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Systemeversagen, oder: Ein Blick vom Beckenrand auf brüchige Kopplungen in der Sozialen Arbeit

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Als eine Art Präambel schicke ich dem Beitrag eine Warnung vorweg: Er passt nicht in die Kategorie „Blogbeitrag“, denn ich liefere keine einfachen „Handlungsschritte“. Vermutlich entspricht er auch nicht der Logik von Beiträgen, die „schnell und gut“ gefunden werden, sei es durch Suchmaschinen oder KI. Außerdem ist der Beitrag bewusst ausführlich, wahrscheinlich sogar zu ausführlich. Er ist eher eine Standortbestimmung als eine Checkliste und somit die Verschriftlichung meiner „Beobachtungen vom Beckenrand“. Mit diesen möchte ich selbst reflektieren und einen Dialog ohne vorschnelle Vereinfachungen ermöglichen. Der Beitrag verfolgt die These, dass zunehmende Krisenerfahrungen in Organisationen der Sozialen Arbeit nicht auf das Versagen einzelner Akteure – ob Menschen oder Organisationen – zurückzuführen sind, sondern vielmehr Ausdruck dauerhaft überlasteter und damit zunehmend brüchiger Kopplungen in der Sozialen Arbeit zwischen nicht mehr funktionierenden Kostenträgern und den ebenfalls hoch belasteten Leistungserbringern sind, die von den Kostenträgern abhängig sind.

Konkret habe ich vor Kurzem mit der Geschäftsführung eines großen Jugendhilfeträgers gesprochen. Im Gespräch wurde deutlich, dass sie zunehmend feststellen, dass die Regelsysteme des kommunalen Trägers nicht mehr so stabil aufgestellt sind, wie man es aus der Vergangenheit gewohnt war. Ein Symptom dafür sei beispielsweise, dass es vermehrt zu längerfristigen Nicht-Erreichbarkeiten bei öffentlichen Stellen, beispielsweise beim ASD, komme, wodurch Fallzuständigkeiten unklar blieben. Und selbst wenn Stellen besetzt sind, handelt es sich oft nur um kurzfristige Besetzungen oder um Berufsanfänger:innen.

Das Ganze führt in der fallabhängigen sowie in der fallunabhängigen Arbeit nachvollziehbar zu erheblichen Schwierigkeiten und Unsicherheiten.

Aus meiner Sicht ist das kein Einzelfall. Auch andere Institutionen und Organisationen sehen sich mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert, die das Sozialwesen insgesamt an die Grenze der Funktionsfähigkeit führen.

Klingt dramatisch? Ist es auch. Am Schluss versuche ich deswegen, etwas optimistisch ein paar Hebel in den Blick zu nehmen, was doch getan werden könnte.

Aber der Reihe nach…

Systemeversagen allerorten

Ab und zu schreibe ich ja Beiträge, die eher einem Blick in die Glaskugel gleichen und in denen es um die Zukunft der Sozialen Arbeit geht (bspw. hier). Dass ich jedoch einmal einen Beitrag zur Zukunft der Sozialen Arbeit mit den technischen Details von Militärfahrzeugen beginnen würde, hätte ich auch nicht gedacht:

Der Blick darauf, dass die Bundeswehr seit Jahren versucht, Soldaten, Fahrzeuge und Waffensysteme digital miteinander zu vernetzen, zwei Techniker aber 400 Stunden für den Einbau eines Funkgeräts in einen einzigen Panzer brauchen und das Funkgerät aufgrund von Softwareproblemen dann trotzdem nicht funktioniert, lässt Fragen aufkommen:

  • Warum wurden Funkgeräte gekauft, die sich technisch kaum oder nur mit riesigem Aufwand in die Fahrzeuge integrieren lassen?
  • Warum sind die Softwareprobleme – wenn es um Digitalfunk geht – nicht vorher aufgefallen?
  • Ich bin ja (aus Gründen) ein Freund externer Beratung, aber: Wer genau bekommt wofür genau die zusätzlichen 156 Millionen Euro, die das Verteidigungsministerium für externe Unterstützung ausgeben will, um die Probleme mit dem Digitalfunk in den Griff zu bekommen?

Was hat das mit der Zukunft der Sozialen Arbeit zu tun?

Meiner Meinung nach liegen die Probleme der Bundeswehr in einer Fülle von Regelungen, Gesetzen, bürokratischen Hürden und nicht funktionierenden Kooperationen verschiedener Bereiche innerhalb und außerhalb der Bundeswehr, die eigentlich zusammenarbeiten müssten. Ebenso zerklüftet wie die Bundeswehr ist laut Georg Cremer der Sozialstaat:

„Für jede Leistung ist, überspitzt gesagt, eine andere Behörde zuständig. Und wenn dann Leistungen gegenseitig angerechnet werden müssen, wird es kompliziert. Wenn etwa Menschen nicht wissen, wer für ihr Anliegen zuständig ist, Antragsverfahren sie überfordern oder die Abklärung von Zuständigkeiten die Hilfe verzögert” (ZEIT Nr. 47/2025, 4. November 2025).

Das Ganze wird noch anschaulicher, wenn das ifo Institut den Versuch der Quantifizierung aller Sozialleistungen im „Haus der sozialen Hilfe und Förderung“ mit Asterix und Obelix auf der Suche nach Passierschein A38 im „Haus, das Verrückte macht“ vergleichen (hier). Das ifo Institut hat 502 Sozialleistungen identifiziert und versucht, daraus einen gesetzesübergreifenden Überblick zu generieren, betonen aber, dass nicht gewährleistet werden kann, dass diese Liste abschließend und vollständig ist: “Es ist durchaus möglich, dass bestimmte Leistungen übersehen wurden.”

Wortwörtlich „unfassbar“, oder?

Das Unfassbare führt in der Bevölkerung zu dem Gefühl, dass „irgendetwas nicht mehr funktioniert“. Dieses Gefühl erklärt auch die Aussage von Harald Welzer, dass das Chaos bei der Deutschen Bahn mehr Schaden an der Demokratie angerichtet hat als echte Demokratiefeinde (00:01:12).

In der Gesellschaft kommt das Gefühl auf, dass Systeme nicht mehr funktionieren, was auch von Aladin El-Mafaalani hier im Podcast auf den Punkt gebracht wird mit der Aussage, dass „alle Systeme, alle (…) Veränderungen vornehmen” müssen (02:11:49).

Die Menschen haben das Gefühl, dass diejenigen, die dafür verantwortlich sind, es auch nicht in den Griff bekommen. Also werden Idioten gewählt, die einfache, aber immer falsche Antworten auf komplexe Fragen liefern!

Und ähnlich ist es mit einem etwas spezifischeren Blick auf die Gesundheits- und Sozialwirtschaft. Hier sei einführend nur auf den Artikel in der Zeit (50/2025) verwiesen, der unter dem großartigen Titel „Essen ist fertig“ die finanziellen Herausforderungen der Stadt Essen darlegt und auf ein Transparenzproblem verweist: „Die Kämmerer müssen zwar die Höhe der Ausgaben fürs Jugendamt einplanen, wissen aber nicht genau, was die Sozialarbeiter damit tun wollen. Doch die finanzielle Not, in der Städte und Gemeinden gerade sind, sei noch größer: Denn während die Kommunen sich schon lange über ihre Unterfinanzierung beschweren, fehlt jetzt auch Bund und Ländern das Geld.“

Anstatt aber auf einzelne Player, auf Einrichtungen, Jugendämter oder auf einzelne Organisationen der Sozialwirtschaft zu blicken, erweitere ich den Problemfokus und versuche, das Ganze in den Blick zu nehmen.

Einzelsystembetrachtungen

Die einleitenden Ausführungen richten den Blick stets nur auf ein einzelnes System, beispielsweise die Bundeswehr, die Sozialgesetzgebung oder die Bahn. Gleiches gilt meist auch für Berichte über Organisationen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft.

Die Pflegeeinrichtungen stehen vor dem Zusammenbruch. Die Jugendämter stehen vor dem Kollaps. Die Einrichtungen der Jugendhilfe kommen mit einem zunehmend schwierigeren Klientel nicht mehr zurecht und so weiter.

Es wird jeweils nur ein soziales System bzw. eine Organisation in den Blick genommen. Das reduziert Komplexität und es ist journalistisch einfacher aufzubereiten mit Überschriften wie „Jugendämter in Not: Kinder in Gefahr?” (hier) oder „Altwerden unbezahlbar: Die Pflege vor dem Kollaps“ (hier).

Katastrophen – hier und da. Und ja, ein großer Teil meiner Arbeit beschäftigt sich mit dem Versuch, die Katastrophen in den jeweiligen Organisationen abzuwenden, neue Lösungen zu suchen und zu versuchen, die real existierenden Probleme zu verringern.

Genauso zeigt der Blick in die jeweiligen Organisationen aber, dass dort Tag für Tag alles dafür getan wird, deren Überleben sicherzustellen. Das gelingt unter den herausfordernden Bedingungen der Sozialwirtschaft häufig (und nicht erst seit gestern) durch mehr oder weniger „brauchbare Illegalitäten“ (vgl. ausführlich Kühl, 2020), also durch das bewusste Abweichen von den formalen Strukturen.

Dieses Abweichen ist für das Funktionieren sozialer Organisationen hoch funktional und damit eben brauchbar illegal (vgl. spezifisch für Organisationen der Sozialwirtschaft Epe, 2022).

Ein Blick in die jeweiligen Organisationen zeigt außerdem, dass die Funktionsfähigkeit gerade dann, wenn die formalen Strukturen an ihre Belastungsgrenze kommen, über Personen aufrechterhalten wird. Mitarbeitende machen Überstunden, entscheiden individuell, was nicht mehr getan werden kann, oder nehmen im Extremfall Kinder, die von Kindeswohlgefährdung bedroht sind, mit zu sich nach Hause.

Der These des Beitrags folgend will ich hier aber einmal herauszoomen und nicht einzelne Player, sondern das Gesamtsystem Soziale Arbeit und die Kopplungen zwischen den Playern betrachten.

Den Problemfokus erweitern, oder: das Gesamtsystem Soziale Arbeit

Erst mit dem Herauszoomen wird es richtig komplex. Denn dann kommt das sozialwirtschaftliche Dreiecksverhältnis zwischen Kostenträger, Leistungserbringer und Leistungsberechtigten ins Spiel. Kurz zur Wiederholung:

  • Kostenträger sind die Institutionen, die die finanziellen Ressourcen für die Erbringung sozialer Dienstleistungen bereitstellen. Neben Sozialämtern, Kranken- und Pflegekassen oder der Bundesagentur für Arbeit können auch Stiftungen oder andere Finanzierungsquellen als Kostenträger definiert werden. Die Kostenträger legen die Rahmenbedingungen fest, unter denen soziale Dienstleistungen erbracht werden. Dazu gehören die Art und der Umfang der Leistungen, die Zielgruppen und die verfügbaren finanziellen Mittel.
  • Leistungserbringer sind Personen oder Organisationen der Sozialen Arbeit, die die tatsächlichen sozialen Dienstleistungen erbringen. Dazu zählen staatliche Behörden (beispielsweise Jugendämter), hauptsächlich aber die freien Träger der Sozialwirtschaft (private, freigemeinnützige Träger, privatfreiberufliche Anbieter und privatgewerbliche Anbieter). Die Leistungserbringer arbeiten gemäß den gesetzlichen Vorgaben und Richtlinien der Kostenträger, um die auf sozialpolitischen Entscheidungen basierenden Dienstleistungen zu erbringen. Die Existenz von Organisationen der Sozialen Arbeit ist somit von diesen Entscheidungen abhängig – „und dies sowohl hinsichtlich der elementaren Existenzmöglichkeiten (Finanzierung) als auch hinsichtlich der politisch gesetzten Bedingungen für die Leistungserbringung“ (Gesmann, Merchel, 2021:33).
  • Zu nennen sind schließlich die Leistungsberechtigten, also die Klient:innen, Nutzer:innen oder Empfänger:innen sozialer Dienstleistungen – die Personen oder Gruppen, die die sozialen Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Sie haben das Recht auf Zugang zu den von den Kostenträgern finanzierten und von den Leistungserbringern bereitgestellten sozialen Dienstleistungen. Sie können (und werden zunehmend – beispielsweise beim BTHG) in den Entscheidungsprozess über die Art und den Umfang der Unterstützung einbezogen werden.

Die Betrachtung der einzelnen Ecken des Dreiecks ist nachvollziehbar. Es wird jedoch erst interessant, wenn die Perspektive auf das „Dazwischen“ verändert wird, auf die strukturellen Kopplungen der Klient:innen mit den Leistungserbringern, vor allem aber auf die strukturellen Kopplungen der Leistungserbringer mit den Kostenträgern.

Mit struktureller Kopplung ist gemeint, dass sich das beobachtete System „auf Dauer auf einige Ereignisse in seiner Umwelt (z. B. auf Leistungen anderer Systeme in seiner Umwelt) einstellt und seine eigene Struktur daran ausrichtet“ (Hoegl, F., 2022, S. 262). Registriert ein System also ein für es irritationsrelevantes Ereignis in einem gekoppelten System, wird mit systemspezifischer Formenbildung darauf reagiert: „Geschieht Relevantes dort, geschieht auch etwas hier und umgekehrt“ (ebd.).

Die Kopplungen zwischen den hier betrachteten Ecken des sozialwirtschaftlichen Dreiecks lassen sich als enorm feste Kopplungen, besser sogar als Abhängigkeiten bezeichnen:

Organisationen der Sozialwirtschaft sind von relevanten Ereignissen bei den Kostenträgern abhängig, ebenso wie Klient:innen von Ereignissen bei den Leistungserbringern abhängig sind. Sie können nicht nur, sondern müssen kooperieren.

Einrichtungen der stationären Jugendhilfe müssen beispielsweise mit Jugendämtern kooperieren, da sie von deren Entscheidungen abhängig sind, die Kosten für die Unterbringung eines Jugendlichen zu übernehmen. Genauso erfordern dringende Fälle schnelle Absprachen zwischen Jugendamt und Einrichtung. Noch deutlicher wird die Notwendigkeit der Kooperation, wenn die Aufgaben des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) betrachtet werden:

Der ASD ist „verantwortlich für die Gestaltung einer sachgerechten Jugendhilfeinfrastruktur und die Implementierung einer zielorientierten und funktionierenden Steuerung von Kooperationsbeziehungen/professionellen Netzwerken sowie das Management der Schnittstellen in den Bereichen Prävention, Hilfe und Kontrolle bei Erziehungsproblemen und Kindeswohlgefährdung zu den Trägern der freien Jugendhilfe sowie zur Schule, zum Gesundheitswesen und zur Bundesagentur für Arbeit” (hier). Ebenso deutlich wird die Notwendigkeit der Kooperation bei der wirtschaftlichen Jugendhilfe. Als Fachdienst im Jugendamt ist sie für die Bereitstellung der finanziellen Mittel für den jeweils festgestellten Jugendhilfebedarf nach dem SGB VIII sowie für die Steuerung der verwaltungstechnischen Abläufe im Rahmen der Hilfegewährung fachlich und rechtlich zuständig, wie es hier heißt.

Mit anderen Worten:

Um ihr Überleben zu sichern, sind Einrichtungen der Jugendhilfe auf eine gelingende Kooperation angewiesen und somit vom Funktionieren der Jugendämter abhängig. Gleiches gilt für stationäre Altenhilfeeinrichtungen, die auf eine gelingende Kooperation mit den Pflegekassen angewiesen sind. Auch Einrichtungen der Eingliederungshilfe sind auf gelingende Kooperation angewiesen, da sie von den jeweiligen Trägern der Eingliederungshilfe abhängig sind.

Und gleichzeitig sind die Kostenträger von funktionierenden Leistungserbringern abhängig, da die Kostenträger die Leistungen nicht selbst erbringen können. Um im Beispiel zu bleiben kann das Jugendamt das Kindeswohl nur schützen, wenn es Einrichtungen gibt, die Kinder in Obhut nehmen oder in denen Jugendliche stationär untergebracht werden können. Kurz:

Beide Player müssen miteinander kooperieren.

Zur Unwahrscheinlichkeit gelingender Kooperation

Der zunächst allgemeine Blick auf Kooperation zeigt jedoch, dass Kooperation grundsätzlich unwahrscheinlich ist, wie Stefan Gesmann hier im Vortrag „Das Jugendamt (bzw. der ASD) und seine Kooperationspartner aus systemischer Perspektive“ (o.J., Folie 2) als These einführt.

Gesmann begründet die Unwahrscheinlichkeit gelingender Kooperation zusammenfassend wie folgt (ebd., Folie 31):

  • „Kooperationssysteme sind soziale Systeme und damit Kommunikationssysteme.
  • Damit der Prozess der Autopoiese im „Gang“ bleibt, müssen sich Kooperationssysteme abgrenzen. Zudem sind sie zwecks Reduktion von Komplexität auf Kommunikationsmuster angewiesen.
  • Die Etablierung von Kommunikationsmustern (und damit das Gelingen von Kommunikation) wird in Kooperationssystemen erschwert durch
    • tendenziell eher lose Kopplung von Aktionen und Akteuren,
    • die sehr unterschiedlichen „Eigenlogiken“ (…) [der kooperierenden Systeme],
    • das Fehlen des Mediums Macht als regulierende Größe,
    • die sich nur schwerfällig entwickelnden informalen Spielregeln (Kopplung erfolgt nur temporär + Personen wechseln),
    • die zahlreichen Irritationen, die im Zuge der nötigen Rückkopplungsschleifen entstehen.“

Bei „Kooperationsnotwendigkeiten“ bzw. Abhängigkeiten, wie sie im Verhältnis der Leistungserbringer zu den Kostenträgern bestehen, treffen alle genannten Punkte ebenfalls zu. Die ohnehin unwahrscheinliche Kooperation wird jedoch noch unwahrscheinlicher bzw. funktioniert nicht mehr, wenn ein Kooperationssystem (in diesem Fall die Kostenträger) die Kooperation aufgrund fehlender oder ständig wechselnder Mitarbeitender nicht mehr aufrechterhalten kann.

Hinter den brüchigen Kopplungen in der Sozialen Arbeit: Ein strukturelles Phänomen

Die beobachtbaren Instabilitäten sind, wie die Ausführungen zeigen, systemweite, strukturelle Phänomene und Symptome überlasteter und sich grundlegend verändernder Systeme.

Deutlich wird, dass Organisationen – und damit Leistungserbringer ebenso wie Kostenträger – keine statischen Gebilde sind, sondern lebendige, soziale Systeme. Sie reagieren kontinuierlich auf Veränderungen in ihren jeweiligen Umwelten, um ihr Überleben zu sichern.

Verschieben sich die Rahmenbedingungen – beispielsweise durch demografischen Wandel, Fachkräftemangel, veränderte Fallkonstellationen, zunehmende Komplexität der Aufgaben, politische Sparvorgaben oder gesetzliche Änderungen mit dahinter schlummernden Bürokratiemonstern –, versuchen Organisationen zunächst, dies durch interne Anpassungen zu kompensieren. Wie oben bereits angedeutet, übernehmen Personen und Teams zusätzliche Aufgaben, straffen Prozesse, setzen Prioritäten neu usw.

Solange die Kompensationsfähigkeit und damit die Belastbarkeit noch ausreicht, bleibt das System nach außen hin funktionsfähig. Doch die Anpassungsstrategie hat Grenzen.

Mit zunehmender Belastung werden die – in Organisationen der Sozialwirtschaft ohnehin kaum vorhandenen – Puffer (Slack Resources) aufgebraucht, Redundanzen verschwinden und die Anpassungsfähigkeit nimmt ab. Was früher flexibel aufgefangen werden konnte, führt nun zu Verzögerungen und Ausfällen. Das System gerät an den Rand seiner Funktionsfähigkeit – oder sogar darüber hinaus. Die sichtbaren Symptome wie Nicht-Erreichbarkeit, unklare Zuständigkeiten, Personalfluktuation und Verzögerungen sind Ausdruck dieses Erschöpfungszustandes.

Entscheidend ist jedoch das Verständnis, dass die Probleme nicht am „Versagen“ einzelner Personen liegen, sondern an den Verhältnissen, unter denen diese agieren müssen.

Kurzfristige Appelle an „bessere Erreichbarkeit” oder die Forderung nach „besserer Bezahlung” mögen nachvollziehbar sein, greifen aber zu kurz. Sie behandeln Symptome, ohne die zugrunde liegenden Strukturprobleme zu adressieren.

Selbst kurzfristig mehr Personal – wo auch immer dieses herkommen soll – hilft wenig, wenn die Fluktuation hoch bleibt, die Einarbeitung in die hochkomplexen Arbeitsfelder unzureichend ist und sich die Systemüberlastung damit einfach auf eine größere Zahl von Personen verteilt.

Sieben Hebel, oder: Brüchige Kopplungen in der Sozialen Arbeit handlungsfähig gestalten

Wie oben bereits geschrieben, soll der Beitrag meine Beobachtungen widerspiegeln und keine „Rezepte“ liefern. Problembeschreibungen sind gut und wichtig. Ich bin auch kein Freund davon, immer und unmittelbar „lösungsorientiert“ zu agieren, sondern möchte zunächst die Probleme verstehen.

Das sollte mit den vorherigen Ausführungen aber geschehen sein. Die darauffolgende Frage lautet:

Wie können die Beteiligten – Leistungserbringer auf der einen und Kostenträger auf der anderen Seite – ihre Handlungsfähigkeit bewahren, wenn notwendige Kopplungen zunehmend brüchig werden?

Antwortmöglichkeiten liegen sicher nicht in einer noch stärkeren Kompensation durch die ohnehin enorm belasteten Mitarbeitenden, sondern in der bewussten Gestaltung der Rahmenbedingungen. Mit den folgenden sieben „Hebeln” versuche ich, einen Orientierungsrahmen dafür zu skizzieren:

Hebel 1: Systemgrenzen klären – Verantwortung bewusst definieren

Der erste Schritt ist die Klärung der Systemgrenzen. Die Beteiligten – Leistungserbringer ebenso wie Kostenträger – müssen sich deutlicher als bislang bewusst machen, was zu ihrem Auftrag gehört und was nicht, und dies aktiv definieren. Dadurch wird die jeweilige Verantwortung der Organisation klarer. Das klingt zunächst simpel, ist in der Praxis jedoch nicht nur komplex, sondern auch emotional aufgeladen.

In vielen Organisationen der Jugendhilfe (um ein Beispiel herauszugreifen) gibt es beispielsweise eine ausgeprägte Kultur des „Auffangens von allen”.

Diese Haltung ist grundsätzlich wertvoll. Sie entspringt der professionellen Identität der Menschen in der Sozialen Arbeit, die tief verankert ist und Gott sei Dank „helfen wollen”. Sie ist damit Ausdruck der Verantwortung der Mitarbeitenden gegenüber der jeweiligen Klientel – im Beispiel gegenüber den Kindern und Jugendlichen.

Wenn diese „organisationale Grundhaltung” jedoch dazu führt, dass systematisch Aufgaben übernommen werden, die eigentlich in der Verantwortung anderer Systempartner liegen, wird sie aus Perspektive der Organisationen dysfunktional und aus Perspektive der Mitarbeitenden ungesund. Nicht umsonst sind die Burnout-Raten in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft extrem hoch (und weiter steigend).

Ein praktisches Beispiel: Ein Träger der Jugendhilfe stellt fest, dass sich Hilfeplanverfahren massiv verzögern, weil der ASD überlastet ist. Die Fachkräfte beginnen, die Koordination zu übernehmen, Termine vorzubereiten und Protokolle zu schreiben – Aufgaben, die formal beim Kostenträger liegen.

