Manchmal ist Ende: Das Projekt läuft nicht! Die Nutzer* innen nutzen nicht und die Abteilung, die sich um XY kümmern sollte, ist so abgeteilt, dass keine Verbindung zur Organisation besteht. Oder die Einrichtung steht vor der Insolvenz und ist einfach pleite. Kurz: Es gibt Entwicklungen, die es notwendig machen, der Realität ins Auge zu sehen und den Tod des Pferdes festzustellen, den Stecker zu ziehen, das Projekt zu beenden und die Einrichtung zu schließen. Scheitern gibt es auch in sozialen Organisationen. Einige Negativbeispiele haben es in den letzten Jahren – aus unterschiedlichsten Gründen – sogar in die Öffentlichkeit geschafft: Die Treberhilfe in Berlin mit Maserati-Harald ist wahrscheinlich das Paradebeispiel, auch wenn die Gründe sehr speziell sind.
Aber natürlich gibt es auch Insolvenzen, die wenig spektakulär aufbereitet werden. Hier findet sich bspw. die Tabelle der Insolvenzen nach Branchen bis zum Jahr 2019 für Hessen. Demnach melden jährlich etwa 35 Unternehmen des Sozial- und Gesundheitswesens (ich weiß, sehr unspezifisch) in Hessen Insolvenz an. Über genauere Zahlen für Deutschland (bspw. in den Kommentaren) freue ich mich.
Scheitern, Insolvenz und Corona
An dieser Stelle ist noch ein Hinweis relevant: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie lassen sich zwar erahnen, aufgrund der öffentlichen Rettungsschirme ist jedoch noch nicht absehbar, wie sich die Situation möglicher Insolvenzen in der Sozialwirtschaft entwickelt. Meine Befürchtung (und in Teilen leider schon Realität) ist, dass freiwillige Leistungen enormen Kürzungen unterworfen sein werden. Schon hier der Hinweis an die Organisationen, die auf freiwillige Leistungen setzen: Arbeitet an Eurem Geschäftsmodell! Dazu aber später noch mehr…
Zusammenfassend: Es gibt Scheitern, auf Ebene von Projekten wie auf Ebene ganzer Organisationen, auch im Sozialwesen. Gleichzeitig fällt es unserer Branche außerordentlich schwer, Scheitern bzw. das Ende eines Projekts, einer Organisationseinheit oder auch die Insolvenz und das Ende ganzer Organisation in einem Verband oder auch außerhalb zu akzeptieren.
Aber wo liegen Gründe für scheiternde Projekte und Organisationen in der Sozialwirtschaft? Und warum tun wir uns schwer mit Scheitern? Was könnte helfen, Scheitern von Projekten, Organisationen etc. zu verhindern bzw. mit dem Scheitern besser umgehen zu können?
Warum scheitern Projekte und soziale Organisationen?
Warum scheitern Projekte in und soziale Organisationen als Ganzes? Um ein paar Anregungen zu bekommen, habe ich diese Frage auf Twitter gestellt. An dieser Stelle ganz herzlichen Dank für alle Mitdenken *innen für die Anregungen und Beispiele.
Es ist mehr geworden als ein paar Anregungen. Es ließe sich mindestens ein Buch schreiben. Ich will es trotzdem zunächst bei diesem Blogbeitrag belassen.
Hier also kommentierte Gründe, warum Projekte in und soziale Organisationen als Ganzes scheitern:
Scheitern aufgrund von schlecht ausgebildeten Führungskräfte
Führungskräfte sozialer Organisationen müssen sich mit komplexen, oft widersprüchlichen Anforderungen auseinandersetzen. Einerseits müssen sie fachlich versiert sein, um ernst genommen zu werden, andererseits müssen sie Management-, Führungs- bzw. Leadershipkompetenzen mitbringen, um die Herausforderungen der Unternehmensführung zu bewältigen. Oft fehlt es auf einer der beiden Seiten (BWLer als Führungskräfte reichen ebensowenig wie Sozialarbeiter* innen ohne Zusatzausbildung). Daraus resultiert entweder ein Fokus nur auf die Zahlenseite oder nur auf die fachliche Seite, mit den entsprechenden Folgen. Fraglich in diesem Zusammenhang ist jedoch, ob die Führungskräfteausbildung im Sozialwesen (bspw. Sozialmanagement-Studiengänge) zeitgemäß ist.
