Kollektive Prokrastination und was wir dagegen tun können

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Eigentlich müsste ich nen Vortrag vorbereiten, ein Beratungskonzept schreiben, zwei Angebote fertig machen und mich um den Garten kümmern. Aber irgendwie, irgendwie habe ich keine Lust, sitze vor dem Rechner und verschiebe die wichtigen Dinge auf später, auf dann, wenn es oft zu spät ist, um wirklich gut zu werden. Ich prokrastiniere vor mich hin. Prokrastination lässt sich als pathologische Störung definieren, die „durch ein unnötiges Vertagen des Beginns oder durch Unterbrechen von Aufgaben gekennzeichnet ist, sodass ein Fertigstellen nicht oder nur unter Druck zustande kommt“ (wikipedia). Kennen wir alle, oder?

Aber kennen wir Prokrastination nicht auch auf kollektiver, gesamtgesellschaftlicher Ebene?

Spätestens seit der Überraschung der Bundesregierung über die Geschwindigkeit der Machtübernahme durch die Taliban war mein Gefühl zumindest, dass in der Regierung Menschen Uno spielen, Fenster putzen und Faxgeräte reparieren, um dann ernsthaft überrascht zu sein, wenn ihnen ihre eigenen Aufgaben und Verantwortlichkeiten auf die Füße fallen.

Wollten die Menschen, die die Verantwortung trugen, nicht genauer hinschauen und schon vorbereitet in den Abzug der Truppen und die Rettung der „Ortskräfte“ (seltsamer Begriff) gehen? Aber nicht nur beim Thema Afghanistan (wobei das eine für viele Menschen unmittelbar tödliche Überraschung war) ist dieses „Wegschauen“ nicht mehr nur individuell, sondern kollektiv.

Und es hängt bei den folgenden Themen auch nicht mehr nur an einzelnen Menschen in bestimmten Positionen, sondern oftmals an uns allen – kollektiv eben.

Hier also ein paar Themen, in denen wir kollektiv vor uns hin prokrastinieren:

Klimakrise

Ich will und kann nicht alle auf der Hand liegenden Argumente vortragen, die darlegen, dass genau jetzt der letzte Zeitpunkt zum Umsteuern in der Klimakrise ist.

Wenn wir für unsere Kinder noch eine halbwegs lebenswerte Zukunft wollen, müssen wir jetzt politische Entscheidungen treffen, die dieses Ziel (bspw. 1,5 Grad) sichert.

Jetzt.

Und jetzt findet lieber die IAA in München statt und der Kohleausstieg ist lieber mal irgendwann 2038 oder so… Denn, ganz ehrlich: Es ist wichtig, dass Du die Kartoffeln vom Bauern um die Ecke kaufst und Hafermilch trinkst.

Wirksam ist aber, wenn die Politik Gesetze verabschiedet, die bspw. verbieten, schneller als 120 km/h auf der Autobahn zu fahren, Kerosin ganz anders besteuern oder den Kohleabbau morgen stoppen. Das ist kurz schmerzhaft für eine (überschaubare) Menge an Menschen, aber es ist langfristig hilfreich für das Überleben der Menschheit.

Bildung

Wir wissen, dass unser Bildungssystem so lala ist.

Mit „so lala“ meine ich, dass es nicht gut funktioniert, wenn man aus Perspektive der „Leistung“ draufschaut. Pisa-Tests haben uns immer wieder gezeigt, dass die deutschen Schüler*innen irgendwo im Mittelfeld rumdümpeln. Und das, obwohl irgendwie alle unzufrieden mit dem System sind.

Viel wichtiger aber ist, dass wir in einer hochdynamischen Zeit leben, in der es nicht mehr auf die Vergleichbarkeit von Leistungen (Noten…), sondern auf die Gestaltung von Komplexität ankommt.

Komplexität lässt sich am Besten gestalten, indem Vielfalt zugelassen wird. Kreativität, Kollaboration, Kommunikation und kritisches Denken sind viel zitierte, notwendige Zukunftskompetenzen, die aber im klassischen Schulsystem in der Breite nicht zählen.

Und ich mache den Lehrer*innen keinen Vorwurf. Die Funktionslogik unseres Bildungssystems ist auf Vergleichbarkeit, und nicht auf Innovation ausgerichtet. Da kann der/die Einzelne nicht viel tun.

Ach ja, Schule allein ist nicht der Bildungsbereich. Hochschulen und das Ausbildungssystem kommen hinzu, sind aber nicht besser aufgestellt.

Digitalisierung

Wenn ich hier nen gif hinsetzen könnte, wäre es ein verrückt kicherndes Männchen, verzweifelt ob der ganzen offen auffindbaren Warnungen, Hinweise und Tipps, was im Digitalen jetzt und in Zukunft getan werden muss.

Die Rede von Lobo zur Eröffnung der Republica 2021 reicht im Grunde aus, um das kollektive Versagen auf diesem Gebiet zu verdeutlichen.

Und jetzt damit zu beginnen, Glasfaser zu verlegen, ist schon wieder zu spät, wenn man bspw. die Aktivitäten von Starlink betrachtet. Aber nun gut, es kommt ja alles so plötzlich…

Arbeit

Arbeit ist ein sehr großer Bereich, der schwer zu fassen ist. Aber auch da habe ich das Gefühl, dass viele (nicht alle) Unternehmen und Organisationen an Vorstellungen des letzten Jahrhunderts hängen.

Nein, die Menschen arbeiten (langfristig) nicht mehr, wenn man ihnen eine Karotte vor die Nase hängt. Das ist übrigens auch nicht „New Work“, auch wenn euch das so verkauft wird…

Und Menschen arbeiten auch nicht mehr, wenn man ihnen mit empfindlichen Strafen droht. Nein, Menschen, Erwachsene wie übrigens auch Kinder, müssen nicht kontrolliert werden, wenn sie einen Job machen, der sinnvoll ist und den eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten halbwegs entspricht.

Dabei geht es nicht um Spaß bei der Arbeit. Es geht darum, einen Beitrag zu leisten. Das geht für jede Aufgabe, von der Straßenreinigung bis hin zur Quantenphysik (mir ist kein besseres Beispiel eingefallen). Und ihr wundert euch über Fachkräftemangel? Ach, übrigens, Arbeit muss nicht zwangsläufig bezahlte Arbeit sein.

Auch Care-Arbeit ist Arbeit und trägt einen wesentlichen Teil zum Wohlstand unserer Gesellschaft bei.

Soziales und Gesundheit

Das Klatschen ist verhallt, oder?

Die Bedingungen in Pflege und in vielen sozialen Arbeitsfeldern sind nicht nur weiterhin schlimm, sondern schlimmer geworden. Die Feststellung, dass die Pflegekräfte in der Pandemie kaum Unterstützung bekommen haben, führt dazu, dass die Menschen die Pflege verlassen Ciao, Kakao! Und der Fachkräftemangel in der Branche ist schon jetzt – wie auch in der Branche der Erzieher*innen – krass. Es fehlen – als Beispiel – bis 2025 etwa 300.000 Erzieher *innen.

Und die Regierung ist auf dem Weg, den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulbereich zu beschließen. Alles cool, aber wer soll denn wen betreuen? Vielleicht betreuen einfach die Grundschulkinder am Nachmittag die Pflegebedürftigen und umgekehrt? Vielleicht unterstützt durch ein paar arbeitslose Menschen, wie es die grandiose Idee aus Bayern vorschlägt? Das war Ironie!

Und nu? Was tun gegen Prokrastination?

Alle Punkte ließen sich in vielerlei Hinsicht auffächern. Darum geht es mir aber nicht. Mir geht es darum zu betonen, dass all die (und noch mehr) Themen, die unserer Gesellschaft wirklich unter den Nägeln brennen, schon lange auf der Hand liegen.

Es gibt Tonnen von Büchern, Studien, Veröffentlichungen und so weiter, die darlegen, dass in den Bereichen dringender Handlungsbedarf besteht. Und wir prokrastinieren vor uns her. Wir regen uns auf über Gender-Schreibweise, Lastenräder oder andere Nebensächlichkeiten, ohne wirklich aktiv zu werden.

Aber was könnte man denn tun?

Wenn ich mich persönlich motivieren will, doch die wichtigen Dinge zu tun und nicht mehr noch das nächste Video bei Insta zu schauen, gehe ich wie folgt vor:

Projekte klären

Wenn ich vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehe, stellt sich zunächst die Frage, in welchem Wald ich eigentlich bin. Anders:

Was sind meine wichtigsten Projekte? Woran will ich gerade wirklich arbeiten?

Meist sind das zu viele Projekte, aber es hilft, sich einen Überblick zu verschaffen. Und wie wäre es, wenn wir uns kollektiv auf die drei Top-Projekte einigen könnten?

Klimakatastrophe steht dabei unangefochten auf Platz 1 der wichtigen Projekte, danach können wir gerne in die Diskussion gehen: Was ist als zweites Projekt dringend anzugehen? Bildung vielleicht? Ja, ich weiß, die Gesellschaft ist komplexer, aber die Diskussion über die Komplexität lenkt oft von der Gestaltung der Zukunft heute ab. Lasst uns lieber was machen!

Und ja, das heißt auch, dass es politische Entscheidungen, Gesetze braucht. Der Markt (allein) wird sicher nicht alles regeln…

Top 3 festlegen

Um was zu machen, versuche ich, meine wichtigsten 3 To-Dos für den Tag zu bestimmen:

Was sind die Dinge, die ich heute auf jeden Fall schaffen will?

Nicht mehr als 3, denn sonst erschlägt mich die pure Menge der Aufgaben. Und in jedem Projekt gibt es mehrere Aufgaben, sonst wäre es kein Projekt. Was wären also bspw. beim Klimawandel die drei wichtigsten Tasks?

Klar, wieder viel zu unterkomplex, aber warum nicht: Kohleausstieg jetzt, Tempolimit und ? Keine Ahnung, aber damit kennen sich ja die Profis aus. Und dann:

Einfach mal machen.

Musik

Ja, das passt nicht so:

Ich wähle mir eine motivierende Playlist aus, mit der ich gerne arbeite… Das ist nur bedingt zu übertragen, aber:

Auch wenn ich oben geschrieben habe, dass es nicht darum geht, dass Arbeit Spaß machen muss, macht Arbeit die Spaß macht mehr Spaß.

Wie wäre es also, wenn wir die anstehenden Herausforderungen nicht in der deutschen Bräsigkeit angehen und den Untergang des Abendlandes vor Augen haben, wenn wir nicht mehr mit 195 über die Autobahn brettern dürften?

Wie wäre es stattdessen, dass gerade die Umsetzung der anstehenden Aufgaben eine lebenswerte Zukunft für alle (und vor allem für unsere Kinder und Enkel) erzeugen würde?

Die Vision einer lebenswerten Zukunft ist schon irgendwie cool, oder?

Time-Blocking

Ich unterteile meine Arbeit dann meist in etwa 25 – 30 Minuten Blöcke.

Länger kann ich mich sowieso nicht konzentrieren, danach muss ich dann 5 Minuten bei Twitter schauen oder so. Und ja, warum machen wir das nicht ähnlich im Großen:

Es müssen keine endlosen Aufgaben sein, die da vor uns liegen. In einer komplexen Welt ist iteratives Handeln, also das „Schritt für Schritt Vorgehen“ sowieso viel sinnvoller. Nach jedem Schritt, nach jeder Iteration können wir dann schauen, ob wir (natürlich im Großen) auf dem richtigen Weg sind.

Fazit: Wählen gegen Prokrastination 2021

Mit den oben genannten Schritten gelingt es mir, mich immer wieder aus meiner eigenen Prokrastination zu holen – kleine Schritte, Zeiten und gute Musik. Jaja, ich weiß, das ist alles ziemlich naiv auf gesellschaftlicher Ebene.

Aber mich wundert schon, dass bei den großen Themen, die ich oben angerissen habe, in den vergangenen Jahren politisch so verdammt wenig passiert ist. Ich war eigentlich immer Fan von (der Person) Angela Merkel, aber das Gefühl, dass 16 Jahre einfach nur ausgesessen wurde, bleibt (leider).

Uns bleibt bei vielen Themen nicht mehr viel Zeit, um wirklich Veränderungen anzugehen. Ein „Weiter so“ wird nicht helfen. Und das ist auch mein Plädoyer für die anstehende Wahl:

Eine GroKo, die weiter nichts tut, wäre eine echte Katastrophe für die zukünftigen Generationen. Lasst uns also entsprechend wählen, um einen dringend notwendigen Neuanfang zu wagen und die Gesellschaft aus der Starre des Nichtstuns, des Aufschiebens, der Prokrastination, zu holen.

Es könnte ja gut werden…

Warum Einfachheit, Machbarkeit und Sinn so wichtig sind, oder: Gedanken zur organisationalen Salutogenese

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Gesundheit und Krankheit sind in Zeiten einer Pandemie aus guten Gründen besonders relevant. Ich habe noch nie soviel „Bleib gesund“s unter Mails gelesen und in Gesprächen gehört. Und die aktuelle „Neue Narrative“ titelt in der aktuellsten Ausgabe entsprechend:

„Wir sind doch alle krank!“

Da kommt die Salutogenese um die Ecke: Wuhuu… Neues Fremdwort! Salutogenese, schon mal gehört? Wahrscheinlich schon, denn gerade im Kontext von Organisationen des Sozial- und Gesundheitswesens sollte die Idee hinter dem Begriff geläufig sein.

Spannend ist – und darum geht’s im Beitrag – die Übertragung der Idee der Salutogenese und deren Dimensionen auf Organisationen als soziale Systeme. Die Leitfrage lautet also:

Wie sehen gesunde Organisationen aus? Und wie können wir diese gestalten?

Aber der Reihe nach:

Was ist Salutogenese?

Salutogenese bezeichnet – so Wikipedia – neben einer Fragestellung und Sichtweise für die Medizin vor allem ein Rahmenkonzept, „das sich auf Faktoren und dynamische Wechselwirkungen bezieht, die zur Entstehung und Erhaltung von Gesundheit führen.“

Im Gegensatz zur Pathogenese, die die Krankheit in den Mittelpunkt stellt, wird bei der Salutogenese versucht, die drei Einflussfaktoren Verständnis, Machbarkeit und Sinnhaftigkeit als Kohärenzgefühle in den Mittelpunkt der Entstehung von Gesundheit zu stellen. Gesundheit ist damit nicht als Zustand, sondern als Prozess zu verstehen. Risiko- und Schutzfaktoren stehen hierbei in einem Wechselwirkungsprozess.

