Ein dritter Weg, oder: Der ehrenamtliche Vorstand in geschäftsführender Position als Chance für soziale Organisationen

Vorstand

Inhalt:

Beim Bier beschwert sich ein Freund, Sozialarbeiter in einer kleinen, als Verein organisierten sozialen Einrichtung, über den Vorstand des Vereins: „Keine Ahnung, und dann will er mitbestimmen!“ Der Vorstand ist ehrenamtlich und gleichzeitig als geschäftsführender Vorstand und damit operativ tätig.

Diese Konstellation ist für soziale Organisationen nicht selten: „Projekte“, Initiativen, kleine Vereine, die mit hohem Engagement Probleme lösen.

Private Kitas, Initiativen für die Integration von Flüchtlingen oder zu Unterstützung von Menschen mit Behinderung, Hospize oder Drogenberatunggstellen , ins Leben gerufen durch das Engagement Einzelner oder von Gruppen. Die Initiativen wurden durch Gründung eines Vereins ins „offizielle“ Leben berufen und die Professionalisierung erfolgt dann über die Einstellung von Mitarbeiter*innen, die die operative Arbeit übernehmen.

Komplexe Konstrukte

Für die Gestaltung der Rahmenbedingungen, für die öffentliche Vertretung, für die Lobbyarbeit uvm. ist oftmals ein Wohlfahrtsverband zuständig. Sofern der Verein nicht konfessionell geprägt ist, kommen bspw. die AWO oder der Paritätische Wohlfahrtsverband infrage, bei konfessioneller Anbindung die Caritas, Diakonie oder auch – etwas weniger bekannt – die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e.V..

Aus diesen Konstellationen ergeben sich oftmals hochgradig komplexe Konstrukte: „Die“ Caritas gibt es genauso wenig wie „den Paritätischen Wohlfahrtsverband“. Oftmals wird versucht, diese Konstruktion mit Konzernstrukturen zu vergleichen. Die Caritas (ich habe es schon wieder geschrieben) mit mehr als 1.000.000 (einer Million) Beschäftigten unterstreicht dieses Konzernbild.

Der ehrenamtliche Vorstand ist die beste Voraussetzung für Selbstorganisation

Ich schweife ein wenig ab… Aber nur ein wenig, denn ich will darauf hinaus, dass – wie ich bereits oft betont habe – die Voraussetzungen für sich selbst organisierende Organisationen grundlegend in der Struktur sozialer Organisationen angelegt ist. Das zeigt der Blick in die Entstehungsgeschichte vieler sozialer Organisationen:

Ein paar Menschen lösen erfolgreich ein soziales Problem (bspw. Kinder-, Jugendlichen- oder Altenbetreuung).

Der Erfolg führt dazu, dass die Organisation organisch wächst. Oftmals wachsen die professionellen Strukturen mit, es werden bei ausreichender Organisationsgröße – neben den Mitarbeiter*innen – Geschäftsfühhrer*innen eingestellt. Oder es entstehen Unterstützungsstrukturen, wie bspw. Geschäftsführungen, die für mehrere Kindergärten zuständig sind, bspw. in den Verrechnungsstellen für Katholische Kindergärten (hier ein Beispiel).

Der alte Affe macht das immer so!

Sofern dies nicht passiert, die Organisation also entsprechend klein ist, auf Hierarchien bewusst verzichtet wird oder diese einfach nicht eingeführt werden (warum auch immer), kommt es zu dem oben geschilderten Phänomen:

Ehrenamtliche, hoch engagierte Menschen sind für professionelle Arbeit in sozialen Organisationen verantwortlich. Und dann bestehen zwei Möglichkeiten:

Entweder, der geschäftsführende Vorstand lässt die Mitarbeiter*innen machen. Das ist gut, führt aber oftmals zu Chaos. Die Affen regieren den Zoo* mit den bekannten Konsequenzen: Keine Führung, keine Struktur! Konflikte und Chaos statt fokussierter Zusammenarbeit! Es bilden sich informelle Hierarchien heraus, oftmals nach dem Senioritätsprinzip:

Die ältesten Mitarbeiter*innen sagen, wo’s langgeht:

„Das haben wir hier schon immer so gemacht!“

Das bißchen Arbeit macht sich von allein, sagt der Vorstand…

Oder aber die ehrenamtlichen Führungskräfte sind in ihrem professionellen Leben selbst Führungskraft (wer ist das nicht) oder hat zumindest schon mal davon gehört oder gelesen, das man manchmal kräftig auf den Tisch klopfen muss.

Da oftmals – jetzt wird es ein wenig klischeehaft – Juristen, Mediziner oder Lehrer diese Vorstandsposten bekleiden (sorry, musste sein ;-), fällt der Apfel der Führung nicht weit vom Stamm: Durchgreifen, klare Regeln, den Laden auf Spur halten ist an der Tagesordnung. Die operative Arbeit im Alltag mit der Klientel zählt hier nur wenig, da „das bisschen Soziale Arbeit“ ja nicht so schwer sein kann (Frauenberuf und so, ihr wisst schon).