Scheitern aufgrund von oftmals ehrenamtlich operativ tätigen Führungskräften
Der erstgenannte Punkt verschärft sich, wenn in Vereinen Vorstände zwar ehrenamtlich engagiert sind, diese jedoch operativ Führungsverantwortung haben. In einem Beitrag auf IdeeQuadrat habe ich dieses Problem bereits einmal aufgegriffen: Ehrenamtliche, hoch engagierte Menschen sind für professionelle Arbeit in sozialen Organisationen verantwortlich. Hier bestehen zwei Möglichkeiten: Entweder, der geschäftsführende Vorstand lässt die Mitarbeiter*innen machen. Das ist gut, führt aber oftmals zu Chaos. Die Affen regieren den Zoo mit den bekannten Konsequenzen: Keine Führung, keine Struktur, Konflikte und Chaos statt fokussierter Zusammenarbeit! Oder aber die ehrenamtlichen Führungskräfte sind in ihrem professionellen Leben selbst Führungskraft (wer ist das nicht) oder haben zumindest schon mal davon gehört, dass man manchmal kräftig auf den Tisch klopfen muss. Beides – machen lassen ebenso wie immer mal wieder hart durchgreifen – führt zum Vertrauensverlust in die Führung und zum Scheitern der Projekte bzw. Organisationen.
Scheitern aufgrund von unprofessioneller Umsetzung der Unterstützungsprozesse
Unterstützungsprozesse sind Arbeitsabläufe, die die eigentliche Arbeit (die Kernprozesse) unterstützen (zum Prozessmanagement empfehle ich Dir den Podcast mit Philipp). Zu den Unterstützungsprozessen gehört bspw. auch die Buchhaltung, die in kleinen Einrichtungen häufig nebenbei, ebenfalls von den „Fachkräften“ erledigt werden muss. Das kann (auf Dauer) gut gehen, muss aber nicht. Gleichzeitig können sich gerade kleine Einrichtungen, Vereine oder Initiativen keine professionelle Unterstützung leisten. Oder? Vielleicht macht es Sinn, Arbeiten, die man nicht beherrscht, auszulagern. Es gibt inzwischen umfangreiche und recht kostengünstige Unterstützungsmöglichkeiten gerade hinsichtlich Buchhaltung oder Office-Organisation.
Scheitern aufgrund des fehlenden Umgangs mit Konflikten
„Wer glaubt, dass Sozialarbeiter sozial arbeiten, glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten.“ Was witzig klingt, impliziert, dass es oftmals hochgradig konfliktgeladen einhergeht. Gleichzeitig werden Konflikten nicht offen angesprochen und geklärt, gerade weil wir doch alle so sozial sind. Das führt früher oder später zur Explosion des Kessels und damit zum Scheitern der Projekte oder der Organisation. Oder wie geht ihr mit echten Konflikten um?
Scheitern aufgrund des „Nicht-Eingestehens“, dass die Idee nicht funktioniert
Manchmal fängt man etwas an, dass sich im Nachhinein als nicht praktikabel erweist oder sich dahin entwickelt, nicht mehr praktikabel zu sein: Gesetze ändern sich, Menschen ändern ihre Vorlieben, Technik kommt hinzu und verändert Geschäftsmodelle uvm. Da Projekte und Engagement insgesamt in der Sozialwirtschaft immer „gut gemeint“ und außerdem immer Menschen in irgendeiner Weise beteiligt sind (als Nutzer* innen wie als Mitarbeiter* innen) fällt es noch schwerer, der Realität ins Auge zu sehen und Scheitern zu akzeptieren.
