Schlagwort: Organisationen der Sozialwirtschaft

Vier Schritte zur Veränderung organisationaler Gewohnheiten, oder: Transformation in kleinen Schritten!

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Wir brauchen die große Transformation – in unseren Organisationen, der Gesellschaft und der Welt. Die Notwendigkeit, der Klimakatastrophe zu begegnen, erfordert Veränderungen, die wir bislang nicht absehen können. Diese, zumindest aus meiner Sicht realistische, im Wortsinn radikale Perspektive erzeugt Widerstand. Dadurch werden Lobbygruppen auf den Plan gerufen, die sich mit Händen und Füßen gegen die Veränderung stemmen. Die eroberten angeblichen Freiheiten werden auf keinen Fall aufgegeben. Mit aller Macht wird am Status Quo festgehalten. Das kennen wir auch aus Organisationen. Wie wäre es aber, wenn wir die Veränderungen sozialer Systeme (Organisationen, Gesellschaft…) mit den Möglichkeiten der Veränderung des Verhaltens der Gewohnheiten psychischer Systeme (Menschen) vergleichen und daraus viele neue, kleine Wege zur großen Transformation finden? Die Veränderung der Gewohnheiten psychischer Systeme erfolgt nur in seltenen Fällen durch große Umbrüche. Erfolgsversprechend ist die Veränderung organisationaler Gewohnheiten, die dann, on the long run, zu großen Veränderungen führen. Wie die Veränderung organisationaler Gewohnheiten gelingt, beschreibe ich hier.

Gewohnheiten

Gewohnheiten lassen sich auf individueller Ebene als regelmäßige Verhaltensmuster definieren, die Menschen automatisch und unbewusst ausführen – ohne darüber nachzudenken. Gewohnheiten sind oft tief in unserem Unterbewusstsein verankert und werden durch wiederholtes Handeln verstärkt. Gewohnheiten können sowohl positiv als auch negativ sein und beeinflussen unser tägliches Leben auf vielen Ebenen, einschließlich unserer Gesundheit, Produktivität und Beziehungen. Beispiele für Gewohnheiten sind Zähneputzen, tägliches Training oder das Rauchen (wobei da noch Suchtfaktoren hinzukommen).

Organisationale Gewohnheiten sind regelmäßige Verhaltensmuster und Arbeitspraktiken, die sich innerhalb einer Organisation als sog. „nicht entschiedene Entscheidungsprämissen“ eingeschlichen haben und die Art und Weise beeinflussen, wie Arbeit erledigt wird.

Diese Gewohnheiten können sich auf verschiedene Aspekte einer Organisation auswirken, einschließlich der Arbeitskultur, der Effizienz, der Kommunikation und der Entscheidungsfindung.

Wie auch bei individuellen Gewohnheiten können organisationale Gewohnheiten sowohl positive als auch negative Effekte haben. Sie sind funktional oder dysfunktional für die Organisation. Und sie sind oft tief im „Unterbewusstsein der Organisation“ und damit in deren Kultur verwurzelt.

Beispiele für organisatorische Gewohnheiten im Sinne nicht entschiedener Entscheidungsprämissen sind der Umgang mit regelmäßigen Meetings, das Befolgen bestimmter Arbeitsprozesse, obwohl diese nicht formal geregelt sind, oder das Treffen von Entscheidungen nicht auf Grundlage von Daten und Fakten, sondern auf der Grundlage von „gefühlten Normen“.

Diese organisationalen Gewohnheiten, diese Routinen in Organisationen, entwickeln sich immer. Sie sind – wie gesagt – wesentlicher Bestandteil der Organisationskultur.

Für soziale Organisationen haben „organisationale Gewohnheiten“ im Sinne einer „dominierenden Informalität“ eine besondere Bedeutung. Das habe ich hier beschrieben.

Veränderung organisationaler Gewohnheiten

Ich habe von mir selbst das Bild eines Gewohnheitstiers. Oder anders:

Ich glaube, dass ich nicht gut darin bin, meine Gewohnheiten zu verändern, selbst wenn ich weiß, dass diese keine guten Auswirkungen haben. Das gilt wahrscheinlich nicht nur für mich, sondern für viele Menschen. Denn – wie oben beschrieben – sind Gewohnheiten oft tief in unserem Unbewussten verankert. Die Veränderung von Gewohnheiten erfordert noch dazu Anstrengung und gleichzeitig erzeugt jede Veränderung Unsicherheit. Also: Besser entspannt weitermachen?

Oder noch besser Gewohnheitsveränderung aus einer anderen Perspektive angehen:

Wer willst Du sein?

Clear erläutert in seinem Buch, dass es grundlegend wichtig ist, sich darüber bewusst zu werden, wer wir sein wollen und erst danach die Gewohnheiten anzugehen. Damit geht es um die Identität, um den Kern unseres Seins, von mir aus um unseren „purpose“.

„Every action you take is a vote for the type of person you wish to become“

S. 38

So macht es auf individueller Ebene einen großen Unterschied, ob ich Sport machen will oder ob ich Sportler bin. Dann, wenn ich meine bisherige Identität infrage stelle und mir selbst zuschreibe, jemand anderes als bisher zu sein, gelingt es einfacher, meine Gewohnheiten an diese neue Identität anzupassen. Schreibe ich Blogbeiträge? Oder bin ich Autor? Spiele ich ein Instrument oder bin ich Musiker? Stärke ich meine Mitarbeiter:innen? Oder bin ich Führungskraft? Wurschtle ich vor mich hin? Oder bin ich Unternehmer?

Dem folgend schlägt Clear vor, im ersten Schritt zu entscheiden, welche Identität wir haben wollen, um dann durch unsere alltäglichen Handlungen, unsere Gewohnheiten unsere Identität zu bestätigen.

Organisational fällt die Übertragung leicht. Dann, wenn die bisherige Identität des Teams oder der Organisation wirklich infrage gestellt werden darf, gelingt es, neue Wege zu eröffnen, wie zukünftig zusammengearbeitet werden soll. Wenn ich jedoch an viele Beratungsaufträge denke, wollen Organisationen ihre Identität nicht überdenken, aber hier und da ein wenig anders arbeiten.

Konkret geht es bspw. um die Entwicklung neuer Strategien für die kurz- und mittelfristige Zukunft. Darin stehen dann Sätze wie „personenzentriert“, „anpassungsfähig“, „schnell“ oder „nachhaltig“. Alles fein und wichtig. Aber die Identität der Organisation wird im Kern nicht berührt. Die Mitarbeiter:innen agieren weiterhin in ihren bewährten Gewohnheiten, da sie sich ja immer noch im gleichen Unternehmen wiederfinden und die Führung wundert sich, warum die Strategieumsetzung so zäh ist…

Hinzuweisen ist darauf, dass eine individuelle Anpassung der eigenen Identität schon nicht ganz einfach ist: Selbst wenn ich mir drei Tage lang einrede, dass ich Sportler bin, haut mich an Tag vier eine Erkältung um und ich muss schon viel Energie aufwenden, trotz Rückschlag an meiner Identität festzuhalten.

Gleiches gilt in noch stärkerem Ausmaß für Organisationen als soziale Systeme:

  • Welche Narrative werden wie innerhalb und außerhalb erzählt, die die Identität der Organisation neu schreiben?
  • Wer erzählt diese Geschichten?
  • Wo schlägt sich die neue Identität nieder?

Hier sind insbesondere die Führungskräfte gefragt, die neue Identität über Geschichten und das eigene Vorleben zu festigen. Und das wiederum braucht eine echte Überzeugung, dass die neue Identität mehr ist als lustige Sätze in Hochglanzleitbildern.

Und auf gesellschaftlicher Ebene passt es genauso:

Solange die Politik im Kleinklein und in den Grabenkämpfen zwischen den einzelnen Parteien verhaftet bleibt und keine neue „Identität des Landes“, keine Visionen und Utopien, glaubhaft vermitteln kann, wird sich wenig bewegen. „Wie wollen wir leben?“ ist sicher nicht leicht zu beantworten. Aber so wie aktuell wird die Politikverdrossenheit eher weiter zunehmen, was – bezogen auf die eigentlich dringend anzugehenden Ziele – höchst dramatisch ist.

Also noch mal kurz: Entscheide, wer Du sein willst und bestätige dies mit kontinuierlichen, kleinen Schritten.

Vergiss das Ziel, fokussiere dich auf das System!

Ich komme auf das ganze Thema, da ich gerade „Atomic Habits“ von James Clear lese.

Kurz beschrieben befasst sich das Buch mit der Kunst der Verbesserung des eigenen Lebens durch die Veränderung der kleinen, alltäglichen Gewohnheiten.

Gewohnheiten – unabhängig davon, ob diese positiv oder negativ sind – ergeben sich durch die Abfolge der vier Schritte

  1. Auslöser,
  2. Verlangen,
  3. Antwort,
  4. Belohnung.

Veränderungen in unserem Verhalten lassen sich entsprechend durch kontinuierliche, aber inkrementelle Anpassungen in diesen vier Bereichen erreichen.

Sinnvoll ist es (natürlich), dass wir uns auf die Entwicklung von Gewohnheiten konzentrieren sollten, die uns helfen, unseren Zielen näher zu kommen (das System), anstatt uns auf Ziele selbst zu konzentrieren:

„The purpose of setting goals is to win the game. The purpose of building systems is to continue playing the game“

(S. 27)

Das ist einfach erklärt:

Ich persönlich kann zwar das Ziel haben, mehr Sport zu machen. Wenn aber die Rahmenbedingungen nicht zu meinem Ziel passen, wird sicherlich nichts aus dem Ziel. Wenn die Reifen am Rad kaputt sind, die Jooggingschuhe noch im Laden stehen und mein Alltag vollgeballert ist mit Krams wird es trotz aller Disziplin nicht gelingen, dem Ziel auch nur einen Schritt näher zu kommen – selbst wenn ich mir das noch so vornehme. Erst dann, wenn es gelingt, dass System und damit die Rahmenbedingungen anzupassen, kann ich überhaupt auf den Weg zum Ziel kommen.

Organisational gilt ähnliches: Du kannst zwar die Fehler-, Innovations- oder Lernkultur propagieren und hoffen, dass dadurch irgendwas passiert. Populär aktuell ist natürlich das Ziel „Agilität“ oder das Ziel einer agilen Organisation. Sofern aber das System nicht passt, sich auf den Agilitäts-, Lern- oder Innovationspfad zu begeben, wird mit größter Sicherheit nichts passieren. Wahrscheinlicher ist sogar, dass Deine Mitarbeiter:innen Deine Ideen belächeln, auf die letzte „Change-Reise“ oder den letzten, komplett sinnlosen Innovationsworkshop verweisen und genauso weitermachen wie bisher. Immer öfter höre ich von Kunden Sätze wie:

„Nutzen Sie aber bitte nicht das Wort Agilität, das ist bei uns verbrannt!“

Und gesellschaftlich erleben wir leider an vielen Stellen das Gleiche:

Alle wissen, dass es so nicht weitergehen kann. Das Ziel ist ebenfalls klar – 1,5 Grad, sonst wird’s echt ungemütlich. Aber das System passt nicht: Der Kapitalismus in seiner aktuellen Form verhindert das Einbiegen auf einen Pfad nachhaltigen Lebens.

Kurz gesagt steigen wir auf allen Ebenen nicht auf das Niveau unserer Ziele auf, sondern fallen immer wieder auf das Niveau unserer Systeme zurück (vgl. hier).

Gewohnheiten ändern in vier Schritten!

Wie aber gelingt es, Gewohnheiten zu ändern – individuell, organisational und vielleicht sogar gesellschaftlich?

Clear beschreibt – basierend auf den oben genannten vier Schritten – vier „Gesetze“, die helfen, gute Gewohnheiten aufzubauen:

Das 1. Gesetz (Auslöser): Mach es offensichtlich.
Das 2. Gesetz (Verlangen): Mach es attraktiv.
Das 3. Gesetz (Reaktion): Mach es einfach.
Das 4. Gesetz (Belohnung): Mache es befriedigend.

Schlechte Gewohnheiten werden entsprechend abgebaut durch die Umkehrung der vier Gesetze:

Umkehrung des 1. Gesetzes (Auslöser): Mach es unsichtbar.
Umkehrung des 2. Gesetzes (Verlangen): Mach es unattraktiv.
Umkehrung des 3. Gesetzes (Reaktion): Mache es schwierig.
Umkehrung des 4. Gesetzes (Belohnung): Mache es unbefriedigend.

Soweit, so individuell. Und tatsächlich auch für mich selbst in vielen Lebensbereichen spannend. Nehmen wir das (fast rein fiktive 😉 Beispiel, dass ich selbst zu einem Autor und entsprechend Schreiben zu einer Gewohnheit werden lassen will. Wie muss ich dann mein individuelles System gestalten?

  1. Ich muss den Auslöser zum Schreiben offensichtlich machen. Ich kann mir bspw. jeden Morgen eine Stunde im Kalender markieren, die nur dafür reserviert ist. Außerdem kann ich meinen Schreibtisch von Ablenkungen befreien, um mich direkt auf das Schreiben konzentrieren zu können.
  2. Schreiben muss attraktiv werden: Wo schreibe ich am Liebsten? Ist mein Schreibtisch im Keller immer die beste Alternative? Oder sollte ich nicht lieber ein Zugticket buchen, vier Stunden hin, vier zurück, und im Zug arbeiten? Da ist zumindest kaum Ablenkung…
  3. Ich muss die Zugangsmöglichkeiten zu guten Schreibbedingungen sehr einfach gestalten. Daraus folgen bspw. Die folgenden Fragen: Wo steht mein Computer? Fühle ich mich dort wohl? Wie aufwendig ist es, in den Schreibprozess einzutauchen?
  4. Wie belohne ich mich? Beim Bloggen ist es ziemlich cool positive Reaktionen auf Beiträge zu erhalten. Aber reicht das? Könnte ich Schreibphasen nicht expliziter mit – gesunden – Belohnungen abschließen?

Über die Frage, wie es mir gelingt, Unternehmer zu werden und welche Gewohnheiten ich dafür etablieren muss, denke ich intensiv nach… Falls Du Tipps und Ideen hast, bin ich sehr dankbar, wenn Du diese in den Kommentaren hinterlässt!

Die Ausführungen lassen sich wieder auf Organisationen übertragen. Beispielhaft nehmen wir an, dass Dein Team die Entscheidung getroffen hat, „agil“ sein zu wollen. Diese Entscheidung betrifft die Identität des Teams und sollte gemeinsam sehr bewusst getroffen werden.

Daran schließt sich die Frage an, wie Du im Team die vier „Gesetze“ anwenden kannst, um kleine Schritte in Richtung dieser „agilen Identität“ zu gehen und ihr damit zu dem Team werdet, dass ihr sein wollt?

Bevor ihr daran arbeitet, neue Routinen und Gewohnheiten zu implementieren, macht es Sinn, erstmal zu schauen, welche Routinen in Bezug auf die Identität dysfunktional sind. Dysfunktional im Sinne der „neuen Identität wären ja alle Praktiken, Gewohnheiten bzw. nicht entschiedenen Entscheidungsprämissen, die starre, unflexible, langwierige Arbeitsprozesse bedienen. Was davon kann weg? Entsprechend geht es zu Beginn um die Umkehrungen der vier Gesetze:

  • Umkehrung des 1. Gesetzes (Auslöser): Wie können wir die Auslöser dysfunktionaler Gewohnheiten möglichst unsichtbar gestalten? Beispielhaft war es früher so, dass ihr Teamsitzungen so gestaltet habt, dass Du als Führungskraft die Tagesordnung vorgegeben und die Teamsitzung anhand der vorgegebenen TOPs moderiert hast. Mach es beim nächsten Mal anders: Bestimmt gemeinsam eine:n Moderator:in und legt zu Beginn die Tagesordnung gemeinsam fest.
  • Umkehrung des 2. Gesetzes (Verlangen): Wie können wir die Gewohnheit möglichst unattraktiv werden lassen? Wenn ihr – um im Beispiel zu bleiben – Entscheidungen zu einzelnen TOPs bislang nicht gemeinsam getroffen habt, sondern immer nach der Führungskraft geschaut und auf deren Entscheidung gewartet wurde, wäre denkbar, dass vorab klar vereinbart wurde, Entscheidungen, die alle im Team betreffen, nur noch gemeinsam zu treffen (bspw. mithilfe der Konsent-Methode).
  • Umkehrung des 3. Gesetzes (Reaktion): Selbst wenn Vereinbarungen getroffen wurden, kann es sein, dass die Routine trotzdem zuschlägt und ihr auf die Entscheidung des Vorgesetzten wartet. Wie wäre es, dass die Führungskraft einfach nicht mehr an den Teamsitzungen teilnimmt und es dadurch notwendig wird, Entscheidungen im Team zu treffen?
  • Umkehrung des 4. Gesetzes (Belohnung): Wie können wir den Rückfall in alte Gewohnheiten möglichst unbefriedigend gestalten? Dazu wäre denkbar, dass ihr für jede nicht anhand der Konsent-Moderation gemeinsam getroffenen Entscheidung eine „Team-Strafe“ einführt (auch wenn mir noch nicht klar ist, was das genau sein könnte)…

Allein durch die Bekämpfung und Beseitigung dysfunktionaler Gewohnheiten wird es möglich, Raum zum Atmen, neu Denken und Machen zu schaffen. Welche hilfreichen Gewohnheiten könnten anders, besser, funktionaler für das Team und die Organisation sein? Basierend darauf lassen sich dann die vier Gesetze zur Entwicklung funktionaler Gewohnheiten anwenden:

Die Anwendung des 1. Gesetzes (Auslöser) bedeutet, dass Du den Auslöser für eine neue, funktionale Gewohnheit möglichst offensichtlich gestaltet. Wie kannst Du es möglichst offensichtlich machen, dass neu agiert werden soll? Eine Möglichkeit wäre bspw. das Aufhängen eines einfachen Kanban-Boards im Büro (bzw. digital), an dem die Aufgaben im Team visualisiert werden?

Das 2. Gesetz (Verlangen) stellt die Frage nach der Attraktivität. Gewohnheiten verändern sich dann, wenn wir das, was wir tun wollen, mit dem koppeln, was wir sowieso tun sollen. Im Beispiel wäre denkbar, dass das Kanban-Board unmittelbar zur Planung, Strukturierung und Dokumentation der Teamsitzung genutzt wird.

Und dann muss es – das 3. Gesetz (Reaktion) – möglichst ein einfach nutzbar sein. In meinem vorherigen Job hatte ich die grandiose Idee, im Team Meistertask zur Aufgabensortierung zu nutzen. Das war aber für die Teammitglieder zu kompliziert. Wir sind wieder beim bewährten Word-Dokument gelandet – warum nicht, wenn es funktioniert und auf das Ziel einzahlt?

Beim 4. Gesetz (Belohnung) geht es ein wenig in Richtung Pawlowschem Hund: Wie können Belohnungen im Team geschaffen werden, die das wiederholte Durchführen der neuen Gewohnheit verstärken? Individuell wäre es vielleicht der Kaffee nach der abgeschlossenen Aufgabe oder – bei der Schreibgewohnheit – die kurze Pause nach 2000 Zeichen. Im Team könnte es bspw. das „habit tracking“, das Visualisieren der Tage, an denen das Kanban-Board erfolgreich genutzt wurde, sein.

Neue Wege im organisationalen Dschungel

Die Veränderung von Gewohnheiten lassen sich mit dem Finden neuer Wege im Dschungel vergleichen, individuell wie organisational und gesellschaftlich.

So bestehen im Dschungel bereits breit ausgetrampelte, vielleicht gepflasterte, mit Straßenlaternen ausgeleuchtete Gewohnheitswege. Das Abweichen von diesen erfordert bewusstes Gegensteuern.

Das gelingt aber nicht durch das reine Propagieren der Nützlichkeit neuer oder dem Verlassen alter Wege. Vielmehr braucht es

  1. die Bewusstwerdung über die neue Identität: Wer will ich sein? Wie wollen wir arbeiten? Wie wollen wir leben?
  2. die Veränderung des Systems, damit das Gehen der neuen Wege offensichtlich, einfach, attraktiv und lohnenswert wird.
  3. das Verändern der bisherigen Gewohnheiten.

Wenn es allein gelingt, dysfunktionale Gewohnheiten loszulassen, sind wir individuell, organisational und gesellschaftlich einen großen Schritt weiter.

Und wenn es dann noch gelingt, viele neue, funktionale Wege auf dem Weg gut vorzubereiten und konsequent zu gehen, kann es gelingen, Deine Organisation oder Dein Team in Richtung „neuer Identität“ zu verändern und eine neue Kultur des Teams oder der Organisation nicht nur irgendwohin zu schreiben, sondern tatsächlich zu leben.


Wo und wie ist es Dir gelungen, Gewohnheiten – individuell, in Deinem Team der Organisation zu ändern? Teile doch Deine Erfahrungen in den Kommentaren! Danke!!!

Wider die Kindness Economy: Über Fachkräfte, Macht und die Zukunft von Organisationen

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Gerade bin ich über den Begriff der „Kindness Economy“ gestolpert: Organisationen versuchen, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, um es damit „allen zu ermöglichen, bei der Arbeit so authentisch wie möglich zu sein“, wie es hier heißt. Ich bin da sehr skeptisch, denn ich glaube, dass wir damit – ausgelöst durch den Fachkräftemangel – in ein neues Problem laufen, das ich als „Machtverschiebung von Organisationen zu den Menschen“ bezeichnen und hier beschreiben will. Außerdem will ich versuchen, ein paar Ideen zu liefern, wie diesem Problem begegnet werden kann.

Früher kein Gedöns: Die Macht von Organisationen über Menschen

Nur kurz: Dass es einen Fachkräftemangel gibt und zunehmend geben wird, ist seit etwa 50 Jahren bekannt. Entsprechend verwundert mich, dass dieses Thema erst jetzt in den Organisationen anzukommen scheint. Wir verschließen so lange die Augen, bis die Probleme massiv werden und kaum noch abzuwenden sind – Klimawandel, ick hör dir trapsen!