Geprägt wurde der Begriff der Salutogenese durch den israelisch-amerikanischen Medizinsoziologen Aaron Antonovsky (1923–1994) in den 1980er Jahren. Ohne in die Tiefe zu gehen, war eine der Kernfragen seiner Forschung, wie es Menschen gelungen ist, unter den Bedingungen der KZ-Haft sowie in den Jahren danach ihre (körperliche und psychische) Gesundheit zu erhalten.

Gesundheit entsteht nach Antonovsky – wiederum sehr kurz gefasst – wenn Menschen ein Kohärenzgefühl haben.

Kohärenz umfasst nach Antonovsky die drei Dimensionen Verständnis, Machbarkeit und Sinnhaftigkeit :

  • Verständnis meint die Fähigkeit, die Zusammenhänge des Lebens zu verstehen.
  • Machbarkeit ist die Überzeugung, das eigene Leben gestalten zu können – das Gefühl der Handhabbarkeit oder Bewältigbarkeit (ähnlich dem Begriff der ‚Selbstwirksamkeitserwartung‘ nach Bandura).
  • Und Sinnhaftigkeit ist der Glaube an den Sinn des Lebens.

Heiner Keupp beschreibt die drei Komponenten des Kohärenzgefühl wie folgt:

„Kohärenz ist das Gefühl, dass es Zusammenhang und Sinn im Leben gibt, dass das Leben nicht einem unbeeinflussbaren Schicksal unterworfen ist.

  • Meine Welt ist verständlich, stimmig, geordnet; auch Probleme und Belastungen, die ich erlebe, kann ich in einem größeren Zusammenhang sehen (Verstehensebene).
  • Das Leben stellt mir Aufgaben, die ich lösen kann. Ich verfüge über Ressourcen, die ich zur Meisterung meines Lebens, meiner aktuellen Probleme mobilisieren kann (Bewältigungsebene).
  • Für meine Lebensführung ist jede Anstrengung sinnvoll. Es gibt Ziele und Projekte, für die es sich zu engagieren lohnt (Sinnebene).“

Die drei Ebenen bzw. die Dimensionen Verstehbarkeit, Selbstwirksamkeit und Sinn machen demnach Gesundheit aus.

Das ist sehr nachvollziehbar: Wenn ich das Gefühl habe, dass mein Leben für mich verstehbar, gestaltbar und sinnhaft ist, habe ich das Gefühl, lebendig, gesund zu sein, gestalten und mich entfalten zu können. Und dabei ist dieses Gefühl für jede*n von uns völlig individuell.

Wenn jedoch eine Dimension ins Wanken kommt, ich also den Überblick verliere, nicht mehr gestalten kann und/oder den Sinn meines Handelns oder mehr noch des Lebens verliere, gerät das komplette Konstrukt ins Wanken.

Schon hier kann man – mit Blick auf Führung und Personalarbeit, mit Blick auf HR, sehr tief einsteigen, damit die Menschen in den Organisationen gesund bleiben. So ist das Konzept der Salutogenese in der Mitarbeiterführung und Entwicklung sicherlich mehr als lohnenswert.

Mich interessiert aber, ob und wie es gelingen kann, die Dimensionen der Salutogenese auf Organisationen als Ganzes zu beziehen. Welchen Nutzen können also die Dimensionen der Salutogenese für Organisationen und Fragen der zeitgemäßen Organisationsentwicklung haben?

Und welche Handlungsoptionen lassen sich daraus ableiten?

Übertragung der Dimensionen der Kohärenz auf Organisationen

Noch einmal: Die Dimensionen Verstehbarkeit, Selbstwirksamkeit und Sinn machen Gesundheit aus. Wenn man Organisationen als soziale Systeme betrachtet (was für mich aus vielerlei Perspektive Sinn macht), kann man davon sprechen, dass Organisationen „lebendige“ Eigenschaften aufweisen. Denn „weder Menschen noch die Organisationen, in denen sie arbeiten, [sind] Maschinen.“ (Neue Narrative, #12, S. 16).

Aus diesem Verständnis heraus entwickeln Organisationen sich selbst, wollen von sich aus „lebendig bleiben“ (Autopoiese) und sind – ebenso wie das psychische System der Menschen – als nichttriviale Systeme nicht steuerbar im maschinellen Sinn.

Apropos Sinn…

Sinn

Sinn – als erste der Kohärenzdimensionen – wird dahingehend wichtig, wenn man den Zweck einer Organisation betrachtet: Organisationen benötigen zum Überleben einen Zweck, eine Existenzberechtigung. Organisationen ohne Zweck sterben. Oder sie werden künstlich, mit viel Marketing, am Leben erhalten.

Genau wie Menschen einen Sinn benötigen, um gut arbeiten zu können, benötigen Organisationen einen Sinn. Schon hier stellt sich die Frage, wie der Sinn, der Purpose, das Zusammenspiel zwischen Vision und Mission in Deiner Organisation ausgeprägt ist? Wann hat sich Deine Organisation das letzte Mal mit ihrem Sinn befasst? Wozu existiert Deine Organisation? Hör mal genau hin, vielleicht ist es etwas anderes, als das, was Du glaubst?

Selbstwirksamkeit

Das Selbstwirksamkeitserleben bzw. die Selbstwirksamkeitserwartung ist nicht nur wesentlich für die Gesunderhaltung von Menschen, sondern auch für ihre Entwicklung. Denn wer daran glaubt, etwas bewirken und auch in schwierigen Situationen selbstständig handeln zu können, kann als Person gezielt Einfluss auf die Dinge und die Welt nehmen, statt äußere Umstände, andere Personen, Zufall, Glück und andere unkontrollierbare Faktoren als ursächlich für das eigene „Schicksal“ anzusehen (vgl. Wikipedia).

Wenn mir – was ja nunmal vorkommt – das Leben Aufgaben stellt, die ich lösen kann, geht es mir gut. Ich verfüge über Ressourcen, die ich zur Meisterung meines Lebens, meiner aktuellen Probleme mobilisieren kann. Und für Organisationen gilt das Gleiche: Welche Aufgaben sind zu bewältigen? Befassen wir uns mit dem, was wir können? Denn nur daraus erwächst (Selbst-)Wirksamkeit.

Verstehbarkeit

Verstehbarkeit bedeutet, die Umwelt als geordnet, konsistent und erklärbar einzuschätzen. Menschen, die Begründungen für das finden, was sich um sie herum ereignet, gehen davon aus, dass auch künftig überraschend eintretende Ereignisse eingeordnet und erklärt werden können. Der Blick auf und vor allem der Blick in Organisationen zeigt jedoch, dass wir Organisationen geschaffen haben, die hochgradig kompliziert gestaltet sind. Regeln, Rituale, Vorgaben, Prozesshandbücher, QM-Richtlinien und vieles mehr sind nicht nur nicht mehr nachzuvollziehen oder verstehbar. Diese Strukturen von Organisationen führen zur Blockade der Möglichkeit, sich schnell an veränderte Bedingungen anpassen zu können.

Und genau das – diese Anpassungsfähigkeit – ist die berühmte Agilität, von der alle immer sprechen. Nicht umsonst überschreibt Jos de Blok (bspw. in diesem Video, aber auch an vielen anderen Stellen) den bzw. zumindest einen Aspekt des Erfolgs von Buurtzorg mit den Worten „keep it small, keep it simple“. Halte es einfach.

Halte Deine Organisation einfach.

Die Umschreibung des „Needing Principles“ mit den Worten Do, what’s needed! unterstreicht diese Einfachheit, Verstehbarkeit eindrücklich.

Das ist im Kern auch der Grund, warum ich glaube, dass selbstbestimmt agierende Teams und Organisationen nicht nur – wie oftmals vorgebracht wird – ein Thema für „Akademiker*innen“ sind. Im Gegenteil wird erst durch das Wegfallen von Strukturen, Hierarchien, Machtspielchen und interner Politik Klarheit, Einfachheit und Verstehbarkeit geschaffen. So ließe sich andersherum argumentieren, dass die etablierten Strukturen unserer Organisationen viel mehr dem Machterhalt als der eigentlichen Wertschöpfung dienen.

Aus der Einfachheit heraus ergibt sich im Übrigen viel Raum und Freiheit für die so viel beschworene und in vielen Bereichen wirklich benötigte Innovation.

Schlussfolgerungen für die Organisationsentwicklung

Es wurde deutlich, dass die Übertragung des Konzepts der Salutogenese auf Organisationen durchaus sinnvoll sein kann.

Verstehbarkeit, Selbstwirksamkeit und Sinn sind nicht nur für Menschen, sondern auch für Organisationen in einer sich dynamisch verändernden, komplexen Welt erstrebenswerte Aspekte, um „gesund zu bleiben“.

Es geht darum, überschaubar und nachvollziehbar sinnvoll handeln zu können.

Aber was kannst Du in Deiner Organisation konkret tun, um einen Schritt weiter zu einer gesunden Organisation zu kommen?

Dazu hier ein paar Ideen für

Verstehbarkeit:

  • Habt ihr eure Prozesse dokumentiert? Falls nicht: Machen! Denn es hilft ungemein, wiederholende Prozesse einmal zu fassen und dann auch anhand des PDCA-Zyklus weiterzuentwickeln. Falls ja: Wann habt ihr euch im Team oder der Organisation das letzte Mal ernsthaft mit den Prozessen befasst, diese aktualisiert und entmüllt? Prozesse zu dokumentieren macht nur Sinn, wenn diese dann auch gelebt werden.
  • Gibt es sonstige Regeln und Vorgaben, die ihr festgelegt habt und denen ihr folgen müsst? Machen diese Regeln und Vorgaben Sinn? Wenn nicht, weg damit.
  • Wie ist die Aufbaustruktur der Organisation gestaltet? Wie viele Hierarchieebenen gibt es? Und machen die Sinn? Wenn nicht, lohnt es sich perspektivisch, diese abzubauen. Das klingt einfacher, als es ist, aber das Ziel einer verständlichen Organisationsstruktur wäre ja eine echte Vision, oder?
  • Wie steht es eigentlich um die Strategie in der Organisation? Klar gibt es eine (hoffentlich…), aber ist diese auch den Mitarbeiter* innen bekannt. Und mehr noch: Kennen die Mitarbeiter* innen und Teams ihre Aufgaben und Projekte, mit denen sie zur Erreichung der Strategie beitragen? Falls nicht, lohnt es sich, die Strategie noch einmal genauer anzuschauen und gemeinsam Ziele zur Erreichung der Strategie auf den unterschiedlichen Ebenen der Organisation abzuleiten.
  • Und überhaupt Transparenz: Wie transparent sind Entscheidungen? Wie transparent ist die Kommunikation in der Organisation? Wie transparent sind auch die finanziellen Kennzahlen der Organisation? Denn: Wir können von den Mitarbeiter* innen nicht verlangen, dass sie Verantwortung übernehmen, wenn die Rahmenbedingungen unklar sind.

Selbstwirksamkeit

  • Ist der Gesamtorganisation klar, was Mission und Vision, was Purpose der Organisation ist? Das ist gerade bei sozialen Organisationen gar nicht so einfach, denn man kann ja irgendwie alles. Was aber gehört nicht zum Aufgabenbereich der Organisation? Was kann und muss von anderen bearbeitet werden?
  • Ist allen Mitarbeiter*innen auf Teamebene klar, was Vision und Mission ihrer Arbeit ist? Falls nicht macht es Sinn, im Team über die Aufgaben und die Ausrichtung des Teams gemeinsam zu sprechen. Wozu ist das Team da?
  • Gibt es in der Bearbeitung von Aufgaben eine Überschneidung dessen, was die Mitarbeiter *innen können, wollen und sollen? Das ist relevant, denn nur, wenn die Motivation mit den Fähigkeiten und Kompetenzen zusammenfällt und die dann hervorkommenden Ergebnisse noch das sind, was Aufgabe der Organisation ist, wird wirklich gute Arbeit geleistet. Was muss verändert werden, um eine Passung der drei Aspekte Wollen, Können und Sollen zu erreichen?
  • Welche Herausforderungen auf individueller Ebene sind zu bewältigen, um die Selbstwirksamkeit im Beruf zu erhöhen? Sind die Mitarbeiter*innen in der Lage, sich selbst zu organisieren, so, dass sie nicht von den anfallenden Aufgaben überfordert sind? Man kann nur dann selbstbestimmt im Team arbeiten, wenn man seine Aufgaben und sich selbst (halbwegs 😉 gut auf die Reihe bekommt.

Sinn

  • Mal ehrlich: Wenn man davon ausgeht, dass Deine Organisation ein soziales System ist: Was würde die Organisation selbst sagen: Macht das, was sie tut, Sinn?
  • Und ebenfalls ehrlich: Wenn es keinen Sinn macht, ist es auch OK, eine Organisation, ein Projekt oder ein Produkt sterben zu lassen. Manchmal macht der Neuanfang mehr Sinn.
  • Über Purpose, Vision und Mission habe ich ja schon geschrieben. Aber kennst Du die Vision, Mission und Purpose Deiner Organisation? Wirklich? Und macht das noch Sinn? Und wird das, was in der Vision, Mission und dem purpose steht, in konkrete Strategien übersetzt? Was also hat Deine Arbeit mit dem zu tun, was Sinn macht?

Naja, kann man ja mal drüber nachdenken…

Oder konkret dran arbeiten.

Wenn Du dabei Unterstützung brauchst, sag gerne Bescheid 😉

Systeme verbinden, oder: Ein Dilemma in der Transformation pluralistischer Organisationen

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Soziale Organisationen ebenso wie NPOs, Schulen und Bildungseinrichtungen lassen sich als pluralistische Organisationen definieren. Unter pluralistischen Organisationen sind Organisationen zu verstehen, die sich an verschiedenen gesellschaftlichen Funktionssystemen orientieren müssen, um existieren zu können. Bei sozialen Organisationen lassen sich insbesondere die Funktionssysteme Recht, Wirtschaft, Politik, Erziehung, Wissenschaft, Medizin und Religion hervorheben.

