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Retrospektiven durchführen, oder: Wie gemeinsames Lernen gelingt!

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In folgendem Beitrag erfährst Du, was eine Retrospektive ist, wie man Retrospektiven durchführen kann und zu welchen Anlässen sie sinnvoll sind. Das ist – für die Profis unter Euch – nichts Neues. In meiner Arbeit mit sozialen Organisationen stelle ich aber immer wieder fest, dass es gerade diese (mehr oder weniger) einfachen Dinge, Tools und Methoden sind, die einen Mehrwert für Menschen, Teams und die Organisation als Ganzes bieten. Und somit kannst Du vielleicht in Deiner nächsten Teamsitzung eine Retrsopektive durchführen und damit auf die letzten Monate zurückschauen, aus den Erfahrungen lernen und Zukunft gestalten.

„Die Stärke Ihrer Gedanken und die Reflexion Ihrer Handlungen sind die Unterschrift, die Sie in dieser Welt hinterlassen.“

Woody Allan

Denn es sind – so Woody Allan – nicht die Handlungen an sich, sondern die Reflexion der Handlungen, die einen Unterschied machen. Und Reflexion, davon bin ich überzeugt, ist mehr als notwendig, immer wieder, vor allem aber nach einem bestimmten Zeitraum. Und konkret ist die unreflektierte Rückkehr zur vor der Pandemie herrschenden Normalität das Schlechteste, was Organisationen jetzt tun können. Vielmehr ist es gerade jetzt, in den sich hoffentlich verfestigenden Endzügen der Pandemie, wichtig, sich als Menschen, Teams und Organisationen Zeit zu nehmen und die Handlungen der letzten Monate genauer in den Blick zu nehmen.

Ich blicke auf Retrospektiven als „das zentrale Element, um Veränderungen anzustoßen und den Wandel hin zu agilerem persönlichen Arbeiten oder Arbeiten im Team zu bewirken“, wie Ludger Wagner schreibt. Seiner Ansicht nach – und ich kann da gut folgen – sind Retrospektiven „das entscheidende Werkzeug, um den Wandel einer Organisation hin zu den agilen Werten zu befördern“ (Wagner, 2018, 119).

Was sind Retrospektiven?

Retrospektiven im Kontext des agilen Arbeitens lassen sich als gemeinsamer, strukturierter Rückblick (retrospectare = zurückblicken) auf einen vorab bestimmten Zeitraum definieren (der Zeitraum wird in der agilen Methode Scrum als „Sprint“ bezeichnet). Hinzu kommt jedoch das Moment des aus dem Rückblick Lernens für die Zukunft. Damit dient eine Retrospektive nicht nur dazu, zurückzublicken, sondern ganz konkret Verbesserungsideen aus dem letzten Zeitraum zu generieren. Diese Ideen, Projekte, Experimente sind im nächsten zu betrachtenden Zeitraum anzugehen und danach, in der nächsten Retrospektive, wieder zu reflektieren. Es geht damit um kontinuierliche Entwicklung und um gemeinsames Lernen.

Retrospektiven durchführen

Dazu fokussiert eine Retrospektive auf die beiden Aspekte „Inspect and Adapt“. Inspect heißt, in einem ersten Schritt das zu benennen, was war. „Adapt“ ist dann die Anpassung des Vorgehens und der Arbeitsweise an neue Erkenntnisse gemeint. Ich habe bereits zu Beginn der Pandemie „Inspect and Adapt als lösungsorientierte Kurzzeitstrategie für die (Zeit nach der) Krise“ beschrieben. In dem Beitrag erfährst du mehr zu der Bedeutung der beiden Begriffe.