Historisch betrachtet hatten Organisationen die Macht. Das hängt mit der Bevölkerungsentwicklung zusammen.

Denn zwischen 1871 und 1910, also während der Hochphase der Industrialisierung in Deutschland, stieg die Bevölkerung von 41 Millionen auf 65 Millionen Menschen an, was einem Wachstum von 58 Prozent entspricht (klick).

Und nach der Industrialisierung setzte sich das Bevölkerungswachstum in Deutschland fort. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich Deutschland zu einem Wachstumsland, und die Bevölkerungszahl stieg von 69,3 Millionen im Jahr 1950 auf rund 83,1 Millionen Menschen im aktuellen Zeitraum an (klick).

Neben sozialen Ungerechtigkeiten, Überbevölkerung in den Städten, mangelhaften Wohnbedingungen usw. führte das Bevölkerungswachstum vor allem zur Möglichkeit der Ausbeutung von Arbeitskräften. Arbeiter:innen, einschließlich Frauen und Kindern, arbeiteten lange Stunden, oft unter gefährlichen Bedingungen, für geringe Löhne. Es gab kaum Arbeitsschutzgesetze oder Gewerkschaften, die die Rechte der Arbeiter:innen schützten, was zu Ausbeutung und schlechter Arbeitsplatzsicherheit führte.

Auch wenn in den letzten Jahrzehnten Gott sei Dank soziale Sicherungssysteme eingeführt wurden, saß (und sitzt immer noch) die Angst vor dem sozialen Abstieg durch den Verlust des Arbeitsplatzes mit am Fließband, am Schreibtisch, an der Werkbank oder zumindest im Nacken.

Extrem formuliert war diese kurze, historisch sicherlich etwas unterkomplex dargestellte Entwicklung für Organisationen sehr praktisch:

Geringe Kosten in Kombination mit einem großen Angebot an Arbeitskräften, die noch dazu Angst hatten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, führten zu dicken Gewinnen (für ein paar Wenige). Außerdem musste man sich wenig Gedanken zu guten Arbeitsbedingungen, Work-Life-Balance, New Work Schnickschnack und sonstigem Gedöns machen.

Entsprechend wurden Organisationen und die Art, wie wir auch heute noch zusammen arbeiten, gestaltet:

Menschen waren Zahnrädchen, die bei zu geringer „Performance“ ausgetauscht wurden, Organisationen wurden als „Maschinen“ gedacht, gesteuert und entwickelt und die Sozialisation für dieses System wurde befeuert durch ein Bildungssystem, das auf „Ab-Teilung“, eine Klassengesellschaft, Benotung, Strafe, Druck, Befehl und Gehorsam gesetzt hat.

Jaja, ich weiß, etwas übertrieben. Aber im Kern ganz passend:

Die Organisationen hatten die Macht.

Heute Kindness Economy: Die Macht der Menschen über die Organisationen

Heute stehen wir aber – angesichts der absehbaren demographischen Zahlen wenig überraschend – an einem Kipppunkt in die andere Richtung:

Die Macht wandert von den Organisationen zu den Mitarbeiter:innen. Diese können sich aussuchen, wann, wie lange, zu welchen Konditionen und vor allem wo sie arbeiten. Im Kontext der Sozialwirtschaft ist dieses Phänomen extrem ausgeprägt, da die Organisationen nur wenige Möglichkeiten haben, auf Mitarbeiter:innen zu verzichten oder ihre Kernprozesse zu digitalisieren. Oder anders gesagt:

Wenn sich im Finanzamt die Akten bis zur Decke stapeln oder die Produktion von beheizbaren Lenkrädern aufgrund fehlender Mitarbeiter:innen stillsteht, passiert erst einmal – nichts! Wenn in einer Kita aber X Mitarbeiter:innen fehlen, wird die Gruppe geschlossen und die Kinder, die uns in Deutschland ja ach so viel Wert sind, eben nicht mehr begleitet.

Schlimmer stellt sich die Situation noch in stationären Wohnformen dar, da die dort lebenden Menschen nicht nur auf Unterstützung angewiesen sind, sondern die Einrichtungen oftmals ihre (teilweise einzige) Heimat sind.

Was Organisationen versuchen

Im Grunde könnte man jetzt ja glücklich sein:

Endlich müssen sich die Organisationen – egal welcher Branche – um ihre Mitarbeiter:innen bemühen. Obstkörbe sind obligatorisch, gratis Kaffee Standard und der Dienstwagen für die Auszubildenden ist flächendeckend nicht mehr fern, nur um auf Teufel komm raus Mitarbeiter:innen zu gewinnen und zu halten.

Angesichts dieser Entwicklungen steigen auch die Löhne, da die Mitarbeiter:innen (fast) unmittelbar wechseln, wenn es bei der Konkurrenz ein paar Euro mehr gibt.

Kurz: Organisationen verschieben ihren Fokus von ihrem Zweck hin zu den Mitarbeiter:innen. Nicht mehr die Kunden- oder Nutzer:innenorientierung ist handlungsleitend, sondern die Orientierung an den Mitarbeiter:innen bzw. den Betreuungsbedarfen ihrer Hunde, Katzen, Hamster, Omas, Kinder…

Warum sollte man – wenn man es sich denn leisten kann – unter diesen Bedingungen noch in Vollzeit arbeiten? Entsprechend werden Teilzeitregelungen normal, die nichts mit den ach so faulen Generationen, sondern mit den Rahmenbedingungen und damit den Möglichkeiten der jüngeren Generationen am Arbeitsmarkt zu tun haben.

Und auch hier wieder: Das ist doch grandios! Die Menschen können sich ihren Job so gestalten, dass dieser zu ihrem Leben passt (auch wenn diese Möglichkeiten die Situation für die Sozialwirtschaft verschärfen, da grundsätzlich in direkter Interaktion mit den Klient:innen gearbeitet werden muss und in vielen Arbeitsfeldern die Notwendigkeit von 24/7 Betreuung besteht).

Wenn sich also die Organisationen endlich an die Mitarbeiter:innen anpassen müssen, sieht es doch aus wie das Schlaraffenland, oder worin besteht das Problem?

Organisationen brauchen keine Menschen

Jaja, ich weiß, wieder eine völlig unterkomplexe Überschrift. Aber sehr grob betrachtet, trifft es das: Das Problem besteht darin, dass soziale Systeme und damit eben auch Organisationen nicht dafür gemacht sind, sich an Menschen bzw. den Mitarbeiter:innen zu orientieren.

Soziale Systeme sind dafür gemacht, einen Zweck zu verfolgen, ein Problem zu lösen, das durch einzelne Menschen allein nicht gelöst werden kann. Zwecke sind bspw. die Verwaltung von Steuergeldern, die Produktion von beheizbaren Lenkrädern, Gebet und Spiritualität, Bildung, das zur Verfügung stellen von Wohnraum, Lobbyarbeit oder, oder, oder…

Zuvorderst aber verfolgen Organisationen als Soziale Systeme das Ziel, zu überleben. Sie wollen, ganz lapidar, weiterhin bestehen bleiben – und zwar unabhängig von den ziemlich unzuverlässigen Menschen (im Sinne der Mitarbeiter:innen). Deswegen gibt es so etwas wie Stellen, Rollen, Hierarchien, Strukturen usw. die dafür sorgen, dass die Organisation auch dann weiterbesteht, wenn Menschen „das Unternehmen verlassen“.

Eine Organisation, die ihren Zweck nicht mehr erfüllen kann (oder vollständig erfüllt hat), wird ebenso nicht mehr weiter bestehen können wie eine Organisation, die sich vollständig an den Menschen und ihren Bedürfnissen ausrichtet.

Und dies unabhängig von der Branche, in der die Organisation tätig ist.

Die Chance für „New Work“

Kurz auf den Punkt gebracht sind die Ausführungen ja nachvollziehbar: Es macht – unabhängig vom Fachkräftemangel – keinen Sinn, Organisationen und damit auch unsere Arbeit so zu gestalten, dass die 100%ige Effizienz herrscht, die Menschen wie Zitronen ausgepresst werden und einzig der Takt der Maschinen (oder vorgeschriebenen Prozesse) regiert.

Genauso wenig sinnvoll ist es aber, alles in einer Organisation ausschließlich auf die je individuellen und damit sehr vielfältigen Bedarfe der Mitarbeiter:innen auszurichten. Das wird Organisationen früher oder später zum Zusammenbruch führen.

Wie so oft gilt es, einen guten Mittelweg zwischen den Bedürfnissen der Menschen und den Bedürfnissen der Organisationen zu finden.

Und hier kann aus meiner Sicht eine große Chance aus a) sinnvoller, zeitgemäßer und bedarfsgerechter Organisationsentwicklung und aus diesem b) „New Work“ im ursprünglichen Sinne erwachsen.

Möglichkeiten zeitgemäßer und bedarfsgerechter Organisationsentwicklung

Im Folgenden finden sich – sicherlich nicht abschließend – einige Ansätze, wie es gelingen kann, die Entwicklung der eigenen Organisation so voranzutreiben, dass die Bedürfnisse von Menschen und der Organisation berücksichtigt werden.

Verständnis über die Funktionsweisen von Organisationen als soziale Systeme

Grundlegend für die Möglichkeiten zeitgemäßer und bedarfsgerechter Organisationsentwicklung ist aus meiner Sicht ein Verständnis über die Funktionsweisen von Organisationen als soziale Systeme.

Die Entwicklung dieses „Organisationsbewusstseins“ schützt massiv vor Steuerungsphantasien, was insbesondere Führungskräften enorme Erleichterung verschaffen müsste: Sie haben den Laden nicht in der Hand, im Griff oder sonstwo. Organisationsentwicklung ist vielmehr, wie es Ruth Seliger sagt, der Versuch, die Organisation in die gewünschte Richtung zu verführen.

Daraus resultiert, dass es immer darum geht, Versuche im Hier und Jetzt zu machen, Experimente, mit denen man auf die Nase fallen kann, die aber auch gelingen und dann ungeahnte (positive) Auswirkungen haben können.

Wichtig bei dieser „agilen Organisationsentwicklung“ ist jedoch, immer wieder innezuhalten und zu prüfen, ob und welche Wirkungen die gemachten Veränderungen hatten und ob man sich damit auf dem angestrebten Weg befindet.

Vielfalt zulassen

Für die im Beitrag geschilderte Problematik des Ausbalancierens zwischen den Bedarfen der Organisation und den Bedarfen der Mitarbeiter:innen gilt es, Versuche zu machen, die das Ziel verfolgen, wegzukommen von der Vereinheitlichung hin zu einer möglichst hohen Vielfalt in der Organisation:

Team A ist anders als Team B, warum sollten die nicht anders arbeiten? Einrichtung Z liegt auf dem Land und arbeitet anders als Einrichtung Y in der Stadt. Ja, cool, warum nicht?

Diese Vielfalt fällt vielen Organisationen schwer, ist aber für Soziale Organisationen (hoffentlich) daily Business. Denn nur durch die Vielfalt auf Seiten der Einrichtungen kann den vielfältigen Bedarfen der Nutzer:innen auf der anderen Seite adäquat begegnet werden.

Mir gefällt an dieser Stelle das Bild eines Mischpults ganz gut:

Es gibt verschiedene Regler, die für die einzelnen Bereiche, Teams und Arbeitsfelder einer Organisation bezogen auf die jeweils geltenden Ziele, Strukturen und Prozesse unterschiedlich eingestellt sein können. Erst daraus, dass sie unterschiedlich eingestellt sind, ergibt sich der ganz spezifische Klang der Gesamtorganisation.

Gemeinsam entscheiden

Neben der Ermöglichung von Vielfalt gilt es außerdem, die Kompetenzen, Ideen, Erfahrungen und die Kreativität der Mitarbeiter:innen viel stärker als vielleicht bislang üblich in Entscheidungsfindungen mit einzubinden. Partizipation wird zwar oft groß geschrieben, endet aber genauso oft an der Realität.

Eine einfache Option zur echten Beteiligung der Mitarbeiter:innen ist die Arbeit mit der Konsent-Methode, die hier ausführlich beschrieben ist.

Und nein, die Entscheidungsfindung anhand der Konsens-Methode dauert nur gefühlt länger, wie bspw. hier in diesem Podcast erläutert wird.

Die Organisations-DNA beschreiben

Im gleichen Podcast sprechen die Gründerinnen der sozKom GmbH auch von der Entwicklung ihrer DNA. Darunter ist ein kurzes „Leitbild“ zu verstehen, das allen, internen wie externen, Stakeholdern vermittelt, was die Grundwerte der gemeinsamen Arbeit sind und wie in der Organisation zusammen gearbeitet wird.

Das Betriebssystem entwickeln

Diese „DNA“ oder das gelebte Leitbild ist auch die Grundlage für das gemeinsame „Betriebssystem“ der Organisation.

Dieses Betriebssystem beschreibt die basalen Regeln, nach denen gearbeitet und vor allem entschieden wird (siehe auch Konsent).

Dabei ist wiederum relevant, nicht irgendwelche Konzepte wie „Holocrazy“ oder das „Spotify Modell“ oder die „Orbit Organisation“ oder „so wie Buurtzorg“ auf die eigene Organisation zu stülpen, sondern die Individualität der Rahmenbedingungen der Organisation anzuerkennen und – genau – Vielfalt zuzulassen.

Nichts in Stein meißeln

Bei alle den Bemühungen der Entwicklung zeitgemäßer und bedarfsgerechter Organisationen geht es nicht darum, ein für allemal festzuzurren, was für die nächsten 300 Jahre gelten soll.

Durch die in der Organisation arbeitenden Menschen ebenso wie durch die sich verändernden Rahmenbedingungen, Megatrends, gesellschaftlichen Entwicklungen usw. verändert sich auch die Organisation.

Dieses „inspect and adapt“ sollte als Grundsatz jeglicher Entscheidungen rund um die Organisationsentwicklung gelebt werden. Daraus ergeben sich anpassungsfähige Teams und Organisationen.

Arbeiten

Die hier skizzierten „Schritte“ hin zu einer Organisation, der es gelingt, neben den eigenen auch die Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen in den Blick zu nehmen, erfordern auf Seiten der Mitarbeiter:innen Mitarbeit.

Das klingt vielleicht irgendwie albern, ist aber wichtig: Führungskräfte wie die Mitarbeiter:innen müssen sich bewusst sein, dass die gemeinsame Entwicklung hin zu einer guten, lebenswerten und (über-)lebensfähigen Organisation nur in gemeinsamer Anstrengung gelingt. Dazu braucht es – ein Thema, an dem ich gerade persönlich hänge – das Commitment, sich auf diese Arbeit einzulassen. Oder die Entscheidung, andere Wege zu gehen.

Möglichkeiten von New Work

Selbstverständlich sind die Ausführungen zur Organisationsentwicklung nicht abschließend und alles andere als eine „Anleitung“, wie es rezepthaft gelingt, die Bedürfnisse von Menschen und Organisationen auszutarieren. Es sind Impulse, Ideen, Möglichkeiten.

Und etwas übergreifender will ich abschließend die aus dem ursprünglichen Konzept „New Work“ ausgehenden Impulse, Ideen und Möglichkeiten aufgreifen, um darüber zur Annäherung von Menschen und Organisationen zu kommen.

Macht das Sinn?

Die Ursprungsideen von New Work stellen im Kern nicht die Frage nach dem Menschen und dem, was dieser (also Du und ich) „wirklich, wirklich tun will.“

Die Ursprungsideen von New Work stellen die große Frage danach, ob unsere Art zu wirtschaften, ob der Kapitalismus in der existierenden Form, sinnvoll ist. Bergmann ging es um eine Alternative zum Lohnarbeitssystem und nicht um organisationalen Schnickschnack.

New Work ist damit radikal im besten Wortsinn: New Work geht an die Wurzel, an den Kern. Und dieser Kern lautet für mich:

Macht das Sinn?

Anders könnte man auch fragen: Ist das, was wir hier als Gesellschaft, als Organisation, als Team und das, was ich als Mensch tue, sinnvoll und wirksam?

Ich will hier gar nicht tief einsteigen, aber der Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen lässt mich oft mit einem dicken „WTF???“ zurück. Unsere Metakrisen Klima, Krieg, Individualisierung und Co. werden im eigenen Kleinklein beantwortet. Ideen, Visionen, Utopien einer echten Zukunft fehlen.

Und genauso sieht es in Organisationen aus. „Purpose-Diskussionen“ übertünchen den dahinterliegende Schimmel, ohne die Kernfrage zu stellen:

Macht das Sinn, was wir hier tun?

Wenn sich Menschen und Organisationen ernsthaft auf die Beantwortung dieser Frage konzentrieren, kommt es zwangsläufig dazu, dass Dinge, Angebote, Projekte weggelassen werden müssen. Weglassen ist aber nicht in uns Menschen angelegt. Wir wollen immer mehr, hinzufügen, addieren. Das funktioniert aber nicht mehr – aus Gründen von Klima und Co. ebenso wie aus Gründen von Fachkräftemangel.

Wenn wir – das ist ja das Thema des Beitrags – Menschen und Organisationen wieder zusammenführen wollen, müssen wir uns mit Exnovation befassen und einem „weniger, aber besser“. Auch wenn das auf den ersten Blick schmerzhaft erscheint.

Was will ich wirklich, wirklich tun?

Erst aus der Beantwortung der Sinnfrage ergibt sich die aktuell breitgetretene „New Work Frage“ danach, was die Menschen „wirklich, wirklich tun wollen“.

Die Frage ist wieder radikal, denn – mal ehrlich – eine Beantwortung ist kaum möglich.

Ich für mich kann sagen, dass das, was ich wirklich, wirklich tun will, von unfassbar vielen Faktoren abhängig ist, die sich je nach Tag, Stimmung, Wetter… immer wieder ändern.

Und losgelöst von mir persönlich pendeln Menschen in dem was sie wirklich, wirklich wollen, individuell irgendwo im „Pentagon“ (Fünfeck) zwischen Anerkennung, Sicherheit, Autonomie, Verbundenheit und Fairness – wie hier im SCARF-Modell beschrieben.

Wichtiger als eine Antwort auf die Frage ist damit eine Beschäftigung mit der Frage – ohne eine eindeutige Antwort zu erwarten.

Das erfordert die berühmte Ambiguitätstoleranz, die Kompetenz zum Umgang mit Widersprüchen und Mehrdeutigkeit.

Aus organisationaler Perspektive gilt es dann wieder, Ambiguitätstoleranzlernmöglichkeiten zu schaffen – Möglichkeiten, in denen sich die Menschen „in“ der Organisation mit den Widersprüchen zwischen ihnen als Personen und der Organisation befassen können und nicht gleich beim kleinsten Gegenwind oder beim nächstbesten Angebot der Konkurrenz von der Organisation abwenden.

Über dieses „Aushalten von Widersprüchen“ gelingt es dann vielleicht auch, dem näher zu kommen, was man wirklich, wirklich tun will…

Mehr als Kindness Economy, oder: Organisationen brauchen Menschen und Menschen brauchen Organisationen

Natürlich sind Organisationen auf Menschen angewiesen, auf Arbeitskräfte. Sie sind angewiesen auf die Persönlichkeiten, die Ideen, die Kreativität der Individuen. Genauso sind aber auch Menschen auf Organisationen angewiesen. Wer will bitteschön die Errungenschaften wegdiskutieren, die die Arbeitsteilung mit sich gebracht hat. Wer will zu einem „Heiler“ gehen, anstatt in ein Krankenhaus, in dem Expert:innen gemeinsam an echten Lösungen arbeiten? Wer will seine Kinder in Betreuungseinrichtungen geben, die nur „satt und sauber“ anstatt echte Bildung und Begleitung leben? Wer will im Alter vor sich hin vegetieren, anstatt von Profis gepflegt zu werden?

Kurz – wir brauchen beides:

Funktionierende Organisationen, die unabhängig von einzelnen Menschen ihren Zweck erfüllen und gleichzeitig die Bedarfe der Mitarbeiter:innen berücksichtigen und darüber zu lebenswerten „Ökosystemen“ werden.

Das erfordert zum einen gelingende Organisationsentwicklung zur Gestaltung zeitgemäßer und bedarfsgerechter Organisationen. Zum anderen erfordert es individuell und organisational die Auseinandersetzung mit dem Sinn, mit der Frage nach Wirksamkeit.

„Kindness Economy“ allein wird da nicht helfen.

Das Dilemma der Agilisierung sozialer Organisationen – und was trotzdem getan werden kann!

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Warum gelingt es sozialen Organisationen so schwer, sich zeitgemäß und bedarfsgerecht zu verändern? Warum sehen wir an so wenigen Stellen echte Leuchttürme, best practice Beispiele, denen es in den letzten Jahren gelungen ist, ihr Organisationsdesign, ihre Strukturen, Arbeitsweisen, Prozesse usw. anpassungsfähig an sich komplex und dynamisch verändernde Umwelten zu gestalten und gleichzeitig ihren Zweck nicht aus den Augen zu verlieren? Die Antwort auf diese Fragen ist nicht eindimensional, sondern erfordert unterschiedliche Blickrichtungen. Im Folgenden wird insbesondere ein Aspekt herausgegriffen, der ein Dilemma, in dem soziale Organisationen stecken- ich nenne es das „Dilemma der Agilisierung sozialer Organisationen“ – beleuchtet. Außerdem werden Möglichkeiten dargelegt, die es ermöglichen, sich „trotzdem“ zu bewegen.

Das Dilemma, oder: Warum fällt es sozialen Organisationen so schwer, sich zu verändern?

