“ klingen, ist aber wichtig, da erst darüber deutlich wird, wo in Organisationen bzw. Teams und Abteilungen welche Möglichkeiten zur Beeinflussung der Organisationskultur liegen.
Wichtig ist außerdem, dass in Organisationen immer eine wie auch immer geartete Organisationskultur existiert. Denn selbst dann, wenn alle prinzipiell entscheidbaren Entscheidungsprämissen tatsächlich entschieden wurden, verbleiben die prinzipiell unentscheidbaren Entscheidungsprämissen als Organisationskultur. Ach ja:
Der Versuch, alle prinzipiell entscheidbaren Entscheidungsprämissen tatsächlich zu entscheiden, führt zu überformalisierten Organisationen, in denen die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sich die Mitarbeitenden auf den „Dienst nach Vorschrift” zurück ziehen. Und der reine Dienst nach Vorschrift ist die bekanntermaßen effektivste Streikform. M.a.W. wäre „eine vollkommen transparente und formalisierte Organisation, die keine Spielräume hätte, informell Entscheidungen zu treffen, (…) nicht existenzfähig“ (Merkes/Eidenschink, 2021: 78).
Noch einmal kurz zusammengefasst folge ich hier dem Gedanken von Kühl (2018: 30): Organisationskultur wird demnach als die nicht entschiedenen Entscheidungsprämissen definiert.
Mir gefällt daran neben der Präzisierung des Begriffs auch, dass über diesen Blick auf Organisationskultur deutlich wird, dass eine Organisation auch mehrere, teils ganz verschiedene Kulturen und nicht nur die eine Organisationskultur haben kann. Denn je nach Team, Bereich, Standort etc. können andere Entscheidungsprämissen nicht entschieden sein.
Und diese Kulturvielfalt wird vielen Menschen, die mit den oftmals hochgradig dezentral organisierten Organisationen der Sozialwirtschaft zu tun haben, bekannt vorkommen.
Möglichkeiten zur Beeinflussung der Organisationskultur
Was lässt sich in Organisationen bewusst entscheiden und damit gestalten? Gehört die Organisationskultur dazu? Falls das nicht so einfach sein sollte: Welche Ansatzpunkte und Möglichkeiten haben Führungskräfte und Organisationsentwickler:innen, um trotzdem Einfluss auf die Organisationskultur zu nehmen?
Dazu ist wieder hilfreich, die schon angesprochenen vier verschiedenen Typen von Organisationsstrukturen, die nicht umsonst in der Systemtheorie als entscheidbare Entscheidungsprämissen bezeichnet werden, zu unterscheiden:
Zweckprogramme: Programme legen fest, „was man in einer Organisation tun darf und was nicht” (ebd.). Sie lassen sich untergliedern in Konditionalprogramme und Zweckprogramme. Zweckprogramme legen fest, welche Ziele oder Zwecke erreicht werden sollen. Hier geht es um die in der Organisation oder im Team festgelegten Zwecke, von mir aus auch um die „Mission“. Die Mittel zur Erreichung der Zwecke werden nicht näher definiert und es werden auch keine genauen Prozesse beschrieben, die aufzeigen, wie die Ziele bzw. Zwecke zu erreichen sind.
Konditionalprogramme definieren hingegen, was getan werden muss, wenn in einer Organisation ein bestimmter Impuls wahrgenommen wird. Kurz formuliert sind alle vorgegebenen und (meist) verschriftlichten Regeln und Prozesse („Wenn X passiert, ist Y zu tun!“) Konditionalprogramme.
Kommunikations- oder Entscheidungswege zeigen sich in den Organigrammen und legen fest, wer wem etwas sagen bzw. entscheiden kann, ohne dass dies angezweifelt wird. Beispiele für Entscheidungswege sind Hierarchien, Mitzeichnungsrechte oder auch Teams, Abteilungen oder die Kommunikationswege in temporär gebildeten Projektgruppen.
Personal: Organisationen können darüber entscheiden, wen sie einstellen, entlassen, weiterbilden oder intern versetzen. Diese Personalentscheidungen sind wichtige Prämissen für weitere Entscheidungen in der Organisation. Denn es macht für künftige Entscheidungen einen Unterschied, welche Person (mit welchen Kompetenzen) eine bestimmte Stelle besetzt.
„Programme, Kommunikationswege und Personal lassen sich als Sinnbild für die Formalstruktur einer Organisation interpretieren. Über diese Entscheidungsprämissen können Leitungskräfte in Einrichtungen der Sozialen Arbeit entscheiden und hierdurch – im Sinne von Steuerung – Einfluss auf zukünftige Entscheidungen nehmen“ (Gesmann, Merchel, 2021, 37).
Wenn aber nur über Programme, Kommunikationswege und Personal entschieden werden kann, folgt daraus, dass über die Kultur nicht direkt und formal entschieden werden kann:
Kurze Dienstwege oder neue Ideen können ebenso wenig angeordnet oder strukturell verankert werden wie der regelmäßige Besuch der Currywurstbude zur Mittagspause, das „agile Mindset” der Mitarbeitenden, der wertschätzende Umgang oder die Verbindlichkeit in der Einhaltung von Vereinbarungen. Und selbst die Erarbeitung von toll klingenden Leitbildern oder die Durchführung von „Kulturworkshops“ vermitteln allerhöchstens eine Steuerungsillusion, verändern die Kultur aber kaum – wenn überhaupt. Möglich ist hingegen die Beobachtung von Kultur.
Auf dieser Beobachtung aufbauend können Rahmenbedingungen geschaffen bzw. Entscheidungen getroffen werden, die die Entwicklung von gewünschten Kulturen begünstigen (oder auch behindern). Dazu gehört z. B. die Wahrnehmung von und der Umgang mit expliziten und impliziten Regeln, die Entscheidung über Kommunkationswege (bspw. der Abbau formaler Hierarchien oder die Zusammenlegung von Teams) oder auch die Entscheidung darüber, welche Person welche Rolle in der Organisation übernimmt.
All das wiederum hat dann Auswirkungen auf die Organisationskultur. Fraglich ist nur, welche Auswirkung genau…
Fazit und die Kultur von Organisationen der Sozialwirtschaft
Deutlich wurde, dass der etwas nüchterne Blick der Systemtheorie auf Organisationskultur und das Verständnis von Organisationskultur als die „nicht entschiedenen Entscheidungsprämissen“ hilfreich sein kann. Denn er macht deutlich, was Kultur ist und wie diese beeinflusst werden kann – ohne jedoch in unrealistische Steuerungsphantasien abzugleiten. Denn:
Beeinflussen heißt nicht „Vorgeben“, sondern eher Verführen: Über die Gestaltung der Formalstruktur lässt sich versuchen, die Kultur in die gewünschte Richtung zu bewegen. Und dazu ist es immer wieder nötig, zu beobachten, zu entscheiden und die getroffenen Entscheidungen umzusetzen – Führung eben.
Falls Du Dich für die Besonderheiten der Kultur von Organisationen der Sozialen Arbeit interessierst, empfehle ich zum Weiterlesen den Beitrag rund um die dominierende Informalität.
Quellen
Gesmann, Stefan, und Joachim Merchel. Systemisches Management in Organisationen der Sozialen Arbeit: Handbuch für Studium und Praxis. Erste Auflage. Systemische soziale Arbeit. Heidelberg: Carl-Auer Verlag GmbH, 2019.
Kühl, S. (2018): Organisationskultur. Eine Konkretisierung aus systemtheoretischer Perspektive. Managementforschung 28, S. 7 – 35.
Kühl, S. (2018a): Organisationskulturen beeinflussen. Eine sehr kurze Einführung. Wiesbaden: Springer VS.
Merkes, Ulrich, und Klaus Eidenschink. Entscheidungen ohne Grund – Organisationen verstehen und beraten Eine Metatheorie der Veränderung. Gottingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2021.
Die Arbeitswelt wandelt sich. Begriffe wie „agiles Arbeiten“, „Selbstorganisation“ und „New Work“ prägen den Alltag – auch in Organisationen der Sozialen Arbeit. Doch was ist darunter zu verstehen und vor allem: Was hilft, damit Organisationen der Sozialen Arbeit gelingende Teamarbeit trotz Fachkräftemangel ermöglichen können?
Zu dieser Frage haben Marion Kleinsorge und ich den folgenden Beitrag verfasst und hoffen, damit praxisnahe Antworten zu liefern, um den herausfordernden Alltag in Deiner Einrichtung bzw. Deinem Team positiv zu beeinflussen.
New Work – was steckt dahinter?
Wenn von „New Work“ die Rede ist, denken viele an Digitalisierung, Homeoffice oder ortsunabhängiges Arbeiten. Im Kontext der Sozialen Arbeit spielt das kaum eine Rolle: Oft verfügen Mitarbeitende nicht einmal über eine eigene dienstliche E-Mail-Adresse. Ihre Arbeit findet fast ausschließlich in der direkten Interaktion mit Klient:innen, Kolleg:innen, Angehörigen… statt.
Relevanter sind hier „New Work Dimensionen“ wie sinnstiftende Arbeit, Selbstorganisation, -bestimmung und -wirksamkeit, der Bedarf nach flexiblen Arbeitszeiten und die Möglichkeit, aktiv mitzugestalten. Damit sind wir mitten im Alltag von Organisationen der Sozialen Arbeit angekommen.
Problematisch wird es aber dann, wenn „New Work“ missverstanden wird: Wenn Organisationen New Work als reiner Fokus auf die Mitarbeitenden verstehen und beginnen, sich primär um ihre – hoch individuellen – Wünsche zu drehen, gerät der eigentliche Zweck – die Arbeit mit und für benachteiligte Menschen – aus dem Blick. Das gefährdet langfristig das Überleben der jeweiligen Einrichtung.
INFOBOX New Work: Der Name Frithjof Bergmann ist historisch eng mit dem Konzept der „Neuen Arbeit“ verbunden. Mit “New Work” lieferte Bergmann in den 1980er Jahren einen Gegenentwurf zum Kapitalismus, verstanden als Abkehr von der klassischen Lohnarbeit (hier mehr dazu). Von seinen bis heute visionären Ideen ist vor allem der Satz geblieben, dass Menschen das tun sollten, was sie „wirklich, wirklich tun wollen“. Dieser Satz hat viel zu dem heute populären Bild von New Work beigetragen, das sich mit der Gestaltung von “selbstorganisierten und sinnstiftenden Organisationen, in denen es den Mitarbeitenden gut geht“, zusammenfassen lässt. Unter diesem Bild findet sich dann eine Vielzahl unterschiedlicher Möglichkeiten – vom Kickertisch über zeit- und ortsunabhängiges Arbeiten bis hin zu „agilen Organisationen“. Klassische Merkmale von Organisationen haben es dagegen heute schwer: Hierarchien, klare Prozesse und einzuhaltende Regeln gelten als nicht mehr zeitgemäß – auch wenn sie nach wie vor ihre Berechtigung haben.
Statt also beliebig „irgendwas mit New Work“ zu implementieren oder gar „New Work Washing“ zu betreiben, gilt es, (nicht nur) in Zeiten des Fachkräftemangels die formale Team- und Organisationsstruktur zu gestalten.
Im Folgenden wird zunächst der Blick auf den Zweck von Organisationen der Sozialen Arbeit gerichtet, um darauf aufbauend konkrete Gestaltungsmöglichkeiten der formalen Organisationsstruktur aufzuzeigen – mit dem Ziel, gelingende Teamarbeit trotz Fachkräftemangel zu ermöglichen.
Wozu brauchen wir eigentlich Organisationen der Sozialen Arbeit?
Die Soziale Arbeit bzw. konkret Organisationen der Sozialen Arbeit fördern – so jedenfalls die Definition der Sozialen Arbeit – gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen (vgl. hier). Das ist hochgradig komplex.
Die Komplexität erhöht sich aber weiter, wenn die Arbeit „an der Basis“ in den Blick rückt:
Soziale Arbeit findet fast immer unmittelbar im direkten Kontakt mit den Menschen statt. Der direkte Kontakt jedoch ist kaum planbar und hoch individuell – jedes Kind ist anders, jede:r Jugendliche hat ihre individuellen Bedarfe, jeder Sozialraum ist anders. Das führt dazu, dass Mitarbeitende an der Basis der Sozialen Arbeit immer spontan entscheiden müssen. Sie agieren in “diffuser Allzuständigkeit” (vgl. hier, S. 166) zwischen den formalen und informalen Regeln, Mustern und Vorgaben der Organisation, den individuellen Anforderungen der Klient:innen und den Erwartungen der Gesellschaft.
Wie aber lassen sich Strukturen für diese hoch komplexen Arbeitswelten sinnvoll gestalten?
Strukturen funktional gestalten
Organisationsstrukturen dienen grundsätzlich dazu, Komplexität zu reduzieren. Das wird bspw. bei Stellenbeschreibungen deutlich. Hier ist geregelt, welche Aufgaben, wie lange und mit welchem Gehalt zu erledigen sind. Wenn jede:r Mitarbeiter:in täglich neu entscheiden würde, was, wie, wann und für welches Entgelt gearbeitet wird (oder auch nicht), wäre das Chaos vorprogrammiert.
Es lassen sich insgesamt vier “Bereiche formaler Strukturen” – sog. Entscheidungsprämissen – definieren, über die in Organisationen bewusst entschieden werden kann (vgl. näher z.B. hier):
Ziele und Zwecke (Wozu sind wir da? Was wollen wir erreichen?) verdeutlicht z.B. über das Leitbild oder die Organisationsstrategien
Entscheidungswege (Wer darf was entscheiden?) verdeutlicht z.B. über das Organigramm; Abteilungen, Teamstrukturen, Verantwortlichkeiten
Regeln und Prozesse (Wenn A passiert, ist B zu tun!) verdeutlicht z.B. über QM-Prozesse; Festlegung von Zeiten für Teambesprechungen
Personal (Welche Person übernimmt welche Aufgabe), verdeutlicht z.B. über Stellenprofile oder die Verteilung der Aufgaben innerhalb des Teams
Bis vor wenigen Jahren war es den Einrichtungen möglich, gute Personalentscheidungen bereits im Einstellungsverfahren zu treffen: Es wurde die Person eingestellt, die “am besten ins Team passt” oder “die eine zur Organisation passende pädagogische Haltung hat”. Auf diese Weise konnten motivierte, verantwortungsbewusste und fachlich kompetente Fachkräfte gewonnen und damit die Qualität gesichert werden. Diese Auswahlmöglichkeit ist in Zeiten des Fachkräftemangels kaum noch gegeben, da die Auswahl an geeigneten Personen sehr eingeschränkt ist (vgl. näher z.B. hier).
Da die Ziele und Zwecke oftmals klar sind (bzw. vom Team selbst nicht geändert werden können), folgt daraus, dass die Entscheidungswege (Zuständigkeiten) sowie die Regeln und Prozesse übrig bleiben, um darüber die Teamarbeit trotz Fachkräftemangel gelingend und damit “funktional” zu gestalten.
Fünf Schritte zur gelingenden Teamarbeit trotz Fachkräftemangel
Um eine möglichst hohe Qualität der erbrachten Leistungen zu gewährleisten, ist vor allem Klarheit auf allen Ebenen und in allen Rollen erforderlich. Dies wird erreicht durch Klarheit über das “Wozu” (Zweck der gemeinsamen Arbeit), die Erwartungen an Haupt- und Nebenrollen (Verantwortlichkeiten), den Verzicht auf Unnötiges und die Klärung von Regeln und Abläufen. Hilfreich sind die folgenden fünf Schritte:
Das “Wozu” klären: Im ersten Schritt geht es darum, sich der gemeinsamen professionellen Grundhaltung bewusst zu werden und zu beschreiben, wozu es die Einrichtung gibt: Für wen sind wir da? Welchen Mehrwert wollen wir bieten? Wie machen wir das konkret? Neudeutsch spricht man hier vom „Purpose“, der ganz spezifisch für das Team und/oder die Einrichtung die Daseinsberechtigung beschreibt.
Hauptrollen klären: Dann ist transparent zu machen, was von den Mitarbeitenden in ihrer jeweiligen Rolle (als Leitung, Erzieher:in, Kindheitspädagog:in, Kinderpfleger:in oder auch als ungelernte Kraft) erwartet wird. Sicherlich haben alle Erwartungen an die eigene Rolle und auch an die Rolle der anderen. Problematisch wird es, wenn die Erwartungen unklar sind und voneinander abweichen. Unausgesprochene, sogenannte informale Erwartungen führen zu Frustration – auf beiden Seiten. Deshalb braucht es klare Rollenbeschreibungen, in denen Aufgaben (Was genau ist in der Rolle zu tun?), Befugnisse (Was darf die Rolle entscheiden?) und Verantwortlichkeiten (Wofür ist die Rolle verantwortlich?) definiert sind.
Nebenrollen klären: Der Versuch, den Betrieb trotz Fachkräftemangel aufrechtzuerhalten, führt häufig dazu, dass vor allem Leitungskräfte ihre Leitungsaufgaben vernachlässigen, um im pädagogischen Alltag “einzuspringen”. Dies wird sich nicht gänzlich vermeiden lassen. Durch die Klärung und Verschriftlichung der Erwartungen an die “Hauptrollen” (s.o.) wird deutlich, dass Aufgaben ggf. auch von anderen Mitarbeitenden übernommen werden können. Darüber hinaus ist es sinnvoll, einzelne Aufgaben in “Nebenrollen” (Mandate bzw. Verantwortungsbereiche) zusammenzufassen und zu festzulegen, wer im Team für das jeweilige Mandat verantwortlich ist, welche Aufgaben mit dem Mandat einhergehen und welche Entscheidungsbefugnisse im Mandat liegen.
“Unnötiges” klären: Es wird nicht möglich sein, alle Aufgaben wie bisher weiterzuführen. Deshalb sollte auch Klarheit hergestellt werden über das, was nicht mehr leistbar ist. Hier hilft der Blick auf das Konzept der Exnovation – verstanden als Pendant zur Innovation und Grundlage jeder Weiterentwicklung. Hier geht es darum, Raum für Neues zu schaffen – oder vielleicht auch nur darum, konkrete Ansatzpunkte zu finden, was in Zukunft weggelassen werden kann, um überhaupt wieder Luft zum Atmen zu bekommen.
Den Rest klären: Damit ist gemeint, zu beachtende ‘Grundregeln’ (Regeln und Prozesse) transparent zu machen. Das beginnt bei Zeiten für Teambesprechungen, geht über die Struktur der Besprechungen oder die Frage, wer moderiert und dokumentiert, bis hin zur Frage, wie Entscheidungen im Team getroffen werden. So werden Teamsitzungen effizienter, es ist klar, wer Protokoll schreibt, und es werden schnell gute und verbindliche Entscheidungen getroffen.
Das Team-Handbuch als Orientierung
Die Ergebnisse dieser Klärungen sollten in einem Team-Handbuch schriftlich festgehalten werden. Damit wird Orientierung für bestehende Mitarbeitende gegeben, die Einarbeitung neuer Mitarbeiter:innen erleichtert und Konflikte reduziert, da klarer zwischen Rolle und Person unterschieden werden kann: Statt die ganze Person zu kritisieren, kann die Kritik auf die Rolle fokussiert werden (Peter hat in seiner Rolle als Erzieher die formalen Erwartungen nicht erfüllt). Darauf aufbauend können konkrete Lösungen erarbeitet werden, wie die Rollenerwartungen in Zukunft besser erfüllt werden können.
Damit es praxistauglich bleibt, sollte das Team-Handbuch möglichst schlank gehalten werden. Außerdem ist es wichtig, dass die darin formulierten Leitlinien und Regeln der gemeinsamen Teamarbeit nicht “in Stein gemeißelt” sind, sondern regelmäßig (z.B. jährlich) aktualisiert werden. Denn Rahmenbedingungen ändern sich ebenso wie die Zusammensetzung des Teams und Regeln von gestern sind morgen nicht mehr unbedingt hilfreich. Deshalb sollte bereits bei der Erarbeitung und Verabschiedung des ersten Entwurfs vereinbart werden, wann genau eine Überprüfung und Überarbeitung ansteht.
Befreiende Strukturen für gelingende Teamarbeit – gerade in Zeiten des Fachkräftemangels
Zusammenfassend ist der Fachkräftemangel nicht wegzudiskutieren und führt dazu, dass es immer schwieriger wird, genügend (und geeignetes) Personal für die eigene Einrichtung zu finden. Statt jedoch mit falsch verstandenen “New Work”-Maßnahmen und orientierungsloser Selbstorganisation um neue Mitarbeitende zu werben, plädieren wir für die Gestaltung klarer Strukturen der gemeinsamen Zusammenarbeit.
Diese Strukturen bilden den Rahmen, innerhalb dessen ein sicheres, vertrauensvolles und wertschätzendes Miteinander möglich wird, das von kontinuierlicher individueller und gemeinsamer Entwicklung geprägt ist. Teams in Organisationen der Sozialen Arbeit, die auf dieser Basis zusammenarbeiten, werden zu starken Teams und bieten – auch in Zeiten des Fachkräftemangels – beste Voraussetzungen für gute Arbeit.
Auf den ersten Blick scheint dies dem populären Verständnis von New Work zu widersprechen. Doch auf den zweiten Blick schaffen Strukturen Sicherheit – eine Sicherheit, die neue Freiheiten und Freiräume in der hochkomplexen Sozialen Arbeit ermöglicht.
Daraus können im besten Fall sogar neue Nischen entstehen, um neue Probleme wahrzunehmen und Raum für zukünftige Lösungen zu bieten.
P.S.: Hier findest Du unseren Podcast, in dem wir aktuell eine Staffel zum Thema Fachkräftemangel aufnehmen. Viel Spaß beim Hören!
Aktuell bin ich in mehrere Prozesse eingebunden, in denen es um die Leitbildentwicklung in Organisationen der Sozialwirtschaft geht. Der Wunsch der Organisationen nach konsistenten und attraktiv formulierten Leitbildern ist nachvollziehbar. In einer zunehmend komplexen und dynamischen Welt stehen sie vor der Herausforderung, ihre Identität zu schärfen, ihrer Belegschaft und potenziellen Mitarbeiter:innen Orientierung zu bieten, gegenüber Klient:innen und anderen externen Stakeholdern gut dazustehen und gleichzeitig flexibel auf Veränderungen zu reagieren. Aber:
Wenn Leitbilder die Lösung sind, was war eigentlich das Problem?
Und wie gelingt es, ein Leitbild zu schaffen, das nicht nur auf dem Papier existiert, sondern im Alltag gelebt wird?
Im Folgenden habe ich dazu meine Gedanken zusammengetragen: von der Frage, welche Funktionen Leitbilder erfüllen, über die Notwendigkeit von Leitbildern in Organisationen der Sozialen Arbeit bis hin zur Frage des aus meiner Sicht sinnvollen Vorgehens zur Entwicklung von Leitbildern.
Wozu eigentlich, oder: Die Funktion von Leitbildern
Auffällig ist:
Leitbilder sind in den allermeisten Organisationen vorhanden. Wenn man jedoch die Mitarbeiter:innen nach Inhalten des Leitbilds fragt, erntet man meist nur Schulterzucken, nervöses Kramen in Schubladen oder bestenfalls die Wiederholung von Floskeln, die in jedem Leitbild von Organisationen der Sozialen Arbeit vorkommen: „Also, bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt!”
Das wirft die Frage auf, ob sich der Aufwand der Leitbildentwicklung lohnt. Diese Frage kann jedoch nur beantwortet werden, wenn klar ist, welches Problem Leitbilder lösen sollen bzw. welche Funktion sie haben.
In Leitbildern werden zentrale Werte, das Selbstverständnis und manchmal die Ziele einer Organisation formuliert. Entsprechend lassen sich Leitbilder als „Wertekataloge einer Organisation” (Kühl, 2017: 12) verstehen, die Auskunft über die angestrebte Identität der Organisation geben sollen.
Sie „richten sich vorrangig an der Schauseite der Organisation aus, müssen dabei aber auf die formale und die informale Seite Rücksicht nehmen (vgl. ebd. 14, näher zur Unterscheidung von Schauseite, formaler und informaler Seite bspw. hier).
Kurz gesagt sollen Leitbilder als Kompass für Organisationen dienen und Mitarbeitenden, Klient:innen sowie externen Partnern Orientierung bieten. Klingt nach eierlegender Wollmilchsau:
Geht es jetzt um die Mitarbeitenden und somit um die Orientierung nach innen oder um die Klient:innen bzw. die Partner der Organisation, wie beispielsweise die Kostenträger? Denn interne und externe Interessengruppen haben ganz unterschiedliche Bedarfe, Wünsche und Hoffnungen.
Werteformulierungen in Leitbildern haben „hohe Konsenschancen” (Luhmann, 1972: 88 ff.), bei näherer Betrachtung sind sie jedoch ziemlich widersprüchlich.
Dazu ein Beispiel (zu dem hinzugefügt werden muss, dass die folgenden Zitate aus einem real existierenden Leitbild stammen, ich damit aber nicht sagen will, dass es sich um ein „schlechtes Leitbild” handelt. Ich will nur aufzeigen, wo die Herausforderungen und Widersprüche liegen.):
Die Aussage „Der Mensch steht im Mittelpunkt unserer Arbeit. Wir fördern und begleiten seine Entwicklung.” wird wohl jede:r unterstützen.
Im gleichen Leitbild steht dann, dass „betriebswirtschaftliche Unternehmensführung und ein hohes Qualitätsbewusstsein (…) für uns selbstverständliche Voraussetzungen für gute soziale Arbeit” sind. Auch diesem Wert (Wirtschaftlichkeit) kann zugestimmt werden, oder?
In Entscheidungssituationen wird es jedoch widersprüchlich:
Wenn Einrichtungen aus Gründen der Wirtschaftlichkeit geschlossen oder die Öffnungszeiten aufgrund des Fachkräftemangels verkürzt werden müssen, ist das zwar dem Wert „Wirtschaftlichkeit” folgend nachvollziehbar, widerspricht aber den Werten „Mensch im Mittelpunkt” bzw. „Nächstenliebe” (wie es gerne in Leitbildern konfessioneller Organisationen heißt).
Wenn in der Präambel zum Leitbild außerdem gesagt wird, dass die Wertformulierungen „verbindliche Grundlage unserer Arbeit” sind, möchte ich nicht in der Haut der Entscheider:innen stecken.
Kurz gesagt: Zu hoffen, dass Leitbilder die angestrebte Orientierung nach innen und außen tatsächlich bieten, ist zwar nachvollziehbar, stößt bei konkreten Entscheidungen jedoch auf Widersprüche.
Trotzdem wichtig, oder: Leitbilder in Organisationen der Sozialwirtschaft
Basierend auf den obigen Ausführungen könnte man jetzt zum Schluss kommen, dass keinen Sinn machen:
Wenn Leitbilder keine Orientierung bieten, brauchen wir sie doch nicht?!
