New Work, Rezession und die Rolle sozialer Organisationen

Rezession

Inhalt:

Die Konjunktur kühlt ab – Industrie in der Rezession“ oder „Die Industrie befindet sich in der Rezession“ oder auch „Angekommen in der Rezession“ – das sind die ersten Artikel aus der Wirtschaftswoche, der FAZ und der Süddeutschen Zeitung, wenn ich in meinem Ecosia google 😉 Spannend auch der Titel: „Geopolitische Rezession möglich“ bei diepresse.com.

Nur kurz: eine Rezession ist eine Konjunkturphase, in „welcher ein Abschwung der Wirtschaft verzeichnet wird. Nach der am meisten verbreiteten Definition liegt eine Rezession vor, wenn die Wirtschaft in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen im Vergleich zu den Vorquartalen nicht wächst oder ein Rückgang zu verzeichnen ist (sinkendes Bruttoinlandsprodukt).“ (Wikipedia) Man kann von dem BIP halten was man will: die obige Definition ermöglicht eine Einschätzung der wirtschaftlichen Leistung.

Das ist ja alles ganz spannend, aber solange Du Deinen Job noch nicht verloren hast, stellst Du Dir vielleicht die Frage: Was hat das, bitteschön, mit New Work und der Rolle sozialer Organisationen zu tun?

Um das zu beantworten bedarf es 1. eines kleinen Blicks darauf, warum sich so viele Unternehmen und ganze Branchen mit New Work – verstanden als zukunftsfähige und damit zeitgemäße sowie bedarfsgerechte Organisationsgestaltung – beschäftigen. Daran anschließend schauen wir gemeinsam 2. auf die Rolle sozialer Organisationen in diesem Kontext, aus zwei unterschiedlichen Perspektiven.

Dazu aber später mehr.

1 | Warum New Work als zeitgemäße Organisationsgestaltung?

Vor einiger Zeit habe ich in einer kleinen Serie bereits die Fragen nach „New Work“ recht ausführlich behandelt. Angefangen von dem, was unter New Work – aus meiner Perspektive – zu verstehen ist, über Fragen nach dem „Wie“ zeitgemäßer Organisationsgestaltung kam damals auch das „Warum“ und damit einhergehend auch das „Wozu“ bezogen auf New Work zur Sprache.

Den Beitrag „Warum New Work“ kannst Du hier nachlesen, musst Du aber nicht, denn ich versuche es hier noch einmal im Schnelldurchlauf:

New Work ist mehr als Romantik

Für mich hat der Blick auf „New Work“ in den sozialen Medien, in Büchern und Blogbeiträgen oftmals etwas sehr romantisierendes:

Angefangen von der Möglichkeit, sinnstiftend für einen gemeinsamen „Purpose“ (netter Artikel zum Begriff hier) zusammen zu arbeiten über „Remote Work“ als die Verheißung der Möglichkeit der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben bis hin zu Mitbestimmungsmöglichkeiten bei der strategischen Ausrichtung der Gesamtorganisation. Und der Chef wird plötzlich Coach, wie geil ist das denn?

Wenn Du Reinventing Organizations gelesen hast kommen mit Blick auf die Stufen der organisationalen Reife plötzlich Farben ins Spiel, für die man sonst einiges rauchen musste: Basierend auf den Spiral Dynamics (http://spiraldynamics-integral.de/) ist die Rede von beigen, roten, blauen, orangenen, grünen, gelben und türkisfarbenen Organisationen.

Teal Organisations scheinen irgendwie der letzte Schrei zu sein und wer will nicht selbstbestimmt und ganzheitlich für einen größeren, evolutionären Sinn arbeiten.

New Work ist mehr als dancing in the moonlight

Ich habe selbst Soziale Arbeit studiert und denke bei den Worten an einige etwas verschroben wirkende Kommilitoninnen, die nachts im Mondschein barfuß Feuerfackeln schwingend auf der Suche nach irgendetwas tief in ihrem Inneren waren. Ich fand das damals eher komisch. Heute auch.

Und mit Blick auf die Zukunft der Arbeit, die zeitgemäße Gestaltung von Organisationen und Unternehmen wird es noch einmal schwieriger: Selbstorganisation, Ganzheitlichkeit und die Suche nach dem evolutionären Sinn sind warum genau noch mal Thema?

Doch nicht, damit sich die genannten Kommilitoninnen ausleben können?! Also wieder zurück auf den Boden der Tatsachen:

New Work ist notwendig, um mit der Komplexität umzugehen

Wir sprechen über das Thema zeitgemäße Organisationen und New Work, weil es durch die Erhöhung der internen Komplexität möglich ist, besser mit der zunehmenden, externen Komplexität umzugehen.