Ein Dilemma ist eine Zwickmühle. Ein Dilemma bezeichnet eine Situation, die zwei Möglichkeiten der Entscheidung bietet, die beide zu einem unerwünschten Resultat führen und durch seine Ausweglosigkeit als paradox empfunden wird. Ein klassisches Beispiel ist das berühmt gewordene Dilemma von Buridans Esel. Der Esel verharrt unbeweglich zwischen zwei gleichgroßen und gleich weit entfernten Heubündeln. Er kann sich weder für das eine noch für das andere entscheiden – er verhungert.

Bezogen auf die Sozialen Organisation hier eine kurze Darlegung der beiden Heuhaufen:

Dilemma Perspektive 1: Das Überleben der Organisation

ChatGPT liefert auf die Frage danach, warum es sozialen Organisationen so schwerfällt, sich zu verändern, im ersten Punkt den folgenden Absatz und beschreibt damit sehr gut die eine Seite des Dilemmas:

„Soziale Organisationen oder – etwas präziser – Organisationen der Sozialwirtschaft haben oft eine komplexe Struktur und sind stark reguliert, um sicherzustellen, dass sie ihre gemeinnützigen Ziele erfüllen. Diese Regulierungen können dazu führen, dass Veränderungen schwierig umzusetzen sind, da sie häufig genehmigt und von den zuständigen Behörden überwacht werden müssen.“

Das fasst das Dilemma etwas verkürzt, aber treffend zusammen:

Soziale Organisationen sind nicht frei in ihrer Gestaltung, wenn sie überleben wollen.

Dieses Überleben nehme ich hier explizit auf, denn „Zweck 1. Ordnung“ eines sozialen Systems ist es, überleben zu wollen. Patrick Breitenbach schreibt dazu in einem Beitrag treffend:

„Was ist der Hauptzweck, der „Zweck 1. Ordnung“, einer Unternehmung, ja eines gesamten Wirtschaftssystems (und Systemen überhaupt)? Es ist die Selbsterhaltung, das Überleben – im Business auch „Viability“ genannt.

Es geht also um die Tragfähigkeit einer Unternehmung, eines Systems oder einer Existenz. Dieses Handeln ist evolutionär tief in unsere DNA eingebrannt. Kombiniert mit einem zunächst natürlichen und später zugleich künstlich verstärkten Wettbewerbssprinzip rund um knappe oder verknappte Ressourcen, beherrscht es unser gesamtes Dasein. Das ist der Kern unseres „Operating Models“ – wenn man so will.“

ChatGPT greift den Punkt auf und schreibt weiter:

„Ein weiterer Grund, warum Organisationen der Sozialwirtschaft Veränderungen schwerfallen kann, ist die Tatsache, dass sie oft von begrenzten finanziellen Ressourcen abhängig sind. Dies kann bedeuten, dass sie sich auf bestimmte Einkommensströme verlassen, wie beispielsweise staatliche Zuschüsse oder Spenden von privaten Spendern, die möglicherweise begrenzt oder schwankend sind. Diese Abhängigkeit von begrenzten Ressourcen kann dazu führen, dass Organisationen zögern, Veränderungen vorzunehmen, aus Angst, ihre finanzielle Stabilität zu gefährden.“

Die Gefährdung der finanziellen Stabilität ist es aber, was Organisationen an den Rand ihres Überlebens bringt. Entsprechend und völlig nachvollziehbar halten sozialen Organisationen an ihren bewährten, ihre Existenz sichernden Strukturen fest.

Eine wirkliche, tiefgreifende Veränderung der Strukturen, Prozesse und Arbeitsweisen kann die Existenz sozialer Organisation gefährden, da es von Seiten der Kostenträger kaum Spielraum zur Entwicklung, Experimentierfelder, Möglichkeiten zur Neugestaltung gibt.

Ohne den Fall in der Tiefe verfolgt zu haben wird zumindest in diesem Beitrag zum Insolvenzverfahrens von Buurtzorg Deutschland explizit darauf verwiesen, dass „die Abrechnung auf Stundenbasis statt nach Leistung für Krankenkassen ein Problem“ darstellt. Noch einmal:

Alternative Modelle und Arbeitsweisen sind für die Nutzer:innen (ggf.) super, scheitern aber an den Rahmenbedingungen der Kostenträger.

Dilemma Perspektive 2: Die Komplexität Sozialer Arbeit und die Notwendigkeit der Agilisierung sozialer Organisationen

Auf der anderen Seite steht die Herausforderung sozialer Organisationen, Komplexität bewältigen zu müssen. Jede Arbeit mit Menschen, ob in der Kita, in der Jugendhilfe, in der Gemeinwesensarbeit, in der Arbeit mit älteren Menschen oder auch mit Menschen mit Behinderung ist komplex, individuell und immer auf die Mitarbeit der Nutzer:innen angewiesen. Mehr noch: Die aktuelleren Methoden sozialer Arbeit betonen explizit, dass nicht die Expertise der Mitarbeiter:innen im Zentrum steht („Wir wissen schon, was für dich richtig ist!“), sondern der „Wille der Menschen“, wie es bspw. explizit im Konzept der Sozialraumorientierung heißt.

Diese Perspektive, die Ausrichtung am Willen des Menschen, die Stärkung von Autonomie und Selbstbestimmung als (ein) Zweck Sozialer Arbeit, ist nicht neu und sollte eigentlich nicht verwundern. Denn genau so heißt es auch in der Internationalen Definition Sozialer Arbeit, die ich ja immer wieder gerne anbringe:

„Soziale Arbeit fördert … die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen.“

Damit Mitarbeiter:innen sozialer Organisationen diese Perspektive einnehmen können, sind sie gefordert, die Regeln, Strukturen, Vorgaben, Prozesse usw. der eigenen Organisation zu „hintergehen“ und so zu agieren, dass sie bestmöglich im Sinne ihrer Klientel agieren können. Daraus resultiert die dominierende Informalität, die ich bereits in diesem Beitrag hier umfänglich dargelegt habe. Sehr kurz zusammengefasst:

Organisationen lassen sich vornehmlich über die Entwicklung von formalen Strukturen, Prozessen und der Veränderung des Personals entwickeln. Mitarbeiter:innen in sozialen Organisationen jedoch interessieren sich nicht großartig für das, was die Organisation vorgibt, sondern agieren so, dass sie – aus ihrer Perspektive gedacht – bestmögliche Hilfe für die Nutzer:innen leisten können. Organisationsentwicklungsprozesse „verpuffen“ dann, da die Mitarbeiter:innen einfach das weitermachen, was aus ihrer Sicht für die Nutzer:innen funktional ist. Wie gesagt, das ist nur eine sehr kurze Zusammenfassung dieses Artikels, der die Herausforderung der dominierenden Informalität ausführlich darlegt.

Aufgreifen will ich hier noch die auf den ersten Blick sehr positiven Veränderungen der Sozialgesetzbücher – allen voran die Entwicklungen rund um das BTHG. Teilhabe, Partizipation, Inklusion werden aber nicht nur dort, sondern auch im KJSG groß geschrieben. Beide Gesetze fokussieren zunehmend – wie auch die grundlegenden Methoden Sozialer Arbeit – auf die Perspektive der Nutzer:innen und stellen diese in den Mittelpunkt allen Handelns.

Kurz zusammengefasst wird die Institutionenorientierung von der Personenorientierung abgelöst (welche Auswirkungen das für die Organisationsentwicklung sozialer Organisationen hat, haben Florian Acker und ich hier dargelegt).

Zerrissenheit

Wenn aber mit Blick auf den einen Heuhaufen – um das Beispiel des Esels wieder aufzugreifen – „die Menschen in den Mittelpunkt rücken“ müssen (nicht die Mitarbeiter:innen, sondern die Nutzer:innen) und mit Blick auf den anderen Heuhaufen an den Finanzierungslogiken der Kostenträger festgehalten werden muss, sich die Organisationen also nicht gemäß ihrem Zweck entwickeln können, kommt es zur Zerrissenheit.

Dieses Dilemma ist (ohne dies für die Soziale Arbeit empirisch belegen zu können) aller Wahrscheinlichkeit nach (mit) ein Grund, warum die Burnoutraten in sozialen Organisationen so hoch sind (vgl. dazu bspw. den jährlich erscheinenden AOK Fehlzeitenreport).

Interessant sind in diesem Zusammenhang die Konzepte rund um „Moral Distress“, die im Kontext der Pflege bereits detailliert untersucht wurden.

Agilisierung sozialer Organisationen – was tun?

Welche Handlungsoptionen haben Soziale Organisationen, um die Zerrissenheit, um das Dilemma besser in den Griff zu bekommen? Ich betone dieses „besser“, da eine Auflösung des Dilemmas, so wünschenswert es auch wäre, wohl keine Option darstellt.

Auseinandersetzung mit dilemmatischen Konstellationen in der Organisation

Stabilität vs. Wandel, klare Verantwortlichkeiten vs. Flexibilität, Identifikation vs. Offenheit, Freiräume zur Entwicklung vs. Ausnutzung organisationsfremder Interessen. All dies sind Dilemmata, die in Organisationen immer wieder auftreten. Eine Tendenz zu einem Pol (z.B. Stabilität) geht immer auf Kosten des anderen Pols (z.B. Wandel). Es lässt sich kein einfacher oder dauerhafter Kompromiss erreichen (vgl. Weibler, Deeg, 2020).

Weibler und Deeg schreiben im verlinkten Beitrag, dass Dilemmata in Organisationen grundsätzlich „weniger gelöst als vielmehr (einigermaßen) neutralisiert bzw. in eine bearbeitbare Form gebracht werden, beispielsweise durch zeitliche Entzerrung“.

Für Führungskräfte gilt, dass „eher ein bewusstes Versuchen für den Moment angebracht [ist], das sich dann wieder in eine andere Richtung bewegt, wenn die Nachteile die errungenen Vorteile allmählich überwiegen. Dafür müssen Verschiebungen in deren Verhältnis allerdings aufmerksam beobachtet und am sich abzeichnenden Wendepunkt auch ein Umsteuern aktiv eingeleitet werden“ (ebd.).

Dabei ist relevant, „sich auch in schwierigsten Umständen nicht irritieren zu lassen und im quasi unstillbaren menschlichen Verlangen nach Gewissheit gründenden Versuchungen, nervös nach dem Naheliegenden mittels Heranziehung bestimmter Annahmen, Erklärungen oder Fakten zu greifen, zu widerstehen“ (ebd.).

Die Autoren betonen abschließend, dass es zusätzlich hilft, „ein ‚Entweder-Oder-Denken‘ zugunsten einer ‚Sowohl-als-auch-Herangehensweise‘ aufzugeben und mit Dilemmata möglichst kreativ und konstruktiv umzugehen. Dies ermöglicht es Führungskräften, neue Handlungsspielräume zu eröffnen und geschickter bzw. gewandter zu (re-)agieren, wenn sie sich in oftmals sehr unbehaglichen dilemmatischen Entscheidungssituationen bewegen. Weniger werden solche zukünftig wohl eher nicht“ (ebd.).

Die genannten Aspekte führen zu einer „Führung im Widerspruch“, die Michael Herzka schon 2013 ausführlich mit spezifischem Bezug zur Führung in sozialen Organisationen dargelegt hat.

Das oben beschriebene Dilemma jedoch zeigt sich nicht innerhalb sozialer Organisationen, die organisationsintern mit den mindestens gleichen Dilemmata zu kämpfen haben wie andere Organisationen auch. Das Dilemma zeigt sich vielmehr zwischen der Organisation und den Kostenträgern.

Wie also kann hier vorgegangen werden?

Basics der Organisationsentwicklung, oder: Das Mögliche tun

Oftmals wird die Abhängigkeit von den gesetzlichen Rahmenbedingungen als – überspitzt formuliert – Ausrede herangezogen, um keine Änderungen vornehmen zu müssen („Wir können nicht anders, weil die Kostenträger dies und jenes…“).

Das ist zu kurz gegriffen. Es gibt immer Handlungsoptionen und seien sie auch noch so klein.

Hier setzen die Basics an, die ich in Teams und sozialen Organisationen häufig vermisse. Unter diesen Basics fasse ich auf organisationaler Ebene eine regelmäßige Beschäftigung mit der Mission, der Vision, den Werten und den Strategien der Organisation.

Ich sehe Leitbilder, die vor Dekaden erstellt wurden, Leitbilder, die Werte propagieren, die auf Hochglanzbroschüren in Schubladen, an Wänden oder auch im Internet vergilben. Hier gilt es, diese Leitbilder regelmäßig in die Hand zu nehmen und zu prüfen, ob sie zum einen geeignet sind, Orientierung zu geben und zum anderen zu prüfen, ob sich grundlegende Veränderungen ergeben haben, die eine Anpassung des Leitbilds erfordern.

Auf Teamebene ist es ähnlich: Ich sehe in den seltensten Fällen so etwas wie einen „Teamkodex“, der für die Mitglieder eines Teams Orientierung gibt und darlegt, wie gemeinsam im Team gearbeitet werden soll.

Beides, die iterative Überprüfung des Leitbilds der Organisation sowie die Entwicklung und ebenfalls regelmäßige Überprüfung und Anpassung eines Teamkodex bedeutet nicht, einen riesigen Aufwand betreiben zu müssen. Es bedeutet auch nicht, die Gesamtorganisation komplett auf den Kopf zu stellen, neu, agil, demokratisch oder wie auch immer zu strukturieren.

Vielmehr ist die regelmäßig investierte Zeit in die grundlegenden Strukturen, Prozesse und Arbeitsweisen hilfreich, um für die Zukunft besser in den nicht auflösbaren Widersprüchen Sozialer Arbeit agieren zu können.

Organisationsbewusstsein entwickeln

Den berühmten „Praxisschock“ kennen wahrscheinlich alle, die sich mit Studium und Ausbildung in sozialen Berufen befassen. In Studium und Ausbildung kommt eine Auseinandersetzung mit der Funktionsweise sozialer Systeme zu kurz. Zwar haben Sozialarbeiter:innen (hoffentlich) immer grundlegende systemische Kompetenzen erlangt. Diese beziehen sich jedoch in den allermeisten Fällen auf die Klientensysteme und nicht auf das soziale System „Organisation“. Entsprechend sollte die Funktionsweise von sozialen Organisationen in ihren komplexen Abhängigkeiten unter den aktuellen Gegebenheiten (Fachkräftemangel, Digitalität und Co.) deutlich verstärkt Thema in Ausbildung und Studium werden, damit die Absolvierenden im Arbeitsleben nicht frustriert werden.

Gleiches gilt für Weiterbildungsangebote, die soziale Organisationen für ihre Mitarbeiter:innen und Führungskräfte anbieten: Insbesondere Führungskräfteschulungen sollten einen wesentlichen Teil darauf verwenden, die Funktionslogiken sozialer Systeme in den Mittelpunkt stellen. Damit können zum einen die „Steuerungsphantasien“ der (angehenden) Führungskräfte in Grenzen gehalten und zum anderen Handlungsoptionen zur Gestaltung von Teams und Organisationen – wiederum mit offener Kommunikation über die Dilemmata Sozialer Arbeit – vermittelt werden.

Dialog mit den Kostenträgern

Wie ich im Beitrag oben und bspw. auch hier ausführlich dargelegt habe, „ticken“ soziale Organisationen diametral entgegengesetzt zu den Kostenträgern. Mit anderen Worten:

„Im Gegensatz zu den auf die Gestaltung von Komplexität angelegten Sozialen Organisationen sind die Sozialleistungsträger (u.a. Bund, Länder, Kommunen, Sozialversicherungsträger, Krankenkassen, die für die Kosten aufkommen) nicht im Erziehungssystem anhand der genannten Codes organisiert, sondern fokussieren in ihren Strukturen und Handlungsweisen auf Rechtmäßigkeit und Berechenbarkeit bei hoher Zuverlässigkeit, Effektivität und Effizienz.“

In dem verlinkten Beitrag habe ich als (eine) Lösungsoption formuliert, dass es „im Zuge grundlegender Transformationen gelingen muss, alle basierend auf einer System-Umwelt-Analyse definierten Stakeholder an einen Tisch zu bekommen – und das schon vor dem anstehenden OE-Prozess. Nur durch gemeinsames Verständnis der Anliegen der jeweils anderen Seiten kann (nicht: muss) sich die Option eröffnen, neue Wege gehen und dringend benötigte Experimente in der Neugestaltung pluralisitscher Organisationen realisieren zu können.“

Diese Dialogforen, diese gemeinsamen Gespräche zur zukünftigen Zusammenarbeit vermisse ich noch auf vielen Ebenen – im Kleinen wie im Großen.

Wie wollen wir leben? Oder: Zukunft gestalten

Oben habe ich die Definition Sozialer Arbeit sehr verkürzt und auf die Arbeit mit den Individuen fokussiert dargestellt.

Ausführlich heißt die Definition aber:

„Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen.“

Es kommt die Förderung gesellschaftlicher Veränderungen, sozialer Entwicklungen und die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts hinzu. Krasse Aufgabe, ehrlich gesagt.

Diese Aufgabe beinhaltet eine gesellschaftliche Gestaltungsaufforderung an die Soziale Arbeit. Kurz gesagt:

Wie wollen wir leben?

Diese Frage ist nicht dadurch zu beantworten, dass Soziale Arbeit – neben dem, dass sie Gesetze umsetzen muss – nach immer neuen Lösungen für aktuelle Probleme sucht. Innovation ist gut und wichtig, greift aber – sofern sie auf Problemlösungen ausgerichtet ist – zu kurz.

Wir brauchen vielmehr eine Auseinandersetzung mit wünschenswerten Zukünften.

Dazu bedarf es einer deutlich weitergehenden Perspektive, einem Blick in die nicht existierende Zukunft. Es braucht Szenarien, die zwischen Utopie und Dystopie Möglichkeiten thematisieren, welche gesellschaftlichen Entwicklungen zu welchen Realitäten führen können. Es braucht eine Auseinandersetzung dazu, was Visionen Sozialer Arbeit der Zukunft sein können.

Auf Twitter habe ich mal gefragt: „Was ist eigentlich die Vision der Sozialwirtschaft 2035?“.

Es gab keine Antwort dazu (und ich selbst habe diese Antwort auch nicht.

Und ChatGPT 😉 liefert auf die Frage nach der Vision der Sozialwirtschaft auch wenig Erhellendes (Stärkere Betonung der Nachhaltigkeit, stärkere Nutzung von Technologie, stärkere Betonung sozialer Gerechtigkeit).

Nur in einem Punkt bin ich sehr bei dem, was die AI sagt:

„Ausbau der Zusammenarbeit: Die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Organisationen der Sozialwirtschaft und anderen Akteuren wie der öffentlichen Hand und Unternehmen könnte verstärkt werden, um gemeinsam gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen.“ (siehe oben).

Es ist dringend Zeit, sich mit der Zukunft zu befassen.

Fazit zum Umgang mit Dilemmata

Dilemmata sind normal in Organisationen. Allein das Verhältnis von Organisation und den darin eingespannten Individuen ist hier zu benennen. Weitere Dilemmata habe ich oben angeführt.

Das Dilemma zwischen sozialen Organisationen und den Kostenträgern geht darüber jedoch hinaus. Entsprechend gilt es, auch über die eigene Organisation hinaus zu denken und neben den Handlungsoptionen innerhalb der Organisationen in der Branche der Sozialwirtschaft den Dialog mit den politischen Akteuren, den Kostenträgern, deutlich zu intensivieren. Soziale Arbeit muss aus dieser Perspektive wieder politischer werden.

Hinzu kommt die Auseinandersetzung mit einer Zukunft, die als lebenswert angesehen wird.

Innovationen im Sinne von Problemlösungen reichen da nicht (mehr) aus.

Es gilt, sowohl die Zukünfte Sozialer Arbeit zu gestalten als auch die Organisationsentwicklung soweit möglich in Angriff zu nehmen – weg von der Institutionen- hin zur Personenorientierung.


P.S.: Wenn Du nach dem Lesen dieses Beitrags Deine Organisation zwischen diesen herausfordernden Polen entwickeln magst, stehe ich Dir gerne als Begleiter zur Seite. Einfach hier Kontakt aufnehmen

Das SCARF-Modell und die Sozialen Berufe, oder: Wie Deine Mitarbeiter motiviert bleiben!

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Mit diesem Beitrag will ich die Perspektive verändern vom sozialen System „Organisation“ auf die Ebene der Menschen, der Personen in der Organisation. Mitarbeiter und natürlich Mitarbeiterinnen lassen sich nicht motivieren. Es ist nur möglich, sie nicht zu demotivieren. Aber welche Faktoren sollten gegeben sein, damit es gelingt, Mitarbeiter:innen nicht zu demotivieren? Dazu beschreibe ich im Folgenden das SCARF-Modell – ein Modell, das aus meiner Sicht gut geeignet ist, Ansatzpunkte zu finden, um die Motivation Deiner Mitarbeiter:innen aufrechtzuerhalten.

Das SCARF-Modell

Ganz grundlegend ist das SCARF-Modell ein Modell, das von David Rock im Jahr 2008 entwickelt wurde. Das Modell betrachtet Faktoren, die Auswirkungen auf das Verhalten, auf Performance, Ausgeglichenheit, Kooperation und Lernbereitschaft eines Menschen und damit auf dessen Motivation haben.

Das Modell basiert auf den Erkenntnissen der modernen Hirnforschung und will die elementaren Grundbedürfnisse des Menschen beschreiben.

Die fünf elementaren Grundbedürfnisse des Menschen sind laut dem Modell:

  • – Status,
  • – Certainty (Sicherheit)
  • – Autonomy (Selbstbestimmung)
  • – Relatedness (Verbundenheit) und
  • – Fairness.

Ich will hier gar nicht tiefer in die Beschreibung der Hintergründe des Modells eintauchen. Diese sind sehr schön aufbereitet im Blog „Digitale Neuordnung“ von Andreas Diehl beschrieben.

Aber was genau steht hinter den Grundbedürfnissen?

