Wie Soziale Arbeit, oder: Warum es für erfolgreiche Digitalisierung sozialer Organisationen keine Lösungen gibt!

Keine Lösungen

Inhalt:

„Und wie machen wir es jetzt konkret?“ Bei jedem Workshop, bei jedem Vortrag und bei jeder Begleitung einer Organisation kommt diese – mehr als nachvollziehbare – Frage unweigerlich auf: Wie geht es denn jetzt konkret? Und meine Antwort ist immer: Ich weiß es nicht!

Ich habe keine Lösungen!

Im folgenden will ich skizzieren, warum diese Lösungslosigkeit (vermutlich einer) der Schlüssel für eine erfolgreiche Digitalisierung sozialer Organisationen ist und abschließend kurz darlegen, warum die Nähe zur Profession Sozialer Arbeit so bestechend ist. 

Kausales Management-Denken

Der Karriereweg vieler Führungskräfte sozialer Organisationen ist vergleichbar:

Nach einem fachlichen Studium (hier sowas wie Soziale Arbeit oder Heilpädagogik) verbringen die Menschen einen Teil ihres beruflichen Lebens an der „Basis“, wie es im sozialarbeiterischen Kontext heißt: Stationäre Jugendhilfe, Arbeit mit Obdachlosen, Kinderprogramme in der Schulsozialarbeit, Kickern, Kanu und Karate im Jugendzentrum o.ä. Im Vordergrund steht die „Arbeit mit Menschen“.

Meist absolvieren die Professionellen ein paar Zusatzqualifikationen (systemische Beratung, Erlebnispädagogik, Kunsttherapie o.ä.) und steigen dann, nach einer mehr oder weniger langen Zeit, „auf“. Aufsteigen bedeutet hier ein „Ausstieg“ aus der Arbeit an der Basis hin zu „Führungs- und Managementaufgaben“. Soweit, so normal und auf alle Branchen, auch außerhalb der Sozialwirtschaft, übertragbar.

Spannend wird jetzt jedoch, dass – meine subjektive These – aufgrund der in der Arbeit mit Menschen nicht vorhandenen Kausalität, diese im Management stärker eingefordert wird, als gut ist. Konkret: Gerade weil wir in der Arbeit mit Menschen oftmals nicht genau bestimmen können, was warum wie welche Wirkung gezeigt hat, versuchen wir, über kausale, ggf. komplizierte Management-Tools und -Denkhaltungen diese Klarheit zurück zu erlangen. Ich höre mich selbst noch im Studium die Forderung nach mehr betriebswirtschaftlichem Denken skandieren!

Als Führungskraft habe ich jetzt also endlich die Chance, mich auf die Dokumentation der Arbeit zu konzentrieren, Prozesse und Methoden in den Vordergrund zu stellen und tradierte Management-Logiken (QM, Prozesssteuerung, Wirkungsmessung, Zielvereinbarungen…) auf komplexe Sachverhalte (Arbeit mit Menschen) anzuwenden. Die Einhaltung von Vereinbarungen wird relevanter als die Lösung von echten Problemen echter Menschen. Die Aushandlung von Verträgen, die Diskussion von Hilfeplänen, die Vereinbarung von Zielen steht über der eigentlichen „sozialen“ Arbeit. Und wir können endlich mit Zahlen belegen, was wir den lieben langen Tag so tun.

Kausales Management-Denken und die digitale Transformation

Die obigen Ausführungen lassen sich ausführen, fortsetzen und ausschmücken.

Sie führen in der Arbeit mit Menschen jedoch – das kennen wohl die meisten – nicht zu guter, geschweige denn zu sozialer Arbeit. Sie führen zu Stress, Burnout und Unzufriedenheit auf allen (!) Seiten. Ich betone dieses „Alle“, da auch die Führungskräfte selbst nicht glücklich mit dem Vorgehen sind. So kommt bspw. die Studie „Führungskultur im Wandel“ von Peter Kruse zu folgender Einschätzung:

„Viele der 400 interviewten Führungskräfte sehen die Führungspraxis in Deutschland in großer Distanz zu den sich tatsächlich durch den Wandel der Arbeitswelt ergebenden Führungsanforderungen.“ (S. 11)

Problematisch ist jetzt, dass die digitale Transformation hinzukommt. Und ja, auch für soziale Organisationen! Dadurch steigt der Grad der in den Organisationen zu bewältigenden Komplexität exponentiell: Nicht nur die Arbeit mit den Menschen ist nicht mehr vorhersehbar, sondern auch die sich vollziehenden Entwicklungen im „außen“, der Umwelt der Organisation, sind zunehmend weniger vorhersehbar. Damit geht einher, dass die Unsicherheit gerade auf Seiten der Führungskräfte  – völlig nachvollziehbar – ansteigt. Die Führungskräfte sind immerhin für das „Funktionieren“ des Ladens verantwortlich und in entsprechenden Funktionen auch persönlich haftend.

Lösungslosigkeit lernen heißt Verlernen!