Das ist aber – wenn man die Spezifika von Organisationen der Sozialen Arbeit in den Blick nimmt – deutlich verkürzt und nicht funktional. Denn:
Organisationen der Sozialen Arbeit müssen besonderen Wert auf ihre „Schauseite” legen, da „sie aufgrund ihrer spezifischen gesellschaftlichen und politischen Umweltkonstellationen gefordert [sind], im Hinblick auf unterschiedliche Interessenträger (…) Legitimation zu erzeugen und aufrechtzuerhalten sowie dadurch die eigene Organisation mit einem tragfähigen Vertrauenspotenzial ihrer Umwelt auszustatten“ (Gesmann, Merchel 2021:37f).
Das, was dahintersteht, lässt sich beispielsweise am Wert „Qualität” aufzeigen: Organisationen der Sozialen Arbeit können sich der Anforderung, qualitativ hochwertig zu arbeiten und Qualitätsmanagement zu betreiben, kaum entziehen. Gerade weil oftmals nicht kausal dargelegt werden kann, was in Organisationen der Sozialen Arbeit „wirklich wirkt”, sind sie darauf angewiesen, zu propagieren, dass sie qualitativ arbeiten und ein Qualitätsmanagementsystem vorhalten und nutzen. „Ob, in welcher Weise und Intensität aber intern Prozesse des Qualitätsmanagements realisiert werden, bleibt mit der Übernahme der Legitimationsanforderung höchst unklar und führt zu erheblichen Unterschieden, wie ein Blick in verschiedene Organisationen der Sozialen Arbeit zeigt“ (ebd., S. 38).
Jetzt könnte man annehmen, dass es dann nur darauf ankommt, ein tolles Bild der Organisation nach außen zu zeigen und schicke Hochglanzbroschüren mit dolle klingenden Werten zu veröffentlichen, um darüber die eigene Existenz nach außen zu legitimieren. Aber auch das reicht nicht aus.
Denn auch wenn klar ist, dass „zwischen der nach außen gerichteten Fassade, mit der zu Legitimationszwecken ein Bild von der Organisation gezeichnet und vermittelt wird, und der in der Organisation wahrnehmbaren Realität wird in der Regel keine vollständige Deckungsgleichheit“ herrschen kann, müssen Organisationen der Sozialen Arbeit bemüht sein, „die Entkoppelung von Fassade und realer Erlebbarkeit nicht allzu groß werden zu lassen. Denn wenn die relevanten Akteure aus der Umwelt die Fassade als „scheinheilig” (…) erkennen, verliert das Schaufenster drastisch an Legitimationspotenzial“ (ebd.).
Und zu den „Akteuren aus der Umwelt“ gehören neben den Klient:innen und deren Angehörigen auch die Mitarbeiter:innen der Organisation. Und wenn die Akteure aus der Umwelt dann feststellen, dass das „Außen“ mit dem „Innen“ der Organisation so gar nichts zu tun hat, hätte man nur „das genaue Gegenteil der mit dem schönen Schaufenster beabsichtigten Legitimation“ (ebd.) erreicht – neben verärgerten Angehörigen, frustrierten Klient:innen und kündigenden Mitarbeiter:innen ggfs. ein Entzug der Betriebserlaubnis durch die Kostenträger und ein massiver Imageverlust in der Öffentlichkeit.
Und nu`? Oder: Leitbildentwicklung in der Sozialwirtschaft
Das sind ganz schön heftige Anforderungen an das Management von Organisationen der Sozialwirtschaft, oder?
Zu wissen, dass Wertformulierungen in Leitbildern bei konkreten Entscheidungen zu Widersprüchen und Frust führen können und gleichzeitig die Notwendigkeit zu haben, die eigene Arbeit und die Organisation nach außen zu legitimieren, kann ziemlich überfordernd wirken.
Aber Gott sei Dank sind widersprüchliche Anforderungen Alltag in Organisationen der Sozialen Arbeit und die Führungskräfte damit „Dilemmatamanagementprofis“ (vgl. näher Grunwald, 2022:92ff).
Wichtig ist nur, sich der mit der Leitbildentwicklung einhergehenden Dilemmata bewusst zu sein: Es ist wichtig, nicht der Vorstellung zu erliegen, dass Leitbilder „die Lösung für alles“ sind.
Die Mitarbeitenden werden nach erfolgter Leitbildentwicklung und -veröffentlichung immer noch Orientierung im Alltag suchen. Klient:innen und Angehörige werden immer noch frustriert auf für das Überleben der Organisation notwendige, aber eben nicht individuell passende Entscheidungen reagieren. Die Öffentlichkeit wird immer noch genau hinschauen (ggfs. sogar noch genauer), ob es denn legitim ist, wenn die Geschäftsführerin eines angeblich „sozialen“ Komplexträgers mit mehreren tausend Mitarbeiter:innen einen BMW und keinen Ford Fiesta fährt. Und genauso werden die Kostenträger trotz aller Beteuerungen, dass doch so wahnsinnig qualitativ gearbeitet wird, immer noch mehr bürokratische Anforderungen stellen, um irgendwie „messbar“ zu machen, was mit den ganzen Geldern geschieht. Da kommt man nicht raus.
Trotzdem (oder gerade deswegen) sind aus meiner Sicht mehrere Aspekte in der Leitbildentwicklung hilfreich, die es zu beachten gilt:
Prozess mehr als Präsentation
Kühl (2017:68) schreibt, dass „die Verständigung über einen Wertekatalog zwischen Management und Mitarbeitern (…) im Prozess der Erstellung des Leitbildes und nicht im Moment der Präsentation“ erfolgt.
M.a.W.: Der Prozess der Leitbildentwicklung in der Sozialwirtschaft ist wichtiger als die Präsentation auf der Website, in Hochglanzbroschüren oder auf schicken Postern an Wänden.
Nachvollziehbar, aber mühsam. Denn anstatt allein im stillen Kämmerlein ein fertiges Leitbild zu erarbeiten und dann zu verkünden, geht’s um die partizipative Erarbeitung des Leitbilds, da ein Leitbild ein Produkt interner Kommunikationsprozesse ist. Es entsteht durch die Auseinandersetzung der Organisation mit sich selbst und ihrer Umwelt.
Entsprechend relevant sind die Partizipationsmöglichkeiten am Prozess der Leitbildentwicklung.
Den Prozess effizient gestalten
Organisationen der Sozialwirtschaft sind keine StartUps mit ein paar Mitarbeitenden. Wir haben es oftmals mit „Konzernstrukturen“ zu tun, mit mehreren tausend Mitarbeiter:innen, die dann auch noch sehr dezentral in häufig völlig verschiedenen Arbeitsfeldern tätig sind.
Partizipation kann in diesen Kontexten entsprechend nicht bedeuten, dass jede:r „seinen Senf“ von Beginn an zum Leitbild beitragen kann. Das wäre vielleicht spannend, aber wenig funktional geschweige denn effizient.
Entsprechend gilt es, Partizipation effizient zu gestalten. Für mich heißt das konkret, im ersten Schritt (wenn möglich) so etwas wie einen „KickOff“ durchzuführen – eine Großgruppenveranstaltung (bspw. Open Space), in der Eindrücke, Aussagen, Meinungen usw. gesammelt werden. Hier kann es nicht darum gehen, konkrete Aussagen zum Leitbild zu diskutieren, das sprengt den Rahmen.
Im zweiten Schritt werden die Ergebnisse des KickOffs durch eine idealerweise interdisziplinär zusammengesetzte Projektgruppe zu einem weitgehend ausgearbeiteten Leitbildentwurf zusammengeführt.
Der dritte Schritt ist dann, den Entwurf zur ernsthaften Diskussion zu stellen. Ich betone das „ernsthaft“, da Mitarbeiter:innen sehr schnell spüren, wenn es reine Informationsveranstaltungen sind und kritische Einwände und Anregungen folgenlos bleiben.
Von Werten zu Prinzipien
Neben der partizipativen Erarbeitung von für die Organisation passenden Werten ist die Ableitung von aus den Werten folgenden, handlungsleitenden Prinzipien relevant.
Prinzipien lassen sich als allgemeingültige und nicht verhandelbare Spielregeln oder Handlungsleitlinien für die Arbeit in Teams und Organisationen definieren, die sich aus den formulierten Werten ableiten.
Wichtig ist dann, die aus den Werten abgeleiteten Prinzipien zum einen möglichst präsent zu halten. In Teamsitzungen, Gesprächen unter Mitarbeiter:innen und Führungskräften ebenso wie in Gesprächen mit Klient:innen sollten die Prinzipien tatsächlich angewendet werden, um der Gefahr zu begegnen, ein ähnliches Schicksal zu erleiden wie viele vergilbte Leitbilder vieler Organisationen:
Zwar existent, aber alles andere als lebendig.
Leitbildpyramide mehr als Leitbild
Der Begriff der Leitbildpyramide kommt aus dem Kontext der Strategiearbeit.
Unter einer Leitbildpyramide verstehe ich die Zusammenführung von der Vision, der Mission, den Werten, den Prinzipien und der Strategie(n) der Organisation an einem Ort (bzw. in einem Dokument).
Denn die Strategie(n) der Organisation sollten sich auf den bzw. die Zweck(e) der Organisation beziehen und damit darauf, wozu die Organisation existiert.
Und wenn man die Pyramide von unten betrachtet, ergeben sich über die Strategie(n) (hoffentlich) auch Orientierungen, wie die im Leitbild formulierten Werte mit Leben gefüllt werden.
Selbstverständlich ist es sinnvoll, regelmäßig aus dem Alltag auszusteigen und zu überlegen, was in Zukunft für die eigene Organisation überlebenswichtig sein wird. Genau dazu dienen beispielsweise „Strategieklausuren“. Genauso wichtig ist es jedoch, kontinuierlich über die Zukunft nachzudenken und die Strategie(n) regelmäßig (z. B. jährlich) zu überprüfen und weiterzuentwickeln.
Gleiches gilt auch für das Leitbild.
Es reicht aus meiner Sicht nicht aus, das Leitbild alle paar Jahre hervorzukramen, sich zu wundern und dann den Prozess der Leitbildentwicklung zu beginnen. Sinnvoller ist es, das Leitbild kontinuierlich und vor dem Hintergrund der aktuellen Bedingungen anzupassen.
Wenn ein Leitbild jedoch so genutzt wird, wie oben beschrieben, dann passiert das automatisch: Solange das Leitbild kontinuierlich im Fokus der Organisation bleibt und bei Neueinstellungen, Teamsitzungen, Entscheidungen usw. als Orientierung dient und nicht erst nach zehn Jahren hektisch hervorgeholt wird, erfolgen Anpassungen automatisch, da sich die Realität geändert hat.
Darüber hinaus empfehle ich, regelmäßige Zyklen der Überprüfung festzulegen und das Leitbild beispielsweise einmal im Jahr in der Leitungsklausur anzuschauen. Im Sinne einer Retrospektive sollte dann bewusst entschieden werden, ob und gegebenenfalls welche Anpassungen notwendig sind.
So bleibt das Leitbild ein lebendiges Dokument der Organisation.
Ehrlich sein
Wie ich oben geschrieben habe, gehen mit den Formulierungen von Werten oftmals Widersprüche einher (bspw. Wirtschaftlichkeit vs. Mensch im Mittelpunkt).
Anstatt so zu tun, als würden diese Widersprüche nicht existieren, und die formulierten Werte als „verbindliche Grundlage unserer Arbeit” darzustellen, macht es aus meiner Sicht mehr Sinn, die Widersprüche beispielsweise in der Präambel zum Leitbild bspw. wie folgt anzusprechen:
„Unser Leitbild formuliert Werte, die unser Handeln leiten und prägen sollen. Wir sind uns bewusst, dass einige dieser Werte in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen können, beispielsweise die Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und dem Wohl des Einzelnen. Diese Widersprüche betrachten wir nicht als Problem, sondern als Ausdruck der Vielfalt und Komplexität unserer Aufgaben. Sie eröffnen Raum für ehrlichen Dialog und verantwortungsvolle Entscheidungen, die den jeweiligen Kontext berücksichtigen. Unser Ziel ist es, diese Spannungsfelder nicht zu ignorieren, sondern sie aktiv und bewusst auszubalancieren.“
Neben dem, dass die Mitarbeitenden gut mit Ehrlichkeit umgehen können, wird so auch dem Frust bei allen Stakeholdern vorgebeugt, der entsteht, wenn Entscheidungen getroffen werden müssen, die einen der formulierten Werte verletzen.
Fazit, oder: Erfolgsfaktoren für die gelingende Leitbildentwicklung in der Sozialwirtschaft
Zusammenfassend solltest Du Dir immer die Frage stellen, welches Problem die angestrebte Lösung lösen soll. Das gilt nicht nur, aber auch für die Leitbildentwicklung in der Sozialwirtschaft.
Und die Befassung damit zeigt auf, dass Leitbilder gerade in Organisationen der Sozialen Arbeit wichtig und notwendig sind, die Hoffnungen auf Orientierung nach innen und außen jedoch meist nicht erfüllt werden können.
Das führt aber nicht dazu, die Leitbildentwicklung zu vernachlässigen, sondern dazu, sich über die Herausforderungen bewusst zu werden. So kann es gelingen, die Widersprüche in Möglichkeiten der bewussten Auseinandersetzung zu transferieren.
Und das wiederum hilft allen Beteiligten – Mitarbeitenden, Klient:innen, Kostenträgern und der Öffentlichkeit.
Das Leitbild kann so zu einem kraftvollen Instrument werden, das auch dazu beiträgt, die Organisationskultur mitzugestalten und die Qualität der Arbeit zu sichern.
Voraussetzung dafür ist ein effektiver, effizienter und partizipativer Entwicklungsprozess, der den Prozess der Arbeit am Leitbild ins Zentrum rückt und die Spezifika von Organisationen der Sozialen Arbeit berücksichtigt.
Wie ist es bei Dir: Kennst Du das Leitbild Deiner Organisation? Wie war der Prozess? Lass‘ doch gerne einen Kommentar hier auf dem Blog oder schreib‘ mir direkt per Mail.
Ach ja, und natürlich stehe ich Dir gerne zu Fragen rund um die Leitbildentwicklung in Deiner Organisation zur Verfügung.
Gesmann, S., Merchel, J. (2021): Systemisches Management in Organisationen der Sozialen Arbeit. Handbuch für Studium und Praxis. 2. Auflage. Carl-Auer-Verlag.
Grunwald, K. (2022): Management sozialwirtschaftlicher Organisationen. Eine Einführung. Springer VS.
Kühl, S. (2017): Leitbilder erarbeiten. Eine kurze organisationstheoretisch informierte Handreichung. Springer VS.
Der Titel löst Fragen aus: Was ist New Work? Ist New Work am Ende? Wenn ja, warum? Und was hat Führung und die Gestaltung sozialer Organisationen mit dem Fachkräftemangel zu tun?
Antworten auf diese Fragen sind bedeutsam, um Organisationen der Sozialen Arbeit zukunftsfähig zu gestalten und damit – wieder angelehnt an das bekannte Lied „It’s the End of the World…“ von R.E.M. – doch zu einem „…and we feel fine!“ zu kommen.
Das gelingt – wenn man die Herausforderungen des Fach- und Arbeitskräftemangels in der Sozialen Arbeit in den Blick nimmt – weniger mit „New Work“ als mit „New Organizing“ verstanden als die durchgängige Professionalisierung von Organisationen der Sozialen Arbeit unter Berücksichtigung ihrer Spezifika.
New Work meint a) die Sozialutopie der Abkehr von der klassischen Lohnarbeit. Frithjof Bergmann (1 – die Zahlen sind Klammern verweisen auf die Quellen am Ende) wollte damit einen Gegenentwurf zum Kapitalismus liefern. Hängengeblieben ist von seinen Ideen oftmals allein der Satz, dass Menschen das tun sollten, was sie „wirklich, wirklich tun wollen“.
Dieser Satz hat einen nicht unwesentlichen Anteil an dem heute populären Verständnis von New Work im Sinne der Gestaltung von Organisationen, die von einem „evolutionären Sinn“ getrieben sind, in denen Menschen „ihr ganzes Selbst einbringen“ können und „hierarchiefrei und selbstorganisiert auf Augenhöhe“ zusammenarbeiten. Mit dieser aktuellen Vorstellung von New Work, die durch das Buch „Reinventing Organizations“ von Laloux (2) populär wurde, geht einher, dass klassische Aspekte, die Organisationen definieren, in Frage gestellt werden: Formale Hierarchien, Vorgesetzte, klare Prozesse, Regeln und Vorgaben haben nach dieser Vorstellung von New Work einen schweren Stand.
Die Auswirkungen des Fach- und Arbeitskräftemangels auf Organisationen der Sozialen Arbeit
Befeuert werden diese Vorstellungen von New Work durch den demografischen Wandel und den damit einhergehenden Fachkräfte- bzw. Arbeitskräftemangel, von dem insbesondere die Gesundheits- und Sozialwirtschaft massiv betroffen ist (3). Denn – so die gängige Vorstellung – wenn sich (potenzielle) Fachkräfte ihren Arbeitsplatz aussuchen können, müssen Organisationen alles tun, um sie zu „gewinnen und zu binden“. Die Gewinnung und Bindung erfolgt dann häufig dadurch, dass man die „Mitarbeitenden in den Mittelpunkt der Organisation“ stellt und ihnen alle erdenklichen Annehmlichkeiten zur Verfügung stellt – angefangen von Mitgliedschaften in Fitnessstudios über Jobräder bis hin zu (in sozialen Berufen begrenzten) Möglichkeiten, Arbeitszeit, -ort und -inhalt selbst zu bestimmen. Dies nährt jedoch „auf Seiten der Menschen die Illusion, dass sich die Organisation um ihre Anliegen und Wünsche herum entwickelt – also die Organisation sich in den Dienst der Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter stellt“. Diese Illusion hat jedoch „katastrophale Auswirkungen auf die Organisation“ (4).
Der sich durch den demografischen Wandel verschärfende Arbeitskräftemangel führt auch dazu, dass Organisationen der Sozialen Arbeit nicht mehr davon ausgehen können, sehr gut ausgebildete, hoch motivierte und engagierte Fachkräfte zu finden. Vielmehr geht es zunehmend darum, die anfallende Arbeit überhaupt bewältigen zu können. Dies führt in vielen Arbeitsfeldern (z.B. Eingliederungshilfe, Altenhilfe oder Erziehung) dazu, dass neben Fachkräften zunehmend auch nicht explizit ausgebildete Arbeitskräfte eingesetzt werden (müssen).
Daraus ergeben sich neue Herausforderungen, wenn die komplexen Besonderheiten der „Produktion“ personenbezogener sozialer Dienstleistungen berücksichtigt werden. Diese Dienstleistungen sind dadurch charakterisiert, dass sie a) immateriell, b) unteilbar und nicht speicherbar sind und immer c) die Einbeziehung der Klient:innen in die Dienstleistungserstellung erfordern. Darüber hinaus sind sie immer d) individuell in direkter Interaktion mit den Klient:innen zu erbringen (5). Kurz:
Soziale Arbeit ist hochgradig komplex und findet zum einen immer „selbstorganisiert“ in direkter Interaktion mit den Klient:innen statt. Zum anderen erfordert professionelle, d.h. wirklich gute Soziale Arbeit überdurchschnittlich ausgeprägte fachliche und soziale Kompetenzen, um die Komplexität der Arbeit mit Menschen bewältigen zu können. Die leider vielerorts vorherrschende Vorstellung „Soziale Arbeit kann jede:r“ ist völlig abwegig!
Problematisch für die Menschen in der Sozialen Arbeit und die Organisationen der Sozialen Arbeit wird es dann, wenn – wie skizziert – Soziale Arbeit zunehmend von Laien erbracht wird, die aufgrund der Komplexität Sozialer Arbeit häufig überfordert sind, und gleichzeitig immer höhere Anforderungen (z.B. an Wirkungsnachweise) seitens der Kostenträger gestellt werden, da die Aufrechterhaltung der Qualität Sozialer Arbeit kaum noch möglich ist.
Werden diese Überlegungen dann mit (falsch verstandenen) Vorstellungen von New Work im Sinne der skizzierten „hierarchiefreien, selbstorganisierten und auf Augenhöhe arbeitenden Teams“ in Verbindung gebracht, wird deutlich, dass eine Orientierung an den (sehr heterogenen) Bedürfnissen der unterschiedlich ausgebildeten Mitarbeiter innen für Organisationen der Sozialen Arbeit auf Dauer kein zielführender Ansatz ist.
Führung in komplexen Organisationen
Dies unterstreicht auch ein Blick auf „Führung“, verstanden als „erfolgreiche Einflussnahme in kritischen Momenten“ (6). „Führung“ bzw. die erfolgreiche Einflussnahme in kritischen Momenten wird aus dieser Perspektive erst dann notwendig, wenn die in der Organisation vorhandenen formellen oder informellen Erwartungen (dazu mehr hier) nicht ausreichen, um Kooperation zu ermöglichen.
Die “kritischen Momente” sind z.B. dadurch gekennzeichnet, dass die Mitarbeiter/innen unsicher sind, wie sie sich verhalten sollen, oder dass Unklarheit darüber besteht, ob die Situation richtig interpretiert wird, wer das Wort ergreifen soll oder ob sich die Situation zu einem Konflikt entwickeln könnte. Mit anderen Worten: Es bräuchte keine Führung, wenn es gelänge, eine „perfekt organisierte Organisation“ zu schaffen. Das ist aber völlig unrealistisch. Und die „perfekt durchorganisierte Organisation“ als „Heilsbringer“ wird noch unrealistischer, wenn man die skizzierten Spezifika Sozialer Arbeit hinzuzieht:
Da die „Produktion“ personenbezogener sozialer Dienstleistungen „an der Basis“ in direkter Interaktion mit den Klient:innen stattfindet und dieser Prozess hochkomplex und in Teilen chaotisch (im Sinne von nicht planbar) verläuft und nicht durch Vorgaben oder Prozesse gestaltet werden kann („Wenn die Klientin XY sagt, musst du Z sagen!“), sind kritische Momente – Momente der Unsicherheit und Unklarheit – der Sozialen Arbeit inhärent – denn man hätte immer auch anders handeln können.
Auch wenn diese Unklarheiten unmittelbar durch die eigene Entscheidung der Fachkraft in der jeweiligen Situation geklärt werden, braucht erfolgreiche Soziale Arbeit Führung – in diesem Fall Selbstführung, verstanden als die Kompetenz, in unklaren Situationen selbst Entscheidungen zu treffen. Dazu benötigen Fachkräfte der Sozialen Arbeit aber neben sozialer Kompetenz und Intuition auch Kompetenzen in verschiedenen relevanten Bereichen (u.a. Psychologie, Soziologie, Pädagogik, Recht).
Und insbesondere (aber nicht nur) dann, wenn aufgrund des Fach- und Arbeitskräftemangels vermehrt Personen ohne entsprechende Ausbildung in der Sozialen Arbeit tätig sein werden, bedarf es der Führung, um in kritischen Momenten Einfluss nehmen und Entscheidungen treffen zu können. Da die Selbstführung hier aufgrund mangelnder Fachlichkeit an ihre Grenzen stoßen kann, muss die Einflussnahme zwangsläufig durch andere Instanzen erfolgen. Diese Instanzen müssen nicht notwendigerweise formale Vorgesetzte sein. Auch die Entscheidung „kritischer Momente“ im und durch das Team ist denkbar, sofern geeignete Entscheidungsmethoden (wie z.B. Konsent-Moderation, 8) eingesetzt werden.
Rahmenbedingungen gestalten und Erwartungen transparent machen
Wichtig bleibt aber, dass die Entscheidungen, wie Soziale Arbeit im Einzelfall und trotz Fachkräftemangel erfolgreich umgesetzt werden kann, so getroffen werden, dass sie den vorgegebenen und/oder von der Organisation gewünschten Standards entsprechen. Diese Standards müssen aber nicht immer wieder neu gemeinsam ausgehandelt werden. Vielmehr sind die Führungskräfte gefordert, diese Standards als Rahmenbedingung für die gemeinsame Arbeit zu setzen. Mit der Vorgabe allein ist es aber nicht getan: Führungskräfte tragen auch die Verantwortung für die Umsetzung und damit für die Einhaltung der von ihnen gesetzten Standards!
Damit dies möglichst konfliktfrei geschehen kann, empfiehlt es sich, die formalen Erwartungen an die jeweiligen Rollen (z.B. Führungskraft, Fachkraft und Nichtfachkraft) transparent zu machen und zu klären, was genau von welcher Rolle erwartet wird. Das Rollenverständnis hilft auch, Personen nicht „pauschal“ zu kritisieren, sondern auf die jeweiligen gemeinsam erarbeiteten und transparent gemachten Erwartungen an die jeweilige Rolle zu verweisen.
Fazit, oder: Wie Führung und die Gestaltung sozialer Organisationen in Zeiten des Fachkräftemangels gelingt
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich „the end of New Work“ nur auf die romantisierenden, oft illusionären Vorstellungen einer ganzheitlichen, radikal selbstorganisierten und auf Augenhöhe stattfindenden Sozialen Arbeit bezieht. Mit dem Ende von „New Work, wie wir sie kennen“ sollte auch das Ende der Illusion einhergehen, dass sich Organisationen um die Anliegen und Wünsche ihrer Mitarbeitenden herum entwickeln müssten.
Um den Herausforderungen des Fach- und Arbeitskräftemangels in der Sozialen Arbeit begegnen zu können, muss es in Zukunft statt um „New Work“ verstärkt um eine andere, funktionale Gestaltung von Organisationen der Sozialen Arbeit – von mir aus „New Organizing“ – gehen und damit um funktionale Organisationsentwicklung von Organisationen der Sozialen Arbeit – unter Berücksichtigung ihrer Spezifika.
Professionell und funktional meint insbesondere die Gestaltung von funktionalen Strukturen, die Trennung von Person und Rolle sowie die Etablierung von Führung, die in der Lage ist, in kritischen Momenten Verantwortung zu übernehmen, diese Momente zu analysieren, Entscheidungen zu treffen und für deren Umsetzung zu sorgen – in der Hoffnung, damit zu einem „…and we feel fine!“ zu kommen.
Quellen:
1 Vgl. Bergmann, F. (2004): Neue Arbeit, neue Kultur. Freiburg im Breisgau: Arbor Verlag.
2 Vgl. Laloux, F. (2015): Reinventing Organizations: Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. München: Verlag Franz Vahlen.
3 Vgl. Hohendanner, Chr., Rocha, J., Steinke, J. (2024): Vor dem Kollaps!? Beschäftigung im sozialen Sektor. Empirische Vermessung und Handlungsansätze. Oldenburg: De Gruyter.
4 Wimmer, R., von Ameln, F. (2019): Agilität, Ambidextrie und organisationale Veränderungskompetenz. Rudi Wimmer über Erbe und Zukunft des Change Managements. Gr Interakt Org 50, 211–216.
5 Vgl. Gesmann, S., Merchel, J. (2019): Systemisches Management in Organisationen der Sozialen Arbeit: Handbuch für Studium und Praxis. Erste Auflage. Systemische soziale Arbeit. Heidelberg: Carl-Auer Verlag GmbH.