Status

Das Grundbedürfnis „Status“ bezieht sich auf die relative Stellung einer Person zu anderen Personen und damit auf den „sozialen Status“ einer Person. Es geht darum, dass wir uns wünschen, dass unsere Fähigkeiten und Kompetenzen anerkannt und unsere Leistungen gewürdigt werden.

Als Führungskraft gilt es, die Anerkennung tatsächlich in Bezug auf die Leistung zu erklären und nicht bezogen auf die Person. Wenn die Person gewürdigt wird („Der Klaus ist ein toller Typ!“) erhöht dies den Status des Gewürdigten zulasten des Status anderer Teammitglieder.

Entsprechend gilt es, den Einsatz der Mitarbeiter:innen, ihre Leistungen bezogen auf eine konkrete Aufgabe anstatt die „Person als Ganzes“ zu würdigen.

Wenn wir an dieser Stelle einmal rauszoomen und die Stellung der Berufe des Gesundheits- und Sozialwesens in der Gesellschaft betrachten, wird es aus meiner Sicht spannend: Im Verhältnis zu anderen Berufen ist der Status, die Wertschätzung sozialer Berufe leider nicht dort, wo sie sein sollte.

Selbst eine Pandemie hat nicht geholfen, die nicht nur system-, sondern überlebensrelevanten Berufe in ihrem Status wirklich anzuheben. Klar, in politischen Sonntagsreden wird zwar die Bedeutung von Erzieher:innen betont, die Wichtigkeit der Pflege mit viel Klatschen unterstrichen oder die Soziale Arbeit insgesamt hervorgehoben.

In der Realität der Aufwertung sozialer Berufe passiert jedoch wenig. Im Gegenteil: Aktuelle Einsparungsnotwendigkeiten setzen zuerst am Kontext Kultur, spätestens dann aber am Sozialen an. Freiwillige Leistungen können wir sowieso abschreiben, aber auch gesetzlich vorgeschriebene soziale Dienstleistungen kommen massiv unter Druck.

Dass nicht unbedingt viele Menschen einen sozialen Beruf ergreifen und sich der Fachkräftemangel auch durch fehlenden Status des gesamten Berufsfelds verschärft, liegt auf der Hand.

Wieder reingezoomt in die Arbeit in Deinem Team stellen sich Fragen wie:

  • – Wie ist Dein Status bezogen auf die anderen Mitarbeiter:innen?
  • – Werden Deine Leistungen durch Deine Führungskraft angemessen gewürdigt?
  • – Werden die Leistungen bspw. durch Angehörige, durch Eltern, gewürdigt?
  • – Wie kann es Dir in Deinem aktuellen Umfeld gelingen, Deinen „Status“ zu erhöhen?

Und als Führungskraft sind es ähnliche Fragen:

  • – Wo würdigst Du die Personen anstatt deren Leistungen?
  • – Welche positiven Leistungen der Teammitglieder kannst Du erkennen, die dringend gewürdigt werden sollten?
  • – Wo feiert ihr Eure gemeinsam erreichten Erfolge?
  • – Wie gehst Du mit bspw. tariflich bedingten Unterschieden in Deinem Team um (Assistenzkräfte, Referent:innen…)?

Certainity – Sicherheit

Jeder Mensch braucht einen sicheren Rahmen, grundlegend erfüllte Bedürfnisse, ohne die ein Leben nicht möglich ist. Maslows Bedürfnispyramide setzt nicht umsonst nach den physiologischen Bedürfnissen das Bedürfnis nach Sicherheit auf Ebene 2.

Im Kontext der (Zusammen-)Arbeit gilt genauso, dass Abläufe eine gewisse Stabilität und Vorhersagbarkeit haben müssen, damit Lernen, Kooperation und gute Zusammenarbeit überhaupt möglich sind und nicht Angst und Unsicherheit überwiegen.

Wichtig dabei ist, dass nicht jede:r Mitarbeiter:in das gleiche Bedürfnis nach Sicherheit hat. Manche Mitarbeiter:innen kommen durch die kleinsten Veränderungen an die Grenze des Aushaltbaren, wohingegen eine gewisse Unsicherheit bei anderen erst die Neugier weckt.

Wieder rausgezoomt sehen wir in den globalen und nationalen Entwicklungen einen enormen Anstieg schneller Veränderungen, Dynamik und Komplexität – VUCA, ick hör dir trapsen. Das löst bei vielen Menschen den Ruf nach „klaren Antworten“, nach Sicherheit und Vorhersagbarkeit aus, ohne diese Antworten und damit Sicherheit geben zu können. UNsicherheitsbewältigungskompetenz oder auch Ambiguitätstoleranz ist gefragt, wird aber im Bildungssystem wenig gefördert, was zu den aufsteigenden rechtsextremen Tendenzen und einer Krise der Demokratie führt.

Zurückgezoomt in soziale Berufe kann man einerseits sagen, dass die Jobsicherheit enorm hoch ist:

Um unter den aktuellen Bedingungen bspw. als Erzieher:in oder Pflegekraft gekündigt zu werden, sind schon einige Anstrengungen erforderlich. Ob das für die Organisationen immer gut ist, wage ich zu bezweifeln, aber das ist ein anderes Thema.

Direkt im Beruf, in der Interaktion mit dem Klient:innen, in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen oder auch alten Menschen ist die Unsicherheit andererseits enorm groß:

Wenn ich an meine eigene Zeit in der stationären Jugendhilfe und der Arbeit mit männlichen Jugendlichen denke, gab es Situationen, die von körperlicher Bedrohung geprägt waren – das Gegenteil von Sicherheit. Und meine Frau, die als Erzieherin und Heilpädagogin in einer Kita arbeitet, muss sich jeden Tag auf das einstellen, was vor Ort zum jeweiligen Zeitpunkt neu passiert – es ist nie sicher, was passiert.

Als Teamleitung und Führungskraft folgt daraus, dass es gerade in sowieso unsicheren Settings darauf ankommt, soweit wie es eben geht einen “sicheren”, vorhersagbaren und verlässlichen Rahmen der Zusammenarbeit zu gestalten. Unsicherheit, Chaos und fehlende Verlässlichkeit senken das Sicherheitsempfinden und werden als Bedrohung empfunden.

Es gilt, möglichst klare klare Spielregeln, feste Rahmenbedingungen oder auch „Leitlinien für die Arbeit im Team“ zu formulieren, die regeln, wie zusammengearbeitet wird. Ich finde es ehrlich gesagt immer wieder faszinierend, dass diese einfachen Möglichkeiten in den Teams sozialer Organisationen kaum berücksichtigt werden.

Autonomie

Die dritte Dimension im SCARF Modell – Autonomie – scheint im Gegensatz zu stehen zum Bedürfnis nach Sicherheit. Aber Menschen sind autonome Wesen. Menschen wollen ihr Umfeld frei gestalten und kontrollieren. Es geht weniger um ein „entweder – oder“, als um ein „sowohl, als auch“: Menschen wollen sowohl ihre Arbeit frei gestalten und über hohe Entscheidungsspielräume verfügen und gleichzeitig ein Sicherheitsempfinden haben.

Auch wenn es kaum erwähnenswert ist, ist wieder darauf hinzuweisen, dass es natürlich unterschiedliche Menschen mit unterschiedlich ausgeprägtem Bedürfnis nach Autonomie gibt.

An dieser Stelle will ich kurz rauszoomen auf die Ebene der Profession und Disziplin Sozialer Arbeit: Gemäß der internationalen Definition Sozialer Arbeit der IFSW ist Aufgabe Sozialer Arbeit u.a. die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Hier geht es also explizit darum, den Handlungsspielraum der Menschen zu erweitern und Möglichkeiten der Erfahrung von Selbstwirksamkeit zu schaffen.

Und zurück in die Tiefen des operationalen Alltags könnte man in sozialen Berufen ja annehmen, dass – wenn die Sicherheit kaum gegeben ist – zumindest Autonomie und Selbstbestimmung, Wahlfreiheit, Mitbestimmungsmöglichkeiten usw. in besonderem Ausmaß gegeben sind, oder?

Wer aber einmal Zeit mit kleinen Kindern verbracht hat, weiß, dass oft genau das Gegenteil Realität ist:

In der Arbeit mit Menschen geht es eben nicht darum, selber zu entscheiden, sondern emphatisch den Weg mitzugehen, der vom Gegenüber eingefordert bzw. gerade benötigt wird. Kurz: Wenn Fritzchens Windel voll ist fällt Ottos Glas herunter und gleichzeitig haut Paula dem Emil auf’s Maul, weil es ihr Eimer ist oder zumindest werden soll.

Für Führungskräfte und Teamleitungen gilt entsprechend, dass es relevant ist, die Mitarbeiter:innen zumindest dort partizipieren zu lassen, wo dies möglich ist. Insbesondere ist es relevant, Beteiligungsmöglichkeiten in der Entwicklung von Zielen und Zwecken und der oben angesprochenen Rahmenbedingungen der gemeinsamen Arbeit zu schaffen. Wenn auf diesen Ebenen ebenfalls Fremdbestimmung vorherrscht, fühlen sich die Mitarbeiter:innen komplett – genau – fremdbestimmt.

Relatedness – Verbundenheit

Verbundenheit beschreibt das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gruppe – das “Wir Gefühl”.

Andreas Diehl schreibt, dass die Verbundenheit als „der wichtigste Faktor im SCARF Modell“ angesehen werden kann:

„Denn die moderne Hirnforschung zeigt, dass der Ausschluss aus einer Gruppe die gleichen neuronalen Netzwerke aktiviert wie physischer Schmerz. Das mag evolutionsbiologische Gründe haben, schließlich war der Ausschluss aus der Sippe vor ein paar tausend Jahren ein fast sicheres Todesurteil.“

Andreas Diehl

Daraus resultiert, dass Menschen Gruppen gründen und sich diesen zugehörig fühlen wollen. Neue Menschen, der Wechsel in ein anderes Team und natürlich eine Kündigung werden als Bedrohung wahrgenommen. Das erklärt auch, warum es so wichtig ist, Räume und Zeiten zu schaffen, in denen Menschen „einfach so“ und scheinbar belanglos beieinander sein können: Kaffeeecken, Weihnachtsfeiern, gemeinsames Ablästern uvm. sind dafür da, genau diese Verbundenheit herzustellen – in allen und vielleicht sogar noch mehr in sozialen Arbeitskontexten.

Aus meiner ganz individuellen Perspektive stelle ich mir hier die Frage, wo denn meine Verbundenheit herkommt? Eine Idee ist, dass ich mich – neben meiner kleinen Familienherde – beruflich sehr, sehr verbunden fühle zu meiner Aufgabe, meiner Passion, meiner Möglichkeit, mich mit Dingen zu befassen, auf die ich tief im inneren richtig Bock habe. Und trotzdem brauche ich immer wieder den Austausch mit Menschen, die ganz ähnliche Arbeit machen – Grüße an die Fraggles-Runde – oder auch den „belanglosen“ Austausch bspw. beim IdeeQuadrat Check In – reinschauen lohnt sich 😉

Und hier habe ich beschrieben, wie es gelingen kann, eine Kultur der Verbundenheit in Deiner Organisation zu erzeugen.

Fairness

Fairness ist beschreibt den in uns Menschen tief verankerten Wunsch nach Gerechtigkeit.

Das im Beitrag von Andreas Diehl beschriebene Ultimatumspiel zeigt eindrücklich auf, dass wir uns eher selbst schaden, als Ungerechtigkeit zuzulassen.

Du kennst es schon, ich zoome mal kurz wieder raus:

Die Anerkennung sozialer Berufe, die in unserer Gesellschaft auch mit Bezahlung einhergeht, zeigt, dass es mit der Fairness nicht weit her ist. Überlebensrelevante Berufe werden im Verhältnis zu Bullshit-Jobs (ich weiß, etwas überspitzt ausgedrückt) nicht fair honoriert. Mehr noch: Es gibt Studien, die darlegen, dass Berufe mit den höchsten Gehältern keinen gesellschaftlichen Mehrwert liefern bzw. diesen sogar zerstören. Der gesellschaftliche Impact einer Pflegekraft ist weit höher als der eines Investmentbankers, was im Gegensatz zu deren Bezahlung steht.

Zurück ins Team ist es hochgradig relevant, klare Erwartungen, Ziele und Spielregeln zu etablieren, die für alle Mitarbeiter:innen möglichst fair und gerecht sind. Andreas Diehl schreibt:

Sobald Entscheidungen einen Hauch von Willkür tragen oder nicht ausreichend begründet sind, mag es vorkommen, dass Mitarbeiter mit Entzug und Widerstand reagieren.“

Entsprechend gilt es, transparent mit Informationen umzugehen, Mitarbeiter:innen aktiv einzubeziehen und teambasierte Entscheidungen zu treffen. Dies zahlt wiederum auf Status und Autonomie ein.

Neue Formen der Zusammenarbeit und das SCARF Modell

Interessant ist ja, dass an allen Ecken und Enden daran gearbeitet wird, Organisationen zeitgemäß und bedarfsgerecht zu gestalten, mehr Selbstbestimmung und Eigenverantwortung zu etablieren, die interne Komplexität in Organisationen über die Gestaltung selbstbestimmt agierender Teams zu erhöhen usw. Ich bin selbstverständlich der Letzte, der etwas dagegen hat 😉

All diese Bemühungen verändern jedoch – sofern sie ernstgemeint sind und echte Musterwechsel erfolgen sollen – die Art der Zusammenarbeit:

Das, was bisher galt, gilt zukünftig nicht mehr oder zumindest nicht mehr so ganz. Wenn man das SCARF-Modell in den Hintergrund legt, wundert es nicht, dass Mitarbeiter:innen mit Widerstand auf die neue Situation, auf angeblich neue, moderne Arten der Zusammenarbeit reagieren – egal in welchem Arbeitskontext.

Wenn man außerdem die Besonderheiten sozialer Organisationen und die Besonderheiten sozialer Arbeit berücksichtigt, wird deutlich, dass der alleinige Ruf nach „mehr Agilität“, nach Eigenverantwortung der Mitarbeiter:innen und Co. nicht immer der Weisheit letzter Schluss ist:

Wenn die Mitarbeiter:innen an der Basis tagtäglich mit enormer Unsicherheit konfrontiert sind, macht es bspw. Sinn, anstatt einfach nur mehr Unsicherheit und Eigenverantwortung zu verlangen, Sicherheit in den Rahmenbedingungen, im „Wie“ der gemeinsamen Arbeit zu schaffen.

Konkret habe ich oben die Idee der Leitlinien für die Zusammenarbeit im Team aufgeführt:

Über klar vereinbarte Regeln und Vorgehen und die Einforderung der Einhaltung dieser Regeln wird die Unsicherheit auf Seiten der Mitarbeiter:innen zumindest in den Bereichen gesenkt, in denen dies möglich ist:

  • – Was ist das Ziel unserer Arbeit?
  • – Welche Werte leiten unser Handeln?
  • – Wer im Team hat welche Rolle und Zuständigkeiten?
  • – Welche Prozesse können wir wie gestalten?
  • – Wo ist Zeit für persönlichen Austausch, wo arbeiten wir aber konkret an Ergebnissen?
  • – Wie werden Entscheidungen getroffen?

Das widerspricht überhaupt nicht den agilen Arbeitsweisen, im Gegenteil:

Agilität braucht klare Strukturen.

Die Arbeit mit dem SCARF-Modell im Team

Das SCARF-Modell eignet sich super für Teamentwicklungen und die Gestaltung der Zusammenarbeit.

Denkbar ist, dass sich zu Beginn eines Workshops und der Vorstellung des Modells jede:r Mitarbeiter:in bezogen auf die fünf Bereiche zum aktuellen Zeitpunkt einordnet. Daraus wird auch deutlich, welches Bedürfnis für wen im Team welche Bedeutung hat. Daran anschließend wird (anonym oder offen) abgefragt, wie denn für jede:n die optimale Situation aussehen würde – ein klassischer Soll-Ist-Abgleich.

Im Anschluss diskutiert ihr die Ergebnisse im Team.

Wie Andreas Diehl sehr passend schreibt:

„Damit erhältst Du nicht nur einen Spiegel deiner Teamdynamik, sondern siehst als Führungskraft, welche Faktoren unter Umständen mehr Aufmerksamkeit benötigen. Vor allem aber stärkt das die Verbundenheit im Team. Denn plötzlich sieht jeder, dass es den anderen genauso geht.“

Außerdem kann das Modell eine spannende Grundlage für Mitarbeiter:innengespräche sein, die tiefer gehen als das übliche, strategisch orientierte Blabla…

Die individuelle Arbeit mit dem SCARF-Modell

Neben der Arbeit im Team und die Möglichkeiten, die sich daraus für die Teamgestaltung ergeben, ist das Modell auch für die Betrachtung der eigenen beruflichen Situation sehr hilfreich:

Wie steht es in Deinem beruflichen Kontext um

  • – Status,
  • – Sicherheit,
  • – Autonomie,
  • – Verbundenheit und
  • – Fairness?

Und was kannst Du tun, um einen vielleicht für Dich nicht passenden Bereich zu verbessern? Dazu hilft es wenig, von heute auf morgen zu kündigen oder Dir große, neue Ziele zu setzen, ohne zu wissen, wie Du diese erreichen kannst.

Hilfreicher ist es oft, zu überlegen, welche kleinen Schritte Du jetzt tun kannst, um Verbesserungen zu erreichen:

  • – Welche Mittel hast Du jetzt zur Verfügung?
  • – Wen kennst Du, der/die Dir vielleicht einen Schritt weiterhelfen kann?
  • – Welche neuen Ideen und Möglichkeiten, welche neuen Ressourcen ergeben sich daraus?

Ich für meinen Teil habe durch die Selbständigkeit den Bereich „Sicherheit“ natürlich maximal reduziert, was meinen inneren Sicherheitsbeauftragten immer wieder zur Verzweiflung bringt. Aber was kann ich jetzt, heute, mit den vorhandenen Mitteln tun, damit dieser trotzdem befriedigt wird? Zum Beispiel Blogbeiträge schreiben 😉

Ach ja, es kann auch Sinn machen, außerhalb Deines Berufs zu schauen, ob Du Deine Bedürfnisse besser erfüllen kannst: Vielleicht gibt Dir die Vorstandschef im Kaninchenzuchtverein das, was Du im Beruf nicht findest?

Motivation behalten

Zusammenfassend ist das SCARF-Modell sehr gut geeignet, auf die Bedürfnisse zu schauen, die es braucht, um die Motivation aufrecht zu erhalten – aus beiden Perspektiven:

  • – Als Führungskraft kannst Du darauf schauen, was es in Deinem Team braucht, damit Deine Mitarbeiter:innen motiviert bleiben.
  • – Und Du selbst kannst für Dich schauen, was Du brauchst, damit Du Deine Motivation im Job nicht verlierst.

Dabei gilt es immer, auch die Rahmenbedingungen im Blick zu halten, die Deine aktuelle Tätigkeit beeinflussen. Die Rahmenbedingungen sind manchmal gestaltbar, manchmal aber auch nicht.

Aber genau daraus kannst Du dann ableiten, was es für Dich und Dein Team zum aktuellen Zeitpunkt braucht.

In diesem Sinne: Frohes Schaffen! 😉

Der IdeeQuadrat New Work Canvas – ein einfaches Tool für die Organisationsentwicklung

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Hä, was? IdeeQuadrat New Work Canvas? Was ist das nun wieder und braucht wirklich jede:r ein eigenes Canvas? Ja, ich verstehe schon, aber ich will hiermit so etwas wie meine „Hintergrundfolie“ in Organisationsentwicklungsprozessen mit Dir teilen. Außerdem erfährst Du, wie Du in Deinem Team oder Deiner Organisation mit dem IdeeQuadrat New Work Canvas arbeiten kannst.

So habe ich im letzten Jahr immer wieder spannende Einblicke in verschiedenste Organisationen gewinnen dürfen und mit diesen Strategien entwickelt, Führungskräfte begleitet, Organisationsstrukturen neu gestaltet oder die selbstbestimmt agierender Teams auf den Weg gebracht und begleitet.

Bei all den Themen liegt für mich immer ein Bild der Gesamtorganisation bzw. des Teams, mit dem ich arbeite, im Hintergrund. Und dieses Bild, die Hintergrundfolie will ich hier mit Dir teilen:

Der IdeeQuadrat New Work Canvas: Gesamtbild und Methode

Der IdeeQuadrat New Work Canvas dient – wie gesagt – dazu, nicht nur einen begrenzten Teil der Organisation wahrzunehmen, sondern die Organisation bestmöglich als „soziales System“ und damit – Achtung, Buzzword – ganzheitlich zu betrachten.

Aber schon hier die Einschränkung:

Ein Canvas als Bild und Methode ist immer eine Komplexitätsreduktion und nicht die Wirklichkeit. Ein Canvas dient aber auch genau dazu: Die komplexe Wirklichkeit besprechbar und damit gezielt bearbeitbar zu machen, ohne in endlose und nicht zielführende Diskussionen über „alles und nichts“ zu verfallen.

Neben dem Gesamtbild dient der IdeeQuadrat New Work Canvas aber auch als Methode, um gezielt an bestimmten Bausteinen bzw. „Kategorien der Organisation“ zu arbeiten und diese im Sinne des Zwecks der Organisation bzw. des Teams weiterzuentwickeln.

Der IdeeQuadrat New Work Canvas als Gesamtbild der Organisation

Die Gestaltung der Canvas basiert auf verschiedenen Management-Modellen. Zu nennen ist insbesondere das St. Galler Management-Modell, außerdem das New Work Canvas der Neue Narrative und das „Operating System Canvas“ von the ready.

Über die Zusammenführung dieser Modelle habe ich versucht, einen Gestaltungsrahmen für Führungskräfte abzubilden, der die eigene Organisation ganzheitlich betrachten lässt und daraus Probleme sowie Lösungsoptionen zu identifizieren hilft.