Scheitern aufgrund der Verwendung der Arbeitszeit zur Absicherung der eigenen Stelle
A propos Mitarbeiter*innen: Aufgrund der Projektlogik, mit der ein großer Teil sinnvoller sozialer Arbeit finanziert wird, ist es notwendig, dass sich Mitarbeiter*innen mehr mit dem nächsten Projektantrag beschäftigen, als eigentlich Mehrwert zu generieren. Daraus resultiert Projektumsetzung, die noch Luft nach oben hat. Organisationen, die sich insgesamt zu großen Teilen aus Projekten finanzieren, sollten dies immer mitbedenken: Wie hoch ist der Anteil der Arbeit, die in die Projektentwicklung und -beantragung fließt, anstatt in die eigentliche Arbeit?
Scheitern aufgrund fehlenden Slack Ressources
Unter Slack Ressourcen sind Mittel, Personal, Zeit etc. zu verstehen, die in kritischen Zeiten als Puffer dienen können. Die aktuelle Pandemie hat vor allem zu Beginn die fehlenden Ressourcen im Gesundheitswesen aufgezeigt. Diese Slack Ressourcen sind jedoch nicht nur notwendig für besondere Situationen. Sie sind auch relevant für die Ermöglichung von Organisationsentwicklung und Innovation. Denn: Wenn die Organisation zu 100% ausgelastet und damit an der Grenze der Belastung ist, besteht keine Möglichkeit, sich weiter zu entwickeln. Ich hab dazu bereits einen Beitrag geschrieben.
Scheitern aufgrund unpassender Organisationsstrukturen
Unpassende Organisationsstrukturen und damit die Gestaltung von zeitgemäßen Organisationen sind ja dass Hauptthema meiner Arbeit mit IdeeQuadrat. Entsprechend nehmen diese natürlich auch hier einen Stellenwert ein: Es besteht – sehr passend von Georg auf den Punkt gebracht – ein „Dilemma zwischen Sicherung der Gemeinwohlorientierung durch zentralistische demokratische Entscheidungsstrukturen einerseits und Agilität durch dezentrale Selbstorganisation an der Basis“ andererseits. Anders formuliert sind soziale Organisationen „front-line organizations“, bei denen die Wertschöpfung selbstorganisiert an der Basis erfolgt. Sinnvoll wären hier – aus mehreren Gründen – netzwerkartige Strukturen, die sich in allen „organisationalen New Work Konzepten“ wiederfinden lassen. Soziale Organisationen müssten sich in kleine, lebensfähige Einheiten organisieren, die möglichst selbstorganisiert agieren. Gleichzeitig gibt es jedoch klassische Organisationsverständnisse ebenso wie gesetzliche Anforderungen, die dazu zwingen, die Organisation hierarchisch zu gestalten, obwohl jeder weiß, dass es keinen Sinn macht. Dieses Dilemma führt zu enormen Herausforderungen bis hin zum Scheitern der Organisationen.
Scheitern aufgrund fehlender Kundenorientierung und der Abhängigkeit von externer Finanzierung
Soziale Dienstleistungen werden politisch gesteuert und nicht anhand des wirklichen Bedarfs. Kundenorientierung ist entsprechend ein guter Wunsch und eine Ausrichtung, jedoch kaum wirklich erreichbar, denn: Wer zahlt, bestimmt die Musik. Wenn die Organisation nur von einem Kostenträger abhängig ist entsteht natürlich ein enormes Risiko: Was, wenn der Kostenträger nicht mehr zahlt? Dieses Risiko steigt, wenn das Sozialwesen für neue Player lukrativ wird und zunehmend neue Konkurrenzorganisationen mitspielen wollen: Schon allein die bessere Kommunikation, auch auf politischer Ebene, des exakt gleichen Angebots reicht oft aus, die Kostenträger zum Wechsel der finanzierten Einrichtung zu bewegen. Aus meiner Perspektive liegt hier ein enormes Potential für von außen in den Markt des Sozialen eindringende „Disruptoren“. Abschließend sei nur noch erwähnt, dass die fehlende Kundenorientierung auch dazu führt, dass das Kundenfeedback ausbleibt: Die Nutzer *innen geben nicht zurück, wenn die angebotene Dienstleistung nicht mehr den Erwartungen entspricht, sondern bleiben häufig unwidersprochen. Das funktioniert kurzfristig, führt aber mittel- und langfristig zum abrupten Zusammenbruch der Organisation.
