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Leitbildentwicklung in der Sozialwirtschaft: Wie es gelingt, Orientierung zu schaffen und mit Widersprüchen umzugehen

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Aktuell bin ich in mehrere Prozesse eingebunden, in denen es um die Leitbildentwicklung in Organisationen der Sozialwirtschaft geht. Der Wunsch der Organisationen nach konsistenten und attraktiv formulierten Leitbildern ist nachvollziehbar. In einer zunehmend komplexen und dynamischen Welt stehen sie vor der Herausforderung, ihre Identität zu schärfen, ihrer Belegschaft und potenziellen Mitarbeiter:innen Orientierung zu bieten, gegenüber Klient:innen und anderen externen Stakeholdern gut dazustehen und gleichzeitig flexibel auf Veränderungen zu reagieren. Aber:

  • Wenn Leitbilder die Lösung sind, was war eigentlich das Problem?

Und wie gelingt es, ein Leitbild zu schaffen, das nicht nur auf dem Papier existiert, sondern im Alltag gelebt wird?

Im Folgenden habe ich dazu meine Gedanken zusammengetragen: von der Frage, welche Funktionen Leitbilder erfüllen, über die Notwendigkeit von Leitbildern in Organisationen der Sozialen Arbeit bis hin zur Frage des aus meiner Sicht sinnvollen Vorgehens zur Entwicklung von Leitbildern.

Wozu eigentlich, oder: Die Funktion von Leitbildern

Auffällig ist:

Leitbilder sind in den allermeisten Organisationen vorhanden. Wenn man jedoch die Mitarbeiter:innen nach Inhalten des Leitbilds fragt, erntet man meist nur Schulterzucken, nervöses Kramen in Schubladen oder bestenfalls die Wiederholung von Floskeln, die in jedem Leitbild von Organisationen der Sozialen Arbeit vorkommen: „Also, bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt!”

Das wirft die Frage auf, ob sich der Aufwand der Leitbildentwicklung lohnt. Diese Frage kann jedoch nur beantwortet werden, wenn klar ist, welches Problem Leitbilder lösen sollen bzw. welche Funktion sie haben.

In Leitbildern werden zentrale Werte, das Selbstverständnis und manchmal die Ziele einer Organisation formuliert. Entsprechend lassen sich Leitbilder als „Wertekataloge einer Organisation” (Kühl, 2017: 12) verstehen, die Auskunft über die angestrebte Identität der Organisation geben sollen.

Sie „richten sich vorrangig an der Schauseite der Organisation aus, müssen dabei aber auf die formale und die informale Seite Rücksicht nehmen (vgl. ebd. 14, näher zur Unterscheidung von Schauseite, formaler und informaler Seite bspw. hier).

Kurz gesagt sollen Leitbilder als Kompass für Organisationen dienen und Mitarbeitenden, Klient:innen sowie externen Partnern Orientierung bieten. Klingt nach eierlegender Wollmilchsau:

Geht es jetzt um die Mitarbeitenden und somit um die Orientierung nach innen oder um die Klient:innen bzw. die Partner der Organisation, wie beispielsweise die Kostenträger? Denn interne und externe Interessengruppen haben ganz unterschiedliche Bedarfe, Wünsche und Hoffnungen.

Werteformulierungen in Leitbildern haben „hohe Konsenschancen” (Luhmann, 1972: 88 ff.), bei näherer Betrachtung sind sie jedoch ziemlich widersprüchlich.

Dazu ein Beispiel (zu dem hinzugefügt werden muss, dass die folgenden Zitate aus einem real existierenden Leitbild stammen, ich damit aber nicht sagen will, dass es sich um ein „schlechtes Leitbild” handelt. Ich will nur aufzeigen, wo die Herausforderungen und Widersprüche liegen.):

Die Aussage „Der Mensch steht im Mittelpunkt unserer Arbeit. Wir fördern und begleiten seine Entwicklung.” wird wohl jede:r unterstützen.

Im gleichen Leitbild steht dann, dass „betriebswirtschaftliche Unternehmensführung und ein hohes Qualitätsbewusstsein (…) für uns selbstverständliche Voraussetzungen für gute soziale Arbeit” sind. Auch diesem Wert (Wirtschaftlichkeit) kann zugestimmt werden, oder?

In Entscheidungssituationen wird es jedoch widersprüchlich:

Wenn Einrichtungen aus Gründen der Wirtschaftlichkeit geschlossen oder die Öffnungszeiten aufgrund des Fachkräftemangels verkürzt werden müssen, ist das zwar dem Wert „Wirtschaftlichkeit” folgend nachvollziehbar, widerspricht aber den Werten „Mensch im Mittelpunkt” bzw. „Nächstenliebe” (wie es gerne in Leitbildern konfessioneller Organisationen heißt).