Daraus resultiert, dass pluralistische Organisationen mit „einem besonders divergierenden Spektrum unterschiedlicher Umwelterwartungen konfrontiert sind und diesen Erwartungen auch zu entsprechen suchen. Diese unterschiedlichen Erwartungen externer Anspruchsgruppen schlagen sich in multiplen Zielen nieder, denen eine pluralistische Organisation zugleich gerecht zu werden versucht.“ [mfn]Hörer, H. (2013): Entscheidungsfähigkeit in pluralistischen Organisationen – Rekonstruktion von Entscheidungsmustern eines diakonischen Unternehmens. Dissertation[/mfn]

Das ist soweit nicht besonders. Viele Organisationen und insbesondere die Führungskräfte in diesen Organisationen sind es gewohnt, die mit den Herausforderungen der Verbindung multipler Ziele einhergehenden Dilemmata auszubalancieren. Widerspruchsmanagement ist Alltag von Führungskräften pluralistischer Organisationen.[mfn]vgl. bspw. Herzka, M. (2013): Führung im Widerspruch – Management in Sozialen Organisationen. Wiesbaden, Springer[/mfn]

Veränderung dritter Ordnung als Unmöglichkeit pluralistischer Organisationen

Problematisch wird es jedoch, wenn die Notwendigkeit besteht, die Organisationen nicht nur weiterzuentwickeln bzw. zu optimieren (Veränderung erster Ordnung), sondern grundlegende Transformationen der Art, wie die Organisationen gearbeitet haben, zu gestalten.

Innovation, Bruch, Disruptionen, schöpferische Zerstörung oder Veränderung zweiter, wenn nicht dritter Ordnung sind Stichworte.

So zeigen die inzwischen reichlich strapazierten Megatrends schon lange die Notwendigkeit nicht nur von Musterwechseln innerhalb bestehender Systeme, sondern die Notwendigkeit des radikalen Wechsels des Systems an sich [mfn]vgl. Kruse, P., Schaumburg, F. (2016): Führung im Wandel: Ohne Paradigmenwechsel wird es nicht gehen. In: Geramanis, O., Hermann, K. (Hrsg.): Führen in ungewissen Zeiten – Impulse, Konzepte und Praxisbeispiele. Wiesbaden, Springer. S. 3 – 16.[/mfn].

Und spätestens die aktuelle Corona-Pandemie hat gezeigt, wo in den gesellschaftlichen Funktionssystemen die wirklichen Probleme stecken. Das Klatschen über die doch angeblich so systemrelevanten Branchen haben viele noch im Ohr, aber in den Branchen selbst sieht es an vielen Stellen düster aus.

Über das starre Bildungssystem wurde schon viel berichtet, aber die Bildungskatastrophe in der Pandemie war dann schon oft sehr überraschend: Montags Zettel abholen, die dann Freitags ausgefüllt zurückgebracht werden müssen, ist keine Bildung. Es zeigt aber, dass die Primärfunktion von Schule vielleicht gar nicht Bildung, sondern die Betreuung der Kinder, damit die Eltern arbeiten können, ist?

Und der sowieso schon enorme Fachkräftemangel in Erziehung und Pflege hat durch die Pandemie trotz aller Beteuerungen über das erwartbare Maß hinaus zugenommen. Und nein, die Pflegekräfte aus dem Ausland sind keine Alternative, wie der Beitrag hier mit Blick aus Spanien, Italien und England darlegt.

System-Umwelt-Analyse als Grundlage der Organisationsentwicklung pluralistischer Organisationen

Vom großen Ganzen zurück zum Kleinklein gelingender Organisationsentwicklung pluralistischer Organisationen: Eine erste Intervention zeitgemäßer Organisationsentwicklung, ist die System-Umwelt-Analyse. Hierbei wird das zu betrachtende System (die eigene Organisation) in Verbindung zu den Systemen der Umwelt der Organisation gebracht.

Dabei kommen häufig interessante Einblicke zutage und es wird die schon genannte Besonderheit sozialer Organisationen ebenso wie Bildungseinrichtungen als pluralistische Organisationen deutlich: Sie sind in viele Funktionssysteme eingebunden, deren Funktionen, Codes und Programme sich oftmals widersprechen.

So ist – als Beispiel – die Funktion des Bildungs- und Erziehungssystems so etwas wie Sozialisation, der Code wäre in der Schule vielleicht „Besser lernen/schlechter lernen“, in der Sozialen Arbeit eher „Inklusion/Exklusion“ oder „Hilfe/Nicht-Hilfe“. Unter den Programmen sind Bildung oder die Angebote sozialer, personenbezogener Dienstleistungen zu verstehen. Diese sind in ihrer Ausgestaltung – das ist nichts Neues – hochgradig komplex. So besteht eine der Besonderheiten sozialer Organisationen darin, dass personenbezogene, soziale Dienstleistungen kaum standardisierbar sind und deren Effektivität immer an die Koproduktionsbereitschaft der Nutzer*innen gebunden ist. Spannend ist, dass in Bildungskontexten wie Schulen und Hochschulen noch immer versucht wird, Standardprogramme zu fahren, anstatt die individuellen Anforderungen anzuerkennen, aber das ist wiederum ein anderes Thema…

Gestaltung von Komplexität vs. Denken in Zuständigkeiten

Im Gegensatz zu den auf die Gestaltung von Komplexität angelegten Sozialen Organisationen sind die Sozialleistungsträger (u.a. Bund, Länder, Kommunen, Sozialversicherungsträger, Krankenkassen, die für die Kosten aufkommen) nicht im Erziehungssystem anhand der genannten Codes organisiert, sondern fokussieren in ihren Strukturen und Handlungsweisen auf Rechtmäßigkeit und Berechenbarkeit bei hoher Zuverlässigkeit, Effektivität und Effizienz.

Auch die Entwicklungen rund um „Neue Steuerungsmodelle“ (NSM) und seit etwa 2013 Kommunale Steuerungsmodelle (KSM) und damit die Versuche, von der inputorientierten über outputorientierte hin zu outcomeorientierten Steuerungen zu kommen, haben an der Grundorientierung der Arbeit der Sozialleistungsträger im Kern nicht viel verändert.

So schreiben Michl und Steinbrecher, dass das Denken in Einzelzuständigkeiten ein Grundprinzip des Arbeitens in Verwaltungen darstellt: „Auch komplexe Aufgaben werden in ‚kleine Häppchen‘ zerteilt und jedes Häppchen einem zuständigen Sachgebiet oder auch einer anderen beteiligten Behörde und darin jeweils einer Person zugeordnet. Diese Arbeitsweise ist über 200 Jahre alt und in vielen Situationen der heutigen Zeit nicht mehr angemessen.“ [mfn]Michl, T., Steinbrecher, W. (2018): Wozu kann unsere Gesellschaft eine „agile Verwaltung“ brauchen? In: Bartonitz, M. Et. al: Agile Verwaltung – Wie der öffentliche Dienst aus der Gegenwart die Zukunft entwickeln kann. Wiesbaden: Springer[/mfn]

Besonderheiten öffentlicher Verwaltungen liegen den Ausführungen von Richter[mfn]vgl. Richter, P. (2012): Die Organisation öffentlicher Verwaltung. In: Apel, M., Tacke, V. (Hrsg.): Handbuch Organisationstypen. Wiesbaden: Springer. 91 – 112[/mfn] u.a. in der Funktion einer Stabilisierung von Herrschaft, einer primär hierarchischen Ordnung der Interaktion von Verwaltungsorganisationen mit anderen Verwaltungsorganisationen mittels spezifischer Regelungsformen (Federführung) unter bestimmten Voraussetzungen (regional, fachlich) und einer bürokratischen Binnenrationalität und bürokratischen Organisationsformen.

Die Nähe dieses in weiten Teilen regelbasierten Vorgehens zum Taylorismus ist offensichtlich. Und dieses Vorgehen ist alles andere als schlecht, denn es passt für komplizierte Vorgehen und lineare Wirkungsketten wunderbar. Im Kern ist Verwaltung – mit Recht – als zwar kompliziertes, aber letztlich triviales System organisiert, auf dem unser Staat aufbaut.

Diese Funktionslogik gilt auch für weitere Sozialleistungsträger wie bspw. Krankenkassen und eben auch für die Funktionssysteme, auf die Schulen, Hochschulen und auch Volkshochschulen angewiesen sind: Obwohl jeder nachvollziehen kann, dass Bildung hochkomplex und nicht standardisierbar ist, wird – etwas verkürzt ausgedrückt – über Lehrpläne, Akkreditierungsvorgaben und eine Organisation in Ämtern (an VHS bspw.) versucht, Bildung zu organisieren, nein, zu kontrollieren.

Die Transformation pluralistischer Organisationen scheitert an der Inkompatibilität der Funktionsweisen der Systeme

Was ich sagen will: Die Codes und Funktionsweisen von Sozialen und Bildungsorganisationen unterscheiden sich radikal von denen der Sozialleistungsträger und für Bildung zuständigen Amtsstrukturen. Die einen sind im Kern auf die Gestaltung von Komplexität, die anderen auf die regelbasierte Abarbeitung von (gesetzlichen) Vorgaben, Plänen und die Kontrolle der Einhaltung von Regeln ausgerichtet.

Daraus resultiert, so meine These, dass die Transformation sozialer Organisationen ebenso wie die Transformation von NPO; Schulen und anderen Bildungsorganisationen an der Inkompatibilität der Funktionsweisen der Systeme scheitert.

Diese These wiederum scheint nicht besonders spektakulär oder neu zu klingen. Sie entfaltet ihre Wirkung jedoch im konkreten Alltag von Schulen, von frei-gemeinnützigen Organisationen, Komplexträgern, Wohlfahrtsverbänden uvm.

Überbordende Kontrolle, Dokumentationspflichten, klare Regeln und Vorgaben, Zuständigkeiten und Hierarchien stehen auf Seiten der Kostenträger schon immer der Notwendigkeit der Gestaltung von Dynamik und Komplexität auf Seiten pluralistischer Organisationen gegenüber. Hinzu kommt in der heutigen Zeit – VUCA und Co. sei Dank – eine zeitliche, sachliche und soziale und damit eine dreifache Dynamisierung, wie Kleve [mfn]Kleve, H. (2020): Die Rückkehr des „Menschlichen“: Integration des Psycho-Sozialen, Emotionalen und Elementaren als Voraussetzung für gelingende Selbstorganisation. In: Geramanis, O., Hutmacher, S. (Hrsg.): Der Mensch in der Selbstorganisation. Wiesbaden: Springer. 247 – 260. [/mfn] es nennt:

„Für Organisationen beschleunigen sich die Prozesse, auf die sie in ihrer sozialen Umwelt reagieren müssen; das ist der zeitliche Aspekt. In sachlicher und sozialer Hinsicht können wir von einer Diversifizierung und globalen Vernetzung von Ereignissen und Personen (…) ausgehen (…). Somit lässt sich eine enorme Steigerung der Komplexität konstatieren, also ein rasanter Zuwachs an Vielschichtigkeit und Verwobenheit von Ereignissen, die auf die Grenzen von Organisationen treffen.“

Autonomie und Selbstbestimmung pluralistischer Organisationen stehen dem Zuständigkeitsdenken der Kostenträger diametral entgegen

Pluralistische Organisationen sind gefordert, die zunehmende Komplexität zu bearbeiten. Dies gelingt, indem sie auf die Zunahme der äußeren Komplexität reagieren, indem sie ihre inner-organisatorische Komplexität erhöhen. Die Erhöhung der inner-organisationalen Komplexität bedarf neben einer Re-Emotionalisierung der Kommunikation innerhalb von Unternehmen (vgl. ebd., 251) die Gestaltung sich zunehmend selbststeuernder, autonomer Teams und damit einhergehend die auf Kompetenzen basierende Übernahme von Führung und Verantwortung.

Sich selbst steuernde, autonom agierende Teams und kompetenzbasierte Führung stehen jedoch im krassen Gegensatz zum Zuständigkeits-, Sicherheits- und Vorgabendenken der Sozialleistungsträger, Schulämter und Kultusminister.

Kurz: Die Kostenträger kommen mit den Notwendigkeiten zeitgemäßer Organisationen nicht klar. Die Abwehr geschieht nicht böswillig. Die Kostenträger können nicht anders. Vielleicht hilft diese Einsicht schon bei der nächsten Leistungsvereinbarung (die durch die Pandemie nicht einfacher werden).

Nochmal anders: Sachbearbeiter Jürgen ist nicht selten doof, sondern aus seiner Funktion im System eines Kostenträgers agiert er völlig rational. Jürgen kann gar nicht anders. Sein Verhalten und vor allem die getroffenen Entscheidungen passen „nur“ nicht zur dringenden Notwendigkeit der Komplexitätsgestaltung pluralistischer Organisationen.

Gestaltung pluralistischer Organisationen gelingt durch Einbeziehung aller Stakeholder

Daraus wiederum folgt, dass es im Zuge grundlegender Transformationen gelingen muss, alle basierend auf einer System-Umwelt-Analyse definierten Stakeholder an einen Tisch zu bekommen – und das schon vor dem anstehenden OE-Prozess.

Nur durch gemeinsames Verständnis der Anliegen der jeweils anderen Seiten kann (nicht: muss) sich die Option eröffnen, neue Wege gehen und dringend benötigte Experimente in der Neugestaltung pluralisitscher Organisationen realisieren zu können.

Abschließend nur noch ein Gedanke zur Notwendigkeit der Entwicklung der Kostenträger, insbesondere der öffentlichen Verwaltungen: Auch diese sind gefordert, im Zuge zunehmender äußerer Komplexität ihre innere Komplexität zu erhöhen, um überhaupt noch adäquat auf die sich verändernden Anforderungen reagieren zu können. Zwar besteht kein unmittelbarer Druck im Sinne der Notwendigkeit unternehmerischen Handelns, aber der Druck nimmt mindestens durch den Fachkräftemangel in der Verwaltung zu. Der schon angesprochene Jürgen weiß zwar, dass er im Sinne des Systems und damit im Sinne von Zuständigkeiten und Dienstanweisungen handeln muss. Jürgen weiß jedoch, dass er eigentlich anders – komplexitätssensibel – agieren müsste. Das zerreißt ihn innerlich. Und darauf hat – trotz aller vermeintlicher Sicherheit im öffentlichen Dienst – niemand mehr wirklich Bock…


P.S.: Ich kenne inzwischen zunehmend Beispiele, wie auch in den Verwaltungen versucht wird, anders zu agieren. Das ist schön zu sehen. Hinzuweisen ist als Sammlung der Beispiele auf den Blog „www.agile-verwaltung.org.