Der IdeeQuadrat New Work Canvas soll außerdem genügend Flexibilität bieten, je nach Herausforderung passende Methoden und Lösungsansätze anzuwenden und – sofern erfolgreich – zu implementieren.

Inhaltlich strukturiert sich der Canvas anhand von neun Kategorien, die aber nicht „übereinander“ stehen und damit eine unterschiedliche Wertigkeit haben. Vielmehr stehen die Kategorien „auf Augenhöhe“ nebeneinander. Sie bilden damit so etwas wie das „Grundgerüst“ der Organisation.

Und in der Canvas sind den Kategorien jeweils Aussagen zugeordnet:

Vision, Zweck und Identität

  • Wir haben eine klar definierte Vision!
  • Wir orientieren unsere Entscheidungen an dieser Vision und an den Bedarfen unserer Nutzer*innen!
  • Allen ist klar, wozu es uns als Team/Organisation gibt!
  • Die Mission, der Zweck unserer Organisation und jedes Teams in unserer Organisation sind definiert!
  • Wir kommunizieren den Zweck aktiv nach innen und außen!
  • Unser Zweck hilft uns, Entscheidungen zu treffen!

Sachmittel und Ressourcen

  • Wir stehen finanziell gut da!
  • Wir investieren Zeit und Geld!
  • Der Zustand von Gebäuden und Ausstattung ist den Anforderungen zur Erfüllung unseres Zwecks angemessen!
  • Unsere Strategien beeinflussen die Ressourcenzuteilung sinnvoll!
  • Unsere digitale Infrastruktur ist zeitgemäß aufgestellt!
  • Wir entwickeln unsere Sachmittel und Ressourcen passfähig weiter!

Optimierung und Innovation

  • Es ist für alle Mitarbeiter:innen transparent, wie wir lernen und uns weiterentwickeln!
  • Wir haben ein lebendiges Innovationsmanagementsystem implementiert, in dem dargelegt ist, wer wie Ideen zu Innovationen werden lässt und wer beteiligt wird!
  • Wir beziehen die Nutzer:innen in die Innovationsentwicklung mit ein!
  • Wir haben lebendige Routinen zur Reflexion bestehender Angebote, Dienstleistungen und Prozesse etabliert!
  • Wir haben Routinen eingeführt, die unsere Organisation von unnötigem Ballast entschlacken!

Strukturen

  • Die Aufbauorganisation (Organigramm) ist allen Mitarbeiter:innen bewusst!
  • Wir entwickeln die unsere Aufbauorganisation, die Struktur unserer Teams, unsere Regeln und Vorgaben kontinuierlich weiter, um den Zweck der Organisation bestmöglich erfüllen zu können!
  • Wir haben klare und gleichzeitig flexible Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten in unserer Organisation/im Team in Mandaten kompetenzbasiert geregelt!
  • Wir ermöglichen bereichsübergreifende Zusammenarbeit, um so die komplexen Herausforderungen bewältigen zu können!

Interne und externe Stakeholder

  • Die Kompetenzen der bei uns arbeitenden Menschen korrelieren mit unseren heutigen und zukünftigen Anforderungen!
  • Wir gestalten unser Lernen und persönliche Entwicklung aktiv und zukunftsorientiert!
  • Wir haben lebendige Routinen zum Umgang mit internen Konflikten etabliert!
  • Wir kennen unsere externen Stakeholder (Politik, Kostenträger, Angehörige…)!
  • Wir arbeiten vertrauensvoll mit unseren externen Stakeholder zusammen und binden diese in Entscheidungen ein!

Prozesse

  • Unsere Kern-, Unterstützungs- und Managementprozesse sind definiert und bekannt!
  • Unsere Prozesse werden verbindlich gelebt!
  • Wir haben Routinen etabliert, um unsere Prozesse regelmäßig weiterzuentwickeln!
  • Standardisierbare Prozesse sind auf allen Ebenen digitalisiert!
  • Wir haben Routinen etabliert, wie wir den Überblick über unsere Projekte und Aufgaben behalten!

Strategien und Konzepte

  • Wir haben klare und sinnvolle strategische Stoßrichtungen für die (nahe) Zukunft definiert!
  • Die Umsetzung der Strategien wird von uns aktiv vorangetrieben!
  • Unsere Strategien korrespondieren mit unseren Stärken!
  • Wir sind offen für irritationsrelevante Impulse aus unserer Umwelt!
  • Wir entwickeln, verfeinern und erneuern unsere Strategien kontinuierlich!
  • Unsere Strategien leiten uns in unseren alltäglichen Entscheidungen!

Mandate und Funktionen

  • Wir haben in der Organisation und den Teams klare Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten (Mandate) definiert, um selbstbestimmtes Arbeiten zu fördern!
  • Die Verantwortlichkeiten der Mandate sind definiert und die benötigten Kompetenzen bekannt!
  • Wir haben Routinen zur Wahl der Mandate innerhalb der Teams etabliert, die sicherstellen, dass die Mandate kompetenzbasiert vergeben werden.
  • Die Mitarbeiter*innen übernehmen verbindlich die gemeinsam vereinbarten Aufgaben!

Kommunikation

  • Jede unserer Teamsitzungen hat einen Zweck und eine klare Struktur?
  • Es ist klar, wer an Treffen teilnehmen muss und warum!
  • Besprechungen werden moderiert und die Ergebnisse werden dokumentiert!
  • Wir haben Routinen erarbeitet, um nicht zweckdienliche Besprechungen zu verbessern (oder zu streichen)!
  • Unsere Kommunikationswege sind auch außerhalb der Besprechungen zweckdienlich!
  • Informationen und Wissen sind transparent zugänglich!

Über die Aussagen zu den jeweiligen Kategorien soll deutlich werden, wo Deine Organisation bzw. das Team steht. In der Arbeit mit der Canvas reicht dazu eine einfache Rating-Skala (1 – trifft gar nicht zu … 10 – trifft voll zu) . Darüber erhältst Du einen ersten Einblick in den Stand Deiner Organisation (oder auch Deines Teams).

Der IdeeQuadrat New Work Canvas lässt sich also in einem ersten Schritt als ein Tool zur IST-Analyse bezogen auf die verschiedenen Kategorien nutzen.

Download: Hier den IdeeQuadrat New Work Canvas herunterladen!

Der IdeeQuadrat New Work Canvas als Grundlage zur Organisationsentwicklung

Aber neben der Übersicht über die Gesamtorganisation und die Erarbeitung des Status Quo dient der Canvas auch als Methode, mit der zu jeder Zeit an der Organisation oder auch der Gestaltung des Teams gearbeitet werden kann.

Die Nutzung des Canvas als Tool zur Organisationsentwicklung funktioniert alleine, besser aber noch im Team. Ebenso ist es möglich, den Canvas in Großgruppenveranstaltungen (bspw. als Orientierung in einem Open Space) einzusetzen.

Und so gehst Du vor:

Methodisches Vorgehen

Auf der zweiten Seite des Canvas ist das Vorgehen abgebildet.

In einem ersten Schritt ist es notwendig, eine Kategorie auszuwählen, in der Veränderungen angegangen werden sollen (bspw. die Kategorie „Mandate und Funktionen“).

Daran anschließend folgt ihr als Team der Change-Formel (vgl. Seliger, 2022, 54ff), die ich noch ein wenig erweitert habe. Ihr beantwortet die unter dem jeweiligen Punkt der Change-Formel aufgeführten Fragen (die ich hier nicht wiederhole, sie stehen auf der Canvas) zu den fünf Schritten:

  1. Driver
  2. Vision
  3. Ressources
  4. First steps
  5. Reflection

Dazu noch zwei Hinweise:

Bearbeitet die einzelnen Schritte nacheinander und beachtet, dass nur dann, wenn alle Bausteine – D + V + R + F + R – zusammenkommen, sich die Möglichkeit kontinuierlicher Veränderung ergibt. Sobald ein Baustein fehlt, geht die Veränderungsenergie verloren und ihr bleibt stecken.

Außerdem verlaufen Veränderungen sozialer Systeme nie linear, sondern eher in Wellen oder Kreisen („zwei Schritte vor, einer zurück“). So gilt es immer wieder, innezuhalten, zu reflektieren, Zeit zu lassen und einen neuen Anlauf zu wagen.

Schritt für Schritt zur zeitgemäßen, bedarfsgerechten Organisation

Bei der Beschäftigung mit den Fragen der Canvas wird deutlich, dass es nicht immer hilfreich ist, die Gesamtorganisation zu transformieren und ein völlig neues „Betriebssystem zu installieren“ oder alles umzukrempeln.

Gerade die kleinen Baustellen in den einzelnen Kategorien, die schnell und aktiv angegangen werden, bringen oft die größte Verbesserung. Denn die kleinen Impulse und Irritationen sind es, die ein System in Bewegung versetzen.

Und manchmal muss man gar nicht verändern, sondern mit etwas aufhören, um weiterzukommen.

Und jetzt:

Ladet den IdeeQuadrat New Work Canvas herunter und arbeitet damit oder gebt ihn an interessierte Menschen weiter. Mich würde sehr interessieren, ob und wie ihr mit der Canvas gearbeitet habt. Außerdem interessiert mich, wo ihr Entwicklungsoptionen der Canvas seht. Lasst dazu doch gerne einen Kommentar da…

Ach ja, ich begleite Euch natürlich auch gerne in der Arbeit an Eurer Organisation 😉 Dazu könnt ihr hier einfach Kontakt aufnehmen.

Danke, oder: Weihnachtsretro 2022

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Mit dem letzten Beitrag im Jahr 2022 will ich Dir einfach nur Danke sagen! Und ja, ich will auch einmal auf das Jahr 2022 – also zurück – schauen. Aber zuerst einmal:

Danke!

Danke dafür, dass Du meine Beiträge liest. Und noch mehr Danke dafür, dass wir (je nach Leser_in) zusammen gedacht, gelacht, gemacht haben. Für mich ist das großartig, an vielen Stellen sogar unglaublich.

Warum?

Das will ich im Folgenden anhand einer kleinen Retrospektive des Jahres 2022 erläutern. Und nein, ich will nicht auf die herausfordernden Seiten des Jahres blicken – gerade weil die Probleme uns von allen Seiten anspringen.

Denn in einem Weihnachtsgruß (danke an dieser Stelle an alle Weihnachtsgrüßler_innen) stand der Satz

„Resignation ist keine Option!“

Aber los jetzt, wie war das oder besser: mein Jahr 2022?

Was war richtig gut?

Punkt 1: Das Jahr aus Perspektive von IdeeQuadrat.

Ja, wir reden in good old Germany nicht über Geld und Du wirst hier auch nicht mehr erfahren als die Tatsache, dass es mir gelungen ist, meine Familie auch mit selbständiger Arbeit nicht verhungern zu lassen. Das ist natürlich völlig untertrieben: Es war ein geschäftlich gutes Jahr (wenn wir mal das Finanzamt außen vorlassen…). Und das ist, vor allem wenn ich an den Beginn des Jahres denke, unglaublich. Dazu aber später mehr.

Dass es ein gutes Jahr war resultiert natürlich aus Dir, aus Euch, aus den Menschen, mit denen ich zusammen arbeiten durfte. Und die Menschen waren wirklich immer richtig gut.

Jede*r, mit dem ich zusammenarbeiten durfte, hatte das Bedürfnis, Dinge in die Hand zu nehmen, die eigene Organisation zu entwickeln, andere Menschen über Veranstaltungen zu inspirieren, dazu anzuregen, über den Tellerrand des mehr als herausfordernden Business as Usual hinauszuschauen.

Richtig gut war auch die Entscheidungen, eigene, kleine Online-Workshops durchzuführen. Auch darüber habe ich viele neue Menschen kennengelernt und konnte hoffentlich einige Ideen weitertragen, die dann in der eigenen Organisation Wurzeln schlagen und zu echter Entwicklung führen.

Und richtig gut ist es, jetzt einige Tage innehalten zu können und nicht zu arbeiten 😉

Was habe ich gelernt?

Ich habe gelernt…

…wie unfassbar großartig die Arbeit ist, die in vielen Einrichtungen und Organisationen trotz herausfordernder Bedingungen geleistet wird.
…dass es 2022 leider besser war, das Auto anstatt den Zug zu nehmen.
…dass es nicht reicht, Veränderung einseitig zu betrachten, sondern immer das komplexe, zu verändernde System mit allen Facetten mitgedacht werden muss.
…besser meinen eigenen, dunklen Seiten und tief verborgenen Ängsten begegnen zu können, ohne gleich wegzurennen.
…mehr Vertrauen in mich und die Menschen um mich herum zu haben.

Ich habe das Jahr 2022 mit dem Versuch einer Vorausschau, mit meiner Strategie 2025 gestartet, die unter dem Titel „Verführungen am äußeren Rand der Panikzone“ stand.

Dazu lässt sich zusammenfassend sagen, dass ich 2022 Gott sei Dank aus der Panikzone in die Lernzone gelangt bin. Nein, die Lernzone ist nicht meine Komfortzone.

Und das ist gut so.

Was hat mir gefehlt?

2022 hat mir schon an manchen Tagen das Vertrauen in mich und meine Entscheidung gefehlt. Ich habe mich selbständig gemacht. Krasser Scheiß! Von vielen Menschen habe ich gehört, wie mutig das gewesen wäre.

Ich habe dann immer geantwortet, dass der Grat zwischen Mut und Wahnsinn ziemlich schmal ist – vor allem dann, wenn man nicht nur für sich da ist, sondern für eine Familie mit drei Kindern Verantwortung trägt.

Gefehlt hat mir an manchen Stellen Unterstützung dahingehend, dass es so viele große Themen zu bearbeiten gibt, die aber allein nicht angegangen werden können, da die zeitlichen Ressourcen dafür fehlen. Zum einen heißt es hier Abstand nehmen und sich auf den eigenen Circle of Influence zu fokussieren.

Zum anderen bleiben Gedanken, Ideen, Visionen, wie IdeeQuadrat sinnvoll, gut und sicher wachsen und sich entwickeln kann.

Und noch ein ähnlicher, aber übergreifender Aspekt, der mir gefehlt hat:

In meinem letzten Newsletter habe ich mich über die bei Kund_innen fehlenden Ressourcen für wirklich nachhaltige Veränderung aufgeregt.

Um aber von der Funktionsoptimierung zum Prozessmusterwechsel (vgl. Kruse, 2020, 24ff), zum Neuen, zu innovativem Handeln gelangen zu können, braucht es Mut zum Risiko. Es gilt, die Unsicherheit in Phasen der Instabilität auszuhalten. Prozessmusterwechsel gelingen dann, wenn Systeme in aus der Stabilität in „kritische Instabilität“ (vgl. ebd., 61) versetzt werden und von dort aus Neugestaltung stattfinden kann (der Beginn der Pandemie war ein gutes Beispiel).

Um die Phasen der Unsicherheit, der kritischen Instabilität auszuhalten und bewältigen zu können, sind jedoch wiederum Ressourcen notwendig, wenn gleichzeitig zur Neugestaltung der „Laden am Laufen gehalten“ werden soll. Und diese Ressourcen fehlen angesichts der zu 120% ausgelasteten Systeme, sozialen Organisationen, Einrichtungen an vielen Stellen.

Das ist nur zum Teil eine Frage der Prioritäten der Mittelverwendung der Organisationen. Es ist vor allem eine Frage der angemessenen Finanzierung sozialer Dienstleistungen. Diese muss es ermöglichen, einen angemessenen Overhead für wirksame Personal- und Organisationsentwicklung bereitzustellen.

Abschließend hat mir mit Blick auf die gesellschaftlichen Entwicklungen (immer noch) gefehlt, dass unsere Branche angemessen in der öffentlichen Wahrnehmung berücksichtigt wird. Angesichts der Polykrisen unserer Zeit und der Möglichkeiten der Sozialwirtschaft, in diesen Krisen echte Lösungen zu bieten, ist das dramatisch.

Die fehlende Aufmerksamkeit ist sicherlich ein hausgemachtes Problem: Politische Kommunikation, Selbstvermarktung, „einen auf dicke Hose machen“ liegt uns nicht unbedingt und wird auch im Studium nicht vermittelt. Die Sozialwirtschaft tut Gutes, redet aber nicht darüber.

Und dann kommen „Social Entrepreneurs“, deren Beitrag zur Innovation sozialer Dienstleistungen ich in keinster Weise in Abrede stellen will, die aber mit „einfachen Lösungen“ wunderbar an die Politik andocken können. Politik braucht kurze Antworten, Politik braucht Lösungen, die medienwirksam „rausgehauen“ werden können. Da passen komplexe, systemische Herangehensweisen nicht so geil (wahrscheinlich ein Wort, das niemand mehr nutzt, außer so GenXler).

Hier müssen wir in Zukunft nachlegen.

Wonach sehne ich mich?

Ich will diesen letzten Punkt nicht vertieft besprechen. So müsst ihr Euch darauf einstellen, auch einen Beitrag zum Ausblick für 2023 zu lesen. Das kommt dann aber im Januar 😉

Nur ein paar Gedanken:

Angesichts des oben Geschriebenen sehne ich mich 2023 nach mehr Vertrauen in meine Entscheidungen.

Und ich sehne mich danach, meine „Work-Life-Balance“ besser in den Griff zu bekommen. Darin, im Ausgleich, im Finden der guten Mitte zwischen Anspannung und Entspannung, in der Verbindung aus Ying und Yang war ich noch nie gut. In der Selbständigkeit ist das nicht unbedingt von Vorteil 🙂

Ich sehne mich auch danach, Ideen, Möglichkeiten, Gedanken, Methoden, Herangehensweisen, Fragen zu den mich beschäftigenden Themen tiefer durchdenken zu können. So habe ich gelernt – ein Punkt für oben – das es einen Unterschied gibt zwischen Arbeit und bezahlter Arbeit. Ich liebe es, zu schreiben, zu denken, zu verbinden, zu recherchieren, um darüber zu Antworten zu kommen, die auf den ersten Blick nicht offensichtlich waren. Hier würde ich gerne mehr reingehen.

Und jetzt sehne ich mich danach, abzuschalten, rauszukommen, Family und Weihnachten zu genießen, die Rauhnächte zu erleben und das, was war, loszulassen, offen zu werden, mich wieder zu sammeln und auf das Neue zu fokussieren.

Habt eine gute Zeit, gesegnete Weihnachten, einen guten Start ins Jahr 2023! Und noch einmal:

Danke!

P.S.: Die Grafik oben ist von meiner Tochter, K1 😉

Quellen

Kruse, Peter, Andreas Greve, und Frank Schomburg. Next practice – erfolgreiches Management von Instabilität: Veränderung durch Vernetzung. 9., um Ein Geleitwort erweiterte Auflage. Offenbach: GABAL, 2020.

Die Gallup Studie – the other way round…

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Wahrscheinlich kennt inzwischen jede*r die Gallup Studie? Diese misst – ja, was eigentlich? Sie misst – so die Aussagen auf der Homepage – seit 2001 wie hoch der Grad der emotionalen Bindung der Mitarbeitenden an ihren Arbeitgeber ist und damit ihr Engagement und die Motivation bei der Arbeit. Naja, hier ließen sich schon einige Fragen stellen, aber ich will es mal so stehen lassen.

Bezogen auf die jüngsten Ergebnisse – die Gallup Studie 2021 – werden die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Beschäftigte und den deutschen Arbeitsmarkt untersucht und, so Gallup, „folgende Aspekte vertieft:

  • Wechselbereitschaft & Arbeitsmarkt: Zahl der Beschäftigten auf Jobsuche erreicht Spitzenwert – Kündigungswelle bald auch in Deutschland?
  • Dauer-Stresstest Corona: Burn-out-Gefahr nimmt zu
  • Recruiting: HeadhunterInnen verstärkt auf Jagd nach Talenten
  • Schutzimpfung emotionale Bindung: Wie Unternehmen und Führungskräfte dem Wettbewerb um Talente entgegensteuern können“

Bei der Studie kommen dann über die Jahre hinweg ähnlich Ergebnisse heraus, die sich in der berühmten Grafik zeigen (die ich hier aus Urhebergründen nicht zeigen darf 😉

Aber die Grafik ist leicht erklärt:

Mit leichten Schwankungen bewegt sich die Anzahl der Mitarbeitenden mit hoher emotionaler Bindung immer irgendwo um die 15% (der „grüne“ Wert), die Anzahl der Mitarbeitenden mit geringer Bindung bei etwa 70 % (gelber Wert) und die Anzahl der Mitarbeitenden, die keine Bindung (roter Wert) mehr aufweisen, bei etwa 15 %. Grün, gelb, rot; 15 – 70 – 15.

Easy.

Keiner hat Bock zu arbeiten!?

Die verbreitete Lesart ist:

„Oh mein Gott, nur 15% unserer Mitarbeiter*innen sind emotional stark gebunden.“

Und ja, angesichts der Zeit, die wir auf Arbeit verbringen, ist das ein beängstigend niedriger Wert:

Eigentlich haben 85% der Menschen nicht wirklich Bock, die Arbeit zu verrichten, die sie verrichten.

Aber welche Lesart könnte noch angelegt werden?

Vorüberlegungen aus globaler und nationaler Perspektive sowie der Perspektive der Sozialwirtschaft

Dazu ein paar kurze Vorüberlegungen aus globaler und nationaler Perspektive sowie der Perspektive der Sozialwirtschaft:

Globale Ebene

Global betrachtet sind die Ausführungen von Otto Scharmer immer wieder mehr als lesenswert.