Retrospektiven durchführen – konkret

Ludger Wagner beschreibt in dem oben erwähnten Beitrag die folgenden fünf Phasen einer Retrospektive:

  1. Gesprächsklima schaffen
  2. Themen sammeln
  3. Erkenntnisse gewinnen
  4. Entscheidungen treffen
  5. Abschluss

Ich gehe nicht auf jeden Bereich in der Tiefe ein. Manches erklärt sich von selbst und unten finden sich noch ein paar Quellen, in denen Du weiter stöbern kannst. Ein paar Aspekte will ich hervorheben.

Gesprächsklima schaffen, oder: Die Menschen dort abholen, wo sie stehen…

Unter dem ersten Punkt – der Schaffung des Gesprächsklimas – ist nicht zu verstehen, dass Kaffee und alte Kekse bereitgestellt werden. Es geht vielmehr darum, dass die Teilnehmer*innen aus ihren je individuellen Kontexten kommen und in die anstehende Arbeitsphase „eingecheckt“ werden sollten. Der „check-in“ besteht entweder aus einer (kurzen) Schilderung der aktuellen Befindlichkeiten (Wie geht es Dir warum? Was beschäftigt Dich gerade?) oder einer (vielleicht auch überraschenden) Einstiegsfrage, zu der jede*r Teilnehmer *in (kurz) etwas sagt. Unter tscheck.in findet sich ein online-tool, in dem unkompliziert entsprechende Fragen generiert werden können.

Wichtig ist noch der Hinweis, dass es beim Check-In nicht um das Ausbreiten der Lebensgeschichte der vor drei Jahren verstorbenen Katze geht. Das ist blöd formuliert, ich weiß, aber gerade wir im sozialen Bereich neigen dazu, gerne lang und ausführlich zu berichten. Wichtig ist aber auch beim Einstieg der Fokus. Dazu helfen klar definierte Zeitfenster: Jede *r hat bspw. eine Minute Zeit für die Beantwortung o.ä. Das Benennen und Einhalten von Zeitslots ist auch für die weiteren Phasen hilfreich, um nicht ausufernd zu diskutieren.

Themensammlung, oder: Daten generieren

Die Themensammlung dient dann dazu, persönliche Erfahrungen, Learnings und Anregungen bezogen auf den betrachteten Zeitraum zu dokumentieren. Es geht darum, „das Wissen aller Teilnehmer über den Betrachtungszeitraum zusammenzutragen und ein gemeinsames Bild zu kreieren“ (Dräther, 2014).

Je nach Intention eignen sich zur Sammlung von Themen und Daten unterschiedliche Methoden und Vorgehen. Im Kern stehen immer die jeweils verwendeten Fragen, die unmittelbar Auswirkungen auf das Ergebnis haben.

So fokussiert die 4 – L – Retro bspw. auf die Fragen „What I Loved, What I Learned, What I Lacked, What I Longed For“ (Was habe ich gemocht, was habe ich gelernt, was hat mir gefehlt, was hat mich genervt).

Die „Starfish Retro“ fokussiert auf die folgenden fünf Fragen:

  • START: Mit was sollten wir beginnen?
  • KEEP: Was müssen wir beibehalten, weil es gut funktioniert?
  • MORE: Von was müssen wir mehr machen?
  • LESS: Von was müssen wir weniger machen?
  • STOP: Mit was müssen wir unbedingt aufhören?

Aber auch ganz andere methodische Herangehensweisen lassen sich für diesen Schritt verwenden. So ist bringt der „Geist aus der Flasche“ wie üblich drei Wünsche mit. Die Aufforderung lautet dann: Bitte formuliere

  • einen Wunsch für dich selbst
  • einen Wunsch für dein Team
  • einen Wunsch für alle Menschen auf der Welt

Und Schummeln (d.h. der Wunsch nach mehr Wünschen oder mehr Geistern) ist nicht erlaubt!

Die findest – das sei schon hier erwähnt – viele Methoden, Fragen, Herangehensweisen unter https://retromat.org/de/.