Kurzfristig funktioniert das System besser. Mittelfristig führt die Zuständigkeitsverschiebung jedoch zu einem neuen Muster und damit zur neuen Normalität. Langfristig hat der Leistungserbringer zusätzliche Aufgaben informell und dauerhaft übernommen, ohne dass dies reflektiert, vereinbart oder finanziert wurde.

Systemgrenzen zu klären bedeutet nicht, sich zu verweigern oder bestehende Verantwortung abzulehnen. Es bedeutet vielmehr, bewusst zu entscheiden, welche zusätzlichen Aufgaben temporär übernommen werden können, ohne die Kernaufgaben zu gefährden und/oder die Mitarbeitenden zu überlasten. Diese Entscheidungen müssen transparent kommuniziert werden: gegenüber den Mitarbeitenden, gegenüber dem Kostenträger und gegenüber den Adressaten der Hilfe.

Ein Instrument kann dabei eine systematische „Aufgaben-Inventur“ sein:

  • Welche Tätigkeiten führen wir aktuell aus?
  • Welche davon gehören zu unserem vereinbarten Auftrag?
  • Welche sind Kompensationsleistungen für Systemausfälle?

Ziel ist, Klarheit zu schaffen, sich bewusst werden über Verantwortlichkeiten und die Grundlage für bewusste Entscheidungen zu bilden, anstatt in eine schleichende Überlastung zu laufen.

Hebel 2: Irritationen deuten – Probleme als Signale verstehen

Wenn selbst dort, wo „früher” brauchbare Illegalitäten stabilisiert haben, Abläufe nicht mehr funktionieren, liegt die naheliegende Interpretation nahe:

Es gibt ein Problem, das gelöst werden muss!

Fraglich ist jedoch, ob das offensichtlich wahrgenommene Problem nicht nur ein Symptom für „echte” Probleme dahinter ist. Die unmittelbaren Störungen und Probleme sind häufig Signale für tieferliegende Veränderungsnotwendigkeiten im jeweiligen System.

So signalisiert die wiederholte Nicht-Erreichbarkeit einer bestimmten Stelle beim Kostenträger beispielsweise möglicherweise keine individuelle Überlastung, sondern eine strukturelle Unterbesetzung. Daneben kann ein Problem auch in der Fehlbesetzung von Stellen liegen, was zu Überforderung und in der Folge zu häufigem Personalwechsel führt. Anstatt offene Stellen nur schnell nachzubesetzen, sollte man sich daher fragen, wie eine langfristige Kopplung von Person und Organisation wahrscheinlicher werden kann. Geht es um das Onboarding, die Arbeitsplatzattraktivität oder um unklare Zuständigkeiten, die mit Rollenkonflikten einhergehen?

Diese Signale wahrzunehmen und zu hinterfragen, bedeutet, einen Schritt zurückzutreten, zu beobachten und zu fragen:

  • Was sagt das Problem über das System?

Anstatt frustriert zu sein, dass „der ASD schon wieder nicht reagiert“, lohnt es sich, folgende Fragen zu stellen: Was könnte die wiederkehrende Nicht-Reaktion über die aktuelle Situation und die aktuellen Herausforderungen des ASD aussagen? Welche Rückschlüsse können wir daraus für unsere eigene Strategie und Arbeitsweise ziehen?

Diese Beobachtung 2. Ordnung oder – mit anderen Worten – die Beobachtung der eigenen Beobachtungen (hier mehr dazu) verändert die Position der Organisation fundamental und eröffnet Möglichkeiten:

Aus passiv Betroffenen werden aktive Beobachter der Beobachtungen. Daraus lassen sich Muster erkennen und in veränderte Handlungsstrategien übersetzen.

Ein Leistungserbringer, der erkennt, dass die Instabilität beim öffentlichen Träger strukturell bedingt und mittelfristig anhaltend ist, wird andere Entscheidungen treffen als einer, der von temporären Ausnahmesituationen ausgeht.

Noch konkreter können regelmäßige Reflexionsrunden im Leitungsteam durchgeführt werden, in denen nicht nur über einzelne Problemfälle, sondern auch über beobachtbare Muster in der eigenen Organisation sowie beim Kostenträger gesprochen wird:

  • Welche Irritationen treten wiederkehrend auf?
  • Was könnten sie signalisieren?
  • Welche Hypothesen haben wir über die Systemdynamiken?

Diese Deutungsarbeit ist anspruchsvoll und erfordert Raum, Zeit und eine Kultur, in der Unsicherheit und Nicht-Wissen artikuliert werden dürfen.

Hebel 3: Kooperationen neu strukturieren – tragfähige Kontaktarchitekturen schaffen

Wie oben ausgeführt, ist eine Kooperation unwahrscheinlich. Wenn dann auch noch einzelne Ansprechpersonen auf Seiten der Kooperationspartner nicht mehr verlässlich erreichbar sind, ist es nicht hilfreich, die bisherigen Kommunikationswege intensiver zu nutzen. Stattdessen sind neue Kooperationsstrukturen zu gestalten, um wieder tragfähige Kontaktarchitekturen zu etablieren, die auch unter instabilen Bedingungen funktionieren.

Dies kann konkret die Abkehr vom Prinzip der Einzelfallsteuerung zugunsten strukturierter Austauschformate bedeuten. Anstatt bei jedem Anliegen die individuelle Zuständigkeit zu klären, können beispielsweise wenige, dafür aber feste Jour-Fixe-Termine mit dem Kooperationspartner etabliert werden, in denen verschiedene Fälle gebündelt besprochen werden. Dadurch kann die Zahl der Kontaktversuche reduziert und die Wahrscheinlichkeit erhöht werden, tatsächlich ins Gespräch zu kommen und gemeinsame Entscheidungen zu treffen.

Denkbar ist auch die Bildung von „Kooperationstandems“, bei denen je zwei Personen auf Träger- und Leistungserbringerseite füreinander die primären Ansprechpartner sind – mit klarer Vertretungsregelung. Dies schafft Redundanz und verhindert, dass Personalwechsel oder Urlaub zum unmittelbaren Kommunikationsausfall führen.

Zu betonen ist, dass neue Strukturen nicht automatisch zu mehr Bürokratie führen müssen. Im Gegenteil können klare, ritualisierte Austauschformate oft effizienter sein als der scheiternde Versuch, die formal richtige Ansprechperson bzw. dauerhafte, aber ebenfalls nicht mehr verlässlich funktionierende Umwege zu finden. Entscheidend ist dabei, dass die neuen Strukturen gemeinsam mit den Kooperationspartnern (also von Kostenträger und Leistungserbringer) vereinbart und nicht einseitig eingefordert werden. Es ist notwendig, in den Dialog zu treten und zu klären, welche Formate für beide Seiten tragfähig sind.

Manche Organisationen und vor allem die Mitarbeitenden in den Organisationen der Sozialwirtschaft haben auch gute Erfahrungen mit „Eskalationspfaden“ gemacht. Gemeint sind damit klar definierte Wege, wie vorgegangen wird, wenn reguläre Kommunikationswege nicht mehr funktionieren:

  • Wer wird informiert?
  • In welchem Zeitraum?

Dies nimmt Druck aus komplexen, akuten Situationen und gibt den Mitarbeitenden Orientierung und Handlungssicherheit.

Hebel 4: Selbstbestimmt agierende Teamarbeit stärken – interne Routinen und Entscheidungsstrukturen festigen

Je instabiler das Umfeld und die Funktionsfähigkeit der Leistungserbringer ist, desto wichtiger wird die interne Stabilität. Organisationen, die klare Regeln, Prozesse, Routinen und Entscheidungswege (und damit Rollen und Zuständigkeiten) haben, können äußere Turbulenzen besser abfedern als solche, deren interne Ordnung diffus ist.

In diesem Kontext bedeutet es zunächst, selbstbestimmt agierende Teamarbeit zu stärken, indem interne Entscheidungskompetenzen geklärt und – sofern notwendig – erweitert werden:

  • Welche Entscheidungen können und sollen in der Organisation selbst getroffen werden, ohne auf externe Rückmeldungen warten zu müssen?

Dies kann die Handlungsfähigkeit erheblich steigern und Abhängigkeiten verringern.

Es geht gleichzeitig um die Festigung von Regeln und Routinen bzw. die klare Definition von Abläufen für Standardsituationen, die transparente Beschreibung von Kommunikations- und Entscheidungswegen sowie die Strukturierung von Besprechungsformaten.

Regeln und Routinen wirken zwar „bürokratisch”. Sie wirken jedoch gleichzeitig wie ein Stabilisator und ermöglichen effizientes und effektives Handeln, auch unter Stress. Den Mitarbeitenden wird damit Orientierung und Sicherheit gegeben. Ein Blick in die Funktionsweise von sogenannten „Blaulicht-Organisationen“ wie Feuerwehren, Polizei und Rettungsdiensten lohnt sich hier. Diese Organisationen reagieren auf Krisen. Deutlich wird, dass diese nicht „ungeplant selbstorganisiert”, sondern sehr klar durchorchestriert agieren (müssen), um in der Krise funktionsfähig zu bleiben.

Zum vierten Hebel noch ein abschließender Punkt: Ein oft unterschätzter Aspekt ist die Stärkung kollegialer Beratungsstrukturen. Interne Formate der Fallreflexion, der Supervision und der kollegialen Beratung sollten nicht nur in Krisen, sondern ganz allgemein Standard sein. Ja, ich weiß, dass das in vielen Organisationen so ist. Ich kenne aber auch Beispiele, in denen Supervision aufgrund der Kosten nur sehr spärlich in Anspruch genommen werden darf. Die Kosten, die durch fehlende Supervision (oder auch methodisch-professionelle kollegiale Beratung) entstehen, werden jedoch kaum dagegen aufgewogen.

Praktisch kann dies auch bedeuten, die Investitionen in Fortbildung und Methodenentwicklung im eigenen Team auszubauen, interne Wissensmanagementsysteme aufzubauen, Reflexionsräume zu schaffen und regelmäßige Supervision für selbstbestimmt agierende Teams zu etablieren.

Hebel 5: Unsicherheit als Kompetenzrahmen begreifen – Räume für Reflexion und Deutung schaffen

In instabilen Kontexten wird Unsicherheit zum Dauerzustand. Die klassische Erwartung an „die eine starke Führungsperson“ – Orientierung geben, Entscheidungen treffen und Sicherheit vermitteln – stößt an ihre Grenzen, wenn die Zukunft nicht prognostizierbar ist und sich die Rahmenbedingungen ständig ändern.

Hier kann ein Perspektivwechsel helfen: Unsicherheit wird dabei nicht als zu überwindendes Problem, sondern als neuer Handlungsrahmen verstanden. Dieser andere Blick ist übrigens nicht nur in Organisationen der Sozialwirtschaft hilfreich, sondern würde auch unserer Gesellschaft insgesamt guttun.

Die dahinterliegende Kompetenz für Führungskräfte besteht nicht mehr darin, alle Antworten zu haben, sondern die richtigen Fragen zu stellen, Entwicklungen zu beobachten, Hypothesen zu bilden, zu testen und die Ergebnisse zu überprüfen, um dann gemeinsam mit dem Team tragfähige und flexible Wege zu entwickeln.

Dazu sind jedoch die in Hebel 4 angesprochenen organisationalen Reflexionsräume notwendig, in denen Unsicherheit artikuliert werden darf. Führungskräfte, die eigene Zweifel und Nicht-Wissen transparent machen, verunsichern unter Umständen. Sie erhöhen jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Kultur entwickelt, in der auch Mitarbeitende Unsicherheit äußern können, ohne dass ihre Kompetenz oder Professionalität infrage gestellt wird.

Aus dieser Offenheit kann die Fähigkeit einer Organisation wachsen, gemeinsam komplexe Situationen zu verstehen und angemessen zu handeln.

In der Praxis können regelmäßige Reflexionsrunden helfen, in denen nicht über einzelne Fälle, sondern über Dynamiken und Muster gesprochen wird. Auch hier kommen Supervisionen oder Beratungssettings ins Spiel, die nicht nur individuelle Belastungen, sondern auch systemische Fragestellungen bearbeiten. Ebenso können gemeinsame Klausurtage hilfreich sein, bei denen nicht das nächste Thema abgearbeitet, sondern Raum für das Heraustreten, das Beobachten und die strategische Reflexion geboten wird – ohne unmittelbaren Handlungsdruck.

Unsicherheit als Kompetenzrahmen bedeutet, dass man sich von der ohnehin illusorischen Vorstellung vollständiger Kontrolle verabschieden sollte: Organisationen können ihre Umwelt nicht kontrollieren, aber sie können Fähigkeiten entwickeln, um besser auf Veränderungen zu reagieren. Diese Fähigkeit, die sich vielleicht am besten mit dem Begriff der „organisationalen Resilienz” zusammenfassen lässt, ist in instabilen Zeiten wertvoller als jeder noch so detaillierte Fünfjahresplan.

Hebel 6: Iterativ handeln – temporäre, lernorientierte Lösungen statt starrer Konzepte

Zwar wurde oben die Bedeutung von Regeln in Krisen beschrieben. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir uns in Organisationen ausschließlich auf klassische Planungsinstrumente verlassen, die von einer prognostizierbaren Zukunft ausgehen. Das mechanistische Vorgehen, bei dem man die Situation analysiert, ein passendes Konzept entwickelt und umsetzt und anschließend das Ergebnis evaluiert, funktioniert in stabilen Umwelten gut. In instabilen Kontexten führt es jedoch zu Frustration, da sich die Situation bereits verändert hat, bevor das Konzept entwickelt, geschweige denn umgesetzt werden konnte.

Hier kann das bereits angesprochene iterative, auch „agile” Vorgehen helfen. Dabei geht es darum, schnelle, temporäre Lösungen zu entwickeln, auszuprobieren, auszuwerten und anzupassen.

Anstelle eines perfekt durchdachten Gesamtkonzepts werden begrenzte, überschaubare Schritte unternommen, aus denen gelernt werden kann. „Good enough for now and safe enough to try“ lautet der Leitsatz – nicht aus Nachlässigkeit, sondern aus der Einsicht, dass die Wirkung von Interventionen in komplexen Systemen nie vollständig vorhersagbar ist.

Konkret wäre denkbar, statt eines umfassenden neuen Kommunikationskonzepts für den jeweiligen Kooperationspartner zunächst einen wöchentlichen Telefontermin für drei Monate zu etablieren und dabei zu beobachten:

  • Funktioniert das?
  • Was verändert sich?
  • Was lernen wir?

Auf Basis dieser Erfahrungen kann entschieden werden, ob das Format beibehalten, angepasst oder ersetzt wird.

Iteratives Handeln erfordert den Mut zum Experimentieren und zum gemeinsamen Lernen. Fehler dürfen nicht als Versagen Einzelner interpretiert werden, sondern müssen als Erkenntnisquelle betrachtet werden. Anstatt an eine „Fehlerkultur” zu appellieren, sind Strukturen zu schaffen, in denen Experimente erlaubt sind und aus Fehlern gelernt werden darf.

Praktisch bedeutet das kürzere Planungshorizonte, häufigere Überprüfungen und mehr Flexibilität in der Ressourcenplanung. Budgets sollten nicht für das gesamte Jahr festgelegt werden, sondern quartalsweise überprüft und angepasst. Darüber hinaus sollten alle Konzepte, Dokumente, Regelungen, Vereinbarungen usw. als „Living Documents“ verstanden werden, die regelmäßig aktualisiert werden.

Hebel 7: Übergreifende Lagebilder für gemeinsames Verständnis schaffen – Austausch ermöglichen und Muster sichtbar machen

Ich komme gerade von der Jahrestagung des „Bündnisses katholischer Träger der offenen Ganztagsbildung im Erzbistum Köln“ in Köln zurück. Aus systemtheoretischer Perspektive habe ich dort auf die Gestaltungsmöglichkeiten organisationaler Resilienz von Teams und Trägerorganisationen der offenen Ganztagsbildung geschaut. Allein die Darstellung, dass in diesem Kontext nicht nur die Kopplungen des sozialwirtschaftlichen Leistungsdreiecks relevant sind, sondern auch die Schule als „Player” hinzukommt, führte bei einigen Teilnehmerinnen zu einem Aha-Erlebnis.

So wurde unter anderem deutlich, dass die Leistungserbringer – in diesem Fall die Teams und Einrichtungen der OGS – viele ähnliche Herausforderungen erleben, aber wenig voneinander wissen. Dafür gibt es entsprechende Veranstaltungen. Übergreifend lässt sich die Perspektive dahingehend erweitern, dass es verbandsintern einige Verständigungsinitiativen gibt – dafür sind die Verbände als Mitgliedsverbände da. Verbandsübergreifend gibt es jedoch nicht mehr viele solcher Räume.

Ähnlich ist es auf Seiten der Kostenträger: Ihnen ist bewusst, dass sie ähnliche Herausforderungen haben, und oftmals sind sie sich auch bewusst, dass ihre bisher etablierten Strukturen an die Grenze der Funktionsfähigkeit kommen.

Und – um das Beispiel OGS aufzugreifen – gehe ich davon aus, dass auch innerhalb des Systems Schule oder zumindest innerhalb vieler Schulen klar ist, dass Systeme – das Bildungssystem oder die jeweilige Schule – an Belastungsgrenzen zunehmend deutlich werden.

All dies wird sogar in Zeitungsartikeln und damit nach außen verdeutlicht: Jugendämter schreiben Brandbriefe (bspw. hier), in Einrichtungen der Jugendhilfe ist es ähnlich (bspw. hier) und aus Schulen finden sich ähnliche Artikel (bspw. hier).

Jeder kämpft für sich mit Überlastung, Nichterreichbarkeit, Zuständigkeitsproblemen und Verzögerungen. Diese Vereinzelung ergibt sich aus meiner Sicht aus dem fehlenden Verständnis der jeweiligen Herausforderungen und der Funktionslogiken der Systeme untereinander.

Das ist ineffizient und verschenkt Potenziale.

Mit „kollektiven Lagebildern” meine ich, dass Leistungserbringer aus ähnlichen Handlungsfeldern und Kostenträger zunächst einmal unter sich zusammenkommen, um ihre Beobachtungen auszutauschen und gemeinsame Deutungen zu entwickeln. Dabei geht es noch nicht um Lösungen, sondern vorerst um übergreifende Fragen wie:

  • Was sind wiederkehrende Muster?
  • Wo sind Engpässe?
  • Welche Lösungsansätze haben sich bei wem bewährt?
  • Welche Veränderungen in der Landschaft beobachten wir, und was bedeutet das für unsere Strategie?

Dieser systeminterne Austausch schafft Entlastung durch Solidarisierung („Wir sind nicht allein mit diesen Erfahrungen“) und liefert handlungsrelevantes Wissen, das die Grundlage für abgestimmte Handlungsstrategien bildet.

Werden ähnliche Probleme innerhalb des Systems identifiziert und offen angesprochen, kann gemeinsam auf „die andere Seite“ (Kostenträger bzw. Leistungserbringer) zugegangen werden – nicht als Anklage, sondern als Angebot zur gemeinsamen Problemlösung. Dies ist wirksamer als individuelle Beschwerden und signalisiert die Bereitschaft zu konstruktiver Kooperation im Sinne des gemeinsamen Auftrags, nämlich der bestmöglichen Versorgung der Klienten.

Praktisch kann dies bedeuten, dass sich zunächst regionale Foren der Kostenträger und Leistungserbringer bilden. In diesen Foren finden moderierte Reflexionsrunden statt, die nicht fachthemenbezogen sind, sondern dem Austausch und dem gegenseitigen Verständnis dienen. Im zweiten Schritt ist dann die jeweils andere Seite zu beteiligen, um ein systemübergreifendes Verständnis zu schaffen und zu schärfen.

Wichtig ist, dass diese Formate nicht zu weiteren Gremiensitzungen werden, in denen entweder nur gejammert oder hinter verschlossenem Visier das gegenseitige Versagen vorgeworfen wird. Aus meiner Sicht ist eine Moderation relevant, damit die Austauschforen strukturiert und lösungsorientiert gestaltet werden. Moderation kann dabei helfen, konstruktiv zu bleiben, Muster herauszuarbeiten und vom Problem zur Lösung zu gelangen.

Solche Formate erfordern Ressourcen – Zeit, gegebenenfalls externe Begleitung, Bereitschaft zur Teilnahme – aber sie zahlen sich aus durch effektivere Zusammenarbeit und geteilte Problemlösungskompetenz.

Fazit, oder: Brüchige Kopplungen in der Sozialen Arbeit dynamisch stabilisieren

Respekt, wenn es Ihnen gelungen ist, bis hierher zu lesen. Die herausfordernden Beobachtungen des „Systemversagens” erfordern aus meiner Sicht jedoch mehr als kurzfristige Lösungen.

Der Versuch, neue Probleme mit alten Lösungen anzugehen, wurde schon von Einstein als Wahnsinn erachtet. Es braucht also ein echtes Überdenken und Neugestalten bisheriger Systeme. Dies erleben wir nicht nur in der Sozialwirtschaft, sondern es lässt sich auch wunderbar auf das Gesundheits-, das Bildungs- oder das Rentensystem übertragen.

Wir brauchen in all diesen Systemen mehr als Reparatur. Prozessinnovation, also die Veränderung und Optimierung bestehender Prozesse, reicht nicht mehr aus. Wir brauchen Veränderungen zweiter Ordnung, also die Veränderung von Mustern, die ein System zur Reduktion von Komplexität herausgebildet hat, oder sogar Veränderungen dritter Ordnung.

Gemeint sind damit (bspw. hier von Ruth Seliger) Veränderungen der hinter den Mustern liegenden Konstruktionen und damit Veränderungen der „Grundwerte und Prinzipien, die den ‚Bauplan‘ (…) bilden“ (ebd.). Veränderungen dritter Ordnung bedeutet einen Paradigmenwechsel. Seliger schreibt sehr passend:

„Unsere Sprache suggeriert, dass Transformation einen ‚Gegen-Stand‘ beschreibt, ein ‚Ding‘, das man erkennen könnte. Aber Transformation ist kein ‚Ding‘, sie entsteht durch Tätigkeiten von Menschen, die etwas – sich selbst, ihre Organisation, die Gesellschaft – verändern. Es gibt nur den Prozess des Transformierens“ (ebd.).

Aus dieser Perspektive liefert auch dieser Beitrag keinen „3-Punkte-Plan“, kein Rezept und auch keine für alle Organisationen der Sozialwirtschaft in allen Bundesländern und Arbeitsfeldern gleichermaßen geltende Beschreibung aktueller Zustände. Er ist vielmehr eine Zusammenfassung meiner wiederholt an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen Gesprächen gemachten Beobachtungen – meine Beobachtung 2. Ordnung, sozusagen.

Vielleicht lässt sich die zentrale Beobachtung, die sich durch die Überlegungen zieht, in folgendem Satz zusammenfassen:

Resilienz entsteht nicht durch Kontrolle, sondern durch Klarheit.

In einer Zeit, in der sich die Rahmenbedingungen der Sozialwirtschaft fundamental verändern, ist der Versuch, diese Veränderungen zu kontrollieren oder zu steuern, bzw. sie durch verstärkte Kompensation auf dem Rücken einzelner Mitarbeitender aufzufangen, zum Scheitern verurteilt.

Was stattdessen – aus meiner Sicht – besser trägt, ist Klarheit: Klarheit als Person, Organisation, System und systemübergreifend über eigene Grenzen, Zuständigkeiten, Aufgaben und Befugnisse sowie über Systemdynamiken und damit über interne und externe Struktur- und Funktionslogiken.

Die zunehmende Brüchigkeit und Instabilität der für gelingende soziale Arbeit notwendigen Verbindungen zwischen Kostenträgern und Leistungserbringern ist kein vorübergehendes Resultat bedauerlicher Umstände, sondern Ausdruck tiefgreifender Transformationsprozesse im Gesamtsystem.