In seinem neuesten Beitrag (der dankenswerterweise auch in einer Übersetzung vorliegt) schreibt Scharmer, dass wir in einer Zeit des beschleunigten Zusammenbruchs und Kollapses leben:

„Wir sehen die Symptome dafür in der Verschlechterung unseres Ökosystems, die im Falle von Überschwemmungen und Dürren oft als “die schlimmste seit 1.000 Jahren” beschrieben wird. Wir sehen es an der Destabilisierung des Klimas, dem Absinken des Grundwasserspiegels, dem Verlust des Mutterbodens und dem alarmierenden Verlust der biologischen Vielfalt. Wir sehen die Symptome des Zusammenbruchs der sozialen Systeme in einem erhöhten Maß an Polarisierung, Ungleichheit, Rassismus, Gewalt und Krieg sowie in den Anfängen der klimabedingten Massenmigration.“

Scharmer bietet in dem Beitrag auch Lösungswege an.

Demnach gilt es unter anderem (aber prioritär) „unsere Systeme für Bildung und lebenslanges Lernen um[zu]gestalten. Während wir uns vielerorts vom Auswendiglernen zu stärker lernerzentrierten Modalitäten entwickelt haben, konzentriert sich die Bildung weiterhin auf individuelles Lernen und den Aufbau von Kapazitäten. Wir sind weit entfernt von Bildungsmodellen, die die Fähigkeit zum gemeinsamen Spüren und zur gemeinsamen Gestaltung der Zukunft aufbauen“ (ebd.).

Übrigens fand ich die Episode des Podcasts „Hotel Matze“ mit Ulrike Herrmann, die die Frage stellt, wie wir uns vom Kapitalismus befreien können, unglaublich spannend. Ihre Idee ist die Rückkehr ins Jahr 1978 und zur britischen Kriegswirtschaft.

Klingt komisch, ist aber eine mehr als hilfreiche, vor allem realistische Betrachtung des Zustands unserer Welt.

Nationale Ebene

National betrachtet sehen wir in und nach der Pandemie sowie befeuert durch den Krieg in der Ukraine und die damit einhergehenden, hochkomplexen Fragen der Energiesicherheit ein Erstarken rechter Parteien. Die Wahlergebnisse in Niedersachsen, bei denen die Deppen von der AfD ihr Ergebnis seit der letzten Wahl – ohne Inhalte, Ideen und Lösungen – fast verdoppeln konnten, sprechen hier eine deutliche Sprache.

Parallel dazu steuern wir durch die demographische Entwicklung in Deutschland auf einen massiven Arbeitskräftemangel zu, der zum einen das Problem mit sich bringt, dass in einigen Branchen eben die Arbeitskräfte fehlen. Zum anderen ist aber völlig offen, wie sich auf Basis der in den nächsten Jahren massiv steigenden Anzahl von Rentner_innen und einer gleichzeitig abnehmenden Anzahl von Arbeitsnehmer_innen das Rentensystem in irgendeiner Weise aufrechterhalten lässt.

Ich scherze immer mal wieder, dass ich ja nur noch 40 Jahre zu arbeiten habe und Holger macht sich Sorgen, dass bei seiner Verabschiedung kaum noch jemand in seiner Organisation arbeitet, der ihn verabschieden könnte 😉

Nein, ernsthaft: Da kommt was auf uns zu, was wir uns gesamtgesellschaftlich noch nicht vorstellen können.

Ebene der Sozialwirtschaft

Und bezogen auf die Sozialwirtschaft schreibt Joss Steinke auf Twitter:

https://twitter.com/JossSteinke/status/1578346691094192128

Das könnte man jetzt als überspitzt und zu hart betrachten.

Mein Eindruck hingegen aus verschiedenen sozialen Organisationen unterschiedlicher Arbeitsfelder unterstreicht die Aussage von Joss – nicht nur bezogen auf die Energiekrise:

Wenn die Menschen im sozialen Bereich nicht eine unglaublich hohe intrinsische Motivation und eine Gott sei Dank tief verwurzelte Berufsidentität mitbringen würden, die auf anderen als monetären Werten fußt, wäre der Zusammenbruch des Systems schon deutlich greifbarer als er von außen scheint.

Ach, und wer über geschlossene Kitas und die damit nicht mehr gegebene Möglichkeit jammert, gemütlich im Homeoffice zu arbeiten: Das ist die Zukunft! Vielleicht haben Oma und Opa ja Bock, die Kids wieder mehr zu nehmen?

Die Systeme am Rand des Zusammenbruchs

Was will ich sagen?

Ich will sagen, dass viele unserer Systeme auf globaler und nationaler Ebene ebenso wie einzelne Funktionssysteme unserer Gesellschaft am Rande des Zusammenbruchs stehen. Der kurze Hinweis auf einen Blick in den Iran sei hier noch gestattet. Das Akronym BANI kommt mir mal wieder in den Sinn.

Aber was hat das mit der Gallup-Studie zu tun?

Der Gedanke ist recht einfach:

In jeder Keynote (so heißen Vorträge in anderen Branchen) wird propagiert, dass wir „Organisationsrebellen“ bräuchten, die den Status Quo infrage stellen, um Innovation und echte Weiterentwicklung zu ermöglichen.

Die Organisationsrebellen sind aber nicht die Menschen, die sich mit den Zuständen, dem Bekannten, dem System, wie es ist, zufrieden geben.

Die Menschen im roten Bereich der Gallup Studie

Was wäre, wenn die Menschen im roten Bereich der Studie – die „emotional nicht Gebundenen“ – nicht die Menschen sind, die lieber entspannt ne Stunde früher Feierabend machen, sondern genau die Menschen sind, die sich eben mit den Zuständen nicht zufrieden geben?

Was wäre wenn es genau diese Menschen in den Organisationen sind, die die Systeme zu hinterfragen?

Was wäre, wenn es sich lohnt, den Fokus anstatt auf die „grünen, emotional hoch Gebundenen“ auf die „emotional nicht Gebundenen“ zu richten und deren Energie und Ideen zu nutzen, an der Veränderung der Systeme zu arbeiten?

Vielleicht – und das ist eine reine Vermutung – haben die Menschen im roten Bereich ja Antworten, die sich dringend zu hören lohnen? So ist klar:

Nur „dagegen“ sein, ist kein Weg. Es braucht Ideen, neue Lösungen, komplexes Denken und Handeln, es braucht (soziale) Innovationen und die „Hoffnung, dass es besser wird“.

Antworten, die sich zu hören lohnen

Daher der Hinweis:

Schaut auf die Menschen, die emotional nicht gebunden scheinen. Vielleicht sind sie viel mehr gebunden als angenommen. Nur eben nicht an das Bestehende.

Schaut auf die Menschen, die anscheinend „gegen die Organisation“ arbeiten. Verurteilt diese Menschen nicht vorschnell, sondern geht mit ihnen in ernsthafte Gespräche, in einen Dialog „auf Augenhöhe“.

Versucht, wirklich zuzuhören und offen zu sein für andere Sichtweisen.

Vielleicht haben die Menschen Antworten, Ideen, Lösungen, die bislang Tabus und blinde Flecken bleiben konnten, heute und morgen aber dringend benötigt werden, um unsere Sozialsysteme, unsere Gesellschaft und unsere Lebensgrundlage aufrechtzuerhalten.

New Work als abschließender Gedanke

Eine Auseinandersetzung – ich meine eine ernsthafte Auseinandersetzung – mit dem Konzept „New Work“ und den Ideen von Bergmann kann hier ebenfalls weiterhelfen.

„New Work“ ist eben gerade keine „Lohnarbeit im Minirock“, keine aufgehübschte Arbeitswelt, in der die Menschen mit Ideen von Homeoffice und Selbstverantwortung in den bestehenden Systemen weiter ausgequetscht werden.

New Work ist eine Abkehr insbesondere von dem bestehenden System der Lohnarbeit, das uns die Probleme eingebrockt hat, vor denen wir auf allen Ebenen unserer Gesellschaft stehen.

Bei New Work geht es um weit mehr als um die Frage, was die Menschen in den bestehenden Systemen „wirklich, wirklich tun wollen“. Es geht um die Gestaltung von neuen, völlig anderen, undenkbaren, utopischen Systemen, die unsere Lebensgrundlagen aufrechterhalten.

Und vielleicht können die Menschen im roten Bereich der Gallup Studie hierzu passende, neue Anregungen liefern.

Organisationsanalyse: Wie die Taylorwanne zur Betrachtung sozialer Organisationen genutzt werden kann

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Kennst Du die Taylorwanne? Dahinter verbirgt sich ein Modell von Gerhard Wohland, das den groben historischen Verlauf der Marktdynamik und die jeweils dominierenden Produktionstypen sowie die Anforderungen an Kompetenzen der Menschen darlegt. Ich nutze das Modell gerne zur Erläuterung der Notwendigkeit zur Organisations- und Kompetenzentwicklung, die auch für soziale Organisationen von Bedeutung sind. Hier, in diesem Beitrag, will ich den Aufbau der Taylorwanne nicht erläutern, das kann viel besser bspw. hier kurz und übersichtlich nachgelesen werden. Vielmehr will ich das Tool zur Organisationsanalyse „missbrauchen“. Denn ich glaube, dass es hierzu gute Dienste leisten kann.

Der Anlass dieses Beitrags ist die Anmerkung einer Teilnehmerin in einem meiner letzten Führungskräfteworkshops. Sie bezog die Taylorwanne auf die Arbeit in ihrer Organisation. Konkret: Ihre Aussage war, dass sie das Gefühl hat, dass die Mitarbeiterinnen „in der vorindustriellen Zeit“ hängen geblieben sind. Mit Blick auf die Arbeit mit den Klient_innen war die Aussage:

„Wir arbeiten in einem „Meister-Lehrling-Modell“. Wir betrachten uns als die Meister, die bezogen auf die Klient_innen schon wissen, was richtig ist.“

Dieser für mich neue Blick auf die Taylorwanne hat dann zu einer intensiven Diskussion der Teilnehmer_innen geführt.

Organisationsanalyse – Betrachtungsebene 1: Soziale Arbeit aus der Meister-Lehrling-Perspektive

Die eine Gruppe konnte dieser Aussage sehr gut zustimmen:

Die Sozialarbeiter_innen agieren als Expert_innen für die Bedarfe der Klient_innen. Das ist ein grundlegendes Problem Sozialer Arbeit an der Basis: Die Professionellen agieren häufig als Expert_innen für die Belange ihrer Klient_innen. Die wirklichen, vielleicht von den Bedarfen der Sozialarbeiter_innen abweichenden Bedarfe der Menschen geraten dadurch leicht aus dem Blick bzw. werden bewusst nicht wahrgenommen, da sie für die Professionellen deutlich anstrengender, anders, neu… sind, als den gewohnten Stiefel zu fahren.

Übergreifend gedacht eröffnen sich für mich hier auch spannende Parallelen zu Fragen der Führung: Wo agieren Führungskräfte in einer „Meister-Lehrling“-Perspektive ala „Ich weiß schon sehr genau, was hier, in dieser und jener Situation richtig ist“? Auch die oftmals alles blockierende Aussage „Das haben wir hier schon immer so gemacht!“ fällt in diese Kategorie: Ohne alles Alte schlecht reden zu wollen, werden durch diese Haltung neue Entwicklungen, neue Bedarfe der Mitarbeiter_innen, Teams und der Organisation als Ganzes gar nicht in den Blick genommen. Die Orientierung am echten Bedarf der „Nutzer_innen“ findet nicht statt.

Organisationsanalyse – Betrachtungsebene 2: Soziale Arbeit als Fließbandarbeit

Andere Teilnehmer_innen hatten mit Blick auf die Taylorwanne jedoch eher den Eindruck, dass in ihrer Organisation versucht wird, die Arbeit mit den Klient_innen „tayloristisch“ zu gestalten. Es wird versucht – auch ausgelöst durch externe Anforderungen der Kostenträger – die Einrichtung auf Effizienz – auf eine Fließbandlogik – zu trimmen und in einer zweckrationalen Denkhaltung alle, alles und jedes in transparente, kausale Prozesse zu pressen.

Auch hier lässt sich wiederum ein etwas distanzierterer Blick einnehmen und auf „die Sozialwirtschaft“ als Ganzes schauen:

Es ist der Funktionslogik Sozialer Arbeit inhärent, tagtäglich Komplexität gestalten zu müssen. Organisationen der Sozialen Arbeit befassen sich in der Regel mit der sozialen Wertschöpfung der Ausnahme.

Hingegen sind die Finanzierungsstrukturen auf die Einhaltung von Vorgaben und Regeln und damit auf die Wertschöpfung der Norm bedacht.

Kurz zur Unterscheidung der beiden Begriffe:

Die Wertschöpfung der Norm fokussiert auf Probleme, für die bereits Lösungen erarbeitet wurden. Das Wissen über diese Lösungen kann per Vorgaben oder per Anweisung weitergegeben werden. Es werden „Prozesse oder Regeln eingerichtet, in die das Wissen so eingearbeitet wird, dass es bei dessen Befolgung zur Anwendung kommt. Auf dieser Idee basiert die gesamte tayloristische Organisationsführung“ (vgl. näher hier) und die Denk- und Handlungsweise der Kostenträger.

Die Wertschöpfung der Ausnahme ist hingegen die Lösung von Problemen, für die es noch kein Wissen gibt. In der Sozialen Arbeit ist jede_r Klient_in individuell zu betrachten, es lassen sich kaum Standardprogramme einrichten. Entsprechend braucht es „Ideen und damit Mitarbeiter, die in bestimmten Problemsituationen ein besonders gutes Gefühl für die passenden Ideen entwickeln“ (ebd.).

Zu dem Dilemma der beiden unterschiedlichen Systemlogiken von Sozialen Organisationen und den Kostenträgern habe ich hier bereits einen Beitrag verfasst.

Hinzu kommt noch, dass die für die Bedienung der Anforderungen der Kostenträger notwendigen Prozesse, Regeln und Vorgaben in die Organisationen übertragen werden und dort zu unfassbar umfänglichen Prozessbeschreibungen, QM-Handbüchern und der irrealen Vorstellung der Führungskräfte führen, die Organisation zweckrational steuern zu können.

Historisch lässt sich die Entwicklung hin zu klassisch betriebswirtschaftlichen Prinzipien sowie tayloristischen Denk- und Handlungsweisen und damit zur Ökonomisierung und Managerialisierung der Sozialen Arbeit (vgl. bspw. Michael Meyer/Florentine Maier, 2018, 207) wunderbar nachzeichnen, sprengt hier aber den Rahmen des Beitrags.

Organisationsanalyse – Betrachtungsebene 3: Soziale Arbeit als Co-Creation

Wenn man sich die Taylorwanne in der Ausführung von Bernd Oestereich anschaut, wird auf der dritten Ebene deutlich, dass es in der aktuellen Zeit um Innovation, Experimentieren, um gemeinsames Neugestalten und um die Ko-Kreation neuer Lösungen geht. Die Frage nach dem „Wer“ (im Gegensatz zum „Wie“) und damit die Frage nach den individuellen Fähigkeiten rückt in den Vordergrund.

Übertragen auf die direkte Arbeit mit den Klient_innen in sozialen Einrichtungen eröffnet sich über die Ko-Kreation (näher dazu bspw. in dem Beitrag der Neuen Narrative) eine andere Sichtweise:

(Wo) sind wir in unseren Organisationen soweit, dass Klient_innen zu Co-Creator_innen werden?

In dem oben genannten Workshop, in dem das Thema aufkam, gab es bereits einige Führungskräfte, die ihr Team und ihre Organisation zumindest „auf dem Weg zur kokreativen Arbeit mit den Klient_innen“ beschrieben haben.

Erstmalig begegnet ist mir der Gedanke, dass die Nutzer_innen Sozialer Arbeit die KoKreator_innen ihrer Leistungen sind, bei Otto Scharmer in einem Video zur Theorie U begegnet:

Auf der von ihm beschriebenen vierten Ebene wird die Klientin zur „Co-Creatorin“ und der Sozialarbeiter zur Hebamme.

Hebamme? Klingt gewöhnungsbedürftig, oder?

Aber die Übertragung dieser Denklogik passt für mich ziemlich gut:

Eine Hebamme hilft dabei ein Kind, ein Wunder, etwas Unglaubliches auf die Welt zu bringen. Und im übertragenen Sinne geht es in der Sozialen Arbeit ja auch darum, dabei zu helfen, die in den Klient_innen verborgenen Stärken, die Möglichkeiten, das bislang Verborgene auf die Welt zu bringen. Es geht nicht darum, was die_der Sozialarbeiter_in im Bild des „Meisters“ für die Klient_innen als „Richtig“, als „sinnvoll“ oder „erstrebenswert“ oder gar „gesellschaftlich passend“ ansehen. Es geht – so heißt es in der Definition der Sozialen Arbeit – um die Förderung von Selbstbestimmung und Autonomie der Menschen.

Hebamme ist dazu ein sehr schönes, passendes Bild.

Exkurs: Die Führungskraft als Hebamme zur Ermöglichung von Co-Creation

Photo by Pixabay: https://www.pexels.com/photo/grayscale-photography-of-baby-holding-finger-208189/

Lässt sich das Bild der Hebamme aber auch übertragen auf die Führungsarbeit in Organisationen? Dazu ein kurzer Gedankenexkurs, weg von der Taylorwanne:

Organisationen sollten so gestaltet sein, dass sie ihren Zweck bestmöglich erfüllen können.

Führungskräfte sind aus dieser Perspektive in der Verantwortung, die Strukturen, Rahmenbedingungen, formalen und informellen Regeln und Rituale so zu gestalten, dass wiederum der Zweck bestmöglich erfüllt werden kann. Führungskräfte sind in meinen Augen jedoch nicht dazu da, an den ihnen anvertrauten Mitarbeiter_innen herumzubasteln (und trotzdem können sie gerne Vorbild sein ;-).

Zur bestmöglichen Erfüllung des Zwecks insbesondere sozialer Organisationen sind die Mitarbeiter_innen jedoch unabdingbar. „Der Mensch ist Werkzeug“ in allen Arbeitsfeldern Sozialer Arbeit. Wir haben keinen Hammer, keine Maschinen und keine Roboter, um die immer wieder individuellen Interaktionen mit den Klient_innen zu gestalten.

Entsprechend gilt es für Führungskräfte, Hebamme in Bezug auf die Kompetenzen und Fähigkeiten der Mitarbeiter_innen zu sein, um sie bestmöglich anhand ihrer Fähigkeiten einsetzen zu können.

Und insbesondere dann, wenn es um die zeitgemäße Entwicklung und Gestaltung der Teams oder Organisationen geht, sind Führungskräfte gefragt, als Hebamme das Neue, das Unerwartete, das Zukünftige auf die Welt zu bringen.

Fazit: Die Taylorwanne als Modell zur Organisationsanalyse sozialer Organisationen

Alle beschriebenen Ebenen sind – zumindest aus meiner Perspektive – nachvollziehbar und die Realität in den Organisationen zeigt, dass alle drei Betrachtungsebenen in sozialen Organisationen vorkommen. Teilweise lassen sich die Betrachtungsebenen unmittelbar im Sinne der Organisationsanalyse auf eine Gesamtorganisation beziehen, teilweise finden sich alle drei Ebenen mehr oder weniger ausgeprägt in einer Organisation, teilweise auch in einem Team.

Wenn Du die drei oben beschriebenen Betrachtungsebenen in den Blick nimmst: Wo steht Deine Organisation? Wo steht Dein Team? Und wo stehst Du?

  • Agierst Du und Deine Organisation in einem hochgradig individuellen, ausschließlich auf eine_n Klient_in zugeschnittenen Meister-Lehrling-Setting? Agieren Deine Mitarbeiter_innen als „Expert_innen“ für die Anliegen ihrer Klient_innen?
  • Oder herrscht in Deiner Organisation ein maschinelles, zweckrationales Denken vor? Wird versucht, alles in Prozesse zu pressen? Kommt Dir Deine Organisation wie ein bürokratisches Monster vor?
  • Oder betrachtest Du Dich als Hebamme und versuchst, gemeinsam mit den Dir anvertrauten Menschen – Mitarbeiter_innen wie Klient_innen – deren Potentiale in einem ko-kreativen Prozess auf die Welt zu bringen?

Logo:

Ein Modell – und sei es noch so eingängig – kann nie die komplexe Realität abbilden, aber für mich ist es hilfreich, diese drei Ebenen anzuschauen und mit der Realität in der Organisation und dem Team abzugleichen. Vielleicht hilft es Dir auch zur Organisationsanalyse oder für die Arbeit in Deinem Team? Freu mich auf Deine Einschätzung dazu (gerne in den Kommentaren)!

Plädoyer für die eigene Freiheit, oder: Die Rolle des mittleren Managements im organisationalen Wandel

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In Vorträgen und Impulsen habe ich in den letzten Jahren immer wieder postuliert, dass es für echte, tiefgreifende Veränderung in Organisationen das Committment der obersten Führungsebene braucht. Meine These war, dass nur dann, wenn die oberste Führungsebene, Vorstand oder Geschäftsführung, die Veränderung mitträgt, Veränderung und Transformation gelingen kann. Auf meiner Folie stand meist „Ohne oben geht es nicht!“ Aber ist das wirklich so? Blockieren wir durch das Warten auf die große Transformation oder die Entscheidungen der obersten Führungsebene nicht vielmehr den nötigen Wandel? Macht es nicht vielmehr Sinn, in seinem eigenen Spiel- und Handlungsraum zu schauen, welche Veränderungen angegangen werden können? Oder anders formuliert: Welche Rolle spielt das untere und mittlere Management im organisationalen Wandel? Darum geht es in diesem Beitrag.

Dazu werde ich zunächst auf die Rolle der obersten Führungsebene in Veränderungsprozessen eingehen um dann zu argumentieren, warum den unteren und mittleren Führungsebenen eine besondere Verantwortung im kontinuierlichen Wandel zukommt. Der Beitrag schließt mit einem Plädoyer für die eigene Freiheit.