Ich persönlich bin ja (nicht erst seit Corona) Fan digitaler Möglichkeiten gerade in Retrospektiven. Ja, in Präsenz kann man Themen am Besten auf Klebezetteln sammeln, die dann an Fenstern, Türen, Pinnwände … geklebt werden. Aber meine katastrophale Handschrift bevorzugt das Digitale. Auf digitalen Whiteboard (bspw. dem Conceptboard, mit dem ich gerne arbeite) fällt mein Linkshänderdilemma nicht so auf… 😉 Und dann habe ich auch noch alle Daten, Themen, wichtigen Inhalte direkt gespeichert und kann in der nächsten Sitzung daran weiterarbeiten.

Und warum nutzt Du nicht in der Teamsitzung, die in Präsenz stattfindet, trotzdem das digitale Whiteboard, an dem alle gemeinsam via Beamer arbeiten? Die Herausforderungen ist hier nur, dass das WLAN zu Hause funktioniert, in der Einrichtung nicht 😉 Damit liegt die Dysfunktion übrigens nicht „im Digitalen“, wie so oft behauptet, sondern in der nicht zeitgemäß funktionierenden oder nicht vorhandenen Technik (bzw. der fehlenden Digitalkompetenz in der Nutzung vorhandener Technik, ein wiederum weites Thema…)…

Erkenntnisse gewinnen, oder: Was soll das bedeuten?

Ehrlich gesagt muss ich mich immer zusammenreißen, diesen Schritt wirklich in der gebotenen Tiefe zu gehen. Denn wir neigen oft dazu, viel zu schnell Lösungen zu suchen oder gleich schon mit dem Umsetzen der Lösungen zu beginnen. Denn schon in der Themensammlung, in der Beantwortung der Fragen im vorhergehenden Schritt, tauchen mit dem jeweiligen Thema Lösungen in unseren Köpfen auf.

Hinzu kommt, dass wir uns – ohne sich den gewonnenen Erkenntnissen wirklich zu widmen – häufig nur die Probleme, nicht aber die gemeinsamen Erfolge betrachten. Aber auch und gerade diese sind wichtig: Es lohnt sich immer, mehr von dem zu tun, was funktioniert hat!

Das größere Problem liegt jedoch oft darin, dass wir unmittelbar den ersten Lösungsideen folgen, die uns bei einem Thema in den Kopf kommen. Oftmals kratzen die sich unmittelbar zeigenden Pseudolösungen nur an der Oberfläche. Die Wurzel der Probleme wird damit oft nicht berührt. Das Problem wuchert damit unter der Oberfläche weiter und kommt mit Sicherheit irgendwo anders (und meist mit größerer Schlagkraft) zutage. Vielleicht hast du ja Brombeeren im Garten…

Um hier konkret zu werden: Die Retro zur Kommunikation des Teams während der Pandemie fördert zutage, dass es schwer viel, alle Teammitglieder regelmäßig zu einem festen Zeitpunkt gemeinsam in einen Call zu bekommen. Die unmittelbare Lösung könnte sein: Falscher Zeitpunkt! Aber das Forschen nach der Ursache des Problems könnte wie folgt aussehen:

  • Warum war es kaum möglich, alle Teammitglieder regelmäßig zu einem festen Zeitpunkt gemeinsam in einen Call zu bekommen?
    • Weil die Mitarbeiter unterschiedliche Arbeitszeiten haben.
  • Warum haben die Mitarbeiter unterschiedliche Arbeitszeiten?
    • Weil im Team Mitarbeiter arbeiten, die im Bereich Schulbegleitung eingesetzt werden und Mitarbeiter arbeiten, die im Bereich Offene Jugendarbeit eingesetzt werden.
  • Warum werden die Mitarbeiter in zwei Bereichen eingesetzt?
    • Weil es historisch gewachsen ist, einige Mitarbeiter einige Stellenprozente von hier nach da mitgenommen haben und eine echte Trennung der Bereiche nicht erlogt ist.