Diese Transformation wird anhalten – die Instabilität wird zur neuen Normalität. Entscheidend ist nicht, „wann alles wieder wie früher wird”, sondern das Lernen, in dieser Instabilität handlungsfähig zu bleiben.

Erste Antworten liegen nicht im Aktivismus, sondern zunächst im Beobachten und Wahrnehmen sowie der Reflexion der gemachten Wahrnehmungen.

Aufbauend auf den Wahrnehmungen der sich zeigenden Muster können Organisationen dann beginnen, Systemgrenzen zu klären, Irritationen und Muster als Signale zu deuten, Kooperationen neu zu strukturieren, Selbstorganisationsfähigkeiten zu stärken, Unsicherheiten als Möglichkeiten zu begreifen, iterativ zu handeln und kollektive Lagebilder zu schaffen.

Daraus – so vielleicht eine Hoffnung – kann „dynamische Stabilität“ entstehen, die es Organisationen – Kostenträgern wie Leistungserbringern – ermöglicht, kontinuierlich mit Veränderungen umzugehen.

Zum Schluss noch eine Schiffsmetapher, die gerne genutzt wird:

Dynamische Stabilität lässt sich mit einem Segelschiff vergleichen, das durch geschickte Navigation auch bei schwerem Seegang seinen Kurs hält – im Unterschied zum Anker, der Bewegung verhindert.

Quellen:

  • Epe, H. (2022): Dominierende Informalität in sozialen Organisationen als Herausforderung für die Organisationsentwicklung. URL: https://www.ideequadrat.org/dominierende-informalitaet-in-sozialen-organisationen/
  • Gesmann, S., Merchel, J. (2021): Systemisches Management in Organisationen der Sozialen Arbeit: Handbuch für Studium und Praxis. Zweite Auflage. Systemische soziale Arbeit. Heidelberg: Carl-Auer Verlag GmbH.
  • Hoegl, F. (2020): Kopplung. In: v. Wirth, Kleve, H. (Hrsg., 2022): Lexikon des systemischen Arbeitens. Grundbegriffe der systemischen Praxis, Methodik und Theorie. 2. Auflg., Heidelberg: Carl-Auer Verlag GmbH. S. 262 – 263.
  • Kühl, S. (2020): Brauchbare Illegalität.Vom Nutzen des Regelbruchs in Organisationen. Frankfurt: campus Verlag.

Fachcamp Soziale Arbeit 2025 – wo stehen wir und wo geht’s hin?

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tl;dr: Am Freitag, den 27. Juni 2025, findet das Fachcamp Soziale Arbeit 2025 im Bathildisheim in Bad Arolsen statt. Wir laden Dich herzlich ein, daran teilzunehmen. Besuche die Eventseite für mehr Infos und um Dich anzumelden.

Und damit: Welcome back zum Fachcamp Soziale Arbeit! Christian aka sozial-pr.net und ich freuen uns riesig, dass wir nach dem Start 2024 jetzt das zweite Fachcamp Soziale Arbeit ankündigen dürfen – und zwar am 27.06.2025 in Bad Arolsen.

Wir freuen uns darauf, Dich dabei zu haben!

Was ist das Fachcamp Soziale Arbeit?

Nur noch einmal kurz zur Wiederholung:

Das Fachcamp Soziale Arbeit ist eine Veranstaltung für Fach- und Führungskräfte aus der Sozialen Arbeit. Anders als klassische Barcamps, die oft ein breites Publikum ansprechen, konzentrieren wir uns ausschließlich auf die spezifischen Themen und Herausforderungen, denen Du in Deinem und denen Sie in Ihrem Arbeitsalltag in der Sozialen Arbeit begegnest.

Das Fachcamp bietet eine Plattform für kollegialen Austausch, Inspiration und, ja, auch ein wenig Psychohygiene 😉 Unabhängig von Deiner Rolle, Deiner hierarchischen Position oder Deinem Arbeitsbereich ist das Fachcamp der richtige Ort für Dich, wenn Du in der sozialen Arbeit tätig bist, Dich austauschen, neue Ideen generieren, alte Ideen loslassen, Lösungen anstreben und gemeinsam weiterdenken willst.

Warum braucht es das Fachcamp Soziale Arbeit?

Die Idee für dieses Event entstand vor einiger Zeit aus zwei Gedanken:

Zum einen steht die Soziale Arbeit und damit auch Organisationen der Sozialen Arbeit unter ziemlichem Druck:

Digitalisierung, KI, Finanzierungsengpässe, steigende Energiekosten, Fachkräftemangel, Klimakatastrophe und nicht zuletzt Demokratiekrise erfordern andere Lösungen, Ideen und Herangehensweisen.

Das klingt alles extrem herausfordernd, komplex und unsicher. Die Entwicklung von Ideen und Lösungen für die Themen und Fragen der „VUKA-Welt“ findet aber am Besten gemeinsamin einem offenen, innovativen Format und ohne organisationale Grenzen – statt.

Zum anderen sind wir überzeugt, dass es im Bereich der Sozialen Arbeit eine Lücke gibt:

Obwohl es großartige Barcamps wie bspw. das SocialBarCamp in Kiel gibt, fehlte bislang ein Barcamp, das sich vor Ort, lokal und explizit an Fach- und Führungskräfte der Sozialen Arbeit richtet.

Deswegen haben wir das neue Format aufgesetzt, bei dem sich Menschen, die täglich mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind, treffen können, um sich in einem geschützten Raum auszutauschen, Ideen zu entwickeln und gegenseitig zu unterstützen.

Warum Bad Arolsen?

Jaja, uns ist klar, dass Bad Arolsen nicht der Nabel der Welt und damit nicht ganz einfach zu erreichen ist.

Wir haben uns trotzdem für Bad Arolsen, vor allem aber für das Bathildisheim als Veranstaltungsort entschieden, weil wir zum einen wunderbar supported werden (Danke dafür!!!).

Erst diese Zusammenarbeit ermöglicht es uns, das Event in einem kleinen Rahmen anzubieten, ohne hohe Teilnahmegebühren verlangen zu müssen (40 EUR inkl. Verpflegung für den Tag klingen echt entspannt, oder?).

Zum anderen entwickelt sich das Bathildisheim seit einigen Jahren hin zu einem kollegial geführten Unternehmen. Und diesen Aspekt wollen wir beim Fachcamp Soziale Arbeit 2025 etwas stärker in den Blick rücken:

Wie gelingt Organisationsentwicklung und menschenfreundliches Arbeiten in und für Organisationen und Mitarbeitende der Sozialen Arbeit?

Da können die Mitarbeiter:innen aus dem Bathildisheim sicherlich einige spannende Insights liefern…

Das Format

Das Format bleibt auch beim 2. Fachcamp: Wir nutzen das Barcamp-Format, nennen unsere Veranstaltung aber bewusst „Fachcamp“.

Dabei geht’s darum, Diskussionen über Teilnahmegebühren zu vermeiden. Unsere Tickets sind erschwinglich, aber sie kosten Geld, um die Ausgaben für Verpflegung und Location zu decken – 40 Euro, bzw. 20 Euro für Studierende – echt entspannt, oder?

Und klar ist, dass das Programm – wie bei einem Barcamp – von Dir, von Euch und damit von den Teilnehmer:innen, nein, besser „Teilgeber:innen“ gestaltet wird. Es gibt zwar einen Zeitplan und vorgesehene Zeiträume für Sessions, aber die inhaltliche Gestaltung liegt bei Dir und den anderen Teilnehmenden.

Kurz: Du kannst die Themen einbringen, die Dir wichtig sind, und Dich mit anderen darüber austauschen.

Programm und Ablauf des Fachcamps

Das Fachcamp beginnt um 9 Uhr mit einem Snack und einer Begrüßung. Um 9:30 Uhr gibt es eine kurze Vorstellungsrunde, gefolgt von der Session-Planung. Die Sessions finden zwischen 10:30 Uhr und 15 Uhr statt, gefolgt von einem gemeinsamen Abschluss. Um 15:30 Uhr endet das Fachcamp. Die Sessions werden dokumentiert und die Dokumentationen dann unter allen Teilnehmenden geteilt, so dass auch im Nachgang weiter gearbeitet werden kann.

Und – ganz wichtig – das Format ist offen und praxisorientiert:

Ob Du eine Diskussion anstoßen, eine Frage klären oder einfach eine Idee vorstellen möchtest – beim Fachcamp ist alles möglich. Es geht um interaktiven und co-creativen Austausch und gemeinsames Lernen, nicht (nur) um Vorträge oder Präsentationen.

Anmeldung zum Fachcamp Soziale Arbeit 2025, Tickets und Kosten

Die Tickets für das Fachcamp Soziale Arbeit kosten 40 Euro, für Studierende 20 Euro. Wir haben uns bewusst für diesen kleinen Beitrag entschieden, um die Veranstaltung finanziell abzusichern. Sollten die Kosten für Dich ein Problem darstellen, melde Dich gerne bei uns – wir finden sicher eine Lösung.

Dankeschön und Einladung

Ein herzliches Dankeschön geht an unseren Hauptsponsor des 2. Fachcamps – das Bathildisheim Bad Arolsen!

Ohne Euch wäre dieses Event nicht möglich.

Wir freuen uns auf den 27. Juni 2025 und darauf, Euch (wieder) zu sehen, um sich zu vernetzen, auszutauschen und neue Ideen mitzunehmen.

Bock drauf? Dann melde Dich an und sei dabei. Wir freuen uns darauf, Dich in Bad Arolsen zu begrüßen!

Für weitere Informationen und zur Anmeldung besuche die Eventseite unter https://eveeno.com/fachcamp-soziale-arbeit-ii.

P.S.: Zum ersten Fachcamp haben Christian und ich einen Podcast aufgenommen. Oder Du hörst in den Podcast rein, den Christian zum Fachcamp aufgenommen hat.

Und noch ein letzter Hinweis: Es wäre super, wenn Du das Fachcamp Soziale Arbeit 2025 in Deinem Netzwerk teilst!

Wir sind Dir dann zu ewigem Dank verpflichtet – echt jetzt 😉

Rezension: „Gute Arbeit“ von Marion King

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Das Buch „Gute Arbeit“ von Marion King ist mehr als eine Anleitung zur Verbesserung der Arbeitswelt; es ist ein leidenschaftlicher Appell an alle, die ihre berufliche und persönliche Selbstwirksamkeit entdecken und ausbauen wollen. Das Buch verbindet fundierte Theorie mit einer Fülle persönlicher Erfahrungen und Erkenntnisse der Autorin. King versteht es meisterhaft, den Leser mit humorvollen, berührenden und klugen Beobachtungen durch die Geschichte der Arbeit und in die Zukunft zu führen. Dabei gelingt es ihr, die oft abstrakten Konzepte von „New Work“ greifbar und praxisnah darzustellen.

Gliederung des Buches: Ein Blick auf die Struktur

Das Buch „Gute Arbeit“ von Marion King ist klar und übersichtlich gegliedert, was es dem Leser leicht macht, dem roten Faden zu folgen und die einzelnen Themen zu vertiefen. Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigt die Tiefe und Vielfalt der behandelten Aspekte:

  1. Das Vorwort: Marion King beginnt ihr Buch mit einer philosophischen Einführung von Natalie Knapp, die den Leser dazu anregt, sich seiner eigenen Macht und Wirksamkeit bewusst zu werden. Der Ton ist motivierend und gibt den Rahmen für die folgenden Kapitel vor.
  2. Der Zustand der Arbeit: In diesem einleitenden Kapitel beschreibt King aus verschiedenen Perspektiven, wie sich die heutige Arbeitswelt darstellt. Sie beleuchtet die Sicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Organisationen und der Führungskräfte und macht deutlich, dass zwischen Erwartungen und Realität oft eine Lücke klafft. Das Kapitel „Wer jammert, hat noch Reserven“ weist auf humorvolle Weise auf das Potenzial hin, das in scheinbar schwierigen Arbeitssituationen steckt.
  3. Alte Arbeit: Dieses Kapitel führt den Leser tief in die historische Entwicklung der Arbeitswelt. King beleuchtet die Ursprünge moderner Arbeitsprinzipien, angefangen bei Pionieren wie Taylor, Fayol und Ford. Sie analysiert kritisch, wie die industriellen Revolutionen die Arbeitswelt geprägt haben und welche der alten Paradigmen bis heute überlebt haben. Das Kapitel „Taylor meets IT“ beschreibt die digitale Transformation und die damit verbundenen Herausforderungen.
  4. Neue Arbeit: In diesem Teil widmet sich King der modernen Arbeitswelt, dem Konzept „New Work“ und den damit verbundenen Mythen. Sie beschreibt, wie die Bewegung durch Frithjof Bergmann an Popularität gewann und bietet eine differenzierte Sicht auf die oft idealisierte Vorstellung dieser neuen Arbeit. Echte „Gute Arbeit“, so King, entsteht nicht durch Schlagworte, sondern durch einen echten Wandel von Strukturen in Organisationen, die dann auch zu einer anderen Haltung führen (können).
  5. Machen: Der praxisorientierte Teil des Buches motiviert zum Handeln. King zeigt zwölf „gute“ Gründe auf, warum Veränderungen oft scheitern, und gibt Hinweise, wie diese Hürden überwunden werden können. Besonders inspirierend ist das Kapitel „Neue Arbeit selbst machen“, in dem die Autorin konkrete Methoden und Beispiele für Selbstwirksamkeit vorstellt. Hier geht es um den Mut, aus vorgefertigten Strukturen auszubrechen und aktiv neue Wege zu gehen. King betont, dass dieser Prozess nicht ohne Geduld und Ausdauer geht, was sie im Kapitel „Über Geduld“ aufgreift.
  6. Inspirationen: In den abschließenden Kapiteln geht King auf gesellschaftliche Veränderungen ein, die eng mit dem Wandel der Arbeitswelt verbunden sind. Sie spricht von „New Masculinity“ und „New (Generation) Female“ und zeigt auf, wie feministische Prinzipien und Selbstwirksamkeit in den Arbeitsalltag integriert werden können. Das Kapitel „Eine neue Schule“ eröffnet Perspektiven, wie Bildung und Selbstwirksamkeit zusammenhängen und warum beides für eine nachhaltige Arbeitskultur so wichtig ist.
  7. Anhang: Der letzte Teil des Buchs „Gute Arbeit“ von Marion King bietet eine Sammlung weiterführender Literatur und Empfehlungen zur Vertiefung der behandelten Themen. King nennt ihre persönlichen „Lieblingsbücher“ und schlägt damit eine Brücke für Leser:innen, die sich tiefer mit den philosophischen und praktischen Aspekten der Arbeitswelt beschäftigen möchten.

Analyse und Reflexion zum Buch „Gute Arbeit“ von Marion King

„Wer jammert, hat noch Reserven!“ Puhhh, ich musste länger über den Satz nachdenken, der über der „eigentlichen Einleitung zum Buch“ (S. 22/23) steht (King bezieht sich auf den Artikel von Duve, 2003) und dachte an die Einrichtungen und Organisationen in denen ich unterwegs bin – Pflege, Soziale Arbeit, Erziehung, Gesundheit… Geht da noch was?

King ist sich sicher: „Ich weiß ganz sicher, dass da noch was geht, dass es anders geht – das mit dem Arbeiten und das mit dem Verändern.“ (ebd.)

Ja, dieser Blick macht das Buch für mich aus: Es geht was, es geht anders, vor allem aber geht es (selbst-)wirksamer. Arbeit genauso wie Veränderung. Allein an dem kurzen Einblick ins Buch zeigt sich, dass Gute Arbeit weit mehr ist als eine rein theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema Arbeit. Es ist ein Buch, das bewegen und aufrütteln soll – und das auch schafft.

Dazu trägt Kings Schreibstil bei – fesselnd und direkt, sie spricht ihre Leser:innen wie Vertraute an und macht die Lektüre zu einer fast persönlichen Erfahrung. Dazu tragen auch die vielen Beispiele aus ihrem eigenen Berufsleben bei, die auf lebendige Weise veranschaulichen, dass Veränderungen nicht nur notwendig, sondern auch und anders machbar sind.

Mir gefällt aber besonders Kings Fähigkeit, die Verbindung zwischen einer aus meiner Sicht realisitsch eingeordneten Perspektive von „New Work“ (in Anführungsstrichen als Klammer für alle zeitgemäßen Formen, Methoden und Tools von Arbeit und Zusammenarbeit, S. 67) und der eigenen ebenso wie der organisationalen Selbstwirksamkeit herzustellen.

Ja klar, manches sind Wiederholungen für Menschen, die sich schon lange im Kontext von New Work und Organisationsentwicklung bewegen – aber das ist normal und wichtig, denn: Ohne ein- und hinführende Worte zu komplexen Themenstellungen geht es nicht.

Marion King zeigt aber insgesamt, dass es bei erfüllender Arbeit nicht nur um Produktivität und Karriere geht, sondern darum, Einfluss auf seine Umwelt zu nehmen und (wieder) Sinn in seiner Arbeit zu finden. In einer Welt, die oft von Leistungsgedanken und kurzfristigen Erfolgen getrieben ist, erinnert das Buch daran, dass wahre Erfüllung nur dann erlebt wird, wenn man langfristig wirklich, wirklich etwas bewirkt.

Und so denke ich über die eigene Hoffnung nach, mit meiner Arbeit etwas – was auch immer – zu bewirken – für mich, vor allem aber für die tollen Menschen und Organisationen, mit denen ich in herausfordernden Zeiten zusammenarbeiten darf.

Fazit

Das Buch „Gute Arbeit“ von Marion King ist ein inspirierendes und facettenreiches Buch, das weit über die gängigen Buzzwords der „New Work“-Bewegung hinausgeht. Es ist ein Aufruf zu Verantwortung, Mut und Offenheit – sowohl für den Einzelnen als auch für Organisationen. Kings humorvoller und zugleich nachdenklicher Ton führt die Leser:innen durch die verschiedenen Facetten der Arbeitswelt und motiviert zur aktiven Gestaltung des Wandels.

Aus meiner Sicht eine klare Empfehlung für alle, die sich mit dem Status quo nicht zufrieden geben und bereit sind, sich nicht nur für „Gute Arbeit“, sondern auch für die Stärkung der Selbstwirksamkeit auf gesellschaftlicher Ebene einzusetzen.

Und das braucht’s – Selbstwirksamkeitserfahrungen für sich selbst, in unseren Organisationen und der Gesellschaft. Da geht noch was!

Und hier geht’s zum Buch!

Fachcamp Soziale Arbeit – Gestalte die Zukunft der Sozialen Arbeit am 25.10.2024

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tl;dr: Am 25. Oktober 2024 findet in Gelsenkirchen das erste Fachcamp Soziale Arbeit statt. Wir laden Dich herzlich ein, daran teilzunehmen. Besuche die Eventseite für mehr Infos und um Dich anzumelden.

Und damit: Herzlich willkommen zum Fachcamp Soziale Arbeit! Das Fachcamp Soziale Arbeit ist ein besonderes Event für Fachkräfte der sozialen Arbeit, das wir (Christian Müller aka sozial-pr.net und ich) ins Leben gerufen haben. Es ist der Nachfolger des ehemaligen Sozialcamps und wird erstmals am 25. Oktober 2024 in Gelsenkirchen stattfinden. Wir freuen uns darauf, Dich dabei zu haben!

Was ist das Fachcamp Soziale Arbeit?

Das Fachcamp Soziale Arbeit ist eine Veranstaltung für Fach- und Führungskräfte aus der Sozialen Arbeit. Anders als klassische Barcamps, die oft ein breites Publikum ansprechen, konzentrieren wir uns ausschließlich auf die spezifischen Themen und Herausforderungen, denen Du in Deinem Arbeitsalltag in der Sozialen Arbeit begegnest. Dieses Fachcamp bietet eine Plattform für kollegialen Austausch, Inspiration und, ja, auch ein wenig Psychohygiene 😉 Unabhängig von Deiner Rolle oder Deinem Arbeitsbereich ist das Fachcamp der richtige Ort für Dich, wenn Du in der sozialen Arbeit tätig bist, Dich austauschen, neue Ideen generieren, Lösungen anstreben und gemeinsam weiterdenken willst.

Warum Fachcamp Soziale Arbeit?

Die Idee für dieses Event entstand aus zwei Gedanken:

Zum einen steht die Soziale Arbeit und damit auch Organisationen der Sozialen Arbeit unter ziemlichem Druck: Digitalisierung, KI, Finanzierungsengpässe, steigende Energiekosten und natürlich der Fachkräftemangel erfordern neue Lösungen, Ideen und Herangehensweisen. Diese können am Besten gemeinsam – in einem offenen Format, ohne organisationale Grenzen – entwickelt werden.

Und zum anderen sind wir übergreifend der Überzeugung, dass es im Bereich der Sozialen Arbeit eine Lücke gibt: Obwohl es großartige Barcamps wie das SocialBarCamp in Kiel gibt, fehlt bislang ein Barcamp, das sich ausschließlich und explizit an Fach- und Führungskräfte der Sozialen Arbeit richtet.

Deswegen wollen wir ein neues Format aufsetzen, bei dem sich Menschen, die täglich mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind, treffen, um sich in einem geschützten Raum auszutauschen, Ideen zu entwickeln und gegenseitig zu unterstützen.

Warum Gelsenkirchen?

Gelsenkirchen haben wir als Veranstaltungsort für das erste Fachcamp gewählt, weil wir mit dem Sozialwerk St. Georg einen großartigen Partner und eine hervorragende Location gefunden haben. Diese Zusammenarbeit ermöglicht es uns, das Event in einem kleineren Rahmen zu testen, ohne hohe Kosten und Risiken einzugehen.

Und vielleicht, wenn sich das Format etabliert, findet es in Zukunft an verschiedenen Stellen in Deutschland statt – meld‘ Dich gerne bei Ideen und Anregungen dazu.

Das Format

Obwohl wir das Barcamp-Format nutzen, nennen wir unsere Veranstaltung bewusst „Fachcamp“, um Diskussionen über Teilnahmegebühren zu vermeiden. Unsere Tickets sind erschwinglich, aber sie kosten Geld, um die Ausgaben für Verpflegung und Location zu decken – 40 Euro, bzw. 20 Euro für Studierende.

Das Besondere am Fachcamp ist, dass das Programm – wie bei einem Barcamp – von Dir, von Euch und damit von den Teilnehmer:innen gestaltet wird. Es gibt zwar einen Zeitplan und vorgesehene Zeiträume für Sessions, aber die inhaltliche Gestaltung liegt bei Dir und den anderen Teilnehmenden. So kannst Du Themen einbringen, die Dir wichtig sind, und Dich mit anderen darüber austauschen.

Programm und Ablauf des Fachcamps

Das Fachcamp beginnt um 9 Uhr mit einem Snack und einer Begrüßung. Um 9:30 Uhr gibt es eine kurze Vorstellungsrunde, gefolgt von der Session-Planung. Die Sessions finden zwischen 10:30 Uhr und 15 Uhr statt, gefolgt von einem gemeinsamen Abschluss. Um 15:30 Uhr endet das Fachcamp. Die Sessions werden dokumentiert und die Dokumentationen dann unter allen Teilnehmenden geteilt, so dass auch im Nachgang weiter gearbeitet werden kann.

Und – ganz wichtig – das Format ist offen und praxisorientiert: Ob Du eine Diskussion anstoßen, eine Frage klären oder einfach eine Idee vorstellen möchtest – beim Fachcamp ist alles möglich. Es geht um interaktiven Austausch und gemeinsames Lernen, nicht um Vorträge oder Präsentationen.

Anmeldung, Tickets und Kosten

Die Tickets für das Fachcamp Soziale Arbeit kosten 40 Euro, für Studierende 20 Euro. Wir haben uns bewusst für diesen kleinen Beitrag entschieden, um die Veranstaltung finanziell abzusichern. Sollten die Kosten für Dich ein Problem darstellen, melde Dich gerne bei uns – wir finden sicher eine Lösung.

