Das innere Team in der Krise

innere Team

Inhalt:

Welche Partei wählst Du? Klar, musst Du hier nicht beantworten, aber mir fällt auf, dass ich es zunehmend schwerer finde, eine einfache Antwort auf die gestellte Frage geben zu können: Grundsätzlich stimme ich vielen Positionen der Grünen zu. Gleichzeitig erachte das Engagement der FDP für die Unterstützung von Selbständigen als sinnvoll. Schön wäre, wenn die FDP irgendwas mit liberaler Politik zu tun hätte, dann wäre ich wahrscheinlich noch mehr bei ihr. Gleichzeitig kann ich in ein paar Punkten die Positionen der Linken unterstützen. Entsprechend schwer fällt mir die Antwort.

Genauso schwer fällt mir die Antwort auf die Frage „Wie geht’s Dir eigentlich?“

Diese Frage ist natürlich hochgradig relevant – gerade jetzt in der Krise. Gleichzeitig stelle ich fest, dass es mir nicht leicht fällt, darauf zu antworten:

Mir geht’s mal so, mal so. Dir auch?

Mir geht’s mal so und mal so, je nachdem, wo ich hinschaue.

Mein innerer Sicherheitsfanatiker ist gerade angesichts wegbrechender Einnahmen aufgrund abgesagter Veranstaltungen und Beratungen überhaupt nicht begeistert. Mein innerer Bühnenmacho findet, dass der Applaus durch likes auf irgendwelche Social Media Beiträge echt nicht so geil prickelt. Mein kleiner Punker scheißt zunehmend auf die auferlegten Regeln, vor allem mit Blick auf die Kontakte meiner Kinder. Und der Angsthase verhält sich dann natürlich doch so, wie gefordert, um nicht irgendwie aufzufallen. Der intellektuell angehauchte Wissenschaftler versucht, alles irgendwie einzuordnen, neue Utopien für die Gesellschaft der Zukunft zu erarbeiten und in die Welt zu bringen. Und während der Chaot drölfzig neue Ideen hat freut sich der neugierige Vorwitz auf das, was kommen mag. Und irgendwo, ganz hinten, sitzt mein inneres Kind und weint, still und heimlich, weil es die Situation ziemlich beschissen findet und darauf wartet, dass ihm jemand über den Kopf streichelt. Der Reflektierer schiebt dann wieder viel beiseite und bloggt lieber über Themen wie das innere Team und vieles andere…

Kurz: Je nachdem also, wo ich hinschaue, sieht die Situation anders aus. Der Versuch, herauszufinden, wer ich bin und wenn ja, wieviele, ist also zum Scheitern verurteilt. Das klingt vielleicht etwas schizophren, aber ich glaube, es geht Dir auch so: Jedes, und damit auch Dein inneres Team ist interdisziplinär zusammengesetzt und je nachdem, wer gerade auf der Bühne ist, also die Steuerung und Führung übernimmt, ändert sich die Perspektive auf die aktuelle Lage.

Das innere Team in der Krise – Vol. 1

Das „Innere Team“ ist natürlich keine Erfindung von mir, sondern ein alles andere als neues Persönlichkeitsmodell des Hamburger Psychologen Friedemann Schulz von Thun. Das Modell stellt „die Pluralität des menschlichen Innenlebens (…) mit der Metapher eines Teams und seines Leiters [dar]. Das soll die Selbstklärung in zwiespältigen Situationen unterstützen und damit die Voraussetzung für eine klare und authentische Kommunikation nach außen bieten.“ (Wikipedia)

Im Rahmen eines Podcasts bin ich mal wieder über diese Modell gestolpert und habe dabei festgestellt: Das Modell ist – für mich zumindest – irgendwie in die Krise geraten. Und das, obwohl ich es eigentlich ziemlich passend und eingängig finde. Ich habe mich seit geraumer Zeit nicht mehr mit meinen inneren Anteilen beschäftigt – zumindest nicht bewusst. Und gerade jetzt – in Krisensituationen – fallen mir die seltsamen Anteile manchmal auf die Füße:

Wer übernimmt gerade warum genau die Führung? Welche Bedürfnisse stecken dahinter?

In der Krise kommen Persönlichkeitsanteile zum Vorschein, die man vielleicht schon länger weggesperrt hat. Helmut Schmidt hat gesagt, dass sich in der Krise der Charakter zeigt. Ich würde das Zitat dahingehend anpassen, dass neue, andere Teile des Charakters oder Persönlichkeitsanteile in der Krise die Führung übernehmen.

