Schlagwort: Exnovation

Methoden für Exnovation II: Mit der Fokus-Block-Methode Unterbrechungen exnovieren

Tags: , , , , ,

Wahrscheinlich ist Dein Alltag von ständigen Unterbrechungen geprägt: Anfragen von Mitarbeitenden, E-Mails, spontane Gespräche, Termine und dringende Entscheidungen sorgen dafür, dass konzentriertes Arbeiten oft zur Ausnahme wird. Doch gerade Führungsaufgaben wie strategische Planung, Teamentwicklung oder die Gestaltung von Veränderungsprozessen erfordern echte Konzentration und Zeit. Die Fokus-Block-Methode (Engl. Time-Blocking) kann hier eine effektive Methode für Führungskräfte sein, wiederkehrende Unterbrechungen zu „exnovieren“ und produktiv an den wirklich wichtigen Aufgaben zu arbeiten. Denn – soviel ist klar – wenn du Deinen Kalender nicht kontrollierst, wird er Dich kontrollieren.

Im Folgenden findest Du eine kurze Einführung, was Exnovation ist und warum wir das dringend brauchen. Und dann findest Du eine Beschreibung der „Fokus-Block-Methode“ (auch bekannt als Time-Blocking).

Was ist die Fokus-Block-Methode?

Die Fokus-Block-Methode basiert auf der Idee, dass intensive, ungestörte Arbeitsphasen die Qualität und Geschwindigkeit der Arbeit erheblich verbessern. Hierbei werden bestimmte Zeitblöcke im Kalender ausschließlich für fokussiertes Arbeiten reserviert. Während dieser Zeit arbeitest Du ohne Ablenkungen an einer klar definierten Aufgabe.

Merkmale eines Fokus-Blocks:

Ein Fokus-Block zeichnet sich durch bestimmte Merkmale aus, die ihn zu einer effektiven Methode für konzentriertes Arbeiten machen. 

  • Ein Fokus-Block hat klar abgegrenzte Zeiträume, die typischerweise zwischen 60 und 120 Minuten liegen. Diese Zeitspanne ist ideal, um tief in eine Aufgabe einzutauchen, ohne dass die Konzentration nachlässt. Wichtig ist, dass der Fokus-Block im Kalender fest eingeplant ist und als unverhandelbare Arbeitszeit betrachtet wird. 
  • Während des Fokus-Blocks liegt die Konzentration auf einer einzigen Aufgabe. Multitasking ist ausdrücklich ausgeschlossen, da es nachweislich die Effizienz und die Qualität der Arbeit mindert. Stattdessen widmest Du Deine volle Aufmerksamkeit einer klar definierten Tätigkeit – sei es die Vorbereitung eines wichtigen Berichts, das Entwickeln eines Konzeptes oder das Durchdenken strategischer Entscheidungen. 
  • Ein weiteres zentrales Merkmal eines Fokus-Blocks ist die Minimierung von Ablenkungen. Um in den Arbeitsfluss zu kommen und produktiv zu bleiben, sollten E-Mails, Anrufe und spontane Gespräche während dieser Zeit tabu sein. Stelle sicher, dass Du Dein Team darüber informierst und technische Benachrichtigungen auf Deinen Geräten deaktivierst. Eine störungsfreie Umgebung ist der Schlüssel, um die Effektivität Deiner Fokus-Zeit voll auszuschöpfen. 

Mit diesen Merkmalen hilft Dir ein Fokus-Block, Deine Arbeit gezielt zu strukturieren und das Beste aus Deiner produktiven Zeit herauszuholen.

Wie funktioniert die Fokus-Block-Methode?

Nicht alle Aufgaben erfordern ungestörte Zeit. Um Deine Fokus-Blöcke effektiv zu nutzen, solltest Du Dich auf Tätigkeiten konzentrieren, die besondere Aufmerksamkeit und Konzentration verlangen. Dazu gehören Aufgaben, bei denen Kreativität und strategisches Denken gefragt sind, wie die Entwicklung neuer Konzepte oder innovativer Lösungsansätze. Auch analytische Arbeiten, beispielsweise das Auswerten von Berichten oder Zahlen, erfordern präzises und tiefgehendes Arbeiten. Tätigkeiten mit hoher Entscheidungsrelevanz, wie die Planung neuer Projekte oder das Abwägen wichtiger Optionen, profitieren ebenfalls stark von ungestörten Arbeitsphasen.

Um diese Aufgaben erfolgreich zu bewältigen, solltest Du feste Fokus-Blöcke in Deinem Kalender reservieren. Blockiere gezielt Zeiträume, in denen Du Dich ohne Ablenkung auf Deine wichtigsten Aufgaben konzentrieren kannst. Ein strukturierter Kalender mit regelmäßigen Fokuszeiten hilft Dir, Deine Prioritäten klar zu setzen und produktive Arbeitsgewohnheiten zu entwickeln. Beispiel: Jeden Donnerstagvormittag von 07:30 bis 09:30 Uhr (das ist übrigens meine Newsletter-Zeit ;-). Blockiere diese Zeiten explizit und kommuniziere das auch an Dein Team.

Um Deinen Fokus-Block optimal zu nutzen, ist es wichtig, Störungen so weit wie möglich zu minimieren und eine Umgebung zu schaffen, die produktives Arbeiten ermöglicht. Schalte Benachrichtigungen auf Deinem Telefon und Computer konsequent aus, um Dich nicht von eingehenden Nachrichten oder E-Mails ablenken zu lassen. Informiere Dein Team rechtzeitig darüber, dass Du während des Fokus-Blocks nicht gestört werden kannst – es sei denn, es handelt sich um echte Notfälle (kleiner Tipp: Erst wenn man zweimal direkt hintereinander anruft, ist es ein echter Notfall). Damit alle Bescheid wissen, kannst Du diese Regel klar kommunizieren, zum Beispiel in einem Teammeeting oder auch durch sichtbare Hinweise an Deinem Arbeitsplatz. Wenn möglich, wähle einen separaten Raum, um Ablenkungen weiter zu reduzieren und Dich vollständig auf Deine Aufgabe zu konzentrieren.

Darüber hinaus solltest Du bereits im Vorfeld genau planen, welche Aufgabe Du im Fokus-Block bearbeiten möchtest. Eine klare Zielsetzung verhindert, dass Du Dich während der Arbeitsphase mit unnötigen Entscheidungen oder Vorbereitungen aufhältst. Beispiele für sinnvolle Aufgaben im Fokus-Block könnten die Überarbeitung eines Förderkonzepts sein, die gründliche Vorbereitung eines wichtigen Mitarbeitergesprächs oder die detaillierte Analyse der finanziellen Lage Deiner Einrichtung. Mit einer klaren Planung und einem störungsfreien Arbeitsumfeld schaffst Du ideale Voraussetzungen für tiefes und effektives Arbeiten.

Drei Praxisbeispiele

Beispiel 1: Strategische Planung im Wohlfahrtsverband: Eine Geschäftsführerin reserviert jeden Montagvormittag zwei Stunden, um strategische Themen zu bearbeiten, z. B. die Vorbereitung von Kooperationen oder die Entwicklung neuer Dienstleistungen. Sie stellt fest, dass diese konzentrierten Arbeitsphasen nicht nur ihre Produktivität steigerten, sondern auch helfen, den Überblick über langfristige Ziele zu behalten.

Beispiel 2: Personalentwicklung in einer Pflegeeinrichtung: Ein Bereichsleiter nutzt wöchentliche Fokus-Blöcke, um individuelle Entwicklungspläne für seine Mitarbeitenden zu erstellen. Diese strukturierte Herangehensweise (und das Ergebnis) verbessert die Motivation und Leistungsfähigkeit seines Teams deutlich.

