Keine Panik, oder: 4 Schritte zur pragmatischen Organisationsentwicklung

Wie gelingt pragmatische Organisationsentwicklung in Zeiten radikaler Veränderung? Dazu finden Sie hier ein paar Ideen...
Pragmatische Organisationsentwicklung

Inhalt:

„Soziale Organisationen müssen sich digitalisieren, um nicht „von der Plattformökonomie disrupiert zu werden!“ Diese oder ähnliche Sätze hört man häufig: Die digitale Transformation, definiert als der durch Technologie angetriebene Wandel aller Lebensbereiche und insbesondere der Organisationen, bedeutet Disruption, radikale Veränderung! Alles neu und anders! Wir leben in einer VUCA-Welt und verstehen weder die dahinter stehenden Definitionen noch die (vielleicht) bevorstehenden Veränderungen. Und in jedem zweiten Buch zum Thema Digitalisierung steht, dass wir eigentlich verloren haben und das Ruder hart herumreißen müssen, um morgen überhaupt noch etwas zu essen zu haben! Wir brauchen, verdammt noch mal, mindestens Panik! Drunter macht es keiner.

PANIK !!!!1!111!!1!1

VUCA-Welt stimmt natürlich. Genauso wie die Wahrnehmung stimmt, dass wir neue, zeitgemäße Organisationen brauchen. Aber:

Die Erkenntnis, dass sich vieles ändern muss, hilft wenig, solange nicht deutlich wird, wie die Veränderungen vonstatten gehen und vor allem: wo sich erste, sinnvolle Schritte finden lassen, um sich erfolgreich auf den Weg zur Gestaltung zeitgemäßer Organisationen zu machen.

Im Folgenden finden Sie erste Schritte, wie soziale Organisationen die anstehenden Veränderungen zu einem echten Mehrwert werden lassen. Und das ganze dann auch noch echt pragmatisch.

Sie werden sehen:

Panik allein hilft nicht, half noch nie, aber: Das war Ihnen eigentlich schon klar, oder?

Warum Pragmatismus?

Ich habe in den letzten Wochen das mehr als lesenswerte Buch „Das Pragmatismus-Prinzip“* von Dirk von Gehlen gelesen.

Auf der Homepage zum Buch heißt es, dass „das Pragmatismus-Prinzip hilft, Entwicklungen der Zukunft besser einzuschätzen – und schützt davor, auf Hypes und Panikmache hereinzufallen.“

Zusammenfassend genau das, was aus meiner Perspektive dringend gebraucht wird, wenn es um die Entwicklung unserer Organisationen geht:

Ja, wir müssen das Neue, die Zukunft, annehmen und in die Entwicklungen der Organisationen einbringen. Wir müssen verstehen, was gerade – mit Blick auf die Transformationsprozesse, die großen Megatrends insgesamt und insbesondere mit Blick auf die digitale Transformation – vonstatten geht.

Aber bitte:

Ohne Panikmache!!!!1!1!1!!

Ja, wir kennen uns nicht mehr aus. Ja, die Komplexität und die Geschwindigkeit der Veränderungen haben zugenommen. Wir wissen auch, dass einfache Antworten komplett für die Katz‘ sind, suchen aber oft genau danach: Rezepte, die für uns genauso funktionieren wie für unsere Nachbarin genauso wie für unseren Opa und unser Patenkind.

Übertragen auf die Entwicklung von Organisationen sind wir auf der Suche nach „Orbit-Organisationen“, nach „mehr New Work und weniger Hierarchien“, nach Holacracy, nach kollegialer Führung und Unternehmensdemokratie und vielem mehr.

Das ist alles gut und wichtig, verkennt aber die Komplexität und die Ratlosigkeit, die alle – auch die noch so guten Berater*innen – haben, wenn es um die ganz konkrete, um Ihre Organisation geht.

Keine unveränderlichen Prinzipien!

Mit Blick auf die Pragmatismus-Definition bei Wikipedia wird es dann sehr greifbar. Dort heißt es:

„Der Ausdruck Pragmatismus (…) bezeichnet umgangssprachlich ein Verhalten, das sich nach bekannten situativen Gegebenheiten richtet, wodurch das praktische Handeln über die theoretische Vernunft gestellt wird. Die philosophische Tradition Pragmatismus geht davon aus, dass der Gehalt einer Theorie von deren praktischen Konsequenzen her bestimmt werden soll (Pragmatische Maxime). Daher lehnen Pragmatisten unveränderliche Prinzipien ab.“

Lass mal machen!

Der Widerspruch, ein Buch „Pragmatismus-Prinzip“ zu nennen, ist schon lustig, die Herangehensweise an die Zukunft aber – für mich zumindest – mehr als spannend:

Das Prinzip „Lass mal machen!“ rückt in den Vordergrund, ohne zu wissen, wie genau es geht.

Und hier setzt der Blick auf die Organisationen an.