Hier könnte man jetzt mit dem nächsten und übernächsten Warum sicherlich noch tiefer gehen. Aber deutlich wird, dass die Herausforderungen des Teams nicht in fehlendem Zeitmanagement, sondern in der Frage liegen, ob die Teamstruktur überhaupt passend ist. Anstatt also krampfhaft nach gemeinsamen Zeiten zu suchen, macht es hier mehr Sinn, über die Zusammensetzung bzw. den Zweck des Teams nachzudenken. Oder kurz: „Das Offensichtliche ist nicht immer auch schon der Kern des Problems.“ (ebd.) Die mehrmalige Frage nach dem Warum findest Du als wirksames Werkzeug bspw. hier beschrieben.

Entscheidungen treffen, oder: Lösungen vor Probleme

Noch einmal: Nimm Dir die Zeit, den vorherigen Schritt zu gehen, bevor du zur Entscheidung kommst, wie es jetzt weitergeht. Für mich als hochgradig ungeduldigen Menschen ist das wirklich eine Herausforderung, aber es lohnt sich!

Nachdem jetzt aber wirklich genug analysiert wurde: Welche Lösung kommt denn infrage? Was ist denn der richtige Weg?

Um diese Fragen zu beantworten, ist es relevant, zu überlegen, ob es eine klare Lösung für das analysierte Problem gibt, oder ob das Problem zu komplex ist, um sagen zu können, das Lösung XY auf jeden Fall richtig ist bzw. welche Auswirkungen die jeweilige Lösung haben wird.

Im zweiten Fall hilft es, Annahmen zu treffen und „Hypothesen über das mögliche Verhalten formulieren. Auf dieser Grundlage lassen sich für die kommende Periode Experimente entwickeln, die in der nächsten Retrospektive ausgewertet werden“ (ebd.). Es geht darum, in der nächsten Phase, im nächsten „Sprint“ etwas auszuprobieren und dann wiederum zu schauen, ob es zum gewünschten Ergebnis geführt hat.

Das obige Beispiel aufgreifend stellt sich zunächst die Frage, welche Erwartung über gemeinsame Teamsitzungen erfüllt werden soll. Denn mal ehrlich: Braucht es wirklich immer gemeinsame Teamsitzungen? Ja, wenn sie einem Ziel dienen und gut gestaltet sind. Nein, wenn sie nur der Informationsweitergabe (oder der Profilierung der Führungskraft) dienen. Wenn Deine Teamsitzung besser Emails wären, schreib besser Emails.

Klar wird, dass die Lösung nicht mal eben so auf der Hand liegt. Hier gilt es also, eine Hypothese zu entwickeln und in der nächsten Retro zu prüfen. Denkbar wäre bspw.: Wenn wir die Teams so umgestalten, dass jede Mitarbeiterin nur für einen Arbeitsbereich zuständig ist, verbessert sich die Kommunikation innerhalb der Teams. Das lässt sich – wenn auch nicht anhand ZDF, so jedoch anhand der Schilderungen der Mitarbeiter – in der nächsten Retro prüfen und wiederum weiterentwickeln. Ach ja: „Zu jeder Maßnahme gehören ein Verantwortlicher und möglichst ein Termin für die Umsetzung“ (ebd.). Das wird oftmals vergessen.

Übrigens ist ab der zweiten Retrospektive spätestens in diesem Schritt Zeit einzuräumen, um auf die Umsetzung der erarbeiteten Lösungen der letzten Retrospektive zu schauen. Nur wenn die umgesetzten Maßnahmen angeschaut werden, kann Verbesserung erfolgen. Erst dann kann das oben angesprochene „inspect and adapt“ und damit gemeinsames Lernen wirklich lebendig werden.

Als Tipp zum Weiterlesen für die Frage, wie Du am Besten welche Entscheidung triffst, empfehle ich Dir das „Handbuch der Entscheidungen“ (…lohnt sich nicht nur im beruflichen Kontext).