Beispiel 3: Mein Newsletter ;-): Ich bin nicht unbedingt super, wenn es darum geht, Routinen zu etablieren. Aber mir gelingt es (fast) immer, meinen Newsletter am Freitag morgen zu versenden. Dafür habe ich mir jeden Donnerstag morgen zwei Stunden (von 07.30 Uhr – 09.30 Uhr) in meinem Kalender geblockt. Ach ja, falls Du Bock auf den Newsletter hast und prüfen willst, ob meine Routine funktioniert, kannst Du ihn hier abonnieren 😉

Herausforderungen bei der Umsetzung

Die Umsetzung von Fokus-Blöcken kann anfangs auf einige Herausforderungen stoßen, besonders in Organisationen der Sozialwirtschaft, wo offene Türen und schnelle Verfügbarkeit oft als selbstverständlich gelten. Dein Team könnte den neuen Ansatz zunächst kritisch sehen, daher ist es entscheidend, die Methode transparent zu erklären. Kommuniziere klar, warum ungestörte Zeit für Dich wichtig ist und wie das gesamte Team von den Ergebnissen Deiner fokussierten Arbeit profitiert – beispielsweise durch bessere Planung, klarere Entscheidungen oder fundiertere Strategien. Eine offene und ehrliche Kommunikation hilft dabei, Akzeptanz zu schaffen und Missverständnisse zu vermeiden.

Darüber hinaus erfordert der Fokus-Block von Dir Selbstdisziplin. Es kann verlockend sein, die reservierte Zeit für kurzfristige Anliegen zu unterbrechen oder zu verschieben. Um die Vorteile der Methode wirklich zu nutzen, solltest Du konsequent daran festhalten. Deine langfristige Produktivität und die Qualität Deiner Arbeit hängen entscheidend davon ab, dass Du Dich an Deine Fokus-Blöcke hältst.

Gleichzeitig ist es wichtig, flexibel zu bleiben – schon wieder ein Dilemma 😉 Aber gerade in der Sozialen Arbeit treten oft unvorhersehbare, dringende Ereignisse auf, die Deine sofortige Aufmerksamkeit erfordern. Wenn das passiert, ist es völlig in Ordnung, den Fokus-Block auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Entscheidend ist, dass Du nicht aufgibst, sondern die Methode an die Gegebenheiten anpasst.

Und schließlich: Probiere aus, was für Dich funktioniert! Manche Menschen arbeiten am besten am Morgen, andere finden nachmittags die nötige Ruhe. Ich selbst habe zum Beispiel einen Fokus-Block zum Schreiben meines Newsletters oder für meine wöchentliche Reflexion eingeplant. Es hat eine Weile gedauert, bis ich den für mich und meinen Alltag am besten passenden Zeitpunkt gefunden habe. Sei geduldig mit Dir selbst, experimentiere und finde heraus, was Dir hilft, Deinen Fokus optimal zu nutzen.

Tipps zur erfolgreichen Umsetzung

Wenn Du den Fokus-Block-Arbeitsansatz in Deinen Alltag integrieren möchtest, ist es sinnvoll, zunächst mit kurzen Fokus-Blöcken zu starten. Beginne mit 30 Minuten, um Dich an das konzentrierte Arbeiten zu gewöhnen, und steigere die Dauer schrittweise. So kannst Du die Methode ohne Druck ausprobieren und herausfinden, was für Dich funktioniert. Mir hilft übrigens – um überhaupt mit der Arbeit zu starten – die Pomodoro-Technik.

Ein weiterer wichtiger Schritt ist es, eine Routine zu etablieren. Plane Deine Fokus-Blöcke regelmäßig zur gleichen Zeit, beispielsweise immer am Vormittag oder an bestimmten Tagen der Woche. Durch diese Wiederholung entwickelst Du eine Gewohnheit, die Deine Produktivität nachhaltig unterstützt. Dein Kalender wird dadurch zu einem verlässlichen Werkzeug, das Dir hilft, Deine Arbeitszeit besser zu strukturieren.

Um Ablenkungen vorzubeugen, solltest Du alle verfügbaren Hilfsmittel nutzen. Aktiviere zum Beispiel den „Nicht stören“-Modus auf Deinem Smartphone und Computer oder reserviere Dir einen separaten Raum, in dem Du ungestört arbeiten kannst. Solche einfachen Maßnahmen schaffen eine Umgebung, in der Du Dich voll und ganz auf Deine Aufgaben konzentrieren kannst.

Baue außerdem eine regelmäßige Reflexion in Deinen Arbeitsprozess ein. Überprüfe, welche Ergebnisse Du in Deinen Fokus-Blöcken erzielt hast, und ob der gewählte Ansatz für Dich funktioniert. Wenn Du feststellst, dass bestimmte Zeiten oder Aufgaben besser oder schlechter geeignet sind, passe Deinen Fokus-Block entsprechend an. Mit der Kombination aus klarer Planung, Routine und kontinuierlicher Optimierung kannst Du das volle Potenzial dieser Methode ausschöpfen.

Die Vorteile der Fokus-Block-Methode für Führungskräfte

Der Fokus-Block-Arbeitsansatz bringt zahlreiche Vorteile mit sich, die Deine Arbeit und Dein Wohlbefinden nachhaltig verbessern können.

Einer der größten Vorteile ist die höhere Produktivität. Wenn Du ungestört arbeitest, kannst Du Dich voll auf eine Aufgabe konzentrieren und sie schneller sowie effizienter erledigen. Anstatt Dich von Unterbrechungen aus dem Konzept bringen zu lassen, kommst Du in einen Arbeitsfluss, der Deine Leistung spürbar steigert.

Darüber hinaus führen Fokus-Blöcke zu besseren Ergebnissen, insbesondere bei komplexen und strategischen Aufgaben. Projekte, die analytisches Denken, kreative Lösungen oder langfristige Planungen erfordern, profitieren enorm davon, wenn Du Dir die Zeit nimmst, Dich intensiv damit auseinanderzusetzen. Tiefgehender Fokus hilft Dir, qualitativ hochwertige Entscheidungen zu treffen und innovative Ansätze zu entwickeln.

Ein weiterer Vorteil ist die Stressreduktion. Klare Arbeitsphasen, in denen Du Dich auf das Wesentliche konzentrieren kannst, geben Dir das Gefühl, die Kontrolle über Deinen Tag zu haben. Anstatt von einer Aufgabe zur nächsten zu springen, hast Du die Gewissheit, wirklich etwas geschafft zu haben. Dies reduziert das Gefühl der Überforderung und sorgt für mehr Zufriedenheit im Arbeitsalltag.

Schließlich setzt Du mit Fokus-Blöcken auch eine wichtige Vorbildfunktion. Indem Du achtsam und konzentriert arbeitest, förderst Du eine Kultur, die diese Werte in Deinem Team stärkt. Deine Mitarbeitenden sehen, wie Du klare Prioritäten setzt und gezielt an wichtigen Aufgaben arbeitest, und übernehmen diese Haltung möglicherweise selbst. Auf diese Weise wirkt sich Deine eigene Arbeitsweise positiv auf das gesamte Team aus und schafft eine Atmosphäre, in der konzentriertes Arbeiten geschätzt wird. Mit Fokus-Blöcken schaffst Du also nicht nur produktivere und zufriedenere Arbeitsphasen für Dich selbst, sondern trägst auch dazu bei, die Arbeitskultur in Deinem Umfeld nachhaltig zu verbessern.

Fazit: Zeit für das Wesentliche schaffen

Fokus-Blöcke im Kalender bieten Führungskräften in der Sozialwirtschaft eine effektive Möglichkeit, produktiver zu arbeiten und trotz eines oft hektischen Arbeitsumfelds Raum für die wichtigen Aufgaben zu schaffen. Schon wenige Stunden ungestörten Arbeitens pro Woche können Deinen Alltag wirklich transformieren.

Und jetzt Du:

  • Wann hast Du zuletzt eine Aufgabe in tiefer Konzentration abgeschlossen – und wie hat sich das auf das Ergebnis ausgewirkt?

P.S.: Ähnlich wie die Fokus-Blöcke funktioniert auch das Time Boxing, das Task Batching und das Day Theming (lustige englische Begrifflichkeiten…).

Methoden für Exnovation I: Ecocycle Planning – ein Werkzeug zur Reflexion von Angeboten und Dienstleistungen

Tags: , , , , , ,

Als Führungskraft in der Sozialwirtschaft stehst du oft vor der Frage, wie du mit knappen Ressourcen das Beste für deine Organisation erreichen kannst. Es geht darum, innovative Ansätze voranzutreiben, aber auch alte Strukturen loszulassen, die nicht mehr zielführend sind. Genau dafür ist Ecocycle Planning ein praktisches Werkzeug, das dir hilft, die Aktivitäten deiner Organisation strategisch zu bewerten, weiterzuentwickeln und vor allem auch loszulassen.