Dankeschön und Einladung

Ein herzliches Dankeschön geht an unseren Hauptsponsor – das Sozialwerk St. Georg! Ohne Euch wäre dieses Event nicht möglich.

Wir freuen uns auf den 25. Oktober und darauf, viele von Euch zu sehen, um sich zu vernetzen, auszutauschen und neue Ideen mitzunehmen. Wenn Du Interesse hast, am Fachcamp Soziale Arbeit teilzunehmen, melde Dich an und sei dabei. Wir freuen uns darauf, Dich in Gelsenkirchen zu begrüßen!

Für weitere Informationen und zur Anmeldung besuche die Eventseite unter https://eveeno.com/fachcamp_soziale_arbeit.

Alternativ dazu kannst Du auch den Podcast anhören, den ich mit Christian dazu aufgenommen habe. Oder Du hörst in den Podcast rein, den Christian zum Fachcamp aufgenommen hat.

Und noch ein letzter Hinweis: Es wäre super, wenn Du die Veranstaltung in Deinem Netzwerk teilst! Wir sind Dir dann zu ewigem Dank verpflichtet!!!

How (not) to kill your Company, oder: Die fünf größten Gefahren für Organisationen der Sozialen Arbeit und wie Du ihnen begegnen kannst.

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Hier mein Skript zu einer „Keynote“ 😉 meines Impulses, den ich vor wenigen Tagen im neu eröffneten Futurum halten durfte. Das Forum stand unter dem Oberthema „Diakonisches Umfeld im Wandel“ und die Teilnehmer:innen waren aufgefordert, ihren „Haupt-Killerfaktor“ zur Veranstaltung mitzubringen, um im Anschluss an meinen Impuls über diese Faktoren tiefer in den Austausch zu gehen. Ausgehend von dieser Themensetzung habe ich einleitend über die fünf größten Gefahren für Organisationen der Sozialen Arbeit gesprochen.

Einschränkend ist zu erwähnen, dass es sich hierbei um die fünf größten Gefahren für Organisationen der Sozialen Arbeit aus meiner Sicht handelt – und ich werde meine Meinung dazu in Zukunft sicherlich ändern, weiterentwickeln und anpassen. Das sind also die fünf größten Gefahren für Organisationen der Sozialen Arbeit aus meiner Sicht zum jetzigen Zeitpunkt.

Jetzt aber – fast – los. Fast, weil ich einführend meinen Bezugsrahmen skizzieren will:

Mein Bezugsrahmen oder: Wozu existieren Organisationen der Sozialen Arbeit?

Unter dem Bezugsrahmen verstehe ich einleitend die Frage:

Wozu existieren Organisationen der Sozialen Arbeit heute und in Zukunft?

Für mich ist das so etwas wie der „Basic Purpose“, eine (fast) allgemeingültige Orientierung, die hilfreich sein kann.

Und mein Bezugsrahmen, den ich im Folgenden als Hintergrundfolie mitlaufen lasse, ist die „Definition Sozialer Arbeit“, die Du hier finden kannst.

Sie lautet:

„Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen.

Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit.

Dabei stützt sie sich auf Theorien der Sozialen Arbeit, der Human- und Sozialwissenschaften und auf indigenes Wissen.

Soziale Arbeit befähigt und ermutigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern, dabei bindet sie Strukturen ein“ (Hervorhebungen durch d. Verf.).

Für mich ist diese Definition deshalb relevant, um eine – zwar sehr allgemeine, aber – grundlegende Orientierung darüber zu haben, wozu Organisationen der Sozialen Arbeit in all ihren Ausprägungen existieren. Sie liefert damit aus meiner Sicht eine gute Orientierung, warum es sinnvoll und wichtig ist, über das Überleben und die Zukunft von Organisationen der Sozialen Arbeit nachzudenken.

Es ist hervorzuheben, dass „die Sozialwirtschaft“ bzw. vor allem die beim Vortrag anwesenden Vertreter:innen der Komplexträger sich nicht nur in der Sozialwirtschaft, sondern in der „Gesundheits- und Sozialwirtschaft“ bewegen. So lassen sich z.B. Krankenhäuser, aber auch Pflegeeinrichtungen nicht unmittelbar unter dieser Definition zusammenfassen. Für mich wird damit deutlich, dass die ohnehin schon enorme Komplexität, in der sich die verantwortlichen Vorstände und Geschäftsführer dieser Organisationen bewegen, noch einmal deutlich erhöht wird.

Dennoch glaube ich, dass die Definition der Sozialen Arbeit eine Orientierung für die folgenden fünf Hauptgefahren für Organisationen der Sozialen Arbeit geben kann.

Die fünf größten Gefahren für Organisationen der Sozialen Arbeit

Jetzt geht’s aber wirklich los… Und ich bin gespannt auf Dein Feedback – gerne hier in den Kommentaren oder per Mail!

Gefahr I: Management-Moden!

Management-Moden lassen sich definieren als „Managementkonzepte, die relativ schnell viel Aufmerksamkeit von Manager:innen auf sich ziehen, ohne dass ihre Relevanz wissenschaftlich oder durch längere praktische Erfahrung belegt ist.“

Sie bieten „ihren Adressaten suggestive, aber vergleichsweise einfache Lösungen und Tools an, ohne situative oder organisationale Komplexität in Rechnung zu stellen“ (Bartel, 2020:4).

Bei näherer Befassung mit Management-Moden lassen sich bekannte Begriffe finden, wie:

  • „agiles Management“
  • „post-bürokratische Organisationen“
  • „Fehlerkultur“
  • „OKR“
  • „Lernende Organisation“
  • „Transformationale Führung“
  • „New Work“

Die Liste ist nicht abschließend und ließe sich verlängern.

Die aus meiner Sicht große Gefahr in der Existenz besteht darin, dass aufgrund der Existenz von Management-Moden organisationale Veränderungen nicht aufgrund echter Herausforderungen angegangen werden, sondern aufgrund normativer Beweggründe:

„Damit wir modern sind, müssen wir jetzt New Work machen!“

In meinem Newsletter vom 28. Juni 2024, den Du hier nachlesen und hier abonnieren kannst, bin ich vertiefend auf Management-Moden eingegangen.

Unter Berücksichtigung der Besonderheiten von Organisationen der Sozialen Arbeit wird die Gefahr noch deutlicher:

So lassen sich Organisationen der Sozialen Arbeit, den Ausführungen von Klaus Grunwald (vgl. Grunwald, 2018:165ff) folgend, als „hybride Organisationen“ definieren.

Damit ist gemeint, dass sie mit verschiedenen gesellschaftlichen Sektoren (informeller Sektor, Dritter Sektor, Staat und Markt) verbunden sind und von diesen geprägt werden. Diese Sektoren sind jedoch durch jeweils eigene Systemlogiken gekennzeichnet.

Organisationen der Sozialen Arbeit sind dementsprechend gefordert, unterschiedliche und zum Teil widersprüchliche Handlungslogiken zu integrieren, unterschiedliche Zielsetzungen zu einem eigenen Zielbündel zusammenzufügen, unterschiedliche und wiederum zum Teil widersprüchliche Einfluss- und Entscheidungsstrukturen zu berücksichtigen und zu kombinieren sowie aus unterschiedlichen Identitätsangeboten eine eigene Identität zu formen.

Daraus ergibt sich wiederum die Notwendigkeit, auch intern Strukturen und Prozesse so zu gestalten, dass sie den „hybriden Anforderungen“ gerecht werden und eine Vielzahl von Zweck- und Sinnbestimmungen zulassen und gleichzeitig identitätsstiftend sind.

Konkret müssen Organisationen der Sozialen Arbeit einerseits den Systemlogiken der Kostenträger folgen und gesetzeskonform handeln, um ihre Leistungen refinanziert zu bekommen. Gleichzeitig sind sie gefordert, auf einem Markt zu agieren, der dem binären Code Bezahlen/Nicht-Bezahlen folgt. Hinzu kommt, dass die Leistungen von Organisationen der Sozialen Arbeit in einem normativ aufgeladenen Umfeld agieren: Die Schließung von Angeboten aufgrund rein ökonomischer Notwendigkeiten stößt auf massiven gesellschaftlichen Widerstand.

Zusammenfassend besteht die Notwendigkeit, „hybride Anforderungen“ in eine Organisation zu integrieren, d.h. die Funktionslogiken unterschiedlicher Organisationseinheiten den hybriden Anforderungen anzupassen. Kurz:

One Management-Mode does not fit all Anforderungen.

Anstatt also der nächsten Management-Mode hinterherzurennen, sollte bei jeder Anpassung, Entwicklung und Veränderung die Frage in den Vordergrund rücken:

Was ist funktional für unseren Zweck?

Gefahr II: Die Mitarbeiter:innen im Mittelpunkt!

Diesen Aspekt habe ich bereits mehrfach angesprochen: Durch den Fachkräftemangel wird auf der Seite der Mitarbeiter:innen die Illusion genährt, dass sich die Organisation um ihre eigenen Anliegen und Wünsche herum entwickeln müsse.

Wenn aber die Organisation in den Dienst der Bedürfnisbefriedigung der Mitarbeiter:innen gestellt wird und damit die Personenorientierung die Oberhand gewinnt, hat dies „katastrophale Folgen für die Organisation“ (Wimmer, 2019).

Mit Blick auf die Geschichte vieler Organisationen der Sozialen Arbeit zeigt sich die Personenorientierung (im Gegensatz zur Aufgabenorientierung) auch ohne Fachkräftemangel an vielen Stellen sehr deutlich – von der Gründung sozialer Organisationen auf der Basis individueller Schicksale der Gründer:innen über die auf ehrenamtliche Beteiligung angewiesenen Rechtsformen sozialer Organisationen bis hin zur auf intrinsische Motivation setzenden professionellen Identität der in sozialen Berufen Tätigen. Dies führt dazu, dass das für Organisationen konstitutive Element der Trennung von Person und Rolle in Organisationen der Sozialen Arbeit wenig ausgeprägt ist (vgl. näher hier).

Das primäre Ziel jeder Organisation ist jedoch ihr Überleben, das sekundäre Ziel ist die Erfüllung des Organisationszwecks.

Es ist unstrittig, dass dazu insbesondere in sozialen Organisationen Menschen notwendig sind, die aber bestimmte Rollen einnehmen. Aufgrund des Fachkräftemangels in der Sozialwirtschaft können wir aber nicht mehr davon ausgehen, dass die Rollen aufgrund der „Haltung“ der Personen (vor allem bei Nicht-Fachkräften) „adäquat“ ausgefüllt werden.

Statt also die (sehr unterschiedlichen) Bedürfnisse der Personen in den Vordergrund zu stellen, gilt es, die formalen Rollenerwartungen (viel) expliziter zu machen und Prozesse, Aufgaben und Verantwortlichkeiten klar(er) zu definieren.

Hier habe ich die Methode „Marktplatz der Erwartungen“ beschrieben, die hilft, ein klares Verständnis über und klare Erwartungen an die Rollen, Mandate bzw. Verantwortungsbereiche in der Organisation und damit (möglichst) klare Zuständigkeiten zu definieren.

Gefahr III: Alles gleichzeitig!

Vor dem Impuls habe ich mein digitales Netzwerk nach den aus ihrer Perspektive größten Gefahren befragt. Insbesondere bei LinkedIn gab es viele, sehr tiefgehende Rückmeldungen dazu, du Du hier nachlesen kannst.

Ein Aspekt, der mir in diesem Zusammenhang besonders auffiel, war der immer wieder vorgebrachte Hinweis auf den fehlenden Fokus bzw. die fehlende Strategie in und von Organisationen der Sozialen Arbeit, die tatsächlich angegangen wird.

Dies ist einerseits verständlich, wenn man die oben skizzierten hybriden Herausforderungen von Organisationen der Sozialen Arbeit in den Blick nimmt:

Wenn sich Organisationen der Sozialen Arbeit an unterschiedlichen Systemlogiken orientieren müssen, fällt es schwer, „den einen Weg“ zu gehen bzw. die eine Strategie umzusetzen. Hinzu kommt zum anderen, dass globale, gesellschaftliche, politische wie auch technologische Entwicklungen immer auch unmittelbare Auswirkungen auf Organisationen der Sozialen Arbeit haben. Nur zwei Beispiele:

Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine führt nicht nur (wie bei allen Unternehmen) zu enorm steigenden Energiekosten, sondern gleichzeitig zu der Notwendigkeit, Menschen, die aus der Ukraine zu uns kommen, zu unterstützen. Ebenso reicht es nicht aus, sich mit digitalen Möglichkeiten zur Optimierung der eigenen Organisation zu beschäftigen, denn die Nutzbarkeit digitaler Tools und Technologien muss unter dem Begriff der Ermöglichung von Teilhabe immer auch aus der Perspektive der Klient:innen sozialer Organisationen betrachtet werden.

Kurz: Die Allzuständigkeit der Sozialen Arbeit im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Entwicklungen zeigt sich auch in einer Allüberforderung der Organisationen der Sozialen Arbeit, die sich allen Themen gleichzeitig widmen sollten/könnten/müssten.

Gleichzeitig wird natürlich auch der Fachkräftemangel von den anwesenden Teilnehmer:innen als ein, wenn nicht aktuell als das größte Problem von Organisationen der Sozialen Arbeit gesehen. Anders gesagt:

Organisationen der Sozialen Arbeit werden – mit Blick nach außen – nicht umhin kommen, deutlich stärker zu fokussieren, abzuwägen und zu priorisieren, was in und von Organisationen der Sozialen Arbeit zukünftig noch angeboten werden kann bzw. neu angeboten werden sollte.

Gleichzeitig muss mit Blick nach innen hinterfragt werden, welche internen Prozesse, Abläufe, Hierarchien, Abteilungen usw. (formale Organisationsstruktur) funktional sind (siehe Gefahr I) und welche weggelassen werden können.

Peter Drucker bringt es auf den Punkt, wenn er sagt:

„Wenn man etwas Neues will, muss man aufhören, etwas Altes zu tun“.

Es gilt also, adaptive Strategien zu entwickeln und umzusetzen, denn:

„Es gibt vielleicht nur ein einziges unausweichliches Ordnungsgesetz [in Organisationen]: daß nicht alles auf einmal geändert werden kann“ (Luhmann 1976:140 und Danke Stefan, für das schöne Zitat 😉

Ganz kurz zusammengefasst sind damit Strategien gemeint, die den Strategieprozess aus zwei Perspektiven denken:

  • a) für strategische Ziele müssen geeignete Wege gesucht werden (klassische Strategiearbeit) und
  • b) müssen Organisationen gleichzeitig offen bleiben für die Suche nach geeigneten Zielen, Problemen und Einsatzmöglichkeiten für die in den Organisationen vorhandenen Mittel, Problemlösungen und vorhandenen Ressourcen.

Details zur Gestaltung adaptiver Strategien findest Du hier.

Gefahr IV: Immer aus dem Bauch heraus!

Organisationen können definiert werden als „ein Netzwerk fortlaufender Entscheidungen“ (Richter, Groth, 2023, 125) – Entscheidungen, die sich in den formellen und informellen Strukturen der Organisation manifestieren (teils schriftlich, teils mündlich). So ist bereits die Gründung einer Organisation eine Entscheidung. Weitere Entscheidungen folgen (z.B. die Entscheidung, Personal einzustellen; die Entscheidung über den Zweck der Organisation; die Entscheidung über die Regeln, die in der Organisation gelten). Mit den ersten Entscheidungen wird ein Entscheidungsprozess in Gang gesetzt. „Jede Entscheidung impliziert weiteren Klärungs- und Handlungsbedarf, die entstehende Geschichte bereits getroffener Entscheidungen fordert und begrenzt weitere Entscheidungen“ (ebd., 126).

Soweit so einfach.

Fraglich ist jedoch, auf welcher Grundlage Entscheidungen getroffen werden – vor allem, wenn es sich um einschneidende Entscheidungen handelt (z.B. die Einstellung von Angeboten, siehe Gefahr III).

Entscheidungen können einmal „aus dem Bauch heraus“ und damit intuitiv getroffen werden. Dagegen ist auch wenig einzuwenden, sofern die Intuition auf langjährigen Erfahrungen beruht. Aber gerade bei Entscheidungen, die finanzielle und ggf. existenzielle Auswirkungen haben, ist das Bauchgefühl nicht immer der beste Ratgeber.

Sicherlich ist es schwierig, Entscheidungen über Angebote und Leistungen der Sozialen Arbeit immer und an allen Stellen datenbasiert zu treffen. So stellen sich z.B. Fragen wie:

  • Wie lässt sich empirisch nachweisen, dass explizit das Angebot für die Veränderungen bei den Klient:innen verantwortlich ist (und nicht bspw. das familiäre Umfeld)
  • Wie können einheitliche Indikatoren erstellt werden, die die Spezifika der Institution abbilden und gleichzeitig allgemeingültig sind?

Gleichzeitig verfügen soziale Organisationen jedoch über enorm viele Daten (Daten über die Nutzer:innen der Dienstleistungen, über die Mitarbeiter:innen, über die Verweildauer von Klient:innen in Maßnahmen, Finanzdaten und und und…). Durch die Analyse der in der Organisation vorhandenen Daten können Anhaltspunkte dafür gewonnen werden, wie gut bestimmte Dienstleistungen funktionieren und wo möglicherweise Optimierungspotenzial besteht.

Die Gefahr, die ich in diesem Zusammenhang sehe, ist, dass in dem Moment, in dem andere Akteure die Wirkung von Angeboten datenbasiert nachweisen, diese bei allen Entgeltverhandlungen gewinnen. Und die Nutzung und Auswertung von Daten wird – auch durch die rasante Entwicklung von KI-Lösungen – immer einfacher.

Entsprechend ist es aus organisatorischer Sicht hoch relevant, systematisch bereitgestellte und ausgewertete Daten für die interne Entscheidungsfindung in einer Organisation zu nutzen. Wie bereits erwähnt, basiert diese derzeit noch zu oft auf Intuition und dem berühmten Bauchgefühl, das zwar sehr wichtig ist, aber in Zukunft nicht mehr ausreichen wird.

Es ist aber notwendig, die Datenkompetenz in der Sozialen Arbeit jetzt und in Zukunft deutlich auszubauen, um (nicht nur digitale) Daten für Entscheidungen nutzen zu können.

Gefahr V: Systemüberlastung!

Gelingende Veränderung braucht Ressourcen – Zeit, Geld, Personal, Menschen, die Lust haben, Netzwerke… Hinzu kommt, dass bei Veränderung die „Leistungsfähigkeit“ (von Teams und/oder Organisationen) zunächst sogar abnimmt, da – zumindest bei echten Veränderungen – das „neue“ Arbeiten erst gelernt werden muss.

Der Blick in Organisationen der Sozialen Arbeit zeigt jedoch an vielen Stellen, dass die Organisationen zu 100% und mehr ausgelastet sind. Logo, auch hier kann der Fachkräftemangel angeführt werden. Hinzu kommen aber aus meiner Sicht an vielen Stellen auch hochgradig ineffiziente Prozesse und insgesamt wenig funktionale formale Strukturen der Organisationen.

Ständiges Arbeiten an und über der Belastungsgrenze führt jedoch zu organisationalem Burnout. Darunter ist zu verstehen, dass sich eine Organisation „in einem Zustand der Erschöpfung und Lähmung befindet und diesen als unerwünscht erkannten Zustand aus eigener Kraft nicht mehr positiv verändern kann“ (mehr hier).

Ursachen für organisationalen Burnout sind (vgl. ebd.)

  • externer Systemstress (Strukturwandel, Wettbewerbsdruck, Finanzmarktrisiken, veränderter Rechtsrahmen…);
  • interner Ressourcenstress (Erfolgsarroganz, Kompentenzdefizite, nachhaltiger Ressourcenmangel, übertriebener Ergebnisdruck);
  • endogener Identitätsstress (ständige Strategiewechsel, wiederholte Reorganisationsprogramme, Verlustängste des Managements, übertolerante Fehlerkultur).

Der Blick auf die Ursachen aus Sicht der Organisationen der Sozialen Arbeit zeigt einige neuralgische Punkte (z.B. veränderte gesetzliche Rahmenbedingungen wie das BTHG oder das KJSG, dauerhafte Ressourcenknappheit, Kompetenzdefizite auf der Leitungsebene).

Zusätzliche Belastungen und Krisen in Organisationen, die sich bereits im organisationalen Burnout befinden, führen zum Zusammenbruch des Systems.

Wie aber kann es gelingen, organisationalem Burnout und damit Systemüberlastung – insbesondere unter den herausfordernden Bedingungen von Organisationen der Sozialen Arbeit – zu begegnen?

Für mich ist hier die Auseinandersetzung mit organisationaler Resilienz von zentraler Bedeutung. Ja, man könnte Organisationale Resilienz auch als Managementmodus definieren. Aber die Ausführungen und Ideen hinter dem Konzept liefern viele hilfreiche Ansätze, die – wie in Deutschland üblich – in einer ISO-Norm (ISO 22316) beschrieben sind. Demnach verfügen „Resiliente Organisationen“ über folgende 9 Elemente:

  1. Gemeinsame Vision und Klarheit über den Zweck: Eine resiliente Organisation zeichnet sich durch die gemeinsame Vision, klare Ziele und gemeinsame Werte aus. Dies wird auf allen Hierarchieebenen geteilt.
  2. Verständnis des internen und externen Umfelds und Einflussnahme: Eine resiliente Organisation verfügt über ein tiefes Verständnis der internen und externen Systeme, in denen sie agiert. Dies ermöglicht der Organisation, aktiv Einfluss zu nehmen und Möglichkeiten zur Anpassung zu schaffen.
  3. Führung, die Unsicherheit und Scheitern akzeptiert und ermutigt: In einer resilienten Organisation herrscht eine Führungskultur, die es den Mitarbeitenden erlaubt, Unsicherheiten und Veränderungen anzunehmen und zu bewältigen.
  4. Festlegung von relevanten Einstellungen, Werten und Verhaltensweisen: Eine resiliente Organisation verankert gemeinsame Überzeugungen und Werte, positive Einstellungen und Verhaltensweisen fest in der Kultur, die für jeden Einzelnen von Bedeutung sind.
  5. Teilen von Informationen und Wissen: Die Mitglieder einer resilienten Organisation teilen aktiv Informationen und Wissen. Das Lernen aus Erfahrungen, einschließlich Fehlern, wird unterstützt und gefördert.
  6. Verfügbarkeit von Ressourcen: Eine resiliente Organisation verfügt über Ressourcen wie qualifizierte Mitarbeitende, finanzielle Mittel, Gebäude, Informationen und Technologie, um die anfälligen Bereiche der Organisation abzusichern und eine schnelle Anpassung an sich ändernde Umstände zu ermöglichen.
  7. Entwicklung und Koordination der Unternehmensbereiche: In einer resilienten Organisation werden die verschiedenen Unternehmensbereiche (bspw. Personalwesen, Qualitätsmanagement, Betriebliches Gesundheitsmanagement, Krisenmanagement und Informationstechnologie), definiert, entwickelt und koordiniert. Dies geschieht im Einklang mit den strategischen Zielen der Organisation.
  8. Evaluierung und Unterstützung kontinuierlicher Verbesserung: Eine resiliente Organisation bewertet ihre Ergebnisse und lernt aus Erfahrungen, um Chancen für kontinuierliche Verbesserung zu identifizieren.
  9. Fähigkeit, Veränderungen zu antizipieren und zu managen: Eine resiliente Organisation erkennt frühzeitig zukünftige Veränderungen, kann angemessen darauf reagieren und diese erfolgreich bewältigen.

Auch hier lassen sich wiederum für Organisationen der Sozialen Arbeit spezifische Aspekte finden, die berücksichtigt werden müssen. Ich habe diese hier beschrieben.