Abschluss, oder: Lernen lernen

Abschließend noch ein paar Worte zum Abschluss, sozusagen doppelte Abschlussschleife. Und diese Schleife, der Abschluss der Retrospektive also, bezieht sich auf die Retrospektive an sich. Neben dem Festhalten der erarbeiteten Ergebnisse tragen bspw. die folgenden Fragen zur Entwicklung der Retrospektive an sich bei:

  • Was war gut?
  • Was muss bei der nächsten Retrospektive besser sein?
  • Gibt es noch offene Aspekte, die nicht angesprochen wurden?

Ziel ist, die Retrospektive immer weiter zu verbessern, um so effizient und effektiv wie möglich zu arbeiten.

Retrospektiven durchführen, oder: Warum Kontinuität entscheidet!

Ein Kern agilen Arbeitens ist das interaktive Vorgehen in kurzen Schleifen, die in der Methode Scrum als Sprint bezeichnet werden und zwischen einer und vier Wochen lang sind. In unseren meist weniger dynamischen Arbeitsfeldern reichen in Projekten vielleicht auch Zeiträume von einem bis drei Monaten aus, um immer noch gut und sicher navigieren und Anpassungen vornehmen zu können. In der Umsetzung von Strategien umfassen die Zeiträume der Sprints mindestens ein Quartal, vielleicht sogar ein halbes Jahr. Egal aber, wie lang die Zeiträume sind, die betrachtet werden: Wichtig ist, dass die Retrospektiven regelmäßig durchgeführt werden. Zwar lernt man auch aus einer ersten Retrospektive, aber ein echter Lernprozess ergibt sich erst durch kontinuierliche Wiederholung.

Erst wenn Retrospektiven als Normalität empfunden und kontinuierliche Reflexion in die Unternehmenskultur übergeht, kommen wir der lernenden, anpassungsfähigen und damit agilen Organisation wirklich näher.

In diesem Sinne:

Happy Learning!

P.S.: Führst Du in deinem Team aktiv und regelmäßig entsprechende Retrospektiven durch? Schreib deine Erfahrungen doch gerne in die Kommentare…

Literatur zu Retrospektiven (in der sich wiederum viele weitere Quellen finden):

  • Dräther, R. (2014): Retrospektiven – kurz & gut. O’Reilly Media. Kindle-Version.
  • Wagner, L. (2018): Retrospektiven – wir entwickeln uns weiter. In: Agile Verwaltung – Wie der Öffentliche Dienst aus der Gegenwart die Zukunft entwickeln kann. Wiesbaden: Springer.

Is this the end of new work as we know it?

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Der Rhythmus fehlt, überall. Keine Feste, keine Feiern, kein Rahmen, kein Wochenende, kein Anfang, kein Feierabend, kein Ende, in Sicht schon mal gar nicht. Jetzt ließe sich an dieser Stelle wunderbar über die Notwendigkeit von Ritualen, Rahmen, Rhythmen schreiben. Halt, Routine, der Wechsel zwischen Spannung und Entspannung, zwischen Instabilität und Stabilität usw. Das sind alles hochgradig spannende Themen, die in der Entwicklung sozialer Systeme eine wesentliche Rolle spielen. Vielleicht komme ich mal dazu, etwas tiefer darauf einzugehen. Aber mich interessiert mehr, was der fehlende Rhythmus mit dem Inner Work von New Work macht, also mit der Wirkung auf uns Menschen. Oder besser: mit der Wirkung auf mich (aber vielleicht bleibt ja auch etwas, dass Du für Dich nutzen kannst).