Scheitern aufgrund fehlender Lernkurve
Lernen in und von Organisationen ist ein super spannendes Thema. So bin ich davon überzeugt, dass viele Diskussionen im Kontext angeblich neuer Organisationsmodelle auch unter dem Begriff der „Lernenden Organisation“ zu finden sind. Für mich ist Reflexion und Lernen vielmehr Grundlage für Agilität. Warum aber fällt Lernen oft so schwer? Warum bleibt die Lernkurve flach? Das kann daran liegen, dass nicht auf der zweiten Ebene des Lernens gelernt wird: Oftmals reicht es nicht. durch bestimmte Handlungen ausgelöste Konsequenzen im Team (oder allein) zu reflektieren, um daraus neue Handlungen abzuleiten (auch wenn das schon mal was ist). Es ist viel häufiger notwendig, die hinter den Aufgaben stehenden Werte, Haltungen, Zielsetzungen in den Blick zu nehmen: Sind wir als Organisation noch auf dem Weg, den wir leben wollen? Sind unsere Leitwerte noch die Werte, die für uns wichtig sind? Gelingt es uns als Team, den größtmöglichen Nutzen zu stiften, für unsere Organisation, vor allem aber für unsere Kund* innen? Und wie können wir gegensteuern, wenn es uns auffällt, dass es nicht mehr der richtige Weg ist? Auf dieser Ebene ist eine wirklich tiefgreifende Möglichkeit geschaffen, das Scheitern zu analysieren: Warum sind wir wirklich gescheitert? Diese Reflexion und Analyse findet leider selten statt.
Scheitern aufgrund zu lange verteidigter Traditionen
„Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme.“
Dieses berühmte Zitat von Thomas Morus bringt es auf den Punkt: Wir halten in unseren Organisationen oftmals die schon längst erloschene Asche in den Händen, anstatt rechtzeitig die noch brennende Flamme weiterzugeben, wodurch das Scheitern verhindert worden wäre. Tradition hat dabei auch viel mit Kultur und der Frage zu tun, wie diese verändert werden kann: Eingeschliffene Regeln, Strukturen, Vorgehensweisen sind einfacher zu befolgen, als neue Wege. Es werden lieber Menschen eingestellt, die ähnlich ticken, anstatt Menschen mit neuem Feuer. Über die Tradition von oftmals männlich geprägten Netzwerken in kirchlichen Organisationen braucht man hier nicht viele Worte zu verlieren…
Scheitern aufgrund unprofessionellen Projektmanagements
Ja, es gibt auch Methoden, die Projekte gemanaged werden können. Agile Methoden wie Scrum oder auch klassische PM-Methoden oder hybride Vorgehensweisen sind denkbar. Problematisch ist es jedoch, einfach so vor sich hinzuwurschteln. Deswegen: Egal wie, nur professionell sollte es sein, auch wenn agile Methoden besser zu den komplexen Anforderungen sozialer Probleme passen (ach ja, die Kosten- und Projektträger sind leider alles andere als agil unterwegs)…
Scheitern aufgrund der Herausforderungen der Arbeit mit Ehrenamtlichen
Hm, spannender Aspekt: Die Arbeit mit Ehrenamtlichen ist ein riesiger Vorteil sozialer Organisationen: Menschen engagieren sich für die Sache und nicht für die Karotte! Welche Organisation kann das schon von sich behaupten? Die Arbeit mit Ehrenamtlichen setzt jedoch voraus, dass die im Konflikt mit den Hauptamtlichen auftretenden Störungen professionell bearbeitet werden – sonst kommen sich zwei Denk- und Handlungslogiken sehr schnell in die Quere. Entsprechend müssen Menschen und Organisationen Kompetenzen in der Arbeit mit Ehrenamtlichen herausbilden.