Wenn in der Präambel zum Leitbild außerdem gesagt wird, dass die Wertformulierungen „verbindliche Grundlage unserer Arbeit” sind, möchte ich nicht in der Haut der Entscheider:innen stecken.

Kurz gesagt: Zu hoffen, dass Leitbilder die angestrebte Orientierung nach innen und außen tatsächlich bieten, ist zwar nachvollziehbar, stößt bei konkreten Entscheidungen jedoch auf Widersprüche.

Trotzdem wichtig, oder: Leitbilder in Organisationen der Sozialwirtschaft

Basierend auf den obigen Ausführungen könnte man jetzt zum Schluss kommen, dass keinen Sinn machen:

Wenn Leitbilder keine Orientierung bieten, brauchen wir sie doch nicht?!

Das ist aber – wenn man die Spezifika von Organisationen der Sozialen Arbeit in den Blick nimmt – deutlich verkürzt und nicht funktional. Denn:

Organisationen der Sozialen Arbeit müssen besonderen Wert auf ihre „Schauseite” legen, da „sie aufgrund ihrer spezifischen gesellschaftlichen und politischen Umweltkonstellationen gefordert [sind], im Hinblick auf unterschiedliche Interessenträger (…) Legitimation zu erzeugen und aufrechtzuerhalten sowie dadurch die eigene Organisation mit einem tragfähigen Vertrauenspotenzial ihrer Umwelt auszustatten“ (Gesmann, Merchel 2021:37f).

Das, was dahintersteht, lässt sich beispielsweise am Wert „Qualität” aufzeigen: Organisationen der Sozialen Arbeit können sich der Anforderung, qualitativ hochwertig zu arbeiten und Qualitätsmanagement zu betreiben, kaum entziehen. Gerade weil oftmals nicht kausal dargelegt werden kann, was in Organisationen der Sozialen Arbeit „wirklich wirkt”, sind sie darauf angewiesen, zu propagieren, dass sie qualitativ arbeiten und ein Qualitätsmanagementsystem vorhalten und nutzen. „Ob, in welcher Weise und Intensität aber intern Prozesse des Qualitätsmanagements realisiert werden, bleibt mit der Übernahme der Legitimationsanforderung höchst unklar und führt zu erheblichen Unterschieden, wie ein Blick in verschiedene Organisationen der Sozialen Arbeit zeigt“ (ebd., S. 38).

Jetzt könnte man annehmen, dass es dann nur darauf ankommt, ein tolles Bild der Organisation nach außen zu zeigen und schicke Hochglanzbroschüren mit dolle klingenden Werten zu veröffentlichen, um darüber die eigene Existenz nach außen zu legitimieren. Aber auch das reicht nicht aus.

Denn auch wenn klar ist, dass „zwischen der nach außen gerichteten Fassade, mit der zu Legitimationszwecken ein Bild von der Organisation gezeichnet und vermittelt wird, und der in der Organisation wahrnehmbaren Realität wird in der Regel keine vollständige Deckungsgleichheit“ herrschen kann, müssen Organisationen der Sozialen Arbeit bemüht sein, „die Entkoppelung von Fassade und realer Erlebbarkeit nicht allzu groß werden zu lassen. Denn wenn die relevanten Akteure aus der Umwelt die Fassade als „scheinheilig” (…) erkennen, verliert das Schaufenster drastisch an Legitimationspotenzial“ (ebd.).

Und zu den „Akteuren aus der Umwelt“ gehören neben den Klient:innen und deren Angehörigen auch die Mitarbeiter:innen der Organisation. Und wenn die Akteure aus der Umwelt dann feststellen, dass das „Außen“ mit dem „Innen“ der Organisation so gar nichts zu tun hat, hätte man nur „das genaue Gegenteil der mit dem schönen Schaufenster beabsichtigten Legitimation“ (ebd.) erreicht – neben verärgerten Angehörigen, frustrierten Klient:innen und kündigenden Mitarbeiter:innen ggfs. ein Entzug der Betriebserlaubnis durch die Kostenträger und ein massiver Imageverlust in der Öffentlichkeit.

Und nu`? Oder: Leitbildentwicklung in der Sozialwirtschaft

Das sind ganz schön heftige Anforderungen an das Management von Organisationen der Sozialwirtschaft, oder?