Mein New Work wird brüchig

Für einen Beitrag habe ich mein New Work vor Kurzem definiert als ein Weg zur Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. In meinen New Work geht es um Freiheit und Verantwortung von Menschen mit dem Ziel, eine bessere Welt für alle zu gestalten. Mein New Work – das ist wohl wenig verwunderlich – orientiert sich damit stark am Grundgedanken von Frithjof Bergmann, der an keiner Stelle von Kickern, hippen Büromöbeln im Großraumbüro und Chai-Latte gratis zum MacBook spricht. Bergmann spricht von einer zukunftsfähigen Welt, die eben zu großen Teilen über die Kultur, wie wir arbeiten, bestimmt wird – New Work, New Culture. Aktuell titelt das Magazin ManagerSeminare, dass New Work größer gedacht und der gesellschaftliche Mehrwert von Unternehmen berücksichtigt werden sollte. Spannend, dass man überhaupt auf die Idee kommen kann, New Work ohne Gesellschaft zu denken…

In der Pandemie-Situation jedoch stelle ich fest, dass das mit der Selbstbestimmung alles andere als leicht ist: Da der Rahmen fehlt, der Rhythmus ins Stocken geraten ist, der Beat nicht mehr dropt 😉 und langsam, aber sicher selbst die Jahreszeiten ins Wanken geraten, werde ich auf mich selbst zurück geworfen. Das, was ich mir lange ersehnt habe, wird zu einer Zerreißprobe meines Vermögens, mich selbst auszuhalten. Der Wunsch nach Autonomie und Selbstbestimmung zeigt in der Realität die Orientierungslosigkeit, die sich ergibt, wenn der Weg nicht selbst gewählt ist. Der Zwang, auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, auf seine Gedanken, Möglichkeiten, Grenzen und schon allein nur darauf, seinen Tag gestalten zu müssen, führt an (meine) Grenzen der Belastbarkeit.

Es zeigt sich (nicht nur) in der Pandemie, dass wir nicht auf das Leben in Selbstbestimmung vorbereitet sind. (Fast) niemand hat gelernt, mit der Situation umzugehen, wenige, und dann immer die gleichen Menschen um sich zu haben. Wir sind es gewohnt, den Rhythmus vorgegeben bekommen zu haben. Und selbst den Ort, an dem wir uns aufhalten, wurde von außen, nicht zuletzt durch das Schul- und Bildungssystem sowie tayloristisch ausgelegte Organisationen bestimmt. Oder warum sind die Büros voll, obwohl jedem bewusst sein müsste, dass es keine gute Idee ist, in einer Pandemie in einem Großraumbüro zu sitzen? Warum sind die Staumeldungen so lang wie eh und je? Oder warum warten wir sehnsüchtig darauf, dass alles wieder normal wird?

Marcus Raitner schreibt in seinem aktuellen Beitrag von der Autonomiefalle der Wissensarbeiter. Diese schnappt zu, wenn in der Wissensarbeit ein Vakuum fehlender Vorgaben herrscht, „das jeder Wissensarbeiter nach bestem Wissen und Gewissen zu füllen versuchte. Diese teilweise verzweifelten Versuche, wenigstens ein lokales Optimum an persönlicher Produktivität zu finden nennt Cal Newport die Autonomiefalle der Wissensarbeit.“ Aus dieser Perspektive heraus sind wir (Wissensarbeiter*innen) angewiesen auf funktionierende Prozesse, die unsere Arbeit strukturieren. Marcus nennt die Methode Scrum als Beispiel, dessen Erfolg seiner Meinung nach darauf zurückgeht,dass der Arbeitsablauf recht rigide strukturiert wird und viel weniger auf das konkrete Wie„, wodurch Fokus und Konzentration überhaupt wieder ermöglicht wird.