P.P.S.: Im Rahmen des (virtuellen) Socialbarcamps in Kiel habe ich eine Session zu dem Thema des Beitrags gehalten. Die Ergebnisse der Diskussion in der Session, wie es gelingen kann, die beiden sehr unterschiedlichen Systeme und Funktionslogiken zusammen zu bringen, kannst Du hier abrufen.

Retrospektiven durchführen, oder: Wie gemeinsames Lernen gelingt!

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In folgendem Beitrag erfährst Du, was eine Retrospektive ist, wie man Retrospektiven durchführen kann und zu welchen Anlässen sie sinnvoll sind. Das ist – für die Profis unter Euch – nichts Neues. In meiner Arbeit mit sozialen Organisationen stelle ich aber immer wieder fest, dass es gerade diese (mehr oder weniger) einfachen Dinge, Tools und Methoden sind, die einen Mehrwert für Menschen, Teams und die Organisation als Ganzes bieten. Und somit kannst Du vielleicht in Deiner nächsten Teamsitzung eine Retrsopektive durchführen und damit auf die letzten Monate zurückschauen, aus den Erfahrungen lernen und Zukunft gestalten.

„Die Stärke Ihrer Gedanken und die Reflexion Ihrer Handlungen sind die Unterschrift, die Sie in dieser Welt hinterlassen.“

Woody Allan

Denn es sind – so Woody Allan – nicht die Handlungen an sich, sondern die Reflexion der Handlungen, die einen Unterschied machen. Und Reflexion, davon bin ich überzeugt, ist mehr als notwendig, immer wieder, vor allem aber nach einem bestimmten Zeitraum. Und konkret ist die unreflektierte Rückkehr zur vor der Pandemie herrschenden Normalität das Schlechteste, was Organisationen jetzt tun können. Vielmehr ist es gerade jetzt, in den sich hoffentlich verfestigenden Endzügen der Pandemie, wichtig, sich als Menschen, Teams und Organisationen Zeit zu nehmen und die Handlungen der letzten Monate genauer in den Blick zu nehmen.

Ich blicke auf Retrospektiven als „das zentrale Element, um Veränderungen anzustoßen und den Wandel hin zu agilerem persönlichen Arbeiten oder Arbeiten im Team zu bewirken“, wie Ludger Wagner schreibt. Seiner Ansicht nach – und ich kann da gut folgen – sind Retrospektiven „das entscheidende Werkzeug, um den Wandel einer Organisation hin zu den agilen Werten zu befördern“ (Wagner, 2018, 119).

Was sind Retrospektiven?

Retrospektiven im Kontext des agilen Arbeitens lassen sich als gemeinsamer, strukturierter Rückblick (retrospectare = zurückblicken) auf einen vorab bestimmten Zeitraum definieren (der Zeitraum wird in der agilen Methode Scrum als „Sprint“ bezeichnet). Hinzu kommt jedoch das Moment des aus dem Rückblick Lernens für die Zukunft. Damit dient eine Retrospektive nicht nur dazu, zurückzublicken, sondern ganz konkret Verbesserungsideen aus dem letzten Zeitraum zu generieren. Diese Ideen, Projekte, Experimente sind im nächsten zu betrachtenden Zeitraum anzugehen und danach, in der nächsten Retrospektive, wieder zu reflektieren. Es geht damit um kontinuierliche Entwicklung und um gemeinsames Lernen.

Retrospektiven durchführen

Dazu fokussiert eine Retrospektive auf die beiden Aspekte „Inspect and Adapt“. Inspect heißt, in einem ersten Schritt das zu benennen, was war. „Adapt“ ist dann die Anpassung des Vorgehens und der Arbeitsweise an neue Erkenntnisse gemeint. Ich habe bereits zu Beginn der Pandemie „Inspect and Adapt als lösungsorientierte Kurzzeitstrategie für die (Zeit nach der) Krise“ beschrieben. In dem Beitrag erfährst du mehr zu der Bedeutung der beiden Begriffe.

Retrospektiven durchführen – konkret

Ludger Wagner beschreibt in dem oben erwähnten Beitrag die folgenden fünf Phasen einer Retrospektive:

  1. Gesprächsklima schaffen
  2. Themen sammeln
  3. Erkenntnisse gewinnen
  4. Entscheidungen treffen
  5. Abschluss

Ich gehe nicht auf jeden Bereich in der Tiefe ein. Manches erklärt sich von selbst und unten finden sich noch ein paar Quellen, in denen Du weiter stöbern kannst. Ein paar Aspekte will ich hervorheben.

Gesprächsklima schaffen, oder: Die Menschen dort abholen, wo sie stehen…

Unter dem ersten Punkt – der Schaffung des Gesprächsklimas – ist nicht zu verstehen, dass Kaffee und alte Kekse bereitgestellt werden. Es geht vielmehr darum, dass die Teilnehmer*innen aus ihren je individuellen Kontexten kommen und in die anstehende Arbeitsphase „eingecheckt“ werden sollten. Der „check-in“ besteht entweder aus einer (kurzen) Schilderung der aktuellen Befindlichkeiten (Wie geht es Dir warum? Was beschäftigt Dich gerade?) oder einer (vielleicht auch überraschenden) Einstiegsfrage, zu der jede*r Teilnehmer *in (kurz) etwas sagt. Unter tscheck.in findet sich ein online-tool, in dem unkompliziert entsprechende Fragen generiert werden können.

Wichtig ist noch der Hinweis, dass es beim Check-In nicht um das Ausbreiten der Lebensgeschichte der vor drei Jahren verstorbenen Katze geht. Das ist blöd formuliert, ich weiß, aber gerade wir im sozialen Bereich neigen dazu, gerne lang und ausführlich zu berichten. Wichtig ist aber auch beim Einstieg der Fokus. Dazu helfen klar definierte Zeitfenster: Jede *r hat bspw. eine Minute Zeit für die Beantwortung o.ä. Das Benennen und Einhalten von Zeitslots ist auch für die weiteren Phasen hilfreich, um nicht ausufernd zu diskutieren.

Themensammlung, oder: Daten generieren

Die Themensammlung dient dann dazu, persönliche Erfahrungen, Learnings und Anregungen bezogen auf den betrachteten Zeitraum zu dokumentieren. Es geht darum, „das Wissen aller Teilnehmer über den Betrachtungszeitraum zusammenzutragen und ein gemeinsames Bild zu kreieren“ (Dräther, 2014).

Je nach Intention eignen sich zur Sammlung von Themen und Daten unterschiedliche Methoden und Vorgehen. Im Kern stehen immer die jeweils verwendeten Fragen, die unmittelbar Auswirkungen auf das Ergebnis haben.

So fokussiert die 4 – L – Retro bspw. auf die Fragen „What I Loved, What I Learned, What I Lacked, What I Longed For“ (Was habe ich gemocht, was habe ich gelernt, was hat mir gefehlt, was hat mich genervt).

Die „Starfish Retro“ fokussiert auf die folgenden fünf Fragen:

  • START: Mit was sollten wir beginnen?
  • KEEP: Was müssen wir beibehalten, weil es gut funktioniert?
  • MORE: Von was müssen wir mehr machen?
  • LESS: Von was müssen wir weniger machen?
  • STOP: Mit was müssen wir unbedingt aufhören?

Aber auch ganz andere methodische Herangehensweisen lassen sich für diesen Schritt verwenden. So ist bringt der „Geist aus der Flasche“ wie üblich drei Wünsche mit. Die Aufforderung lautet dann: Bitte formuliere

  • einen Wunsch für dich selbst
  • einen Wunsch für dein Team
  • einen Wunsch für alle Menschen auf der Welt

Und Schummeln (d.h. der Wunsch nach mehr Wünschen oder mehr Geistern) ist nicht erlaubt!

Die findest – das sei schon hier erwähnt – viele Methoden, Fragen, Herangehensweisen unter https://retromat.org/de/.

Ich persönlich bin ja (nicht erst seit Corona) Fan digitaler Möglichkeiten gerade in Retrospektiven. Ja, in Präsenz kann man Themen am Besten auf Klebezetteln sammeln, die dann an Fenstern, Türen, Pinnwände … geklebt werden. Aber meine katastrophale Handschrift bevorzugt das Digitale. Auf digitalen Whiteboard (bspw. dem Conceptboard, mit dem ich gerne arbeite) fällt mein Linkshänderdilemma nicht so auf… 😉 Und dann habe ich auch noch alle Daten, Themen, wichtigen Inhalte direkt gespeichert und kann in der nächsten Sitzung daran weiterarbeiten.

Und warum nutzt Du nicht in der Teamsitzung, die in Präsenz stattfindet, trotzdem das digitale Whiteboard, an dem alle gemeinsam via Beamer arbeiten? Die Herausforderungen ist hier nur, dass das WLAN zu Hause funktioniert, in der Einrichtung nicht 😉 Damit liegt die Dysfunktion übrigens nicht „im Digitalen“, wie so oft behauptet, sondern in der nicht zeitgemäß funktionierenden oder nicht vorhandenen Technik (bzw. der fehlenden Digitalkompetenz in der Nutzung vorhandener Technik, ein wiederum weites Thema…)…

Erkenntnisse gewinnen, oder: Was soll das bedeuten?

Ehrlich gesagt muss ich mich immer zusammenreißen, diesen Schritt wirklich in der gebotenen Tiefe zu gehen. Denn wir neigen oft dazu, viel zu schnell Lösungen zu suchen oder gleich schon mit dem Umsetzen der Lösungen zu beginnen. Denn schon in der Themensammlung, in der Beantwortung der Fragen im vorhergehenden Schritt, tauchen mit dem jeweiligen Thema Lösungen in unseren Köpfen auf.

Hinzu kommt, dass wir uns – ohne sich den gewonnenen Erkenntnissen wirklich zu widmen – häufig nur die Probleme, nicht aber die gemeinsamen Erfolge betrachten. Aber auch und gerade diese sind wichtig: Es lohnt sich immer, mehr von dem zu tun, was funktioniert hat!

Das größere Problem liegt jedoch oft darin, dass wir unmittelbar den ersten Lösungsideen folgen, die uns bei einem Thema in den Kopf kommen. Oftmals kratzen die sich unmittelbar zeigenden Pseudolösungen nur an der Oberfläche. Die Wurzel der Probleme wird damit oft nicht berührt. Das Problem wuchert damit unter der Oberfläche weiter und kommt mit Sicherheit irgendwo anders (und meist mit größerer Schlagkraft) zutage. Vielleicht hast du ja Brombeeren im Garten…

Um hier konkret zu werden: Die Retro zur Kommunikation des Teams während der Pandemie fördert zutage, dass es schwer viel, alle Teammitglieder regelmäßig zu einem festen Zeitpunkt gemeinsam in einen Call zu bekommen. Die unmittelbare Lösung könnte sein: Falscher Zeitpunkt! Aber das Forschen nach der Ursache des Problems könnte wie folgt aussehen:

  • Warum war es kaum möglich, alle Teammitglieder regelmäßig zu einem festen Zeitpunkt gemeinsam in einen Call zu bekommen?
    • Weil die Mitarbeiter unterschiedliche Arbeitszeiten haben.
  • Warum haben die Mitarbeiter unterschiedliche Arbeitszeiten?
    • Weil im Team Mitarbeiter arbeiten, die im Bereich Schulbegleitung eingesetzt werden und Mitarbeiter arbeiten, die im Bereich Offene Jugendarbeit eingesetzt werden.
  • Warum werden die Mitarbeiter in zwei Bereichen eingesetzt?
    • Weil es historisch gewachsen ist, einige Mitarbeiter einige Stellenprozente von hier nach da mitgenommen haben und eine echte Trennung der Bereiche nicht erlogt ist.

Hier könnte man jetzt mit dem nächsten und übernächsten Warum sicherlich noch tiefer gehen. Aber deutlich wird, dass die Herausforderungen des Teams nicht in fehlendem Zeitmanagement, sondern in der Frage liegen, ob die Teamstruktur überhaupt passend ist. Anstatt also krampfhaft nach gemeinsamen Zeiten zu suchen, macht es hier mehr Sinn, über die Zusammensetzung bzw. den Zweck des Teams nachzudenken. Oder kurz: „Das Offensichtliche ist nicht immer auch schon der Kern des Problems.“ (ebd.) Die mehrmalige Frage nach dem Warum findest Du als wirksames Werkzeug bspw. hier beschrieben.

Entscheidungen treffen, oder: Lösungen vor Probleme

Noch einmal: Nimm Dir die Zeit, den vorherigen Schritt zu gehen, bevor du zur Entscheidung kommst, wie es jetzt weitergeht. Für mich als hochgradig ungeduldigen Menschen ist das wirklich eine Herausforderung, aber es lohnt sich!

Nachdem jetzt aber wirklich genug analysiert wurde: Welche Lösung kommt denn infrage? Was ist denn der richtige Weg?

Um diese Fragen zu beantworten, ist es relevant, zu überlegen, ob es eine klare Lösung für das analysierte Problem gibt, oder ob das Problem zu komplex ist, um sagen zu können, das Lösung XY auf jeden Fall richtig ist bzw. welche Auswirkungen die jeweilige Lösung haben wird.

Im zweiten Fall hilft es, Annahmen zu treffen und „Hypothesen über das mögliche Verhalten formulieren. Auf dieser Grundlage lassen sich für die kommende Periode Experimente entwickeln, die in der nächsten Retrospektive ausgewertet werden“ (ebd.). Es geht darum, in der nächsten Phase, im nächsten „Sprint“ etwas auszuprobieren und dann wiederum zu schauen, ob es zum gewünschten Ergebnis geführt hat.

Das obige Beispiel aufgreifend stellt sich zunächst die Frage, welche Erwartung über gemeinsame Teamsitzungen erfüllt werden soll. Denn mal ehrlich: Braucht es wirklich immer gemeinsame Teamsitzungen? Ja, wenn sie einem Ziel dienen und gut gestaltet sind. Nein, wenn sie nur der Informationsweitergabe (oder der Profilierung der Führungskraft) dienen. Wenn Deine Teamsitzung besser Emails wären, schreib besser Emails.