Im Folgenden findest Du eine kurze Einführung, was Exnovation ist und warum wir das dringend brauchen. Und dann findest Du eine praxistaugliche Beschreibung der Methode Ecocycle Planning – eine (nicht nur) Exnovationsmethode aus den „Liberating Structures“.

Was ist Exnovation – und warum überhaupt?

Der Blick auf die aktuellen Herausforderungen, vor denen Organisationen und wir als Gesellschaft stehen, erfordert weniger.

Neben den dringend notwendigen Innovationen brauchen wir in Zukunft unbedingt auch Exnovationen, verstanden als Verzicht auf, Loslassen von oder Ausstieg aus bisher sinnvollen Angeboten, Prozessen, Praktiken oder Technologien, weil sie nicht mehr zielführend, nicht mehr strategiekonform oder gar schädlich sind.

In diesem Beitrag kannst Du die Grundzüge der Exnovation vertieft nachlesen.

Was ist Ecocycle Planning?

Ecocycle Planning ist ein Modell, das sich an natürlichen Wachstumsprozessen orientiert.

Es beschreibt vier Phasen, die jede Aktivität in deiner Organisation durchlaufen kann. Es macht aber Sinn, die Methode vor allem für die Reflexion Eurer Angebote und Dienstleistungen zu nutzen:

  1. Geburt: Neue Ideen entstehen, und Projekte nehmen ihren Anfang. Es herrscht Aufbruchsstimmung.
  2. Reife: Aktivitäten haben sich etabliert, und Abläufe sind eingespielt. Ressourcen werden effizient genutzt.
  3. Kreative Zerstörung (Exnovation): Alte Strukturen, die nicht mehr funktionieren, werden beendet, um Platz für Neues zu schaffen.
  4. Wachstum/Erneuerung: Freigewordene Ressourcen fließen in frische Ideen und neue Projekte.

Hier passt die Metapher eines Waldes, in dem Wachstum, Stagnation, Zerstörung und Regeneration zum natürlichen Kreislauf gehören.

Ecocycle Planning

Warum solltest du Ecocycle Planning nutzen?

Dass wir in der Sozialwirtschaft häufig unter schwierigen Bedingungen arbeiten ist ja nichts Neues: begrenzte Budgets, hohe Erwartungen, fehlende Fachkräfte und komplexe Herausforderungen.

Mit Ecocycle Planning kannst du…

  • …Klarheit darüber gewinnen, welche Projekte oder Aktivitäten in deiner Organisation Ressourcen binden.
  • …herausfinden, welche Aufgaben, Projekte und Angebote du loslassen solltest, um Raum für Neues zu schaffen.
  • …die Prioritäten deiner Organisation klar und strukturiert setzen.

Durch die Visualisierung auf dem Ecocycle-Modell fällt es leichter, Entscheidungen zu treffen und dein Team mitzunehmen.

Ein Beispiel aus der Praxis

Eine Wohlfahrtsorganisation hat Ecocycle Planning genutzt, um ihre Jugendhilfeprojekte unter die Lupe zu nehmen. Das Ziel: Fokussierung, bessere Ergebnisse erzielen, neue Fördermöglichkeiten erschließen und Raum schaffen für innovative Projekte.

Schritt 1: Einführung und Analyse
Zuerst haben die Führungskräfte und Projektleitenden alle aktuellen Aktivitäten aufgelistet – von Jugendcafés über Mentoring-Programme bis hin zu Präventionsprojekten. Jede Aktivität wurde auf einer großen Ecocycle-Abbildung positioniert:

  • Die Jugendcafés wurden in die „Reifephase“ eingeordnet, weil sie gut etabliert und regelmäßig besucht waren.
  • Ein neues Mentoring-Programm befand sich in der „Geburtsphase“.
  • Ein älteres Präventionsprogramm landete in der Phase der „kreativen Zerstörung“, weil es trotz hoher Kosten nur noch wenige Jugendliche erreichte.

Schritt 2: Diskussion und Entscheidungen
Nach der Analyse ging es darum, konkrete Maßnahmen zu entwickeln:

  • Die Jugendcafés sollten durch digitale Lernangebote ergänzt werden, um aktuelle Bedürfnisse der Jugendlichen besser zu erfüllen.
  • Das Mentoring-Programm bekam mehr Ressourcen, um schneller zu wachsen.
  • Das alte Präventionsprogramm wurde beendet, und die freiwerdenden Mittel wurden in die anderen Projekte investiert.

Das Ergebnis: Die Organisation konnte ihre Angebote modernisieren, neue Zielgruppen ansprechen und gleichzeitig effizienter arbeiten.

So kannst du Ecocycle Planning in deiner Organisation anwenden

Die Methode ist einfach und flexibel einsetzbar. Hier ein Leitfaden:

  1. Vorbereitung
    Zeichne den Ecocycle auf ein Flipchart oder nutze eine Vorlage. Die vier Phasen – Geburt, Reife, kreative Zerstörung, Erneuerung – bilden den Rahmen.
  2. Aktivitäten sammeln
    Liste alle Projekte, Aufgaben und Aktivitäten auf, die in deiner Organisation Zeit und Ressourcen beanspruchen.
  3. Positionierung
    Ordne jede Aktivität einer Phase des Zyklus zu. Du kannst dein Team einbeziehen, um unterschiedliche Perspektiven zu sammeln.
  4. Fokus auf Exnovation
    Diskutiere gezielt, welche Aktivitäten ihr beenden solltet, um Kapazitäten für Neues zu schaffen. Impulsfragen wie diese können helfen:
  • Welche Projekte kosten zu viel Energie und bringen keinen ausreichenden Nutzen mehr?
  • Wo gibt es veraltete Strukturen, die Raum für Innovation blockieren?

Und dann Maßnahmen planen
Erstellt konkrete To-Dos für die Projekte, die ihr beenden, erweitern oder neu starten wollt.

Herausforderungen und wie du sie meisterst

Herausforderungen:

  • Emotionale Bindung: Es ist oft schwer, sich von langjährigen Projekten zu trennen, auch wenn sie nicht mehr wirken.
  • Konsens finden: Unterschiedliche Meinungen können den Prozess erschweren.

Tipps:

  • Sei transparent: Erkläre klar, warum bestimmte Aktivitäten losgelassen werden müssen.
  • Binde dein Team ein: Je mehr Beteiligte mitwirken, desto größer die Akzeptanz.
  • Beachte den Trauerprozess: Loslassen heißt auch Trauern. Und die „Phasen der Trauer“ lassen sich – verkürzt – in a) die Phase des Nicht-wahrhaben-Wollens und der Verleugnung, b) die Phase der aufbrechenden Gefühle, c) die Phase der langsamen Neuorientierung und d) die Phase des neuen Gleichgewichts bzw. der Akzeptanz unterteilen. Hierauf zu achten hilft, um die Akzeptanz für Widerstände bei den Mitarbeitenden zu erhöhen.
  • Plane regelmäßig: Nutze Ecocycle Planning nicht nur einmal, sondern integriere es ritualisiert in eure Arbeitsweise.

Fazit: Ecocyle Planning als Werkzeug, um Deine Organisation zu entschlacken

Ecocycle Planning kann helfen, Angebote und Dienstleistungen Deiner Organisation zu entschlacken. Es hilft dir, Altlasten zu identifizieren, Ressourcen neu zu verteilen und Raum für Innovation zu schaffen. Die Methode ist leicht anwendbar und bringt Klarheit in komplexe Entscheidungen.

Nutze diese Chance und frage dich:

  • Welche Aktivitäten in meiner Organisation befinden sich in der Phase der kreativen Zerstörung?
  • Was müssen wir jetzt loslassen, um Platz für Neues zu schaffen?

Kennst Du weitere „Methoden für Weniger“ aka Exnovationsmethoden? Dann lass doch gerne einen Kommentar hier oder schreib mir direkt. Würde mich sehr freuen!