1.: Beobachten, Verstehen, Bewerten

Bevor Sie damit beginnen, die Hierarchien Ihrer Organisation einzureißen, Ihre mehr als unfähigen Mitarbeiter*innen und vor allem die nicht mehr zu gebrauchenden Führungskräfte zu entlassen und abgrundtief alles neu und anders zu machen, macht es Sinn, innezuhalten und Ihre eigene Organisation zu beobachten:

Was passiert eigentlich gerade, warum passiert das, was passiert und wozu ist das, was passiert, gut und wichtig?

Die Beobachtung und der anschließende Versuch des Verstehens des „Wozu“ ist wichtig, denn: In Sozialen Systemen – und Ihre Organisation ist ein solches soziales System – passiert nichts „einfach so“:

Alle Verhaltensweisen, alle Regeln und Strukturen, alle Kommunikation passiert aus (mehr oder weniger nachvollziehbaren) Gründen. Das System versucht, sich selbst am Leben zu erhalten.

Ihre Organisation – ob Sie dies wollen oder nicht – produziert und reproduziert sich selbst. Wenn ein Team nicht funktioniert wie es soll, wird das System alles daran setzen, die Funktionsfähigkeit wieder herzustellen. Wenn Sie hier (dafür können Sie einsetzen, was Sie wollen) etwas ändern, wird dies Auswirkungen an anderer Stelle haben. Das passiert immer, aber leider – das ist Komplexität – kaum so, dass Sie es vorab planen aka vorhersagen können.

Es bleibt aber die Frage, was genau Sie beobachten wollen.

Zur Klärung lohnt die Beschäftigung mit dem St. Galler Management-Modell. Mit diesem Modell wird die hinter einer ganzheitlichen Sichtweise auf Ihre Organisation stehende Komplexität deutlich.

Damit können Sie von der IT-Infrastruktur über die Organisationsstruktur, die Geschäfts-, Unterstützungs-, Vernetzungs- wie auch die Führungsprozesse und die Strategie bis hin zur Innovationsentwicklung alle Bereiche anzuschauen, wenn Sie Ihre Organisation in die Zukunft entwickeln wollen.

Nehmen Sie sich einen Bereich heraus und beobachten Sie, was passiert. Erst wenn Sie verstanden haben, warum die Menschen agieren, wie sie agieren, sollten Sie die Verhaltensweisen bewerten und an Handlungsoptionen bzw. ersten Maßnahmen überlegen.

Von Gehlen schreibt: „Mache Dich vertraut mit dem Unvertrauten, Neuen und Unsicheren.“

2.: Mögliche Maßnahmen ableiten

Basierend auf der Beobachtung, dem Verstehen und den darauf basierenden Bewertungen können Sie Maßnahmen ableiten, wie Sie in dem jeweiligen Bereich nutzbringend Veränderungen initiieren wollen.

Fragen zur Ableitung von Maßnahmen sind bspw.:

Was können wir bspw. im Recruiting anders machen? Welche Möglichkeiten ergeben sich durch die Digitalisierung in der Zusammenarbeit der Mitarbeiter*innen? Welche neuen Marketingkanäle eröffnen sich, wenn die Nutzerinnen sozialer Dienstleistungen zunehmend mehr Wahlmöglichkeiten haben? Welche konkreten Maßnahmen lassen sich daraus ableiten?

Die abgeleiteten Maßnahmen basieren damit nicht mehr auf irgendwelchen Ideen, nicht mehr auf irgendwelchen Wunschvorstellungen einer möglicherweise besseren Zukunft. Die abgeleiteten Maßnahmen basieren ganz handfest auf den im Hier und Jetzt Ihrer Organisation bestehenden Möglichkeiten.

Es macht in Zeiten permanenter Veränderung keinen Sinn, irgendwelche Master-Pläne zu entwerfen und diese umzusetzen, wenn Sie die dafür notwendigen Mittel (Geld, Zeit, Kompetenzen) gar nicht haben.

Hier zeigt sich die Effectuation-Logik, bei der man – so Dirk von Gehlen (S. 83) – in kleinen Schritten losgeht und mit dem beginnt, was da ist.

„Denn es kommt nicht darauf an, welche Karten einem das Leben zuspielt, es kommt darauf an, mit dem Blatt zu spielen, das man bekommen hat. Auf diese Weise aufs Leben zu blicken heißt vor allem: sich den klaren Prognosen von Pessimisten wie Optimisten hoffnungsvoll zu widersetzen.“

Falls Sie mehr zur Methode „Effectuation“ wissen wollen, hier entlang.

Konkret heißt es jetzt also:

Welche Mittel haben Sie, mit denen Sie was angehen können? Welche Kompetenzen sind in Ihrer Organisation vorhanden? Wen kennen Sie, den Sie für die nächsten Schritte brauchen?