Beide Wege führen nicht nach Rom, sondern direkt zur Unzufriedenheit der Mitarbeiter*innen: Entweder die oder der Chef*in kümmert sich nicht um den Laden, alle machen, was sie wollen und dadurch dauert alles ewig. Oder aber: „Der Chef hat keine Ahnung, bestimmt aber, wie wir hier arbeiten sollen. Er will alles mitbestimmen!“ Mikromanagement at ist best!

Beide Wege der Führung sind überspitzt dargelegt, natürlich, aber irgendwo zwischen diesen beiden Polen bewegen sich sehr viele dieser kleinen und mittelgroßen Organisationen.

Der dritte Weg

Sie merken schon: Es fehlt ein dritter Weg!

Dieser dritte Weg, diese dritte Alternative gewinnt gerade durch die Ehrenamtlichkeit des Vorstands soviel Luft, dass hier optimale Keimzellen für neues Arbeiten im Sinne von Selbstorganisation, Ganzheitlichkeit und organisationaler Sinnstiftung gedeihen können:

Wenn der Vorstand der Organisation einverstanden ist mit der Übergabe der operativen Aufgabe an die Mitarbeiter*innen „an der Basis“ und es gelingt, echtes Vertrauen zwischen Mitarbeiter*innen und Vorstand aufzubauen, sind die Türen weit geöffnet: Agile Methoden der Zusammenarbeit, von mir aus Scrum, aber schon einfache Methoden der Entscheidungsfindung, der gemeinsamen Strategieentwicklung, der partizipativen Einstellung neuer Mitarbeiter*innen und vieles mehr lassen sich mehr als sinnvoll einsetzen.

Gerade die Trennung zwischen repräsentativer Vorstandsarbeit und dem operativen, hochkomplexen Geschäft an der Basis lässt sich damit aufrechthalten: Der Vorstand ist zuständig für die Repräsentation, Lobbyarbeit, Fundraising etc. der Organisation.

Und die Mitarbeiter*innen können ihren Job machen, ohne sich in endlosen Debatten über die Anschaffung der Kaffeetassen zu zergehen.

Kompetenzen zur Selbstorganisation

Hierzu bedarf es Kompetenzen. Es bedarf des Wissens und der Möglichkeit der Anwendung der genannten Tools zur Entscheidungsfindung. Es bedarf der Möglichkeiten des gemeinsamen Austauschs in der Organisation. Es bedarf Lernräumen, in denen sich die Menschen und die Organisation entwickeln können.

Die Entwicklung dieser Kompetenzen ist weniger aufwendig, als manchmal vermutet. Sie kostet vor allen Dingen eine Investition in das Vertrauen den Mitarbeiter*innen gegenüber.

Die rechtliche Seite

Und ja, die rechtliche Seite darf nicht außer Acht gelassen werden: Der Vorstand haftet persönlich für die Machenschaften seiner Mitarbeiter*innen. https://deutsches-ehrenamt.de/vereinsrecht/haftung-vereinsvorstand/

Aber der Vorstand haftet auch, wenn die Mitarbeiter*innen schlechte Arbeit leisten. Und der Vorstand haftet auch, wenn er (oder sie) sich komplett im Alltagsgeschäft aufreibt. Hier macht es deutlich mehr Sinn, die Mitarbeiter*innen gut arbeiten zu lassen und ihnen die entsprechenden Tools an die Hand zu geben, damit man selbst die Organisation entsprechend weiterbringen kann.

Und wie geht das jetzt mit der Selbstorganisation richtig?

Ja, das ist die entscheidende Frage, an denen sich viele Organisationen – übrigens nichr nur kleine Vereine – abarbeiten: Wie können wir die Organisation so gestalten, dass die Mitarbeiter*innen selbstorganisiert gute Arbeit im Sinne der Organisation machen und die Führung – hier die geschäftsführenden Vorstände – Zeit hat für die wesentlichen Dinge, für die Arbeit an und nicht in der Organisation?

Ich habe in einem der letzten Beiträge geschrieben, dass ich davon überzeugt bin, dass Selbstorganisation in jeder Organisation möglich ist. Ich habe geschrieben, dass es nicht „die richtigen Mitarbeiter“ dafür braucht, sondern dass die richtigen Mitarbeiter*innen die Mitarbeiter*innen sind, die Sie haben. Welche auch sonst?

Ich habe in einem anderen Beitrag fünf Schritte beschrieben, wie Selbstorganisation gelingen kann. Außerdem habe ich beschrieben, dass Selbstorganisation ohne das Vertrauen in die Mitarbeiter*innen tödlich ist.

Diese und noch viele weitere Beiträge auf dem Blog zeigen einige Ansatzpunkte auf, wie der Weg zu mehr Selbstorganisation, zu mehr Agilität im Sinne der Anpassungsfähigkeit der Organisation gelingen kann.

Und gerne unterstütze ich Sie dabei, diesen Weg spezifisch für Ihre Organisation zu skizzieren und dann auch zu beschreiten. Denn, auch das ist relevant, jede Organisation ist individuell. Damit sind auch die zustellenden Fragen nur individuell auf Sie und Ihre Organisation zuzuschneiden.


Sie wollen noch mehr Fragen? Nehmen Sie einfach Kontakt auf, ich freue mich auf Sie.

P.S.: Zum Weiterlesen empfehle ich Ihnen – neben den Links oben natürlich 😉 – das Buch

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