Exnovation in sozialen Organisationen – ein Interview

Tags: , , , , , ,

Das Buch „Exnovation und Innovation – Synergie von Ende und Anfang in Veränderungen“ von Sandra Bils und Gudrun Töpfer beschäftigt sich mit der Notwendigkeit, alte Methoden, Technologien und Prozesse aufzugeben, um neuen Entwicklungen Platz zu machen. Die Herausforderungen, vor allem aber die Chancen, die mit dem Aufhören in einer innovationsgetriebenen Gesellschaft einhergehen, werden jedoch oft übersehen. So braucht es mehr als die bloße Entscheidung zum Aufhören, Beenden, Loslassen und Verlernen – persönlich, in unseren Organisationen und in der Gesellschaft. Vielmehr müssen auch die damit verbundenen sozialen und psychologischen Aspekte berücksichtigt werden, um dem Abschiedsschmerz und der Schwierigkeit, sich von Vertrautem zu trennen, zu begegnen. Und gleichzeitig ergeben sich durch Aufhören und Loslassen, durch Exnovation in sozialen Organisationen, die so dringend benötigten (Frei-)Räume, um wieder Atmen und sich bewegen zu können.

Um einen breiten Blick auf das Thema Exnovation zu ermöglichen, kommen im Buch auch Menschen zu Wort, die aus unterschiedlichen Branchen und Arbeitszusammenhängen berichten und deren Sichtweisen auf Exnovation einschließen. Auch ich durfte ein Interview zu dem soeben erschienenen Buch beitragen (hier noch mal der Link zum Buch).

Und im Folgenden findest Du dieses Interview, in dem ich meine Erfahrungen mit Exnovation in sozialen Organisationen beisteuere. Ich habe meine Ausführungen hier sprachlich leicht angepasst, aber die Inhalte unverändert gelassen. Vielleicht sind ja ein paar interessante Gedanken für Dich dabei?

P.S.: Hier habe ich einen einführenden Beitrag zum Thema Exnovation verfasst, der Dir als Einstieg ins Thema dienen kann.

Wo in Ihrem Arbeitskontext sind Ihnen schon Spuren von Exnovation begegnet? In welchen Themen, zu welchen Zeitpunkten im Gesamtkontext war das? Wie stellte sich das Thema dar?

Der Schwerpunkt meiner Beratungstätigkeit liegt in Fragen der Organisationsentwicklung sozialer Organisationen. Dazu gehören Kindergärten ebenso wie Wohlfahrtsverbände (z.B. Caritas oder Diakonie) oder Einrichtungen der Altenhilfe. Alle diese Organisationen erbringen im Kern „personenbezogene soziale Dienstleistungen“. Daraus ergeben sich (mindestens) zwei Herausforderungen, die für Exnovation von Bedeutung sind:

Zum einen werden diese Dienstleistungen aufgrund gesetzlicher Grundlagen aus Steuermitteln finanziert. Das heißt, die Sozialgesetzbücher regeln, welche Leistungen von Organisationen angeboten und damit finanziert werden dürfen. Dies hat zur Folge, dass sinkende Steuereinnahmen bzw. hohe Staatsausgaben dazu führen, dass die Finanzierung sozialer Dienstleistungen – trotz steigender Nachfrage aufgrund zunehmender sozialer Probleme – nicht mehr ausreichend gesichert ist. In den letzten Jahren sind durch die Corona-Pandemie und den Angriffskrieg Russlands massive Ausgaben auf den Staat zugekommen, die dazu führen, dass die Finanzierung sozialer Dienste zurückgefahren wird und Angebote in Frage gestellt werden (müssen). Hinzu kommen massive Kostensteigerungen auf Seiten der Leistungserbringer (Einrichtungen) bspw. durch steigende Energiekosten, Inflation oder gestiegene Personalkosten, die bis hin zur Insolvenz von Einrichtungen geführt haben.

Zum anderen ist eine Besonderheit sozialer, personenbezogener Dienstleistungen, dass sie fast ausschließlich von Menschen erbracht werden. Die Pflege älterer Menschen und die Betreuung von Kindern in Kindertagesstätten, um nur zwei Beispiele zu nennen, kann nur von Menschen geleistet werden. Angesichts des demografischen Wandels haben wir aber bereits heute und in Zukunft verstärkt einen massiven Fachkräftemangel, der kaum durch Automatisierung und auch nur zu einem geringen Teil durch Fachkräfte aus dem Ausland kompensiert werden kann. Daraus ergibt sich wiederum die Notwendigkeit seitens der Organisationen, genau abzuwägen, welche Angebote zukünftig noch aufrechterhalten werden können bzw. eingestellt werden müssen.

Hinzu kommt als weiterer Aspekt, dass insbesondere große Träger sozialer Organisationen in den letzten Jahrzehnten formale Organisationsstrukturen ausgebildet haben, die häufig denen einer Verwaltung in nichts nachstehen. Angesichts der Dynamik und Komplexität unserer Gesellschaft stellt sich daher auch organisationsintern die Frage, welche der Strukturen, Regeln, Prozesse, Hierarchieebenen etc. eigentlich noch funktional für die zeitgemäße und bedarfsgerechte Erfüllung des Organisationszwecks sind. Daraus ergeben sich „interne Exnovationsnotwendigkeiten“.

Welche Erkenntnisse haben Sie daraus gezogen, welche Learnings haben Sie in der Rückschau mitnehmen können? Wie gestaltete sich der Prozess?

Abschiedsprozesse sind immer hoch emotional. Das liegt auf der Ebene der Angebote daran, dass diese nicht mangels Nachfrage oder Bedarf eingestellt werden müssen. Im Gegenteil: Der gesellschaftliche Bedarf z.B. an Pflege und Kinderbetreuung steigt von Jahr zu Jahr. Entsprechend schwierig sind Entscheidungen, bestimmte Leistungen nicht mehr anzubieten, da es immer um Menschen geht – und zwar um Menschen in oft prekären Lebenslagen.

Auf der Ebene der „internen Exnovation“ zeigt sich für mich immer wieder sehr eindrücklich, wie stark eingeschliffene Verhaltensmuster wirken und wie behutsam entsprechend mit Exnovation bzw. dem Abbau von liebgewonnenen Prozessen und damit der Veränderung von Arbeitsabläufen umgegangen werden muss. Als Beispiel fällt mir eine Wohnbereichsleitung in einer stationären Altenhilfeeinrichtung ein, die für die Erstellung des Dienstplans zuständig war. Die Aufgabe war hochgradig aufwendig und unbeliebt – man kann es nie allen recht machen. Aber die Überlegung, die Aufgabe „wegzunehmen“ und durch eine andere Person ausführen zu lassen, stieß auf massiven Widerstand.

In beiden Fällen – der externen wie der internen Exnovation – geht es darum, den Abschied zu gestalten. Dazu ist aus meiner Sicht eine Auseinandersetzung mit den „Phasen der Trauer“ hilfreich, die sich – verkürzt – in a) die Phase des Nicht-wahrhaben-Wollens und der Verleugnung, b) die Phase der aufbrechenden Gefühle, c) die Phase der langsamen Neuorientierung und d) die Phase des neuen Gleichgewichts bzw. der Akzeptanz unterteilen lassen.

Was war oder ist im Umgang mit der Exnovation schwierig und anstrengend gewesen? Wo lagen für die Beteiligten die großen Herausforderungen?

Wir Menschen denken nicht in „weniger“. Wir suchen vielmehr systematisch nach Mehr, nach dem Hinzufügen. Etwas wegzulassen wird immer übersehen. Dies wurde z.B. in der Studie „People systematically overlook subtractive changes“ (Adams, et al. Nature 592, 258-261, 2021, hier) eindrucksvoll herausgearbeitet.

Entsprechend herausfordernd ist der Umgang mit Veränderungen hin zu weniger – wie die gesellschaftlichen Anstrengungen rund um den Umgang mit dem Klimawandel eindrucksvoll zeigen. Hinzu kommt, dass uns die Systemtheorie unter dem Begriff der Autopoiese lehrt, dass das primäre Ziel eines jeden Systems sein Überleben ist. Daraus folgt, dass das Weglassen und damit das „Sterben“ von Angeboten und Institutionen als soziale Systeme immer mit massiven Widerständen verbunden ist.

Und wenn es dann noch darum geht, Angebote und Dienstleistungen für Menschen in prekären Lebenslagen abzubauen, kann man sich die Herausforderungen vorstellen. Wie gesagt, es geht um Trauer und Trauerbewältigung.

Welche Empfehlungen können Sie aus Ihren Erfahrungen heraus geben? Was sollte man tun, was sollte man lassen? Wie sollte man mit den negativen Emotionen umgehen, die einen Exnovationsprozess begleiten? Und welche waren/sind die „schönen“ Momente in so einem Prozess?