Die Rolle der obersten Führungsebene in Veränderungsprozessen

Laloux schreibt in seinem immer noch beeindruckenden Buch „Reinventing Organizations“ (vgl. Laloux, 2014, 237ff), dass es zwei notwendige Bedingungen für echte Veränderung gibt:

„The research behind this book suggests that there are two ― and only two ― necessary conditions, in the following two spheres:

  1. Top leadership: The founder or top leader (let’s call him the CEO for lack of a better term) must have integrated a worldview and psychological development consistent with the Teal developmental level. Several examples show that it is helpful, but not necessary, to have a critical mass of leaders operating at that stage.
  2. Ownership: Owners of the organization must also understand and embrace Evolutionary-Teal worldviews. Board members that “don’t get it,” experience shows, can temporarily give a Teal leader free rein when their methods deliver outstanding results. But when the organization hits a rough patch or faces a critical choice, owners will want to get things under control in the only way that makes sense to them―through top-down, hierarchical command and control mechanisms.“

Andere Veröffentlichungen zum Thema Change und Veränderung sprechen ebenfalls vom „Erfolgsfaktor oberste Führungsebene“ (vgl. beispielhaft Eberhardt, 2013, 95). Und auch der Blick auf die Gestaltungsmöglichkeiten von Organisationskultur zeigt, dass, wenn „der einzige Hebel des Managements, die Organisationskultur zu verändern, (…) Veränderungen der Formalstruktur“ sind (Kühl, 2018), die Veränderungen der Formalstruktur formal zu beschließen sind. Und wer kann das tun? Die obere oder oberste Führung.

Wie häufig habe ich eine kleine Umfrage auf Twitter gestartet, die ebenfalls danach fragt, wer denn ausschlaggebend ist für gelingende Veränderungen in Organisationen:

https://twitter.com/HendrikEpe/status/1533375098576568320

Und, auch wenn die Frage zu unterkomplex ist, die Rückmeldungen zeigen wieder die besondere Bedeutung des obersten Managements (lest auch mal die Antworten unter dem Tweet, daraus ergibt sich ein differenzierteres Bild).

Wenn aber Laloux und viele andere Veröffentlichungen (und sogar Twitter!!!111!!!) die oberste Führungsebene als „make – or break factors“ (ebd., 238) definieren, ist zu fragen: Was genau ist das Ziel der dargestellten Veränderungen, was ist die Perspektive auf Veränderung?

Die Perspektive auf Veränderung

Laloux spricht – wenn er von „teal organizations“ spricht – von grundlegenden, tiefgreifenden Veränderungen in der Art, wie Organisationen funktionieren. Seine Ausführungen und die Beispiele wie Buurtzorg in den Niederlanden sind mehr als beeindruckend und – für mich zumindest – als erstrebenswerte Vision einer Arbeitswelt der Zukunft in jedem Veränderungsprozess als Hintergrundfolie mitzudenken.

Aber diese Hintergrundfolie einer erstrebenswerten „New Work“ zeigt das Bild großer Veränderungsprojekte, das Bild der Transformation der Grundlogik, wie wir in Organisationen arbeiten. Es geht in vielen Veröffentlichungen zum Thema Change, New Work und Transformation um enorme, langwierige und aufwendige Veränderungsprozesse, die die „DNA der Organisation“ verändern. Es geht um Veränderungen zweiter Ordnung – Systemveränderungen. Und auch eine Antwort auf meinen o.g. Tweet verdeutlicht dies.

So schreibt Alexander Krause:

Ich will diese Veröffentlichungen, Tweets und Berichte an dieser Stelle gar nicht Kleinreden: Die große Perspektive ist wichtig, hilfreich und notwendig, um eine Vorstellung von dem Möglichen, von dem zu bekommen, was erstrebenswert ist. Mit anderen Worten: Ohne die Arbeit an den Grundlogik unseres Arbeitens und Wirtschaftens werden wir keine tiefgreifenden Veränderungen erreichen.

Aus dieser Perspektive heraus erlebe ich jedoch mindestens zwei Herausforderungen:

Zum einen bleibt oft unklar, wo jenseits von einer Entwicklung des angestrebten Zielzustands genau angesetzt werden kann bzw. was im stressigen Arbeitsalltag – und hier spreche ich insbesondere aus der Perspektive oftmals völlig überlasteter sozialer Organisationen – zur großen, tiefgreifenden Veränderung geleistet werden kann.

Daraus wiederum resultiert ein mehrseitiges Problem: Mitarbeiter_innen und Führungskräfte auf unteren und mittleren Ebenen werden zwar in partizipativen Prozessen eingeladen, sich an Veränderung zu beteiligen. Sie bekommen hier und da auch Einblicke durch spannende Keynotes und Veranstaltungen zum Thema New Work – meist verbunden mit den Herausforderungen, Möglichkeiten und Notwendigkeiten der digitalen Transformation – und dann bleibt unklar, was sie denn wie konkret umsetzen müssen.

Zwar sehen die Kaninchen die Schlange, aber bewegen fällt schwer.

Und die oberste Führungsebene kennt zwar die Schlange beim Vornamen, weiß also genau Bescheid, dass dringend der kulturelle, technologische und nachhaltige Wandel angegangen und umgesetzt werden muss, wartet aber zunehmend frustriert auf die Bewegung der Kaninchen aka der Mitarbeiter_innen und unteren und mittleren Führungsebene.

Und damit bewegt sich – nichts! Es bewegt sich nicht im Kleinen an der Basis und nicht im Großen an der „Spitze“. Alle machen weiter wie bisher.

Alle sind nur etwas frustrierter, da eigentlich jedem und jeder in der Organisation bewusst ist, dass es so nicht mehr lange weitergehen kann und wird! Die Digitalisierung kommt nicht voran, die Veränderungen hinsichtlich des Fachkräftemangels nehmen keine Gestalt an, die Geschwindigkeit der Entscheidungen in der Organisation nimmt ab, die dringend nötigen Anpassungen bzgl. des Wegs zu mehr ökologischer Nachhaltigkeit werden nicht angegangen, die Arbeitskultur bewegt sich weiter auf Ebene von Command and Control, die Konkurrenz schläft nicht und so weiter und so fort…

Zum anderen haben wir es in der Sozialwirtschaft nicht nur mit „uns selbst“ zu tun, sondern mit gesetzlichen Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich die Organisationen mehr oder weniger bewegen können. Das soll keine Ausrede im Sinne von „Wir würden ja, dürfen aber nicht!“ sein. Es erschwert jedoch entweder den Anstoß zur Veränderung oder zwingt durch gesetzliche Anpassungen (bspw. BTHG, KJSG) zur Veränderung – gewollt oder nicht!

Perspektivwechsel, oder: Die Rolle des mittleren Managements im organisationalen Wandel

Wie wäre es aber, wenn wir die Perspektive wechseln. Wie wäre es, wenn wir nicht mehr das Warten auf die große Vision, die großen Entscheidungen, die radikale Transformation, die tiefgreifenden Wandel in der Art, wie wir arbeiten, in den Mittelpunkt stellen?

Was wäre, wenn wir selbst, jede_r auf seiner Ebene beginnt, Veränderungen zu initiieren?

Und wenn wir agile Management-Konzepte ernst nehmen, geht es doch nicht um den langfristig geplanten Wandel und das Erreichen eines vorab definierten Zielbilds. Es geht genau nicht darum, eine „agile Organisation“ oder „teal“ zu werden oder „unser Betriebssystem nach Holocracy“ zu strukturieren. Es geht um die „bewusste kontinuierliche Gestaltung organisationalen Wandels“ (Grunwald, 2022, 78).

Wenn Agilität für die anpassungsfähige, zeitgemäße, bedarfsgerechte und bewusste Gestaltung von Organisationen steht, dann ist immer wieder – kontinuierlich – zu prüfen, was denn auf welcher Ebene der Organisation notwendig ist, um anpassungsfähig, zeitgemäß und bedarfsgerecht agieren zu können.

Und hier kommen insbesondere die unteren und mittleren Führungsebenen, die Abteilungs- und Teamleitungen in den Blick:

Gerade in dezentral organisierten, hochgradig komplex strukturierten Organisationen der Sozialwirtschaft ist vor Ort, im Team, zu entscheiden, was notwendig und möglich ist.

Es ist vor Ort zu entscheiden, welche Strukturen, Prozesse, Innovationen, Angebote und Dienstleistungen sinnvoll und machbar sind. Es ist vor Ort zu entscheiden, wie das Team miteinander möglichst gut arbeiten kann. Das für die strategische Ausrichtung der Organisation notwendige Gesamt-Leitbild ist vor Ort zu operationalisieren und anzupassen, damit die konkreten Bedingungen vor Ort in den Blick genommen und bedarfsgerecht im Sinne der Nutzer_innen gestaltet werden können.

Hier kommt hinzu, dass die oberste Führungsebene – völlig nachvollziehbar – oft keinen Einblick in die notwendigen Bedarfe vor Ort hat bzw. aufgrund der Komplexität der Organisation haben kann.

Zur Einordnung ist relevant, dass ich nicht den kleinen, freien Träger mit 20 Mitarbeiter_innen im Blick habe, sondern Komplexträger sozialer Dienstleistungen, die oftmals mit vielen hundert, teilweise auch mit mehreren tausend Mitarbeiter_innen lokal, regional und auch national die soziale Landschaft in unserem Land gestalten.

Aber selbst – um ein konkretes Beispiel zu nennen – bei einem Kita-Träger mit einigen Kitas und Kindergärten arbeiten an jedem Standort unterschiedliche Menschen unter unterschiedlichen Bedingungen. Während ein produzierendes, mittelständisches Unternehmen erwarten kann und muss, dass – egal an welchen Standort – die gleichen Produkte in gleicher Qualität hergestellt werden, ist es in sozialen Organisationen so, dass die Rahmenbedingungen und damit die Umwelt der Organisation enorm relevant sind und nicht außer acht gelassen werden dürfen: Eine Kita in Freiburgs Nobel-Stadtteil Herdern unterliegt völlig anderen Herausforderungen als ein Kindergarten in einem Dorf im Schwarzwald oder einer Einrichtung in einem Brennpunkt-Viertel, obwohl alles Kindergärten sind.

Unter diesen Bedingungen darauf zu warten, dass die oberste Führungsebene die richtigen Entscheidungen trifft, um die Zusammenarbeit in jedem Team, in jeder Organisationseinheit zukunftsfähig zu gestalten, ist naiv und überfordert die Führung. Viel wichtiger ist, vor Ort, im Alltag, in der Vielfalt, Komplexität und Dynamik zu entscheiden, wie die jeweilige Einrichtung, der eigene Arbeitsbereich, das eigene Team, die Menschen bestmöglich den angestrebten Zweck erfüllen können. Und hier sind vor allem die Menschen auf den unteren und mittleren Führungsebenen, die Abteilungs- und Teamleitungen entscheidend.

Was es braucht

Die Ausführungen zur Rolle und Bedeutung des unteren und mittleren Managements sind – so hoffe ich doch – nachvollziehbar. Und gleichzeitig sehe ich in meiner Arbeit mit Organisationen und Menschen auf der unteren und mittleren Führungsebenen, mit Team- und Bereichs- oder Abteilungsleitungen einige Herausforderungen, die es anzugehen gilt, um kontinuierlichen Wandel zu ermöglichen.

Übergreifend fällt mir immer wieder auf, dass sich Führungskräfte auf der unteren und mittleren Führungsebenen, Team- und Bereichs- oder Abteilungsleitungen im operativen Alltag verlieren. Sie wurschteln und rödeln vor sich hin, oft mit dem bitteren Ergebnis des Burnouts oder dem Verlassen der Organisationen und des Arbeitsfeldes. Hinzu kommt, dass es zunehmend schwerer wird, überhaupt Führungskräfte für diese Ebenen zu gewinnen, wodurch wiederum der operative Druck steigt und die Menschen alles andere als erfüllende Arbeit machen. Der Anspruch von #RealNewWork – die Gestaltung einer Arbeit, die Menschen stärkt – wird zur Farce.

Was aber braucht es, damit Führung auf unterer und mittlerer Ebene zum einen wieder zu einer Arbeit wird, die die Menschen „wirklich, wirklich tun wollen“ und Führung zum anderen dazu beiträgt, den Zweck der Organisation bestmöglich zu erfüllen?

Hier könnte ich jetzt in eine detaillierte Beschreibung benötigter Kompetenzen für gesellschaftliche Entwicklungen, benötigtem Bewusstsein für die Besonderheiten sozialer Organisationen, benötigter sozialpolitischer Kompetenz, benötigter Dilemmatakompetenz, benötigtem systemischem und systemtheoretischen Denken und Handeln, benötigter Methodenkompetenz zur Gestaltung agiler Arbeit, benötigter Selbstkompetenz und damit übergreifend in die Beschreibung von Kompetenzen für zeitgemäße und bedarfsgerechte Führungskompetenz einsteigen. Das ist aber zu lang für einen Blogbeitrag.

Plädoyer für die eigene Freiheit

Vielmehr will ich den Beitrag mit einem „Plädoyer für die eigene Freiheit“ schließen.

Wenn Du Führungskraft auf unterer und mittlerer Führungsebene, Team-, Bereichs- oder Abteilungsleitung bist, plädiere ich dafür, dass Du Deine eigene Freiheit nutzt. Du entscheidest, wie die Zusammenarbeit vor Ort, in Deinem Team und mit den Dir anvertrauten Menschen ausgestaltet sein kann und sollte. Du hast Handlungsspielraum und Freiheit, zu entscheiden, immer. Sonst wärst Du keine Führungskraft.

Und selbst dann, wenn Du keine offiziell übertragene Führungsverantwortung trägst, selbst dann, wenn Du „nur“ Mitarbeiter_in in einer sozialen Organisation bist, hast Du die Freiheit, Impulse zu setzen, das System zu irritieren und Dinge anzuregen – und wenn sie noch so klein sind.

Freiheit setzt Mut voraus. Freiheit setzt den Mut voraus, Bestehendes anders zu sehen, neu zu denken und im Sinne des Zwecks der Organisation anders zu machen. Die Nutzung der eigenen Freiheit geht damit immer mit der Übernahme von Verantwortung einher.

Meine Erfahrung zeigt, dass die Übernahme von Verantwortung mehr als gewünscht wird. Die Angst also, von der oberen Führung „einen auf den Deckel zu bekommen“ ist unbegründet. Im Gegenteil wünschen sich die Verantwortlichen in allen mir bekannten Organisationen Mitarbeiter_innen, die Eigenverantwortung übernehmen.

Und selbst, wenn einmal etwas schiefgehen sollte: Was kann passieren? Denn ganz ehrlich: Du wirst nicht gekündigt, weil Du mutig warst und – begründet! – etwas Neues im Sinne Deiner Organisation, Deines Teams oder der Nutzer_innen ausprobiert hast. Falls doch:

Sei froh!

Denn Arbeit unter Bedingungen, die Autonomie und Selbstbestimmung nicht zulässt, macht keinen Sinn. Vor allem dann nicht, wenn Ziel jeglicher Sozialer Arbeit die Förderung von Autonomie und Selbstbestimmung ist.

Quellen:

  • Eberhardt, D. (Hrsg., 2013): Unternehmenskultur aktiv gestalten. Praxisfälle aus Wirtschaft, öffentlichem Dienst, Kultur & Sport. Wiesbaden: Springer.
  • Grunwald, K. (2022): Management sozialwirtschaftlicher Organisationen. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer.
  • Kühl, S. (2018): Organisationskulturen beeinflussen (German Edition) (S.57). Springer Fachmedien Wiesbaden. Kindle-Version.
  • Laloux, F. (2014): Reinventing Organizations. Brüssel: Nelson Parker.

Mitarbeiterbefragung – echt jetzt?

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In letzter Zeit kommen einige Anfragen zur Durchführung von Mitarbeiterbefragungen. Die Hintergründe dafür sind unterschiedlich: Die eine, kleine Organisation will ein Bild über die „Stimmung im Haus“, die andere Organisation will die bisherigen Mitarbeiterbefragungen auf den Prüfstand stellen, da diese bislang als Tool im Kontext der Entwicklung einer wie auch immer gearteten Organisationskultur betrachtet wurde, mit viel Aufwand, aber ohne nennenswerten Erfolg. Ein weiterer Grund für die Durchführung einer Mitarbeiterbefragung ist die Feststellung enormer Mitarbeiterfluktuation und die Hoffnung, darüber Gründe herauszufinden, wie man der Fluktuation entgegen wirken kann.

Aber machen Mitarbeiterbefragungen überhaupt Sinn? Wo liegen Chancen und Herausforderungen – mit einem expliziten Blick auf Organisationen der Sozialen Arbeit? Und wenn sie Sinn machen – wann ist ein guter Zeitpunkt für Mitarbeiterbefragungen? Aber vor allem: Wie ist ein gutes Vorgehen zu gestalten?

tl;dr: Ja, eine Mitarbeiterbefragung macht Sinn, wenn sie zielgerichtet und möglichst schlank ist sowie zu echten Veränderungen führt.

Im Beitrag hier will ich diese Fragen in den Blick nehmen. Vielleicht helfen Dir meine Anregungen ja für Deine Organisation?!

Warum und wozu lässt sich die Mitarbeiterbefragung einsetzen?

Ich habe oben schon einige Gründe angeführt, warum Mitarbeiterbefragungen sinnvoll sein können (!). Aber hier noch etwas systematischer:

Welche Gründe lassen sich anführen, eine Mitarbeiterbefragung durchzuführen? Dazu hier einige Ideen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

Motivation und Engagement

Über eine gut angelegte Befragung lassen sich Zusammenhänge zwischen den von den Mitarbeiter*innen wahrgenommenen Arbeitsbedingungen und dem Engagement, der Einsatzbereitschaft und dem Gestaltungswillen herstellen. Aus den Ergebnissen lassen sich dann gezielte Maßnahmen ableiten, wie die Motivation der Mitarbeiter *innen aufrecht erhalten werden kann (ich bin davon überzeugt, dass es nicht gelingt „Motivation zu fördern“, sondern darauf ankommt die vorhandene Motivation nicht zu zerstören).

Identifikation

Insbesondere in Zeiten massiven Fachkräftemangels, der ja leider in sozialen Organisationen an vielen Stellen eins der Hauptprobleme ist, steht die Frage im Raum, wie es gelingen kann, eine Identifikation der Mitarbeiter*innen mit der Organisation zu generieren, um damit die Mitarbeiter_innen zu halten. Aktuelle Studien zeigen zudem, dass die Identifikation mit der Organisation so gering ausgeprägt ist, wie nie zuvor. Entsprechend sinnvoll kann es sein, herauszufinden, was die Mitarbeiter an der Organisation schätzen: Was fördert die emotionale Bindung mit der Organisation und seinen Dienstleistungen? Was steckt hinter dem Wunsch, für das Unternehmen zu arbeiten? Und wo liegen natürlich auch die Aspekte in der Organisation, die Identifikation verhindern?

Fluktuation

Eng verknüpft mit dem vorherigen Punkt ist die Frage, warum die Fluktuation in der Organisation überdurchschnittlich hoch ist. Gibt es bei den Mitarbeiter_innen das Gefühl, nicht mehr dazuzugehören, keine Wertschätzung durch Führungskräfte zu erfahren, keine Perspektiven zu haben? Die damit einhergehenden Unzufriedenheiten führen zu Resignation, zur Ablehnung von Verantwortung, zum Rückzug innerhalb der Mitarbeiterschaft, zum nachlassenden Engagement, zur Absinken der Kreativität und Innovationsfähigkeit der Organisation.

Psychische Belastung

Das Sozialwesen steht auf Platz 1, wenn es um die Burnoutgefahr im Beruf geht. Herzlichen Glückwunsch. Entsprechend relevant sind Fragen nach psychischen Gefährdungen in der Organisation und vor allem Maßnahmen zur Reduzierung der psychischen Belastungen.

Orientierung an den Nutzer_innen

Der Zweck einer Organisation ist die bestmögliche Generierung sozialer Wertschöpfung. Die Erfassung und Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit ist damit kein Selbstzweck. Vielmehr geht es darum, einen guten Job im Sinne der Nutzer_innen zu machen. Entsprechend relevant können Fragen sein, die dazu dienen, herauszufinden, welche Aspekte der Organisation, welches Führungsverhalten und welche Kommunikationskultur die Orientierung an den Bedarfen der Nutzer_innen fördert.

Akzeptanz für Veränderungsprozesse

Wir wundern uns immer wieder über „Widerstände“ der Mitarbeiter_innen gegenüber Veränderungen. Dazu nur zwei Gedanken:

Zum einen sind Veränderungsinitiativen ohne Widerstand nicht relevant genug. So streben Menschen in der Regel nach Stabilität und Sicherheit. Und Veränderung bedeutet immer Instabilität. Wenn man aber „so weiter machen kann wie vorher“ oder man „die nächste Sau im Dorf“ schon entspannt aussitzen kann, ist der Aufwand gegenüber dem Ertrag der Veränderungen nicht gerechtfertigt. Veränderung soll nun mal etwas ändern.

Zum anderen bedarf es für gelingende Veränderung immer ein Verständnis der Mitarbeiter_innen für den Zweck der Veränderung: Warum und wozu machen wir das hier? Wo sind die auslösenden Faktoren, die Veränderung notwendig werden lassen und was ist die Vision der Veränderung, wo soll es hingehen? Hier können Mitarbeiterbefragungen hilfreich sein, herauszufinden, wie veränderungsbereit die Mitarbeiter_innen sind und wie gut es den Führungskräften gelingt, Veränderungen zu initiieren, zu kommunizieren und zu begleiten. Führungskräfte haben im Kontext von Veränderungen auf allen Ebenen eine wichtige Vermittlungs- und Überzeugungsfunktion.

Organisationsstrategie

Das Problem von Organisationsstrategien ist nicht deren Entwicklung, sondern die Umsetzung der Strategien. Entsprechend relevant ist es, die Umsetzung in den Blick zu nehmen und festzustellen, wie die Strategie von Führungskräften und Mitarbeiter_innen erlebt, gelebt und umgesetzt wird. Aber wie überzeugt sind die Führungskräfte und die Mitarbeiter_innen von den Zielen und Strategien? Kennen die Mitarbeiter_innen die Strategie überhaupt? Gibt es ein Grundvertrauen in die Strategie und die Führung der Organisation, die die Strategie zu verantworten hat?