Mir gehen diese Gedanken auf einem Spaziergang (ja, ich könnte bei Gedanken an das Konzept Spazierengehen auch manchmal kotzen, aber frag mal meine Kinder…) über die Felder durch den Kopf und ich muss an einen befreundeten Landwirt denken, der seit vielen Jahren selbstbestimmt und oftmals allein, aber nicht einsam, auf seinem Traktor sitzt und seine Arbeit verrichtet (ja, Landwirt sein ist nicht so romantisch wie es vielleicht von außen wirkt). Ich denke weiter an die Menschen, die sich trauen, ihren Weg zu gehen, sich selbständig zu machen, Neues probieren, an den Schreiner, die Friseurin, die Freelancerin und den Erzieher, der sich traut, einen eigenen Kindergarten zu gründen. Ich denke an Menschen, die sich trauen, ihren Weg zu gehen, ohne Netz und doppelten Boden und (fast) ohne von außen vorgegebenen Rhythmus.

Ach ja, noch was: Als Vater, Ehemann und als Mensch, der selbständig und angestellt agiert, kommt hinzu, dass ich nicht nur mich selbst in der neuen, auf Selbstbestimmung zurückgeworfenen Situation aushalten muss. Ich muss – auch wenn das hart klingt – meine Frau, meine Kinder, meine Kolleg* innen und noch mehr Menschen aushalten, die in der gleichen Situation sind: Zurückgeworfen, auf sich selbst. Niemand von den Menschen, die um uns herum leben, hat sich die aktuelle Situation ausgesucht. Daraus kann auf der einen Seite Traurigkeit, Wut, Verzweiflung folgen, während auf der anderen Seite gerade Euphorie, Freude, Ruhe und Möglichkeiten vorherrschen. Und ich meine die Seiten des Küchentisches.

POSIWID, oder: Wie hält man New Work aus?

Wie aber hält man das aus? Ich spreche nicht vom Aushalten der Unsicherheit, die aktuell daraus resultiert, nicht zu wissen, wie Die Zukunft werden wird. Mir geht es vielmehr um die Frage, wie es aushalten kann, selbstbestimmt zu agieren, ohne dass einem jemand vorgibt, wie der Rahmen, die Rhythmen, die Rituale sind. Nein, ehrlicher: Wie es mir gelingen kann, selbstbestimmt zu agieren, ohne dass mir jemand vorgibt, wie der Rahmen, die Rhythmen, die Rituale sind? Wiederum ehrlich: Ich weiß es oft nicht. Ich glaube aber, dass es ein paar Hinweise gibt, die über Morgenroutinen, Tagesstrukturen, gesundes Essen und ausreichend Bewegung hinausgehen. Ich glaube, dass es Phasen gibt, Rhythmen eben, die mal gut, mal nicht gut sind. Das Zulassendürfen von guten Phasen, wenn es anderen schlechter geht ebenso wie das Aushalten von schlechten Phasen, obwohl es doch eigentlich gut ist, sind sicherlich erste Hinweise.

Hilfreich ist vielleicht auch die Auseinandersetzung mit den eigenen Zielen: Was will ich hier? Wo will ich hin? Und wenn ja, wie viele? Nein, ehrlich: Ich bin mir bei der Zieldiskussion nicht sicher: Mein Ziel ist es, dass es meiner Familie und mir gut geht. Dann folgt, dass ich so leben will, das ich mit meinem Wirken einen Mehrwert generiere. Beides gelingt mir, mal besser, mal schlechter, aber beides ist kein Ziel, sondern jeder Tag.

Vielleicht trifft es POSIWID ganz gut: „The purpose of a system is, what it does!“ (Stafford Beer): Wenn man außen herum alles Glitzer und Chichi wegnimmt, bleibt als Ziel, was man (als Element sozialer Systeme) tut. Daraus wiederum folgt, dass es Sinn aus sich heraus macht, morgens aufzustehen und weiterzumachen.

The end of new work as we know it…

Beides aber, das Zulassendürfen wie die Frage nach dem Ziel, setzt Reflexion voraus bzw. die bewusste Beschäftigung mit sich selbst und seinen Ängsten, Freuden, Möglichkeiten und Grenzen. Über diese Reflexion kann es vielleicht gelingen, näher zu dem zu finden, wie mein oder auch Dein eigenes New Work (für mich verstanden als selbstbestimmtes Leben in einer Welt im Wandel), aussehen und gelebt werden kann. Auch wenn ehrliche Reflexion manchmal harte Arbeit ist und dabei nicht unbedingt das New Work herauskommt, dass wir wollten?