Dazu kurz:

Organisationen verfügen über Strukturen, Regeln, Dienstwege, über die sog. entscheidbaren Entscheidungsprämissen, damit damit die Komplexität innerhalb der Organisation reduziert wird: Ich muss nicht jeden Tag aushandeln, für was genau ich noch mal in die Hochschule gehe. Ich muss auch nicht jeden Monat aushandeln, wie viel Geld ich dafür bekomme. Und ich muss auch nicht dauernd überlegen, wer welche Entscheidungen treffen darf. Das ist klar geregelt.

Problematisch wird diese klare Regelung jedoch dann, wenn die Umwelt der Organisation beginnt, zunehmend komplex zu werden. Um bei meinem Beispiel der Hochschule zu bleiben:

Während es vor 20 Jahren noch normal war, das sich Studierende für ein Studium der sozialen Arbeit an einer Hochschule eingeschrieben haben und diese für den Abschluss real besucht haben, bestehen heute drölfzig Wahlmöglichkeiten zwischen dem klassischen Studium, Blended-Learning Optionen bis hin zu komplett online durchführbaren Studiengängen. Die Anzahl privater Hochschulen in dem Kontext ist gestiegen und überhaupt ist fraglich, warum man ein modularisiertes Studium für eine Arbeitswelt braucht, die sich nicht modularisiert in permanentem Wandel befindet?

Für die Organisation Hochschule ist die Reaktion auf diese Entwicklungen alles andere als einfach: Die Unsicherheit der Entscheidungsfindung, die Widersprüchlichkeit und die Geschwindigkeit der Änderungen, die Dynamik, ist enorm. Warum sollte in dieser Gemengenlage, die angepasst auf die jeweilige Branche fast überall sehr ähnlich anzutreffen ist, „ein Chef“ allein entscheiden können, was der richtige Weg für die Organisation ist?

New Work ist überlebenswichtig für jede Organisation in jeder Branche

Also zusammenfassend: Wir brauchen neue Organisationen, neue Arten der Zusammenarbeit, Sinn, Ganzheitlichkeit und Selbstorganisation, nicht, damit Arbeit ein bisschen netter wird. Wir brauchen New Work, um adäquat mit der Komplexität unserer Zeit umgehen zu können. Wir müssen die Transformation bestehender Organisationen gestalten, damit diese ihren Zweck auch weiterhin erfüllen können. Punkt und fertig. New Work ist damit keine Sozialromantik. New Work ist nicht (nur) für fackelschwingende Sozialarbeiter*innen. New Work ist überlebenswichtig für jede Organisation in jeder Branche.

Jetzt aber Rezession

Ich hoffe, Du bist noch dabei, denn jetzt kommt der Switch zur Rezession:

Ich befürchte, dass viele der aktuell angestoßenen Initiativen zur Neugestaltung unserer Unternehmen, zu einem Umdenken in der Wirtschaft, zu einem neuen Führungsstil etc. im Keim erstickt werden, wenn die Zahlen „plötzlich und unerwartet“ (höhö) nicht mehr auf rosa Blümchen stehen.

Ich befürchte, dass viele Unternehmen damit beginnen werden, wieder zurück zum „klassischen Betriebssystem“ zu wechseln und dieses ganze „Gedöns“ von Selbstorganisation, agilem Management und sinnstiftender Zusammenarbeit mit klaren Ansagen, ein paar mehr Regeln und der Wiedereinführung der Kleiderordnung vom Tisch gewischt wird.

Mehr Regeln in Zeiten zunehmender Komplexität sind absurd

Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen zum Umgang mit zunehmender Komplexität ist genau dies jedoch ziemlich absurd:

Es macht keinen Sinn, bei einer zunehmend unsicheren Umwelt, die interne Komplexität mit mehr Regeln zu reduzieren (wenn Komplexität überhaupt zu reduzieren wäre…). Und es wird trotzdem passieren, da viele Menschen, Manager*innen, diese Denkweise nicht verinnerlicht haben und aufgrund ihrer eigenen Unsicherheit nachvollziehbarerweise auf die bekannten Handlungsmuster zurückgreifen. Das ist zwar – wie gesagt – nachvollziehbar, aber tödlich für die Organisation.

Dies wiederum wird dazu führen, dass die Transformation gestoppt und wir noch einige kleine und große Organisationen scheitern sehen werden.

Ach ja, so etwas wie die Digitalisierung und die damit einhergehende Roboterisierung beschleunigen diesen Prozess ziemlich. Und stell Dir jetzt immer mehr junge Menschen vor, die einfach weniger konsumieren wollen, aus Angst um unseren Planeten!