Zu wissen, dass Wertformulierungen in Leitbildern bei konkreten Entscheidungen zu Widersprüchen und Frust führen können und gleichzeitig die Notwendigkeit zu haben, die eigene Arbeit und die Organisation nach außen zu legitimieren, kann ziemlich überfordernd wirken.

Aber Gott sei Dank sind widersprüchliche Anforderungen Alltag in Organisationen der Sozialen Arbeit und die Führungskräfte damit „Dilemmatamanagementprofis“ (vgl. näher Grunwald, 2022:92ff).

Wichtig ist nur, sich der mit der Leitbildentwicklung einhergehenden Dilemmata bewusst zu sein: Es ist wichtig, nicht der Vorstellung zu erliegen, dass Leitbilder „die Lösung für alles“ sind.

Die Mitarbeitenden werden nach erfolgter Leitbildentwicklung und -veröffentlichung immer noch Orientierung im Alltag suchen. Klient:innen und Angehörige werden immer noch frustriert auf für das Überleben der Organisation notwendige, aber eben nicht individuell passende Entscheidungen reagieren. Die Öffentlichkeit wird immer noch genau hinschauen (ggfs. sogar noch genauer), ob es denn legitim ist, wenn die Geschäftsführerin eines angeblich „sozialen“ Komplexträgers mit mehreren tausend Mitarbeiter:innen einen BMW und keinen Ford Fiesta fährt. Und genauso werden die Kostenträger trotz aller Beteuerungen, dass doch so wahnsinnig qualitativ gearbeitet wird, immer noch mehr bürokratische Anforderungen stellen, um irgendwie „messbar“ zu machen, was mit den ganzen Geldern geschieht. Da kommt man nicht raus.

Trotzdem (oder gerade deswegen) sind aus meiner Sicht mehrere Aspekte in der Leitbildentwicklung hilfreich, die es zu beachten gilt:

Prozess mehr als Präsentation

Kühl (2017:68) schreibt, dass „die Verständigung über einen Wertekatalog zwischen Management und Mitarbeitern (…) im Prozess der Erstellung des Leitbildes und nicht im Moment der Präsentation“ erfolgt.

M.a.W.: Der Prozess der Leitbildentwicklung in der Sozialwirtschaft ist wichtiger als die Präsentation auf der Website, in Hochglanzbroschüren oder auf schicken Postern an Wänden.

Nachvollziehbar, aber mühsam. Denn anstatt allein im stillen Kämmerlein ein fertiges Leitbild zu erarbeiten und dann zu verkünden, geht’s um die partizipative Erarbeitung des Leitbilds, da ein Leitbild ein Produkt interner Kommunikationsprozesse ist. Es entsteht durch die Auseinandersetzung der Organisation mit sich selbst und ihrer Umwelt.​

Entsprechend relevant sind die Partizipationsmöglichkeiten am Prozess der Leitbildentwicklung.

Den Prozess effizient gestalten

Organisationen der Sozialwirtschaft sind keine StartUps mit ein paar Mitarbeitenden. Wir haben es oftmals mit „Konzernstrukturen“ zu tun, mit mehreren tausend Mitarbeiter:innen, die dann auch noch sehr dezentral in häufig völlig verschiedenen Arbeitsfeldern tätig sind.

Partizipation kann in diesen Kontexten entsprechend nicht bedeuten, dass jede:r „seinen Senf“ von Beginn an zum Leitbild beitragen kann. Das wäre vielleicht spannend, aber wenig funktional geschweige denn effizient.

Entsprechend gilt es, Partizipation effizient zu gestalten. Für mich heißt das konkret, im ersten Schritt (wenn möglich) so etwas wie einen „KickOff“ durchzuführen – eine Großgruppenveranstaltung (bspw. Open Space), in der Eindrücke, Aussagen, Meinungen usw. gesammelt werden. Hier kann es nicht darum gehen, konkrete Aussagen zum Leitbild zu diskutieren, das sprengt den Rahmen.

Im zweiten Schritt werden die Ergebnisse des KickOffs durch eine idealerweise interdisziplinär zusammengesetzte Projektgruppe zu einem weitgehend ausgearbeiteten Leitbildentwurf zusammengeführt.

Der dritte Schritt ist dann, den Entwurf zur ernsthaften Diskussion zu stellen. Ich betone das „ernsthaft“, da Mitarbeiter:innen sehr schnell spüren, wenn es reine Informationsveranstaltungen sind und kritische Einwände und Anregungen folgenlos bleiben.

Von Werten zu Prinzipien

Neben der partizipativen Erarbeitung von für die Organisation passenden Werten ist die Ableitung von aus den Werten folgenden, handlungsleitenden Prinzipien relevant.