Führung

Die Wechselbereitschaft ist enorm hoch. Das hat u.a. viel mit Führung zu tun, auch wenn es deutlich zu kurz gegriffen ist, zu behaupten, dass die Mitarbeiter_innen wegen der Führungskräfte die Organisationen verlassen. Spannender ist hier der Blick darauf, welche Strukturen der Organisation bedingen, dass Führungskräfte so führen können, dass es zum Wechsel der Mitarbeiter_innen kommt.

Aber unabhängig davon ist spannend, das Führungsverhalten in Befragungen in den Blick zu nehmen: Durch welches Führungsverhalten werden die Mitarbeiter_innen in ihrer Motivation gebremst? Was demotiviert in der Organisation am Meisten? Passt die Arbeitsorganisation, die Strukturen und Prozessen oder Kollaboration im Team und der Organisation (abteilungsübergreifend) zur Aufgabe? Das sind Aspekte, die durch die Führungskräfte beeinflusst werden können und damit Ansätze für Verbesserungen liefern.

Innovationskultur

Als hier abschließender Grund für Mitarbeiterbefragungen will ich den Aspekt der Innovation betonen, wobei ich Innovation ganzheitlich als „Lernen“ der Organisation, als Fortschritt betrachte und nicht nur aus Perspektive der Entwicklung von neuen Angeboten und Dienstleistungen.

Mitarbeiterbefragungen können unter diesem Fokus die Offenheit für neue Ideen und Entwicklungen in der Organisation in den Blick nehmen. So ist nachvollziehbar, dass das Engagement und die Identifikation sinkt, wenn eine innovationsfeindliche Kultur gelebt wird. Entsprechend sind Fragen nach Innovationshindernissen (bspw. dysfunktionaler Umgang mit Fehlern, eine ausschließlich auf das „Bewährte“ setzende Haltung von Führungskräften, ein nicht vorhandenes Innovationsmanagement) relevant, die Optionen für Verbesserungsmaßnahmen offenlegen.

Herausforderungen von Mitarbeiterbefragungen

Deutlich wurde:

Es gibt einige Gründe, warum Mitarbeiterbefragungen sinnvoll sein können. Fallen Dir noch mehr ein? Dann teile Deine Gedanken doch gerne hier in den Kommentaren.

Damit liegen die Chancen von Mitarbeiterbefragungen auf der Hand:

Gut gemacht (dazu unten mehr) können Mitarbeiterbefragungen gerade in größeren Organisationen viele wichtige Hinweise liefern, wo Handlungs- und Entwicklungsbedarf besteht.

Aber gibt es auch Herausforderungen?

Aber hallo. Insbesondere ist hier die strategische und inhaltliche Positionierung der Mitarbeiterbefragung (Wozu genau dient die Befragung?), der Folgeprozess (Wie geht’s weiter?), sowie die Fragebogenentwicklung (Was fragen wir eigentlich?) zu nennen.

Hier etwas ausführlicher:

Herausforderung 1: Wozu genau dient die Mitarbeiterbefragung?

Bei meiner kleinen Umfrage auf Twitter zeigt sich ein spannendes Bild bezogen auf die Sinnhaftigkeit von Mitarbeiterbefragungen:

https://twitter.com/HendrikEpe/status/1515942019767873539

(Danke an alle Antwortenden).

Klar ist aber: Wenn das Ziel der Befragung nicht feststeht, machen Befragungen keinen Sinn: Erst dann, wenn den Führungskräften und den Mitarbeiter_innen klar ist, warum was gefragt wird, wird ein Schuh draus. Dann wird es möglich, gezielte Fragen zu stellen, die echte Antworten und eine sinnvolle Auswertung dieser Antworten ermöglichen.

Dabei kann ein Ziel auch die allgemeine „Stimmung“ bzw. die Mitarbeiterzufriedenheit sein, wenn, ja wenn es dann zu Maßnahmen kommt, die dazu dienen, aus der allgemeinen Stimmung spezifische Ansatzpunkte für Veränderungen und Verbesserungen abzuleiten.

Herausforderung 2: Kein Folgeprozess

Ich selbst durfte in meinem vorherigen Berufsleben an einigen Befragungen teilnehmen. Diese fanden bspw. zum Zweck der Zertifizierung für ein bestimmtes QM-Framework statt. Aber halt: Ist der Zweck der Zertifizierung der Organisation ausreichend? Natürlich nicht: Eine Befragung der Mitarbeiter_innen, um die Zertifizierung durch irgendwelche externen Zertifizierer (ich habe das neun Jahre beruflich gemacht…) zu erreichen, darf nicht der Zweck der Befragung sein.

Der Zweck der Befragung muss immer der echte und konkrete Wunsch nach Entwicklung und nach Verbesserung und damit nach echter Veränderung sein.

Wenn also der Folgeprozess nicht definiert bzw. gewollt ist und das Angehen der Veränderungen aus den Rückmeldungen der Mitarbeiter_innen nicht erfolgt, wird die Befragung zur Farce. Das kann man (einmal) machen, aber spätestens bei der zweiten Befragung ist den Mitarbeiter_innen klar, dass sowieso nichts passiert. Entsprechend werden die Mitarbeiter_innen (nicht) antworten.

Aber Obacht: Nur weil sich Klaus aus Abteilung 13 eine Blume auf dem Schreibtisch wünscht, muss nicht jeder Klaus in der Organisation eine Blume auf dem Schreibtisch bekommen. Anders ausgedrückt ist es notwendig, angelehnt an das erste Prinzip des Fachkonzepts Sozialraumorientierung https://www.socialnet.de/lexikon/Sozialraumorientierung) zwischen Wunsch und Wille zu unterscheiden: „Ein Wunsch wird zu einem handlungswirksamen Willen, wenn ein Mensch ihn verwirklichen will.“

Damit rückt die Frage in den Vordergrund, was im Hintergrund, hinter dem Wunsch von Klaus nach der Blume auf dem Schreibtisch steht. Welche spezifischen Bedarfe lassen sich aus dem Wunsch ableiten? Wo finden sich Muster, die zu Veränderungen führen sollten? Wie können die Mitarbeiter_innen die Veränderungen selbstbestimmt initiieren?

Herausforderung 3: Die Fragestellungen gehen am Ziel vorbei

Es gibt die qualitative Sozialforschung, also die die Erhebung nicht standardisierter Daten und deren Auswertung. In der qualitativen Sozialforschung befassen sich Wissenschaftler_innen seit Jahrzehnten damit, Fragen zu stellen und dann Antworten zu generieren, die den Fragen entsprechen. Genutzt werden – unter anderem – auch Fragebögen, die teilweise in Interviewform, teilweise aber auch schriftlich genutzt werden.

Kurz: Die richtigen Fragen zu stellen, diese dann auszuwerten und daraus Rückschlüsse zu ziehen, ist nicht einfach. Und entsprechend hoch ist die Wahrscheinlichkeit, Fragen zu stellen, die zwar gut klingen und die auch beantwortbar sind. Die Antworten jedoch sind nicht mehr angemessen auswertbar, um zu wirklich nutzbringend Ergebnissen zu gelangen. Ein Beispiel:

Die Geschäftsführung veranlasst eine Mitarbeiterbefragung. Ziel ist „ein Stimmungsbild aus der Belegschaft“ (im Beispiel hier etwa 50 Personen) zu bekommen. Und da ließe sich doch wunderbar beim „Befinden“ ansetzen, oder? Fragen sind bspw.: “Ich erhalte genug Anerkennung von meiner Führungskraft!”, “Meine Führungskraft interessiert sich für mich als Person!”, “Ich habe Freunde und Bekannte im Büro!” (Zu beantworten jeweils auf einer Skala von „trifft voll und ganz zu“ bis hin zu „trifft überhaupt
nicht zu“).

Ist das Befinden der Mitarbeiter_innen relevant? Vielleicht ist es nett zu wissen, „wie es den Mitarbeiter_innen geht“ und es mag auch erstrebenswert sein „glückliche Mitarbeiter_innen“ zu haben, aber Glück und Befinden sind abhängig von drölfzig Faktoren, auf die die Organisation oder die Führungskräfte begrenzt Einfluss haben. Wichtiger aber ist, dass diese Faktoren kaum Auswirkungen auf die soziale Wertschöpfung der Organisation haben. So kann ich zwar komplett glücklich sein in meinem Leben und in meinem Job und gleichzeitig komplett an der eigentlichen Aufgabe vorbei arbeiten.

Viel relevanter sind bspw. Fragen danach, ob die Mitarbeiter_innen ein Verständnis der Ziele und Strategien der Organisation haben und sich mit diesen Zielen verbunden fühlen. Verbundenheit ist dann bspw. auch mit Blick auf das Team relevant: Sind es nette Leute, oder gelingt es, mit diesen Menschen wirklich etwas zu reißen? Gelingt es, dass sich das Team gegenseitig unterstützt? Steht beim Team die bestmögliche Erledigung der gesetzten Aufgaben im Vordergrund? Wie gesagt, Bier trinken am Abend mit den Kumpels ist super, aber darum geht es in der Organisation nicht primär. Abschließend hier noch ein Aspekt, der relevanter ist als das „Wohlfühlen“. Die „Leistungsfähigkeit“ der Mitarbeiter_innen ergibt sich aus mehreren Faktoren, die sich vielleicht im Konzept des „Flows“ treffen: Es geht darum, eine Aufgabe auszuführen, die nicht zu überfordernd und nicht zu unterfordernd ist. Passen also die Fähigkeiten zur Aufgabe? Hinzu kommt hier natürlich noch, ob die Mitarbeiter_innen die Möglichkeiten haben, sich in der Aufgabe weiterzuentwickeln, Informationen zu bekommen usw…

Es wurde hier hoffentlich deutlich, dass einige Anforderungen an Befragungen zu stellen sind, um zu wirklich aussagekräftigen Ergebnissen zu gelangen und damit die Möglichkeiten des Tools Mitarbeiterbefragung wirklich nutzen zu können. Aber wie gelingen jetzt gute Mitarbeiterbefragungen?

Der Prozess der Mitarbeiterbefragung

Aus meiner Perspektive ähneln sich alle Konzepte rund um Entwicklung und Verbesserung, ob Scrum, PDCA oder auch das Vorgehen zur Gestaltung von Mitarbeiterbefragungen mehr oder weniger. Natürlich haben sie jeweils völlig andere Zielsetzungen, aber im Grunde geht es um a) Planung, b) Durchführung, c) Retrospektive (bzw. hier die Auswertung der Ergebnisse) und d) Anpassung. Im Fall der Mitarbeiterbefragung lässt sich die Anpassung weiter in das Feedback an die Mitarbeiter_innen sowie die Generierung, Umsetzung und Bewertung von sich aus den Ergebnissen ergebenden Maßnahmen hinzu. Etwas ausführlicher:

a) Planung
Wie bereits erwähnt steht vor der Durchführung der Befragung die Frage nach der Zielsetzung. Daraus leitet sich dann die Gestaltung von Fragen und dem Vorgehen der Befragung (design) insgesamt ab. Außerdem ist schon zu Beginn das follow up, also der Prozess der Umsetzung der sich aus den Antworten ergebenden Maßnahmen in den Blick zu nehmen.

b) Durchführung
Bzgl. der Durchführung steht vor allem die Frage des Zeitraums im Fokus: Wann soll die Befragung starten? Wie lange ist die Rückmeldephase? Wann geschieht die Auswertung? Wann geht es danach weiter? Länger jedoch als zwei bis drei Wochen sollte die Rückmeldezeit nicht sein, ggf. sogar deutlich kürzer. Wichtig sind Aspekte wie Urlaubszeiten, Zeiträume mit einer höheren Krankheitsrate sowie Phasen mit erwarteter hoher Auslastung, die eine Beantwortung im Alltag erschweren.

c) Auswertung der Ergebnisse
Dies ist der Schritt der Auswertung der anonymisierten Daten. Je nach Umfang der Befragung und der Anzahl der Mitarbeiter_innen macht es Sinn, die (Durchführung und) Auswertung digital umzusetzen. Relevant ist hier die Aufbereitung der Antworten sowie die Zusammenführung der Antworten in mögliche Hypothesen, die als Grundlage für die zu treffenden Maßnahmen herangezogen werden.

d) Feedback
Zunächst ist es relevant (aber eigentlich selbstverständlich), den Mitarbeiter_innen zu vermitteln, dass ihr Feedback wahrgenommen und behandelt wird. Ohne diesen und die folgenden Schritte kann man das Engagement für zukünftige Befragungen aus naheliegenden Gründen vergessen… Wie die Rückmeldung der Ergebnisse erfolgt, ist abhängig von der jeweiligen Befragung (Umfang, Dauer, Anzahl der MA). Spannend ist bspw. die Frage, ob alle Mitarbeiter_innen unabhängig der Hierarchiestufe alle Ergebnisse bekommen, oder ob es da Unterscheidungen geben sollte. Ich plädiere jedoch immer für Transparenz (oder warum sonst führt man die Befragungen durch?). Gerade mit Fokus auf soziale Organisationen kann es Sinn machen, die Ergebnisse der Befragungen nicht nur schriftlich zurückzumelden, sondern mit angeleiteten Gruppengesprächen zu reflektieren, wodurch wiederum die Beteiligung an den e) Veränderungsmaßnahmen gesteigert werden kann.

e) Veränderungsmaßnahmen
Auch wenn es aus meiner Perspektive echt schräg ist, aber: Diese Phase kommt immer noch zu kurz. Das kenne ich leider auch aus eigener Erfahrung. Da werden dolle Befragungen gestartet, die teuer und aufwendig sind (was sie nicht sein müssen…) und dann werden die Missstände und mögliche Ansatzpunkte für Veränderungen nur ausfindig gemacht, aber nicht angegangen? Unfassbar, aber Realität. Für mich macht es Sinn, am Ende des Fragebogens immer die Frage einzubauen: „Basierend auf Deinen Antworten: Welche Hypothesen zur Verbesserung würdest Du aufstellen (Wenn wir XY machen, verbessern wir Z!)?“ Außerdem lohnt es sich immer, nachzufragen, was denn der nächste Schritt sein könnte: „Was wäre aus Deiner Perspektive der nächste Schritt, um wirkliche Verbesserungen in unserer Organisation zu erreichen?“. Und es natürlich klar, dass die Ergebnisse der Befragung in Management- und Teamrunden besprochen werden und nicht mal eben so 1 zu 1 umgesetzt werden können. Aber die Zusammenführung der Ergebnisse muss zu konkreten Handlungsempfehlungen führen, die dann umgesetzt werden (es sei denn, Du arbeitest in der absoluten Traumorganisation, wo es absolut nichts zu verbessern gibt…). Wichtig ist außerdem, dass zwischen Befragung und Umsetzung der ersten Veränderungen nicht zu viel Zeit vergeht. Sonst verpufft jegliche Energie, sich auf die Veränderungen einzulassen (und wir wundern uns über Wiederstände…).

f) Bewertung
Wie (eigentlich) immer steht am Ende des Prozesses die Bewertung bzw. Evaluation. Wichtig sind mir hier zwei Bewertungen: Zum einen die Bewertung der Befragung insgesamt (Was ist gut gelaufen? Was muss bei der nächsten Befragung anders, besser werden?). Zum anderen ist natürlich auch die Umsetzung der sich aus der Befragung ergebenden Maßnahmen bzw. der getroffenen und getesteten Hypothesen zu bewerten:

Hat sich tatsächlich etwas verbessert?

Zeitpunkt und Rhythmus der Mitarbeiterbefragung

(Fast) abschließend noch kurz der Blick auf die Überschrift des Beitrags:

Mitarbeiterbefragung – echt jetzt?

Ich glaube, wir haben das „echt“ geklärt:

Ja, Mitarbeiterbefragungen können Sinn machen, wenn sie als Projekt gut designt sind und daraus echte Entwicklung und Veränderung erfolgt. Ist dies nicht der Fall und wird die Mitarbeiterbefragung nur gemacht, „weil man das halt so macht“ (oder irgendwelche Zertifizieren irgendwelche Nachweise brauchen). In diesem Fall solltest Du tunlichst die Finger davon lassen.

Mitarbeiterbefragungen sind dann „pures Gift“, wie Florian hier so passend schreibt:

Offen ist dann aber noch die Frage, wann eine Mitarbeiterbefragung Sinn macht und wie häufig diese durchgeführt werden sollte.

Aus meiner Sicht bietet sich der aktuelle Zeitraum sehr gut an:

Wir sind irgendwie mehr oder weniger durch diese Pandemie gekommen (auch wenn ich diese Zeilen in Quarantäne tippe) und die Organisationen bereiten sich auf ein wie auch immer geartetes „Neues Normal“ vor.

Und genau hier macht es Sinn, auf die positiven wie negativen Erfahrungen der letzten Monate bzw. mehr als zwei Jahre zu schauen. Ich mache gerade recht häufig Retrospektiven, in denen wir entweder im Team oder der Gesamtorganisation (je nach Größe und Fokus) den Zeitraum der Pandemie in den Blick nehmen, um zu reflektieren, welche Veränderungen der letzten Jahre positiv und welche negativ waren, welche neuen Arbeitsweisen und Prozesse beibehalten werden sollten und welche dringend geändert werden müssen.

Ebenso wie die Retrospektive kann eine Mitarbeiterbefragung zum jetzigen Zeitpunkt ein guter (erster) Ansatz sein, um Schritte hin zu Veränderungen auf dem Weg in dieses „neue Normal“ zu finden. Um jedoch zu wirklich nachhaltigem Erfolg zu kommen, sollten Mitarbeiterbefragungen regelmäßig durchgeführt werden.

Regelmäßig kann jährlich bedeuten. Im Sinne der kontinuierlichen Entwicklung kann es aber auch Sinn machen, in deutlich kürzeren Abständen (halbjährlich oder quartalsweise) kurze Einblicke in die Entwicklungen der Organisation aus Perspektive der Mitarbeiter_innen zu bekommen. Sogenannte „Pulsumfragen“, die auf wenigen, einfach zu beantwortenden Fragen basieren, bieten die Möglichkeit, regelmäßig schnelle Antworten beinahe in Echtzeit zu bekommen, wodurch entsprechend frühzeitig reagiert werden kann.

Im Kontext sozialer Organisationen bin ich jedoch skeptisch, ob die Organisationskultur zu dieser Art der Befragungen passt. So stelle ich fest, dass die Mitarbeiter_innen zwar gerne und häufig die „mangelnde Wertschätzung“ seitens der Führungskräfte beklagen, sich jedoch bei zu viel Interesse schnell „kontrolliert“ fühlen. Hier gilt es, gut abzuspüren, welcher Rhythmus für die Organisation passend ist.

Hinzu kommt, dass die Mitarbeiter_innen nicht dauernd am Schreibtisch sitzen und sich auf jede neue Befragung freuen. Im Gegenteil agieren viele soziale Organisationen am Rande der Belastungsgrenze (und darüber hinaus), so dass für dauernde Pulsbefragungen keine Zeit (und in Teilen auch keine technischen Möglichkeiten) existieren.

Außerdem geht es – um es hier erneut zu betonen – ja nicht um die Befragung als Selbstzweck, sondern um echte Verbesserung der Strukturen, Strategien, Prozesse etc., damit die Organisation ihren Zweck bestmöglich erfüllen kann.

Entsprechend sollte der Fokus bei Mitarbeiterbefragungen (nicht nur) in sozialen Organisationen auf der Ableitung von handlungsleitenden Hypothesen und der zielgerichteten Umsetzung von Verbesserungsmaßnahmen liegen.

Kurz: Mitarbeiterbefragungen zielgerichtet und eher selten, aber regelmäßig und vor allem verbunden mit einem Fokus auf die Umsetzung der abgeleiteten Maßnahmen.

Mitarbeiterbefragung – Fazit und Besonderheiten in sozialen Organisationen

Wie bereits angesprochen können Mitarbeiterbefragungen ein sehr gutes Instrument sein, um Feedback der Mitarbeiter_innen zu bekommen. Das gilt jedoch nur, wenn diese zielgerichtet durchgeführt, ausgewertet und die abgeleiteten Maßnahmen auch angegangen und umgesetzt werden. Denn: Mitarbeiterbefragungen sind kein Selbstzweck (und dienen auch nicht der Befriedigung von Zertifizierer_innen). Befragungen mit diesem Fokus werden als Farce aufgefasst. Eine mangelnde Beteiligung ist dann nicht verwunderlich.

In sozialen Organisationen gilt es, zum einen die Rahmenbedingungen der Arbeit nicht aus dem Blick zu verlieren (Wann besteht überhaupt die Möglichkeit der Beantwortung?) und zum anderen den Austauschaspekt über die Ergebnisse nicht zu vernachlässigen (Diskussion in Gruppen, Ableitung von Hypothesen, Umsetzung von Maßnahmen).

Abschließend (wirklich!) noch mein Plädoyer (auch wenn dieses nicht zur Länge des Textes passt ;-):

Die Mitarbeiterbefragung und der damit einhergehende Gesamtprozess sollten so schlank wie möglich gehalten werden!

Neben den begrenzten Ressourcen sozialer Organisationen geht es nicht um die Befragung an sich, sondern um die Ableitung passender Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Wertschöpfung der Organisation.


Wie steht es um Mitarbeiterbefragungen in Deiner Organisation? Sinnvoll? Lasse doch gerne einen Kommentar hier, wie es bei Dir läuft…

P.S.: Und bei Interesse stehe ich Dir natürlich gerne für die Entwicklung passgenauer Befragungen für Dein Team oder Deine Organisation zur Verfügung. Meld‘ Dich einfach und wir schauen, ob ich Dir helfen kann.