Klar wird, dass die Lösung nicht mal eben so auf der Hand liegt. Hier gilt es also, eine Hypothese zu entwickeln und in der nächsten Retro zu prüfen. Denkbar wäre bspw.: Wenn wir die Teams so umgestalten, dass jede Mitarbeiterin nur für einen Arbeitsbereich zuständig ist, verbessert sich die Kommunikation innerhalb der Teams. Das lässt sich – wenn auch nicht anhand ZDF, so jedoch anhand der Schilderungen der Mitarbeiter – in der nächsten Retro prüfen und wiederum weiterentwickeln. Ach ja: „Zu jeder Maßnahme gehören ein Verantwortlicher und möglichst ein Termin für die Umsetzung“ (ebd.). Das wird oftmals vergessen.

Übrigens ist ab der zweiten Retrospektive spätestens in diesem Schritt Zeit einzuräumen, um auf die Umsetzung der erarbeiteten Lösungen der letzten Retrospektive zu schauen. Nur wenn die umgesetzten Maßnahmen angeschaut werden, kann Verbesserung erfolgen. Erst dann kann das oben angesprochene „inspect and adapt“ und damit gemeinsames Lernen wirklich lebendig werden.

Als Tipp zum Weiterlesen für die Frage, wie Du am Besten welche Entscheidung triffst, empfehle ich Dir das „Handbuch der Entscheidungen“ (…lohnt sich nicht nur im beruflichen Kontext).

Abschluss, oder: Lernen lernen

Abschließend noch ein paar Worte zum Abschluss, sozusagen doppelte Abschlussschleife. Und diese Schleife, der Abschluss der Retrospektive also, bezieht sich auf die Retrospektive an sich. Neben dem Festhalten der erarbeiteten Ergebnisse tragen bspw. die folgenden Fragen zur Entwicklung der Retrospektive an sich bei:

  • Was war gut?
  • Was muss bei der nächsten Retrospektive besser sein?
  • Gibt es noch offene Aspekte, die nicht angesprochen wurden?

Ziel ist, die Retrospektive immer weiter zu verbessern, um so effizient und effektiv wie möglich zu arbeiten.

Retrospektiven durchführen, oder: Warum Kontinuität entscheidet!

Ein Kern agilen Arbeitens ist das interaktive Vorgehen in kurzen Schleifen, die in der Methode Scrum als Sprint bezeichnet werden und zwischen einer und vier Wochen lang sind. In unseren meist weniger dynamischen Arbeitsfeldern reichen in Projekten vielleicht auch Zeiträume von einem bis drei Monaten aus, um immer noch gut und sicher navigieren und Anpassungen vornehmen zu können. In der Umsetzung von Strategien umfassen die Zeiträume der Sprints mindestens ein Quartal, vielleicht sogar ein halbes Jahr. Egal aber, wie lang die Zeiträume sind, die betrachtet werden: Wichtig ist, dass die Retrospektiven regelmäßig durchgeführt werden. Zwar lernt man auch aus einer ersten Retrospektive, aber ein echter Lernprozess ergibt sich erst durch kontinuierliche Wiederholung.

Erst wenn Retrospektiven als Normalität empfunden und kontinuierliche Reflexion in die Unternehmenskultur übergeht, kommen wir der lernenden, anpassungsfähigen und damit agilen Organisation wirklich näher.

In diesem Sinne:

Happy Learning!

P.S.: Führst Du in deinem Team aktiv und regelmäßig entsprechende Retrospektiven durch? Schreib deine Erfahrungen doch gerne in die Kommentare…

Literatur zu Retrospektiven (in der sich wiederum viele weitere Quellen finden):

  • Dräther, R. (2014): Retrospektiven – kurz & gut. O’Reilly Media. Kindle-Version.
  • Wagner, L. (2018): Retrospektiven – wir entwickeln uns weiter. In: Agile Verwaltung – Wie der Öffentliche Dienst aus der Gegenwart die Zukunft entwickeln kann. Wiesbaden: Springer.

Lauf davon, oder: (alte und neue) Lieder über (alte und neue) Arbeit

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Frithjof Bergmann ist gestorben.

Ich will und kann nicht viel darüber schreiben, da ich ihn persönlich nicht kannte. Aber das bzw. besser: sein Thema „New Work“ wird mich begleiten, vermutlich auch bis an mein Lebensende.

Danke für die Inspiration!

Vielleicht als meinen kleinen, unbedeutenden Anteil habe ich Dir (und mir) eine Playlist bei Spotify erstellt, in der ich Lieder über Arbeit sammle. Diese Lieder zeigen Bilder, Glaubenssätze, Haltungen zum Thema neue und alte Arbeit. Mit „New Work“ im Sinne von Bergmann haben die Lieder insofern zu tun, als das Bild der „Lohnarbeit als milde Krankheit“, die Unverbundenheit der Menschen zu ihrer Arbeit, die Hierarchien etc. immer wieder durchscheinen – beim Streik, bei der Steigerung des Bruttosozialprodukts oder bei der Aufforderung von Danger Dan, dringend davonzulaufen:

„Da war ein Job, einer mit flexibler Arbeitszeit
In einer hippen Agentur, die sich sehr gut zu vermarkten weiß
Jede Woche eine After Work-Party mit dem Chef
So ein Start-Up-Unternehmer, der Ramones-Shirts trägt

Ich schrieb grad die Bewerbungsmail mit meinem Lebenslauf
Und klebte ein sympathisches und seriöses Foto drauf
Als mir Lou Reed erschien und sagte: „Lauf davon!“
Schwerer als reinzukommen, ist es wieder rauszukommen“

In einem Workshop am Wochenende habe ich mal wieder das Konzept der „Neuen Arbeit“ im Sinne von Bergmann besprochen. Wenn man nicht ganz an der Oberfläche bleibt (und New Work im Sinne der „Lohnarbeit im Minirock“ betrachtet) kommt die Radikalität der Theorie, der Werthaltungen, die Radikalität von Freiheit, Selbstbestimmung, Autonomie und Verbundenheit hinter dem Konzept von Bergmann, das aktueller denn je ist, schnell zum Vorschein. Kurz: New Work ist radikal.

Oder machst Du die Arbeit, die Du wirklich, wirklich tun willst?

Vielleicht kannst Du ja beim Hören der Playlist ein wenig darüber nachdenken…

Und, lieber Frithjof, vielleicht kannst Du ja auch da, wo Du jetzt bist, Musik hören?

Damit geht’s nämlich oft viel leichter…


Zum Weiterlesen findest Du hier noch ein paar Beiträge, in denen ich das Thema „New Work“ aus unterschiedlichen Perspektiven betrachte…

Und die Playlist lebt natürlich auch durch Deine Hinweise hier oder in den Kommentaren…

Du hast die Wahl, oder: wert-volle (soziale) Organisationen in einer Kultur der Digitalität

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Ich soll nächste Woche auf einer Klausurtagung einer sozialen Organisation irgendwas zur Digitalisierung sozialer Organisationen erzählen. Ehrlich gesagt langweilt mich das. Bitte nicht falsch verstehen: Ich erzähle gerne, höre mich selbst extrem gerne reden und komme auch gerne, wenn auch leider nur digital. Aber der Inhalt stellt mich vor Herausforderungen: Ich kann erzählen zu der Notwendigkeit von Plattformen, zu der Nutzung von Daten, zur zunehmenden Bedeutung künstlicher Intelligenz, zur Notwendigkeit, auch die Kompetenzen der Mitarbeiter* innen in den Blick zu nehmen und so weiter… Komplexität, Dynamik… Post-Corona sowieso… VUCA? Boah, echt jetzt?

Trotz all dieser schon drölfzig mal gemachten Erläuterungen, Vorträge und Workshops und trotz einer Pandemie, die die Digitalisierung selbst des deutschen Schulwesens (natürlich ungewollt) beschleunigt hat, stelle ich fest, dass wir irgendwie nicht so richtig weiterkommen. Ja, auch sozial braucht digital, aber das hat doch nun wirklich jede*r verstanden, oder? Und jetzt?

Kultur der Digitalität, oder: Worüber ist es wert, neu nachzudenken?

Was ist der nächste Schritt? Worüber ist es wert, nachzudenken? Was ist es wert, erzählt zu werden? Was soll ich berichten oder referieren?

Nach der Digitalisierung und der digitalen Transformation folgt für mich, wie für viele andere und auch diesmal wahrscheinlich nicht abschließend eine (oder die?) Kultur der Digitalität.

Digitalität bezeichnet – so Wikipedia – „die auf digital codierten Medien und Technologien basierenden Verbindungen zwischen Menschen, zwischen Menschen und Objekten und zwischen Objekten.“ Und jetzt wird’s spannend:

„Im Gegensatz zu den Begriffen der Digitalisierung oder der digitalen Transformation, die vor allem eine technologische Entwicklung bezeichnen, bezieht sich Digitalität viel stärker auf soziale und kulturelle Praktiken.“

Eine Kultur der Digitalität fragt also nach der (Entwicklung einer) Kultur sozialer Praktiken, die die auf digital codierten Medien und Technologien basierenden Verbindungen zeigt.

Welche Kultur zeigt sich aber? Welche Merkmale weist diese Kultur der Digitalität auf? Dazu hat Felix Stalder schon 2016 ein Buch verfasst, in dem er auf die drei Ebenen Referentialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität abhebt, die er als „die charakteristischen Formen der Kultur der Digitalität [definiert], in der sich immer mehr Menschen, auf immer mehr Feldern und mithilfe immer komplexerer Technologien an der Verhandlung von sozialer Bedeutung beteiligen (müssen).“ Auf der Website zum Buch liest man, dass die Menschen damit auf die Herausforderungen einer chaotischen, überbordenden Informationssphäre reagieren (Komplexität) und zu deren weiterer Ausbreitung beitragen.

„Dies bringt alte kulturelle Ordnungen zum Einsturz und Neue sind bereits deutlich auszumachen. Felix Stalder beleuchtet die historischen Wurzeln wie auch die politischen Konsequenzen dieser Entwicklung. Die Zukunft, so sein Fazit, ist offen. Unser Handeln bestimmt, ob wir in einer postdemokratischen Welt der Überwachung und der Wissensmonopole oder in einer Kultur der Commons und der Partizipation leben werden.“

In einer Kultur der Digitalität bestimmt unser Handeln, wie wir leben werden.

Unser Handeln bestimmt, wie wir leben werden und wollen. War das nicht schon immer so? Ja und nein. Ja, weil Handlung immer Zukunft bestimmt. Und nein, weil erst in der Digitalität zunehmend mehr Menschen mitgestalten können und wollen. Jede*r kann einen Blog schreiben und der eigene Podcast ersetzt beinahe die eigene Adresse. „Wir“ ist damit jede*r einzelne von uns, in unserer Gesellschaft. Das ist neu.

Wir messen Dingen, Handlungen, sozialen Praktiken usw. in der Gemeinschaftlichkeit Wert bei. Wir bestimmen, was für uns Relevanz hat und was irrelevant ist. Kultur entsteht aus der Abwägung dessen, was für uns Relevanz hat und damit Wert-voll ist. Vielleicht ein etwas krasser Sprung, aber:

Wie bemisst man demnach den Wert einer sozialen Organisation? Oder anders: Was ist eine wert-volle soziale Organisation in einer Kultur der Digitalität?

Was ist eine wert-volle soziale Organisation in einer Kultur der Digitalität?

Auf die Frage komme ich am Frühstückstisch, an dem mir mein Vater von dem Verkauf eines Picassos für mehr als 100 Millionen Dollar aus der Zeitung berichtet. Ich erzähle ihm daraufhin vom Verkauf der digitalen jpeg.-Datei für 69 Millionen Dollar.

Dahinter steht dann die Frage, was wert-voll ist und wie kulturelle Werte geschaffen werden. Denn keins der beiden Bilder – das „echte“ ebenso wie das „digitale“ – verfügen über einen materiellen Gegenwert, der auch nur ansatzweise dem den beiden Kunstwerken beigemessenen Wert entspricht. Kurzer historischer Rückblick:

Bevor es Geld gab war ein Pferd drei Kühe wert, weil ich mit dem Pferd mehr anfangen konnte. Danach war ein Auto irgendwelche Geldmittel wert, die der Autoverkäufer dann wieder irgendwo gegen etwas anderes oder die Arbeitszeit von jemand anderem eintauschen konnte. Es wäre heute immer noch denkbar, dass ich mir meinen Geldbetrag bei der Bank gegen Gold auszahlen lasse, um einen materiellen Gegenwert (in Form von Gold) zu bekommen. Dabei geht es viel um Vertrauen, da auch der Papierschein und selbst das Gold nur einen ihm durch die Gesellschaft beigemessenen Wert besitzt. Wenn niemand Gold wollte wäre es egal, selbst wenn es ein seltenes Metall ist.

Soweit dieser Erzählstrang zum Thema Wert mal bis hierher.

Vor Kurzem hat Jeff Bezos, der Amazon-Chef, einen Teil seiner Aktien verkauft und dafür 6,7 Milliarden Dollar bekommen. Auch wenn uns seit Corona und irgendwelchen wie auch immer finanzierten Schulden des Staates das Wort „Milliarden“ kaum noch vom Hocker haut, ist eine Milliarde verdammt viel Kohle (die unsere Kinder irgendwie – neben den Kosten der Klimakatastrophe finanzieren müssen, anderes Thema). Insgesamt verfügt Bezos als reichster Mensch der Welt über 188 Milliarden Dollar. Der Wert von Amazon insgesamt beläuft sich auf etwa 800 Milliarden Euro (Apple war übrigens mal mehr als eine Billion Dollar wert, auch eine lustige Zahl).

Aber wie viel „wert“ ist eigentlich eine soziale Organisation, ein Träger, ein Verband? Und wie gelingt es, den Wert zu steigern und zu einer wert-vollen Organisation zu werden? Einen Caritas-Verband zu verkaufen ist irgendwie nicht richtig super und rechtlich aufgrund der Vereinsstruktur nicht möglich, auch wenn man vielleicht sogar Käufer*innen finden würde (Bezos vielleicht? Wobei, der gründet das lieber selber, guckst Du hier).

Mit Blick auf die Kultur der Digitalität und die Feststellung, dass unser heutiges Handeln bestimmt, wie wir leben und arbeiten werden, bestimmt unser heutiges Handeln auch, wie wir soziale Organisationen gestalten werden und wollen. Unser Handeln oder genauer: Das Handeln der Beteiligten und damit Dein Handeln bestimmt, wie wert-voll die Organisation, der Verband, die Einrichtung ist, in der Du arbeitest.