Hier besteht ein Problem:

Die für die erfolgreiche Bewältigung der „Management-Aufgabe“ erlernten Kompetenzen (Kontrollieren, Steuern, Anweisen) müssen verlernt werden. Statt „Kontrollieren, Steuern, Anweisen“ (ich weiß, etwas unterkomplex) geht es darum, die sich so oder so vollziehenden Entwicklungen zulassen zu können und immer wieder Impulse zu setzen, die es ermöglichen, die Richtung anzupassen.

Da bisherige, in linear und recht kontinuierlich verlaufenden Entwicklungen erfolgreiche, Vorgehensweisen, Methoden und Tools in Zeiten exponentieller Entwicklungen nicht mehr funktionieren, muss Platz geschaffen werden für die schon angesprochene Lösungslosigkeit.

Lösungslosigkeit ist ein lustiges Wort. Ernstgenommen jedoch erhöht sich die Möglichkeit, echte Innovationen realisieren zu können. Und die Innovationsfähigkeit ist in der digitalen Transformation zumindest eine Kernkompetenz für das Überleben sozialer Organisationen.

Keine Lösungen für die digitale Transformation

Eine Definition des Wortes Lösung ist laut Duden ein „durch die Anwendung spezieller Kenntnisse und Methoden ermitteltes Ergebnis, Verfahren, Vorgehen zur Bewältigung einer Schwierigkeit“. Die Übertragbarkeit des zuvor Geschriebenen ist mehr als einfach:

Die speziellen Kenntnisse und Methoden für das Ergebnis „erfolgreiche Digitalisierung“ existieren einfach nicht. Das existierende Wissen, die existierenden Methoden zur erfolgreichen „Führung und Leitung“ einer Organisation gelten in Zeiten der digitalen Transformation nur noch ganz bedingt und in eng abgrenz- und vorhersehbaren, komplizierten Bereichen. Bei Komplexität, bei Nichtwissen, bei Unsicherheit, bei Widersprüchlichkeit, kurz: in der VUKA-Welt gelten die Methoden und Kenntnisse nicht mehr.

Damit kann es auch keine Lösungen, keine Checklisten, keine 10-Punkte-Pläne, keine Rezepte für die erfolgreiche Digitalisierung sozialer Organisationen geben. Mit Blick auf die systemische Organisationsentwicklung kommt hinzu, dass sich soziale Systeme sowieso nie „geplant, gesteuert und kontrolliert“ und damit nicht linear entwickeln (auch wenn das so schön einfach wäre).

Verlernen, oder die Begleitung auf dem Weg ins Nichts

„Und wie machen wir es jetzt konkret?“ Keine Ahnung!

Damit stellt sich natürlich die Frage, inwieweit es Sinn macht, sich für den Weg in die digitale Transformation externe Begleitung einzukaufen. So basiert nicht nur mein Geschäftsmodell, oder zumindest ein Teil davon, darauf, soziale Organisationen zu unterstützen, den Weg in die digitale Transformation zu gehen.

Wenn es jedoch keine Lösungen gibt? Macht das Sinn und könnten Sie das Geld nicht besser sparen?

Hier bin ich skeptisch:

Wenn Sie sich damit abfinden können, dass Ihnen niemand die eine Lösung, das Rezept für die digitale Transformation Ihrer Organisation liefern kann, dann eröffnen sich enorme Möglichkeiten dahingehend, dass eine Begleitung, ein Sparingspartner, jemand, der von außen auf Ihre Organisation schaut und Impulse liefert, jemand, der im Netz unterwegs ist, neue Ideen und Anregungen einbringen kann. Eine Irritation des Systems Organisation ist von außen oftmals einfacher möglich, als von innen.

Wichtiger jedoch ist, dass das oben erläuterte Verlernen von bekanntem Wissen, Methoden und den angeblichen „Erfahrungen“ (ohne, dass ich Erfahrung und Intuition Geringschätzen würde) recht viel Zeit in Anspruch nimmt und durch neues Erfahrungen, neues Lernen ersetz werden müssen.

Die damit verstreichende Zeit ist jedoch fatal:

Wenn Führungskräfte sozialer Organisationen zu lange an Altbewährtem festhalten und die digitale Transformation als Schnupfen, der schon irgendwann wieder weg ist, behandeln, besteht die reale Gefahr, die Organisation kräftig vor die Wand zu setzen. Gründe sind auch disruptive digitale Geschäftsmodelle und damit wegbrechende Einnahmequellen.

Kurz- und mittelfristig sehe ich jedoch ein echtes Fachkräfteproblem:

Warum sollten junge Sozialarbeiter*innen in einer Organisation arbeiten, die durch Bürokratisierung, durch Angst vor der Zukunft, durch „altes Denken“ lahmgelegt ist? Warum sollten Menschen, die es in ihrer Freizeit gewohnt sind, digital zu agieren, in ihrem Beruf Anmeldungsfaxe versenden? Das wird nicht mehr lange funktionieren. Nein, eigentlich funktioniert es schon jetzt nicht mehr!