3.: Experimente machen

Die Liste möglicher Maßnahmen ist aufgrund der Ganzheitlichkeit des Themas „Organisationsentwicklung“ naturgemäß lang. Entsprechend ist es wichtig, sich konkrete Maßnahmen herauszugreifen und experimentierend mit deren Umsetzung zu beginnen.

Es geht dabei nicht darum, neue Großprojekte aufzusetzen. Es geht darum, in kurzen Schleifen (Iterationen) vorzugehen und den Fortschritt der Umsetzung der jeweiligen Maßnahme zu begleiten.

Wenn Sie also die Maßnahmen abgeleitet haben, bedeutet Pragmatismus, zu erkennen, dass auch Umwege zielführend sein können. Umwege ergeben sich dann, wenn nicht „auf Teufel komm raus“ an einem vorab festgezurrten Plan festgehalten, sondern Scheitern als Lernmöglichkeit akzeptiert wird.

Und Scheitern erledigt sich fast von selbst, wenn Sie anstatt in Projekten in Experimenten denken. Da das Wesen von Experimenten deren Ende ist, ist dieses (auch vorzeitige) Ende kein Scheitern, sondern die schon angesprochene Lernmöglichkeit.

In diesem Kontext bin ich vor Kurzem über einen schönen Beitrag von Marcus Raitner gestolpert, der über den Begriff „Wu Wei“ schreibt:

„Wu wei meint – ganz im Sinn der Agilität – das Erkennen und Nutzen der Möglichkeiten im Hier und Jetzt und daraus dann das Lernen Schritt für Schritt. So entsteht ungeplant und ohne Zwang im Fluss der Dinge aus kleinen Schritten Großes.“

4.: Ambiguitätstoleranz entwickeln

Dirk von Gehlen fasst in seinem Buch am Ende 30 Shruggie-Regeln zusammen (was genau der Shruggie ist, können Sie hier nachlesen). Dabei kommt er auch auf die zunehmenden Mehrdeutigkeiten in Zeiten der VUCA-Welt zu sprechen. Ambiguitäten, Mehrdeutigkeiten, bestimmen das Wesen der gesellschaftlichen Veränderungen. Und eine Auseinandersetzung mit diesen Mehrdeutigkeiten ist gerade für Führungskräfte hochgradig relevant.

So kommt den Führungskräften eine, wenn nicht die wesentliche Bedeutung für ein Gelingen organisationaler Veränderung zu. Und ein Umgang mit diesen Mehrdeutigkeiten gelingt durch: Gelassenheit, Gegenwärtigkeit. Hoffnung, Ratlosigkeit, Fröhlichkeit und Mut (von Gehlen, S.199f).

Ich erläutere die einzelnen Werte hier bewusst nicht, da sich diese im Buch wiederfinden. Nur die Ratlosigkeit mag ich herausgreifen:

Ratlosigkeit meint in diesem Kontext, überfordert zu sein und kein Problem damit zu haben.

Für Führungskräfte ist dies ein Zustand, der beinahe undenkbar ist: Eigentlich haben sie (oder Sie) doch immer eine Antwort!!! Und jetzt auf einmal nicht mehr? Genau:

In Zeiten, in denen kaum noch etwas mehr als sicher gelten kann, können einfach Antworten nicht zielführend sein. Vielmehr ist auf das Wissen der Vielen zu vertrauen, auf verstärkte Selbstorganisation.

Fazit, oder: Vielleicht ist auch das Gegenteil richtig!

Tiefgreifende Veränderungen sozialer Systeme (und damit auch sozialer Organisationen) lassen sich nicht rezepthaft umsetzen, auch wenn dies die gängige Change-Management Literatur vermitteln will. Das oben beschriebene experimentelle Vorgehen ist zweckdienlicher:

Durch Experimente, durch die permanente Entwicklung im Sinne des „PDCA-Zyklus“ (Plan, Do, Check, Act) wird organisationales Lernen im Sinne evolutionärer (im Gegensatz zu revolutionärer) Entwicklung möglich.

Bei allen Maßnahmen muss der Nutzen im Vordergrund stehen: Wozu wollen Sie dies und jenes Projekt machen? Wozu wollen Sie diese und jene App entwickeln lassen? Was würde wirklich passieren, wenn Sie es nicht tun würden? Und was würde passieren, wenn die Ausführungen in diesem Beitrag hier nicht stimmen und für Sie und Ihre Organisation ganz individuelle Vorgehensweisen besser wären?

Die Shruggie-Regeln Nummer 28 bis 30 lauten: „Erhebe nicht deinen Ansatz zu einzig richtigen Lösung.“, „Fange wieder von vorne an“ und „Vielleicht ist auch das Gegenteil richtig.“


Zum Weiterlesen:

  • Wie soziale Arbeit, oder: Warum es für erfolgreiche Digitalisierung sozialer Organisationen keine Lösungen gibt.

P.S.: Bei Fragen, Anregungen, Kritik und Anfragen für eine Zusammenarbeit stehe ich Ihnen per Mail oder auf allen anderen Wegen gerne zur Verfügung.

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