6 Muster, J. et al. (2020): Führung als erfolgreiche Einflussnahme in kritischen Momenten. Grundzüge, Implikationen und Forschungsperspektiven. In: Barthel, Chr. (Hrsg.): Managementmoden in der Verwaltung. Sinn und Unsinn. Wiesbaden: Springer Gabler. S. 285 – 305.
7 Richter, T., Groth, T. (2023): Wirksam führen mit Systemtheorie. Kernideen für die Praxis. Carl Auer Verlag.
8 Vgl. Rüther, Chr. (2022): KonsenT-Moderation. Gemeinsam effektiv auf Augenhöhe entscheiden. Ein Lehrbuch und Praxisleitfaden! Hamburg: Tredition.
Hä, was? IdeeQuadrat New Work Canvas? Muss das sein? Braucht wirklich jede:r ein eigenes Canvas? Ja, ich verstehe, aber ich möchte hier so etwas wie meine „Hintergrundfolie“ in Organisationsentwicklungsprozessen mit Dir teilen. Außerdem erfährst Du, wie Du mit dem IdeeQuadrat New Work Canvas in Deinem Team oder Deiner Organisation arbeiten kannst. Vielleicht passt inzwischen auch der Name nicht mehr ganz – New Work – was ist das eigentlich? Denn übergreifend geht es mir darum, gute, funktionale, von mir aus auch „gesunde“ Organisationen zu gestalten – ob New Work oder nicht…
So durfte ich in den letzten Jahren ich immer wieder spannende Einblicke in die unterschiedlichsten Organisationen gewinnen und mit ihnen gemeinsam Strategien entwickeln, Führungskräfte und Teams begleiten, Organisationsstrukturen neu gestalten oder selbstbestimmt agierende Teams auf den Weg bringen und deren Zusammenarbeit weiter entwickeln.
Bei all diesen Themen gibt es für mich im Hintergrund immer ein Bild der gesamten Organisation oder des Teams, mit der bzw. dem ich arbeite. Und dieses Bild, diesen Hintergrund möchte ich hier mit Dir teilen.
Im folgenden findest Du die etwas überarbeitete Version 2.0 der IdeeQuadrat New Work Canvas.
IdeeQuadrat New Work Canvas: Gesamtbild und Methode
Das IdeeQuadrat New Work Canvas dient – wie gesagt – dazu, nicht nur einen begrenzten Ausschnitt der Organisation wahrzunehmen, sondern die Organisation bestmöglich als „soziales System“ und damit – Achtung, Buzzword – ganzheitlich zu betrachten.
Aber hier schon die Einschränkung:
Ein Canvas als Bild und Methode ist immer eine Reduktion von Komplexität und nicht die Realität. Aber genau dazu dient ein Canvas: Die komplexe Wirklichkeit diskutierbar und damit zielgerichtet bearbeitbar zu machen, ohne in endlose und nicht zielführende Diskussionen über „Alles und Nichts“ zu verfallen.
Neben dem Gesamtbild dient das IdeeQuadrat New Work Canvas aber auch als Methode, um gezielt an bestimmten Bausteinen bzw. „Kategorien der Organisation“ zu arbeiten und diese im Sinne des Zwecks der Organisation bzw. des Teams weiterzuentwickeln.
Was ist neu?
Ich habe das Canvas sprachlich angepasst und inhaltlich erweitert. Die inhaltliche Erweiterung bezieht sich vor allem auf die Integration von Fragen zur organisationalen Resilienz. Diese wurde jedoch nicht in einer eigenen Kategorie zusammengefasst, sondern in die bestehenden neun Kategorien integriert.
IdeeQuadrat New Work Canvas ist das Gesamtbild der Organisation
Durch die Zusammenführung dieser Modelle habe ich versucht, einen Gestaltungsrahmen für Führungskräfte abzubilden, der es ermöglicht, die eigene Organisation ganzheitlich zu betrachten und daraus Probleme und Lösungsoptionen zu identifizieren.
Das IdeeQuadrat New Work Canvas soll zudem genügend Flexibilität bieten, um je nach Herausforderung geeignete Methoden und Lösungsansätze anzuwenden und – bei Erfolg – zu implementieren.
Inhaltlich gliedert sich das Canvas in neun Kategorien, die jedoch nicht „übereinander“ liegen und damit eine unterschiedliche Wertigkeit haben. Vielmehr stehen die Kategorien „gleichberechtigt“ nebeneinander. Sie bilden damit gewissermaßen das „Grundgerüst“ der Organisation.
Und im Canvas sind den Kategorien jeweils Aussagen zugeordnet:
Vision, Zweck und Identität
Wir haben eine klare Vision!
Wir orientieren unsere Entscheidungen an dieser Vision und an den Bedürfnissen unserer Nutzer*innen!
Allen ist klar, wofür wir als Team/Organisation da sind (Purpose)!
Der/die Zweck/e unserer Organisation (Mission) und jedes Teams in unserer Organisation sind definiert!
Wir kommunizieren den Purpose aktiv nach innen und außen!
Unser Purpose hilft uns, Entscheidungen zu treffen!
Sachmittel und Ressourcen
Wir sind finanziell gut aufgestellt!
Wir investieren Zeit und Geld!
Der Zustand der Gebäude und Einrichtungen entspricht den Anforderungen zur Erfüllung unseres Zwecks!
Unsere Strategien beeinflussen die Ressourcenallokation sinnvoll!
Unsere digitale Infrastruktur ist zeitgemäß!
Wir entwickeln unsere Sachmittel und Ressourcen bedarfsgerecht weiter!
Optimierung, Innovation und Exnovation
Es ist für alle Mitarbeiter:innen transparent, wie wir lernen und uns weiterentwickeln!
Wir haben ein lebendiges Innovationsmanagementsystem implementiert, das festlegt, wer wie Ideen zu Innovationen werden lässt und wer daran beteiligt ist!
Die Wahrnehmungen und Ideen der Mitarbeiter:innen werden aktiv in relevante Prozesse einbezogen.
Wir beziehen die Nutzer:innen in die Innovationsentwicklung mit ein!
Wir haben lebendige Routinen zur Reflexion bestehender Angebote, Dienstleistungen und Prozesse etabliert!
Wir gestalten den Austausch mit unseren externen Stakeholdern aktiv und nehmen ihre Perspektiven ernst.
Es gilt als sicher und willkommen, bestehendes Wissen und Routinen in Frage zu stellen.
Strukturen
Die Aufbauorganisation (Organigramm) ist allen Mitarbeiter:innen bewusst!
Wir entwickeln unsere Aufbauorganisation, die Struktur unserer Teams, unsere Regeln und Vorgaben kontinuierlich weiter, um den Zweck der Organisation bestmöglich zu erfüllen!
Wir haben klare und gleichzeitig flexible Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten in unserer Organisation/im Team in Mandaten kompetenzbasiert geregelt!
Wir ermöglichen bereichsübergreifende Zusammenarbeit, um komplexe Herausforderungen bewältigen zu können!
Mitarbeiter:innen und Partner
Die Kompetenzen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechen unseren heutigen und zukünftigen Anforderungen!
Wir gestalten unser Lernen und unsere Personalentwicklung aktiv und zukunftsorientiert!
Wir haben gelebte Routinen im Umgang mit internen Konflikten!
Wir kennen unsere externen Stakeholder (Politik, Kostenträger, Angehörige…)!
Wir arbeiten mit unseren externen Stakeholdern vertrauensvoll zusammen und beziehen sie in Entscheidungen ein!
Prozesse
Unsere Kern-, Unterstützungs- und Führungsprozesse sind definiert und bekannt!
Unsere Prozesse werden verbindlich gelebt!
Wir haben Routinen etabliert, um unsere Prozesse regelmäßig weiterzuentwickeln!
Standardisierbare Prozesse sind auf allen Ebenen digitalisiert!
Wir haben Routinen etabliert, um den Überblick über unsere Projekte und Aufgaben zu behalten!
Strategien und Konzepte
Wir haben klare und sinnvolle strategische Stoßrichtungen für die (nahe) Zukunft definiert!
Wir treiben die Umsetzung der Strategien aktiv voran!
Unsere Strategien entsprechen unseren Stärken!
Wir sind offen für irritierende Impulse aus unserem Umfeld!
Wir entwickeln, verfeinern und erneuern unsere Strategien kontinuierlich!
Unsere Strategien leiten uns bei unseren täglichen Entscheidungen!
Mandate und Funktionen
Wir haben in der Organisation und in den Teams klare Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten (Mandate) definiert, um selbstbestimmtes Arbeiten zu fördern!
Wir fördern eine Führungskultur, die effektives Führungsverhalten auch in Zeiten der Unsicherheit und des Wandels ermöglicht und unterstützt.
Die Zuständigkeiten für die Mandate sind definiert und die erforderlichen Kompetenzen bekannt!
Wir haben Routinen für die Wahl der Mandate in den Teams etabliert, die sicherstellen, dass die Mandate kompetenzbasiert vergeben werden.
Die Mitarbeiter*innen übernehmen die gemeinsam vereinbarten Aufgaben verbindlich!
Kommunikation
Jede unserer Teambesprechungen hat ein Ziel und eine klare Struktur?
Es ist klar, wer an den Besprechungen teilnehmen muss und warum!
Die Besprechungen werden moderiert und die Ergebnisse dokumentiert!
Wir haben Routinen entwickelt, um nicht zielführende Besprechungen zu verbessern (oder zu streichen)!
Unsere Kommunikationswege sind auch außerhalb von Besprechungen sinnvoll!
Informationen und Wissen sind transparent verfügbar!
Das IdeeQuadrat New Work Canvas zur Organisationsdiagnose
Die Aussagen zu den einzelnen Kategorien sollen deutlich machen, wo die Gesamt-Organisation bzw. das Team steht.
Dazu reicht eine einfache Bewertungsskala (1 – trifft überhaupt nicht zu … 10 – trifft voll und ganz zu), mit der Du die einzelnen Fragen durchgehen kannst. So bekommst Du einen ersten Überblick, wo Deine Organisation (oder Dein Team) steht und wo es Probleme und Herausforderungen gibt.
Das IdeeQuadrat New Work Canvas kann somit in einem ersten Schritt als Tool zur Ist-Analyse bzw. zur Organisationsdiagnose in Bezug auf die alle Kategorien genutzt werden.
Neben dem Überblick über die Gesamtorganisation und der Erarbeitung des Status quo dient das Canvas aber auch als Methode, mit der jederzeit an der Organisation oder auch am Teamdesign gearbeitet werden kann.
Das funktioniert alleine, aber noch besser im Team. Ebenso ist es möglich, das Canvas in Großgruppenveranstaltungen einzusetzen (z.B. als Orientierung in einem Open Space).
Und so geht’s: In einem ersten Schritt ist es notwendig, eine Kategorie auszuwählen, in der Veränderungen angegangen werden sollen (bspw. die Kategorie „Mandate und Funktionen“).
Daran anschließend folgt ihr als Team der Change-Formel (vgl. Seliger, 2022, 54ff), die ich noch ein wenig erweitert habe. Ihr beantwortet die unter dem jeweiligen Punkt der Change-Formel aufgeführten Fragen (die ich hier nicht wiederhole, sie stehen auf der Canvas) zu den fünf Schritten:
Driver
Vision
Ressources
First steps
Reflection
Dazu noch zwei Hinweise:
Bearbeitet die einzelnen Schritte nacheinander und beachtet, dass nur dann, wenn alle Bausteine – D + V + R + F + R – zusammenkommen, sich Veränderungsenergie freisetzt und die Möglichkeit kontinuierlicher Veränderung entsteht. Sobald ein Baustein fehlt, geht die Veränderungsenergie verloren und ihr bleibt stecken.
Außerdem verlaufen Veränderungen sozialer Systeme nie linear, sondern eher in Wellen oder Kreisen („zwei Schritte vor, einer zurück“). So gilt es immer wieder, innezuhalten, zu reflektieren, Zeit zu lassen und einen neuen Anlauf zu wagen.
Schritt für Schritt zur zeitgemäßen, bedarfsgerechten Organisation
Bei der Bearbeitung der Canvas-Fragen wird deutlich, dass es nicht immer sinnvoll ist, die gesamte Organisation komplett umzukrempeln und ein völlig neues „Betriebssystem“ zu installieren oder alles auf den Kopf zu stellen.
Gerade die kleinen Baustellen in den einzelnen Kategorien, die schnell und aktiv, dafür aber ernsthaft und verbindlich angegangen werden, bringen oft die größten Verbesserungen. Denn es sind die kleinen Impulse und Irritationen, die ein System in Bewegung bringen.
Ladet den IdeeQuadrat New Work Canvas herunter und arbeitet damit oder gebt ihn an interessierte Menschen weiter. Mich würde sehr interessieren, ob und wie ihr mit der Canvas gearbeitet habt. Außerdem würde mich interessieren, wo ihr Entwicklungsmöglichkeiten für die Canvas seht. Hinterlasst doch einfach einen Kommentar dazu oder schreibt mir eine Mail…
Hier mein Skript zu einer „Keynote“ 😉 meines Impulses, den ich vor wenigen Tagen im neu eröffneten Futurum halten durfte. Das Forum stand unter dem Oberthema „Diakonisches Umfeld im Wandel“ und die Teilnehmer:innen waren aufgefordert, ihren „Haupt-Killerfaktor“ zur Veranstaltung mitzubringen, um im Anschluss an meinen Impuls über diese Faktoren tiefer in den Austausch zu gehen. Ausgehend von dieser Themensetzung habe ich einleitend über die fünf größten Gefahren für Organisationen der Sozialen Arbeit gesprochen.
Einschränkend ist zu erwähnen, dass es sich hierbei um die fünf größten Gefahren für Organisationen der Sozialen Arbeit aus meiner Sicht handelt – und ich werde meine Meinung dazu in Zukunft sicherlich ändern, weiterentwickeln und anpassen. Das sind also die fünf größten Gefahren für Organisationen der Sozialen Arbeit aus meiner Sicht zum jetzigen Zeitpunkt.
Jetzt aber – fast – los. Fast, weil ich einführend meinen Bezugsrahmen skizzieren will:
Mein Bezugsrahmen oder: Wozu existieren Organisationen der Sozialen Arbeit?
Unter dem Bezugsrahmen verstehe ich einleitend die Frage:
Wozu existieren Organisationen der Sozialen Arbeit heute und in Zukunft?
Für mich ist das so etwas wie der „Basic Purpose“, eine (fast) allgemeingültige Orientierung, die hilfreich sein kann.
Und mein Bezugsrahmen, den ich im Folgenden als Hintergrundfolie mitlaufen lasse, ist die „Definition Sozialer Arbeit“, die Du hier finden kannst.
Sie lautet:
„Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen.
Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit.
Dabei stützt sie sich auf Theorien der Sozialen Arbeit, der Human- und Sozialwissenschaften und auf indigenes Wissen.
Soziale Arbeit befähigt und ermutigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern, dabei bindet sie Strukturen ein“ (Hervorhebungen durch d. Verf.).
Für mich ist diese Definition deshalb relevant, um eine – zwar sehr allgemeine, aber – grundlegende Orientierung darüber zu haben, wozu Organisationen der Sozialen Arbeit in all ihren Ausprägungen existieren. Sie liefert damit aus meiner Sicht eine gute Orientierung, warum es sinnvoll und wichtig ist, über das Überleben und die Zukunft von Organisationen der Sozialen Arbeit nachzudenken.
Es ist hervorzuheben, dass „die Sozialwirtschaft“ bzw. vor allem die beim Vortrag anwesenden Vertreter:innen der Komplexträger sich nicht nur in der Sozialwirtschaft, sondern in der „Gesundheits- und Sozialwirtschaft“ bewegen. So lassen sich z.B. Krankenhäuser, aber auch Pflegeeinrichtungen nicht unmittelbar unter dieser Definition zusammenfassen. Für mich wird damit deutlich, dass die ohnehin schon enorme Komplexität, in der sich die verantwortlichen Vorstände und Geschäftsführer dieser Organisationen bewegen, noch einmal deutlich erhöht wird.
Dennoch glaube ich, dass die Definition der Sozialen Arbeit eine Orientierung für die folgenden fünf Hauptgefahren für Organisationen der Sozialen Arbeit geben kann.
Die fünf größten Gefahren für Organisationen der Sozialen Arbeit
Jetzt geht’s aber wirklich los… Und ich bin gespannt auf Dein Feedback – gerne hier in den Kommentaren oder per Mail!
Gefahr I: Management-Moden!
Management-Moden lassen sich definieren als „Managementkonzepte, die relativ schnell viel Aufmerksamkeit von Manager:innen auf sich ziehen, ohne dass ihre Relevanz wissenschaftlich oder durch längere praktische Erfahrung belegt ist.“
Sie bieten „ihren Adressaten suggestive, aber vergleichsweise einfache Lösungen und Tools an, ohne situative oder organisationale Komplexität in Rechnung zu stellen“ (Bartel, 2020:4).
Bei näherer Befassung mit Management-Moden lassen sich bekannte Begriffe finden, wie:
„agiles Management“
„post-bürokratische Organisationen“
„Fehlerkultur“
„OKR“
„Lernende Organisation“
„Transformationale Führung“
„New Work“
Die Liste ist nicht abschließend und ließe sich verlängern.
Die aus meiner Sicht große Gefahr in der Existenz besteht darin, dass aufgrund der Existenz von Management-Moden organisationale Veränderungen nicht aufgrund echter Herausforderungen angegangen werden, sondern aufgrund normativer Beweggründe:
„Damit wir modern sind, müssen wir jetzt New Work machen!“
Unter Berücksichtigung der Besonderheiten von Organisationen der Sozialen Arbeit wird die Gefahr noch deutlicher:
So lassen sich Organisationen der Sozialen Arbeit, den Ausführungen von Klaus Grunwald (vgl. Grunwald, 2018:165ff) folgend, als „hybride Organisationen“ definieren.
Damit ist gemeint, dass sie mit verschiedenen gesellschaftlichen Sektoren (informeller Sektor, Dritter Sektor, Staat und Markt) verbunden sind und von diesen geprägt werden. Diese Sektoren sind jedoch durch jeweils eigene Systemlogiken gekennzeichnet.
Organisationen der Sozialen Arbeit sind dementsprechend gefordert, unterschiedliche und zum Teil widersprüchliche Handlungslogiken zu integrieren, unterschiedliche Zielsetzungen zu einem eigenen Zielbündel zusammenzufügen, unterschiedliche und wiederum zum Teil widersprüchliche Einfluss- und Entscheidungsstrukturen zu berücksichtigen und zu kombinieren sowie aus unterschiedlichen Identitätsangeboten eine eigene Identität zu formen.
Daraus ergibt sich wiederum die Notwendigkeit, auch intern Strukturen und Prozesse so zu gestalten, dass sie den „hybriden Anforderungen“ gerecht werden und eine Vielzahl von Zweck- und Sinnbestimmungen zulassen und gleichzeitig identitätsstiftend sind.
Konkret müssen Organisationen der Sozialen Arbeit einerseits den Systemlogiken der Kostenträger folgen und gesetzeskonform handeln, um ihre Leistungen refinanziert zu bekommen. Gleichzeitig sind sie gefordert, auf einem Markt zu agieren, der dem binären Code Bezahlen/Nicht-Bezahlen folgt. Hinzu kommt, dass die Leistungen von Organisationen der Sozialen Arbeit in einem normativ aufgeladenen Umfeld agieren: Die Schließung von Angeboten aufgrund rein ökonomischer Notwendigkeiten stößt auf massiven gesellschaftlichen Widerstand.
Zusammenfassend besteht die Notwendigkeit, „hybride Anforderungen“ in eine Organisation zu integrieren, d.h. die Funktionslogiken unterschiedlicher Organisationseinheiten den hybriden Anforderungen anzupassen. Kurz:
One Management-Mode does not fit all Anforderungen.
Anstatt also der nächsten Management-Mode hinterherzurennen, sollte bei jeder Anpassung, Entwicklung und Veränderung die Frage in den Vordergrund rücken:
Was ist funktional für unseren Zweck?
Gefahr II: Die Mitarbeiter:innen im Mittelpunkt!
Diesen Aspekt habe ich bereits mehrfach angesprochen: Durch den Fachkräftemangel wird auf der Seite der Mitarbeiter:innen die Illusion genährt, dass sich die Organisation um ihre eigenen Anliegen und Wünsche herum entwickeln müsse.
Wenn aber die Organisation in den Dienst der Bedürfnisbefriedigung der Mitarbeiter:innen gestellt wird und damit die Personenorientierung die Oberhand gewinnt, hat dies „katastrophale Folgen für die Organisation“ (Wimmer, 2019).
Mit Blick auf die Geschichte vieler Organisationen der Sozialen Arbeit zeigt sich die Personenorientierung (im Gegensatz zur Aufgabenorientierung) auch ohne Fachkräftemangel an vielen Stellen sehr deutlich – von der Gründung sozialer Organisationen auf der Basis individueller Schicksale der Gründer:innen über die auf ehrenamtliche Beteiligung angewiesenen Rechtsformen sozialer Organisationen bis hin zur auf intrinsische Motivation setzenden professionellen Identität der in sozialen Berufen Tätigen. Dies führt dazu, dass das für Organisationen konstitutive Element der Trennung von Person und Rolle in Organisationen der Sozialen Arbeit wenig ausgeprägt ist (vgl. näher hier).
Das primäre Ziel jeder Organisation ist jedoch ihr Überleben, das sekundäre Ziel ist die Erfüllung des Organisationszwecks.
Es ist unstrittig, dass dazu insbesondere in sozialen Organisationen Menschen notwendig sind, die aber bestimmte Rollen einnehmen. Aufgrund des Fachkräftemangels in der Sozialwirtschaft können wir aber nicht mehr davon ausgehen, dass die Rollen aufgrund der „Haltung“ der Personen (vor allem bei Nicht-Fachkräften) „adäquat“ ausgefüllt werden.
Statt also die (sehr unterschiedlichen) Bedürfnisse der Personen in den Vordergrund zu stellen, gilt es, die formalen Rollenerwartungen (viel) expliziter zu machen und Prozesse, Aufgaben und Verantwortlichkeiten klar(er) zu definieren.
Vor dem Impuls habe ich mein digitales Netzwerk nach den aus ihrer Perspektive größten Gefahren befragt. Insbesondere bei LinkedIn gab es viele, sehr tiefgehende Rückmeldungen dazu, du Du hier nachlesen kannst.
Ein Aspekt, der mir in diesem Zusammenhang besonders auffiel, war der immer wieder vorgebrachte Hinweis auf den fehlenden Fokus bzw. die fehlende Strategie in und von Organisationen der Sozialen Arbeit, die tatsächlich angegangen wird.
Dies ist einerseits verständlich, wenn man die oben skizzierten hybriden Herausforderungen von Organisationen der Sozialen Arbeit in den Blick nimmt:
Wenn sich Organisationen der Sozialen Arbeit an unterschiedlichen Systemlogiken orientieren müssen, fällt es schwer, „den einen Weg“ zu gehen bzw. die eine Strategie umzusetzen. Hinzu kommt zum anderen, dass globale, gesellschaftliche, politische wie auch technologische Entwicklungen immer auch unmittelbare Auswirkungen auf Organisationen der Sozialen Arbeit haben. Nur zwei Beispiele:
Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine führt nicht nur (wie bei allen Unternehmen) zu enorm steigenden Energiekosten, sondern gleichzeitig zu der Notwendigkeit, Menschen, die aus der Ukraine zu uns kommen, zu unterstützen. Ebenso reicht es nicht aus, sich mit digitalen Möglichkeiten zur Optimierung der eigenen Organisation zu beschäftigen, denn die Nutzbarkeit digitaler Tools und Technologien muss unter dem Begriff der Ermöglichung von Teilhabe immer auch aus der Perspektive der Klient:innen sozialer Organisationen betrachtet werden.
Kurz: Die Allzuständigkeit der Sozialen Arbeit im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Entwicklungen zeigt sich auch in einer Allüberforderung der Organisationen der Sozialen Arbeit, die sich allen Themen gleichzeitig widmen sollten/könnten/müssten.
Gleichzeitig wird natürlich auch der Fachkräftemangel von den anwesenden Teilnehmer:innen als ein, wenn nicht aktuell als das größte Problem von Organisationen der Sozialen Arbeit gesehen. Anders gesagt:
Organisationen der Sozialen Arbeit werden – mit Blick nach außen – nicht umhin kommen, deutlich stärker zu fokussieren, abzuwägen und zu priorisieren, was in und von Organisationen der Sozialen Arbeit zukünftig noch angeboten werden kann bzw. neu angeboten werden sollte.
Gleichzeitig muss mit Blick nach innen hinterfragt werden, welche internen Prozesse, Abläufe, Hierarchien, Abteilungen usw. (formale Organisationsstruktur) funktional sind (siehe Gefahr I) und welche weggelassen werden können.
Peter Drucker bringt es auf den Punkt, wenn er sagt:
„Wenn man etwas Neues will, muss man aufhören, etwas Altes zu tun“.
Es gilt also, adaptive Strategien zu entwickeln und umzusetzen, denn:
„Es gibt vielleicht nur ein einziges unausweichliches Ordnungsgesetz [in Organisationen]: daß nicht alles auf einmal geändert werden kann“ (Luhmann 1976:140 und Danke Stefan, für das schöne Zitat 😉
Ganz kurz zusammengefasst sind damit Strategien gemeint, die den Strategieprozess aus zwei Perspektiven denken:
a) für strategische Ziele müssen geeignete Wege gesucht werden (klassische Strategiearbeit) und
b) müssen Organisationen gleichzeitig offen bleiben für die Suche nach geeigneten Zielen, Problemen und Einsatzmöglichkeiten für die in den Organisationen vorhandenen Mittel, Problemlösungen und vorhandenen Ressourcen.
Organisationen können definiert werden als „ein Netzwerk fortlaufender Entscheidungen“ (Richter, Groth, 2023, 125) – Entscheidungen, die sich in den formellen und informellen Strukturen der Organisation manifestieren (teils schriftlich, teils mündlich). So ist bereits die Gründung einer Organisation eine Entscheidung. Weitere Entscheidungen folgen (z.B. die Entscheidung, Personal einzustellen; die Entscheidung über den Zweck der Organisation; die Entscheidung über die Regeln, die in der Organisation gelten). Mit den ersten Entscheidungen wird ein Entscheidungsprozess in Gang gesetzt. „Jede Entscheidung impliziert weiteren Klärungs- und Handlungsbedarf, die entstehende Geschichte bereits getroffener Entscheidungen fordert und begrenzt weitere Entscheidungen“ (ebd., 126).
Soweit so einfach.
Fraglich ist jedoch, auf welcher Grundlage Entscheidungen getroffen werden – vor allem, wenn es sich um einschneidende Entscheidungen handelt (z.B. die Einstellung von Angeboten, siehe Gefahr III).