Prinzipien lassen sich als allgemeingültige und nicht verhandelbare Spielregeln oder Handlungsleitlinien für die Arbeit in Teams und Organisationen definieren, die sich aus den formulierten Werten ableiten.

Wichtig ist dann, die aus den Werten abgeleiteten Prinzipien zum einen möglichst präsent zu halten. In Teamsitzungen, Gesprächen unter Mitarbeiter:innen und Führungskräften ebenso wie in Gesprächen mit Klient:innen sollten die Prinzipien tatsächlich angewendet werden, um der Gefahr zu begegnen, ein ähnliches Schicksal zu erleiden wie viele vergilbte Leitbilder vieler Organisationen:

Zwar existent, aber alles andere als lebendig.

Leitbildpyramide mehr als Leitbild

Der Begriff der Leitbildpyramide kommt aus dem Kontext der Strategiearbeit.

Unter einer Leitbildpyramide verstehe ich die Zusammenführung von der Vision, der Mission, den Werten, den Prinzipien und der Strategie(n) der Organisation an einem Ort (bzw. in einem Dokument).

Denn die Strategie(n) der Organisation sollten sich auf den bzw. die Zweck(e) der Organisation beziehen und damit darauf, wozu die Organisation existiert.

Und wenn man die Pyramide von unten betrachtet, ergeben sich über die Strategie(n) (hoffentlich) auch Orientierungen, wie die im Leitbild formulierten Werte mit Leben gefüllt werden.

Weiterentwicklung

Im Beitrag zur Strategieentwicklung in Organisationen der Sozialen Arbeit habe ich geschrieben, dass ich mir unschlüssig bin, ob Organisationen alle paar Jahre eine neue Strategie benötigen.

Selbstverständlich ist es sinnvoll, regelmäßig aus dem Alltag auszusteigen und zu überlegen, was in Zukunft für die eigene Organisation überlebenswichtig sein wird. Genau dazu dienen beispielsweise „Strategieklausuren“. Genauso wichtig ist es jedoch, kontinuierlich über die Zukunft nachzudenken und die Strategie(n) regelmäßig (z. B. jährlich) zu überprüfen und weiterzuentwickeln.

Gleiches gilt auch für das Leitbild.

Es reicht aus meiner Sicht nicht aus, das Leitbild alle paar Jahre hervorzukramen, sich zu wundern und dann den Prozess der Leitbildentwicklung zu beginnen. Sinnvoller ist es, das Leitbild kontinuierlich und vor dem Hintergrund der aktuellen Bedingungen anzupassen.

Wenn ein Leitbild jedoch so genutzt wird, wie oben beschrieben, dann passiert das automatisch: Solange das Leitbild kontinuierlich im Fokus der Organisation bleibt und bei Neueinstellungen, Teamsitzungen, Entscheidungen usw. als Orientierung dient und nicht erst nach zehn Jahren hektisch hervorgeholt wird, erfolgen Anpassungen automatisch, da sich die Realität geändert hat.

Darüber hinaus empfehle ich, regelmäßige Zyklen der Überprüfung festzulegen und das Leitbild beispielsweise einmal im Jahr in der Leitungsklausur anzuschauen. Im Sinne einer Retrospektive sollte dann bewusst entschieden werden, ob und gegebenenfalls welche Anpassungen notwendig sind.

So bleibt das Leitbild ein lebendiges Dokument der Organisation.

Ehrlich sein

Wie ich oben geschrieben habe, gehen mit den Formulierungen von Werten oftmals Widersprüche einher (bspw. Wirtschaftlichkeit vs. Mensch im Mittelpunkt).

Anstatt so zu tun, als würden diese Widersprüche nicht existieren, und die formulierten Werte als „verbindliche Grundlage unserer Arbeit” darzustellen, macht es aus meiner Sicht mehr Sinn, die Widersprüche beispielsweise in der Präambel zum Leitbild bspw. wie folgt anzusprechen:

„Unser Leitbild formuliert Werte, die unser Handeln leiten und prägen sollen. Wir sind uns bewusst, dass einige dieser Werte in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen können, beispielsweise die Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und dem Wohl des Einzelnen. Diese Widersprüche betrachten wir nicht als Problem, sondern als Ausdruck der Vielfalt und Komplexität unserer Aufgaben. Sie eröffnen Raum für ehrlichen Dialog und verantwortungsvolle Entscheidungen, die den jeweiligen Kontext berücksichtigen. Unser Ziel ist es, diese Spannungsfelder nicht zu ignorieren, sondern sie aktiv und bewusst auszubalancieren.“

Neben dem, dass die Mitarbeitenden gut mit Ehrlichkeit umgehen können, wird so auch dem Frust bei allen Stakeholdern vorgebeugt, der entsteht, wenn Entscheidungen getroffen werden müssen, die einen der formulierten Werte verletzen.