Kommen wir über diese Reflexion vielleicht sogar zu einer Vorstellung von New Work, die so ganz anders ist, als all das, an was bei New Work bislang gedacht wird? Ist New Work aber nicht genau das: Nicht zu wissen, was New Work ist und sein kann? Damit wird New Work zum selbstbestimmten, autonomen Leben, bei dem auch niemand weiß, was genau das ist und wie es genau geht…

Doch noch etwas Organisationsentwicklung

Abschließend, zur Versöhnung, sozusagen, aber doch noch ein Gedanke, der mit der Gestaltung zeitgemäßer Organisationen und der Arbeitswelt der Zukunft zu tun hat: Es braucht Zeit, die Menschen, mit denen wir in unseren Organisationen zu tun haben, dabei zu begleiten, anders, neu, autonom und selbstbestimmt zu arbeiten. Die Einsicht ist nicht neu, gewinnt aber an Bedeutung, wenn wir auf die Herausforderungen blicken, mit denen wir, jede*r einzelne von uns, in der Anpassung an und im Umgang mit der aktuellen Situation zu kämpfen haben.

Vielleicht gelingt es uns in diesen für viele unsicheren Zeiten, mehr Verständnis aufzubringen für die oftmals völlig unterschiedlichen und sich kontinuierlich wandelnden Bedürfnisse der Menschen um uns herum? Nein, ehrlicher:

Vielleicht gelingt es mir?

Agile Prinzipien – warum das agile Manifest der Softwareentwicklung auch der Sozialwirtschaft den Weg weist

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Gastbeitrag von Thomas Michl


Vor einigen Wochen bat mich Hendrik Epe einen Gastbeitrag zum Thema Agiltät und Sozialwirtschaft zu schreiben.

Als begeisterter Agilist, der selbst immer wieder auch über dieses Thema bloggt, habe ich spontan zugesagt, ohne zu ahnen, auf welche Herausforderung ich mich dabei eingelassen habe. Ich selbst bin nicht in der Sozialwirtschaft tätig, sondern bewege mich in der öffentlichen Verwaltung. Auch besitze ich keine sozialwirtschaftliche Ausbildung. Zwar hat mein Aufgabengebiet zahlreich Schnittstellen in diese Richtung, aber es sind doch zwei verschiedene Schuhe.

Da mir Hendrik es offenbar zutraut, diesen Spagat zu meistern, hoffe ich den geneigten Leser auch tatsächlich nicht zu enttäuschen.

Im Folgenden werde ich versuchen, ausgehend von der Definition, was Sozialwirtschaft überhaupt ist, zu zeigen, dass die agilen Prinzipien – ursprünglich formuliert im „Agilen Manifest der Softwareentwicklung“ – nahezu perfekt auch auf die Sozialwirtschaft übertragbar sind und diese befördern.

Was tue ich hier eigentlich?

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Was tue ich hier eigentlich? Vor Kurzem habe ich geschrieben, dass ich vorerst keine Beiträge mehr schreiben werde.

Das geht aber nicht. Dafür macht es zu viel Spaß.

Aber nach zwei Jahren und in Zeiten größerer Umbrüche und Veränderungen ist es vielleicht eher einmal Zeit, einen Einstiegsartikel in den Blog zu schreiben, oder?

Sozusagen als Reflexion, was das hier eigentlich soll 😉

Was wäre, wenn…

Diese Frage steht irgendwie hinter diesem Blog und meinen Beiträgen.

  • Was wäre, wenn es Organisationen der Sozialwirtschaft gäbe, die so ganz anders wären, als das, was gemeinhin bekannt ist?