Entscheidungen können einmal „aus dem Bauch heraus“ und damit intuitiv getroffen werden. Dagegen ist auch wenig einzuwenden, sofern die Intuition auf langjährigen Erfahrungen beruht. Aber gerade bei Entscheidungen, die finanzielle und ggf. existenzielle Auswirkungen haben, ist das Bauchgefühl nicht immer der beste Ratgeber.
Sicherlich ist es schwierig, Entscheidungen über Angebote und Leistungen der Sozialen Arbeit immer und an allen Stellen datenbasiert zu treffen. So stellen sich z.B. Fragen wie:
Wie lässt sich empirisch nachweisen, dass explizit das Angebot für die Veränderungen bei den Klient:innen verantwortlich ist (und nicht bspw. das familiäre Umfeld)
Wie können einheitliche Indikatoren erstellt werden, die die Spezifika der Institution abbilden und gleichzeitig allgemeingültig sind?
Gleichzeitig verfügen soziale Organisationen jedoch über enorm viele Daten (Daten über die Nutzer:innen der Dienstleistungen, über die Mitarbeiter:innen, über die Verweildauer von Klient:innen in Maßnahmen, Finanzdaten und und und…). Durch die Analyse der in der Organisation vorhandenen Daten können Anhaltspunkte dafür gewonnen werden, wie gut bestimmte Dienstleistungen funktionieren und wo möglicherweise Optimierungspotenzial besteht.
Die Gefahr, die ich in diesem Zusammenhang sehe, ist, dass in dem Moment, in dem andere Akteure die Wirkung von Angeboten datenbasiert nachweisen, diese bei allen Entgeltverhandlungen gewinnen. Und die Nutzung und Auswertung von Daten wird – auch durch die rasante Entwicklung von KI-Lösungen – immer einfacher.
Entsprechend ist es aus organisatorischer Sicht hoch relevant, systematisch bereitgestellte und ausgewertete Daten für die interne Entscheidungsfindung in einer Organisation zu nutzen. Wie bereits erwähnt, basiert diese derzeit noch zu oft auf Intuition und dem berühmten Bauchgefühl, das zwar sehr wichtig ist, aber in Zukunft nicht mehr ausreichen wird.
Es ist aber notwendig, die Datenkompetenz in der Sozialen Arbeit jetzt und in Zukunft deutlich auszubauen, um (nicht nur digitale) Daten für Entscheidungen nutzen zu können.
Gefahr V: Systemüberlastung!
Gelingende Veränderung braucht Ressourcen – Zeit, Geld, Personal, Menschen, die Lust haben, Netzwerke… Hinzu kommt, dass bei Veränderung die „Leistungsfähigkeit“ (von Teams und/oder Organisationen) zunächst sogar abnimmt, da – zumindest bei echten Veränderungen – das „neue“ Arbeiten erst gelernt werden muss.
Der Blick in Organisationen der Sozialen Arbeit zeigt jedoch an vielen Stellen, dass die Organisationen zu 100% und mehr ausgelastet sind. Logo, auch hier kann der Fachkräftemangel angeführt werden. Hinzu kommen aber aus meiner Sicht an vielen Stellen auch hochgradig ineffiziente Prozesse und insgesamt wenig funktionale formale Strukturen der Organisationen.
Ständiges Arbeiten an und über der Belastungsgrenze führt jedoch zu organisationalem Burnout. Darunter ist zu verstehen, dass sich eine Organisation „in einem Zustand der Erschöpfung und Lähmung befindet und diesen als unerwünscht erkannten Zustand aus eigener Kraft nicht mehr positiv verändern kann“ (mehr hier).
Ursachen für organisationalen Burnout sind (vgl. ebd.)
Der Blick auf die Ursachen aus Sicht der Organisationen der Sozialen Arbeit zeigt einige neuralgische Punkte (z.B. veränderte gesetzliche Rahmenbedingungen wie das BTHG oder das KJSG, dauerhafte Ressourcenknappheit, Kompetenzdefizite auf der Leitungsebene).
Zusätzliche Belastungen und Krisen in Organisationen, die sich bereits im organisationalen Burnout befinden, führen zum Zusammenbruch des Systems.
Wie aber kann es gelingen, organisationalem Burnout und damit Systemüberlastung – insbesondere unter den herausfordernden Bedingungen von Organisationen der Sozialen Arbeit – zu begegnen?
Für mich ist hier die Auseinandersetzung mit organisationaler Resilienz von zentraler Bedeutung. Ja, man könnte Organisationale Resilienz auch als Managementmodus definieren. Aber die Ausführungen und Ideen hinter dem Konzept liefern viele hilfreiche Ansätze, die – wie in Deutschland üblich – in einer ISO-Norm (ISO 22316) beschrieben sind. Demnach verfügen „Resiliente Organisationen“ über folgende 9 Elemente:
Gemeinsame Vision und Klarheit über den Zweck: Eine resiliente Organisation zeichnet sich durch die gemeinsame Vision, klare Ziele und gemeinsame Werte aus. Dies wird auf allen Hierarchieebenen geteilt.
Verständnis des internen und externen Umfelds und Einflussnahme: Eine resiliente Organisation verfügt über ein tiefes Verständnis der internen und externen Systeme, in denen sie agiert. Dies ermöglicht der Organisation, aktiv Einfluss zu nehmen und Möglichkeiten zur Anpassung zu schaffen.
Führung, die Unsicherheit und Scheitern akzeptiert und ermutigt: In einer resilienten Organisation herrscht eine Führungskultur, die es den Mitarbeitenden erlaubt, Unsicherheiten und Veränderungen anzunehmen und zu bewältigen.
Festlegung von relevanten Einstellungen, Werten und Verhaltensweisen: Eine resiliente Organisation verankert gemeinsame Überzeugungen und Werte, positive Einstellungen und Verhaltensweisen fest in der Kultur, die für jeden Einzelnen von Bedeutung sind.
Teilen von Informationen und Wissen: Die Mitglieder einer resilienten Organisation teilen aktiv Informationen und Wissen. Das Lernen aus Erfahrungen, einschließlich Fehlern, wird unterstützt und gefördert.
Verfügbarkeit von Ressourcen: Eine resiliente Organisation verfügt über Ressourcen wie qualifizierte Mitarbeitende, finanzielle Mittel, Gebäude, Informationen und Technologie, um die anfälligen Bereiche der Organisation abzusichern und eine schnelle Anpassung an sich ändernde Umstände zu ermöglichen.
Entwicklung und Koordination der Unternehmensbereiche: In einer resilienten Organisation werden die verschiedenen Unternehmensbereiche (bspw. Personalwesen, Qualitätsmanagement, Betriebliches Gesundheitsmanagement, Krisenmanagement und Informationstechnologie), definiert, entwickelt und koordiniert. Dies geschieht im Einklang mit den strategischen Zielen der Organisation.
Evaluierung und Unterstützung kontinuierlicher Verbesserung: Eine resiliente Organisation bewertet ihre Ergebnisse und lernt aus Erfahrungen, um Chancen für kontinuierliche Verbesserung zu identifizieren.
Fähigkeit, Veränderungen zu antizipieren und zu managen: Eine resiliente Organisation erkennt frühzeitig zukünftige Veränderungen, kann angemessen darauf reagieren und diese erfolgreich bewältigen.
Auch hier lassen sich wiederum für Organisationen der Sozialen Arbeit spezifische Aspekte finden, die berücksichtigt werden müssen. Ich habe diese hier beschrieben.
Wichtig ist jedoch, dass Organisationen nicht in der Krise resilient werden, sondern im Training vor der Krise. Nur vor der Krise können Organisationen resilient gemacht werden.
In der Krise gilt der Krisenmodus. Das ist wie beim Fußball – auch da kann man vorher trainieren, aber nicht im Spiel.
Angesichts der gesellschaftlichen Spaltungen, der massiven Auswirkungen des Klimawandels, der unglaublich schnellen technologischen Entwicklungen und, und, und, ist eines aber sicher:
Krisen werden zunehmend zur Normalität – auch in und für soziale Organisationen.
Und dann gilt – optimistisch gesehen:
„If you‘re old, you‘re not dead!“ 😉
Gemeint ist damit, dass wir es in der Sozialen Arbeit nicht mit hippen Start-Ups zu tun haben, sondern mit Organisationen, die es geschafft haben, über Jahre, Jahrzehnte und teilweise Jahrhunderte zu existieren. Mit anderen Worten:
Wir können Krisen und wir haben Ressourcen, um mit Krisen umzugehen. Und vielleicht sind gerade Organisationen der Sozialen Arbeit aufgrund ihrer Besonderheiten besonders resilient.
Fazit, oder: Heuristiken* zum Umgang mit den größten Gefahren für Organisationen der Sozialen Arbeit
Zur Wiederholung noch einmal der Blick auf den eingangs eröffneten Bezugsrahmen:
Ziel muss es sein, Organisationen der Sozialen Arbeit zu entwickeln und zu gestalten, die heute und in Zukunft in der Lage sind, gesellschaftliche Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt zu fördern sowie die Autonomie und Selbstbestimmung der Menschen zu stärken!
Das treibt mich in meiner Arbeit an und das sollte – zumindest aus meiner Sicht – auch Motivation genug sein, trotz aller Herausforderungen und „Gefahren“ weiterzumachen und zu versuchen, an, mit und in Organisationen der Sozialen Arbeit zu arbeiten.
Einschränkend und abschließend möchte ich jedoch betonen, dass es an vielen Stellen nicht um ein „statt“ geht. Man könnte z.B. meinen, ich plädiere – um nur ein Beispiel herauszugreifen – dafür, „statt intuitiv zu entscheiden“ nur noch datenbasiert zu entscheiden. Das ist zu kurz gegriffen.
Vielmehr können Heuristiken helfen. Darunter versteht man Methoden, um mit begrenztem Wissen und wenig Zeit dennoch zu wahrscheinlichen Aussagen oder praktikablen Lösungen zu kommen.
Heuristiken kennen wir z.B. aus dem agilen Manifest, in dem es heißt „Individuen und Interaktionen haben Vorrang vor Prozessen und Werkzeugen“, „Funktionsfähige Produkte haben Vorrang vor umfassender Dokumentation“, „Zusammenarbeit mit den Kunden hat Vorrang vor Vertragsverhandlungen“ und „Das Eingehen auf Änderungen hat Vorrang vor strikter Planverfolgung“ (hier mehr).
Wichtig ist die Betonung von „haben Vorrang vor“. Dies bedeutet nicht, dass Pläne nicht mehr verfolgt werden sollen, sondern dass die Reaktion auf Veränderungen Vorrang vor der strikten Verfolgung von Plänen hat. Die Planverfolgung bleibt also relevant.
Überträgt man nun diese Denklogik auf die obigen Ausführungen zu den größten Gefahren für Organisationen der Sozialen Arbeit, so lassen sich folgende Heuristiken formulieren:
Funktionale Veränderungen vornehmen hat Vorrang vor dem Verfolgen von Management-Moden!
Formale Erwartungen an Rollen definieren hat Vorrang vor der Personenorientierung!
Adaptive Strategien entwickeln und umsetzen hat Vorrang vor der kurzfristigen Reaktionen!
Datenkompetenz entwickeln und Wirkung messen hat Vorrang vor Bauchentscheidungen!
Organisationale Resilienz trainieren hat Vorrang vor dem Arbeiten über der Überlastungsgrenze!
Damit wird – hoffentlich – deutlich, dass auch die andere Seite kurzfristig relevant sein kann. Bauchentscheidungen z.B. sind ebenso relevant wie die kurzfristige Notwendigkeit, an und (wirklich nur kurz) über der Belastungsgrenze zu arbeiten. Und selbst Managementmoden haben ihre Berechtigung.
Nachhaltigkeit steht derzeit – glücklicherweise – hoch im Kurs. Häufig bezieht sich der Begriff auf ökologische Nachhaltigkeit, die zusammen mit sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit die sogenannte „triple bottom line“ bildet. Und die Beschäftigung mit ökologischer Nachhaltigkeit führt oft zur Permakultur.
Vielleicht sagt Dir der Begriff etwas? Kurz gesagt, handelt es sich bei der Permakultur um ein Konzept für Landwirtschaft und Gartenbau, das darauf basiert, Ökosysteme und Kreisläufe in der Natur zu beobachten und nachzuahmen. In den 1970er Jahren wurde das Konzept von dem Australier Bill Mollison und seinem Schüler David Holmgren entwickelt. Laut Wikipedia hat sich die Permakultur seitdem von einer landwirtschaftlichen Gestaltungsmethode zu einer ökologischen Lebensphilosophie und einer weltweiten Graswurzelbewegung entwickelt. Dabei geht es um eine Kultur der nachhaltigen Lebensweise und Landnutzung.
Vor Kurzem hörte ich in einem Podcast zum ersten Mal vom „Permakultur-Design“. Das brachte mich auf die Idee, zu überlegen, ob und wie die Prinzipien des Permakultur-Designs auf aktuelle Ansätze der Organisationsentwicklung übertragen werden können, um damit auch eine „nachhaltige Organisationsentwicklung“ zu ermöglichen.
Vielleicht können die Überlegungen Organisationen helfen, nachhaltiger und resilienzfähiger zu werden, indem sie die Prinzipien der Permakultur auf ihre Strukturen und Prozesse anwenden. Die Natur bietet zahlreiche Vorbilder für Effizienz, Kreislaufwirtschaft und nachhaltige Entwicklung, die sich auch in der Organisationsentwicklung als wertvoll erweisen könnten.
Permakultur-Design lässt sich definieren als „das bewusste Gestalten und Erhalten von landwirtschaftlich produktiven Systemen, die die Diversität, Stabilität und Resilienz von natürlichen Ökosystemen enthalten. Es ist die harmonische Verbindung der Landschaft mit den Menschen, die davon ihre Nahrungsmittel, Energie, Unterkunft und andere materielle und nicht-materielle Bedürfnisse auf nachhaltige Weise beziehen“ (Bill Mollison, „Vater der Permakultur“).
Permakultur-Design strebt also danach, landwirtschaftliche Systeme zu schaffen, die nicht nur produktiv, sondern auch ökologisch nachhaltig sind. Dabei werden die Prinzipien und Eigenschaften natürlicher Ökosysteme nachgeahmt, um eine symbiotische Beziehung zwischen Mensch und Natur zu fördern. Dies führt zu stabilen und widerstandsfähigen Systemen, die langfristig Bestand haben und die Bedürfnisse der Menschen auf eine umweltfreundliche Weise erfüllen.
Bill Mollison legt in seinem Konzept der Permakultur-Designs besonderen Fokus auf Gartenbau und Landwirtschaft. Entscheidend ist dabei die Bedeutung des bewussten Gestaltens und Erhaltens, das uns auffordert, unseren gesunden Menschenverstand zu nutzen. Mollison betont die Wichtigkeit der Beobachtung – beispielsweise von Sonne, Wind und Wasser – um unsere Landschaft besser zu verstehen. Nur durch sorgfältige Beobachtung können wir effektive Planungen vornehmen.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt seiner Definition sind die landwirtschaftlich produktiven Systeme. Permakultur-Design zielt nicht nur darauf ab, die Natur zu schützen, sondern auch darauf, die Landschaft optimal zu nutzen. Dadurch kann die Produktivität erheblich gesteigert werden, ohne die Natur zu schädigen. Vielmehr schafft Permakultur Systeme, die den natürlichen Ökosystemen ähneln. Diese natürlichen Ökosysteme zeichnen sich durch eine hohe Artenvielfalt aus, können sich in begrenztem Maße an Veränderungen anpassen und erfüllen damit wichtige Funktionen auf der Erde.
Zusammenfassend geht es beim Permakultur-Design um die Schaffung und Gestaltung vollständiger und produktiver Ökosysteme, im Gegensatz zu Monokulturen. Permakultur ist weit mehr als nur eine Form nachhaltiger Landwirtschaft. Sie stellt eine grundsätzliche Herangehensweise dar, die die Dynamiken natürlicher Prozesse vom Design bis zur technischen Umsetzung konstruktiv nutzt. Permakultur ist zugleich eine Philosophie und eine Reihe sozialer Praktiken, Techniken und ethischer Normen. Ihr Ziel ist es, sicherzustellen, dass alle lebenden Systeme gesund bleiben und gedeihen können (Holmgren, 2015, 124).
Spannend wird es insbesondere bei der Betrachtung „lebender Systeme“, wenn man an Organisationen als „soziale Systeme“ denkt. Hier können die Prinzipien der Permakultur innovative Ansätze für die Organisationsentwicklung bieten, indem sie nachhaltige und resiliente Strukturen fördern.
David Holmgren hat 12 Permakultur-Design-Prinzipien erarbeitet, die helfen, sich mit der Denkweise der Permakultur vertraut zu machen. Diese Prinzipien werden wir nun genauer betrachten und mit der Organisationsentwicklung verbinden. Dabei sei darauf hingewiesen, dass es neben den 12 Permakultur-Design-Prinzipien von Holmgren noch weitere gibt – hier findest Du mehr dazu.
Zu jedem Prinzip werde ich konkrete Methoden vorstellen, die für das Verständnis und die Arbeit mit Organisationen hilfreich sein können. Diese Verknüpfung soll zeigen, wie die Prinzipien der Permakultur innovative und nachhaltige Ansätze in der Organisationsentwicklung unterstützen können.
Nachhaltige Organisationsentwicklung und die 12 Permakultur Design Prinzipien
1. Beobachte und interagiere:
Beim ersten Permakultur-Design-Prinzip geht es darum, sich Ruhe und Zeit zu nehmen und zu beobachten, was ist – zunächst ohne Interpretation. Es gilt, Muster zu erkennen und auf kleine Details und Eigenheiten zu achten sowie mit dem, was uns umgibt, zu interagieren. Dabei spielen vor allem Achtsamkeit und Kreativität eine wichtige Rolle.
Die Beobachtung und Interaktion mit der Umwelt offenbart neue und dynamische Aspekte unserer Umgebung und reflektiert unser Glaubenssystem und Verhalten. Dabei sollen alle Sinne angesprochen werden, da diese ein großes Potenzial haben, uns Informationen zu liefern. Es geht somit um deutlich mehr als das rein rationale, analytische Denken. Viel hängt auch von unseren intuitiven und integrativen Fähigkeiten ab. Wir müssen uns bewusst sein (und werden), dass wir nicht alles verstehen oder kontrollieren können.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Die Übertragung der Erkenntnisse auf die Entwicklung sozialer Systeme und damit auch auf die nachhaltige Organisationsentwicklung fällt leicht. Es ist enorm wichtig, die Kultur, Strukturen und Prozesse einer Organisation in der Tiefe (soweit wie möglich) zu verstehen, bevor Veränderungen eingeführt werden. Durch gründliche Beobachtung und Analyse können fundierte Entscheidungen getroffen werden, die besser auf die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen der Organisation abgestimmt sind.
Zu Beginn und im Verlauf eines OE-Prozesses (Organisationsentwicklung) geht es darum, zu beobachten, zu verstehen, zu spüren und sich in die Organisation einzufühlen. Es gilt, die Interaktionsmuster und die verschiedenen Entscheidungsprämissen (mehr dazu hier) zu erkennen. Diese Phase wird oft als Ist-Analyse bezeichnet und erfolgt durch Methoden der Organisationsdiagnose.
Für eine nachhaltige Organisationsentwicklung ist es essenziell, sich Zeit zu nehmen, um die Organisation und ihre Dynamiken ohne voreilige Interpretation zu beobachten. Diese Beobachtungen sind wichtig, um Muster zu erkennen und die Details sowie Eigenheiten der Organisation aus verschiedenen Perspektiven wohlwollend zu betrachten. Es sollte zunächst mit der Organisation interagiert werden, ohne sofortige Veränderungen durch Gespräche, Workshops oder andere Diagnoseformate zu initiieren. Dabei spielen Achtsamkeit und Kreativität eine wichtige Rolle. Die Interaktionen der Beteiligten untereinander lassen blinde Flecken weniger dunkel erscheinen, offenbaren neue dynamische Aspekte der Organisation und spiegeln das Glaubenssystem sowie das Verhalten der Beteiligten wider.
Ich denke methodisch an die Theory U von Otto Scharmer. Obwohl ich hier nicht in die Tiefe gehen kann, lässt sich die Theory U kurz zusammenfassen: Durch tiefgehende, neugierige Beobachtung und echtes Einfühlen in die Situation, die Menschen und die Organisation können eigene Denkmuster, Haltungen und vorschnelle Lösungsoptionen infrage gestellt werden, wodurch Neues entstehen kann. Wenn es gelingt, sich mit dem „Quellort“ – dem inneren Ort – zu verbinden, von dem aus die „im Entstehen begriffene Zukunft“ wahrnehmbar wird, kann man zukünftige Herausforderungen adäquat und nachhaltig angehen. Dies geschieht durch Praktiken des Prototypings, des Entwickelns und das „ins Leben bringen“ der Optionen, die sich auf der linken Seite des „U-Prozesses“ durch „die Praktiken des Öffnens“ gezeigt haben. Dann geht es darum, die Optionen zu verdichten, um ins Handeln zu kommen, Prototypen des Neuen zu entwickeln und auszuprobieren – das Neue ins Leben zu bringen.
Es wird deutlich, dass OE-Prozesse im Detail nie exakt planbar sind. Überraschungen, Irritationen und Abweichungen vom geplanten Prozess sind immer (!) zu erwarten. Erfolgreicher als starres Festhalten am Plan ist es, wenn OE-Prozesse als hypothesengeleitete Experimente verstanden werden. Dies ermöglicht es, immer wieder innezuhalten, den Fortschritt des „Experiments“ (oder der Experimente) zu betrachten und Anpassungen vorzunehmen.
Die Hypothesen, aus denen Experimente erfolgen, werden jedoch nicht „am grünen Tisch“ erarbeitet, sondern sind das Ergebnis von (teilnehmender) Beobachtung, Gesprächen mit den Beteiligten und der Organisationsdiagnose. Dieses Vorgehen ermöglicht es, die vorab getroffenen Annahmen durch Erfahrungen in den Experimenten zu modifizieren und Anpassungen einzuschließen. Anstatt an die Organisationsmitglieder (oder gar die gesamte Organisation) zu appellieren, wie sie in Zukunft sein sollen, ist das hypothesengeleitete Experimentieren deutlich wirksamer für nachhaltig gelingende Veränderungen.
2. Speichere Energie und verwende Ressourcen effizient
Aus Sicht der Permakultur wandert Energie durch unser natürliches System, die Erde, und wird in verschiedenen Formen gespeichert: in Wasser, Bäumen, Pflanzen, Boden, Samen und mehr.
Das Permakultur-Design zielt darauf ab, natürliche Ressourcen und Energien wiederaufzubauen, indem wir achtsam mit erneuerbaren und nicht-erneuerbaren Energiequellen umgehen. Dabei ist ein erweiterter Blick auf das Konzept des „Kapitals“ interessant – möglicherweise im Sinne eines „alten Verständnisses“ von Kapital:
Kapital ist nicht nur das, was wir auf der Bank haben, sondern umfasst auch alle natürlichen Ressourcen, die uns umgeben. Wissen, Informationen, Fähigkeiten und Traditionen sind aus dieser Perspektive ebenfalls wertvolles Kapital. Indem wir dieses umfassende Verständnis von Kapital fördern, können wir nachhaltiger und verantwortungsbewusster mit unserer Umwelt umgehen.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Die Anwendung dieses Blicks auf Organisationen und deren Entwicklung zeigt – selbstverständlich – dass effiziente Ressourcennutzung grundsätzlich entscheidend ist, ebenso in der nachhaltigen Organisationsentwicklung. „Organisationale Ressourcen“ in Organisationen der Sozialen Arbeit umfassen nicht nur materielle Güter, sondern auch das „Humankapital“ im besten Wortsinn – menschliche Energie – sowie Zeit, Gebäude, Wissen, personelle und organisatorische Kompetenzen und vieles mehr. Effektivität („Tun wir die richtigen Dinge?“) und Effizienz („Tun wir die Dinge richtig?“) spielen hier eine herausragende Rolle. Aus sozialarbeiterischer Perspektive ist es mir besonders wichtig zu betonen, dass OE-Prozesse nicht dazu führen sollten, dass die Organisation von Beraterabhängig wird, sondern vielmehr das Potential der Organisation fördern sollen, um Selbstbestimmung und Autonomie zu stärken.
Methodisch betrachtet rückt der Einsatz von (agilen) (Projekt-)Managementmethoden in den Fokus. Insbesondere Methoden wie Kanban und Scrum fördern eine klare Priorisierung und helfen, Energie zu sparen sowie vorhandene Ressourcen optimal zu nutzen.
Diese agilen Ansätze berücksichtigen auch die hypothesengeleitete Experimentierlogik, die unter Punkt 1 erwähnt wurde. Denn ein zentrales Element agiler Methoden ist das iterative Vorgehen, das durch kurze Zeiteinheiten (Sprints) geprägt ist: Anstatt einen großen Entwurf von Anfang an zu planen, nähert man sich schrittweise und iterativ einem Ziel. Kurz gesagt, man experimentiert, wertet aus und passt an, wobei die Auswertung der erreichten Ergebnisse genauso bedeutend ist wie der Experimentierprozess selbst.
3. Erziele einen Ertrag
Bei der Permakultur geht es nicht nur um reine Naturschutzprojekte. Vielmehr wird klar zwischen Naturschutzprojekten und produktiven Ökosystemen unterschieden. Permakulturen sollten stets mehrere Erträge erzielen, darunter Nahrungsmittel, sauberes Wasser und stabile Gemeinschaften. Ein ökonomischer Ertrag ist ebenfalls ein Ziel der Permakultur. Aus Sicht der Permakultur werden alle Organismen und Lebewesen von ihrer Umgebung versorgt, gemessen an dem, was sie zum Erhalt benötigen.
Dementsprechend sollten unsere Eingriffe und Veränderungen in Systeme sowie die Hinzufügung neuer Elemente produktiv sein. Dies bedeutet jedoch auch, dass diese Veränderungen nicht nur den Menschen dienen sollten, sondern allen Elementen des Systems. Diese Eingriffe sollten in den natürlichen Kreislauf integriert sein, um das Gleichgewicht und die Gesundheit des gesamten Ökosystems zu erhalten.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Der primäre Zweck von Organisationen ist ihr Überleben. Dieses Ziel streben alle sozialen Systeme an, sei es eine Familie, eine Gruppe oder eine Organisation. Die Veränderung einer Organisation durch Organisationsentwicklung zielt daher darauf ab, das Überleben der Organisation langfristig zu sichern. Konkreter geht es dabei um Maßnahmen, die entweder unerwünschte Verhaltensweisen, Muster oder Prozesse, die das Überleben der Organisation gefährden könnten, ablegen oder zukünftig gewünschte Strukturen etablieren sollen, die das Überleben sicherstellen.
Entsprechend mach Organisationsentwicklung aus reinem Selbstzweck keinen Sinn; es bedarf eines Ertrags der Maßnahmen. Dieser Ertrag kann sich in Form erhöhter Produktivität, gesteigerter Mitarbeiterzufriedenheit oder finanzieller Gewinne zeigen.