Fazit, oder: Erfolgsfaktoren für die gelingende Leitbildentwicklung in der Sozialwirtschaft

Zusammenfassend solltest Du Dir immer die Frage stellen, welches Problem die angestrebte Lösung lösen soll. Das gilt nicht nur, aber auch für die Leitbildentwicklung in der Sozialwirtschaft.

Und die Befassung damit zeigt auf, dass Leitbilder gerade in Organisationen der Sozialen Arbeit wichtig und notwendig sind, die Hoffnungen auf Orientierung nach innen und außen jedoch meist nicht erfüllt werden können.

Das führt aber nicht dazu, die Leitbildentwicklung zu vernachlässigen, sondern dazu, sich über die Herausforderungen bewusst zu werden. So kann es gelingen, die Widersprüche in Möglichkeiten der bewussten Auseinandersetzung zu transferieren.

Und das wiederum hilft allen Beteiligten – Mitarbeitenden, Klient:innen, Kostenträgern und der Öffentlichkeit.

Das Leitbild kann so zu einem kraftvollen Instrument werden, das auch dazu beiträgt, die Organisationskultur mitzugestalten und die Qualität der Arbeit zu sichern.

Voraussetzung dafür ist ein effektiver, effizienter und partizipativer Entwicklungsprozess, der den Prozess der Arbeit am Leitbild ins Zentrum rückt und die Spezifika von Organisationen der Sozialen Arbeit berücksichtigt.

Wie ist es bei Dir: Kennst Du das Leitbild Deiner Organisation? Wie war der Prozess? Lass‘ doch gerne einen Kommentar hier auf dem Blog oder schreib‘ mir direkt per Mail.

Ach ja, und natürlich stehe ich Dir gerne zu Fragen rund um die Leitbildentwicklung in Deiner Organisation zur Verfügung.

Quellen:

  • Epe, H., Ottmann, S. (2024): Wirkungsorientierung als ein Leitprinzip in Leitbildern der Sozialen Arbeit. Zugriff am: 16.05.2025. Verfügbar unter: https://blog.soziale-wirkung.de/2022/12/21/wirkungsorientierung-leitprinzip-leitbild-soziale-arbeit/
  • Gesmann, S., Merchel, J. (2021): Systemisches Management in Organisationen der Sozialen Arbeit. Handbuch für Studium und Praxis. 2. Auflage. Carl-Auer-Verlag.
  • Grunwald, K. (2022): Management sozialwirtschaftlicher Organisationen. Eine Einführung. Springer VS.
  • Kühl, S. (2017): Leitbilder erarbeiten. Eine kurze organisationstheoretisch informierte Handreichung. Springer VS.
  • Luhmann, N. (1972): Rechtssoziologie. Rowohlt.

Kollaboration im Team, oder: Wie Du Leitlinien für die Zusammenarbeit entwickelst

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Achtung, Achtung, nach den positiven Reaktionen auf den Beitrag habe ich einen kleinen Online-Workshop terminiert, in dem wir auf das Thema „Leitlinien für die Teamarbeit“ gesondert eingehen. Hier gibt’s mehr Infos!


Ich wurde zu meinem Beitrag zur Notwendigkeit von Leitlinien für die Zusammenarbeit im Team gefragt, wie denn konkret vorzugehen ist, um die Kollaboration im Team mit Leitlinien zu verbessern und was in den Leitlinien stehen sollte. Meine Erfahrungen dazu, mein Vorgehen und eine mögliche Gliederung mit entsprechenden Fragen, will ich hier für Dich beschreiben.

Dabei muss klar sein:

Es kann keine allgemeingültigen Leitlinien für Kollaboration im Team geben. Jedes Team ist anders, verfolgt andere Ziele, arbeitet orientiert an anderen Werten zusammen. Das ist nicht nur normal.

Das ist in einer komplexen Welt auch hochgradig sinnvoll, da steigende äußere Komplexität nur durch entsprechende innere Komplexität gestaltet werden kann. Klingt komisch, heißt aber nur:

Wenn von außen mehr und unterschiedliche Anforderungen kommen, muss es innerhalb der Organisation mehr und unterschiedliche Andockpunkte – Diversität und Selbstbestimmung – geben, um zweckgerichtet agieren zu können.