Die schönen Momente liegen eindeutig in der Perspektive, durch „interne Exnovation“ wieder Luft zum Atmen zu bekommen, sich zu bewegen, neu zu denken und zu handeln. Das Eliminieren von aus Anwendersicht nicht sinnvollen, geschweige denn effizienten Prozessen – z.B. durch die Methode „Kill a stupid rule“ – wird als äußerst positiv empfunden. Hier zeigt sich immer wieder, wie hilfreich es ist, Menschen in Organisationen in ihrer – und wenn auch nur minimalen – Selbstwirksamkeit in Bezug auf ihren Einflussbereich zu stärken.

Bezogen auf die „dunkle Seite der Exnovation“ ist es aus meiner Sicht wichtig, dass sich die Verantwortlichen für Exnovationsentscheidungen nicht ausschließlich sachlich-informativ an die Betroffenen (Mitarbeiter:innen wie auch Nutzer:innen) wenden, sondern immer auch die emotionale Seite berücksichtigen.

Informationen darüber, warum es notwendig ist, bestimmte Angebote einzustellen, sind wichtig, aber definitiv nicht ausreichend. Ähnlich wie bei der Trauerbewältigung geht es darum, Dialogräume anzubieten, in denen der Trauer, der Wut und der Enttäuschung Raum gegeben werden kann, um von dort aus wieder gemeinsam in eine positive, vor allem aber gestaltbare Zukunft zu blicken.

Denn: Exnovationsbedarf bietet immer auch die Chance zu hinterfragen, ob Angebote und auch die internen Strukturen, Prozesse und Abläufe wirklich wirksam und damit notwendig sind.


Und bei Dir so: Welche Erfahrungen machst Du in Deiner Organisation mit dem Loslassen bzw. der Exnovation in sozialen Organisationen? Hinterlasse doch hier einen Kommentar! Danke schon jetzt!!!

Exnovation, oder: Verlernen allein reicht (oft) nicht!

Tags: ,

Innovation braucht Raum. Innovation gelingt, wenn es Raum gibt, Neues ins Leben (und in die Organisation) zu bringen. Hinzu kommt, dass der Blick auf die aktuellen Herausforderungen, vor denen nicht nur soziale Organisationen, sondern alle Organisationen und wir als Gesellschaft stehen, erfordert, weniger zu tun. Als Beispiel sei hier nur die Herausforderung genannt, heute und in Zukunft genügend Fachkräfte zu rekrutieren, um die sozialen Dienste aufrechtzuerhalten. Hier habe ich dargelegt, warum dies zukünftig nicht mehr gelingen wird. Neben den dringend benötigten Innovationen brauchen wir in Zukunft auch Exnovation. Aber was genau ist Exnovation und wie kann Exnovation und damit der Abschied von liebgewonnenen, aber nicht mehr wirksamen Angeboten, internen Strukturen, Prozessen und Denkweisen gelingen?

Das möchte ich in diesem Beitrag erläutern. Dazu wird zunächst ein Blick darauf geworfen, was Exnovation bedeutet. Anschließend wird dargestellt, wie in Organisationen vorgegangen werden kann, um erfolgreich zu „exnovieren“.

Exnovation – was ist das?

Exnovation lässt sich intuitiv als Gegenstück zu Innovation zu verstehen (klick). Exnovation ist die Abschaffung oder Rücknahme von Nutzungssystemen, Prozessen, Praktiken oder Technologien, die erprobt und bewährt, aber nicht mehr effizient oder nicht mehr strategiekonform sind.

Es geht bei Exnovation darum, nicht nur veraltete, sondern auch immer noch genutzte und durchaus moderne, aber aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr erwünschte Dinge, Handlungen, Verhaltensweisen, Prozesse, Strukturen, Angebote und Verfahren aus der Welt zu schaffen.

Aber:

Exnovation bedeutet nicht, eine Kultur der Nicht-Innovation in der Organisation zu propagieren (hier wäre ich auch ausgestiegen, denn die Entwicklung von nicht nur sozialen Innovationen und übergreifend von Innovationskompetenz ist aus meiner Sicht für soziale Organisationen nach wie vor hoch relevant).

Exnovation – der Ausstieg, die Abschaffung, die Beendigung – gehört zwingend zur Innovation – wie zwei Seiten einer Medaille. Dies wird am Beispiel der aktuell anstehenden Exnovationsprozesse des Atom- und Kohleausstiegs deutlich:

Um den Ausstieg aus ehemals innovativen, inzwischen aber problematisch gewordenen Technologien zu schaffen, ist Innovation notwendig: Der sofortige Ausstieg aus den alten Energien führt zum Kollaps der Gesellschaft. Wir brauchen also neue, regenerative Möglichkeiten, unseren Energiebedarf zu decken.

Innovation allein führt aber nur zu einer Ergänzung des Alten und damit zu weiterbestehenden Parallelstrukturen, zu einem „immer mehr“. Im privaten Kontext sehe ich die Nachbarn, die zwar ein Elektroauto fahren, aber nur zusätzlich zum bisher ausreichenden Benziner. Im organisationalen Kontext sehe ich die Bemühungen, „jetzt auch noch agiles (Projekt-)Management“ zu machen, irgendetwas mit New Work einzuführen oder dringend „neue Angebote“ zu schaffen, ohne aber Platz und Raum zu schaffen, damit das Neue Raum zur Entfaltung finden kann. Das „Immer-mehr-Denken“ scheint universell zu sein:

„Wenn Dinge oder Ideen verbessert werden sollen, wird automatisch hinzugefügt. Besser bedeutet für die meisten Menschen vor allem: mehr. Mehr Funktionen, mehr Projekte, mehr Arbeit, mehr Zeug. Dass es auch zu Verbesserung führen kann, Elemente zu entfernen, bedenkt kaum jemand.“

Sebastian Herrmann

Exnovation allein reicht aber auch nicht aus, da viele Prozesse, Wege und Möglichkeiten zumindest notwendig erscheinen, wenn nicht sogar notwendig sind. Der Ausstieg aus der Kernenergie gelingt nur, wenn es Alternativen gibt, ebenso wie der Umstieg auf Elektroautos (wenn es denn die Lösung ist…) nur gelingt, wenn es eine ausreichende Ladeinfrastruktur gibt.

Und im Kontext von Organisationen und Unternehmen gelingt Exnovation vor allem dann, wenn alternative Wege von Angeboten, Strukturen, Prozessen denkbar und möglich sind.

Weitere Beispiele für Exnovation finden sich unter dem Fokus der ökologischen Nachhaltigkeit im Beitrag des Freiburger ÖkoInstituts aufgeführt.

Exnovation – how to?

Im verlinkten Beitrag des ÖkoInstitut e.V. wird auch verdeutlicht, dass Exnovation auf zwei Wegen erfolgen kann. Angesprochen wird

a) die durch Innovation vorangetriebene („natürliche“) Exnovation und
b) die gesteuerte („künstliche“) Exnovation.

Natürliche Exnovation durch echte Innovation

Exnovation durch Innovation kann als „natürliche Exnovation“ bezeichnet werden:

Dadurch, dass sich Produkte, Dienstleistungen, Prozesse, Strukturen, Geschäftsmodelle etc. als „besser“ erweisen, werden bestehende Strukturen, Angebote etc. verdrängt. Als Beispiele können Webstühle, Kassetten- und Videorecorder oder auch Kohleöfen in Haushalten genannt werden.

Die Parallele zu evolutionären, also allmählichen Veränderungen und Entwicklungen wird deutlich (danke, Stefan, für den Hinweis).

Aus meiner Sicht ist dieser Punkt für Organisationen der Sozialwirtschaft unter dem Gesichtspunkt „Disruption“ spannend:

In den Diskussionen (und auch Keynotes) rund um die „Digitalisierung des Sozialen“ wurden immer wieder „disruptive Geschäftsmodelle“ als Bedrohungsszenario für soziale Organisationen vorangestellt: Organisationen wie betreut.de werden immer wieder als Beispiel herangezogen, ebenso die Geschichten von UBER oder AirBnB, die verdeutlichen sollen, dass ganze Branchen ins Wanken geraten können, weil es neue, meist plattformbasierte digitale Geschäftsmodelle gibt, die eine echte Bedrohung für etablierte, traditionelle Branchen darstellen. An dieser Stelle ein kleiner Hinweis auf die Serie „The Playlist“ bei Netflix, die die Spotify-Story sehenswert nachzeichnet. Ach ja, Netflix, auch so ein disruptives Geschäftsmodell…

An dieser Stelle aber auch meine Skepsis gegenüber den Entwicklungen rund um digitale Geschäftsmodelle in der Sozialen Arbeit:

Die prognostizierte „disruptive Entwicklung“ ist – zumindest bisher – nicht wirklich erkennbar. Und auch jenseits digitaler Angebote ist eine Verdrängung bestehender Angebote der Sozialwirtschaft durch bessere Angebote aus anderen Branchen kaum erkennbar. Hier ist anzumerken, dass die Sozialwirtschaft eine eher konservative Branche ist und soziale Organisationen daher nicht unter dem gleichen Innovationsdruck stehen wie andere Branchen.