Ein Perspektivenwechsel, wie er in der Permakultur zu finden ist, verdeutlicht jedoch, dass Veränderungen in einem System nicht nur einem Stakeholder zugutekommen sollten, sondern allen Elementen des Systems. In einer Organisation bedeutet dies, dass die Interessen aller Stakeholder, sowohl intern (wie Eigentümer:innen, Mitarbeitende, Führungskräfte) als auch extern (wie Nutzer:innen, Kostenträger, lokale Gemeinschaften), berücksichtigt werden sollten.
Das St. Galler Management-Modell bietet hierfür eine umfassende Perspektive, die neben Strategien auch Strukturen, Prozesse und weitere Elemente einschließt. Besonders relevant ist dies in Organisationen der Sozialen Arbeit, wo der Ertrag der Organisationsentwicklung auch für Klient:innen, Bewohner:innen oder „Kunden“, sowie für Kostenträger und andere externe Stakeholder, von Bedeutung ist.
Hier wäre ein „open organizational development“ Ansatz denkbar, der ermöglicht, alle Stakeholder im OE-Prozess angemessen zu berücksichtigen. Dies umfasst die Bewertung und Einbeziehung der lokalen Politik, der Nachbarschaft, der Ehrenamtlichen und anderer relevanter Gruppen in den Prozess.
Schlussendlich ist es entscheidend, dass die Maßnahmen im OE-Prozess nachhaltige und messbare Ergebnisse liefern. Dies erfordert die Priorisierung von Hypothesen, klare Zieldefinitionen und regelmäßige Reflexion des Fortschritts durch Retrospektiven.
4. Nutze Selbstregulation und akzeptiere Rückmeldungen
Permakulturen sind komplexe Systeme, da die Natur zahlreiche Verbindungen zwischen Arten schafft, die für uns Menschen kaum zu überblicken sind. Das Ziel des Permakultur Designs besteht darin, Räume zu schaffen, in denen die Natur ihre Komplexität entfalten und selbst regulieren kann. Es gilt, aus den positiven Veränderungen zu lernen, die spontan entstehen. Gleichzeitig bieten negative Veränderungen die Gelegenheit, die Gestaltungsarbeit zu überdenken und notwendige Anpassungen vorzunehmen.
Permakultur Design zielt darauf ab, die Selbstregulation des Systems zu fördern, um nur ein Minimum an Eingriffen und Pflege zu benötigen. Es geht darum, Individuen, Lebensgemeinschaften und lokale Gemeinschaften zu mehr Autarkie und Selbstregulation zu befähigen. Dies stärkt nicht nur die Resilienz des betrachteten Systems, sondern fördert auch dessen autonome Entwicklung.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Für die nachhaltige Organisationsentwicklung ergeben sich hier (mindestens) zwei wichtige Aspekte:
Zum einen gilt es, Organisationen, die ebenfalls als komplexe soziale Systeme zu betrachten sind, in ihrer Selbstregulation zu fördern. Hierzu dienen bspw. die schon angesprochenen regelmäßigen Retrospektiven, Feedback-Schleifen und damit das hypothesenbasierte, iterative Vorgehen in der Organisationsentwicklung. Dabei ist die Offenheit für Rückmeldungen (aus der Umwelt der Organisation, von internen wie externen Stakeholdern usw.) und die Bereitschaft, diese in zukünftige Planungen einzubeziehen, essentiell.
Zum anderen zeigt sich hier die Nähe zum Kern Sozialer Arbeit. Diese will ja nicht ihre „Expertenlösungen“ an die Menschen verkaufen, sondern Menschen und Gruppen in ihrer jeweiligen Lebenswelt auf dem Weg zu mehr Autonomie und Selbstbestimmung fördern (habe hier im Blog schon öfter das Bild der „Hebamme“ verwendet, die dabei begleitet, das Beste im Menschen auf die Welt zu bringen). Und so ist es (zu Teilen) auch in der Organisationsentwicklung. Denn auch da gilt es, die in der Organisation liegenden Möglichkeiten „auf die Welt“ zu bringen, anstatt zu versuchen, hippe, angeblich neue Management-Moden zu verkaufen. Im Sinne der Komplementärberatung ist es jedoch an der ein oder anderen Stelle auch hilfreich, als Berater:in seine fachlichen Ideen einzubringen – immer im Wissen, dass damit unmittelbar in die Organisation interveniert wird.
Diesen Punkt abschließend noch eine sehr aktuelle Frage, die immer wieder in OE-Prozessen auftaucht: „Wie gelingt lernen in Organisationen?“. Hintergrund sind Herausforderungen einer alternden Belegschaft und die (auch) damit verbundene Gefahr, dass „Wissen“, vor allem aber Kompetenzen, aus der Organisation „abfließen“.
5. Nutze und schätze erneuerbare Ressourcen
Ein einfaches Prinzip – eigentlich: Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geliehen. Anders gesagt dürfen wir nicht mehr von dem „Erden-Konto“ abheben, als wir einzahlen. Entsprechend gilt es in der Permakultur, erneuerbare Ressourcen zu nutzen, die uns die Natur in den meisten Fällen kostenlos zur Verfügung stellt. Das Ziel ist, unseren verschwenderischen Verbrauch und unsere Abhängigkeit von nicht erneuerbaren Ressourcen zu reduzieren.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Insbesondere mit Blick auf Organisationen der Sozialen Arbeit lassen sich die Mitarbeiter als die wertvollste Ressource definieren. Maschinen gibt es keine, Soziale Arbeit lässt sich kaum standardisieren, und die eigentliche Leistung sozialer Arbeit entsteht erst im direkten Kontakt zwischen „Klient:in“ und Sozialarbeiter:in.
Ein Blick in den AOK-Fehlzeitenreport 2023 zeigt jedoch, dass Berufe des Sozial- und Gesundheitswesens seit Jahren an der Spitze der Statistiken rund um psychische Belastungen rangieren (vgl. AOK Fehlzeitenreport 2023, 492). Weitergehend und branchenübergreifend zeigt der AOK-Fehlzeitenreport 2023 auch, dass die Fehltage wegen psychischer Erkrankungen seit 2012 um 48 Prozent gestiegen sind.
Kurz: Die Nutzung der wichtigsten Ressourcen unserer Organisationen erfolgt alles andere als nachhaltig. Das hat viele Ursachen. Für die Organisationsentwicklung stellt sich die Frage, wie es gelingen kann, dass Mitarbeiter:innen trotz aller Anforderungen nicht in den Burnout rutschen. Hier fehlt der Platz, um darauf ausführlich einzugehen, aber beispielsweise werden im Fehlzeitenreport die folgenden sechs Bereiche, die für eine gute und gesunde Arbeit betrachtet werden müssen, hervorgehoben:
Arbeitsinhalte und -aufgaben
Arbeitsorganisation
Arbeitszeit
Soziale Beziehungen
Arbeitsmittel
Arbeitsumgebung
Kurz: Nachhaltige Organisationsentwicklung kann und darf nicht einseitig oder unterkomplex gedacht werden und beispielsweise allein auf Effizienzsteigerung abzielen.
6. Produziere keinen Abfall
Eng verknüpft mit dem vorherigen Prinzip geht es hier darum, nur Dinge zu produzieren, die langfristig nicht zum Entsorgungsproblem werden. Dies lässt sich durch das englische Permakultur-Motto „Refuse, reduce, reuse, repair, recycle!“ zusammenfassen. Es stellt stets die Frage, ob es wirklich notwendig ist, etwas neu zu produzieren. Sollte dies der Fall sein, muss darüber nachgedacht werden, wie Produkte repariert, getrennt oder recycelt werden können, um so wenig Abfall wie irgend möglich zu produzieren.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Oben habe ich bereits erwähnt, dass das ausschließliche Streben nach Effizienz in Bezug auf Ressourcen keine gute Idee ist. Effizienz kann jedoch auch positiv betrachtet werden, wenn man die Frage „Tun wir die Dinge richtig?“ stellt. In vielen Organisationen, die ich berate, fällt mir immer wieder auf, dass Prozesse sowie finanzielle und personelle Ressourcen nicht effizient genutzt werden. Angesichts des Fachkräftemangels wird deutlich, dass wir so nicht weiterkommen.
Ich habe vor einiger Zeit die Notwendigkeit betont, weniger zu tun, unnötige Bürokratie abzubauen, Prozesse zu optimieren und Ressourcenverschwendung zu vermeiden. Dies habe ich unter dem Begriff „Exnovation“ zusammengefasst, der aus der Nachhaltigkeitsbewegung stammt. Übertragen auf die Organisationsentwicklung bedeutet dies: Von der Auftragsklärung über die OE-Prozessarchitektur und das Design bis hin zu den konkreten Maßnahmen zur Veränderung muss genau überlegt werden, was wirklich notwendig ist und wo Vereinfachungen sinnvoll sind. Die Minimierung von Verschwendung ist ein Schlüssel zur nachhaltigen Organisationsentwicklung und zur effektiven Gestaltung der Organisation selbst.
Methodisch orientiere ich mich an Konzepten des „Lean-Managements“. Lean Management umfasst Denkprinzipien, Methoden und Verfahrensweisen zur effizienten Gestaltung der gesamten Wertschöpfungskette einer Organisation und lässt sich – in angepasster Form – auch auf Organisationen der Sozialen Arbeit übertragen.
Abschließend möchte ich auf Buurtzorg, die berühmte niederländische Pflegeorganisation, hinweisen. Jos de Blok betont immer wieder, dass der Erfolg von Buurtzorg darauf basiert, die Formalstrukturen der Organisation „small and simple“ zu halten. Ich finde, dass dies hervorragend passt.
7. Gestalte vom Muster zum Detail
Ulrike Meißner schreibt, dass die ersten sechs Permakulturprinzipien Systeme aus der inneren Perspektive von Elementen, Organismen und Individuen betrachten. Die folgenden sechs Prinzipien hingegen richten den Blick von außen auf Grundmuster und Beziehungen, die durch Selbstorganisation und Co-Evolution in Systemen entstehen.
Prinzip 7 betont, dass man mit einem Gesamtbild beginnen und sich dann zu den Details vorarbeiten sollte. Es ist notwendig, einen Schritt zurückzutreten, um in Natur und Gesellschaft übergeordnete Muster wahrzunehmen. Diese Muster können dann „zum Rückgrat unserer Entwürfe werden, die wir anschließend Stück für Stück mit Details ausgestalten“ (klick). Anstatt sich von Beginn an in detaillierten Analysen zu verlieren, ermöglicht der Blick auf die Muster eines Systems, übergeordnete Gestaltungsmöglichkeiten zu erkennen.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Das Prinzip mag zunächst abstrakt klingen, doch bei genauerer Betrachtung der ersten Schritte eines OE-Prozesses wird klar, dass viele Aspekte übertragbar sind. Der wohl wichtigste Aspekt zu Beginn einer Organisationsentwicklung ist die Auftragsklärung. Diese hilft dabei, innezuhalten und sich ein möglichst gutes Bild der Situation zu machen. Es ist denkbar, dass der vom Auftraggeber vorgeschlagene „Weg“ oder die bereits angedachte Lösung, die in den ersten Gesprächen vorgestellt wird, nicht die einzig mögliche Lösung ist.
Interessant ist auch die Frage, ob das von der Organisation geschilderte Problem nicht eher ein Symptom eines zugrunde liegenden Problems auf einer ganz anderen Ebene ist. Was wäre, wenn alles so bliebe, wie es ist, und wir nichts unternehmen?
Die Auftragsklärung dient dazu, zu Beginn einen Konsens über die bestehende Not, die Treiber der Veränderung und das bestehende Problem zu erreichen, bevor man mögliche Lösungen erarbeitet. Dabei müssen verschiedene Bereiche oder „das große Ganze“ betrachtet werden, um dann schrittweise zu den Details überzugehen.
Das bedeutet auch, dass die Muster der Organisation oder des Bereichs in den Blick genommen werden müssen, um ein klares Verständnis der übergeordneten Ziele und Strategien zu entwickeln. Dies hilft, das Prozessdesign der Organisationsentwicklung passend auszurichten.
8. Integriere anstatt zu trennen
Das achte Prinzip verdeutlicht, dass viele verschiedene Elemente, die zusammenarbeiten, nützlicher sind als einige wenige, die in Konkurrenz zueinander stehen. Stabilität und Resilienz entstehen aus der Verbindung vielfältiger, komplexer Systeme, in denen Beziehungen zwischen den Elementen entstehen. Diese Beziehungen gewährleisten, dass jede lebenswichtige Funktion von vielen Elementen unterstützt wird und jedes Element viele Funktionen erfüllt.
Durch diese enge Zusammenarbeit wird die Resilienz des gesamten Systems gestärkt, da Ausfälle einzelner Elemente leichter kompensiert werden können.
Kurz gesagt: Monokulturen sind anfällig und auf Dauer nicht lebensfähig. Der Blick auf Wälder, Felder und die meisten unserer natürlichen Ökosysteme zeigt genau das. Ich habe in diesem Blog bereits den Vergleich zum vom Borkenkäfer befallenen Sauerländer Wald herangezogen, um die Problematik zu verdeutlichen und mit Organisationen der Sozialen Arbeit zu verknüpfen.
Kooperation und Vielfalt, nicht Konkurrenz und Monokultur, führen zu nachhaltigeren und robusteren Strukturen – sei es im Garten, im Wald, in der Wirtschaft oder in der Gesellschaft.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Aktuell begleite ich einen OE-Prozess, in dem das Thema Vielfalt groß geschrieben wird. Es wurde beispielsweise eine Vielfaltsvision erarbeitet und Maßnahmen abgeleitet, die die Diversitätssensibilität steigern sollen.
Interessanterweise lautet eine der leitenden Fragen im Prozess: Wie individuell können die einzelnen Arbeitsbereiche und Teams agieren und wo, an welchen Stellen, in welchen Strukturen und Prozessen, bedarf es organisationaler Vorgaben, die für alle gelten?
Unter Berücksichtigung des achten Prinzips ergibt sich organisationale Resilienz und damit Robustheit und Anpassungsfähigkeit dann, wenn verschiedene Abteilungen und Teams eng zusammenarbeiten und ihre individuellen Kompetenzen und Ressourcen bündeln.
Jede wichtige Funktion wird von vielen Elementen unterstützt, und jedes Element erfüllt viele Funktionen, was die Resilienz der Organisation erhöht. Bei Ausfällen oder Veränderungen einzelner Teile der Organisation können diese leichter kompensiert werden.
Kooperation und Diversität innerhalb einer Organisation fördern nicht nur die Innovation, sondern auch die Fähigkeit, sich an neue Herausforderungen anzupassen. Für eine nachhaltige Organisationsentwicklung ist es daher entscheidend, ein Umfeld zu schaffen, das Zusammenarbeit und Vielfalt fördert, um langfristig erfolgreich und stabil zu bleiben.
Ein Blick in die Sozialwirtschaft zeigt, dass Wohlfahrtsverbände ebenso wie große Komplexträger nicht als eine einzige Organisation oder als Konzerne fungieren. Vielmehr lassen sie sich als „Fraktalorganisationen“ definieren.
Eine Fraktalorganisation verbindet entweder mehrere zunächst unabhängige Organisationen, die unter einem gemeinsamen (Primär-)Zweck vereint sind („Nah. Am Nächsten!“), oder mehrere Zweigstellen, Abteilungen oder Projekte innerhalb einer Organisation. Die Einzelorganisationen bzw. unabhängigen Bereiche, Abteilungen oder Zweigstellen nutzen mehrere funktionale Domänen (z.B. Buchhaltung, IT, Produktmanagement oder Entwicklung) gemeinsam. Entscheidungen werden in solchen Fraktalorganisationen nicht ausschließlich an der Spitze getroffen, sondern auch und insbesondere in den Einzelorganisationen (bspw. Erziehungsberatungsstellen oder unabhängigen Wohngruppen).
Deutlich wird hier, dass die oftmals als Problem beschriebenen Strukturen sozialer Organisationen („Die in der Jugendhilfe machen immer ihr eigenes Ding!“) insbesondere in Zeiten, in denen Herausforderungen die Regel sind, als eine der Stärken von Organisationen der Sozialen Arbeit betrachtet werden können. Anstatt Vielfalt einzuschränken, gilt es, trotz der durch Vielfalt entstehenden hohen Komplexität, „rekursive Strukturen“ zu schaffen, die möglichst hohe Orientierung und Sicherheit in der Komplexität bieten.
9. Nutze kleine und langsame Lösungen
Prinzip 9 mag auf den ersten Blick ungewöhnlich klingen – brauchen wir nicht radikalere, also an die Wurzel gehende Lösungen? Doch aus der Permakultur wird klar, dass kleine, kontinuierliche Veränderungen weniger Zeit und Energie benötigen, überschaubarer sind und vor allem langfristig lebensfähiger.
Ein Beispiel aus der Lebensmittelproduktion ist das grausame „Gänsestopfen“. Dabei werden Gänse und Enten zwangsgefüttert, sodass ihre Leber auf das bis zu Zehnfache ihres Normalgewichts anschwillt. Auch die Produktion von billigem Fleisch folgt einem ähnlichen Prinzip: Möglichst schnell, möglichst fett, und oft nur essbar durch den Einsatz massiver Mengen an Antibiotika. Das ist einfach verrückt.
Im Gegensatz dazu geht die Permakultur davon aus, dass kleine und langsame, damit aber natürliche Veränderungen, Systeme langfristig produktiver machen als große Veränderungen, die einen hohen Energie- und Zeitaufwand erfordern.
Kurz gesagt: Indem man die Dinge Schritt für Schritt angeht, behält man die Kontrolle, und die Ergebnisse sind nachhaltiger und stabiler.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Aus meiner Perspektive sind alle Aspekte rund um die „agile Organisationsentwicklung“ besonders hervorzuheben:
Agile Organisationsentwicklung kann als ein dynamischer Ansatz zur Gestaltung und Verbesserung von Unternehmensstrukturen und -prozessen beschrieben werden, der sich an den Prinzipien und Methoden der Agilität orientiert.
Ein zentraler Bestandteil ist dabei die Hypothesenbildung und die darauf basierende iterative bzw. experimentelle Umsetzung dieser Hypothesen. Anstatt die gesamte Organisation auf einmal umzustellen, werden Pilotprojekte in ausgewählten Bereichen gestartet. Diese Projekte bzw. Experimente dienen als Lernfelder, und die gewonnenen Erfahrungen fließen in die weitere Entwicklung ein.
Agile Organisationsentwicklung erfolgt in kurzen Iterationen oder Sprints. In regelmäßigen Abständen werden die Fortschritte der Projekte überprüft und notwendige Anpassungen vorgenommen. Dies ermöglicht eine schnelle Reaktion auf Veränderungen und eine kontinuierliche Verbesserung der jeweils getesteten Hypothesen.
10. Nutze und schätze die Vielfalt
Prinzip 10 der Permakultur-Design-Prinzipien betont die hohe Relevanz von Vielfalt, die wesentlich zur Widerstandsfähigkeit eines Systems beiträgt.
Diese Idee findet sich auch in anderen Bereichen wieder, beispielsweise in der Finanzwelt, wo der Begriff „Diversifikation“ verdeutlicht, dass es riskant ist, „alles auf ein Pferd“ zu setzen. Vielfalt sorgt für Stabilität und Ausfallsicherheit, indem die unterschiedlichen Elemente eines Systems sich gegenseitig unterstützen und absichern.
In der Praxis der Permakultur bedeutet dies, dass bestimmte Pflanzenkombinationen nicht nur den Boden verbessern, sondern sich auch gegenseitig vor Schädlingen und Krankheiten schützen können. Diese Synergien reduzieren den Bedarf an externen Eingriffen und schaffen ein robusteres, nachhaltigeres System.
Ein praktischer Tipp (auch wenn ich ehrlicherweise keine Ahnung habe): Die Kombination von Ringelblumen und Tomaten kann dazu beitragen, Schädlinge fernzuhalten, während Bohnen und Mais zusammen gepflanzt ihre jeweilige Bodenfruchtbarkeit und Stabilität erhöhen.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Schon bei Prinzip 8 habe ich dargelegt, dass durch Diversität in Teams und Führungsebenen unterschiedliche Perspektiven und Ideen eingebracht werden, was zu kreativeren und robusteren Lösungen und damit zur Stärkung der organisationalen Resilienz führt. Vielfalt sollte daher aktiv gefördert und wertgeschätzt werden.
Beim Befassen mit Prinzip 10 und dem Begriff Diversifikation kam mir die Entscheidungslogik „Effectuation“ in den Sinn. Das zweite Effectuation-Prinzip, „leistbarer Verlust statt erwarteter Ertrag,“ zeigt, dass erfolgreiche Unternehmer:innen entgegen dem gängigen Klischee nicht durch eine überdurchschnittlich hohe Risikobereitschaft glänzen. Im Gegenteil: Sie riskieren nur das, was sie verschmerzen können, ohne ruiniert zu werden. Sie handeln also anders, als oft angenommen.
Bezogen auf OE-Prozesse bedeutet dies, genau abzuwägen, wo und wie Änderungen vorgenommen werden. Anstatt einen „Big Bang“ zu verfolgen und von heute auf morgen alles auf den Kopf zu stellen, stoße ich immer wieder auf die „Schmerzgrenzen“ in der Veränderungsmöglichkeit sozialer Systeme. Ein Blick in die Sozialwirtschaft zeigt wortwörtlich jahrhundertealte Organisationen, deren Kultur nicht über Nacht entstanden ist. Diese Kultur wird Wege finden, allzu schnelles Vorpreschen, radikale Veränderungen und extreme Vorstellungen einer zukünftigen Organisation zu verhindern.
11. Nutze die Ränder und schätze das Marginale
Prinzip 11 ist für mich das Überraschendste, da ich bisher bewusst noch nicht über diese Perspektive nachgedacht habe. Das Prinzip besagt aus der Sicht der Permakultur, dass an den Grenzen, also dort, wo verschiedene Bedingungen aufeinandertreffen, Übergänge entstehen.
Diese Übergangsbereiche liegen oft nicht im Aufmerksamkeitsbereich, obwohl sie besonders vielfältig und produktiv sind. Anstatt also zu trennen, sollten diese Bereiche als Chance gesehen werden. Ein konkretes Beispiel sind Waldränder, die unglaublich vielfältige Biotope darstellen, da dort verschiedene Bedingungen aufeinandertreffen. Diese Übergangsbereiche sind besonders vielfältig, produktiv und wertvoll. Ebenso sind Grenzstreifen oft wunderbare, unberührte Lebensräume.
Indem wir diese Übergangsbereiche bewusst wahrnehmen und nutzen, können wir von ihrer Vielfalt und Produktivität profitieren und nachhaltigere Systeme schaffen.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Mir kommen zu diesem Prinzip die Ausführungen von Groth und Richter (2023) rund um das Thema Führung in den Sinn:
„Wirksame Führung – ob Selbstführung oder Fremdführung (…) – betreibt Grenzmanagement zwischen einer Einheit (von uns häufig und synonym auch »System« genannt) und den relevanten Einheiten ihrer Umwelt. Es geht um Fragen wie: Wie soll eine Einheit reagieren, wenn sich die Umwelt verändert? Kann eine Einheit ihre Position in Relation zur Umwelt verbessern oder absichern? Oder kann die Einheit sogar Impulse in die Umwelt geben, d. h. andere Einheiten in ihrem Sinne beeinflussen? Immer geht es um Grenzziehungs- und Beziehungsfragen und damit um Arbeit an gegenseitigen Abhängigkeiten und Unabhängigkeiten, ohne dass eine Seite die Beziehung dominiert oder eine Seite ganz weggedacht werden kann. Systeme und ihre Umwelten »irritieren« sich gegenseitig und ihr Zusammenspiel, ihre Kopplung, entwickeln ein Eigenleben“ (ebd., 15).
Führung ist demnach „weder allein das, was eine einzelne Einheit tut, noch allein das, was zwischen Einheiten passiert. Führung ist beides, sie sitzt gewissermaßen auf dieser Grenze zwischen einer Einheit und ihrem Außen, beobachtet also ein System und seine Bezugnahme auf die relevanten Umwelten“ (ebd., 16).
Führung (womit hier nicht nur die eine „Führungskraft“ bzw. der:die Vorgesetzte gemeint ist) spielt sich also immer dort ab, wo Systeme aufeinandertreffen. Wenn dazu die Definition von Führung als „erfolgreiche Einflussnahme in kritischen Momenten“ (Muster, 2020) hinzugezogen wird, wird deutlich, dass es für gelingende Führung notwendig ist, den Blick nicht allein auf das eigene System, sondern zusätzlich immer auch auf das „Dazwischen“ zu richten.
Wenn die Entwicklung des jeweiligen Systems (Person, Mitarbeiter, Team, Organisation) als ein Kernaspekt von Führung definiert wird, kann auch die Organisationsentwicklung nie „abgetrennt“ von der Entwicklung der Menschen und Teams innerhalb und anderer sozialer Systeme in der Umwelt und damit außerhalb der Organisation erfolgreich gelingen. In den fraktalen Organisationsmodellen vieler Organisationen der Sozialen Arbeit rücken dann zum einen die anderen Organisationseinheiten in den Blick, aber auch externe Stakeholder wie die Kostenträger, die bei gelingenden OE-Prozessen mitzudenken sind.
Neben all dem findet auch die Entwicklung innovativer Ideen oft an den Rändern bzw. in Bereichen statt, die nicht im Hauptfokus stehen.
12. Reagiere kreativ auf Veränderung
Achtung, Binse: Das einzig Konstante auf der Welt ist der Wandel.
Dieser Gedanke ist zwar logisch und nicht neu, dennoch stellt Prinzip 12 die entscheidende Frage:
Wie gehen wir mit dem Wandel um?
Der Blick in die Zukunft kann entweder verstörend und deprimierend sein oder neue Möglichkeiten eröffnen. Kreativität bedeutet in diesem Kontext beispielsweise, dass klimatische Veränderungen den Anbau neuer Pflanzenarten ermöglichen können. Es geht darum, unvermeidliche Veränderungen positiv zu beeinflussen, indem wir sie aufmerksam beobachten und zum richtigen Zeitpunkt eingreifen. Dadurch entsteht Anpassungsfähigkeit, die durch vorausschauende Planung entscheidend ist, um in einer sich ständig verändernden Welt erfolgreich zu sein.
Ein flexibles System kann langfristig überleben, da es Umweltveränderungen gibt, auf die wir keinen Einfluss haben. Nur diejenigen, die sich anpassen, sichern ihr Fortbestehen.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Organisationen insgesamt und die Sozialwirtschaft im Speziellen kennen den Wandel als einzige Konstante. Hier stellt sich immer wieder die Frage, wie wir mit den bevorstehenden und oft unvermeidlichen Veränderungen umgehen und mit welchem Blick wir auf die Herausforderungen schauen. So habe ich beispielsweise in einem Blogbeitrag versucht, den Fachkräftemangel als Chance zu betrachten und zehn Möglichkeiten für die Soziale Arbeit beschrieben, wie dieser „positive Blick“ gelingen kann.