Hier immer wieder auf die Denkfallen alten Managements hingewiesen zu werden, macht Sinn.

Agile soziale Lösungen

Und dann kann auch ein schrittweiser, bedachter, sinnvoller Wandel hin zu agilen, flexiblen, innovationsfähigen sozialen Organisation erfolgen.

Es bedarf eines Wandels „zurück in die Zukunft„, der angestoßen werden muss. Dafür kann es keine Blaupausen geben, keine Lösungen im Sinne der obigen Definition. Es bedarf eines gemeinsamen Ausprobierens, Testens, Experimentierens.  Und, nur mal so: Experimente können nicht scheitern.

Und dafür wiederum gibt es sehr wohl Lösungen:

Agile Grundhaltungen, eine Auseinandersetzung mit New Work, mit neuen Organisationsformen, selbstorganisierten Arbeitsgruppen und der Frage, wie Innovation in Organisationen ermöglicht wird, kann man Lernen. Und es gibt verschiedene Tools und Methoden, die im Grunde die Verantwortung und Selbstbestimmung der Mitarbeitenden in den Vordergrund stellen, so dass Selbstorganisation und Eigenverantwortung nicht im Chaos enden.

Diese Methoden fruchten jedoch nur, wenn man von der Lösungslosigkeit überzeugt ist und sich damit seine Grundhaltung entwickelt hat.

Erfolgreiche Digitalisierung sozialer Organisationen ist wie soziale Arbeit

Während ich diesen Beitrag schreibe wird mir – wieder einmal –  klar, dass eine Auseinandersetzung mit der Digitalisierung sozialer Organisationen, der digitalen Transformation und damit einhergehend der Notwendigkeit der „agilen“ Entwicklung sozialer Organisationen hin zu New Work und Innovation extrem viele Parallelen zur Sozialen Arbeit als Profession aufweist:

Ohne in die Tiefe zu gehen, müssen sich Menschen in der Sozialen Arbeit schon immer mit plötzliche Veränderungen, Unsicherheit, Komplexität und Widersprächlichkeit auseinandersetzen. Das ist die sich (nicht nur) durch die digitale Transformation ergebende „VUKA-Welt“, auf die agile Methoden, New Work und die Entwicklung der Innovationsfähigkeit versuchen, Antworten zu finden.

Soziale Arbeit denkt systemisch und ganzheitlich, denkt im Empowerment der Menschen, denkt bezogen auf Menschen in einem bio-psycho-sozialen Menschenbild. Lösungen im klassischen Sinne der Anwendung von Expertenwissen existieren in der Sozialen Arbeit aus gutem Grund kaum.

So ist nicht immer ersichtlich, welcher Impuls in welches System zu welchen Veränderungen bei dem/der Klient*in geführt hat. Es wäre vielmehr vermessen und hochgradig unprofessionell, zu behaupten, dass diese und jene Intervention zu diesem und jenem Ergebnis geführt hat. Das macht es so anstrengend und herausfordernd, die „Wirkung“ sozialer Arbeit zu bestimmen. Das macht es so schwierig, Menschen aus anderen Professionen zu erläutern, was wir so tun.

Aber genauso wird die Zukunft: Unbestimmt, unklar, widersprüchlich, komplex.

Und genauso funktioniert die erfolgreiche Digitalisierung sozialer Organisationen: Sich vorantastend, experimentierend, in kleinen Schritten, sog. „Iterationen“.

Wie menschliche Entwicklung.

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3 comments on “Wie Soziale Arbeit, oder: Warum es für erfolgreiche Digitalisierung sozialer Organisationen keine Lösungen gibt!

  1. Martin Beck am

    Gerade eben lese ich in einer Fachzeitschrift, wie schlimm es sei, dass viele kleine und mittlere Sozialunternehmen noch nicht mit Feuer und Flamme auf den Digitalisierungszug aufgesprungen seien. Die Großen dagegen seien schon voll in Fahrt. Da frage ich mich doch, ob Digitalisierung per se etwas wünscheswertes sein kann, und wo dabei der Klient bleibt, der übrigens häufig, genau wie die Mehrzahl der Führungskräfte, aus der Papier-und-Bleistift-Zeit kommt und nicht mit dem Laptop unterm Kopfkissen schläft. Natürlich schreibe ich diesen Text nicht mit dem Griffel auf der Schiefertafel, sondern mit Hilfe eines ziemlich modernen tragbaren Geräts. Aber diese Veränderung des Schreibgeräts allein ist noch keine Digitalisierung. Wie Hendri Epe schon sagte: Es gibt keine (einfache/schnelle) Lösung.

    Antworten
    • HendrikEpe am

      Jepp, Digitalisierung als Selbstzweck mach null Sinn! Und dann muss man bei jeder Organisation hochgradig individuell schauen, welche Lösungen wie und vor allem wozu implementiert werden können.
      Das wissen die Organisationen jedoch am Besten.
      Es geht eher um das Zulassen, dieses Wissen auch nutzen zu dürfen.

      Ihnen einen guten Sonntag!

      Antworten

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