Damit besteht die Option, so zu bleiben, wie man ist (Werbeslogans für Diätwurst ploppen im Kopf auf). Es besteht aber genauso die Option, die Organisation durch gemeinsames, eigenes Handeln neu zu gestalten.

Everything is a remix und irgendwie bleibt alles anders

Grüße gehen raus an Herbert, vor allem aber an Benjamin. Herbert schreibt Lieder und Ben schreibt auf die Frage, was unter der Kultur der Digitalität verstanden werden kann:

„Everything is a remix!“

Das gefällt mir sehr gut, denn wir haben in unseren Organisationen, genau wie es uns in der Kultur der Digitalität in vielerlei Arten vorgelebt wird, die Wahl, zu mixen! Wir haben die Wahl, die Dinge, Strukturen, Regeln und Rituale, die Kommunikationswege und Prozesse neu zu mixen. Wir müssen nicht die dritte Hierarchieebene einziehen. Wir können die Abteilung zu- oder aufmachen. Wir müssen den Mitarbeiter*innen nicht vorschreiben, wann sie wie lange von wo arbeiten. Wir können das aber, wodurch sich der Wert ändert. Wir haben die Wahl.

Das, was uns davon abhält, neu zu mixen, sind unsere Glaubenssätze. Wir werden abgehalten von dem, wie wir glauben, dass eine Organisation und (soziale) Arbeit zu sein hat. Jaja, es gibt noch ein paar rechtliche Rahmenbedingungen, die das Leben sozialer Organisationen ebenfalls nicht zu einem Wunschkonzert machen. Aber mal ehrlich: Das sind oftmals nur ein paar wenige Punkte. Diese berechtigen nicht zur Pauschalkritik „Bei uns geht das aber nicht!“

In einer Kultur der Digitalität kommt Lebendigkeit nicht von außen und von oben schon dreimal nicht.

Oder als Fazit:

Den Wert sozialer Organisationen in einer Kultur der Digitalität bestimmen wir. Das, wonach wir in den Organisationen suchen, Innovation, Beweglichkeit, Anpassungsfähigkeit, Agilität… müssen wir selbst machen. Niemand wird dies vorgeben. Lebendigkeit kommt nicht von außen und von oben schon dreimal nicht.

Daraus folgt aber auch, dass es nicht die eine Kultur geben kann. In jeder Organisation kann und darf es viele, parallele Kulturen geben. Damit sind wir wieder am Anfang und ja, auch bei der VUCA-Welt: Viele Kulturen in einer Organisation erfordern Komplexitätssensibilität, Ambiguitätstoleranz und den Umgang mit Unsicherheit. Not so easy, aber mehr als wert-voll.

Viele Kulturen, der Umgang mit Komplexität und Dynamik, die Freiheit der Wahl, die sich daraus ergebende Verantwortung ebenso wie die sich daraus ergebende Verbundenheit zu dem, was man wirklich, wirklich tun will, sind Merkmale dieser New Work, die wir jetzt so dringend brauchen. Und das natürlich nicht nur in sozialen Organisationen. Soziale Organisationen aber könnten als Vorreiter vorangehen und zeigen wie eine wert-volle Kultur der Digitalität geht. Denn Gesellschaft gestalten und die Begleitung von Menschen hin zu Selbstbestimmung und Autonomie sind ureigenen Aufgaben sozialer Arbeit.


Und wie mache ich da jetzt nen Vortrag raus?

Geschäftsmodellinnovation sozialer Organisationen, oder: Neue Wege erfordern einen Blick zurück!

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Hier der tweet:

https://twitter.com/HendrikEpe/status/1372527464212226051

Der Beitrag erläutert, warum genau ich den Blick zurück für einen wesentlichen Ansatz erachte, wenn es um die Neuausrichtung sozialer Organisationen geht. Dazu wird kurz erläutert, was ein Geschäftsmodell ist und warum auch soziale Organisationen ein Geschäftsmodell haben. Daran anschließend wird dargelegt, warum es für soziale Organisationen wichtig ist, in einer digitalisierten Welt das Geschäftsmodell zu reflektieren um abschließend darauf einzugehen, warum der Blick zurück wesentlich ist für die Neuausrichtung zur Gestaltung einer lebendigen Zukunft.

Was ist und haben soziale Organisationen ein Geschäftsmodell?

Unter einem Geschäftsmodell ist die Grundlogik zu verstehen, die beschreibt, wie welcher Nutzen für die Nutzer* innen (in den meisten Unternehmen sind dies Kund* innen) und Stakeholder gestiftet wird. Folgende Elemente (die je nach Autor* in leicht variieren können) machen ein Geschäftsmodell aus (vgl. bspw. Affenzeller, P., 2016, 52):

  • In der Dimension der Nutzer* innen (Für wen?) sind die Nutzersegmente, die Nutzerkanäle und die Nutzerbeziehungen zu fassen.
  • Die Nutzendimension (Was?) beinhaltet die Leistungen der Organisation und der dadurch generierte Nutzen.
  • In der Wertschöpfungsdimension (Mit was?) beinhaltet die Ressourcen, die benötigten Fähigkeiten und die Geschäfts-, Management- und Unterstützungsprozesse.
  • Die Partnerdimension (Wer wird gebraucht?) beinhaltet die Partner, die Partnerkanäle und die Partnerbeziehungen.
  • Die Finanzdimension beinhaltet die Umsätze und die Kosten (Was kostet es und was verdienen wir daran?).

Ich habe hier nicht von Kund*innen gesprochen, da dieser Begriff in sozialen Organisationen schwierig ist. Die Betrachtung der zu beantwortenden Fragen macht jedoch unmittelbar deutlich, dass auch soziale Organisationen ein Geschäftsmodell und oftmals sogar mehrere Geschäftsmodelle haben.

Als Beispiel ist für eine stationäre Jugendhilfeeinrichtung zu klären, für wen welche Leistungen wie erbracht und wie damit Wirkung und Wert generiert werden kann. Das gilt auch für eine Drogenberatungsstelle. Dabei ergeben sich – um das Beispiel der Drogenberatung aufzugreifen – unterschiedliche Optionen – je nachdem, wie die Fragen beantwortet werden. In der Arbeit mit suchtkranken Jugendlichen werden andere Wege der Leistungserstellung gegangen als in der Arbeit mit älteren Menschen, wobei immer zu berücksichtigen ist, ob und wie mit der Arbeit nicht nur Wirkung im Sinne von Outcomes für die Nutzer* innen und Impact für die Gesellschaft, sondern auch monetärer Wert (zur Bezahlung der anfallenden Kosten) generiert werden kann.

Mehrere Geschäftsmodelle einer Organisation ergeben sich bspw. daraus, dass eine Jugendhilfeeinrichtung neben stationären und ambulanten Wohn- und Betreuungsformen auch Schulen und Werkstätten für die Ausbildung der Jugendlichen unterhält. Wohngruppen und Schulen bzw. Ausbildungsstätten generieren zwar für die gleiche Zielgruppe völlig unterschiedliche Nutzen, die wiederum völlig unterschiedlich bereitgestellt und finanziert werden.

Warum ist Geschäftsmodellinnovation in der digitalen Transformation auch für soziale Organisationen wesentlich

Vorab ist hervorzuheben, dass soziale Organisationen mit Blick auf die zukünftige Gestaltung ihres Geschäftsmodells weit weniger frei sind als Unternehmen der Privatwirtschaft. Zwar ist den Mitarbeiter*innen an der Basis sozialer Organisationen (und auch den anderen Verantwortlichen wie bspw. Führungskräften) mehr als bewusst, dass sie sich und ihr Geschäftsmodell wandeln müssen. Die Ertragsmechanik jedoch – „Wie wird Wert generiert?“ – hinkt den Notwendigkeiten hinterher: Die gesetzlichen Grundlagen, auf denen soziale personenbezogene Dienstleistungen finanziert werden, ändern sich nicht in der Geschwindigkeit, wie es für die Bedarfe der Nutzer*innen notwendig wäre. Zusammenfassend habe ich diese Problematik vor einiger Zeit beschrieben unter dem Titel „Wer zahlt bestimmt die Musik“ (hier wird auch die Kundenorientierung als Problem sozialer Arbeit aufgegriffen)!

ABER: Die damit einhergehende Problematik entlastet soziale Einrichtungen nicht von der Notwendigkeit, ihr Geschäftsmodell soweit möglich im Sinne ihrer Nutzer*innen auszugestalten. Sich darauf auszuruhen, dass „man ja nichts machen kann, weil die da oben die Gesetze nicht ändern…“ ist der sichere Weg zur Schließung der Organisation.

Für mich zeigen sich mindestens drei Gründe, warum das Geschäftsmodell auch sozialer Organisationen immer wieder infrage gestellt und angepasst werden muss:

a) Soziale Organisationen sind hochgradig innovativ, da es ihnen immer wieder gelingt, die doch oftmals starren Rahmenbedingungen so zu nutzen, dass die Nutzer*innen wirklich etwas von der angebotenen Leistung haben, der outcome also entsprechend groß ist. Wenn die Mittel vorhanden und die (gesetzlichen) Hürden gering sind, kann ja jeder innovative Geschäftsmodelle entwickeln. Soziale Organisationen müssen das auch unter widrigen Bedingungen immer wieder für ihre Nutzer* innen leisten (und leisten dies auch). Vielleicht sollten wir beginnen, uns selbst dieses Narrativ innovativer sozialer Organisationen zu erzählen…

b) Soziale Organisationen sind oftmals gezwungen, ihr im Grunde funktionierendes Geschäftsmodell eben aufgrund der Anpassung gesetzlicher Rahmen und damit der Änderung der Ertragsmechanik neu zu gestalten. Die Entwicklungen des Bundesteilhabegesetzes sind da ein gutes Beispiel: Viele Einrichtungen, die bspw. Angebote für Menschen mit den unterschiedlichsten Beeinträchtigungen im Rahmen der Eingliederungshilfe bereithalten, sind massiv damit konfrontiert, sich neu auszurichten, ihre Angebotsstrukturen neu auszugestalten und damit ihre Geschäftsmodell in einigen Bereichen zu entwickeln.

c) Hinzu kommt (neben anderen Megatrends) die digitale Transformation als ausschlaggebend für eine Neuausrichtung des Geschäftsmodell. Spätestens seit dem großen C wird selbst in der Sozialwirtschaft (fast 😉 niemand mehr bezweifeln, dass „in der digitalen Transformation (…) etablierte Unternehmen vor der Herausforderung [stehen], sich in einem umfassenden Sinn neu zu erfinden. Dies reicht von der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle über das Neudenken von Innovationsstrategien und Produktionsprozessen bis hin zur Einführung neuer Organisationsformen von Arbeit. [mfn]Boes, A. et. al (2021): Empowerment in der agilen Arbeitswelt – ein Schlüssel für die nachhaltige Gestaltung neuer Arbeitsformen. In: Arbeit in der digitalisierten Welt – Praxisbeispiele und Gestaltungslösungen aus dem BMBF-Förderschwerpunkt. Wilhelm Bauer · Susanne Mütze-Niewöhner · Sascha Stowasser · Claus Zanker · Nadine Müller (Hrsg.). Wiesbaden, Springer.[/mfn] Bspw. lassen sich die zunehmend digitale Kommunikation (mit Nutzer* innen und unter den Professionellen), die zunehmend digitale Daten- und Informationsverarbeitung (bspw. Nutzung von Daten für Planung, Auswertung und Wirkungsmessung, Falldokumentation…) und die zunehmende Digitalisierung der sozialen, personenbezogenen Dienstleistungen selbst anführen, die in der Sozialen Arbeit von der digitalen Transformation tangiert und transformiert werden [mfn]vgl. Apollonio, L. et al., (2020): Digitale Arbeitswelten von helfenden Berufen – Notwendige Skills und Kompetenzen für eine zukunftsgewandte Arbeit in sozialen Unternehmen. Regensburg: Walhalla[/mfn].

Die Notwendigkeit der Anpassung des Geschäftsmodells im Zuge der Entwicklungen der digitalen Transformation ist jedoch besonders relevant, da branchenfremde Organisationen zunehmend Geschäftsmodelle etablieren, die die traditionellen sozialwirtschaftlichen Player „alt aussehen“ lassen. In der Szene schon oft angeführte Entwicklungen wie Amazon.care, betreut.de oder auch Neugründungen wie die Etablierung neuer Modelle der ambulanten Pflege in den Niederlanden, die so nur durch die transparente Bereitstellung aller Informationen auf digitale Weise funktionieren kann, sind da nur die sichtbare Spitze des Eisbergs.

Unterhalb der Wasseroberfläche brodeln digitale Ideen, die ganze Arbeitsfelder infrage stellen. Und nein, damit meine ich nicht irgendwelche Pflegeroboter, die die „Pflege am Bett“ abschaffen werden – davon sind wir wirklich meilenweit entfernt. Ich meine vielmehr kleine, innovative Unternehmer* innen, die mit anderen (und nicht immer nur betriebswirtschaftlichen) Mitteln versuchen, soziale Probleme zu lösen. Der stetig wachsende und von der Politik hofierte Bereich des social entrepreneurships bringt neue Ideen voran und bereichert „den Markt“ sozialer Dienstleistungen. Ich meine aber auch große Unternehmen, die in und nach dem großen C feststellen werden, dass die Sozialwirtschaft eine finanziell attraktive Branche ist und mit neuen, digital getriebenen Geschäftsmodellen neue Wege geht. Plattformmodelle – als einfaches Beispiel – gibt es nicht nur bezogen auf die Pflege, sondern auch, bspw. unter dem Dach von IKEA, als haushaltsnahe Dienstleitung bei Taskrabbit.

Kurz (und alles andere als neu oder überraschend): Wenn soziale Organisationen nicht mit der Zeit gehen, gehen sie mit der Zeit.

Warum aber ist der Blick zurück wesentlich für die Geschäftsmodellinnovation zur Gestaltung lebendiger Zukünfte?

Alle oben angeführten Aspekte zeigen die (für die meisten Leser*innen wohl nicht neue) Notwendigkeit, warum soziale Organisationen gefordert sind, sich und damit ihr Geschäftsmodell immer wieder an veränderte Bedingungen anzupassen. Der letzte Punkt jedoch – die Auswirkungen der und die neuen Konkurrenzen durch die digitale Transformation – erfordert nicht mehr eine Anpassung, nichtm ehr die Optimierung, nicht merh nur „das Alte besser machen“. Es erfordert die wirklich innovative Neuausrichtung des Geschäftsmodells. Im St. Galler Management-Modell wird hier explizit zwischen Optimierung (als Anpassung des Bestehenden) und Innovation (als echte Neuerfindung) unterschieden.