Und auch in Organisationsentwicklungsprozessen sind Veränderungen unvermeidlich. So verlässt in einem OE-Prozess in einer Altenhilfeeinrichtung die Pflegedienstleitung die Einrichtung, in einem anderen Prozess wird die Geschäftsführung aufgrund von Unstimmigkeiten mit dem Vorstand plötzlich entlassen. Zeiten verschieben sich, neue Menschen kommen hinzu oder eine unerwartete Pandemie tritt auf. Immer wieder stellt sich die Frage:
„Wie gehe ich jetzt damit um?“
Ehrlich gesagt, habe ich oft einen „Plan“ im Kopf, eine Prozessarchitektur, die idealerweise mit begrenzten Ressourcen zu signifikanten Veränderungen führt. Ja, es frustriert mich manchmal, wenn der Prozess plötzlich auf wackligen Füßen steht, Anpassungen notwendig sind und ich den Plan über den Haufen werfen muss.
Doch auch hier – wie schon bei Prinzip 10 – lohnt ein Blick in die Entscheidungslogik „Effectuation“. Das dritte Prinzip der Effectuation (Umstände und Zufälle nutzen statt vermeiden) zeigt explizit, dass Veränderungen immer hinzukommen, egal wie gut wir planen. Es macht wenig Sinn, viel Energie darauf zu verwenden, Veränderungen vorzubeugen. Stattdessen sollten wir versuchen, das Unerwartete, Zufälle und sich verändernde Umstände als Chancen und Hebel zu nutzen und in Innovation und Möglichkeiten zu transformieren.
Puh, das war ein ganz schön langer Text. Und ehrlich gesagt, könnte man bei jedem einzelnen Prinzip viel tiefer einsteigen.
Bei den meisten Prinzipien habe ich auf Fachliteratur verzichtet. Vielleicht nehme ich mir später die Zeit, die kurzen Ausführungen mit entsprechenden Belegen zu untermauern. Aber für den Moment betrachte ich den Beitrag als „gut genug für jetzt und sicher genug, um es auszuprobieren“.
Klar ist, dass die Prinzipien der Permakultur wertvolle Einsichten bieten, die auf Fragen der nachhaltigen Organisationsentwicklung übertragen werden können.
Indem wir natürliche Systeme als Vorbild nehmen, können wir Strukturen schaffen, die nicht nur effizient und produktiv, sondern auch nachhaltig und harmonisch sind. Durch die Anwendung dieser Prinzipien können Organisationen aller Branchen nachhaltiger, widerstandsfähiger und anpassungsfähiger werden.
Aber was waren die für dich interessantesten Prinzipien? Schreib es doch gerne in die Kommentare oder teile es in den sozialen Medien.
Die Herausforderungen, denen Soziale Organisationen gegenüberstehen, sind enorm. Spannend ist, dass die sich überlagernden gesellschaftlichen Probleme und Polykrisen nicht nur akut sind, sondern sich gegenseitig verschärfen (vgl. hier). Dramatisch dabei ist, dass sich aktuell kaum erkennbare politische Lösungen abzeichnen. Vor dem Hintergrund dieser mehr als herausfordernden Situation ist es entscheidend, dass Menschen in und – hier liegt mein wesentliches Interesse in der Organisationsentwicklung – Soziale Organisationen übergreifend resilient bleiben. Die Frage, die sich hierbei stellt, ist, wie organisationale Resilienz erreicht werden kann.
Im Folgenden werden dazu einige Ideen und Ansätze vorgestellt. So wird einleitend der Begriff der organisationalen Resilienz definiert. Anschließend werden aktuell diskutierte Ansätze organisationaler Resilienz skizziert und ein Blick auf die besonderen Herausforderungen sozialer Organisationen geworfen. Abschließend wird ein Vorgehensmodell zur Gestaltung organisationaler Resilienz beschrieben, das helfen kann, in der eigenen Organisation Schritte in Richtung „Krisenfestigkeit“ und damit organisationaler Resilienz zu gehen.
Der Beitrag basiert auf einem Artikel, den ich kürzlich in einem meiner IdeeQuadrat-Newsletter geschrieben habe. Wenn Du Lust hast, regelmäßig Ideen und Gedanken rund um New Social Work, rund um Organisationsentwicklung in sozialen Organisationen, Tipps, Links, Infos und mehr zu bekommen, kannst Du den Newsletter hier abonnieren.
Was ist organisationale Resilienz?
Organisationale Resilienz bezieht sich auf die Fähigkeit einer Organisation, sich an Veränderungen, Störungen, Krisen und unerwartete Herausforderungen anzupassen und weiterhin effektiv zu funktionieren. Dabei wirken verschiedene Aspekte und „Qualitäten einer Organisation auf der Mikro-, Meso- und Makroebene [zusammen], die das Unternehmen widerstandsfähig und flexibel für die Handhabung von Belastungen und Krisen machen“ (vgl. Heller, J. (Hrsg.) (2019). Resilienz für die VUCA-Welt. Heidelberg: Springer, 134).
Das Konzept der organisationalen Resilienz ist eng mit dem Konzept der Resilienz in der Psychologie verbunden. Dort beschreibt er die Fähigkeit einer Person, in schwierigen Zeiten widerstandsfähig zu bleiben und sich von Rückschlägen zu erholen.
Im organisationalen Kontext bezieht sich Resilienz insbesondere auf:
Anpassungsfähigkeit: Eine resiliente Organisation kann sich schnell auf neue Situationen einstellen und flexibel auf Veränderungen reagieren. Dies kann bedeuten, dass sie Geschäftsmodelle, Entscheidungswege, Prozesse oder Strategien verändern kann, um sich an veränderte Bedingungen anzupassen.
Krisenbewältigung: Resiliente Organisationen sind in der Lage, mit Krisen und unvorhergesehenen Herausforderungen effektiv umzugehen. Sie haben bspw. Notfallpläne und -verfahren, um in Krisensituationen zu reagieren und den Betrieb aufrechtzuerhalten.
Lernfähigkeit: Eine resiliente Organisation lernt aus Erfahrungen und Fehlern. Es werden regelmäßig Restrospektiven und Nachbetrachtungen durchgeführt, um zu verstehen, was schief gelaufen ist. Darauf basierend werden Maßnahmen zur Verbesserung erarbeitet und umgesetzt.
Kommunikation: Effektive, effiziente und transparente Kommunikation ist ein wichtiger Faktor für organisationale Resilienz. Die Fähigkeit, Wissen und Informationen innerhalb der Organisation zu teilen und mit internen wie externen Stakeholdern zu kommunizieren, hilft, Unsicherheit zu reduzieren und Vertrauen aufzubauen.
Ressourcenmanagement: Resiliente Organisationen verwalten ihre Ressourcen sorgfältig, um sicherzustellen, dass sie in schwierigen Zeiten ausreichend Kapazitäten und Mittel haben, um weiterhin funktionieren zu können.
Risikomanagement: Eine wichtige Komponente der organisatorischen Resilienz ist die Identifizierung und Bewertung von Risiken. Durch die proaktive Erkennung von potenziellen Bedrohungen können Organisationen Maßnahmen ergreifen, um sich besser darauf vorzubereiten.
Kurz: Organisationale Resilienz trägt dazu bei, das Überleben und damit auch den langfristigen Erfolg von Organisationen sicherzustellen. Dabei geht es nicht allein darum, auf unmittelbare Herausforderungen zu reagieren, sondern proaktiv auf eine langfristige Fähigkeit zur Anpassung und Überwindung von Schwierigkeiten hinzuarbeiten.
Bei der Befassung mit organisationaler Resilienz ist es hilfreich, die Ebenen „Mitarbeitende“, „Teams“ und die „Organisation als Ganzes“ zu unterscheiden.
So ist a) „organisationale Resilienz aus Sicht der Beschäftigten (…) dann gegeben, wenn das resiliente Verhalten durch organisationale Ressourcen unterstützt wird. Diese Ressourcen umfassen Aspekte wie etwa: Handlungsspielraum Unterstützung durch Vorgesetzte, angemessene Arbeitsmenge und Arbeitsintensität“ (vgl. ebd., S. 104, Hervorhbg. durch den Verf.).
Aus b) der Perspektive von Teams ist organisationale Resilienz dann gegeben, wenn folgende Facetten berücksichtigt sind (vgl. ebd.):
Die Organisation hält die Mitarbeitenden über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden.
Die Organisation schafft ein Verständnis der Strukturen und Prozesse innerhalb der Organisation.
Die Organisation stellt Ressourcen flexibel bereit, um eine Reaktion auf unvorhergesehene Probleme zu ermöglichen.
Und übergreifend, aus c) der Perspektive der Organisation, gibt es sogar eine ISO-Norm zu organisationaler Resilienz (22136:2017), in der die folgenden 9 Elemente organisationaler Resilienz beschrieben werden (vgl. näher dazu bspw. hier):
Gemeinsame Vision und Klarheit über den Zweck: Eine resiliente Organisation zeichnet sich durch die gemeinsame Vision, klare Ziele und gemeinsame Werte aus. Dies wird auf allen Hierarchieebenen geteilt.
Verständnis des internen und externen Umfelds und Einflussnahme: Eine resiliente Organisation verfügt über ein tiefes Verständnis der internen und externen Systeme, in denen sie agiert. Dies ermöglicht der Organisation, aktiv Einfluss zu nehmen und Möglichkeiten zur Anpassung zu schaffen.
Führung, die Unsicherheit und Scheitern akzeptiert und ermutigt: In einer resilienten Organisation herrscht eine Führungskultur, die es den Mitarbeitenden erlaubt, Unsicherheiten und Veränderungen anzunehmen und zu bewältigen.
Festlegung von relevanten Einstellungen, Werten und Verhaltensweisen: Eine resiliente Organisation verankert gemeinsame Überzeugungen und Werte, positive Einstellungen und Verhaltensweisen fest in der Kultur, die für jeden Einzelnen von Bedeutung sind.
Teilen von Informationen und Wissen: Die Mitglieder einer resilienten Organisation teilen aktiv Informationen und Wissen. Das Lernen aus Erfahrungen, einschließlich Fehlern, wird unterstützt und gefördert.
Verfügbarkeit von Ressourcen: Eine resiliente Organisation verfügt über Ressourcen wie qualifizierte Mitarbeitende, finanzielle Mittel, Gebäude, Informationen und Technologie, um die anfälligen Bereiche der Organisation abzusichern und eine schnelle Anpassung an sich ändernde Umstände zu ermöglichen.
Entwicklung und Koordination der Unternehmensbereiche: In einer resilienten Organisation werden die verschiedenen Unternehmensbereiche (bspw. Personalwesen, Qualitätsmanagement, Betriebliches Gesundheitsmanagement, Krisenmanagement und Informationstechnologie), definiert, entwickelt und koordiniert. Dies geschieht im Einklang mit den strategischen Zielen der Organisation.
Evaluierung und Unterstützung kontinuierlicher Verbesserung: Eine resiliente Organisation bewertet ihre Ergebnisse und lernt aus Erfahrungen, um Chancen für kontinuierliche Verbesserung zu identifizieren.
Fähigkeit, Veränderungen zu antizipieren und zu managen: Eine resiliente Organisation erkennt frühzeitig zukünftige Veränderungen, kann angemessen darauf reagieren und diese erfolgreich bewältigen.
Organisationale Resilienz und die besonderen Herausforderungen sozialer Organisationen
Meine erste Überlegung war, jeden der einzelnen Aspekte organisationaler Resilienz aus der ISO-Norm herauszugreifen und in Bezug zu den Besonderheiten sozialer Organisationen zu reflektieren. Der Aufwand dahinter ist jedoch enorm und der Mehrwert für Dich wahrscheinlich eher begrenzt… Entsprechend habe ich aus den drei Bereichen a) Mitarbeitende, b) Teams und c) Organisationen jeweils einen Aspekt herausgegriffen, die ich als besonders beachtenswert empfunden habe:
Auf Ebene der Mitarbeitenden ergeben sich spätestens durch den Fachkräftemangel Herausforderungen bezogen auf die angemessene Arbeitsmenge und Arbeitsintensität. Es ist keine Raketenwissenschaft, festzustellen, dass bei gleichbleibender Arbeitsmenge (bspw. zu betreuende Kids in der Kita) und abnehmendem Personal die Arbeitsmenge für die verbleibenden Mitarbeiter:innen steigt. In den Kernprozessen Sozialer Organisationen fehlt die Möglichkeit der Automatisierung (fast) vollständig.
Auf Ebene der Teams sind zum einen die Ressourcen für Unvorhergesehenes (sog. Slack Ressources) fraglich: Gibt es sowas überhaupt oder sind soziale Organisationen „komplett auf Kante genäht“? Spannender finde ich aber, dass, so die obigen Ausführungen, Resilienz in Teams gefördert wird durch ein klares Verständnis der Strukturen und Prozesse innerhalb der Organisation. Mein Blick in soziale Organisationen zeigt jedoch immer wieder, dass nicht nur das Verständnis der Strukturen und Prozesse, sondern Strukturen und Prozesse überhaupt fehlen. Da fällt es dann entsprechend schwer, ein Verständnis dieser zu entwickeln.
Auf Ebene der „Organisation als Ganzes“ könnte ich vieles, will aber nur das erste Element herausgreifen: Resiliente Organisationen antizipieren Veränderungen. Dazu braucht es die Fähigkeit, sog. irritationsrelevante Informationen überhaupt wahr- und dann auch noch aufnehmen zu können. Das klingt einfacher, als es ist, denn: Organisationen als soziale Systeme grenzen sich – sehr verkürzt – bewusst von ihrer Umwelt ab. Sie ignorieren bewusst viele Informationen, die vielleicht wichtig sein könnten, um mit der Komplexität überhaupt umgehen zu können: Hochschulen schauen auf das Hochschulsystem, soziale Organisationen beobachten die Entwicklungen der Sozialgesetzgebungen, Krankenhäuser beobachten die Entwicklungen im Medizinsektor und so weiter… Würden alle Informationen einfließen, wäre das System überlastet. Wenn man sich aber bspw. die Entwicklungen rund um KI oder AI anschaut (ich empfehle gerade diese Podcast-Episode sehr), stellt sich die Frage, welche Auswirkungen diese haben? Dabei reicht es nicht aus, dass einzelne Menschen in der Organisation sich mit diesen Fragen befassen. Vielmehr muss gegeben sein, dass es zu „anschlussfähigen Kommunikationen“ in der Organisation kommt.
Noch einmal: Ich hätte auch andere Aspekte herausgreifen können, die die Entwicklung organisationaler Resilienz in sozialen Organisationen erschweren. So wäre bspw. die Herausforderungen durch die Abhängigkeit von Kostenträgern (vgl. das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis) ebenso erwähnenswert wie die Frage, ob und wie es gelingen kann, die Lernfähigkeit als Mitarbeiter:in, Team und Gesamtorganisation zu steigern.
Und trotz dieser Herausforderungen müssen wir uns angesichts der skizzierten Veränderungen damit befassen…
…wie die Stärkung der organisationalen Resilienz auch in sozialen Organisationen gelingen kann!
Abschließend möchte ich ein schrittweises Vorgehen zur Stärkung der organisationalen Resilienz in sozialen Organisationen empfehlen. Dabei geht es darum, zeitgemäße und bedarfsgerechte Organisationen zu gestalten und zu entwickeln. Nicht mehr und nicht weniger. Aber der Reihe nach:
Die Entwicklung resilienter Organisationen beginnt mit a) einer umfassenden Bestandsaufnahme, gefolgt von b) einer gründlichen Resilienzdiagnose und endet schließlich mit c) gezielten Maßnahmen zur Stärkung der relevanten Fähigkeiten.
Bestandsaufnahme und Resilienz-Diagnose
Hilfreich für die Bestandsaufnahme bzw. die „Ist-Analyse“ ist die Orientierung an einem Management-Modell, das hilft, alle Bereiche einer Organisation in den Blick zu nehmen. Denkbar ist bspw. eine Befassung mit dem St. Galler Management Modell. Aber etwas Eigenwerbung darf hier ja ruhig sein…
Deswegen empfehle ich das – aus meiner Sicht natürlich – hilfreiche Werkzeug zur Bestandsaufnahme – die IdeeQuadrat New Work Canvas.
In diesem Tool finden sich zahlreiche Fragen, die dabei helfen können, die Organisation zu analysieren und über die Prozesse in der Organisation zu reflektieren, um dann auf Basis dieser Reflexion Entscheidungen zu treffen, die der Gestaltung der organisationalen Resilienz dienen.
Die Kategorien, die im New Work Canvas betrachtet werden, sind:
Vision, Zweck und Identität
Sachmittel und Ressourcen
Optimierung, Innovation und Exnovation
Strukturen und Entscheidungswege
Interne und externe Stakeholder
Prozesse und Regeln
Strategien und Konzepte
Mandate und Funktionen
Kommunikation
Bei der Bestandsaufnahme und der damit verbundenen Resilienzdiagnose wird der Blick zunächst auf die bestehenden Herausforderungen in der Gegenwart gerichtet. Der Blick auf die Herausforderungen ist insofern relevant, als zum einen oft unklar ist, wie die Prozesse in den meist hochgradig dezentralisierten sozialen Organisationen organisiert sind, und zum anderen nur über die wahrgenommene Notwendigkeit der Weiterentwicklung ausreichend „Veränderungsenergie“ erzeugt werden kann, um (ggf.) tiefgreifende Anpassungen vorzunehmen.
Gezielte Maßnahmen für organisationale Resilienz
Im dritten Schritt werden gezielte Maßnahmen zur Stärkung der organisationalen Resilienz ausgewählt und umgesetzt. Diese sind je nach Herausforderung der jeweiligen Organisation sehr individuell. Daher ist es schwierig, hier „Maßnahmen, die für alle passen“ zu beschreiben.
Der Blick auf die in der ISO-Norm aufgeführten Aspekte eröffnet jedoch zumindest eine Orientierung, was für eine resiliente Organisation gegeben sein sollte. Orientiert an den Kategorien des IdeeQuadrat New Work Canvas ist es dementsprechend relevant…
…sich über die Vision und (vor allem) die Mission der eigenen Organisation(seinheit) bewusst zu werden: Die Mission, der Zweck, von mir aus auch der „Purpose“ der Organisation ist relevant, damit allen Beteiligten klar ist, woran die Organisation arbeitet. Die Fokussierung auf eine erstrebenswerte Mission (und Vision), in der auch die emotionalen Aspekte innerhalb der Organisation berücksichtigt werden, bietet eine klare Ausrichtung, an der sich gemeinsame Strategien und Prozesse orientieren können.
…sich den vorhandenen Ressourcen bewusst zu sein und diese krisenfest zu entwickeln. Dabei sind es in dieser Kategorie vornehmlich finanzielle und personelle Ressourcen und Sachmittel. Hinzu kommen aber auch Gebäude oder die digitale Infrastruktur ebenso wie die Kompetenzen und Fähigkeiten der Mitarbeiter:innen. Krisenfest entwickeln heißt übrigens nicht ausschließlich, die Ressourcen auszubauen und um jeden Preis zu wachsen. Auch der Blick auf Ineffizienzen und damit einhergehende Ressourceneinsparungen ist relevant.
…Prozesse zu gestalten, die es ermöglichen, aus Erfahrung zu lernen. Lernen ist umfassend zu verstehen. So sind zum einen regelmäßige Möglichkeiten zu schaffen, hypothesenbasiert Bestehendes (bspw. Prozesse, Abläufe, Angebote, Geschäftsmodelle) zu optimieren und weiterzuentwickeln. Hinzu kommt die Entwicklung der Innovationsfähigkeit, unterstützt durch ein passfähiges Innovationsmanagement. Nicht außer acht gelassen werden darf aber auch hier die Möglichkeit, explizit zu exnovieren und das Bestehende auf allen Ebenen infrage zu stellen. Hierbei ist relevant, internes und externes Wissen in den Prozess der Optimierung, Innovation und Exnovation zu integrieren.
…Strukturen zu gestalten, die Anpassungsfähigkeit ermöglichen. Das klingt leichter, als es in der Realität ist. Denn: In sozialen Organisationen geht es nicht immer um die Gestaltung „agiler Organisationsstrukturen“. Diese sind – in ihrer Grundstruktur – oftmals aufgrund der Dezentralität gegeben. So kümmern sich (kleine) Teams um die Wertschöpfung vor Ort, in Wohngruppen, Beratungsstellen, regionalen Einrichtungen. Anpassungsfähigkeit kann hier auch bedeuten, Klarheit (auch in der Krise) über die Gestaltung transparenter Entscheidungswege (Hierarchien) zu schaffen, anstatt Hierarchie ausschließlich „zu verteufeln“.
…zukunftsfähige Lern- und Entwicklungswege für die Menschen in der Organisation zu schaffen. Das Personal ist das wesentliche Kapital sozialer Organisationen. Dies gilt nicht nur, aber deutlich verstärkt in Zeiten des Fachkräftemangels. Entsprechend gilt es, sicherzustellen, dass die Kompetenzen der Mitarbeitenden mit aktuellen und zukünftigen Anforderungen korrelieren! Dies erhöht zum einen die Mitarbeiter(ver)bindung und sichert zum anderen das Überleben der Organisation. Hier sind aus meiner Sicht die Ansätze des New Learnings enorm hilfreich.
…transparente und funktionale Regeln und Prozesse zu schaffen, die Zusammenarbeit sicherstellen. So fällt mir immer wieder auf, dass Kern-, Unterstützungs- und Managementprozesse entweder gar nicht sind definiert oder nicht bekannt sind. Diese sind jedoch insbesondere in Krisenzeiten hilfreich, um den Betrieb verlässlich aufrechtzuerhalten. Es gilt jedoch auch, bestehende Vorgaben und Prozesse im Sinne der Exnovation zu hinterfragen und nicht funktionale Prozesse abzuschaffen.
…klare und sinnvolle strategische Stoßrichtungen für die (nahe) Zukunft zu definieren. Denn: Sofern nicht klar ist, wo die Entwicklungsrichtung der Organisation liegt, worein heute und in Zukunft investiert werden soll (und muss), bleibt auch in der Krise unklar, wo strategische Änderungen vorgenommen werden müssen. An dieser Stelle ist noch relevant, dass nicht nur die Entwicklung, sondern vor allem die Umsetzung der Strategien aktiv gestaltet wird. Im Sinne der adaptiven Strategie gilt es, auch aktuelle Entwicklungen in die Strategie zu implementieren, um auch hierüber die Anpassungsfähigkeit sicherzutellen.
…in der Organisation und in den Teams klare Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten zu definieren. Hierbei recht es oft nicht aus, allein unflexible und wenig aussagekräftige „Stellenbeschreibungen“ zu erstellen. Vielmehr geht es um die Unterscheidung von Rollen (im Sinne von Stellen) und den Verantwortungsbereichen (Mandaten). So haben bspw. in einem Team einer stationären Einrichtung alle die gleiche Stellenbeschreibung. Dies führt jedoch dann zu Problemen, wenn (nicht nur) in der Krise selbstbestimmt agiert und Verantwortung übernommen werden muss.
…die Art und Weise, wie in der Organisation miteinander umgegangen wird, in den Blick zu nehmen. Die Interaktionen und Kommunikationen haben großen Einfluss auf den Geist, die Atmosphäre, die Kultur, das emotionale Wohlbefinden und die Effektivität der Teams und der Organisation als Ganzes. Und gerade in Krisenzeiten sind dies hoch relevante Aspekte, die das Überleben (oder auch nicht) einer Organisation massiv beeinflussen können. Wie auch in der ISO-Norm angeführt, geht es hier bspw. auch um die Frage, wie und ob Wissen in der Organisation geteilt wird.
Fazit, oder: Wir sind besser als wir denken!
Es wurde deutlich, dass in einer Zeit, in der der soziale Sektor mit immer neuen Herausforderungen konfrontiert wird, die Entwicklung organisationaler Resilienz von entscheidender Bedeutung ist. Und es wurde auch deutlich, dass organisationale Resilienz Anpassungen und Entwicklungen auf individueller, Team- und Organisationsebene erfordert. Und hier stehen soziale Organisationen ohnehin vor spezifischen Herausforderungen. In Kürze:
Oh Mann, wer soll das bitte wann und wie machen?
Ja, das ist richtig. Aber! Aber ich habe oben schon oft auf die sehr vielfältigen, dezentralen Strukturen sozialer Organisationen hingewiesen. Ja, sie bringen auch Herausforderungen mit sich. Aber sie bieten auch enorme Chancen, wenn man sich die Vorteile vor Augen führt.
Und die Vorteile liegen in der Vielfalt. Betrachtet man soziale Systeme wie Ökosysteme, so zeigt sich, dass insbesondere Monokulturen sehr krisenanfällig sind. Reine Fichtenmonokulturen sterben an einem kleinen Käfer, und Geschäftsmodelle, die ausschließlich auf ein Produkt oder Angebot setzen, können durch eine kleine Gesetzesänderung oder Innovation am Ende sein.
P.S.: Das Bild zu diesem Artikel zeigt den Garten meines Vaters. Ich finde, es zeigt sehr schön, was Resilienz bedeuten kann (auch wenn hier der Wildwuchs etwas überwiegt 😉
Wie aber steht es um die Resilienz Deiner Organisation, Deines Teams oder Deiner ganz persönlichen Resilienz? Hinterlasse dazu gerne einen Kommentar – hier oder auf den verschiedenen, anderen Kanälen.
Der Beitrag „Adaptive Strategiearbeit in Sozialen Organisationen – Ansätze, Herausforderungen und Lösungen“ ist mein Skript bzw. eine Verschriftlichung meiner Gedanken, die ich zur BEB Fachtagung Dienstleistungsmanagement mitgebracht habe. Mein Impuls befasste sich mit „adaptiver Strategiearbeit“, agiler Strategieentwicklung und Strategieumsetzung (und irgendwas mit New Work ;-). Hier (und entsprechend in meinem Impuls bei der Tagung) habe ich dazu vier Fragen beantwortet, die ich hier gerne teilen will:
Wozu brauchen wir ein neues Verständnis von Strategiearbeit – und was ist das eigentlich?
Wie entwickelt man adaptive Strategien in Zeiten des Wandels?
Warum ist Strategieumsetzung in sozialen Organisationen so schwierig?
Was Sie trotzdem tun können!
Wozu brauchen wir ein neues Verständnis von Strategiearbeit – und was ist das eigentlich?
Der erste Teil der ersten Frage ist eigentlich schnell beantwortet:
Wir befinden uns in einer Krisenzeit, in der der Krisenbegriff an die Grenze kommt:
Eine Krise, so findet man in Wikipedia, „ist im Allgemeinen ein Höhepunkt oder Wendepunkt einer gefährlichen Konfliktentwicklung in einem natürlichen oder sozialen System, dem eine massive und problematische Funktionsstörung über einen gewissen Zeitraum vorausging und der eher kürzer als länger andauert.“
Wenn die Krise zum Normalzustand wird, ist es keine Krise mehr, sondern das „neue Normal“, unsere geteilte Wirklichkeit, in der wir uns befinden.