Scheitern aufgrund von „Dienst nach Vorschrift“
Manche Führungskraft wird sich jetzt denken: Wenn die doch wenigstens mal nach Vorschrift arbeiten würden… Aber Dienst nach Vorschrift impliziert, dass keine oder zu wenige Regelbrüche stattfinden. Und der Dienst nach Vorschrift, also das Unterbinden von Regelbrüchen, ist eine der effektivsten Streikformen:
„Erst die Möglichkeiten zur punktuellen Abweichung vom formalen Regelwerk geben der Organisation eine gewisse „Leichtigkeit“. Widersprüchliche Anforderungen an die Mitarbeiter müssen nicht sofort durch ein neues formales Regelwerk entschieden werden, sondern man duldet, dass Mitarbeiter in gut begründeten Fällen von den formalen Regeln abweichen. Gleichzeitig verhindert die Existenz der formalen Ordnung, dass sich eine Organisation „balkanisiert“ und alle tun, was sie wollen.“ (Kühl, 2020)
In der Begleitung sozialer Organisationen stelle ich oft fest, dass zu wenige formale Regeln oder besser klare Prozesse, dafür aber informelle, und mindestens genauso wirkungsvolle Rituale vorhanden sind: Es ist nicht transparent, was geht und was nicht. Das führt dann dazu, dass vorhandene Regeln besonders strikt umgesetzt werden. Wir brauchen genau diese Transparenz, auch in den Regeln und Prozessen, um Agilität zu ermöglichen.
Scheitern aufgrund fehlendem Vertrauen in die Mitarbeiter*innen
Dieser Punkt erschließt sich von selbst: Wenn die Führungskraft den Mitarbeiter*innen nicht vertraut, kommt es zu Mikromanagement: Jeder kleine Schritt wird überprüft, verlangsamt, hinterfragt, wodurch niemand vorwärts kommt. Vertrauen ergibt sich jedoch durch die erfolgreiche Bewältigung von verantwortlich übernommenen Aufgaben. Um jedoch Aufgaben verantwortlich übernehmen zu können, muss die Verantwortung für die Aufgaben aber wirklich, wirklich abgegeben werden. Das kostet Mut, wird aber belohnt.
Scheitern aufgrund fehlendem Unternehmertum und der Bequemlichkeit der Mitarbeiter* innen
§ 14 AT, Absatz 5, der Caritas-Arbeitsvertragsrichtlinien besagt, dass nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren bei demselben Dienstgeber, frühestens jedoch nach dem vollendeten 40. Lebensjahr des Mitarbeiters, eine ordentliche Kündigung durch den Dienstgeber ausgeschlossen ist. Es gibt noch ein paar Sonderregeln, aber im Grunde ist es wie Beamtentum. Ohne irgendwem irgendwas unterstellen zu wollen, sind die Anreize, sich einem Projekt mit vollem Herzblut zu widmen, eher gering, wenn nichts passieren kann. Ja, ich weiß, negative Anreize durch Drohung mit der Kündigung ist nicht sinnvoll. Jedoch ist unternehmerisches Handeln, also die Notwendigkeit, mit wenigen Mitteln risikobehaftet Neues zu gestalten, in unserer Branche sehr gering ausgeprägt.