Zwar ist nicht abzustreiten, dass tradierte, soziale Organisationen ebenfalls in der Lage sind, völlig neue Geschäftsmodelle „aus heiterem Himmel“ zu entwickeln und zu etablieren. Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch eher gering. Es bedarf vielmehr der Auseinandersetzung mit entsprechenden Fragen, mit der eigenen Organisation, mit der Mission und der zukünftigen Strategie. Dabei ist die Frage, woher die Organisation kommt, erfolgsversprechend. Dazu zwei (plus x) Beispiele aus meiner jüngeren Vergangenheit:

Beispiel 1: In der Diskussion mit einer Organisation, die 1991, direkt nach der Wende, für Senior*innen gegründet wurde, die aufgrund der Umbrüche im ostdeutschen Arbeitsmarkt in die Arbeitslosigkeit bzw. den nicht freiwilligen Vorruhestand gerutscht waren, ergab sich, dass genau dieser Fokus im Jahr 2021 wieder zukunftsweisend ist. So ist davon auszugehen, dass die Arbeitslosigkeit gerade bei den weniger gut ausgebildeten Menschen mittleren und höheren Alters aufgrund der Auswirkungen der Pandemie steigen wird. Hinzu kommen die Auswirkungen einer zunehmend digitalisierten Welt: Roboterisierung substituiert zunehmend die Tätigkeiten insbesondere (aber nicht nur) der weniger gut ausgebildeten Menschen. Beide Entwicklungen führen dazu, dass wir – so meine Prognose – immer mehr Menschen im Alter von 50+ sehen werden, die ihre Arbeit aufgrund der Pandemie verloren haben und aufgrund fehlender digitaler Skills keine neue Arbeit finden werden. Es mag sogar sein, dass wir uns diese Menschen als Gesellschaft „leisten“ könnten und unser Wohlstand nicht merklich sinken würde. Ob wir uns diesen Umgang mit Menschen jedoch leisten wollen und ob es menschenwürdig ist, dass diese Menschen ihrem Schicksal in der Selbstunwirksamkeit überlassen werden, ist mehr als fraglich.

Genau dies jedoch eröffnet völlig neue Perspektiven für den Verein in der Gestaltung der Angebote: Nicht mehr die zweifellos wichtigen Kurse Fahrradfahren, Schach und Häkeln und die Frage, wie diese digital gestaltet werden können, sind im Fokus, sondern die Bedarfe der Kernzielgruppe: Die Vermittlung digitaler Kompetenzen (welche genau?) und vor allem die Ermöglichung von Selbstwirksamkeitserfahrungen zeigen neue Angebotsoptionen auf. So kann der Schweißer oder Maschinenschlosser mit den Jugendlichen die Schwalbe reparieren oder die Schneiderin (oder der Schneider) kann mit den Kids, Jugendlichen oder wer sonst noch mag eigene Klamotten designen. Hier ließen sich die Verbindungen zu dem, was „New Work“ ausmacht, vertiefen, dazu dient der Beitrag aber nicht.

Das zweite Beispiel bezieht sich auf einen größeren Träger, der unterschiedliche Angebote im Bereich der Suchthilfe bereitstellt. Hier war ich vor einiger Zeit in der Strategieentwicklung (noch vor Corona…) eingebunden. Insbesondere dann, wenn es sich um eine etablierte Einrichtung handelt, ist es oftmals nicht leicht, die verständlicherweise recht umfassend formulierte Vision in greifbare Themen und Schritte herunterzubrechen, die als strategische Themen dienen. Als jedoch der Gründer der Organisation seine Beweggründe zur Gründung der Institution sehr anschaulich und emotional dargelegt hat, wurde regelrecht spürbar, welche Themen auch und gerade in Zukunft zu bearbeiten sind. Auch hier zeigt sich, dass der Fokus auf die Zielgruppe im Laufe der Jahre aus dem Blick zu geraten droht, dies aber Antrieb für die Gründung der Organisation ist. Kein*e Gründer*in einer sozialen Einrichtung – die ich bislang kennengelernt habe – geht diesen Schritt, um damit reich zu werden. Es geht immer um das Wohl bestimmter Zielgruppen.

Das dritte der beiden Beispiele 😉 bezieht sich auf die für mich gerade neue und spannende Arbeit mit Bildungseinrichtungen – konkret Volkshochschulen. Hier bin ich in mehreren Projekten eingebunden, in denen es um die Entwicklung völlig unterschiedlich großer Organisationen in Richtung (auch, aber nicht nur) digitale Zukunft geht. Und auch hier ist es spannend, nicht allein auf die Frage zu schauen, welche „digitalen Angebote“ denn aus dem Boden gestampft werden könnten. Vielmehr ist die Mission, also der Zweck der Institution in den Blick zu nehmen: Wozu sind Volkshochschulen angetreten? Wer ist Hauptzielgruppe? Wer könnten neue Zielgruppen sein? Und welche Angebote folgen daraus?

Und zu den konkreten Angeboten ist wichtig zu betonen, dass neue Angebote, personenbezogene Dienstleistungen, Bildungsprogramme oder was auch immer in der Kultur der Digitalität nicht zwingend digital sein müssen. Vielmehr sollte die Frage im Vordergrund stehen, wie das Angebot gestaltet ist: Gemeinsam mit den Nutzer*innen, offen, transparent, vielfältig, kollaborativ oder kreativ sind hier Stichworte, die für ein Verständnis einer digitalisierten Welt richtungsgebend sind.

Gelebte Kultur der Digitalität sozialer Organisationen

Und ganz konkret kann es bspw. für einen sozialen Träger auf dem Land Sinn machen, die Gebäude, die so oder so vorhanden sind, in einen Coworking-Space zu verwandeln oder Programme zu starten, die ältere Menschen mit tollen Kompetenzen in ihrer Selbstwirksamkeit stärken, indem sie jüngeren Menschen Häkeln, Schrauben, Kochen, Backen, Schreinern, Schweißen… beibringen. Vielleicht brauchen wir in der Gesellschaft der Zukunft Fähigkeiten, die wir in den letzten Jahren als „veraltet“ abgetan haben. Diese Herangehensweise ist „gelebte Digitalität“ im Gegensatz zur nächsten dollen App, die niemand wirklich braucht.

Du siehst: Es lohnt sich, zunächst zurückzublicken und dann daraus die Zukunft der kommenden Welt zu gestalten.

4 plus 1 Wege, wie Du Zufälle bewusst herbeiführst

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Serendipity ist die Gabe, den Zufall oder besser: glückliche Zufälle, nutzbar machen zu können. Im Deutschen bezeichnet das Serendipitätsprinzip eine zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als neue und überraschende Entdeckung erweist, so Wikipedia.

Das Serendipitätsprinzip liegt vielen wichtigen Entdeckungen und Innovationen zugrunde, die unseren Alltag prägen, obwohl mit den Ursprungsideen etwas völlig anderes beabsichtigt wurde. Wikipedia listet den Klettverschluss, das Post-it, das Teflon, das Linoleum, das Silikon, die „Erfindung“ des Teebeutels, die Nylonstrümpfe oder auch die Entdeckung des LSD als Zufallsentdeckungen auf, die uns alle, genauso wie Amerika (ebenfalls zufällig und noch nicht mal durch Kolumbus entdeckt), irgendwie prägen.

Is this the end of new work as we know it?

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Der Rhythmus fehlt, überall. Keine Feste, keine Feiern, kein Rahmen, kein Wochenende, kein Anfang, kein Feierabend, kein Ende, in Sicht schon mal gar nicht. Jetzt ließe sich an dieser Stelle wunderbar über die Notwendigkeit von Ritualen, Rahmen, Rhythmen schreiben. Halt, Routine, der Wechsel zwischen Spannung und Entspannung, zwischen Instabilität und Stabilität usw. Das sind alles hochgradig spannende Themen, die in der Entwicklung sozialer Systeme eine wesentliche Rolle spielen. Vielleicht komme ich mal dazu, etwas tiefer darauf einzugehen. Aber mich interessiert mehr, was der fehlende Rhythmus mit dem Inner Work von New Work macht, also mit der Wirkung auf uns Menschen. Oder besser: mit der Wirkung auf mich (aber vielleicht bleibt ja auch etwas, dass Du für Dich nutzen kannst).

Mein New Work wird brüchig

Für einen Beitrag habe ich mein New Work vor Kurzem definiert als ein Weg zur Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. In meinen New Work geht es um Freiheit und Verantwortung von Menschen mit dem Ziel, eine bessere Welt für alle zu gestalten. Mein New Work – das ist wohl wenig verwunderlich – orientiert sich damit stark am Grundgedanken von Frithjof Bergmann, der an keiner Stelle von Kickern, hippen Büromöbeln im Großraumbüro und Chai-Latte gratis zum MacBook spricht. Bergmann spricht von einer zukunftsfähigen Welt, die eben zu großen Teilen über die Kultur, wie wir arbeiten, bestimmt wird – New Work, New Culture. Aktuell titelt das Magazin ManagerSeminare, dass New Work größer gedacht und der gesellschaftliche Mehrwert von Unternehmen berücksichtigt werden sollte. Spannend, dass man überhaupt auf die Idee kommen kann, New Work ohne Gesellschaft zu denken…

In der Pandemie-Situation jedoch stelle ich fest, dass das mit der Selbstbestimmung alles andere als leicht ist: Da der Rahmen fehlt, der Rhythmus ins Stocken geraten ist, der Beat nicht mehr dropt 😉 und langsam, aber sicher selbst die Jahreszeiten ins Wanken geraten, werde ich auf mich selbst zurück geworfen. Das, was ich mir lange ersehnt habe, wird zu einer Zerreißprobe meines Vermögens, mich selbst auszuhalten. Der Wunsch nach Autonomie und Selbstbestimmung zeigt in der Realität die Orientierungslosigkeit, die sich ergibt, wenn der Weg nicht selbst gewählt ist. Der Zwang, auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, auf seine Gedanken, Möglichkeiten, Grenzen und schon allein nur darauf, seinen Tag gestalten zu müssen, führt an (meine) Grenzen der Belastbarkeit.

Es zeigt sich (nicht nur) in der Pandemie, dass wir nicht auf das Leben in Selbstbestimmung vorbereitet sind. (Fast) niemand hat gelernt, mit der Situation umzugehen, wenige, und dann immer die gleichen Menschen um sich zu haben. Wir sind es gewohnt, den Rhythmus vorgegeben bekommen zu haben. Und selbst den Ort, an dem wir uns aufhalten, wurde von außen, nicht zuletzt durch das Schul- und Bildungssystem sowie tayloristisch ausgelegte Organisationen bestimmt. Oder warum sind die Büros voll, obwohl jedem bewusst sein müsste, dass es keine gute Idee ist, in einer Pandemie in einem Großraumbüro zu sitzen? Warum sind die Staumeldungen so lang wie eh und je? Oder warum warten wir sehnsüchtig darauf, dass alles wieder normal wird?

Marcus Raitner schreibt in seinem aktuellen Beitrag von der Autonomiefalle der Wissensarbeiter. Diese schnappt zu, wenn in der Wissensarbeit ein Vakuum fehlender Vorgaben herrscht, „das jeder Wissensarbeiter nach bestem Wissen und Gewissen zu füllen versuchte. Diese teilweise verzweifelten Versuche, wenigstens ein lokales Optimum an persönlicher Produktivität zu finden nennt Cal Newport die Autonomiefalle der Wissensarbeit.“ Aus dieser Perspektive heraus sind wir (Wissensarbeiter*innen) angewiesen auf funktionierende Prozesse, die unsere Arbeit strukturieren. Marcus nennt die Methode Scrum als Beispiel, dessen Erfolg seiner Meinung nach darauf zurückgeht,dass der Arbeitsablauf recht rigide strukturiert wird und viel weniger auf das konkrete Wie„, wodurch Fokus und Konzentration überhaupt wieder ermöglicht wird.

Mir gehen diese Gedanken auf einem Spaziergang (ja, ich könnte bei Gedanken an das Konzept Spazierengehen auch manchmal kotzen, aber frag mal meine Kinder…) über die Felder durch den Kopf und ich muss an einen befreundeten Landwirt denken, der seit vielen Jahren selbstbestimmt und oftmals allein, aber nicht einsam, auf seinem Traktor sitzt und seine Arbeit verrichtet (ja, Landwirt sein ist nicht so romantisch wie es vielleicht von außen wirkt). Ich denke weiter an die Menschen, die sich trauen, ihren Weg zu gehen, sich selbständig zu machen, Neues probieren, an den Schreiner, die Friseurin, die Freelancerin und den Erzieher, der sich traut, einen eigenen Kindergarten zu gründen. Ich denke an Menschen, die sich trauen, ihren Weg zu gehen, ohne Netz und doppelten Boden und (fast) ohne von außen vorgegebenen Rhythmus.

Ach ja, noch was: Als Vater, Ehemann und als Mensch, der selbständig und angestellt agiert, kommt hinzu, dass ich nicht nur mich selbst in der neuen, auf Selbstbestimmung zurückgeworfenen Situation aushalten muss. Ich muss – auch wenn das hart klingt – meine Frau, meine Kinder, meine Kolleg* innen und noch mehr Menschen aushalten, die in der gleichen Situation sind: Zurückgeworfen, auf sich selbst. Niemand von den Menschen, die um uns herum leben, hat sich die aktuelle Situation ausgesucht. Daraus kann auf der einen Seite Traurigkeit, Wut, Verzweiflung folgen, während auf der anderen Seite gerade Euphorie, Freude, Ruhe und Möglichkeiten vorherrschen. Und ich meine die Seiten des Küchentisches.

POSIWID, oder: Wie hält man New Work aus?