Diese neue Normal besteht aus einer Aneinanderreihung, mehr noch, aus einer Überlagerung von Krisen und damit von gefährlichen Konfliktentwicklung in verschiedenen natürlichen oder sozialen Systemen.
Hier muss man nicht mehr in die Tiefe gehen, allein die Aufzählung der Begriffe Demokratiekrise, Fachkräftemangel, Haushaltskürzungen, Klimakatastrophe, Krieg, und Künstlicher Intelligenz (in alphabetischer Reihenfolge) reicht aus, um das Problem zu skizzieren.
Aber es bleibt nicht bei der Überlagerung von Krisen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass durch die Synchronisation der Krisenphänomene von deren gegenseitiger Beschleunigung und Verstärkung ausgegangen werden kann (vgl. Homer-Dixon et. al, 2022).
Vor diesem Hintergrund kommt der klassische Strategieegriff massiv an seine Grenzen. Wobei: Was ist eigentlich Strategie?
Was ist eigentlich Strategie?
Interessanterweise wird in der Literatur über Strategie sehr viel vermischt:
Da wird kaum zwischen den Begriffen Plan, Taktik, Strategie unterschieden (vgl. auch Kühl, 2016, 8). Es geht aber um die Verwirklichung von (längerfristigen) Unternehmenszielen bzw. – etwas theoretischer formuliert – um die „Suche nach geeigneten Mitteln zur Realisierung eines vorher definierten Zwecks“ (ebd., 9), soviel scheint klar zu sein.
Aus dieser Perspektive wäre „Strategieformulierung (oder Strategieentwicklung) (…) der Prozess der Suche nach dem geeigneten Mittel (…). Strategieumsetzung (oder Strategieimplementation) wäre der Prozess des Einsatzes der als geeignet identifizierten Mittel, um den vorher definierten Zweck zu erreichen“ (ebd.).
Es ergibt sich ein zweckrationales Strategieverständnis, das von einem Oberzweck der Organisation ausgeht und dann nach geeigneten Mitteln gesucht wird, diesen Zweck zu erreichen. Dieses zweckrationale Verständnis ist wunderbar nach unten zu skalieren, indem auch die Bereiche, Abteilungen und einzelnen Teams Ziele und Zwecke definieren, für deren Erreichung dann geeignete Mittel gesucht werden.
Spätestens angesichts der skizzierten Polykrisen jedoch kommt dieses alleinig zweckrationale Vorgehen massiv an seine Grenzen. Die langfristige Planung von Unternehmenszielen und die darauffolgende Suche nach Mitteln, um die definierten Zwecke zu erreichen, funktioniert nicht mehr, da sich das neue Normal so schnell ändert, dass eine alleinige Fokussierung der Organisation auf die Erreichung strategischer Ziele nicht mehr gelingen kann.
Es kommt heute und zukünftig darauf an, Strategieprozesse aus beiden Perspektiven zu denken und so anzulegen, dass für strategische Ziele geeignete Mittel gesucht werden können und Organisationen gleichzeitig offen dafür bleiben, für bereits in der Organisation existierende Mittel bzw. schon vorhandene Ressourcen geeignete Ziele, Probleme und Einsatzmöglichkeiten zu suchen.
Beim zweiten Ansatz wird gefragt, „welche Mittel in der Organisation vorhanden sind, auf deren Basis man verschiedene, unterschiedliche Ziele anstreben kann“ (ebd., 64).
Die Kombination beider Perspektiven wird dann zur „adaptiven Strategiearbeit“ (oder auch zur agilen, iterativen oder anpassungsfähigen Strategiearbeit).
Dieser Ansatz klingt in der Beschreibung einfach, kehrt jedoch die klassische Denkweise der Strategiearbeit um. Es gilt, mit kleineren Maßnahmen (Inkremente, Experimente) zu beginnen, noch bevor die Bewertung von zig Alternativen stattgefunden hat.
Dazu bedarf es die kontinuierliche, ganzheitliche Einbeziehung der Organisation in die Strategiearbeit und – wie gesagt – eine Abkehr des Denkens der Strategie „von oben nach unten“.
Die ganze Organisation kontinuierlich in den Blick nehmen
Was ist aber „die ganze Organisation“?
Hierzu lohnt ein Blick auf verschiedenen Management-Modelle – hervorzuheben ist aus meiner Sicht das St. Galler Management Modell. Und trotzdem habe ich, wie es sich für einen guten Berater gehört ;-), die „IdeeQuadrat New Wort Canvas“ erarbeitet – eine Kombination verschiedener Ansätze, die mir hilfreich erschienen. Hier findest Du mehr zur „IdeeQuadrat New Wort Canvas“ (inkl. Download und Co.).
Dieses Modell betrachtet eine Organisation aus den Kategorien:
Zweck: Wofür treten wir an?
Ressourcen: Was und wen haben wir zur Verfügung?
Optimierung und Innovation: Wie lernen wir?
Strukturen, Prozesse und Mandate: Wie organisieren wir uns?
Umweltsphären: Wo spielen wir?
Kultur: Wie sind wir (und wie wollen wir sein)?
Stakeholder: Wer hat Interesse an und Einfluss auf uns?
Wichtig ist vor allem, dass in jeder Kategorie strategische Entscheidungen im klassischen Sinne (Wo wollen wir hin? Wie kommen wir dahin?) getroffen werden können. Und gleichzeitig können in jeder Kategorie Entscheidungen in der anderen Richtung getroffen werden (Was haben wir? Was können wir damit erreichen?).
Und zur Orientierung lassen sich auf all diesen Ebenen „Markierungen“, „Optionen“ und „Arbeit“ finden.
„Markierungen“, „Optionen“ und „Arbeit“
Die Unterscheidung von „Markierungen“, „Optionen“ und „Arbeit“ findet sich bei Darkhorse (vgl. 2023).
Markierungen lassen sich als Erzählungen über die Identität einer Organisation in einer zu gestaltenden Zukunft beschreiben. Sie sind vergleichbar mit (aber nicht gleich) „der einen Vision“ oder „dem einen Nordstern“ einer Organisation. Sie sind deutlich breiter gedacht und liefern damit einen Rahmen für Entscheidungen über die Optionen.
Optionen sind die Möglichkeiten, die einer Organisation in einer bestimmten Situation zur Verfügung stehen. Optionen sind nicht alternativlos, sondern bieten Möglichkeiten, Korrekturen auch im laufenden Geschäft vorzunehmen. Und diese Korrekturen sind es, die zeitgemäße und damit anpassungsfähige Organisation brauchen.
Und die Thesen, die die Optionen versprechen, werden durch Arbeit überprüft. Hier zeigt sich die Parallele zu den „Inkrementen“ von oben ebenso wie zu Überlegungen rund um agiles Arbeiten oder der Denkhaltung „Effectuation“.
Strategie wird damit über drei Perspektiven gedacht, an denen adaptive Startegiearbeit in den einzelnen Kategorien ansetzen kann.
Dabei aber ist wiederum zu bedenken, dass adaptive Strategiearbeit nicht nur top-down (von Markierungen zur Arbeit), sondern eben auch von der Arbeit zur Entwicklung der Markierungen gedacht und gelebt wird.
Aber wie sieht das etwas konkreter aus, oder:
Wie entwickelt man adaptive Strategien in Zeiten des Wandels?
Die Entwicklung adaptiver Strategien erfolgt aus zwei Perspektiven, die im Folgenden skizziert werden:
Vorgehen aus beiden Perspektiven
Zunächst wird (klassisch) überlegt, welche Ziele und Zwecke die Organisation in den nächsten Jahren erreichen soll. Hier dienen die Markierungen als Ausgangspunkt für Fragen wie „Wer sind wir heute und in Zukunft?“
Aus diesen Markierungen, die die Zwecke der Organisation beschreiben, lassen sich dann Optionen gestalten, die für die Erreichung der Zwecke notwendig sind.
Ein Beispiel:
Die Mitarbeitenden einer Einrichtung aus der Eingliederungshilfe erzählen stolz über die innovativen Lösungen, die sie immer wieder für ihre Bewohner:innen finden. Eine Markierung im Bereich der „internen Stakeholder“ wäre damit bspw. „Wir sind innovativ im Sinne unserer Bewohner:innen“.
Angesichts des Fachkräftemangels stellt sich entsprechend die Frage, wie es gelingen kann, diesen innovativen Anspruch trotz Personalengpässen zu halten. Daraus ergeben sich verschiedene Optionen: Verstärkte Suche nach Fachkräften, Bindung der bestehenden Fachkräfte, Reduzierung des Angebotsspektrums, um die Kernleistungen bestmöglich zu erfüllen, Überdenken der Formalstruktur der Organisation, um darüber klare Orientierung für die Mitarbeiter:innen zu schaffen usw… Jede dieser Optionen kann dann im Sinne iterativen Vorgehens vor dem Hintergrund des Zwecks (aufrechterhalten der innovativen Qualität) getestet werden. Die erfolgsversprechendsten Experimente (Arbeit) lassen sich dann in das regelhafte Angebot der Organisation übernehmen. Kurz: Für den angestrebten Zweck werden geeignete Mittel gesucht.
Die umgekehrte Perspektive ist, über die Arbeit, das Tun, über die vorhandenen Mittel und Ressourcen zu gehen und zu überlegen, welche Optionen sich daraus ergeben, die zu einer Neuorientierung der Organisation führen können.
In unserem Beispiel ist denkbar, dass Mitarbeiter:innen in einem Team der Organisation aus der Not des Fachkräftemangels eine Tugend gemacht haben und neue Wege gehen, die für dieses Team sehr erfolgsvorsprechend sind. Das Denken und Handeln aus den vorhandenen Möglichkeiten des Teams, sichtbar in der geleisteten Arbeit, führt zu neuen Optionen wie bspw. der Rekrutierung von Quereinsteiger:innen, der Verbindung der Einrichtung mit der Kita im Ort, der Entwicklung neuer, ressourcenschonender Dienstplanlösungen, der Reduzierung der Beschäftigung mit internen Prozessen zugunsten echter Arbeit an und mit den Menschen usw. Aus den Optionen ergeben sich dann – mittelfristig – neue Markierungen, die die Gesamtorganisation prägen (bspw. Stärkerer Einbezug des Sozialraums der Organisation).
Und wer hat den Hut auf?
Aus der beschriebenen Logik folgt, dass Strategiearbeit nicht mehr reine „Chefsache“ ist. Top-Down allein reicht nicht mehr (und reichte ehrlich gesagt noch nie wirklich).
Darkhorse (vgl. 2023) unterteilt hier sinnvollerweise in „Strategietreibende“ und „Strategiestakeholder„.
Strategietreibende sind Teams oder Mandate (Rollen, Verantwortungsbereiche), die explizit bezogen auf die jeweiligen Optionen gebildet werden und sich um die Optionen kümmern und deren Umsetzung vorantreiben! In unserem Beispiel wäre es ein Team (oder Arbeitsgruppe „Fachkräftemangel“).
Strategiestakeholder sind Mandatsträger:innen, die bei Feedbackschleifen involviert werden. Sie bieten Leitplanken für die Strategietreibenden. Idealerweise sind die Gruppen der Strategiestakeholder besetzt mit Mandaten, die nicht nur aus der „Ebene der Markierungen“ (Vorstand, GF, Leitung) bestehen, sondern auch die „Ebene der Arbeit“ miteinbeziehen (Mitarbeiter:innen). Spannend im Sinne einer Open Stategy (und der Teilhabe der Klient:innen Sozialer Organisationen) ist natürlich auch die Einbeziehung von Nutzer:innen in die Gruppen der Strategiestakeholder.
Das konkrete Vorgehen der adaptiven Strategiearbeit orientiert sich damit an einer Verbindung aus Top-Down und Bottom-Up Ansätzen. Wer sich mit Effectuation oder auch mit OKR – Objectives an Key Results – beschäftigt, erkennt die Nähe dieser Modelle zum adaptiven Strategieansatz.
Probleme der Strategieumsetzung in sozialen Organisationen
Die vorherigen Ausführungen sind aller Wahrscheinlichkeit nach nachvollziehbar, oder? Sie machen auch Sinn, oder? Naja, zumindest für mich 😉 Aber die Realität in sozialen Organisationen zeigt, dass es mit der Umsetzung von Strategien nicht so einfach ist.
Das hat viele verschiedene Ursachen (unter anderem Abhängigkeit von Gesetzen und Kostenträgern, enorme Komplexität der Arbeit mit Menschen usw.). Eingehen will ich hier aber insbesondere auf eine These, die ich in einem anderen Beitrag ausdifferenziert habe. Die These lautet (angepasst auf Strategiearbeit in sozialen Organisationen):
„Weil in sozialen Organisationen die Informalität dominiert, ist Strategiearbeit ungleich schwieriger als in privatwirtschaftlichen Organisationen.“
Um den Beitrag noch halbwegs lesbar zu halten, gehe ich hier nicht in der Tiefe darauf ein, was Informalität ist und warum diese in allen Organisationen vorkommt. Nur soviel:
Die Informalität der Organisation meint die Aspekte in einer Organisation, über die keine formale Entscheidung getroffen wurde – sog. unentschiedene Entscheidungsprämissen.
„Von Informalität als Teil der Organisationsstruktur kann man sprechen, wenn eine nicht in der Formalstruktur erwartete Handlung mit einer gewissen Regelmäßigkeit auftritt. Erst wenn ein Deutungsmuster sich nicht nur bei einem einzigen Mitglied findet, sondern sich in Teilen der Organisation als erwartbar eingeschlichen hat, hat es den Status einer informalen Erwartung. Erst wenn die kurzfristige Abstimmung mit der Kollegin in der Nachbarabteilung nicht ausnahmsweise vorgenommen wird, sondern wiederkehrend als ‚kurzer Dienstweg‘ zur Abstimmung genutzt wird, hat man es mit einer informalen Struktur zu tun“ (Kühl, 2016).
Diese personenorientierten Routinen und Gewohnheiten werden oft und etwas verkürzt als Organisationskultur definiert: „So machen wir das hier eben, damit es funktioniert.“
Die Herausforderung besteht jetzt darin, dass bewusste, zielgerichtete Gestaltung einer Organisation nur über das Treffen formaler Entscheidungen gelingt.
Wenn jedoch die formalen Entscheidungen vergleichsweise wenig Gewicht haben und die eingeschliffenen Muster unabhängig von den formalen Entscheidungen weiterleben (bspw. durch die Einarbeitung von neuen Mitarbeiter:innen, denen die eingeschliffene Kultur mit auf den Weg gegeben wird), ist Arbeit an den sich aus der Strategiearbeit ergebenden Aufgaben, die ja formale Entscheidungen sind, schwieriger.
Dazu schreibt Rudolf Wimmer, dass es nicht funktional ist, in der Gestaltung von Organisationsdesigns auf die Personenorientierung (gemeint ist die Orientierung an den Mitarbeiter:innen) zu setzen, da das Organisationsprinzip „Personenorientierung“ „nur bis zu einem gewissen Komplexitätsgrad erfolgreich ist“ (Wimmer, 2019).
Dem folgend „wird damit auf der Personenseite die Illusion genährt, dass die Organisation sich um die eigenen Anliegen und Wünsche herum entwickelt – d. h. die Organisation tritt in den Dienst der Bedürfnisse ihrer Beschäftigten. Diese Illusion hat katastrophale Auswirkungen auf die Organisation“ (ebd.).
Wimmer schließt die Ausführungen mit dem Bezug zu Non-Profit-Organisationen, die aus seiner Perspektive „per se veränderungsresistent [sind], weil sie keinen Aufgabenfokus jenseits der persönlichen Bedürfnisse mobilisieren können“ (ebd.).
In sozialen Organisationen zeigt sich jedoch die Personenorientierung (zu verstehen aus Perspektive der Mitarbeiter:innen und im Gegensatz zur Aufgabenorientierung) an vielen Stellen – von der Gründungsgeschichte sozialer Organisationen basierend auf individuellen Erlebnissen der Gründer:innen über die auf ehrenamtliche Beteiligung angewiesenen Rechtsformen sozialer Organisationen bis hin zur auf die intrinsische Motivation setzende professionelle Identität der in den Sozialen Berufen Beschäftigten.
Im Vorfeld des Vortrags hatte ich ein kurzes Gespräch, in dem ein Mitarbeiter einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung die Hauptproblematik bzgl. gelingender Organisationsentwicklung darin gesehen hat, dass „vor allem die langjährigen Mitarbeiter:innen nicht von ihrem „Expertenstatus“ („Ich weiß, was für die Menschen richtig ist!“) abweichen können!“ Auch dies ist ein wunderbares Beispiel für die vor der Aufgabenorientierung (in diesem Fall Teilhabe ermöglichen) stehende Personenorientierung („Ich weiß, was für dich richtig ist!“).
Noch einmal etwas überspitzt zusammenfasst:
Die Arbeit an den mit der Strategiearbeit verbundenen Aufgaben, das Verfolgen von Zielen, das Suchen nach innovativen Lösungswegen, die klassische ebenso wie die „adaptive Strategiearbeit“ kommen an ihre Grenzen, wenn jede:r macht, was er:sie will.
Wie adaptive Strategiearbeit in sozialen Organisationen gelingt
Abschließend lege ich Handlungsoptionen dar, wie adaptive Strategiearbeit trotz (oder gerade wegen) der skizzierten Herausforderungen gelingen kann.
Den Menschen aus dem Mittelpunkt nehmen
Das klingt komisch (und ist bewusst provozierend formuliert). Es ist aber recht einfach erklärt:
Wenn auch soziale Organisationen damit beginnen, die „Menschen aus dem Mittelpunkt“ und deren Verantwortungsbereiche (Rollen oder Mandate) in den Mittelpunkt zu stellen, wird deutlich, dass es in Organisationen um die Erfüllung von Zielen und Zwecken geht. Das ist auch nicht „unmenschlich“, im Gegenteil:
Wenn der:die Mitarbeiter:in als „ganzer Mensch“ in die Organisation inkludiert wird, besteht keine Grenze mehr. Burnout ist vorprogrammiert und völlig logisch. Wenn aber zwischen Mandat und ganzem Mensch unterschieden wird, kann zum einen über die Aufgaben im Mandat und zum anderen – an anderer Stelle, zu anderen Zeiten – über das individuelle Befinden und die „menschliche Seite“ gesprochen werden.
Organisationsbewusstsein entwickeln
Selbstverständlich gehört auch der erste Aspekt – die Trennung zwischen Person und Verantwortungsbereich – zur Entwicklung eines Organisationsbewusstseins. Hier will ich aber weitere Punkte aufführen, die zur Entwicklung eines Organisationsbewusstsein beitragen:
Dazu ist es a) zunächst wichtig, Ziel und Zweck der Organisation bzw. des Bereichs oder der Abteilung bzw. des Teams zu klären und transparent zu machen! Wozu ist die Organisation da? Was ist Kernaufgabe der Organisation? Erst daran orientiert kann „klassische Strategiearbeit“ gelingen. Wenn Ziel und Zweck nicht klar sind, kann nicht daran gearbeitet werden, diesen über die Suche nach geeigneten Mitteln zu erreichen.
Außerdem sollten b) die Entscheidungswege der Organisation geklärt sein und für alle Mitarbeiter:innen verständlich dargelegt werden (dabei muss es sich übrigens nicht nur um „Vorgesetzte“ handeln. Auch selbstbestimmt agierende Teams haben über die Festlegung von Mandaten klare Entscheidungswege). Wer darf was entscheiden? Solange dies unklar ist, kommt es zu einer Verantwortungsdiffusion, die aller Wahrscheinlichkeit nach darin endet, dass keine Entscheidungen getroffen werden.
Ebenso sind c) die Prozesse der Organisation transparent zu definieren, die kausal bearbeitet werden können. Was passiert, wenn in einer Organisation ein bestimmter Impuls auftritt? Zu diesen Prozessen gehören bspw. viele Verwaltungsprozsse, aber auch Prozesse wie die Neuaufnahme von Klient:innen, die Festlegung des Ablaufs von Teamsitzungen oder die Dauer von Iterationen bezogen auf bestimmte Projekte. Wichtig ist, dass erst dann, wenn klar ist, wie Prozesse ablaufen, kann an deren Weiterentwicklung gearbeitet werden.
Sicherlich nicht unbedingt beliebt ist d) die Definition von Konsequenzen, die regeln, was passiert, wenn im jeweiligen Verantwortungsbereich der definierten Verpflichtung nicht nachgekommen wird. Und auch hierbei geht es nicht um willkürliche Sanktionierung, sondern um Transparenz und Klarheit.
Über die Aspekte a – d wird deutlich, was die Organisation von den Mitarbeiter:innen will und was – aus der anderen Perspektive – der:die Mitarbeiter:in von der Organisation erwarten kann. Dieser Klarheit, was Organisationen sind und welche Regeln wie durch wen zu befolgen sind, sind sich viele Menschen in sozialen Organisationen nicht (immer) bewusst.
Verbundenheit herstellen um Komplexität zu gestalten
Das Cynefin-Framework (vgl. näher bspw. hier) unterscheidet vier (bzw. fünf) Arten von Aufgaben:
Einfache Aufgaben: Für Aufgaben dieser Domäne sind Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge gut bekannt und klar. Zur Aufgabebearbeitung sind bestehende Best Practices und Standardverfahren, klare Prozesse und Checklisten geeignet.
Komplizierte Aufgaben: Aufgaben dieser Domäne verfügen zwar über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, aber diese sind nicht offensichtlich. Die Bearbeitung dieser Aufgaben benötigt die Expertise von Fachleuten und das Anwenden von analytischem Denken, um eine Lösung zu finden.
Komplexe Aufgaben (worunter auch die agile Strategiearbeit fällt): Komplexe Aufgaben umfassen viele unbekannte Faktoren. Es gibt keine vordefinierten Lösungen. Die Aufgabenbearbeitung benötigt iterative Experimente, Lernen und Anpassung. Tragfähige Lösungen für komplexe Aufgaben zeigen sich erst im Laufe der Zeit. Wichtig ist hier, möglichst viele Perspektiven und damit viele Mitarbeiter:innen miteinzubeziehen.
Chaotische Situationen: Chaotische Situationen sind durch völlige Unordnung und fehlende Kontrolle gekennzeichnet. In solchen Momenten ist es notwendig, sofortige Maßnahmen zu ergreifen, um die Situation zu stabilisieren, bevor man in eine der anderen Domänen wechseln kann.
Zwischen diesen vier (Aufgaben-)Bereichen findet sich im Cynefin-Framework der aporetische Bereich (die „fünfte Aufgabenart). In diesem Bereich befinden sich Probleme, die noch so unklar sind, dass nicht entschieden werden kann, in welchen Bereich sie fallen. Entsprechend geht es hier darum, Fragen zu stellen und zu reflektieren, anstatt nach endgültigen Antworten zu suchen.
Deutlich wird, dass vor allem komplexe Aufgaben die Beteiligung von vielen Menschen voraussetzen, um zu neuen Perspektiven, Ideen, Hypothesen usw. zu gelangen, die dann in iterativen Experimenten getestet werden können. Da Strategiearbeit immer komplex ist (sonst wäre sie unnötig), macht es Sinn, die Mitarbeitendenschaft der Organisation möglichst breit zu beteiligen.
Wichtiger als die breite Beteiligung ist aber der Aspekt, dass Krisen, neue Herausforderungen, Wandel und damit komplexe Situationen und Aufgaben immer Unsicherheit erzeugen. Der Blick in „unsere Gesellschaft“, das Wählerverhalten, die Suche nach eindeutigen (und damit in Komplexität immer falschen) Antworten zeigt dies eindrücklich.
Gleiches gilt in Organisationen: Auch hier erzeugt hohe Komplexität Unsicherheit, die sich oftmals im Erstarren und im Widerstand der Mitarbeiter:innen äußert.
Der erfolgreiche Umgang mit Komplexität hingegen erfordert – den Ausführungen des Cynefin-Frameworks folgend – genau das Gegenteil des Erstarrens: Ausprobieren, Innovation, Experimentierlaune, Mut, Neulernen.
Entsprechend ist es relevant, einen sicheren Rahmen in der Organisation zu schaffen, innerhalb dessen die Mitarbeiter:innen gemeinsam, verbunden über Experimente, an neuen Ideen arbeiten und neue Lösungen hervorbringen können.
Fazit – adaptive Strategiearbeit in sozialen Organisationen
Sehr kurz zusammengefasst braucht erfolgreiche adaptive Strategiearbeit Arbeit an der Arbeit ;-), den Optionen und den Markierungen – in beiden Richtungen. Man merkt sofort: Ganz ohne Arbeit wird es nix mit der Strategie.
In sozialen Organisationen gelingt dies, wenn die Aufgabenorientierung in den Vordergrund gerückt wird.
Dazu braucht es Organisationsbewusstsein, eine Stärkung der formalen Seite der Organisation, Klarheit über die Aufgabenarten sowie Sicherheit und Verbundenheit bei der Beteiligung an der Strategiearbeit!
Quellen
Dark Horse Innovation (2023): Future Organization Playbook – Die unverzichtbare Anleitung für innovative Unternehmen in der Transformation. Murmann Publishers.
Homer-Dixon, T., Renn, O., Rockstrom, J., Donges, J., Janzwood, S. (2021): A Call for An International Research Program on the Risk of a Global Polycrisis. ID 4058592. Social Science Research Network, Rochester, NY, 2021, doi:10.2139/ssrn.4058592 (ssrn.com [abgerufen am 3. Mai 2022]).
Kühl, Stefan (2016): Strategien entwickeln. Wiesbaden: Springer VS.
Wimmer, R., von Ameln, F. Agilität, Ambidextrie und organisationale Veränderungskompetenz. Rudi Wimmer über Erbe und Zukunft des Change Managements. Gr Interakt Org 50, S. 211–216, 2019. https://doi.org/10.1007/s11612-019-00458-0.
Wie sind Deine Erfahrungen mit der Strategiearbeit (Entwicklung und Umsetzung) in Deiner Organisation? Lass doch gerne einen Kommentar da oder schreib mir auf den Sozialen Medien (oder hier per Mail).
Kontinuierliche Weiterbildung in der Sozialen Arbeit ist und war schon immer relevant, um neue und sich ständig verändernde Anforderungen zu bewältigen.
Gefordert sind übergreifend Kompetenzen zur Zukunftssicherung der Organisationen und der Gesellschaft. Und spezifisch sind der Weiterentwicklung fachlicher Kompetenzen Kompetenzen für die Gestaltung der digitalen ebenso wie der ökologischen Transformation gefordert.
Diese “Future Skills” (s.u.), wie Innovationskompetenz, Transformationskompetenz oder auch Unsicherheitsbewältigungskompetenz, sind schon jetzt und werden zukünftig unabdingbar. Aus der Herausforderung kontinuierlicher Weiterbildung in der Sozialen Arbeit ist insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels eine Notwendigkeit geworden.