Wichtig ist jedoch, dass Organisationen nicht in der Krise resilient werden, sondern im Training vor der Krise. Nur vor der Krise können Organisationen resilient gemacht werden.

In der Krise gilt der Krisenmodus. Das ist wie beim Fußball – auch da kann man vorher trainieren, aber nicht im Spiel.

Angesichts der gesellschaftlichen Spaltungen, der massiven Auswirkungen des Klimawandels, der unglaublich schnellen technologischen Entwicklungen und, und, und, ist eines aber sicher:

Krisen werden zunehmend zur Normalität – auch in und für soziale Organisationen.

Und dann gilt – optimistisch gesehen:

„If you‘re old, you‘re not dead!“ 😉

Gemeint ist damit, dass wir es in der Sozialen Arbeit nicht mit hippen Start-Ups zu tun haben, sondern mit Organisationen, die es geschafft haben, über Jahre, Jahrzehnte und teilweise Jahrhunderte zu existieren. Mit anderen Worten:

Wir können Krisen und wir haben Ressourcen, um mit Krisen umzugehen. Und vielleicht sind gerade Organisationen der Sozialen Arbeit aufgrund ihrer Besonderheiten besonders resilient.


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Hier geht’s zum Fachcamp Soziale Arbeit!


Fazit, oder: Heuristiken* zum Umgang mit den größten Gefahren für Organisationen der Sozialen Arbeit

Zur Wiederholung noch einmal der Blick auf den eingangs eröffneten Bezugsrahmen:

Ziel muss es sein, Organisationen der Sozialen Arbeit zu entwickeln und zu gestalten, die heute und in Zukunft in der Lage sind, gesellschaftliche Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt zu fördern sowie die Autonomie und Selbstbestimmung der Menschen zu stärken!

Das treibt mich in meiner Arbeit an und das sollte – zumindest aus meiner Sicht – auch Motivation genug sein, trotz aller Herausforderungen und „Gefahren“ weiterzumachen und zu versuchen, an, mit und in Organisationen der Sozialen Arbeit zu arbeiten.

Einschränkend und abschließend möchte ich jedoch betonen, dass es an vielen Stellen nicht um ein „statt“ geht. Man könnte z.B. meinen, ich plädiere – um nur ein Beispiel herauszugreifen – dafür, „statt intuitiv zu entscheiden“ nur noch datenbasiert zu entscheiden. Das ist zu kurz gegriffen.

Vielmehr können Heuristiken helfen. Darunter versteht man Methoden, um mit begrenztem Wissen und wenig Zeit dennoch zu wahrscheinlichen Aussagen oder praktikablen Lösungen zu kommen.

Heuristiken kennen wir z.B. aus dem agilen Manifest, in dem es heißt „Individuen und Interaktionen haben Vorrang vor Prozessen und Werkzeugen“, „Funktionsfähige Produkte haben Vorrang vor umfassender Dokumentation“, „Zusammenarbeit mit den Kunden hat Vorrang vor Vertragsverhandlungen“ und „Das Eingehen auf Änderungen hat Vorrang vor strikter Planverfolgung“ (hier mehr).

Wichtig ist die Betonung von „haben Vorrang vor“. Dies bedeutet nicht, dass Pläne nicht mehr verfolgt werden sollen, sondern dass die Reaktion auf Veränderungen Vorrang vor der strikten Verfolgung von Plänen hat. Die Planverfolgung bleibt also relevant.

Überträgt man nun diese Denklogik auf die obigen Ausführungen zu den größten Gefahren für Organisationen der Sozialen Arbeit, so lassen sich folgende Heuristiken formulieren:

  • Funktionale Veränderungen vornehmen hat Vorrang vor dem Verfolgen von Management-Moden!
  • Formale Erwartungen an Rollen definieren hat Vorrang vor der Personenorientierung!
  • Adaptive Strategien entwickeln und umsetzen hat Vorrang vor der kurzfristigen Reaktionen!
  • Datenkompetenz entwickeln und Wirkung messen hat Vorrang vor Bauchentscheidungen!
  • Organisationale Resilienz trainieren hat Vorrang vor dem Arbeiten über der Überlastungsgrenze!

Damit wird – hoffentlich – deutlich, dass auch die andere Seite kurzfristig relevant sein kann. Bauchentscheidungen z.B. sind ebenso relevant wie die kurzfristige Notwendigkeit, an und (wirklich nur kurz) über der Belastungsgrenze zu arbeiten. Und selbst Managementmoden haben ihre Berechtigung.

Fünf Thesen zur Zukunft sozialer Organisationen in Zeiten des Wandels

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Der Beitrag „Fünf Thesen zur Zukunft sozialer Organisationen in Zeiten des Wandels“ ist die Verschriftlichung eines Impulses, den ich vor kurzem in einer sozialen Organisation halten durfte. Die Aufgabe bestand darin, einen breiteren Blick auf die Entwicklungen in der Sozialwirtschaft zu werfen und meine Gedanken zur Zukunft sozialer Organisationen darzulegen. Ziel des Impulses war es, Anregungen für die strategische Arbeit der Organisation zu geben. Und – kleiner Teaser vorab – es geht unter anderem um Datenkompetenz, Exnovation und organisationale Resilienz.

Aber wo fängt man an? Wo, an welcher Stelle, ist es sinnvoll, zu überlegen, was Optionen sind, wie sich soziale Organisationen entwickeln können?

Ich habe hier den klassischen Weg gewählt und lege im ersten Schritt kurz da, wozu soziale Organisationen aus meiner Perspektive da sein sollen – was ihr Zweck ist. Davon ausgehend werden dann Überlegungen angestellt, welche Implikationen dies für die strategische Ausrichtung haben kann.

Wozu sind soziale Organisationen da?

Dazu hilft die Befassung mit der Definition Sozialer Arbeit. Diese ist in meinen Augen beinahe zeitlos und dient mir immer wieder als Anker, um auf dem Boden zu bleiben und gleichzeitig die Zukunft sozialer Organisationen in den Blick nehmen zu können:

„Soziale Arbeit fördert (als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin) gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit. Dabei stützt sie sich auf Theorien der Sozialen Arbeit, der Human- und Sozialwissenschaften und auf indigenes Wissen. Soziale Arbeit befähigt und ermutigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern, dabei bindet sie Strukturen ein“ (hier geht’s zur Definition).

Der erste Satz macht die Breite Sozialer Arbeit zwischen Mensch und Gesellschaft deutlich. Und bezogen auf beide Perspektiven wird betont, dass es um Förderung geht – zum einen die Förderung gesellschaftlicher Veränderungen, sozialer Entwicklungen und des sozialen Zusammenhalts und zum anderen die Förderung bzw. Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen.

In der Definition heißt es, dass dazu „Strukturen eingebunden“ werden. Das sind die Organisationen, Institutionen, Einrichtungen ebenso wie Hochschulen, Verbände und und und.

Soweit, so einfach.

Wobei – die Realität zeigt, dass es eben gar nicht so einfach ist. Denn beide Perspektiven erfordern immer den Blick in die Zukunft:

  • Was braucht denn unsere Klientel heute und in Zukunft, damit es uns als Organisation gelingt, die Selbstbestimmung und Autonomie zu fördern?
  • Und was braucht die Gesellschaft (in unserem Sozialraum) heute und morgen, zu dem wir als Organisation einen essentiellen Beitrag leisten können?

Um das herauszubekommen komme ich zu meiner ersten These:

These 1: Datenkompetenz mehr als Bauchentscheidungen

Da ich kein Datenkompetenzprofi bin, habe ich mir bei Sebastian Unterstützung geholt. Entsprechend sind die folgenden Ausführungen eine Zusammenfassung seines mehr als lesenswerten Beitrags „Datenkompetenz in der Sozialen Arbeit und Sozialwirtschaft“.

In jeder sozialen Organisation fallen enorm viele Daten an. Darunter sind Daten über die Nutzer:innen der Dienstleistungen, Daten über die Mitarbeiter:innen, Daten über die Verweildauer von Klienten in Maßnahmen, Finanzdaten und und und…

Durch die Analyse der in der Organisation vorhandenen Daten können Anhaltspunkte herausgearbeitet werden, um festzustellen, wie gut bestimmte Angebote funktionieren und wo möglicherweise noch Optimierungspotenzial besteht.

Aus den Daten und der Analyse der Daten lässt sich ferner langfristig ein Wissensmanagement aufbauen, das dabei unterstützt, potenzielle Nutzer:innen gezielt zu den für sie am besten geeigneten Angeboten zu lenken. Darüber hinaus ist es angesichts des demografischen Wandels unabdingbar, Wissen, vor allem aber Kompetenzen der Mitarbeiter:innen systematisch zu erfassen und zu sichern, um so dem „brain drain“ vorzubeugen.

Achtung, Werbung: Zur Frage, wie der Aufbau eines sinnvollen Wissensmanagements gelingen kann, habe ich einen Workshop gestaltet.

Neben diesen Aspekt kann die systematische Datenanalyse ebenso Ergebnisse für die politische Lobbyarbeit liefern. So kann die Auswertung von Beratungs- oder Belegungsdaten beispielsweise zeigen, ob bestimmte soziale Probleme im Sozialraum auftreten.

Aus organisationaler Perspektive hochgradig relevant sind systematisch zur Verfügung gestellte und ausgewertete Daten für die interne Entscheidungsfindung innerhalb einer Organisation. Diese basiert zu häufig auf Intuition und dem berühmten, sehr wichtigen, zukünftig aber nicht mehr ausreichenden Bauchgefühl.

Und Sebastian weist auch darauf hin, dass Daten aus der eigenen Organisation als Grundlage für (eigene) KI-Lösungen sein können (hierzu sind vertiefend die Ausführungen im Blog von Emily immer mehr als lesenswert).

Die (nicht abschließenden) Beispiele zeigen auf, dass und welches Potenzial in einem systematischen Datenmanagement und der Datenanalyse stecken.

Sebastian betont, dass die Daten Informationen für eine Entscheidung liefern, die Entscheidung selbst aber immer die Fachkräfte und Mitarbeitenden in den Organisationen treffen. Der Mensch fällt somit durch die Daten nicht raus, im Gegenteil. Es braucht jedoch die Kompetenz, mit Daten angemessen umzugehen.

Dazu noch ein eigener Gedanke, der den Blick weitet und nicht mehr nur die digital zur Verfügung stehenden Daten betrachtet:

Wenn es gelingt, statt nach dem „Warum“ zu fragen, die Frage in den Vordergrund zu rücken „Woran erkennen wir, dass…?“, basieren unsere Entscheidungen ebenfalls auf Daten. Das sind dann zwar keine digitalen, aber genauso hilfreiche Daten, die in Entscheidungsfindungen leiten können. Methodisch hilfreich ist die regelmäßige Durchführung von Retrospektiven, die auf die Gewinnung und Bewertung von nicht nur digitalen Daten großen Wert legen.

Basierend auf den politischen Rahmenbedingungen ebenso wie basierend auf den gesellschaftlichen Entwicklungen, den Kürzungen der Sozialkassen und insbesondere dem demographischen Wandel werden sich Soziale Organisationen neben der datenbasierten Wirkungsmessung aber auch für „Weniger“ entscheiden müssen.

Ich fasse dieses „Weniger“ unter dem Begriff der Exnovation und komme damit zur zweiten These.

These 2: Exnovation mehr als Innovation

Wir müssen realistisch sein:

Der Fachkräftemangel in Verbindung mit der wirtschaftlichen Situation der Leistungsträger zwingt soziale Organisationen in die Notwendigkeit, abzuwägen, welche Angebote und Arbeitsfelder zukünftig noch sinnvoll bewirtschaftet werden können.

Berichte von schließenden bzw. aufgrund von Fachkräftemangel nicht öffnenden Altenhilfeeinrichtungen, die ganze Wohlfahrtsverbände in finanzielle Schieflagen bringen, sind ebenso an der Tagesordnung, wie der Ausbaustop der Kinderbetreuung. Wir stehen an dem Punkt, dass es in vielen Arbeitsfeldern keine ausreichende Anzahl an Fach- und leider auch nicht mehr an Arbeitskräften gibt.

Entsprechend wird die Zukunft sozialer Organisationen (auch) darin bestehen, abwägen zu müssen, welche Angebote und Dienstleistungen sie zukünftig noch erbringen werden. Die Nutzung von Daten zur Wirkungsmessung (These 1) kann hier wertvolle Dienste leisten.

Wichtig ist aber auch, dass sich Exnovation (hier findest Du nähere Ausführungen zum Begriff der Exnovation) nicht nur auf die Angebotsstrukturen der Organisationen bezieht.

Exnovation bezieht sich auch auf die interne Perspektive. Konkret geht es immer auch um die Frage, ob nicht auch die internen Prozesse, Abläufe, Hierarchien, Abteilungen… und damit die Formalstruktur der Organisation hinterfragt und hinsichtlich der Frage ihrer Funktionalität entschlackt werden muss.

Neben der Frage, welche Angebote eingestellt werden müssen, stellt sich in der dritten These explizit die Frage, welche Regeln und Prozesse funktional sind.

These 3: Funktionale Formalisierung mehr als die Hoffnung auf Eigenverantwortung

Zu dieser These ist einführend zu erwähnen, dass ich hier aus systemtheoretischer Perspektive auf die Frage schaue, was in Organisationen bewusst gestaltet werden kann.

Bewusst gestaltet werden kann die Formalstruktur der Organisation. So macht es aus meiner Perspektive keinen Sinn, an die Haltung der Mitarbeiter:innen oder die Kultur der Organisation zu appellieren.

Unter der Formalstruktur ist zu verstehen, dass bewusste Entscheidungen getroffen werden können über die Ziele und Zwecke der Organisation, über die Zuständigkeiten und formalen Hierarchien, über Regeln und Prozesse und über das Personal.

Das Personal ist insofern relevant, da es für zukünftige Entscheidungen in der Organisationen einen großen Unterschied macht, wer welche Stelle bzw. Rolle in der Organisation einnimmt.

Da es jedoch zunehmend weniger Fach- und Arbeitskräfte gibt, werden wir zunehmend mit Menschen arbeiten müssen, die nicht über die von uns gewünschte Qualifikation verfügen.

Hinzu kommt, dass auch weiterhin neue Fachkraftstellen besetzt werden müssen (staatliche Anerkennung in der Sozialen Arbeit). Hier können wir aber nicht mehr aus einem großen, intrinsisch motivierten Pool an Bewerber:innen auswählen.

Da somit die Möglichkeit verringert wird, die Entscheidungen in der Organisation über das Personal im für die Organisation gewünschten Sinne zu beeinflussen, muss ein stärkerer Fokus auf die funktionale Gestaltung von Zuständigkeiten ebenso wie auf die funktionale Gestaltung von Regeln und Prozessen gelegt werden.

Funktional bedeutet dabei, genau abzuwägen, an welcher Stelle in der Organisation und den Teams mehr Regeln und Vorgaben funktional sind und welche Regeln und Vorgaben auch überflüssig sind.

In meinen Augen brauchen wir mehr Regeln und Vorgaben, die sich auf das „Wie“ der gemeinsamen Zusammenarbeit beziehen: Wie treffen wir Entscheidungen? Wie gestalten wir unsere Teamsitzungen? Wie werden welche Prozesse erledigt? Wie regeln wir die Zuständigkeiten? Wie erfolgt die Dienstplanung?

Dabei geht es um die Notwendigkeit, die formale Seite der Organisation zu stärken um der in sozialen Organisationen dominierenden Informalität entgegenzuwirken – aber so, dass es für die Organisation funktional ist!

Die Entscheidungen über die Formalstruktur werden jedoch von Führungskräften getroffen. Entsprechend gilt es zunehmend, ein Augenmerk auf die Aus- und Weiterbildung von Führungskräften zu legen, um deren Organisationsbewusstsein zu stärken und eine Abkehr vom reinen Blick auf den Menschen zugunsten des Blicks auf die Verhältnisse im sozialen System Organisation zu erreichen.

Entscheidungen in sozialen Organisationen werden jedoch in den seltensten Fällen eindeutig zu treffen sein. Dazu These 4:

These 4: Dilemmatamanagement mehr als die Suche nach Eindeutigkeit

Es ist wohl wenig überraschend, dass sich insbesondere Organisationen der Sozialwirtschaft zunehmend mit gegensätzlichen und damit paradoxen Anforderungen konfrontiert sehen. Übergreifend zeigt sich das bspw. in dem Zwang, ihre Komplexität gleichzeitig zu steigern und zu reduzieren, kreatives Chaos ebenso wie Ordnung zu organisieren und gleichzeitig flexibel und stabil zu sein.

An allen Ecken und Enden sehen wir, dass es gelingen soll, einerseits Wandel zu initiieren und zu fördern und andererseits Sicherheit und die notwendige Stabilität (nicht nur) in Veränderungsprozessen zu garantieren.

Für Organisationen der Sozialwirtschaft kommt hinzu, dass es die Spannungen zwischen personenbezogenen und strukturbezogenen Leitungsimpulsen ebenso wie zwischen der Orientierung an den Mitarbeitenden und an den Aufgaben und außerdem an den sachlichen Zielen der Organisation gibt.

Wenn der Fachkräftemangel in den Blick genommen wird, gilt es einerseits, Vertrauen in die Bereitschaft der Mitarbeitenden zur Leistung und in ihre Kompetenz zu haben und gleichzeitig die zunehmend notwendige Kontrolle nicht aus den Augen zu verlieren.

In Organisationen der Sozialwirtschaft ist auf der einen Seite die Offenheit und Flexibilität bei Einzelentscheidungen hochgradig relevant, steht aber im Spannungsverhältnis zur Begrenzung der Komplexität möglicher Entscheidungen durch die „Vorgabe von Orientierungen/Richtungen für Wahrnehmung/Interpretation/Entscheidungen“ auf der anderen Seite (vgl. Merchel, 2015, S. 285 f).

Das ist soweit alles bekannt und tagtäglich erlebbar. Schwieriger ist da die Frage, wie man mit den Dilemmata in Organisationen der Sozialwirtschaft umgehen kann.

Grunwald (Grunwald, 2022, 98) schlägt dazu „einen die Pole ausbalancierenden und von Lernprozessen geprägten Umgang mit dem Grunddilemma ‚offene versus geschlossene Organisationsformen‘“ vor .

Führungskräften in sozialen Einrichtungen muss es gelingen, „allgemeine und diffuse Paradoxien und Widersprüche der Organisation zu überführen in formulier- und greifbare Spannungsfelder und Dilemmata“ (ebd.) und diese „nicht als Hemmschuh zu begreifen, dem mit psychologischen und sozialpsychologischen Methoden beizukommen ist, sondern sie als einen möglichen Motor von Wandel in Organisationen zu begreifen. Dilemmata sind Hinweise auf nicht auflösbare Widersprüche (…), die nicht standardisierte Kommunikation notwendig machen; Kommunikationen, die für die Entwicklung von Organisationen genutzt werden können“ (Kühl, 2015, 125ff).

Klingt auch einleuchtender, als die Umsetzung in der Realität einfach ist. Hilfreich und konkreter ist eine Auseinandersetzung mit den Dilemmata über das Tetralemma. Darunter ist ein Modell zu verstehen, das zur Reflexion von Konflikten und Ambivalenzen entwickelt wurde und auch zur Entscheidungsfindung hilfreich sein kann.

„Die Struktur des Modells lässt sich zunächst in vier Positionen darstellen:

  • Das Eine – die eine Seite der Ambivalenz bzw. die eine Option oder Perspektive.
  • Das Andere – die andere Seite der Ambivalenz bzw. die andere Option oder Perspektive.
  • Beides – die bisher möglicherweise übersehenen Verbindungen oder Vereinbarkeiten zwischen dem Einen oder dem Anderen.
  • Keines von Beiden – die bisher möglicherweise übersehenen Kontexte, die das Eine und das Andere auch noch tangieren, bedingen oder möglicherweise erst verursachen; worum es bei dem Einen und dem Anderen eben auch noch gehen könnte.“ (Kleve, Tetralemma)

Hinzu kommt eine weitere, fünfte Ebene:

  • „… all dies nicht – und selbst das nicht“ – die Negation der bisherigen vier Positionen sowie die Negation dieser Negation bzw. etwas ganz Anderes.

Kleve schreibt, dass die fünf Positionen des Tetralemmas „als Etappen eines Prozesses bzw. einer Wanderung zu verstehen [sind]: Man kann sie bei Ambivalenzen oder Konfliktsituationen durchlaufen, um auf dem Weg auf Neues, neue Perspektiven oder Optionen, zu stoßen“ (ebd.).

These 5: Organisationale Resilienz mehr als kurzfristige Anpassungsfähigkeit

Vor einiger Zeit habe ich einen Beitrag zum Thema „organisationale Resilienz“ verfasst. Ich darf die in dem Beitrag zusammenfassenden Aspekte – soviel kann schon hier verraten werden – weiter ausbauen und zu einem die organisationale Resilienz kritisch betrachtenden Buchbeitrag ausweiten.

Im Zuge der Vorbereitung des Beitrags habe ich in den letzten Wochen viel zum Thema organisationale Resilienz gelesen, habe Podcasts gehört und mich in das Thema tiefer eingearbeitet.

Dabei sind mir – bislang – vor allem zwei spannende Gedanken über den Weg gelaufen:

Der erste Gedanke wird durch den Satz „If you’re old, you’re not dead!“ gut zusammengefasst.

Ja, da kann man schmunzeln und sich freuen. Man kann den Blick aber auch auf viele seit Jahren, Jahrzehnten und teilweise Jahrhunderten existierende soziale Organisationen richten.

Viele dieser Organisationen wirken auf den ersten Blick alles andere als hip, agil, modern oder post-bürokratisch. Aber – und das ist der relevante Punkt – sie sind nicht tot! Sie existieren trotz aller Umbrüche, historischen Entwicklungen, Krisen und Veränderungen.

Wenn wir an dieser Stelle unser Narrative ändern, weg von den jungen, hippen Unternehmen, die wir doch so gerne sein bzw. in denen wir doch so gerne arbeiten würden, hin zu den Stärken, zur Resilienz der „Tanker“ der Sozialwirtschaft, kann es gelingen, Zukunft positiv zu gestalten.

Ja, da sind Büros ohne Kickertische. Aber soziale Organisationen brauchen (in vielen Fällen) keine hippen Büros, da Soziale Arbeit bei und mit den Menschen stattfindet. Anders gesagt (und nicht ganz ernst gemeint) sind die muffigen Büros vielleicht sogar funktional, damit die Sozialarbeitenden nicht zu viel Zeit darin, sondern bei den Menschen vor Ort verbringen, für die sie Verantwortung tragen (und nein, dass ist kein Plädoyer für dauerndes Sparen an allem).

Und der zweite Gedanke bezieht sich auf das Krisen-Training. So erlangen Menschen ebenso wie Organisationen Resilienz nicht in der Krise, sondern im Training vor der Krise.

Nur vor der Krise können Organisationen resilient aufgestellt werden. Was das im Detail heißen kann (es gibt sogar eine eigene ISO-Norm für organisationale Resilienz), habe ich im Beitrag zum Thema dargelegt.

In der Krise jedoch gilt Krisenmodus. Das ist wie beim Fußball – auch da kann man vorher trainieren, nicht jedoch im Spiel.

Angesichts der gesellschaftlichen Spaltungen, der massiven Auswirkungen durch den Klimawandel, der unglaublich schnellen technologischen Entwicklungen und, und, und, wird eines sicher sein:

Krisen werden – auch in und für soziale Organisationen – zu Normalität.

Aber auch hier wieder: Krise selbst ist für soziale Organisationen alles andere als neu. Man kann sogar sagen, dass Krise das Geschäftsmodell sozialer Organisationen ist. Stabilität und Wandel – siehe Dilemmatamanagement – ist und war schon immer Alltag sozialer Organisationen.