Wie aber hält man das aus? Ich spreche nicht vom Aushalten der Unsicherheit, die aktuell daraus resultiert, nicht zu wissen, wie Die Zukunft werden wird. Mir geht es vielmehr um die Frage, wie es aushalten kann, selbstbestimmt zu agieren, ohne dass einem jemand vorgibt, wie der Rahmen, die Rhythmen, die Rituale sind. Nein, ehrlicher: Wie es mir gelingen kann, selbstbestimmt zu agieren, ohne dass mir jemand vorgibt, wie der Rahmen, die Rhythmen, die Rituale sind? Wiederum ehrlich: Ich weiß es oft nicht. Ich glaube aber, dass es ein paar Hinweise gibt, die über Morgenroutinen, Tagesstrukturen, gesundes Essen und ausreichend Bewegung hinausgehen. Ich glaube, dass es Phasen gibt, Rhythmen eben, die mal gut, mal nicht gut sind. Das Zulassendürfen von guten Phasen, wenn es anderen schlechter geht ebenso wie das Aushalten von schlechten Phasen, obwohl es doch eigentlich gut ist, sind sicherlich erste Hinweise.

Hilfreich ist vielleicht auch die Auseinandersetzung mit den eigenen Zielen: Was will ich hier? Wo will ich hin? Und wenn ja, wie viele? Nein, ehrlich: Ich bin mir bei der Zieldiskussion nicht sicher: Mein Ziel ist es, dass es meiner Familie und mir gut geht. Dann folgt, dass ich so leben will, das ich mit meinem Wirken einen Mehrwert generiere. Beides gelingt mir, mal besser, mal schlechter, aber beides ist kein Ziel, sondern jeder Tag.

Vielleicht trifft es POSIWID ganz gut: „The purpose of a system is, what it does!“ (Stafford Beer): Wenn man außen herum alles Glitzer und Chichi wegnimmt, bleibt als Ziel, was man (als Element sozialer Systeme) tut. Daraus wiederum folgt, dass es Sinn aus sich heraus macht, morgens aufzustehen und weiterzumachen.

The end of new work as we know it…

Beides aber, das Zulassendürfen wie die Frage nach dem Ziel, setzt Reflexion voraus bzw. die bewusste Beschäftigung mit sich selbst und seinen Ängsten, Freuden, Möglichkeiten und Grenzen. Über diese Reflexion kann es vielleicht gelingen, näher zu dem zu finden, wie mein oder auch Dein eigenes New Work (für mich verstanden als selbstbestimmtes Leben in einer Welt im Wandel), aussehen und gelebt werden kann. Auch wenn ehrliche Reflexion manchmal harte Arbeit ist und dabei nicht unbedingt das New Work herauskommt, dass wir wollten?

Kommen wir über diese Reflexion vielleicht sogar zu einer Vorstellung von New Work, die so ganz anders ist, als all das, an was bei New Work bislang gedacht wird? Ist New Work aber nicht genau das: Nicht zu wissen, was New Work ist und sein kann? Damit wird New Work zum selbstbestimmten, autonomen Leben, bei dem auch niemand weiß, was genau das ist und wie es genau geht…

Doch noch etwas Organisationsentwicklung

Abschließend, zur Versöhnung, sozusagen, aber doch noch ein Gedanke, der mit der Gestaltung zeitgemäßer Organisationen und der Arbeitswelt der Zukunft zu tun hat: Es braucht Zeit, die Menschen, mit denen wir in unseren Organisationen zu tun haben, dabei zu begleiten, anders, neu, autonom und selbstbestimmt zu arbeiten. Die Einsicht ist nicht neu, gewinnt aber an Bedeutung, wenn wir auf die Herausforderungen blicken, mit denen wir, jede*r einzelne von uns, in der Anpassung an und im Umgang mit der aktuellen Situation zu kämpfen haben.

Vielleicht gelingt es uns in diesen für viele unsicheren Zeiten, mehr Verständnis aufzubringen für die oftmals völlig unterschiedlichen und sich kontinuierlich wandelnden Bedürfnisse der Menschen um uns herum? Nein, ehrlicher:

Vielleicht gelingt es mir?

Besser wurschteln, oder: Wie gelingt erfolgreiche Selbstorganisation im Team?

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Viele Teams in und kleine soziale Organisationen als Ganzes „wurschteln“ so vor sich hin. Zum einen kenne ich das aus eigenen Arbeitserfahrungen in kleinen Agenturen (Grüße an dieser Stelle) und aus der Arbeit in Teams der stat. Jugendhilfe (auch hier Grüße 😉 Zum anderen lassen viele Berichte von Bekannten und Freund*innen in sozialen und Bildungseinrichtungen den „Wurschtel-Schluss“ zu. Dabei – das vorweg – klingt „wurschteln“ irgendwie negativ, aber so ist es überhaupt nicht gemeint. Wurschteln kann – gut gemacht – zu echter Selbstorganisation im Team führen.

Was ist „wurschteln“?

Unter „wurschteln“ versteht der Duden (ja, das Wort steht im Duden) „in einem gewissen Trott und ohne rechten Plan vor sich hin arbeiten„. Das ist spannend, vor allem der zweite Teil: „…ohne rechten Plan vor sich hinarbeiten“! Und genau darum geht es: Es gibt in vielen Teams und (kleinen) Organisationen keinen „rechten Plan“, an den man sich akribisch hält. Arbeit findet in dem Fall vielmehr „ungeplant“ statt, ein Wort, das in unserer Arbeitskultur nicht unbedingt auf Gegenliebe stößt.

An dieser Stelle kommt mir wieder die Natur in den Sinn: Ich bin mir ziemlich sicher, dass die auch so vor sich hinwächst, ohne rechten Plan. Pflanzen, Blumen, Wälder, Tiere, Sträucher usw. entwickeln sich nicht anhand eines Plans, sondern evolutionär, je nachdem, was gerade ansteht. Es steht nicht die Frage im Vordergrund, was „geplant“ was und „umgesetzt werden muss“, sondern das, was notwendig ist, was jetzt gebraucht wird. Und ohne in die Tiefe gehen zu können zeigt sich das „Wurschteln“ aus Perspektive der Systemtheorie in der Selbstreferentialität sozialer Systeme: Diese handeln nicht aufgrund externer Umwelteinflüsse, nicht aufgrund der gewollten Steuerung, nicht aufgrund der Umsetzung eines Plans, sondern selbstorganisiert, eigenständig und eigenverantwortlich aus sich selbst heraus.

Übertragen auf Arbeit in Teams ergibt sich daraus die sehr zeitgemäße Organisationsstrategie „Do, what’s needed!

Wie geht „wurschteln“?

Ich begleite aktuell einen kleinen sozialen Träger (Ein Team, 7 Mitarbeiter* innen), der mit der Frage an mich herangetreten ist:

„Wir arbeiten als Team irgendwie basisdemokratisch. (Wie) können wir damit zukünftig überleben?“

Zur Erläuterung der Struktur: Wir sprechen von einem kleinen Verein, dessen operative Arbeit von einem Team geleistet wird, das sich aus Menschen unterschiedlichen Alters zusammensetzt, die alle über eine ähnliche formale Qualifikation verfügen (Psychologie und Soziale Arbeit). Bislang war es nicht notwendig, über die notwendigen gesetzlichen Anforderungen hinaus (es braucht eine Geschäftsführung auf dem Papier) eine wie auch immer geartete „Hierarchie“ zu etablieren (was in der Größe auch gegen jeden Menschenverstand verstoßen würde).

In den Vorgesprächen zeigte sich, dass das Team die Art, wie die Zusammenarbeit bislang gestaltet ist, enorm positiv empfunden und als Bereicherung gesehen hat. Gleichzeitig kam jedoch auch die Angst heraus, mit der Art der „basisdemokratischen“ Zusammenarbeit im Team „irgendwie nicht mehr zeitgemäß“ zu sein und keine neuen Mitarbeiter* innen zu finden (es geht perspektivisch auch um Mitarbeitergewinnung). Im Angesicht zunehmender Konkurrenz, vielfältiger werdender Themenstellungen (bspw. auch das Thema Digitalisierung des Vereins) und gesetzlicher Anforderungen war die Gefahr der Überlastung der Organisation zunehmend spürbar.

Wie aber lässt sich angesichts der Rahmenbedingungen die vom Team als „basisdemokratisch“ bezeichnete Art der Zusammenarbeit zeitgemäß gestalten? Geht das überhaupt?

Wurschteln positiv belegen

Der Blick auf die Art der Zusammenarbeit im beschriebenen Team zeigt mir einerseits die unter dem evolutionären Vorgehen bzw. die unter „Was ist Wurschteln“ beschriebene Haltung: Das Team macht das, was notwendig ist. Anstehende Aufgaben werden „auf dem kurzen Weg“ besprochen und dann wird gehandelt. Es wird offen, transparent und sehr authentisch kommuniziert. Meist ergeben sich auch gute Ergebnisse.

Dem Team zu spiegeln, dass die Art, wie sie arbeiten, im Kern die Art zeitgemäßer Zusammenarbeit ist, die Organisationen „dynamikrobust“, wie Gerhard Wohland sagt, oder auch „komplexitätssensibel“, wie Maria Herrmann hier im Podcast sagt, macht, war enorm befreiend. Als These zusammengefasst:

„Wir brauchen keine Hierarchien und müssen auch nicht grundlegend anders arbeiten!“

What, How, Why, oder: Erst die Arbeit, dann die Visionen

Jede*r kennt wahrscheinlich den „Golden Circle“ von Simon Sinek. Darin plädiert Sinek dafür, zunächst das „Why“, das Wozu oder die Mission (manche sagen auch Purpose 😉 zu bestimmen. Davon ausgehend ist dann das How, also Werte und Prinzipien der Zusammenarbeit und der Organisation und dann das „What“, das konkrete Produkt, die konkrete Tätigkeit zu bestimmen.

Bei Interesse lohnt sich immer noch das folgende Video:

Simon Sinek – Start With Why – TED Talk Short Edited

Für Neugründungen macht das von Sinek beschriebene Vorgehen mehr als Sinn. Aber für die Arbeit in und mit bestehenden Teams erachte ich die umgekehrte Reihenfolge sinnvoller. Entsprechend sind wir im beschriebenen Team vorgegangen:

What first!

Zuerst haben wir die aktuellen Tätigkeiten der handelnden Personen beschrieben. Wer macht eigentlich was im Team? Das geht wunderbar online (ich arbeite mit Zoom und Conceptboard).

Die entstandene Übersicht an (digitalen) Klebezetteln mit den Aufgaben der einzelnen Teammitglieder haben wir dann zu ähnlichen, zusammengehörigen Aufgaben geclustert. Schon allein dabei ergaben sich spannende Erkenntnisse: „Ja, das mache ich doch auch!“ oder „Eigentlich könnten wir das doch zusammenlegen?!“ waren immer wieder auftauchende Aussagen.

Schritt drei war dann die Definition von „Mandaten“ (warum ich lieber von Mandaten als von Rollen spreche, muss ich mal erläutern. Gemeint ist aber das Gleiche). Unter einem Mandat lassen sich Aufgabenbündel verstehen, die jeweils einen bestimmten Zweck erfüllen und aus verschiedenen Tätigkeiten bestehen. Mandate können damit unterschiedliche „Größen“ aufweisen. Teammitglieder können mehrere Mandate übernehmen (oder auch nur ein Mandat). Damit sind Mandate etwas anderes als „Stellenprofile“, die einen Menschen auf eine Stelle reduzieren. Mandate hingegen werden im Team anhand der Kompetenzen (können) und der Motivation (wollen) der Menschen basierend auf einem Auswahlverfahren vergeben. Mandate haben jeweils einen spezifischen Namen, die sich aus den Aufgabenclustern ergeben (dabei ergeben sich lustige Mandatstitel, bspw. Finanzministerin, Evaluator…).

An der Übersicht der sich ergebenden Mandate zeigt sich die aktuelle, reale Aufgabenstruktur der Organisation bzw. des Teams. Anstatt also zu überlegen, wie die Strukturen aussehen sollten, wird davon ausgegangen, wie ganz real gearbeitet wird.

Das „Was“ des Golden Circle liegt damit sehr greifbar vor dem Team.

How second!

Gleichzeitig ergeben sich über die Zusammensetzung der Mandate, über deren Struktur und Aufbau erste Hinweise auf das „Wie“ und die damit zusammenhängenden Werte und Prinzipien der gemeinsamen Arbeit.

Hinzu kommt, dass jetzt, nach der Sammlung der Aufgaben, der Raum gerichtet ist, um sich gemeinsam auf die Suche nach den Werten der Zusammenarbeit zu begeben, da schon bei der Sammlung der Aufgaben viele Diskussionen aufgekommen sind, die in den Vordergrund stellen, warum dies oder jenes so oder so getan wurde, wer warum welche Aufgaben übernommen hat und wo Redundanzen und Unstimmigkeiten herrschen. Damit ist es einfacher, sich bewusst zu werden, warum und wozu was in der Organisation und im Team getan wird.

Why third!

Außerdem ergibt sich der aktuelle Zweck, die Mission oder von mir aus auch der Purpose aus den konkreten Tätigkeiten in der Verbindung zu den Werten und Prinzipien. Der „Purpose“ ist damit nichts „abgehoben Ausgedachtes“, wie es oftmals in Leitbildern der Fall zu sein scheint. Der Zweck ist vielmehr ganz real an den aktuellen Gegebenheiten, Aufgaben und Notwendigkeiten orientiert.

Und wenn wir nicht mehr versuchen, die Zukunft der Organisation zu erzwingen, sondern sich diese evolutionär entwickeln kann, erwächst ein deutlich klareres Commitment der Teammitglieder zur Ausrichtung der Organisation.

Start with What! Oder: Selbstorganisation im Team ist Arbeit

Ich bin gespannt, ob die Ideen zu „Start with What“ auf Eure Resonanz treffen. Damit sieht zumindest der „Golden Circle“ nicht mehr ganz so golden aus 😉 Gerade die Arbeit in bestehenden Organisationen und die Arbeit im Team sollte sich daran ausrichten, was getan wird. Daraus ergibt sich häufig ein „Wie“ und das „Wozu“, da erfolgreiche Arbeit auch immer die Nutzer*innen der Leistungen im Blick hat und nicht im leeren Raum existiert.

Ich hoffe damit, dass in dem kurzen Beitrag deutlich wurde, dass gelingende Selbstorganisation im Team und in kleinen Organisationen kein Hexenwerk ist, keine esoterischen Selbstfindungstrips verlangt und auch keine neuen Stufen irgendwelcher Mindsets zu erklimmen sind.

Selbstorganisation im Team ist vielmehr die sehr handfeste Auseinandersetzung mit dem, was getan wird. Selbstorganisation im Team ist das, was Arbeit ist.

Denn darum geht’s:

Do, what’s needed.