Mit Blick auf das Angebot und der Wahrnehmung von Weiterbildung in der Sozialen Arbeit zeigen sich jedoch einige Paradoxien und Herausforderungen. Diese wollen wir hier skizzieren und Ideen zeigen, wie diesen Herausforderungen begegnet werden kann. Am Ende bleiben aber, wie so oft, mehr Fragen als Antworten.
Paradoxien bzgl. der Wahrnehmung von Weiterbildung in der Sozialen Arbeit
Noch einmal: Weiterbildung in der Sozialen Arbeit ist notwendig. Es zeigen sich jedoch mindestens drei paradoxe Szenarien, die wir im folgenden näher beschreiben:
1. Schere zwischen der Relevanz und der Wahrnehmung von Weiterbildung
Branchenübergreifend zeigt sich, dass – obwohl die Zustimmung der Arbeitnehmer:innen wie der Arbeitgeber zur Notwendigkeit “lebensbegleitenden Lernens” enorm hoch ist – die Wahrnehmung von Weiterbildungsangeboten hinter den Weiterbildungsbedarfen zurückbleibt (vgl. bspw. cedefop, 2022).
Es ist davon auszugehen, dass diese Diskrepanz auch in den Sozialen Berufen existiert. Dies ist gerade mit Blick auf die Qualifikation von Leitungskräften interessant:
Der Weiterbildungsbedarf nimmt auf höheren Qualifikationsebenen eher zu. So sieht – in der Theorie – der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) bzw. der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR) für Leitungskräfte bspw. das Level 7 (Master-Niveau) vor. Ähnlich werden Leitungskompetenzen auch im “Qualifikationsrahmen Soziale Arbeit” (vgl. Fachbereichstag Soziale Arbeit, 2016) nicht auf Bachelor-, sondern auf Master-Level verortet.
Unsere (nicht verifizierte) These lautet, dass eine Umsetzung und Anerkennung dieser höheren Qualifikationsstufen in der beruflichen Realität nicht (umfassend) berücksichtigt wird.
So zeigt die Erfahrung in den Sozialen Organisationen, dass die Besetzung von Führungspositionen (bspw. auf Team- oder Abteilungsebene) nicht zwingend an eine Höherqualifizierung gekoppelt ist. Insbesondere in kleineren und mittelgroßen Einrichtungen fehlen darüber hinaus (aus unterschiedlichen Gründen) interne Qualifizierungsprogramme für Führungskräfte. Eine Verpflichtung zur Wahrnehmung von externen Weiterbildungsangeboten (bspw. des Sozialmanagements) findet sich ebenso wenig.
2. Der Hype-Effekt und das Dilemma der Themenjagd
Weitergehend zeigt sich mit Blick auf die Weiterbildungsangebote rund um die Soziale Arbeit und das Sozialmanagement, dass deren Vielfalt scheinbar grenzenlos ist.
Dabei fokussieren viele Angebote jedoch über das Bedienen von “Managementmoden”, verstanden als “breit geteilte Vorstellungen darüber, wie (…) Verbände besser organisiert werden können” (Kühl, 2022), auf die Jagd nach Teilnehmer:innen, statt grundlegende, wissenschaftlich fundierte Angebote zur Entwicklung moderner, aber basaler Kompetenzen bereitzustellen.
Ein auffälliger Aspekt der aktuellen Weiterbildungslandschaft lässt sich als „Hype-Effekt“ definieren:
Themen, die für Aufsehen sorgen und als reißerisch gelten, dominieren oft die Diskussion. Weiterbildungsangebote zu “Managementmoden” werden erfolgreich kommuniziert und es scheint, als wären Weiterbildungsanbieter nur auf der Jagd nach den neuesten Trends zu sein, um Aufmerksamkeit zu erregen.
Während diese Strategie kurzfristig (wirtschaftlich) erfolgreich sein kann, bleiben die oftmals komplexen Grundlagen der Sozialen Arbeit und des Sozialmanagements auf der Strecke. Fundamentale, grundlegende Weiterbildungsthemen geraten in den Hintergrund und werden vernachlässigt.
3. Weiterbildung in der Sozialen Arbeit ist Privatsache
Trotz des Wandels der Arbeitswelt und der Notwendigkeit kontinuierlicher Weiterbildung hält sich mit Blick auf die Sozialwirtschaft – etwas überspitzt formuliert – die traditionelle Ansicht hartnäckig, dass Weiterbildung Privatsache ist.
Es gibt, und hier bestätigen die Ausnahmen die Regel, kaum systematische Förderung durch Verbände und Organisationen – und dies, obwohl in vielen Arbeitsfeldern Weiterbildungen wie bspw. systemische Beratungskompetenzen explizit vorausgesetzt werden.
Ein Grund dafür ist, dass “Weiterbildungsaktivitäten in Einrichtungen der Sozialen Arbeit oftmals nur unzureichend in das Managementhandeln von Leitungskräften eingebunden” (Gesmann, 2022, 1f) sind. Daraus resultiert ein Dilemma:
Obwohl die Arbeitsanforderungen immer komplexer werden, fehlt es oft an Anreizen und formalen Strukturen, um Weiterbildung in den aufgrund des Fachkräftemangels sowieso schon vollen Arbeitsalltag der Fach- und Führungskräfte zu integrieren.
Gesmann sieht hier die Notwendigkeit der Implementierung eines “systemischen Weiterbildungsmanagements in Organisationen der Sozialen Arbeit” (vgl. 2022). Dieses muss sich explizit “nicht nur an der sich weiterbildenden Fachkraft, sondern zugleich am strukturell gekoppelten sozialen System (i. d. R. dem jeweiligen Team des*der Einzelnen)” (ebd., 164) orientieren mit dem Ziel, “nicht nur (…) einen Transfer I. Ordnung (im Sinne der klassischen Anpassungslogik) zu evozieren, er strebt zudem einen Transfer II. Ordnung an, soll also einen Nährboden schaffen, um individuell erfahrene Irritationen auch zur kontrollierten Destabilisierung vorhandener Kommunikations- und Entscheidungsmuster nutzen zu können (Transfer II. Ordnung)” (ebd.).
Ein entsprechendes Weiterbildungsmanagement hängt jedoch wiederum an den beiden zentralen Ressourcen Zeit und Geld – im Bilden von Anreizstrukturen (Fachkräftebindung) genauso wie in der Mitarbeitenden- und Organisationsentwicklung.
Beides ist unserer Meinung nach extrem unterschätzt. Vielmehr besteht der Verdacht (der mangels belastbarer Umfragedaten ein Verdacht bleiben muss, wenn auch “erhärtet”), dass Personalverantwortliche trotz des Fachkräftemangels keine Weiterqualifizierung finanzieren wollen, die danach durch Weggang der Fachkraft anderen Organisationen zugute kommen könnte.
Und vielleicht wiegt sogar der Aspekt noch höher, dass der Transfer II. Ordnung – die Destabilisierung des bekannten Systems – Ängste hervorruft, die durch die Versagung von Weiterbildung vermieden werden.
Entweder ist der Personaldruck noch nicht hoch genug und wird noch durch Arbeitsverdichtung kompensiert und an die Mitarbeitenden weitergegeben (was wiederum der Wahrnehmung von Weiterbildung entgegen wirkt), oder aber der Wert von individueller und gleichzeitig organisational gesteuerter Weiterbildung wird unterschätzt. Die Fantasie zur Mitarbeitendenentwicklung reicht noch nicht aus, um sich eine Investition in das eigene Personal mit allen Kosten, aber eben auch Mehrwerten und Gewinnen für die Organisation vorstellen zu können – auch wenn die Mehrwerte und Gewinne nicht kurz-, sondern eher mittel- und langfristig sichtbar werden.
Den Aspekt der “Weiterbildung als Privatsache” abschließend ist der Blick auf die Möglichkeit, gesetzliche Ansprüche auf Weiterbildung geltend zu machen (bspw. Bildungsurlaub), interessant:
Eine nicht verifizierte Annahme dazu könnte lauten, dass die tatsächliche Inanspruchnahme dieser Rechte insbesondere in der Sozialen Arbeit weit unter dem europäischen Durchschnitt liegt. Branchenübergreifend ist – trotz schlecht vergleichbarer Datenlage – etwa bei Eurostat bekannt, dass Deutschland im Vergleich eher unterdurchschnittlich in Bildung investiert (Quelle: Eurostat: Online-Datenbank: Öffentliche Ausgaben für Bildung in % des BIP (03/2019), Öffentliche Ausgaben für Bildung in jeweiligen Preisen (09/2018); zitiert nach https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/europa/135809/oeffentliche-bildungsausgaben/).
Man könnte, etwas überspitzt, formulieren, dass das Land der Dichter und Denker in Wahrheit eher das “Land der schlichten Gelenkten” ist, die sich nicht aktiv, selbstbestimmt und autonom um ihre Entwicklung bemühen. Mit den Worten von Konstantin Sakkas formuliert:
“Denn wir waren nie ein Volk von Dichtern und Denkern, sondern höchstens ein Volk mit überdurchschnittlich vielen Dichtern und Denkern – die sich in Deutschland allerdings (…) nur selten richtig wohl fühlten.”
(Sakkas 2010)
Und Sakkas ist sicherlich nicht der Erste und nicht der Einzige, der Deutschland Bildungsfeindlichkeit attestiert, womit nicht nur das Fehlen von Kita-Plätzen und der Zustand von allgemeinbildenden Schulen gemeint ist, sondern auch das Bild von Bildung und Lernen und damit auch das Bild von Weiterbildung im Erwachsenenalter. Hierbei spielt wahrscheinlich auch die Unsicherheit über die Durchsetzbarkeit und die fehlende Information und Sensibilisierung von Arbeitnehmenden ebenso wie der Beschäftigenden eine Rolle.
Weiterbildungsverhalten und passgenaue Angebote?
Die Forschung unterscheidet zwischen allgemeiner Erwachsenenbildung (z. B. der klassische VHS-Kurs) und berufsbedingter, betrieblicher Fort- und Weiterbildung (entwickelt und angeboten durch Arbeitgeber oder Verband). Beide Weiterbildungsbedarfe sind nicht steuerbar und sind hier nicht von Interesse, weil sie entweder stark auf persönliche oder betriebliche Belange zugeschnitten sind.
Was uns insgesamt in der Sozialwirtschaft jedoch interessieren sollte, in Zeiten chronischer Personalprobleme (nicht nur) in Kitas und Pflegeheimen sowie des sich vollziehenden Generationenwechsels durch den demografischen Austritt der geburtenstarken Boomer aus der Arbeitswelt – Antworten auf die schlichte Frage, wie und welche sozialen Angebote aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln sind.
Seitens der Angebote betrifft es nicht die Orchideenfotografie, die von Bildungsskeptischen gerne als ”Argument” gegen eine flächendeckende, allgemeine Förderung von Fort- und Weiterbildungen angeführt wird.
Die Leute sollen ihre Arbeit machen, in Zeiten der Bildung fehlen sie in den Teams und kommen nur auf komische Gedanken, die betrieblich für Unruhe sorgen (siehe Transfer II. Ordnung). Machen wir uns nichts vor: Hand hoch, wer nicht auch damit rechnet, dass solche Steinzeit-Einstellungsmuster noch existieren.
Wer die Hand unten behält, macht entweder positivere Erfahrungen mit Personalverantwortlichen und/oder ist mit qualifizierteren Bedenken konfrontiert: “Wie vereinbare ich Arbeitszeit, Familienzeit und Bildungszeit?” Mache ich diese spezielle Fortbildung zu Konfliktmanagement oder zu systemischer Beratung, dann bin ich u. U. in einer erheblich leichteren Verhandlungsposition gegenüber meinen Vorgesetzten.
Schwierig wird es in der Kategorie “individuelle, berufsbezogene Weiterbildung”, also dem Weiterbildungssegment, welches nicht unmittelbar der aktuellen Tätigkeit, sondern der persönlichen Entwicklung im gewählten Beruf in einem breiteren Sinne entspricht.
Die Weiterbildungsbeteiligung in diesem Segment ist zugunsten der direkten betrieblichen Fortbildung zwischen 2012 und 2020 deutlich zurückgegangen, anteilig von 13% zu nur noch 8% an allen Weiterbildungsaktivitäten (BMBF 2023:22). Sicherlich kann in der Folge ein Pandemie-Effekt nicht geleugnet werden, der angesichts allgemeiner Verunsicherung alles Zukunftsweisende einer strengen Effizienzbewertung unterzog, aber der Zug in Richtung Vereinbarkeit, Passgenauigkeit und unmittelbarer Verwertbarkeit fuhr schon viel früher ab.
Analysiert man das Weiterbildungsverhalten und fragt nach den Gründen der Nichtteilnahme bei Weiterbildungswilligen, so stehen zwei Hinderungsgründe im Vordergrund: Finanzierung und familiäre Gründe.
Geht man hier weiter in die Tiefe, so zeigt sich ein gravierender Geschlechterunterschied. Während nur 22% der sich nicht weiterbildenden Männer als Hinderungsgrund familiäre Gründe geltend machen, geben diese als Haupthinderungsgrund über 45 % der Frauen an (Quelle: Eurostat, Online Datencode: TRNG_AES_176__custom_7271573; letzte Aktualisierung: 08/06/2023 23:00; Daten für 2016).
Bei den Kosten als Haupthinderungsgrund ist das Geschlechterverhältnis 27% (m) zu 37% (w) (Quelle: Eurostat, Online Datencode: TRNG_AES_176__custom_7271935; letzte Aktualisierung: 08/06/2023 23:00).
Kurz und vereinfachend gesagt spielen also auch hier Betreuungssituation wie auch Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten bzw. der Gender Pay Gap eine nicht unwesentliche Rolle. Was beides für das Weiterbildungsverhalten mit Blick auf mehrmonatige Programme mit institutionellem Abschluss bedeutet, liegt auf der Hand, wenn man weiß, wie hoch der Anteil von Frauen in sozialen, erzieherischen und pflegerischen Berufen ist.
Handlungsoptionen zur Steigerung der Wahrnehmung von Weiterbildung in der Sozialen Arbeit
Das Darlegen von (teils offensichtlichen) Herausforderungen allein ist selten ausreichend für gelingende Veränderung. Vielmehr braucht es das Aufzeigen von Möglichkeiten, wie den Herausforderungen begegnet werden kann. Einige dieser Möglichkeiten bezogen auf die Weiterbildung in der Sozialen Arbeit werden im Folgenden dargelegt.
Die Vielfalt der Angebote und ihre Grenzen
Trotz der Vielfalt an Weiterbildungsangeboten stellt sich die Frage, ob diese Vielfalt ausreicht, um den aktuellen Anforderungen gerecht zu werden?
Braucht es in einer Zeit, in der sich die Anforderungen rasch ändern, nicht vielmehr ganz neue Herangehensweisen an Weiterbildung, wenn klassische Weiterbildungsmodelle an ihre Grenzen stoßen?
Zum einen ist gegen die Angebotsvielfalt grundsätzlich wenig einzuwenden. Diese “belebt das Geschäft” und fördert das Zustandekommen von innovativen Ansätzen und Inhalten. Hinzu kommt, dass sich die Weiterbildungsnotwendigkeiten aufgrund der eingangs geschilderten gesellschaftlichen und organisationalen Wandlungsprozesse ebenfalls kontinuierlich wandeln und entwickeln.
Zum anderen ist das oftmals klassisch strukturierte “zur Verfügung stellen” der Angebote zu hinterfragen. Anstatt lang andauernder, mit hohen Kosten und Aufwand verbundener „Komplettpakete“ könnten von Seiten der Anbieter der Weiterbildungen innovative Ansätze wie „Weiterbildungs-Primes“ in Betracht gezogen werden:
Ähnlich wie ein Abonnement oder ein exklusives Angebot könnten Weiterbildungs-Primes auf die Bedürfnisse von Fachkräften zugeschnitten und sofort verfügbar sein.
So liegt, jenseits der gehypten Angebote, die es in einem Weiterbildungsmarkt immer geben wird, das Hauptaugenmerk auf den Kriterien Transparenz, Dauer und Kosten. Weiterbildungswillige wie Beschäftigende wollen wissen, was sie vom Bildungsinvestment haben. Dies gilt umso mehr für Weiterbildungsangebote, die mehr der längerfristigen, individuellen Entwicklung als einer kurzfristigen, unmittelbaren Tätigkeitsverwertung entsprechen. Programme, die von mehrmonatiger Dauer sind und auf Jahre konzipiert und akkreditiert werden, sind nur bedingt in der Lage, darauf zu reagieren.
Wir müssen in kleineren Häppchen – den Weiterbildungs-Primes – denken, auch um damit den Bildungsteilnehmenden die Möglichkeit zu geben, auf ihre Weiterbildung gestalterisch Einfluss zu nehmen und sich ihr individuelles Bildungspaket zusammenzustellen.
Bildung muss wie andere meritorische Güter (wie Information, Gesundheitsversorgung oder Kultur) verfügbar sein, wie und wann ich sie brauche, bzw. wie sie in mein Leben passt. Das klingt nach einem konsumistischen Credo, ist aber in erster Linie ein Anspruch, mehr und positivere Bildungserfahrungen zu ermöglichen. Diese braucht es zwingend, um „lebenslang“ weiterzulernen und weiterzukommen.
New Social Work braucht New Social Learning braucht Organisationsentwicklung
„New Learning“ (vgl. näher dazu Foelsing und Schmitz, 2021) lässt sich als Konzept definieren, das auch in der Sozialen Arbeit aus zwei Perspektiven eine wichtige Rolle spielen sollte.
New Learning lässt sich a) individuell in der Frage zusammenfassen, wie es gelingen kann, selbstgesteuerte und autonome Ansätze des Lernens und zur Gestaltung der eigenen Lernumgebung und -inhalte zu schaffen. Mehr zum Thema New Learning kannst Du auch hier nachlesen.
Gleichzeitig stellt New Learning die Frage, wie es b) den Organisationen der Sozialen Arbeit gelingen kann, “Lernökosysteme” zu schaffen, die weit über klassische Lernsettings wie bspw. das “Wissensmanagement” hinausgehen.
New Learning greift die Ideen des oben skizzierten “systemischen Weiterbildungsmanagements” auf und erfordert aus beiden Perspektiven – individuell wie organisational – ein Umdenken:
Zum einen sind die Beschäftigten der Sozialen Arbeit gefordert, sich mit Lernen, Bildung und damit auch der Weiterbildung zu befassen. Es reicht heute und in Zukunft nicht mehr aus, eine Ausbildung oder ein Studium zu absolvieren und darauf zu hoffen, dass damit dann auch “Schluss mit Lernen” ist. Vielmehr gilt es, ein (neues) Bewusstsein lebensbegleitenden Lernens zu schaffen. Dieses muss über die alle paar Jahre stattfindende Wahrnehmung klassischer, von der Organisation verordneter Weiterbildungsangebote hinausgehen. Es geht darum, eine Haltung zu selbstbestimmtem Lernen und Weiterbildung zu schaffen, die es ermöglicht, selbstbestimmt und autonom eigene Lernoptionen zu finden, zu nutzen und auch zu gestalten. Diese Perspektive könnte die Vermutung nahelegen, dass Weiterbildung damit wieder “ins Private” abgeschoben wird. Das ist aber nicht zielführend.
Entsprechend sind zum anderen die Organisationen der Sozialen Arbeit gefordert, Lernen, Bildung und damit auch Weiterbildung zu einem der heute und in Zukunft wichtig(st)en strategischen Thema zu machen. Organisationen der Sozialen Arbeit sind gefordert, ihren Mitarbeitenden ein Lernökosystem bereitzustellen, das selbstgesteuertes, autonomes Lernen nicht nur ermöglicht, sondern explizit fördert.
Diese Lernökosysteme gehen jedoch über klassische Maßnahmen – wie bspw. dem Angebot eines Weiterbildungskatalogs – hinaus. Lernökosysteme umfassen bewusst gestaltete, zum Lernen einladende Räumlichkeiten, Möglichkeiten der Wahrnehmung von internen wie externen und digitalen wie analogen Angeboten, das Nachhalten der Wirksamkeit der Lernaktivitäten der Mitarbeitenden ebenso wie eine veränderte Einstellung zur Weiterbildung der Führungskräfte (und vieles mehr, vgl. ebd., 309ff).
Lernökosysteme betreffen damit das Organisationsdesign sozialer Organisationen, von den Kommunikationswegen über die Gestaltung der Regeln und Prozesse bis hin zur Frage der Einstellung von Personen.
Über die Ausrichtung der Formalstruktur der Organisationen auf die Ermöglichung von Lernen besteht die Hoffnung, perspektivisch eine oftmals gewünschte „Lernkultur“ nicht nur auszurufen, sondern tatsächlich zu ermöglichen.
Die Herausforderung des Ungewissen – oder: Wie lange können wir uns die Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit noch leisten?
Schließlich stellt sich die Frage nach Ausrichtung und Qualität existierender Weiterbildungsangebote.
Oft basieren viele Angebote auf gesicherten Wissens- und Kompetenzbeschreibungen. Alle Spezialisierungen und unmittelbaren Tätigkeitsverwertungen sind Schritte in eine fachliche Zementierung, in der alle ihren Arbeitsplatz in gut funktionierenden Prozessen haben.
Die Realität jedoch ist längst eine andere:
Es herrscht Mangel, Arbeiten am Limit, permanente Improvisation zum Bewältigen von Unterbesetzungen und zunehmender Ausfälle. Wir befinden uns zudem in Transformationsprozessen größerer und größter Art.
Es sind nicht nur die Bedarfe, mit denen die Strukturen einer “industriellen” Sozialwirtschaft nicht mehr Schritt hält. Es sind die Strukturen der Organisationen wie die Strukturen des Funktionssystems Sozialwirtschaft selber, die sich nicht als zukunftstauglich erweisen.
In einer sich schnell entwickelnden Welt ist das Lernen am Ungewissen, das Auseinandersetzen mit “Noch-nicht-zu-Ende-Gedachtem”, von entscheidender Bedeutung. Die Fähigkeit, mit Unsicherheiten umzugehen und kreativ zu denken, wird zunehmend wichtiger.
An dieser Stelle ist wiederum auf die Implementierung der “Future Skills” zu verweisen und zu fragen, wie es gelingen kann, einerseits wissenschaftlich fundierte Angebote bereitzustellen, die zukunftsfähiges Lernen ermöglichen und andererseits notwendige Entwicklungen der Weiterbildungsangebote aufgrund von einem “Festhalten am Alten” nicht zu verschlafen?
Insbesondere im hochschulischen Kontext – beim Angebot bspw. von Master-Studiengängen – regen wir an, die trotz der Regulierungen durch bspw. die Akkreditierung vorhandenen Freiheiten und Möglichkeiten zu nutzen und das “noch nicht zu Ende gedachte” in die Entwicklung und Umsetzung der Weiterbildungsangebote aufzunehmen.
Über dieses Vorgehen kann ganz praktisch und hautnah “agiles Arbeiten” erlebt werden: Über Annahmen und Hypothesen lassen sich auch in bestehenden Weiterbildungsangeboten Experimente machen und neue Wege gehen. Diese Experimente sind – das ist relevant – regelmäßig zu reflektieren, um aus den Erfahrungen zu lernen und fundierte Weiterentwicklung zu ermöglichen.
Fazit: Den Spagat meistern
“Nachtigall, ick hör Dir trapsen!”
Da schreiben zwei Menschen, die selbst in die Entwicklung und Durchführung von Weiterbildung in der Sozialen Arbeit aktiv eingebunden sind, über das Scheitern des Systems. Sie plädieren für die Notwendigkeit von Weiterbildung und für die Implementierung von “systemischem Weiterbildungsmanagement”. Sie kritisieren die Vielfalt an Hype-Angeboten und bieten gleichzeitig selbst “Schauseiten-Weiterbildungen” zu abgefahrenen Themen wie “New Social Work”, “OKR in der Sozialwirtschaft” oder “Agilem Arbeiten in Sozialen Organisationen” an (ich, Hendrik ;-)) bzw. sind als Leiter eines berufsbegleitenden Masterstudienganges ein klassischer Vertreter klassischer tertiärer institutioneller Angebote, die man sich zeitlich und finanziell erst einmal leisten können muss (ich, Berthold ;-)).
Da ist doch ein Haken, oder? Das kann doch nicht ganz uneigennützig sein?
Ja, stimmt. Der wesentliche Haken, den wir sehen, ist, dass es deutlich mehr Fragen als eindeutige Antworten gibt, was sich auch im vorliegenden Beitrag niederschlägt.
Ein Aspekt liegt uns aber am Herzen, der sich in der folgenden Frage manifestiert:
“Wie kann es gelingen, die für die Zukunft einer lebenswerten Gesellschaft hoch relevante Soziale Arbeit in all ihren Facetten so zu unterstützen, dass sie ihrem eigenen Anspruch heute und in Zukunft gerecht werden kann?”
Dieser Anspruch zeigt sich in der internationalen Definition Sozialer Arbeit:
“Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen.”
(IFSW 2014)
Der Anspruch ist hochgradig komplex und die skizzierten Paradoxien in der Weiterbildungslandschaft spiegeln die Komplexität der Sozialen Arbeit und übergreifend der modernen Arbeitswelt wider.
Es gilt, die Balance zwischen aktuellen Trends und fundierter Bildung, zwischen individueller Verantwortung und systematischer Unterstützung zu finden. Nur so können Fachkräfte in der Lage sein, den Herausforderungen der Zukunft souverän zu begegnen und ihre Fähigkeiten kontinuierlich weiterzuentwickeln.
Um diesen komplexen Herausforderungen auch zukünftig begegnen zu können, geben wir abschließend noch eine Frage mit:
Muss, vor dem geschilderten Hintergrund, Weiterbildung in der Sozialen Arbeit verpflichtend sein?
Wir denken, dass einiges dafür spricht.
Wie sind Deine Eindrücke bzgl. der Weiterbildung in der Sozialen Arbeit? Schreib uns diese gerne hier in die Kommentare oder per Mail!
Ehlers, Ulf-Daniel. Future Skills: Lernen der Zukunft – Hochschule der Zukunft. Zukunft der Hochschulbildung – Future Higher Education. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, 2020. https://doi.org/10.1007/978-3-658-29297-3.
Europäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung (Cedefop). More perceptions: opinion survey on adult learning and continuing vocational education and training in Europe. Volume 2: Views of adults in Europe. 2022. Download am 27.08.2023. URL: http://data.europa.eu/doi/10.2801/55767.
Foelsing, J., Schmitz, A.: New Work braucht New Learning: Eine Perspektivreise durch die Transformation unserer Organisations- und Lernwelten. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, 2021.
Gesmann, Stefan. Systemisches Weiterbildungsmanagement in Organisationen der Sozialen Arbeit: Eine Einführung. Basiswissen Sozialwirtschaft und Sozialmanagement. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, 2022.
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