Warum Leitlinien für die Kollaboration in Team?

Bevor ich in die Entwicklung einsteige, nur kurz zur Wiederholung aus dem letzten Beitrag:

Viele Organisationen haben ein Leitbild, das jedoch auf Teamebene wenig lebendig ist: Die Übersetzung der globalen Werte auf Teamebene fehlt oder fällt zumindest schwer.

Gerade jedoch die gemeinsame Auseinandersetzung zur Frage, wie die Zusammenarbeit ganz konkret im Team gestaltet werden soll, die Festlegung von Werten und Prinzipien und das Committment auf gemeinsam definierte Regeln macht Sinn, um Orientierung in komplexen Situationen zu bekommen.

Ja, ich weiß: Festlegungen finden Menschen im sozialen Bereich nicht so prickelnd, es erleichtert aber wirklich die Arbeit…

Konkret macht sich der Nutzen von Leitlinien für die Zusammenarbeit im Team bspw. an Entscheidungsfragen fest, die in einer Pattsituation zu enden drohen:

„Sollen wir eher die Bedarfe der Mitarbeiter_innen oder eher die Bedarfe der Klient_innen berücksichtigen?“

Eine Festlegung in den Leitlinien, die besagt „Fokus Klientel mehr als Fokus Mitarbeiter“ würde diese Frage beantworten.

Noch ein Punkt: Gerade in Phasen von Homeoffice und Remote Work können Leitlinien auf Teamebene Orientierung geben. Und diese Orientierung – das haben wir vermutlich alle erlebt – ist enorm wichtig, wenn sich Teamarbeit und Kollaboration in die virtuelle Welt verlegt. Denkt also bei der Entwicklung Eurer Leitlinien – sofern nötig – die digitalen Settings direkt mit:

Wie kann virtuelle Zusammenarbeit in Eurem Team erfolgen? Welche Leitlinien braucht es dafür? Gibt es Unterschiede?

Der Prozess: Wie Du Leitlinien für die Kollaboration im Team entwickelst!

Grundsatz Partizipation

Ein eigentlich logischer Grundsatz vorab:

Leitlinien für die Zusammenarbeit im Team sind möglichst partizipativ im Team zu entwickeln. Die Beteiligung aller Teammitglieder (und manchmal sind das nicht so wenige Menschen) ist notwendig, um eine Verbindlichkeit zu den Leitlinien zu bekommen. Die „im Elfenbeinturm“ von der Teamleitung erarbeiteten Leitlinien sind oftmals das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind.

Dieser Grundsatz gilt übrigens auch für die Leitbilder der Gesamtorganisation: Die Einbindung von mehr Personen macht mehr Sinn, wenn man zu lebendigen Leitbildern kommen will.

Workshop analog oder digital

Sinnvoll für die Erarbeitung der Leitlinien hat sich ein Tagesworkshop bzw. Klausurtag herausgestellt, in dem sich die Teammitglieder auf die Aufgabe und Themenfelder (s.u.) wirklich konzentrieren können. Optimalerweise findet der Tag nicht in der eigenen Organisation, sondern an anregenden Orten in der Umgebung statt. Das öffnet den Raum und die Gedanken. Und ideal ist, den Tag von jemandem, der_die nicht Teammitglied ist, moderieren zu lassen.

On-Site Workshops, also analoge Veranstaltungen vor Ort sind aktuell aber eher schwierig – wegen Du weißt schon was. Außerdem sind die Ressourcen gerade für soziale Organisationen oft knapp. Hinzu kommt die Problematik, dass oftmals Klientel für 24h an 365 Tagen im Jahr zu betreuen ist und damit ein gemeinsamer Teamtag nicht möglich ist. Dann geht die Entwicklung auch online als Remote-Workshops (ein wenig Technik und eine funktionierende Internetverbindung vorausgesetzt).

Aktuell begleite ich einen Prozess, in dem wir in mehreren, kurzen Online-Settings Leitlinien für die Zusammenarbeit im Team peu a peu entwerfen. Das spart Ressourcen und ermöglicht die Einbindung auch der Teammitglieder, die zum aktuellen Zeitpunkt Dienst haben und nicht teilnehmen können.

Ach ja: Sollte eine externe Begleitung nicht möglich sein, macht es trotzdem: Denkbar ist ja, dass die einzelnen Themen, die ihr für Euer Team festlegt, von einzelnen Kolleg_innen als Entwürfe erarbeitet werden. Innerhalb der Teambesprechungen können die Themen dann diskutiert und zusammengeführt werden.