Anstatt also im Jammermodus zu verharren, sind jetzt, heute Anstrengungen zu unternehmen, die eigene Organisation bzw. konkreter die Formalstrukturen der eigenen Organisation weiterzuentwickeln und resilient zu gestalten. Hier ist – so mein Eindruck – noch Luft nach oben.

Fazit zur Zukunft sozialer Organisationen, oder: Soziale Energie, Datenkompetenz, Exnovation und organisationale Resilienz

Zum Anfang vom Ende ein Zitat vom Godfather of New Work – Bergmann. Dieser schrieb 2004:

„Nicht wir sollten der Arbeit dienen, sondern die Arbeit sollte uns dienen. Die Arbeit, die wir leisten, sollte nicht all unsere Kräfte aufzehren und uns erschöpfen. Sie sollte uns stattdessen mehr Kraft und Energie verleihen, sie sollte uns bei unserer Entwicklung unterstützen, lebendigere, vollständigere, stärkere Menschen zu werden.“

Arbeit sollte Kraft und Energie verleihen.

Angesichts der ständigen Krisen, die – wie hier erläutert – insbesondere die Soziale Arbeit an die Belastungsgrenze und darüber hinaus bringt, ist das leichter gesagt als getan.

Und trotzdem sollte es Ziel sein.

Es sollte bei aller Effizienz und Digitalisierung immer die Frage im Hinterkopf mitschwingen, wie es gelingen kann, Arbeit allgemein, Soziale Arbeit im Speziellen und soziale Organisationen im Besonderen so zu gestalten, dass sie Menschen mehr Energie gibt als nimmt.

Passend dazu schreibt Hartmut Rosa in der Zeit vom 11. Januar 2024 von der „sozialen Energie“.

Er stellt die Frage, wie es sein kann, dass wir, freitagsabends, fertig von einer langen Woche, Energie aufbringen, uns vom Sofa quälen, rausgehen und mit mehr Energie nach Hause kommen? „Anstrengung führt zu Energiegewinn!“ Das ist seltsam:

Wir müssen Energie aufbringen, wir müssen uns anstrengen, um Energie zu gewinnen. Das widerspricht dem inneren Schweinehund ebenso wie jeder physikalischen Energielogik.

Die seltsame Logik funktioniert jedoch nur bei sozialer Energie! Und sie funktioniert nicht, wenn es um das Abarbeiten von To-Do-Listen, wenn es um reine „Input-Output-Beziehungen“ geht.

Übertragen auf Arbeit, die Kraft und Energie verleiht, übertragen auf Soziale Arbeit in sozialen Organisationen, ergeben sich daraus viele Fragen.

So kennt wohl jede:r in dem hochgradig herausfordernden Berufsfeld das „Ausgelaugtsein“ (siehe Beitrag hier) nach einem Tag mit fordernden Klient:innen. Nach einem Tag massiver Kommunikation ruft die Ruhe doppelt laut. Im Extrem lässt sich auf die Burn-Out-Raten unserer Branche blicken, die – so bspw. der jährlich erscheinende AOK-Fehlzeitenreport – nicht nur Jahr für Jahr an der Spitze der Statistik liegen, sondern in den letzten Jahren nochmals massiv gestiegen sind.

Dieses „Ausgelaugtsein“ ruft aber auch, wenn man den ganzen Tag gerödelt hat und am Ende des Tages das Gefühl hat, keine Zeit mehr und trotzdem nichts „geschafft“ zu haben – Input-Output. Bürokratie, ick hör‘ Dir trapsen!

Parallel zu diesen Gedanken lese ich meinem Sohn gerade – wieder einmal – Momo vor.

Und logo, darin kommt Beppo mit seinem berühmten Straßenfeger-Zitat vor:

„Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst Du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, den nächsten Atemzug, den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur den nächsten.“ Wieder hielt er inne und überlegte, ehe er hinzufügte: „Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein.“

Oder mit den Worten von Rosa:

„Anstrengung führt zu Energiegewinn, wenn ihr subjektiver Fokus auf der Tätigkeit selbst, auf dem „Throughput“ liegt, und sie führt zu Erschöpfung, wenn er auf der Input-Output Beziehung ruht.“

Wie aber können wir unser individuelles Leben, unsere Arbeit, soziale Organisationen und übergreifend eine Gesellschaft gestalten, die (wieder?) wegkommt vom „Input-Output“ hin zum „throughput“?

Dieser Blick auf Soziale Arbeit und die Zukunft sozialer Organisationen wird, angesichts der sich stapelnden Krisen der Welt, für uns alle wichtig werden.

Für die Menschen aber, die sich um andere Menschen kümmern, wird er überlebenswichtig.


Ich hoffe, dass meine Gedanken zu den Thesen hilfreich sein können, strategisch zu denken und entsprechende Entscheidungen zu treffen. Sie sind und können aber nur Orientierung sein. Und vor allem:

Es sind meine Perspektiven auf die aktuelle Situation sozialer Organisation, in meinem Kopf konstruiert, basierend auf meinen aktuellen Erfahrungen. Entsprechend gespannt bin ich auf Deine – vielleicht unterstützenden, vielleicht aber auch konträren – Gedanken hierzu.

Daraus ergibt sich dann ein breiteres Bild, das dabei helfen kann, die Sozialwirtschaft, die sozialen Organisationen und die darin agierenden Menschen für die anstehenden Herausforderungen zu unterstützen.

Lass doch gerne einen Kommentar mit Deinen Gedanken da…

Utopische Organisationen der Sozialen Arbeit im Jahr 2048, oder: Die Problemlösungen von heute sind die Lösungsprobleme von morgen!

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Vor Kurzem wurde ich angefragt, einen Beitrag für die Zeitschrift „FORUM sozial – Die Fachzeitschrift des DBSH“ zu verfassen. Dabei sollte es um die Frage gehen, wie ich mir soziale Organisationen im Jahr 2048 vorstelle. Zentral dabei sollte die Frage sein, wie sich Organisationen der Sozialen Arbeit entwickeln müssen, um die Herausforderungen im Jahr 2048 bewältigen zu können. 2048 – das ist ein Blick 25 Jahre in die Zukunft. Diese ist aber, wenig verwunderlich, zukünftig. Ich aber denke aus der Gegenwart, basierend auf den Erfahrungen der Vergangenheit und den absehbaren, kurzfristigen Herausforderungen. Und trotzdem habe ich versucht, meine Sicht auf „utopische Organisationen der Sozialen Arbeit“ zu werfen.

Der Beitrag ist dann aber etwas lang geworden, so dass ich noch einmal in die Überarbeitung gehen musste. Entsprechend findest Du hier die „long version“ und im Frühjahr 2024 dann den Beitrag in der Zeitschrift „FORUM sozial“. Jetzt aber los:


„Könnten wir eine kraftvollere, gefühlvollere und sinnvollere Art der Zusammenarbeit erfinden, wenn wir nur unser Glaubenssystem ändern?“

Laloux, F., 2014

Die Ausführungen von Frederic Laloux in seinem 2014 erschienenen Buch „Reinventing Organizations“ haben mich fasziniert. Im Kontext „sozialer Organisationen“ ist da vor allem Buurtzorg  als Vorreiterorganisation zu nennen. Buurtzorg ist eine niederländische Organisation im Arbeitsfeld der ambulanten Pflege mit mehr als 10.000 Mitarbeiter:innen, die in selbstorganisierten Teams zusammenarbeiten.

Das klingt doch schon sehr utopisch, oder?

Selbstorganisation, Ganzheitlichkeit und der evolutionäre Zweck der Organisation

Laloux beschrieb 2014 drei wesentliche Durchbrüche (vgl. Laloux, 2014, 55ff) „neuer“ Organisationen:

  • – Selbstorganisation,
  • – Ganzheitlichkeit und
  • – die Orientierung am evolutionären Zweck der Organisation.

Für mich waren die Ausführungen von Laloux mehr als Utopie:

Sie passten – aus meiner damaligen Sicht – vielmehr „wie die Faust auf’s Auge“ oder besser: auf die von mir gesehenen Herausforderungen sozialer Organisationen.

Herausforderungen bestanden darin, so meine damalige Annahme, dass soziale Organisationen zu hierarchisch, zu langsam, zu wenig innovativ, zu reguliert, zu starr, zu you name it… wären, um die Dynamik und Komplexität der unterschiedlichen Arbeitsfelder in einer Welt im Wandel bewältigen zu können. Hier wäre die von Laloux beschriebene Selbstorganisation doch „der Hammer“?! Menschen entscheiden selbst, vor Ort, an der Basis, was zu tun ist?!

Meine Annahme bestand außerdem darin, dass die seit Jahren hohen Burnout-Raten der Mitarbeiter:innen daraus resultierten, dass es ihnen nicht möglich ist, ihre in der Organisation nicht gewünschten, aber in ihnen verborgenen Kompetenzen und Fähigkeiten zu zeigen. Wenn aber die empfundene Dissonanz zwischen dem, was tagtäglich getan werden muss und dem, was aus der Professionalität der individuellen Organisationsmitglieder fachlich als sinnvoll erachtet wird, permanent zu groß ist, ist Burnout doch vorprogrammiert, oder? Hier wäre die von Laloux beschriebene Einbeziehung des „ganzen Menschen“ doch der perfekte Lösungsansatz, oder? Und dies vor allem in Organisationen, in denen „der Mensch im Mittelpunkt“ steht?

Und ferner bestand meine Annahme darin, dass die Bedarfe der Klient:innen nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt würden. Wenn es gelänge, soziale Organisationen zu gestalten, die ihren „evolutionären Zweck“ verfolgten, dann müsste es gelingen, diese Herausforderung zu bewältigen und wirklich soziale Probleme zu lösen, oder?

Kurz: Meine Utopie bestand aus sozialen Organisationen, in denen Menschen ganzheitlich und vertrauensvoll zusammenarbeiten, um darüber dem Zweck der Organisationen zu dienen, denn, so Laloux (ebd., 83), “when organizations are built not on implicit mechanisms of fear but on structures and practices that breed trust and responsibility, extraordinary and unexpected things start to happen.

Warum sich meine Sicht auf soziale Organisationen gewandelt hat

Inzwischen, fast 10 Jahre nach dem Erscheinen von „Reinventing Organizations“ und der Befassung mit der Frage der theoretischen und praktischen Gestaltung von Organisationen in Verbindung mit den Besonderheiten von Organisationen der sozialen Arbeit, hat sich meine Sicht zu Teilen radikal gewandelt.

Der Wandel basierte insbesondere auf der Auseinandersetzung mit der Frage, was Organisationen eigentlich sind und wie sie sich verändern lassen. Und, wenig überraschend:

Diese Fragen hatten sich schon (viele) Menschen vor mir – und vor Laloux – gestellt.

Mich faszinierten und faszinieren in diesem Kontext insbesondere die Ausführungen rund um die Systemtheorie. Wenn hier noch die Besonderheiten von Organisationen der Sozialen Arbeit hinzugezogen werden, wird es zwar komplex, aber ebenso Augen öffnend (vgl. für einen sehr guten Überblick bspw. Gesmann, Merchel, 2019).

Entsprechend folgt hier eine Skizze dessen, was Organisationen sind, wie diese zu verändern sind und an der einen oder anderen Stelle auch der Blick auf die Besonderheiten von Organisationen der Sozialen Arbeit.

Am Ende gibt es dann aber doch noch einen kleinen, vielleicht ernüchternden, hoffentlich aber ermutigenden Blick auf meine Vorstellung utopischer Organisationen der Sozialen Arbeit.

Nehmt den Menschen aus dem Mittelpunkt, oder: Was sind Organisationen?

Ganz grundlegend (und verkürzt) lassen sich Organisationen (aus Perspektive der Systemthorie – vgl. bspw. Kühl, 2016, 18) als „soziale Systeme“ verstehen, die sich darüber definieren, dass sie sich zur Umwelt abgrenzen, einen oder mehrere Zwecke verfolgen, im Gegensatz zu bspw. Familien eine formale Struktur aufweisen und Mitgliedschaftsbedingungen formuliert sind. Das ist wenig überraschend.

Überraschender ist da schon die Feststellung, dass Organisationen nicht aus Menschen bestehen. Organisationen bestehen aus Entscheidungen, die in den formalen und informalen Strukturen der Organisation (teilweise schriftlich, teilweise mündlich) manifestiert sind.

Das wirkt auf den ersten Blick „unmenschlich“. Aber wenn man versucht, den Menschen „aus dem Mittelpunkt“ der Organisation zu nehmen, ergeben sich enorme Vorteile für das Be- und Verstehen von Organisationen, denn:

Wenn eine Organisation aus Menschen bestünde, ergäben sich bei jedem Weggang von Menschen aus der Organisation Lücken, die niemals von anderen Menschen gefüllt werden könnten, da Menschen in ihrer Ganzheitlichkeit nun mal sehr verschieden sind. Mehr noch:

Wenn Organisationen um einzelne Menschen herum gebaut werden (was dann und wann bspw. bezogen auf Gründer:innen zu beobachten ist), „wird damit auf der Personenseite die Illusion genährt, dass die Organisation sich um die eigenen Anliegen und Wünsche herum entwickelt – d. h. die Organisation tritt in den Dienst der Bedürfnisse ihrer Beschäftigten. Diese Illusion hat katastrophale Auswirkungen auf die Organisation“ (Wimmer, 2019). Katastrophal wird es für die Organisation vor allem dann, wenn nach Weggang einer oder mehrerer Personen ihr Überleben gefährdet ist.

Anstatt also als „ganzer Mensch“ Teil der Organisation zu werden, übernehmen Menschen Rollen in der Organisation. Sehr einfach ausgedrückt wird man nicht als „Klaus“ oder „Claudia“ eingestellt, sondern – hoffentlich unabhängig vom Geschlecht – in der Rolle als „Sozialarbeiter:in“.

Das ist zum einen ein Gegenentwurf zu Laloux’s Ganzheitlichkeit, wobei er zumindest sieht, dass seine Idee eine echte Herausforderung ist:

„It is a challenge for any organization to create an environment where people feel safe to show up whole.“

Laloux, 2014, 151

Zum anderen zeigt der Blick auf die Spezifika sozialer Organisationen, dass wir mit dem „Herausnehmen des Menschen aus dem Mittelpunkt“ echte Probleme haben.

So erfüllen Sozialarbeiter:innen zwar als Mitglieder der Organisation die in der Stellenbeschreibung (oft diffus) formulierten Anforderungen. Gleichzeitig aber dient in der Sozialen Arbeit „die Person als Werkzeug“ (vgl. bspw. Spiegel 2008, S. 101 f.), wodurch eine Trennung von Person und Rolle erschwert, wenn nicht gar unmöglich wird. Daraus resultiert eine auf Seiten der Mitarbeitenden schwer auszuhaltende Konfusion zwischen den Anforderungen der Organisation, den Bedarfen der Klientel und den individuellen Persönlichkeitsmerkmalen. Auf Seiten der Organisation entsteht eine „dominierende Informalität“ (vgl. näher dazu Epe, 2022). D.h., dass die Einhaltung der von der Organisation entschiedenen Regeln, Vorgaben und verbindlichen Absprachen als nachrangig bzw. unwichtiger gesehen wird als das individuelle, teilweise sehr spontane und damit wenig planbare „Helfen wollen“ im Sinne der Klientel.

Im Übrigen sind die Rolle bzw. Stelle selbst, aber auch die in der Stellenbeschreibung festgehaltenen „formalen Erwartungen“ Beispiele für die Entscheidungen, aus denen Organisationen bestehen.

Wie können Organisationen verändert werden?

Auch wenn die Ausführungen sehr verkürzt waren, zeigt die Feststellung, dass Organisationen nicht aus Menschen, sondern aus Entscheidungen bestehen, den Ansatzpunkt für die Veränderung und Entwicklung von Organisationen.

Das klingt wiederum zunächst trivial: Wenn in der Organisation entschieden wird, „anders“ zu sein, dann funktioniert das auch. So könnte die Entscheidung getroffen werden, zukünftig anders, agil, innovativ, selbstorganisiert, vielleicht sogar „ganzheitlich“ zu arbeiten – und dann wird das so gemacht, fertig.

Die Realität in Organisationen wiederum zeigt jedoch, dass es so leicht eben nicht ist. Das resultiert daraus, dass zwischen mehreren sog. „Entscheidungsprämissen“ unterschieden werden muss, die den Spielraum für konkrete Entscheidungsmöglichkeiten festlegen. Zu unterscheiden sind zunächst a) prinzipiell unentscheidbare Entscheidungsprämissen und b) prinzipiell entscheidbare Entscheidungsprämissen. Das klingt holprig, das Gemeinte wird aber an folgendem Beispiel deutlich:

Als Führungskraft möchte man entscheiden, dass ab morgen alle Mitarbeitenden innovativ sind. Jedoch ist das Generieren neuer Ideen a) prinzipiell nicht entscheidbar, auch wenn dies schön wäre. Genauso wenig kann über die Haltung oder das „Mindset“ der Mitarbeiter:innen entschieden werden wie darüber, dass sie „nett“ miteinander umgehen, oder dass sich die vorhandene Organisationskultur gefälligst in eine vorab festgelegte Richtung zu ändern hat.

Die b) prinzipiell entscheidbaren Entscheidungsprämissen in Organisationen sind wiederum zu unterteilen in i) prinzipiell entscheidbare und entschiedene Entscheidungsprämissen sowie in ii) prinzipiell entscheidbare, jedoch nicht entschiedene Entscheidungsprämissen. Hier sind wiederum viele Beispiele denkbar:

Die schon angesprochene Beschreibung der Stelle der Sozialarbeiter:in ist eine prinzipiell entscheidbare und entschiedene Entscheidungsprämisse wohingegen oftmals nicht offiziell entschieden wurde, dass Raucherpausen als Arbeitszeit geduldet und nicht von den Pausenzeiten abgezogen werden. Diese Entscheidung kann auch anders getroffen werden – sie ist damit prinzipiell entscheidbar, hier jedoch nicht entschieden.

Das klingt an dieser Stelle noch sehr theoretisch, eröffnet aber den Blick auf das, was zur Entwicklung von Organisationen entschieden werden kann. Das lässt sich kurz zusammenfassen:

Alle Entscheidungen, die den prinzipiell entscheidbaren Entscheidungsprämissen zugeordnet werden können, tragen zur Entwicklung und Veränderung von Organisationen bei. Insbesondere lassen sich die folgenden vier prinzipiell entscheidbaren Entscheidungsprämissen unterscheiden:

  1. Zweckprogramme: Hier wird entschieden, welche Ziele oder Zwecke in der Organisation erreicht werden sollen.
  2. Konditionalprogramme: Vorgaben, Regeln und Prozesse der Organisation. Sie legen fest, was getan werden muss, wenn in einer Organisation ein bestimmter Impuls wahrgenommen wird.
  3. Entscheidungswege: Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten, Hierarchien, Mitzeichnungsrechte und damit, verkürzt, das Organigramm.
  4. Personal: Hier kommt „der Mensch“ wieder ins Spiel, denn es macht für Organisationen einen großen Unterschied, wer welche Stelle wie ausfüllt. Unter den Bedingungen des Fachkräftemangels ergeben sich hier jedoch Probleme, wenn nicht mehr ausgewählt werden kann, sondern Menschen bspw. aufgrund von Fachkraftquoten eingestellt werden müssen.

Fraglich bleibt leider, was wie entschieden und damit formalisiert werden sollte und welche prinzipiell entscheidbaren Entscheidungsprämissen besser nicht entschieden werden.

Die Lösungen von heute sind die Probleme von morgen!

So gibt es bezogen auf Zweck- und Konditionalprogramme, auf Entscheidungswege und das Personal leider nicht die eine „richtige Entscheidung“, da fraglich ist, was für die jeweils sehr individuelle Organisation unter ihren je spezifischen Bedingungen richtig ist. Das ist interessant, wenn man auf die aktuell sehr populären „Management-Moden“ schaut:

Agiles Management und agile Organisationen, „teal organizations“ (vgl. Laloux, 2014, 43ff), demokratische Organisationen, Holocracy, „irgendwas mit New Work“ und Vieles mehr wollen oftmals Lösungen sein für in der eigenen Organisation vielleicht gar nicht existierende Probleme. Aber wenn doch selbst die Apotheken-Umschau (im November 2022) ihren Titel mit „New Work“ schmückt – dann muss an dem New Work doch was dran sein, oder etwa nicht?

Nein, denn der Blick auf die oben skizzierten, in Organisationen prinzipiell entscheidbaren Entscheidungsprämissen zeigt, dass dort ein „richtig“ nicht propagiert wird. Vielmehr geht es darum, für die jeweilige Organisation zu analysieren, zu bewerten und dann zu entscheiden, was funktional sein könnte. Daraus folgt, dass es OK ist, wenn Entscheidungswege steil oder flach sind und es ebenso OK ist, wenn in der einen Organisation viele, in der anderen hingegen wenige Regeln, Vorgaben und definierte Prozesse existieren. Es kann auch Organisationen geben, die nur einen Zweck verfolgen und Organisationen, die mehrere Zwecke in unterschiedlichen Bereichen verfolgen.

Man kann sich Organisationsentwicklung somit vorstellen wie das, was ein DJ an einem Mischpult betreibt: Es kann der Regler „Zwecke“, der Regler „Entscheidungswege“, der Regler „Konditionalprogramme“ oder auch der Regler „Personal“ bewegt / verändert werden.

Wichtig ist, dass die Veränderungen eines Reglers Auswirkungen auf die anderen Regler hat oder, anders formuliert: „Jede Veränderung eines Strukturaspekts hat (…) mehr oder minder starke Auswirkungen auf die anderen Strukturaspekte“ (Kühl, 2016, 29) – es bleibt jedoch unklar, welche Auswirkungen genau dies sein werden. Anders formuliert folgt daraus, dass „es ’normal‘ ist, zu erwarten, dass die Lösungen von heute die Probleme von morgen sein werden“ (Göpel, 2022, 33).

Zusammenfassend lässt sich festhalten:

Anstatt „Management-Moden“ und utopische Vorstellungen von Organisationen zu verfolgen, ist die zu beantwortende Frage gelingender Organisationsentwicklung:

Passen die Konditionalprogramme, Entscheidungswege und das Personal zu den von der Organisation verfolgten Zwecken oder (wo) sind Veränderungen vorzunehmen?

Utopische Organisationen der Sozialen Arbeit

Aber was heißt das jetzt für meine Vorstellung „utopischer“ sozialer Organisationen? Habe ich kein zukünftiges Wunschbild sozialer Organisationen, das zwar – wie für Utopien üblich – wahrscheinlich nicht realisiert werden kann, aber als Orientierung gebender „Nordstern“ dienen könnte?

Doch, das habe ich, aber es ist deutlich nüchterner, als vielleicht erwartet:

Meine Utopie von Organisationen der Sozialen Arbeit im Jahr 2048 sind Organisationen, die dazu beitragen, dass soziale Entwicklungen und der soziale Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen wirklich gefördert werden. Als Orientierung für die Organisationen dienen die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt.

Ob diese Organisationen nun klassisch hierarchisch strukturiert sind, agile Strukturen aufweisen, wenige oder viele Regelungen und Vorgaben von den Mitarbeiter:innen abverlangen, irgendwas mit New Work zu tun haben oder nicht, ist zweitrangig.

Zum einen ist es viel wichtiger, ein „Organisationsbewusstsein“ für soziale Organisationen zu entwickeln: Es ist und bleibt auch in Zukunft auf allen Ebenen sozialer Organisationen, insbesondere aber für Führungskräfte, relevant zu verstehen, was eine Organisation ist und wie „die Einstellungen des Mischpults“ verändert werden können / sollten / müssten.