Scheitern aufgrund von Beratungsresistenz
Ja, wir in sozialen Berufen sind eierlegende Wollmilchsäue, Spezialgeneralisten, hab ich das mal irgendwo genannt. Wir können irgendwie alles, also auch mit Zahlen umgehen, Organisationen aufbauen und gestalten, Geschäftsmodelle designen und skalieren, Projekte entwickeln und managen usw. Da brauchen wir doch keine Beratung von außen! Na, vielleicht manchmal eben doch! Und wenn die externe Beratung nur dazu dient, die eigenen blinden Flecken zu verdeutlichen, ist schon viel gewonnen. Dann muss man „nur noch“ umsetzen, was gemeinsam erarbeitet wurde…
Scheitern aufgrund des Dilemmas zwischen Effizienz und Wertorientierung
Soziale Organisationen sind mehr als Wirtschaftsbetriebe. Neben den Anforderungen an wirtschaftlich effizientes Handeln müssen soziale Organisationen moralisch deutlich höhere Standards umsetzen als „normale“ Unternehmen. Wenn eine soziale Organisation, ein Geschäftsbereich oder auch nur ein Projekt scheitert, steht im Hintergrund sofort die Öffentlichkeit mit der moralischen Keule: Die Freisetzung von Mitarbeiter* innen oder auch die aufgrund der Insolvenz dann fehlende Versorgung der Nutzer* innen ist „ja nun mal gar nicht sozial! Und mit christlichen Werten hat das ja nun mal gar nichts zu tun“. Für Führungskräfte ergeben sich hieraus deutlich höhere Anforderungen, da sie permanent gefordert sind, diese Widerspräche aushalten zu müssen: „Soziale Organisationen sind äußerst komplexe Gebilde. Sie sind gleichzeitig in verschiedenen Märkten tätig, müssen mit einer Vielzahl von internen und externen Stakeholdern Beziehungen pflegen und deren oftmals gegensätzliche Interessen berücksichtigen. (Herzka, 2013, 135).
Wie kann Scheitern und Insolvenz (besser) verhindert werden?
Puh, die Liste der Gründe, warum soziale Organisationen und Projekte in sozialen Organisationen in Schieflage geraten, scheitern oder gar Insolvenz anmelden müssen, ist lang (und wahrscheinlich nicht vollständig).
Entsprechend lang ist auch die Darlegung von Möglichkeiten, die Scheitern und Insolvenzen verhindern helfen. Aber lassen sich übergreifende Gemeinsamkeiten entdecken, die erste, konkrete Ansätze bieten, die Organisation resilienter gegenüber Scheitern und Krisen zu gestalten?
Vorab ist zu erwähnen, dass Scheitern und auch Insolvenzen zum (Arbeits-)Leben dazugehören. Auch soziale Organisationen müssen für ihre Entwicklung, für Innovation und auch für die Optimierung ihrer Prozesse und Arbeitsabläufe Risiken eingehen. Und es ist einem Risiko inhärent, dass es nicht zwingend gut ausgehen muss. Hinzu kommen unvorhersehbare Ereignisse, aktuell natürlich die Corona-Pandemie, die es notwendig machen, völlig neu zu denken und zu agieren. Offene Jugendarbeit ist schwierig und anders, wenn alles geschlossen ist, als Beispiel, Digitalisierung hält Einzug in die hinterste Eso-Bude und soziale Organisationen und Verbände stellen sich ihren Daseinszweck völlig neu. Da kann und darf auch mal etwas scheitern. Hinzu kommt, dass jede Organisation, jedes Projekt und auch jede soziale Dienstleistung hat einen bestimmten Lebenszyklus hat. Dieser ist mal länger, mal kürzer.
Scheitern akzeptieren und lernen
Daraus folgt Punkt 1: Wir müssen lernen, Scheitern zu akzeptieren. Das ist manchmal hart, vor allem, weil es in sozialen Organisationen immer wieder die Schwächsten unserer Gesellschaft betrifft, Kinder, Menschen, die behindert werden, ältere oder kranke Menschen.
Wichtig bei der Akzeptanz des Scheiterns ist, aus den gemachten Fehlern zu lernen. Das wiederum setzt aber Reflexion voraus, die oftmals ressourcenintensiv ist. Man muss sich Zeit nehmen für die Reflexion. Oder besser: Wir sollten der Reflexion des Scheiterns Priorität geben. Denn: Keine Zeit für etwas zu haben bedeutet, dass ich diesem etwas keine ausreichende Priorität gebe.