Eine denkbare Gliederung der Leitlinien

Noch einmal, weil es so relevant ist:

Es gibt keine Blaupause für Leitlinien. Jedes Team ist anders, arbeitet anders, hat andere Aufgaben und einen anderen Existenzzweck. Entsprechend sind die folgenden Aussagen beispielhaft! Nutzt diese als Anregungen und passt sie für euch und Euer Team an!

1. Mission/purpose des Teams

„Das englische Wort purpose, das in diesem Kontext auch im Deutschen genutzt wird, lässt sich übersetzen mit ‚Sinn und Zweck‘, Daseinszweck oder Bestimmung.“ (https://newworkglossar.de/warum-brauchen-organisationen-einen-purpose/) Mir reicht eigentlich der Begriff der Mission, der ebenfalls den Zweck beschreibt, aber im Begriff purpose kommt noch eine Zukunftsperspektive hinzu:
Stellt Euch also die Fragen:

  • Wofür existiert dieses Team?
  • Was ist sein Daseinsgrund?
  • Was ist sein Auftrag in der Organisation?

Die Antwort auf diese Fragen dient später als Nordstern, als Ausrichtung für Teamentscheidungen.

2. Wirkung und Ziele

Hier lauten mögliche Fragen:

  • Woran erkennt ihr, dass ihr gute Arbeit macht und als Team Wirkung erzeugt?
  • Welche Kriterien könnt ihr anlegen, um die Wirkung zu messen?

Ja, ich weiß, oftmals ist es nicht ganz einfach, die Wirkung personenbezogener, sozialer Dienstleistungen zu messen. Und trotzdem (oder gerade deshalb) braucht es eine Orientierung, ob und wie soziale Arbeit gut funktioniert. Schaut mal auf dem Blog von Sebastian Ottmann vorbei, da geht es genau um das Thema Wirkung. Von dort habe ich auch die Definition von Wirkung als „Eingetretene Veränderungen oder Stabilisierungen bei den Zielgruppen eines (…) Programms (…), die ursächlich auf dieses Programm zurückgehen.“ (Balzer & Beywl, 2015, S. 192) Balzer, L. & Beywl, W. (2015). evaluiert: Planungsbuch für Evaluationen im Bildungsbereich (1. Auflage.). Bern: hep verlag ag.)

3. Kommunikation

Hier wird es wieder sehr konkret:

  • Wann kommuniziert ihr?
  • Wann finden Teamsitzungen statt?
  • Über welche Tools kommuniziert ihr (vor allem in der digitalen Kommunikation)?
  • Finden Teamsitzungen in der Regel remote statt (warum nicht) oder analog?
  • Warum?

4. Dokumentation und Aufgaben

Im Zusammenhang mit der Kommunikation steht die Frage, wo getroffene Entscheidungen und Beschlüsse, aber auch andere Informationen festgehalten werden.

  • Wo finden sich welche Infos, die für die Teamarbeit wirklich wichtig sind?
  • Gibt es Protokolle?
  • Oder macht die Arbeit auf virtuellen oder analogen Whiteboards mehr Sinn?
  • Wo finden sich die Projekte, die ihr als Team angehen wolltet?
  • Wo lässt sich deren Status einsehen?

Und ganz ehrlich: Ich kenne einige Einrichtungen und Teams, in denen „vor sich hingewurschtelt“ wird. Es wird viel Zeit auf die Suche nach den richtigen Dokumenten verwendet, der Frust ist hoch, wenn Martin mal wieder in das falsche Dokument die richtigen Inhalte geschrieben hat und die Projekte, die wir als Team angehen wollten, kommen zum dritten Mal auf die Tagesordnung im Team… Das nervt nicht nur, das kostet auch richtig Geld und führt zur eine minderen Qualität Eurer Leistungen gegenüber der Klientel.

Abschließend: Macht die Leitlinien sehr konkret, mit Namen! Als Beispiel:

„Unsere Protokolle legen wir in der Dateiablage unter XXXX ab. Verantwortlich für eine transparente Dokumentation ist Claudia, vertreten wird sie von Klaus.“

5. Entscheidungen

Wieder im Zusammenhang mit den beiden vorherigen Aspekten stellt sich immer wieder die Frage in Teams, wie Entscheidungen getroffen werden. Klar, meist gibt es eine Teamleitung. Aber ist es sinnvoll, dass die Teamleitung alle Entscheidungen treffen muss? Sicher nicht. Hinzu kommt, dass die Personalsituation dazu führen wird, dass wir in vielen Arbeitsfeldern zukünftig zwangsläufig mit verstärkt selbstbestimmt arbeitenden Teams agieren müssen: Niemand will mehr die Leitungsposten übernehmen. Daraus folgt, dass es Leitlinien bedarf, wie welche Entscheidungen getroffen werden. Ich will hier nicht in die Tiefe gehen, Euch aber zwei Ressourcen an die Hand geben, die hilfreich sein könnten:

a) das „Delegation Board“ (schaut mal in diesen Artikel, der sehr schön das Vorgehensweise erklärt) und

b) das „Handbuch der Entscheidungen“, zu dem ihr hier mehr Infos finden könnt.