Zum anderen ist mir wichtig, dass es den Menschen, die für die Führung und Gestaltung sozialer Organisationen Verantwortung tragen (und damit eigentlich allen Mitarbeiter:innen), gelingt, Motivation, Kraft, Mut und Optimismus aufrechtzuerhalten. Denn nur damit ist die kontinuierliche Arbeit an der zeitgemäßen und bedarfsgerechten Gestaltung sozialer Organisationen unter den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen der Sozialwirtschaft zu bewältigen.

Nebenbei bemerkt: Meine Utopie sozialer Organisationen ist nur eine kleine Abwandlung der deutschsprachigen Definition Sozialer Arbeit, die in meinen Augen als zeitlose Orientierung für Wissenschaft und Praxis Sozialer Arbeit dienen und ebenso wunderbar als Orientierung für Entscheidungen in sozialen Organisationen herangezogen werden kann.


Wie aber sieht Deine Utopie sozialer Organisationen aus? Freue mich auf deinen Kommentar dazu…


Quellen:

  • Epe, H. (2022): Dominierende Informalität, oder: Warum sich soziale Organisationen so schwer entwickeln lassen. URL: https://www.ideequadrat.org/dominierende-informalitaet/. Download am 15.11.2023.
  • Gesmann, S., Merchel, J. (2019): Systemisches Management in Organisationen der Sozialen Arbeit: Handbuch für Studium und Praxis. Erste Auflage. Systemische soziale Arbeit. Heidelberg: Carl-Auer Verlag GmbH.
  • Göpel, M. (2022): Wir können auch anders: Aufbruch in die Welt von morgen. Berlin: Ullstein.
  • Laloux, F. (2014): Reinventing Organizations. A Guide to Creating Organizations Inspired by the Next Stage of Human Consciousness. Brüssel: Nelson Parker.
  • Spiegel, Hiltrud von (2008): Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit. Grundlagen und Arbeitshilfen für die Praxis. München.
  • Wimmer, R. (2019): Agilität, Ambidextrie und organisationale Veränderungskompetenz. Rudi Wimmer über Erbe und Zukunft des Change Managements. Gr Interakt Org 50, S. 211–216, 2019. https://doi.org/10.1007/s11612-019-00458-0.

Sieben Gründe, warum Barcamps wichtig für die Entwicklung sozialer Organisationen sind

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Barcamps sind nichts Neues. Den Ausführungen von Simon Dückert folgend lassen sich erste Ideen dazu bis ins Jahr 1998 zurückverfolgen. Wir waren etwas später dran, aber Sabine und ich haben immerhin im Jahr 2016 das erste #Sozialcamp (unter dem Link mein Review aus 2016) ins Leben gerufen. Und ich bin immer wieder geflasht von der Kraft des Formats Barcamp. Deswegen will ich Dir hier – angelehnt an die Ausführungen in meinem letzten Newsletter – darlegen, warum Barcamps wichtig für die Entwicklung sozialer Organisationen sind.

Aktuell denke ich übrigens wieder darüber nach, ein offenes Barcamp-Format für die Soziale Arbeit ins Leben zu rufen (da das Sozialcamp leider durch Corona ziemlich gelitten hat ;-( Außerdem war ich gerade unterwegs in einer „Barcamp-Woche“. Konkret durfte ich in den letzten Tagen zwei Barcamps moderieren.

Das erste Barcamp der letzten Woche war ein „Semi-Barcamp“ rund um das Thema „Fachkräftemangel“ des Paritätischen Baden-Württemberg, bei dem im ersten Teil am Vormittag ein „klassisches Konzept“ gefahren wurde: Grußworte, Vorstellung eines Best Practice Modells und ein Impuls (den ich zum Thema Fachkräftemangel halten durfte). Der Nachmittag war dann als Barcamp-Format rund um das Thema „Fachkräfte“ konzipiert.

Das zweite Barcamp war ein „reines Barcamp“ ohne explizit vorgegebenes Thema. Es ging um Projektverzahnung, Vernetzung, die Generierung neuer Ideen und Ansätze usw., initiiert vom Verband der Privaten Krankenversicherungen.  

Warum Barcamps nicht „auch“ in der Sozialwirtschaft ankommen sollten…

Barcamps sind in den letzten Jahren auch in unseren „eher klassischen Branchen“ angekommen sind. Hier bspw. beim DRK, hier bei der Caritas in Freiburg oder hier als digitales Barcamp bei der Diakonie. Das sind nur einige Beispiele, es gibt viel mehr.

Aber aus meiner Sicht macht dieses „auch“ eigentlich keinen Sinn, denn: 

Barcamps und ähnliche Formate wie bspw. „Open Space“ sollten nicht „auch in der Sozialwirtschaft“ ankommen. 

Wir sollten uns vielmehr darüber wundern, dass es in unseren Kontexten überhaupt noch „klassische Konferenzformate“ gibt! 

Ja, diese klassischen Formate haben auch (noch) ihre Berechtigung, aber wenn man sich ein paar der Vorteile von offenen Konferenz- oder Barcamp-Formaten anschaut, wird es sehr deutlich.

Dazu macht es Sinn, sich die Vorteile von Barcamps in der Sozialwirtschaft vor Augen zu führen.

Vorteile von Barcamps in der Sozialwirtschaft  

1. Partizipation und Mitgestaltung: 

Barcamps zeichnen sich durch ihre offene Struktur aus, bei der die Teilnehmer:innen zu Teilgeber:innen werden und damit aktiv an der Gestaltung des Programms teilnehmen. Statt vordefinierter Vorträge und Workshops können die Teilgeber:innen selbst Themen, Fragen, Ideen… einbringen. Und wo, wenn nicht in sozialen Organisationen, wird Partizipation besonders groß geschrieben? Das gilt übrigens nicht nur für die Partizipation(swünsche) der Mitarbeiter:innen. Vielmehr wird auch von den Klient:innen aktive Beteiligung und Eigenverantwortung erwartet, da Soziale Arbeit ja genau darauf abzielt: Förderung von Autonomie und Selbstbestimmung. Autonomie und Selbstbestimmung aber findet in klassischen Settings kaum statt.

2. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit: 

Herkömmliche Veranstaltungen haben oft ein sehr starr vorgegebenes Programm. Barcamps hingegen haben zwar auch einen Zeitplan (45 minütige Sessions). Sie sind aber inhaltlich flexibel und können sich damit an aktuelle Themen, Bedürfnisse und Interessen der Teilgeber:innen anpassen. Und gerade in der Arbeit mit Menschen ist Flexibilität und die Notwendigkeit, schnell auf Veränderungen zu (re-)agieren, im Alltag Standard. Warum nicht auch in Veranstaltungsformaten? 

3. Vielfalt an Themen und Perspektiven: 

Da bei Barcamps die Teilgeber:innen die Themen bestimmen, sind die Veranstaltungen inhaltlich enorm divers. Dies fördert den interdisziplinären Austausch und ermöglicht den Teilgeber:innen, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Und wo, wenn nicht in der Sozialwirtschaft, ist Diversität – themenbezogen, aber noch vielmehr bezogen auf die Menschen – hoch relevant? 

4. Netzwerken und Beziehungen: 

Barcamps bieten viel Gelegenheit zum Netzwerken. Die informelle Atmosphäre, das „Barcamp-Du“ und die Möglichkeit, sich aktiv in Diskussionen einzubringen, erleichtern es, neue Kontakte zu knüpfen und bestehende Beziehungen zu vertiefen. Netzwerk-, vor allem aber Beziehungsgestaltung...muss ich nicht vertiefen, oder? 

5. Geringe Kosten:

Barcamps sind oft kostengünstiger als herkömmliche Konferenzen. Man muss keine Referent:innen bezahlen (auch wenn eine Moderation von außen hilfreich ist, you can call me ;-), Man muss die Räume nicht wahnsinnig technisch ausstatten usw. Vielmehr leben Barcamps zum einen von der Partizipation der Teilgeber:innen (s.o.) und zum anderen vom „Werkstattcharakter“, dem „Unfertigen“, dem Gestaltbaren. Und weniger Kosten…muss ich nicht vertiefen, oder?

6. Informelle Atmosphäre: 

Herkömmliche Veranstaltungen sind oft sehr „förmlich“, während Barcamps eine entspannte, „informellere“ Atmosphäre bieten. Und falls Du an der Stelle Lust hast, kannst Du meinen Beitrag zur „dominierenden Informalität in sozialen Organisationen“ lesen. Hier, in Barcamps, ist die Informalität hochgradig funktional (was bei dominierender Informalität in der Gestaltung der Zusammenarbeit nicht immer der Fall ist). 

7. Wissensaustausch und Lernen: 

Die offene Natur von Barcamps fördert den Wissensaustausch und das gemeinsame, selbstbestimmte Lernen. Die Teilgeber:innen profitieren von den Ideen und Erfahrungen der anderen und in kurzer Zeit entsteht Verbindung, Verbundenheit und persönliche ebenso wie inhaltliche Netzwerke. Und das (neues) Lernen für Menschen in und soziale Organisationen insgesamt wichtig ist, kannst Du bspw. hier nachlesen. 

Warum Barcamps die Möglichkeit zum Umgang mit der VUCA-Welt sind

Was mich aber über all diese Punkte hinaus am Meisten fasziniert, ist die Möglichkeit, wie es in Barcamps gelingt, mit der uns alle beschäftigenden Komplexität umzugehen

Durch all die oben genannten Aspekte und Vorteile wird es möglich, komplexe Fragen so anzugehen, dass nicht unterkomplexe Antworten gegeben, sondern die Welle der Komplexität gemeinsam gesurft wird. Denn: 

Für fast alle Fragen, die Soziale Organisationen, Bildungseinrichtungen, Verwaltungen… aktuell bewegen (Fachkräftemangel, KI, Klima, Krieg, Einsparungen und Co.) gibt es nicht die eine richtige Antwort.  

Vielmehr sind diese Fragen nur gemeinsam, interdisziplinär und sektoren- bzw. innerhalb von Organisationen bereichsübergreifend anzugehen.

Komplexität zu bewältigen braucht Tests und Experimente.

Es ist auszuprobieren, es ist gemeinsam zu experimentierenwie eine bessere Zukunft gestaltet werden kann. 

Und aus den Ergebnissen, die in den Sessions der Barcamps entstehen, lassen sich genau diese „Experimente“ gestalten:

  • Es können sich neue Netzwerke ergeben – bspw. zum Thema „Nutzung von KI in der eigenen Organisation“.
  • Es können konkrete Lösungen erarbeitet werden – bspw. für spezifische Fragen.
  • Es kann aber auch ganz einfach Austausch stattfinden, der – vielleicht – im Sinne der Serendipität – zu neuen, bislang nicht gedachten Ideen und Lösungen führt.

Organisationsinterne Barcamps

Barcamps werden in den meisten Fällen entweder ganz offen angeboten (bspw. das Sozialcamp von damals…) oder häufig durch Verbände initiiert, die ihre Mitgliedseinrichtungen zu bestimmten Themen zusammenbringen wollen (siehe die Beispiele oben).

Es ist aber nicht nur möglich, sondern auch hochgradig sinnvoll, ein Barcamp innerhalb der eigenen Organisation – bspw. als Alternative zu einer klassischen Klausur – zu organisieren. Hilfreich dazu ist es, ein paar Schritte zu beachten:

  • Interesse wecken: Mitarbeiter:innen über die Idee und Grundanliegen eines Barcamps informieren um ihr Interesse zu wecken.
  • Organisationsteam bilden: Ein Team zusammenstellen, das die Veranstaltung planen und koordinieren kann.
  • Rahmenbedingungen schaffen: Einen geeigneten Ort und Zeitpunkt festlegen sowie die notwendige technische Ausstattung sicherstellen.
  • Teilnehmer einbinden: Die Mitarbeiter:innen dazu ermutigen, Themen für das Barcamp vorzuschlagen und abzustimmen, um eine relevante Agenda zu erstellen.
  • Kommunikation fördern: Die Teilgeber:innen aktiv dazu ermutigen, ihre Ideen und Meinungen während der Veranstaltung zu teilen.
  • Dokumentation: Alle Ergebnisse dokumentieren (und im Nachgang aufbereiten).
  • Feedback sammeln: Nach dem Barcamp Rückmeldungen sammeln, um Verbesserungen für zukünftige Veranstaltungen zu identifizieren.

Eine richtig gute Anleitung zur Organisation von einem Barcamp findet sich übrigens im lernOS Barcamp Leitfaden. Das lohnt sich wirklich.

Zukunft ermöglichen, oder: Warum Barcamps wichtig für die Entwicklung sozialer Organisationen sind

Auch wenn die Ausführungen für viele wahrscheinlich nicht besonders neu waren oder manche von Euch vielleicht schon Barcamps besucht haben, finde ich es relevant, immer mal wieder darauf zu verweisen, dass es Wege gibt, anders an übergreifende oder auch organisationsinterne Herausforderungen heranzugehen.

Und die Herausforderungen, die es heute und in Zukunft zu bewältigen gilt, sind enorm. Entsprechend plädiere ich hier, als eine Option, für die Barcamp-Methode.

Barcamps aber sollten keine exotischen „Experimente“ sein, sondern vielmehr zum Standardformat für Veranstaltungen werden, die zur Ermöglichung der Zukunft anregen

Ach ja, im Kleinen, im Team oder auch in organisationsinternen Netzwerken, lohnt sich auch ein Blick auf die Methode des „Lean Coffee“, um gemeinsam an neuen Ideen und der Entwicklung der Organisation zu arbeiten.

Resonanz, Exnovation und Kooperation, oder: Das Ende des Business as usual für die Zukunft der Sozialwirtschaft

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Beendigung der Armut. Beseitigung der eklatanten Ungleichheit. Ermächtigung der Frauen. Dies sind die drei der fünf „außerordentlichen Kehrtwenden“, die laut dem neuen Bericht an den Club of Rome „Earth for All“ (vgl. Dixsons-Declève et al., 2022) notwendig sind, um die Risiken der Klimakatastrophe substanziell zu reduzieren. Angeführt werden darüber hinaus der Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems und der Einsatz sauberer Energie, um die Menschheit zu retten.

Der Anspruch Sozialer Arbeit

Beendigung der Armut, Beseitigung der eklatanten Ungleichheit, Ermächtigung der Frauen – dies könnte gut eine anspruchsvolle Mission einer sozialen Organisation oder eines Wohlfahrtsverbands sein: Welt retten, um die Menschheit zu retten – reduziert auf das Machbare.

Das lässt den Anspruch Sozialer Arbeit erkennen: Soziale Arbeit will die Lebenswelt der Menschen, für die soziale Organisationen die (Mit-)Verantwortung tragen, besser machen, was auch beim Blick auf die Internationale Definition Sozialer Arbeit (vgl. DBSH, 2016) deutlich wird:

Soziale Arbeit fördert „gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit. (…). Soziale Arbeit befähigt und ermutigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern“.

Soziale Arbeit hat sich viel vorgenommen! Es stellt sich die Frage, ob wir – jede*r Einzelne, unsere Organisationen und die Soziale Arbeit als Ganzes – diesem Anspruch in der Vergangenheit gerecht wurden und in der Zukunft gerecht werden können.

Vergangenheit und Zukunft, oder: Das Ende des Business as Usual

Der Blick in die Vergangenheit bis zur Gegenwart der Sozialen Arbeit zeigt Licht und Schatten. Die Entwicklung Sozialer Arbeit lässt sich als „wahre Erfolgsgeschichte“ (Merten, 2001, 165) erzählen. Hans Thiersch spricht vom letzten Jahrhundert gar als „sozialpädagogisches Jahrhundert“ (vgl. 1992). Das Wachstum des Sozialwesens, gemessen an Beschäftigtenzahlen oder volkswirtschaftlichem Nutzen, ist beeindruckend.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob das quantitative Wachstum des Sozialwesens mit qualitativen Verbesserungen, mit der Steigerung der Wirksamkeit Sozialer Arbeit und der Annäherung an die in der Definition Sozialer Arbeit dargelegten Vision einherging. Ohne Frage hat sich „die Soziale Arbeit“ weiterentwickelt. Aber fördert sie wirklich gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen, den sozialen Zusammenhalt und die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen? Da können Zweifel aufkommen.

Und der IW-Kurzbericht „Die Berufe mit den aktuell größten Fachkräftelücken“ (Hickmann, Koneberg, 2022) zeigt, dass Berufe in den Bereichen Sozialarbeit / Erziehung / Pflege schon heute besonders vom Fachkräftemangel betroffen sind. Das spüren die Beschäftigten an allen Ecken. Soziale Organisationen bewegen sich in den uns alle betreffenden Polykrisen (vgl. bspw. Scharmer, 2022) am Rande der Belastungsgrenze.

Für die Gestaltung der Zukunft ist da wenig Platz, denn wenn man linear in die Zukunft sozialer Organisationen blickt, ergibt sich folgendes Bild:

Angesichts demographischer Entwicklungen steigt der Gesamtbedarf an personenbezogenen Dienstleistungen bei gleichzeitig abnehmender Anzahl an Erwerbstätigen. Herausforderungen wie Digitalisierung, Energiekrise, Krieg, Klimakatastrophe kommen hinzu.

Wenn es weitergeht, wie bisher, können die Belastungsdämme der Organisationen und der Sozialwirtschaft nicht mehr lange standhalten.

Die triviale Folgerung aus diesem kurzen Überblick muss lauten (und nach Innen und Außen lauter werden):

 Ein „Weiter so!“, ein „Business as usual“ kann und wird nicht mehr funktionieren. Es braucht „Transformation hin zum Neuem“!

Aber wie sieht das Neue aus? Und vor allem: Wie kann die Transformation dorthin gelingen?

Um diese Fragen spezifisch für soziale Organisationen zu beantworten, lohnt es sich, ausgehend von den Kehrtwenden des Club of Rome, den Blick zu weiten: Wie kann Transformation auf globaler Ebene gelingen und was lässt sich daraus für soziale Organisationen lernen und adaptieren?

Gemeinsam Spüren, oder: Echte Transformation braucht neues Lernen

Im Folgenden wird eine von drei notwendigen Veränderungen herausgegriffen, die angesichts der aktuellen Krisen erforderlich sind, um die Forderungen des Club of Rome auf der systemischen Makroebene, also auf globaler, nationaler und/oder der Ebene der Funktionssysteme (Bildung, Politik, Gesundheit, Soziales…) umzusetzen:

Es braucht die Transformation des Lernens – weg von der Leistungs- und Prüfungsorientierung hin zur Entwicklung von Fähigkeiten zum gemeinsamen Spüren und zur gemeinsamen, ko-kreativen Gestaltung der Zukunft (vgl. Scharmer, 2022).

Der Gedanke, dass wir zur Bewältigung der globalen Krisen die Art, wie wir Lernen verstehen, ändern müssen, ist nicht neu: Bereits der im Jahr 1979 im Anschluss an den 1972 veröffentlichten Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ veröffentlichte Bericht des Club of Rome unter dem Titel „No limits to learning“ rückt explizit das Thema „innovative learning“ in den Vordergrund. Darunter ist ein Lernen zu verstehen, das Kreativität und effektive Kooperation ins Zentrum rückt (vgl. Göpel, 2022, 132). Über Neu-Lernen, die Entwicklung kreativer Fähigkeiten und Kooperation kann es gelingen, die Kluft zwischen Wissen und Handeln zu schließen.

So wissen wir, was wir tun sollten, kommen aber oft nicht ins Handeln. Rechtliche, institutionelle und individuelle Abhängigkeiten hindern uns daran, gemeinsam neu zu Lernen und das Business as usual nicht nur ernsthaft infrage zu stellen, sondern wirklich anders zu agieren.

Aber wie können wir neu Lernen lernen und das kollektive Gefühl von „so kann es nicht mehr weitergehen“ transformieren in das Neue?

Dazu braucht es (vgl. Scharmer, 2022):

  • institutionelle Infrastrukturen, die alle relevanten Akteure zusammenbringen, um das System gemeinsam zu gestalten,
  • Führungsinstrumente und -kapazitäten, um das Bewusstsein der verschiedenen Akteure von einer Silo- zur Systemsicht zu verändern und
  • finanzielle Mechanismen zur Finanzierung und Skalierung der oben genannten Maßnahmen.

Resonanz erzeugen, oder: Co-kreative institutionelle Infrastrukturen

Wir sind gefordert, in unseren Organisationen co-kreative institutionelle Infrastrukturen und damit Dialogräume zu gestalten, in denen es gelingt, Resonanz (vgl. Rosa, 2022) zwischen den Themen und den verschiedenen Akteur*innen zu erzeugen.

Resonanz meint a) die Fähigkeit, „sich anrufen zu lassen“ (ebd., 57). Damit ist das Hören und Spüren des dezidiert Anderen, des Neuen gemeint – „und das kann durchaus irritierend sein“ (ebd., 59). Hier ist die Verbindung zur organisationalen Innovations- und damit Lernfähigkeit interessant: Für die Ermöglichung von Innovation ist es notwendig, „irritationsrelevante Informationen“ wahrzunehmen bzw. sich von diesen „anrufen“ lassen zu können.

Aus dem „angerufen werden“ folgt b) die Selbstwirksamkeit: „Ich stelle plötzlich fest, (…), dass ich in der Lage bin auf das Empfangene zu reagieren“ (ebd., 60). In Bezug zur organisationalen Innovationsfähigkeit gilt es, die irritierenden Informationen aus der Umwelt für die Organisation nutzbar machen zu können.

Aus der Fähigkeit, „sich anrufen zu lassen“ und selbst wirksam zu werden entsteht dann c) die Möglichkeit echter Verwandlung bzw. Transformation:

„Da, wo Resonanz zustande kommt, wo ich wirklich aufhöre, und mich mit dem, was mich erreicht, verbinde, verwandle ich mich“ (Rosa, 2022, 62).

Und genau darum geht es: Um Verwandlung, um Transformation, die als Abkehr vom Business as Usual das Neue, echte Innovation und tiefgreifende Veränderung ermöglicht.

Der Moment der Resonanz kann jedoch nicht gekauft, hergestellt oder erzwungen werden. Resonanz ist d) unverfügbar (vgl. ebd., 64). Und genauso ist es in Organisationen:

Appelle an die Mitarbeiter_innen, „jetzt aber mal innovativ zu sein“ oder das Erzwingen nicht resonanzfähiger „New Work Maßnahmen“ werden mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ergebnislos verpuffen, wenn nicht echte, strukturelle Veränderungen erfolgen, die anderes Arbeiten nach sich ziehen.

Auf-Hören, oder: Systemische Führungsinstrumente und -kapazitäten

Im obigen Zitat irritiert das Wort „aufhören“. Rosa verbindet mit dem Auf-Hören das sich „anrufen und erreichen lasse[n] von etwas anderem, von einer anderen Stimme, die etwas anderes sagt als das, was auf meiner To-Do-Liste steht und was sowieso erwartbar ist“ mit dem gängigen Verständnis des Begriffs Aufhören im Sinne von „anhalten, stoppen“ (ebd., 56).

Beides ist wichtig: Zum einen gilt es, aufzuhorchen und sich von den irritierenden Informationen aus der Umwelt anrufen zu lassen, um daraus Neues zu gestalten. Zum anderen gilt es aber auch, aufzuhören und Aktivitäten zu stoppen, die keinen Mehrwert für die Menschen und die Organisation liefern.

Es lohnt die Beschäftigung mit Exnovation – der anderen Seite von Innovation: Exnovation heißt, dass Nutzungssysteme, Prozesse, Praktiken oder Angebote, die getestet und bestätigt wurden, aber nicht mehr wirksam sind oder nicht mehr mit der Strategie übereinstimmen, eingestellt werden (vgl. Epe, 2022). Exnovation heißt jedoch keinesfalls, in der Organisation eine Kultur der Nicht-Innovation zu propagieren. Exnovation, das Aufhören, die Abschaffung, das Beenden, gehört zur Innovation zwingend dazu – wie zwei Seiten einer Medaille.