Kompetenzen kennen, einbringen können und entwickeln
Ein Aspekt, der oben immer wieder durchscheint, ist die Frage der Kompetenzen: Können die Menschen in Deiner Organisation ihre Kompetenzen dort einbringen, wo sie die größte Wirkung entfalten können? Oder geht es nur darum „Stellen zu besetzen“? Um dahin zu gelangen, (Zusammen-)Arbeit wirklich anhand verteilter, auf den Kompetenzen der Menschen basierenden Autoritäten und kollektiver Intelligenz anstatt anhand formal-hierarchischerMacht- und Entscheidungsstrukturen zu organisieren, muss erst einmal klar werden, wer überhaupt welche Kompetenzen hat. Das ist in den meisten Unternehmen völlig unklar. Frag doch mal Deine Mitarbeiter* innen (oder Dich selbst) nach ihren drei größten Stärken. Dies offene Auseinandersetzung mit den Stärken und Fähigkeiten der Mitarbeiter* innen ist ein Prozess, der sich wirklich lohnt. Darüber wird dann auch klar, wo noch Lücken hinsichtlich der professionellen und damit effektiven und effizienten Arbeit an und in der Organisation sind. Diese ggf. vorhandenen Lücken (bspw. zum Thema Projektmanagement, Grundlagen der BWL…) lassen sich dann sehr viel gezielter ausgleichen, als „vermutete“ Bedarfe, die zu hohen Weiterbildungskosten führen.
Krisenresiliente Organisation gestalten
Wie würdest Du deine Organisation strukturieren, wenn Du noch einmal komplett neu, auf der grünen Wiese, beginnen könntest? Sicherlich nicht formal-hierarchisch, um die individuellen Interessen einzelner Menschen herum, oder? Das macht keinen Sinn. Mehr Sinn macht es, die Organisation um die Wertschöpfung zu strukturieren, die generiert wird. Konkret: Einzelne, kleine, möglichst autarke und damit interdisziplinär zusammengesetzte Teams, die in direktem Kontakt zu den Nutzer* innen der Leistungen stehen, organisieren ihre Zusammenarbeit anhand der Kompetenzen der Menschen im Unternehmen und nicht anhand vorgegebener Hierarchiestufen. Bezogen auf die Frage des Scheiterns lässt sich konstatieren, dass diese sog. „Rekursiv-fraktale Organisationsstruktur“ deutlich resilienter ist, als die formal-hierarchische Organisationsstruktur. Und Krisenresilienz werden wir nicht nur aktuell, sondern auch bezogen auf die anstehenden Herausforderungen brauchen.
Der Weg dahin ist nicht ganz ohne, aber mit einem Teil der Organisation, einer Organisationseinheit zu beginnen, die sowieso in einem Umbruch ist, kann ein Weg sein. Wichtig dabei wieder: Lernen, Erfahrungen reflektieren und anpassen.
Vorhandene Stärken nutzen
Abschließend und als Fazit will ich nur noch einen Aspekt betonen: Menschen in Sozialen Organisationen und damit auch die Organisationen an sich sind eigentlich optimal geeignet, die genannten Aspekte umzusetzen. Denn: Krisen, Scheitern, Herausforderungen und Probleme sind der Kern sozialer Arbeit. Wir sind „Krisenprofis“, bezogen auf individuelle Krisen, bezogen auf Krisen in Gruppen und bezogen auf Krisen in sozialen Systemen wie bspw. Quartieren. Wir sind erfahren in systemischen Denkweisen, gehen mit einer ganzheitlichen, „bio-psycho-sozialen“ Sicht an die sich ergebenden Problemstellungen und lösen Probleme dort, wo sie entstehen. Nur in unseren Organisationen greifen wir nicht auf unsere Stärken zurück, sondern rennen oftmals komplett veralteten Bildern eines maschinellen Managements hinterher. Ja ich weiß:
Oftmals fordern die Kostenträger und Projektträger, von denen wir in der Finanzierung abhängig sind, genau diese veralteten, auf Misstrauen basierenden Management-Logiken. Da kommen wir auch nicht drum herum (auch wenn es oft noch so widersprüchlich ist). Hier gilt es, beidhändig zu fahren: Einerseits können wir (nach außen) die Anforderungen bedienen und „Management-Theater“ spielen. Nach innen jedoch, in die Organisationen hinein, sollten wir dringend unser Potential nutzen und echte „Soziale Arbeit“ gestalten.
Jetzt bin ich gespannt auf weitere Ideen, Anregungen und Feedback 😉
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