Im Gegensatz zur Zerstörung der Sozialwirtschaft durch digitale Geschäftsmodelle kann die Sozialwirtschaft in den letzten Jahren und Jahrzehnten eher als „die Wachstumsbranche“ Deutschlands bezeichnet werden. So schreibt sozial.de im Jahr 2018, dass „inzwischen (…) knapp sechs Prozent aller Erwerbstätigen zum Sozialwesen [tätig sind], 1991 waren es lediglich etwas mehr als drei Prozent. Das Wachstum habe sich vor allem in den vergangenen Jahren noch mal beschleunigt.“

Diese Entwicklung kann einerseits als große Erfolgsgeschichte der Sozialwirtschaft bezeichnet werden.

Andererseits wird deutlich, dass ein „weniger, aber besser“ nicht stattgefunden hat. So ist das Ziel der Sozialen Arbeit die Minderung sozialer Problemlagen. Zugespitzt (und natürlich deutlich unterkomplex) formuliert: Soziale Arbeit ist dann erfolgreich, wenn sie nicht mehr gebraucht wird. So gesehen ist Soziale Arbeit gescheitert (was natürlich nicht ihr allein anzulasten ist).

Dieses „Versagen“ hat auch damit zu tun, dass bestehende Systeme und damit auch das Sozialsystem und die in ihm agierenden Organisationen strukturkonservativ sind und zur Bestandswahrung bzw. zum Wachstum neigen.

Bestandswahrung resultiert aus sogenannten „Pfadabhängigkeiten“ bestehender Strukturen, die dazu führen, dass diese Strukturen gegenüber neuen Strukturen „im Vorteil“ sind und damit „natürliche Exnovation“ verhindern bzw. behindern.

„So wird an einem Pfad unter Umständen selbst dann festgehalten, wenn sich später herausstellt, dass eine Alternative überlegen gewesen wäre. Pfadabhängige Prozesse sind also nicht selbstkorrigierend, sondern verfestigen unter anderem auch Fehler.“

Es lassen sich vor allem folgende Pfadabhängigkeiten zeigen, die Innovation erfolgreich verhindern (vgl. ÖkoInstitut, 2016, 11f):

  • rechtliche Pfadabhängigkeiten (bestehende Gesetze, technische Normen…)
  • ökonomische Pfadabhängigkeiten (Skaleneffekte, getätigte Investitionen und daraus resultierende Kapitalbindung)
  • infrastrukturelle und technologische Pfadabhängigkeiten (mangelnde Infrastrukturen für Neues)
  • organisationale Pfadabhängigkeiten (prozessuale und strukturelle Routinen)
  • nutzerbezogene Pfadabhängigkeiten (kulturelle Standards, Verhaltensroutinen und individuelle sowie kollektive Unsicherheiten mit Blick auf Neues).

Allein der Blick auf diese Pfadabhängigkeiten und die Übertragung auf die Sozialwirtschaft ergeben spannende Fragen:

  • Welche der genannten Pfadabhängigkeiten sind in unserer Branche bzw. explizit in Deiner Organisation dominant?
  • Wo bedingen sich Pfadabhängigkeiten gegenseitig?
  • Welche Pfadabhängigkeiten lassen sich in Deiner Organisation proaktiv anders und neu gestalten, um „natürliche Exnovation“ einfacher zu ermöglichen?

Klar ist aber, dass mit den etablierten Strukturen Akteure verbunden sind, die ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Status quo haben (vgl. Öko-Institut, 12). Dies gilt auch und vielleicht gerade für die Sozialwirtschaft.

An dieser Stelle möchte ich betonen, dass es nicht ausreicht, auf die vermeintlich innovationsunfreundlichen Verbände, Träger und sozialen Organisationen zu schimpfen. Denn soziale Organisationen stehen als pluralistische Organisationen in vielfältigen Abhängigkeiten. So gibt es z.B. auch auf Seiten der Kostenträger Interessen, die zum Erhalt der bestehenden Strukturen führen. Ohne in die Tiefe zu gehen, führt die Verteilung der Mittel auf Basis der Sozialgesetzbücher zu Abhängigkeiten, die auf Seiten der Kostenträger zur Aufrechterhaltung der dahinter stehenden Systeme führen, auch wenn ein alternatives Vorgehen nicht nur im Sinne der Nutzer*innen sinnvoller, sondern ggf. auch kostengünstiger wäre.

Auch die individuelle Ebene darf nicht außer Acht gelassen werden: Die Mitarbeiterinnen sozialer Organisationen haben ein Interesse daran, an dem Status quo festzuhalten und das, was sie tun, weiter zu tun, und die Nutzerinnen sozialer Dienstleistungen, für die sich Soziale Arbeit anwaltschaftlich einsetzt, haben ein (berechtigtes) Interesse an der Weiterführung der Angebote und Dienstleistungen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es Exnovation aufgrund der genannten Pfadabhängigkeiten auf individueller, organisationaler und gesellschaftlicher Ebene nicht leicht hat.

Künstliche Exnovation durch Entscheidungen

Exnovation kann aber auch gesteuert werden. Ich verwende hier den von mir „erfundenen“ Begriff der „künstlichen Exnovation“ in Abgrenzung zur „natürlichen Exnovation“.

Und der Unterschied liegt auf der Hand:

Künstliche Exnovation geschieht nicht durch Verdrängung bestehender Strukturen, Prozesse, Angebote usw., weil das Neue besser ist.

Künstliche Exnovation erfolgt durch Entscheidungen, dass bestimmte Angebote, Strukturen, Technologien etc. nicht mehr fortgeführt werden sollen oder dürfen.

Auf gesellschaftlicher Ebene sind hier vor allem politische Entscheidungen und damit Gesetze zu nennen, die z.B. bestimmte, umweltschädliche Technologien verbieten. Beispiele hierfür sind das FCKW-Verbot oder das Verbot von verbleitem Benzin.

Aber auch hier wirken die oben beschriebenen Pfadabhängigkeiten:

Würden sich politische Entscheidungen allein an gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren, müssten wir längst aus der Nutzung fossiler Energieträger ausgestiegen sein, innerdeutsche Flüge verbieten, Kreuzfahrten sowieso etc.

Aber es gibt Widerstand von Menschen und Systemen, die von der Nutzung dieser Technologien und Systeme abhängig sind. Lobbygruppen wehren sich mit aller Macht gegen naheliegende und dringend notwendige Entscheidungen.

Und auch innerhalb von Organisationen gibt es Widerstände gegen „künstliche Exnovationen“: Mitarbeiter_innen wehren sich gegen zu treffende Entscheidungen und blockieren aus Besitzstandswahrung und Eigeninteresse Wandel und notwendige Veränderungen.

In sozialen Organisationen kommt eine weitere Hürde hinzu, wenn es um die Einstellung nicht mehr wirksamer, möglicherweise ineffizienter Angebote geht: Es werden (oft sehr berechtigte) ethische Argumente vorgebracht, die die Einstellung von Angeboten erschweren. So führt z.B. die Einstellung eines spezifischen Angebots dazu, dass die Zielgruppe des Angebots keine Angebote und damit keine Unterstützung mehr erhält. Eine rein ökonomische Effizienzargumentation, wie sie in rein wirtschaftlich agierenden Organisationen der Fall sein mag, greift hier (Gott sei Dank) deutlich zu kurz.

Anders verhält es sich mit dem Blick auf die oft massiv überbordende Administration: QM- und andere Prozesse, Dokumentation, Berichtswesen etc. Hier macht das sofortige Stoppen, Aufhören und Weglassen, auch wenn es keine neuen Lösungen gibt, oft mehr als Sinn!