Vielleicht übergibt der Sachlich-Reflektierte in der Krise die Bühne an den Hysterisch-Ängstlichen? Wenn man nicht will, dass dieser Anteil dann die Führung übernimmt, muss man sich damit hart auseinandersetzen:

Man muss erkennen, wer gerade in Führung geht um zu erkennen, welchen Anteil man lieber in Führung hätte. Gleichzeitig muss man den aktuell in der Krise Führenden vielleicht einfach auch mal führen lassen: Angst gehört dazu und es ist wichtig, dass diese Angst gehört und gesehen wird, bevor der Macher wieder übernimmt und Zukunft gestaltet.

Nutzen I: Persönliche Auseinandersetzung

Hier zeigt sich auch ein Teil, wie das Modell genutzt werden kann: als Tool zur Selbstklärung der inneren Pluralität: Wer bin ich und wenn ja, wieviele? Die eigene Beschäftigung mit diesen Fragen ermöglicht es, besser zu verstehen, warum Du gerade wie agierst. Das ist – wie gesagt – nicht besonders neu oder innovativ, aber immer wieder hilfreich – gerade in der Krise.

Das innere Team in der Krise – Vol. 2

Ein weiterer Nutzen des Modells kann sich in der Auseinandersetzung im eigenen Team – also im Beruf – ergeben:

In der Teamentwicklung macht es mehr als Sinn, sich immer wieder den eigenen Anteilen bewusst zu werden und diese auch in der eigenen Arbeit mit den Kolleg *innen zu reflektieren: Wer bin ich und wie reagiere ich auf Deine Intervention, die Du in der aktuellen Zeit mit Teammitglied XY deines inneren Teams gestellt hast.

Das mag zunächst aufwendig klingen: Wann soll denn, Bitteschön, Zeit sein, sich mit diesem Gedöns auseinanderzusetzen? Und gerade jetzt haben wir nun echt mal genug zu tun, als hier herumzuhampeln und irgendwelche Männchen auf (virtuelle) Flipcharts zu malen, oder?

Ja, das ist verständlich. Gleichzeitig zeichnet die aktuelle Krise, so zumindest mein Empfinden, alles, was schon immer vorhanden war, sehr, sehr scharf: Schwelende Konflikte brechen sich Bahn, Emotionen kochen hoch, Kritik wird laut und Missstände – ebenso wie die tollsten Innovationen – werden sichtbar.

Gerade jetzt lohnt es sich, die Schärfe zu nutzen und die im Team wirkenden inneren Teammitglieder in den Blick zu nehmen.

Hinzu kommt, dass auch neue Arbeit innere Arbeit erfordert. New Work oder besser noch: Die Zukunft der Arbeit braucht inner Work. Denn wenn Du in deiner Organisation anstrebst, neue Formen der Arbeit, zunehmende Selbstorganisation im Team, remote work und vieles mehr ins Lebens zu rufen, ist die Auseinandersetzung mit der Unsicheren im inneren Team genauso wie die Auseinandersetzung mit der Obrigkeitshörigen zwingend. Es braucht die Auseinandersetzung mit dem Widersacher im inneren Team genauso wie die Auseinandersetzung mit dem Harmoniker. Das ist nicht einfach.

Aber um die äußeren, struktur- und damit haltgebenden Regeln, Rituale, Prinzipien etc. weglassen zu können, sind innere Strukturen aufzubauen, die mit Konflikten, Unsicherheiten, Unklarheiten, mit echtem Feedback und mit der Zurückstellung des eigenen Egos klarkommen. Wie gesagt: Das dauert. Und: Es geht nur in Zusammenspiel mit den eigenen Anteilen der Persönlichkeit und den Anteilen, die die Teammitglieder ins Team mitbringen.

Nutzen II: Teamentwicklung

Damit wird deutlich, dass eine Auseinandersetzung als Team mit dem Modell des inneren Teams gerade in der Krise enorm hilfreich sein kann:

Wer im Team agiert gerade wie warum?

Nehmt Euch die Zeit, die eigenen Anteile und die Anteile eurer Kolleg*innen miteinander ins Spiel zu bringen. Nehmt euch nen Flipchart und malt die Anteile, die Euch gerade bewegen und vergleicht diese mit Euren Teammitgliedern. Damit wird möglich, alle Stimmen zu hören. Und das wiederum ist angesichts der Bewältigung krisenhafter Situationen mehr als notwendig. Denn eins wurde in der Dynamik und Komplexität der Krise mehr als deutlich:

Die eine, richtige Antwort kann und wird es nicht geben!

Vielmehr geht es um gemeinsames Learning by doing, um inspect and adapt oder – ganz einfach – um Ausprobieren und um Lernen, was der nächste Schritt sein könnte, um den Karren gemeinsam auf dem Dreck zu ziehen. Das ist – eben – gemeinsam, im Team, deutlich erfolgsversprechender als allein, im stillen Kämmerlein!


P.S.: Das Titelbild ist übrigens von Benedikt Geyer, den ihr auch auf Unsplash findet…

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