Und hier sei mit Blick auf das „sozialpädagogische Jahrhundert“ die Frage gestattet: Wo haben wir im Sozialwesen erfolgreich Dinge nicht mehr getan, nicht (mehr) wirksame Angebote nicht weitergeführt und wirklich aufgehört, um so Raum für Neues zu schaffen?

Gleiches gilt institutionell: Anstatt grundlegende, strukturelle Barrieren zu beseitigen, die die Veränderung des Systems blockieren, versuchen wir, Menschen zu motivieren, „sich zu verändern“ und neue Methoden und Angebote zu schaffen, um uns auf die Zukunft vorzubereiten. Echtes Lernen und damit Veränderung komplexer sozialer Systeme geschieht aber nicht, indem wir „mehr des Gleichen“ tun. Die Beseitigung struktureller Barrieren, das Weglassen, das Exnovieren ist oft der wirkungsvollste Hebel, um soziale Systeme und damit Organisationen in Veränderung zu bringen.

Veränderung bedeutet, etwas aus dem gewohnten Trott zu bringen. Es mag zwar oberflächlich beruhigend und entlastend sein, sich an Routinen und Business as usual zu klammern. Sinnvoller ist aber die Frage: Was von dem, was wir in unserer Organisation oder im Team tun, kann weg, womit können wir aufhören?

Bezogen auf Vorgaben in Organisationen hat sich zur Beantwortung der Frage die einfache Methode „Kill a stupid rule“ bewährt:

  1. In Kleingruppen sammeln die Beteiligten regelmäßig bestehende Regeln aus ihrer Organisation, die sie gerne abschaffen/ändern würden und notieren diese.
  2. Die Notizen werden vorgestellt und in ein Koordinatensystem eingruppiert: wenig bis sehr aufwändig und kleine bis große Wirkung.
  3. Ideen mit wenig Aufwand und großer Wirkung können direkt angegangen werden. Ideen mit mehr Aufwand kann man priorisieren und nach und nach umsetzen.

Eigentlich einfach, aber wir wissen auch: Das Auf-Hören fällt schwer – gesellschaftlich, organisational und individuell.

Kooperation, oder: Finanzielle Mechanismen zur Finanzierung und Skalierung der Maßnahmen

So, wie in unseren Organisationen nicht eine Person allein „den Laden am Laufen hält“ lässt sich die Transformation der Gesellschaft nicht durch „den einen Hebel“ und damit losgelöst von anderen sozialen Systemen betrachten. Mehr noch:

„Kooperation war die entscheidende Voraussetzung für die Entstehung des Lebens, und sie ist bis heute ein das Leben in all seinen Varianten begleitendes Phänomen geblieben“ (Bauer, 2006, 221).

Wollen wir die Zukunft des Sozialwesens gestalten und die Abkehr vom Ego- zum Eco-System und Möglichkeiten gestalten, „vom größeren Gesamtsystem aus zu handeln“ (Scharmer, 2013, 220), müssen wir eine Kultur der Kooperation (wieder)beleben, auch wenn dies „ein radikaler Gegenentwurf zum neoliberalen und zum auf Verdrängungswettbewerb und Auslese aufbauenden darwinistischen Menschenbild [ist], das Ökonomie und Gesellschaft seit langer Zeit und heute noch prägt“ (Seliger, 2022, 119).

Kooperation erfolgt in vielen Fällen bereits zwischen sozialen Organisationen und zwischen unterschiedlichen Verbänden (auch wenn es hier ebenfalls Entwicklungsbedarf gibt). Aber gerade mit Blick auf die Finanzierung Sozialer Arbeit ist der Blick auf Kooperation hochgradig relevant:

Soziale Organisationen sind in ihrer Finanzierung im Wesentlichen abhängig von Sozialleistungsträgern. Entsprechend greift der isolierte Blick auf die institutionelle Transformation, auf innerorganisationale Veränderungsnotwendigkeit zu kurz – ohne damit zu sagen, dass innerhalb der Organisationen keine Veränderungen stattfinden sollten – da sie in der Finanzierung ihrer Leistungen abhängig sind von den Sozialleistungsträgern.

Eine Herausforderung der Verbindung von Sozialleistungsträgern auf der einen und sozialen Organisationen als Leistungserbringern auf der anderen Seite besteht aber darin, dass beide Systeme unterschiedliche binäre „Leitdifferenzen“ (Codes) aufweisen, anhand derer sich die Entscheidungen im jeweiligen System orientieren.

Soziale Organisationen wägen ihre Entscheidungen – sehr grob formuliert – anhand der Leitdifferenz „Helfen / nicht helfen“ (vgl. Kleve, 2007, 147) ab, wohingegen die Sozialleistungsträger ihre Entscheidungen anhand der Leitdifferenz „Rechtlich vorgegeben / nicht vorgegeben“ abwägen.

Daraus folgt, dass soziale Organisationen komplexe soziale Probleme anders angehen würden, wenn die Finanzierungsmöglichkeiten dies zuließen. So wird bspw. die Einbeziehung der Klient*innen und die Stärkung ihrer Autonomie und Selbstbestimmung in allen moderneren Methoden Sozialer Arbeit gefordert, deren Umsetzung jedoch in Teilen durch die Notwendigkeit konterkariert, sich an die Vorgaben der Sozialgesetze zu halten, um darüber die Finanzierung sicherzustellen.

Zur zukünftigen Sicherstellung einer sinnvollen Finanzierung ist es also notwendig, die Kooperation zwischen den Leistungsträgern und den Leistungserbringern deutlich zu steigern, um über den Dialog ein gegenseitiges Verständnis der Notwendigkeiten wirksamer Finanzierung herzustellen.

Außerdem ist in sozialen Systemen, großen wie kleinen, alles miteinander verbunden (vgl. Göpel, 2022, 36ff). Entsprechend muss der kooperationsfokussierte Blick über die Grenzen der Sozialwirtschaft hinaus geweitet werden: Kooperation muss auch verstärkt zwischen anderen Unternehmen und Funktionssystemen gestärkt werden, um Transformation zu ermöglichen.

Das Ausweiten der Kooperation vereinfacht wiederum das unverzichtbare „Sich-anrufen-lassen“ von anderen Perspektiven und neuen Möglichkeiten, die ergriffen werden können, um gelingende Zukunft zu gestalten.

Das Ende des Business as usual, oder: Mutige Visionen für die Zukunft der Sozialwirtschaft

Es muss nicht wiederholt werden, dass die Herausforderungen, denen sich soziale Organisationen heute und in Zukunft widmen müssen, massiv sind. Sie werden heute nicht absehbare Veränderungen erfordern. Einfache Antworten und Business as usual werden aber definitiv nicht funktionieren, auch wenn die Suche nach Sicherheit und Beständigkeit in einer hyperaktiven Welt allgegenwärtig ist. Aber es hilft nicht, angesichts der Dynamik und Komplexität der Herausforderungen den Kopf in den Sand zu stecken. Das Gute in der aktuellen Situation: In allen Problemen (ver-)stecken sich auch Chancen, wenn wir lernen, mutige Visionen der Zukunft der Sozialwirtschaft in den Blick zu nehmen:

Mutige Visionen brechen mit dem Business as Usual. Sie helfen uns, die Gegenwart hinter uns zu lassen und damit neue Perspektiven einzunehmen.

Stellen Sie sich vor, Sie wachen morgen auf und gehen an Ihren Arbeitsplatz. Dort muss über Nacht ein Wunder geschehen sein und es ist alles so, wie Sie es sich schon immer erträumt haben:

  • Woran bemerken Sie, dass sich etwas verändert hat?
  • Was sind die größten Unterschiede zu gestern?
  • Wie fühlt sich die Veränderung an? Was ist beglückend?
  • Mit welchem Bild würden Sie die neue Situation Ihrer Organisation darstellen?

Beginnen Sie, Ihre Vision mutig zu malen, denn

„Mut heißt nicht, keine Angst zu haben! Mut heißt nur, dass man trotzdem springt!“ (Sarah Lesch).


Quellen:

  • Botkin, J. W., Elmandjra, M., Malitza, M.: No limits to learning: bridging the human gap. 1st ed. Pergamon international library. Oxford; New York: Pergamon Press, 1979.
  • DBSH. Deutschsprachige Definition Sozialer Arbeit. 2016. Download unter: https://www.dbsh.de/profession/definition-der-sozialen-arbeit/deutsche-fassung.html. Abruf am 16.12.2022.
  • Dixson-Declève, S., Gaffney, O., Ghosh, J., Randers, J., Rockström, J., Espen Stoknes, P.:  Earth for all: ein Survivalguide für unseren Planeten. Übersetzt von Rita Seuß und Barbara Steckhan. 4. Auflage. München: oekom, 2022.
  • Epe, H.: Exnovation, oder: Verlernen allein reicht (oft) nicht! Download unter: https://www.ideequadrat.org/exnovation/. Download am 03.01.2023.
  • Göpel, M.: Wir können auch anders: Aufbruch in die Welt von morgen. Berlin: Ullstein, 2022.
  • Hickmann, H., Koneberg, F.: Die Berufe mit den aktuell größten Fachkräftelücken. IW-Kurzbericht Nr. 67. Download unter https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Kurzberichte/PDF/2022/IW-Kurzbericht_2022-Top-Fachkr%C3%A4ftel%C3%BCcken.pdf. Download am 20.12.2022.
  • Kleve, H.: Postmoderne Sozialarbeit: ein systemtheoretisch-konstruktivistischer Beitrag zur Sozialarbeitswissenschaft. 2. Aufl. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss, 2007.
  • Merten, R.: Wissenschaftliches und professionelles Wissen – Voraussetzungen für die Herstellung von Handlungskompetenz. In: Pfaffenberger, Hans (Hrsg.). Identität – Eigenständigkeit – Handlungskompetenz der Sozialarbeit/Sozialpädagogik als Beruf und Wissenschaft. Münster, Hamburg, London: LIT Verlag, S. 165–192, 2001.
  • Rosa, H.: Demokratie braucht Religion. München: Kösel-Verlag, 2022.
  • Scharmer, O.: Protect the Flame. Circles of Radical Presence in Times of Collapse. 2022. Download unter: https://medium.com/presencing-institute-blog/protect-the-flame-49f1ac2480ac. Abruf am 15.12.2022.
  • Scharmer, O.: Theorie U – von der Zukunft her führen: Presencing als soziale Technik. 3. Aufl. Management. Heidelberg: Carl-Auer-Verl, 2013.
  • Seliger, R.: Systemische Beratung der Gesellschaft: Strategien für die Transformation. Erste Auflage. Systemische Horizonte. Heidelberg: Carl-Auer Verlag GmbH, 2022.
  • Thiersch, H.: Das sozialpädagogische Jahrhundert. In: Rauschenbach, Thomas/Gängler, H. (Hrsg.). Soziale Arbeit und Erziehung in der Risikogesellschaft. Neuwied, Kriftel, Berlin: Luchterhand Verlag, S. 9–23, 1992.

Hinweis: Der Text ist vorab (in leicht angepasster Version) in den „Blättern der Wohlfahrtspflege“, 3/23, veröffentlicht worden. doi.org/10.5771/0340-8574-2023-3-96!


New Social Work, eine Zwischenbilanz – Part I: Die Definition!

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Dieser Beitrag ist der Auftakt einer Beitragsserie rund um New Social Work. Und zum Auftakt ist zunächst (m)eine New Social Work Definition darzulegen. Damit umreiße ich, was unter New Social Work zu verstehen ist (Part I). Daran anschließend will ich in Part II zurück, in die Historie, und in Teil III ins Jetzt, den Status Quo rund um New Social Work schauen. Dann, im (vorerst) abschließend in Teil IV, versuche ich, einen Blick in die Zukunft rund um „New Social Work“ zu wagen.

Hintergrund der Beitragsserie ist, dass ich im Jahr 2014 den Blog „IdeeQuadrat“ startete. Der erste Beitrag: Ein Review des Buchs „Reinventing Organizations“. Kurz drauf dann meine „Entdeckung“ des „Bergmannschen New Work“.

Die Verbindung aus neuen Formen der Organisationsentwicklung basierend auf Prinzipien von Selbstorganisation, Ganzheitlichkeit und der Suche nach dem „evolutionären Sinn“, mit den utopischen Gedanken einer Abkehr vom Lohnarbeitssystem haben mich begeistert, gefesselt und das finden lassen, was ich „wirklich, wirklich tun“ will. Das war der Beginn der Geschichte von IdeeQuadrat und der Beginn meiner vertieften Auseinandersetzung mit New Social Work.

Dabei leiten mich Fragen rund um zeitgemäße und bedarfsgerechte Organisationsentwicklung kombiniert mit dem Fokus auf soziale Organisationen, meiner beruflichen Herkunft, ohne gesellschaftliche Entwicklungen und deren Auswirkungen aus dem Blick zu verlieren. Ich habe damit von Beginn an Organisationen, die uns alle von der Wiege bis zur Bahre begleiten – Kitas, Kindergärten, Jugendhilfeeinrichtungen, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, Suchthilfe, Wohlfahrtsverbände, kleine Träger, Komplexträger mit mehreren tausend Mitarbeiter:innen und übergreifend „das Sozialwesen“ als gesellschaftsprägendes System fokussiert.

Und jetzt, nach fast zehn Jahren, ist einiges passiert. Einiges ist auch nicht passiert. Zeit für eine Zwischenbilanz. Und die beginnt mit Part 1 – der…

New Social Work Definition

New Social Work ist Organisationsentwicklung. New Social Work aus Blickrichtung der Organisationsentwicklung ist die Suche nach und das Gestalten von funktionalen, zeitgemäßen und bedarfsgerechten Organisationsdesigns für soziale Organisationen, die es ermöglichen, wirksame Soziale Arbeit im Sinne der Nutzer:innen wie der Mitarbeiter:innen sozialer Organisationen leisten zu können. Wortwörtlich: soziale Arbeit.

New Social Work ist gleichzeitig Arbeit an der Gesellschaft. New Social Work nimmt damit gesellschaftliche Entwicklungen in den Blick. Sie ist politisch – wie Soziale Arbeit schon immer politisch war. Und sie ist zukunftsorientiert, denn New Social Work nimmt „gesellschaftliche Megatrends“, die gesellschaftlichen Veränderungen in den Blick, von der digitalen Transformation, über die Individualisierung, den demographischen Wandel bis hin zu Fragen der ökologischen Nachhaltigkeit uvm.

Vier Ebenen einer New Social Work

Der Definition liegen vier Ebenen zugrunde, die hier skizziert und jeweils in den folgenden Beiträgen dieser Serie in den Blick genommen werden, um eine angemessene Betrachtungstiefe zu ermöglichen:

1. Ebene: Das Individuum

Der „Real New Work“ im Sinne Bergmanns ging es über die Schaffung einer Alternative zum klassisch-kapitalistischen Lohnarbeitssystem darum, Menschen zu befähigen, das zu finden, was sie „wirklich, wirklich tun“ wollen. Darüber rückt automatisch „der Mensch“ als Individuum nach auf die Bühne.

Es geht um die Vorstellungen, die wir in unserer Gesellschaft „vom Wesen des Menschen“ haben. Eas geht um unsere Menschenbilder: Nur dann, wenn die Vorstellung existiert, dass Menschen sich entwickeln, sich verändern können und wollen und damit nach Selbstbestimmung und Autonomie, nach Freiheit und Entfaltung der Persönlichkeit, nach Selbstverwirklichung und Sinn streben, machen Vorstellungen rund um New Work und die Suche nach dem, was Menschen „wirklich, wirklich tun wollen“ Sinn.

Nur aus dem gleichen Menschenbild heraus ist Soziale Arbeit als Profession und Disziplin denkbar. Nur dann, wenn wir als Professionelle davon ausgehen, dass wir einen Beitrag zur Selbstbestimmung und Autonomie der Menschen – egal in welchem Arbeitsfeld – leisten können, macht Soziale Arbeit Sinn.

Fraglich ist aber, wie es bestmöglich gelingen kann, zum einen Rahmenbedingungen in unserer Gesellschaft und unseren Organisationen zu schaffen, die dem Streben nach Selbstbestimmung und Autonomie zuträglich sind? Zum anderen ist fraglich, wie das „auf die Welt bringen des in den Menschen liegenden Potenzials“ bestmöglich gelingen kann. Hier rückt u.a. das Bildungssystem in den Fokus. Und – aus einer bestimmten Richtung – sind auch soziale Organisationen immer Organisationen der Bildung.

2. Ebene: Die Organisationen

Wie definiert umfasst New Social Work als einen Fokusbereich die Organisationsentwicklung und damit einer Veränderung der Arbeitswelt. Denn es wird im Wesentlichen durch die Veränderung der Arbeitswelt möglich, die Gesellschaft als Ganzes zu verändern, hin zu mehr Nachhaltigkeit, Zusammen-Leben, Sinn, Zeit für das wirklich, wirklich Wichtige für jeden einzelnen Menschen.

Das ist übrigens, wenn man die Geschichte betrachtet, schon immer so gewesen: Durch die Entwicklung der Landwirtschaft sind die Menschen sesshaft geworden, durch die Entwicklung der Webstühle und der Dampfmaschine wurde das Industriezeitalter eingeläutet und durch die Informationstechnologie bewegen wir uns immer in einer „Wissensgesellschaft“. Und all diese Veränderungen der Arbeitswelt haben zu neuen Gesellschaftssystemen geführt:

„Wichtige historische Gesellschaftsformationen sind nach Marx die klassenlose Urgesellschaft der frühen Stammesgesellschaften, die von Landwirtschaft und despotischer Herrschaft geprägte ‚asiatische Produktionsweise‘, die Sklavenhaltergesellschaft der Antike, der Feudalismus des Mittelalters und die bürgerlich-kapitalistische Produktionsweise“.

Hinzu kommen natürlich Sozialismus und Kommunismus, deren Bezug zur Arbeitswelt als „Diktatur des Proletariats“ auf der Hand liegt. Damit wird deutlich:

Die Veränderung der Organisationen und damit die Veränderung der Art, wie wir arbeiten, führt zu gesellschaftlicher Veränderung.

Und soziale Organisationen, die „als Vorreiter der gesellschaftlichen Transformation ihren wirkungsvollen Beitrag für eine lebenswerte Gesellschaft nachhaltig leisten„, spielen dabei eine unfassbar wichtige Rolle.

Für New Social Work rückt auf dieser Ebene die Frage ins Zentrum, wie es gelingen kann, Organisationen, deren Zwecke, Prozesse, formale Hierachien und darüber „soziale Arbeit“ so zu gestalten, dass der Zweck der jeweiligen Organisation bzw. des jeweiligen Teams bestmöglich erreicht werden kann.

3. Ebene: Das Sozialwesen

Soziale Organisationen sind eingebunden in ein nach bestimmten Bedingungen funktionierendes „funktionsspezifisches Teilsystem“ der Gesellschaft – das Sozialwesen.

Funktionsspezifische Teilsysteme sind „funktions-, leistungs-, medien-/codespezifische und (re-)programmierbare, sich selbst validierende selbstsubstitutive autopoietische Systeme“ (Krause, 2005, 44), die einerseits mehr oder weniger miteinander und andererseits in der Gesamtheit all dieser gesellschaftlichen Kommunikationen auch übereinander kommunizieren und damit Gesellschaft prägen. Sie sind operativ geschlossen. Der Code bzw. die Leitdifferenz des Sozialsystems ist „helfen/nicht helfen“ (Kleve, 2007, 147). Jedes funktionsspezifische gesellschaftliche Teilsystem übernimmt für die Gesellschaft exklusiv eine bestimmte Funktion (vgl. Krause, 2005, 49).

Auch wenn fraglich ist, ob das Sozialwesen exklusiv eine bestimmte Funktion übernimmt und damit per Definition ein eigenständiges, funktionsspezifisches Teilsystem unserer Gesellschaft ist, gehe ich zur Komplexitätsreduktion einmal davon aus. Soziale Dienstleistungen als öffentliche Güter und damit „das Sozialwesen insgesamt“ ist hochgradig abhängig von der geltenden Sozialpolitik.

Daraus resultieren wiederum Fragen: (Wie) gelang, gelingt und wird es zukünftig gelingen, zum einen der Sozialpolitik, sinnvolle, zukunftsgerichtete Entscheidungen für die Menschen, die auf soziale Dienstleistungen angewiesen sind, zu treffen? Und wie gelang, gelingt und wird es zukünftig den Verantwortungsträger:innen wie bspw. den Wohlfahrtsverbänden gelingen, diese Entscheidungen im Sinne der Anwaltschaft für die Nutzer:innen (und nicht nur zur eigenen Sicherung des Überlebens) zu beeinflussen?

4. Ebene: Die Gesellschaft

Der Blick in die Vergangenheit bis zur Gegenwart der Sozialen Arbeit zeigt Licht und Schatten. Die Entwicklung Sozialer Arbeit lässt sich als »wahre Erfolgsgeschichte« (Merten 2001, S. 165) erzählen. Thiersch bezeichnet das letzte Jahrhundert gar als »sozialpädagogisches Jahrhundert« (vgl. 1992). Das Wachstum des Sozialwesens, gemessen an Beschäftigtenzahlen oder volkswirtschaftlichem Nutzen, ist beeindruckend.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob das quantitative Wachstum des Sozialwesens mit qualitativen Verbesserungen, mit der Steigerung der Wirksamkeit Sozialer Arbeit und der Annäherung an die in der Definition Sozialer Arbeit dargelegten Vision einherging. Ohne Frage hat sich „die“ Soziale Arbeit weiterentwickelt.

Auf der vierten Ebene stellt sich die Frage, ob Soziale Arbeit wirklich gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen, den sozialen Zusammenhalt gefördert hat, aktuell fördert und zukünftig fördern wird?

Fazit Part I: New Social Work Definition

Wenn ich die Ausführungen zur New Social Work Definition so anschaue, könnte es ein ziemlich umfangreiches Unterfangen werden, eine Zwischenbilanz rund um New Social Work zu ziehen. Aber ich denke, es ist an der Zeit, innezuhalten und dies zu versuchen. Entsprechend will ich in den kommenden Beiträgen – für mich, für Dich und vielleicht auch darüber hinaus – auf die oben gestellten Fragen eingehen.

Dabei werden meine Antworten sicherlich immer sehr persönlich gefärbt sein. Ich hoffe, das passt für Dich…

Gespannt bin ich aber schon jetzt, zu hören, was Du von der Definition und den Ausführungen hältst? Lass doch einen Kommentar da und gib eine Rückmeldung dazu. Vielleicht kann ich diese in den weiteren Beiträgen einbauen… Danke schon jetzt!

Quellen

  • Gesmann, S., Merchel, J. (2019): Systemisches Management in Organisationen der Sozialen Arbeit: Handbuch für Studium und Praxis. Erste Aufl. Heidelberg: Carl-Auer Verlag GmbH.
  • Kleve, H. (2007): Postmoderne Sozialarbeit. Ein systemtheoretisch-konstruktivistischer Beitrag zur Sozialarbeitswissenschaft. 2. Aufl., Wiesbaden: Springer.
  • Krause, D. (2005): Luhmann-Lexikon. 4.Aufl., Stuttgart: Lucius & Lucius.
  • Merten, R. (2001): Wissenschaftliches und professionelles Wissen – Voraussetzungen für die Herstellung von Handlungskompetenz. In: Pfaffenberger, Hans (Hrsg.). Identität – Eigenständigkeit – Handlungskompetenz der Sozialarbeit/Sozialpädagogik als Beruf und Wissenschaft. Münster, Hamburg, London: LIT Verlag, S. 165–192.
  • Thiersch, H. (1992): Das sozialpädagogische Jahrhundert. In: Rauschenbach, Thomas/Gängler, H. (Hrsg.). Soziale Arbeit und Erziehung in der Risikogesellschaft. Neuwied, Kriftel, Berlin: Luchterhand Verlag, S. 9–23, 1992.