Kurz: Es gibt mehr und sinnvollere Möglichkeiten, gute Entscheidungen schnell im Team zu treffen als demokratische Abstimmungen, Konsens-Gelaber oder von oben durchgesetzte Anweisungen.

6. Verbindlichkeit

Hier geht es weg von der konkreten, hin zur Ebene der Werte, die ihr im Team leben könnt. Eng verbunden mit den Aspekten zuvor ist für mich der Punkt „Verbindlichkeit“, da Teamentscheidungen nur dann sinnvoll sind, wenn sich alle von der Entscheidung Betroffenen auch daran halten. Das macht es übrigens so sinnvoll, nicht nur die Teamleitung oder immer alle entscheiden zu lassen, wenn nicht immer alle und die Teamleitung schon gar nicht von der Entscheidung unmittelbar betroffen sind.

7. Entwicklung und Lernen

Das betrifft die Frage, wie ihr euch als Menschen und als Team entwickelt, lernt und bspw. auch mit Fehlern umgehen wollt. Aber auch Fragen, wer wie welche Fort- und Weiterbildungen wahrnehmen kann und soll, hängt hiermit zusammen.

8. Transparenz

Auch dieser Aspekt ist auf Ebene der Werte angesiedelt, spielt aber im Rahmen der zunehmend selbstbestimmten Entscheidungen in Teams eine wesentliche Rolle: Wir können nur dann gut arbeiten, wenn offen, ehrlich und transparent kommuniziert wird. Wissen darf nicht zum eigenen Vorteil zurück gehalten werden und Mitarbeiter_innen können die Wahrheit sehr gut vertragen (es sind immerhin erwachsene Menschen, die auch noch bezahlt werden…). Und die Wahrheit betrifft auch finanzielle Aspekte oder Kennzahlen der Organisation. Denn wenn es finanziell nicht gut läuft, wissen die Mitarbeiter das sowieso schon – oft vor den Führungskräften.

9. Und so weiter und so fort…

Eurer Kreativität sind keine Grenzen gesetzt:

  • Welche Werte sind Euch als Team wirklich wichtig? Und vor allem:
  • Wie gelingt es, diese Werte in konkrete, handlungsleitende Prinzipien zu übersetzen?

Das ist wichtig:

Leitlinien sind nur dann sinnvoll, wenn sie von der abstrakten Ebene zu ganz konkreten, umsetzbaren und Orientierung gebenden Leitplanken werden. Scheut euch nicht, Verantwortlichkeiten festzulegen und Namen in die Leitlinien zu schreiben. Erst dadurch ergibt sich „skin in the game“, erst dann tut es für mich weh, wenn ich meiner Aufgabe nicht nachkomme.

Leitlinien für die Kollaboration im Team sind „working papers“

Abschließend der erneute Hinweis:

Leitlinien bringen nichts, wenn sie zu Leidlinien werden, wenn sie vor sich hin gammeln und in irgendwelchen Schubladen vergilben.

Leitlinien für die Zusammenarbeit im Team sind sinnvoll, wenn wirklich mit ihnen gearbeitet wird, wenn sie Grundlage für die Teamsitzungen sind und – ganz wichtig – wenn sie regelmäßig (reicht jährlich???) angeschaut und überarbeitet werden.

Aber auch hier wieder: Wer ist für die Nutzung und Überarbeitung der Leitlinien verantwortlich? Wählt eine Person aus dem Team, die zuständig und verantwortlich ist. Auch, wenn es sich zunächst ungewohnt anfühlt!


P.S.: Nach den positiven Reaktionen auf den Beitrag habe ich einen kleinen Online-Workshop terminiert, in dem wir auf das Thema „Leitlinien für die Teamarbeit“ gesondert eingehen. Hier gibt’s mehr Infos!

P.P.S.: Habt ihr Leitlinien im Team? Gelingt die Arbeit damit? Und falls nicht: Habt ihr Lust, welche zu erarbeiten? Dann nehmt gerne Kontakt auf…