Wie Exnovation gelingen kann

Wie aber kann Exnovation – egal ob natürlich oder künstlich – auch in Organisationen der Sozialen Arbeit unter den geschilderten Herausforderungen gelingen?

Im verlinkten Beitrag, der auf Fragen der Nachhaltigkeit und der ökologischen Transformation abzielt, werden die folgenden Schritte benannt, die ich hier auf die Herausforderungen sozialer Organisationen übertragen will. Dabei ist auffällig, dass sich die Vorgehensweisen nicht wesentlich von gelingenden Veränderungsprozessen unterscheiden.

1. Alternativen fördern und Unterstützung finden – das Fundament für Exnovation

In einem ersten Schritt geht es darum, Alternativen zum Bestehenden zu fördern und Unterstützung für Exnovationen zu finden.

„So wie Transformationsprozesse Exnovationen brauchen, brauchen sie natürlich auch Innovationen“ (ebd., 15).

Allein die Ankündigung und Durchsetzung, dass Angebot XY in Zukunft nicht mehr benötigt bzw. stattfinden wird, wird sicherlich Bewegung in die Organisation bringen. Ob diese Bewegung aber in die gewünschte Richtung geht, ist fraglich. Das Wundern über massive Widerstände, Frustration und mögliche Kündigungen der Mitarbeiter_innen ist dann nur noch naiv.

An dieser Stelle spielen attraktive Zukunftsbilder und attraktive Visionen einer erstrebenswerten Zukunft eine wichtige Rolle. Sie geben den Menschen in der Organisation Orientierung in der Transformation. Diese Zukunftsbilder sind daher als Grundlage für Exnovation wie für jeden anderen Veränderungsprozess notwendig.

Hinzu kommt, dass die Dringlichkeit, Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit der Transformation sowie der Weg in eine neue, andere Zukunft verständlich kommuniziert werden müssen:

  • Warum ist es sinnvoll und notwendig, neue Wege zu gehen, zu denen auch Einschnitte gehören.

So wird „sensemaking“ als eine der wesentlichen Future Skills beschrieben.

Durch die Entwicklung eines attraktiven Zukunftsbildes und die Vermittlung der Notwendigkeit von Veränderungen, durch die Darstellung der Bedeutung von Exnovationen wird es möglich, innerhalb und außerhalb des eigenen Teams und der eigenen Organisation Unterstützer*innen zu finden, die den Weg mitgehen.

Dabei ist es nicht nur in der Politik, sondern auch innerhalb der Organisation wichtig, Koalitionen bzw. Kooperationen zwischen mehreren Akteuren zu bilden, die möglichst unterschiedliche Ressourcen einbringen und unterschiedliche Zielgruppen ansprechen (vgl. ebd., 15).

  • Wer sind die Menschen in der Organisation, die „koalieren“ wollen bzw. die Bock auf die anstehenden Entwicklung haben?
  • Wer sollte zum „Exnovationsteam“ gehören?
  • Welche Kompetenzen werden noch gebraucht und woher kommen diese – intern oder extern?

2. Möglichkeitsfenster nutzen – Timing für Exnovation

Sind die Grundlagen gelegt, die Bedeutung der Veränderung kommuniziert, ein attraktives Zukunftsbild entwickelt und ein „Exnovationsteam“ gebildet, stellt sich die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt:

  • Wann ist die bestmögliche Zeit, um tiefgreifende Veränderungen hin zur Exnovation anzugehen?
  • Wo zeigt sich ein „window of opportunity“?

Dabei lohnt es sich, auf Krisen, Umbrüche und eine erhöhte Sensibilität für bestimmte Themen in der Organisation zu reagieren, um die damit verbundene erhöhte Veränderungsbereitschaft zu nutzen.

So ist es beispielsweise denkbar, die Einführung selbstbestimmter Teams mit dem Ausscheiden einer Teamleitung zu beginnen, da hier ohnehin Veränderungen anstanden.

Im kirchlichen Kontext könnten Bewegungen wie #outinchurch oder der misslungene Umgang der katholischen Kirche mit den Missbrauchsfällen und der damit verbundene gesellschaftliche Aufschrei als Chance genutzt werden, echte, tiefgreifende Veränderungen anzugehen. Könnte…

Andere Gelegenheitsfenster können aber auch gesamtgesellschaftliche Krisen wie die Corona-Pandemie, aktuell die Krise um den brutalen Angriffskrieg auf die Ukraine oder ein extrem trockener Sommer sein. Auch hier werden die Menschen sensibilisiert, dass es „so nicht weitergehen kann“. Das „window of opportunity“ ist offen.

Das „Warten“ auf ein entsprechendes Zeitfenster sollte jedoch dringend genutzt werden, um Innovationen bereits zu denken und soweit möglich vorzubereiten. Eine Diskussion über die Einführung selbstbestimmter Teams sollte vor der Einführung stattfinden, die Folgen des Wegfalls von Angeboten sollten vor dem Wegfall von Angeboten bedacht werden und die Zeit bis zum Kohleausstieg sollte mit einer sinnvollen Politik gefüllt werden, die massiv auf Innovationen rund um den Ausbau erneuerbarer Energien setzt. Und auch die Vermittlung eines attraktiven Zukunftsbildes sollte in der Wartezeit erfolgen.

3. Gestaltung des Exnovationsprozesses

Einstiegsfragen sind:

  • Müssen Exnovationen möglichst mit allen von der Veränderung Beteiligten bzw. Betroffenen konsensual ausgehandelt?
  • Oder reicht nicht auch das Treffen und die Durchsetzung der Entscheidung durch die Nutzung „formaler Macht“?

Hierzu schreibt Heyen, dass „das Ausmaß der nötigen Zugeständnisse für Exnovations-Entscheidungen im Konsens mit den Betroffenen (…) von Fall zu Fall verschieden sein [wird] – abhängig von der Macht und dem Verhandlungsgeschick beider Seiten. Ausgehandelte Kompromisse werden nicht in allen Exnovations-Fällen notwendig, geeignet oder machbar sein. Bei hohen rechtlichen Hürden oder drohenden Strukturbrüchen scheint der konsensuale Weg aber empfehlenswert“ (ebd., 19).

Die Übertragung dessen auf Organisationen fällt nicht schwer, wenn man sich bewusst macht, wie massiv der Strukturbruch durch eine Exnovationsentscheidung sein kann.

Hier hilft die Unterscheidung zwischen Veränderungen erster und zweiter Ordnung (vgl. bspw. Kruse, P.; Schomburg, F., 2016, 9):

  • Veränderung erster Ordnung bedeutet, dass Veränderungen innerhalb einer bestehenden Struktur, bestehenden Prozessen und bestehenden Systemen vorgenommen werden. Veränderung erster Ordnung ist das „Basteln am System“. Es geht hier darum mehr oder weniger von etwas tun, was man sowieso tut, bestehende Prozesse besser, schneller oder präziser zu machen und inkrementelle Änderungen vornehmen. Veränderung erster Ordnung lässt das System mit seinen Ergebnissen bestehen, jedoch verändern sich die Mittel, um diese Ergebnisse zu erzielen.
  • Veränderung zweiter Ordnung hingegen lässt sich als „transformativ“, „revolutionär“, „radikal“ oder „disruptiv“ beschrieben. „Bei einer Veränderung zweiter Ordnung geht es um die Stimulierung kreativer Musterwechsel“ (ebd.). Es geht darum, bestehende Systeme grundlegend zu ändern, abzuschaffen oder umzugestalten. Veränderungen zweiter Ordnung sind für die meisten Menschen beängstigend – vor allem dann, wenn die Veränderungen von oben oder von außen auferlegt werden und sie Möglichkeit der Partizipation haben.

Bei Exnovationen bewegen wir uns vornehmlich auf der Ebene der Veränderung zweiter Ordnung. Denn es geht ja genau darum, nicht das bestehende System ein wenig besser oder anders zu gestalten, sondern in Kombination mit Innovation neue bzw. andere Optionen, Wege und Optionen zu eröffnen und damit das bestehende System durch einen kreativen Musterwechsel infrage zu stellen.

Hierzu bedarf es in den allermeisten Fällen die Beteiligung der Betroffenen, um nicht Gefahr zu laufen, die Gesamtorganisation bzw. die betroffene Organisationseinheit an den Rand des Zusammenbruchs zu bringen.

Gleichzeitig jedoch ist wichtig zu betonen, dass Beteiligung insbesondere in Organisationen nicht bedeutet, „bei allem mitentscheiden zu können“. Um Entscheidungen zu treffen gibt es in „traditionellen“, formal-hierarchisch strukturierten Organisationen die Rolle der Führungskräfte, die eine andere Verantwortung tragen als die Mitarbeiter_innen. Diese organisationalen Realitäten wiederum gilt es im Exnovationsprozess zu verdeutlichen, um nicht falsche Erwartungen auf Seiten der Betroffenen hinsichtlich ihrer Beteiligungsmöglichkeiten zu wecken.

Um es konkret zu machen, hilft ein Beispiel: Ein Komplexträger der Sozialwirtschaft analysiert sein Angebotsportfolio. Dabei wird deutlich, dass eine Sparte – nehmen wir mal den Bereich der Sozialpädagogischen Familienhilfe – zum einen nicht kostendeckend arbeitet und es zum anderen kaum mehr möglich ist, geeignetes Personal zu finden (wie gesagt, es ist ein Beispiel). In dem Bereich arbeiten 30 Menschen.

Eine einfache Entscheidung wäre jetzt, den Bereich zu schließen und die Mitarbeiter_innen irgendwo anders im Unternehmen zu beschäftigen. Diese Entscheidung wäre möglich. Diese Entscheidung – top-down – wäre jedoch mit enormem Widerstand der Mitarbeiter_innen verbunden.

Hinzu kommt, dass das Wegbrechen des Angebots der SPFH aus Perspektive der Nutzer_innen eine Lücke reißen würde: Die dringend benötigte Unterstützung für hoch belastete Familien fällt weg.

Aus Perspektive der Organisation kommt hinzu, dass der Wegfall des Angebots in der Außendarstellung zu echten Problemen führt: Die Wirkung in der Öffentlichkeit, die es hat, einen Angebotsbereich wegfallen zu lassen, ist gerade für soziale Organisationen nicht zu unterschätzen.

Was aber tun?

Bevor die Exnovationsentscheidung zur Einstellung des Angebots getroffen wird, gilt es, gemeinsam mit den beteiligten internen und externen Stakeholdern – Mitarbeiter_innen, Nutzer_innen und Kostenträgern – zu erarbeiten, wie eine Alternative aussehen könnte:

  • Wie kann es gelingen, die Zielgruppe anders, vielleicht sogar besser, zu erreichen und die notwendigen Kosteneinsparungen trotzdem realisieren zu können?

Ergeben sich vielleicht digitale Möglichkeiten in Ergänzung zur Arbeit mit den Nutzer_innen vor Ort? Lassen sich Prozesse der Arbeit deutlich effizienter gestalten, die zu Kosteneinsparungen führen? Lässt sich die Arbeit in der Kombination mit ehrenamtlichen besser realisieren? Lässt sich der Sozialraum der Nutzer_innen (Nachbarschaft, Netzwerke, Verwandtschaft…) besser in die Unterstützung einbinden? Welche Optionen ergeben sich, wenn man nicht mehr out of the box, sondern ohne Box denkt?

Vielleicht ergeben sich durch die Beteiligung der Mitarbeiter_innen Ideen und Ansätze, die bislang noch nicht berücksichtigt wurden. Vielleicht ergeben sich neue Angebotsformen, die das bestehende Angebot nicht ersetzen, aber anders gestalten könnten?

Vielleicht kommt man aber auch zu dem Schluss, dass es ohne Einstellung des Angebots nicht geht. Sollte es so sein, hat man aber zumindest ein gemeinsames Verständnis über die Notwendigkeit der Einstellung des Angebots geschaffen.

4. Zeit

Es kann sinnvoll sein, Exnovationsprozesse durch Übergangsfristen zeitlich zu strecken und so Widerstände abzubauen (vgl. Heyen, 2016, 20).

Ein Beispiel für eine solche Streckung ist der Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor: Ein sofortiges Verbot würde zu massiven Problemen führen. Entsprechend wird den betroffenen Unternehmen eine angemessene Übergangsfrist eingeräumt, um ihre Produktion umzustellen und/oder neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Übertragen auf soziale Organisationen ist es hier relevant, notwendige Entscheidungen nicht „hinter dem Berg zu halten“ und dann die Mitarbeiter_innen und Nutzer_innen mit kurzfristigen Entscheidungen zu überraschen, sondern frühzeitig in eine offene Kommunikation einzusteigen.

Eine frühzeitige Entscheidung und Kommunikation liegt auch im Interesse der Planungs- und Investitionssicherheit von Unternehmen, insbesondere in Branchen mit langen Investitionszyklen, aber auch von Arbeitnehmer/innen im Hinblick auf die Berufswahl oder von Konsument/innen im Hinblick auf Kaufentscheidungen (vgl. ebd.).

Frühzeitige Kommunikation ermöglicht die Entwicklung neuer Ideen, Geschäftsmodelle, Optionen, interner Strukturen und Prozesse, die einen Ausstieg wesentlich erleichtern.

Die frühzeitige Kommunikation ermöglicht dann auch auf Seiten der betroffenen Mitarbeiter_innen, dass sie sich entweder innerhalb oder auch außerhalb der Organisation weiterentwickeln können. Weiterbildungsoptionen können frühzeitig geplant und genutzt werden.

Fazit, oder: Warum weniger besser ist

Die aktuellen Herausforderungen, denen sich soziale Organisationen gegenübersehen, erfordern eine Auseinandersetzung mit den „weniger schönen Seiten der Transformation“.

Die Neuentwicklung von Angeboten, Prozessen, Strukturen und Arbeitsweisen allein reicht nicht (mehr) aus, um den Herausforderungen gerecht zu werden.

Es gilt, den bisherigen Innovationsfokus durch eine stärkere Beschäftigung mit Exnovation: dem Ausstieg aus nicht nachhaltigen Infrastrukturen, Technologien, Produkten und Praktiken zu ergänzen (vgl. ebd., 26). Ergänzen heißt aber nicht ersetzen!

So wurde in dem Beitrag dargelegt, dass Exnovation nur durch die Schaffung von Alternativen sinnvoll gelingen kann.

Das alleinige Aufgeben, Verlernen, Weglassen oder Zurückziehen von erprobten und bewährten, aber nicht mehr wirksamen oder nicht mehr strategiekonformen Nutzungssystemen, Prozessen, Praktiken oder Technologien ist nur in wenigen Fällen sinnvoll und führt zu enormen Verwerfungen – in Organisationen ebenso wie in der Gesellschaft.

Wenn aber Reduktion, wenn „weniger“ und damit Exnovation mit Innovation einhergeht, bleibt die Steigerung der Innovationsfähigkeit sozialer Organisationen auch und gerade in herausfordernden Zeiten wesentlich für ihre Zukunftsfähigkeit.

Denn: Es kann nicht das Ziel sein, nur „weniger“ zu tun. Ziel von Exnovation muss es sein, „weniger, aber besser“ zu machen.

Eigentlich ein schöner Schlusssatz, aber eines möchte ich noch hinzufügen:

Wenn es uns als Individuen, aber auch unseren Organisationen und der Gesellschaft als Ganzes gelingt, zu verinnerlichen, dass gerade das Weniger zu einem Besseren und nicht zu einem Verlust führen kann, dann wird es möglich, neue Denk- und Handlungsräume zu öffnen.

P.S.: Falls Du Dich mit Deiner Organisation auf den Weg zu „weniger, aber besser“ machen willst, kannst Du …

Quellen:

  • Minnaar, J. (2023): Rethinking Workplace Transformation: The Art of Subtraction. URL: https://www.corporate-rebels.com/blog/the-art-of-subtraction. Download am 26.10.2023.
  • Heyen, D. (2016): Exnovation: Herausforderungen und politische Gestaltungsansätze für den Ausstieg aus nicht nachhaltigen Strukturen. ÖkoInstitut Working Paper. Download am 04.11.22 unter http://www.oeko.de/fileadmin/oekodoc/WP-Exnovation.pdf.
  • Kruse, P.; Schomburg, F. (2016): Führung im Wandel: Ohne Paradigmenwechsel wird es nicht gehen. In: Geramanis, O.; Hermann, K. (Hrsg.): Führen in ungewissen Zeiten. Impulse, Konzepte und Praxisbeispiele. Wiesbaden: Springer Gabler. S. 3 – 15.