Freisetzung hat soviel mit Freiheit zu tun wie Zitronenfalter mit Zitronen zu tun haben

Das Problem bei dieser Entwicklung sind jedoch die Menschen:

Wie wird mit den Menschen umgegangen, die „freigesetzt“ (welch absurdes Wort) werden? Allein schon aus der Sicherstellung der Existenzberechtigung der Organisation Bundesagentur für Arbeit werden diese Menschen aller Voraussicht nach in die klassischen Bahnen gelenkt: Die Eingliederung auf einem nicht mehr existierenden „ersten Arbeitsmarkt“ wird angestrebt. Umschulungen und Bewerbungstrainings wechseln sich ab mit dem verpflichtenden Schreiben von Anschreiben.

2 | Und soziale Organisationen?

Immer noch dabei? Unfassbar… Denn jetzt kommen die sozialen Organisationen ins Spiel. Diese sind aus zwei Perspektiven ins Spiel zu bringen:

Perspektive 1 nimmt die Organisationen als soziale Systeme selbst in den Blick. Mit Perspektive 2 versuche ich, den Zweck sozialer Organisationen im Kontext von New Work und der drohenden Rezession zu beleuchten. Aber der Reihe nach:

Soziale Organisationen als soziale Systeme

Perspektive 1 stellt soziale Organisationen als soziale Systeme in den Mittelpunkt:

Auch soziale Organisationen sind von der beschriebenen Komplexitätssteigerung betroffen, in deren Folge es zu zunehmender Unsicherheit, Volatilität und Ambiguität kommt. VUKA, ick hör dir trapsen! Genau hier gilt es, wie bei den Unternehmen anderer Branchen auch, sich nicht verunsichern zu lassen und – sofern bereits begonnen – den beschrittenen Weg hin zu sinnstiftender, selbstorganisierter Zusammenarbeit weiter fortzuschreiten. Zum Mitschreiben:

Die Reaktion auf steigende Komplexität in der Umwelt kann nur steigende interne Komplexität sein.

Steigende interne Komplexität wird ermöglicht durch die Partizipation aller Mitarbeiter*innen! Der Abbau äußerer Strukturen bedarf den Aufbau innerer Strukturen, um mit der Unsicherheit umgehen zu können. New Work braucht auch in sozialen Organisationen „inner work„. Das beginnt im Kleinen in der jeweiligen Organisation und lässt sich sehr gut auf das Größere, die Gesellschaft übertragen.

Die perfekten „New Work Organisationen“ – eigentlich

Im Übrigen spricht sehr vieles dafür, dass soziale Organisationen für gelingende Wertschöpfung noch viel stärker und grundsätzlich auf Selbstorganisation, Ganzheitlichkeit und evolutionären Sinn, um diese drei Begriffe erneut anzuführen, angewiesen sind. Ausführungen dazu sind hier etwas sperrig, ich komme sicherlich dazu, aber allein die face-to-face Leistungserbringung von Mitarbeiter*in und Klient*in mit dem Zweck der Steigerung der Autonomie und Selbstbestimmung der:s Klient*in zeigt, dass Selbstorganisation und Eigenverantwortung deutlich größer geschrieben werden müssen, als in produzierenden Unternehmen.

Kleiner Exkurs: Damit geht einher, dass die Mitarbeiter*innen in sozialen Organisationen eine deutlich herausgehobene Stellung einnehmen, die sich jedoch oftmals weder in deren Wertschätzung noch in deren Bezahlung niederschlägt.

Jetzt erst recht!

Zurück zum Thema und noch einmal kurz:

Wenn Du Deine Organisation auf den Weg nach New Work bringen willst, ist genau jetzt (wie eigentlich immer) der richtige Zeitpunkt dafür. Lass Dich nicht verunsichern, wenn Menschen nach zunehmender Regel, Kontrolle und Prozesssteuerung rufen. Gerade in diesen Zeiten brauchen wir innovationsfähige Organisationen, die sich gegenüber ihrer Umwelt öffnen müssen.

New Work und der Zweck sozialer Organisationen

Perspektive 2: Soziale Organisationen existieren mit dem Zweck, soziale Probleme zu lösen. Und die sozialen Probleme, die durch eine Rezession auf uns zukommen, werden ziemlich gewaltig sein.

Wichtiger aber noch ist, dass die auf uns zukommenden Probleme nicht mit den Lösungen der Vergangenheit angegangen werden können. Das heißt konkret:

Der beschriebene Wege der „freigesetzten“ Menschen mit verschiedenen Umschulungen über das Arbeitsamt und einem Haufen Bewerbungen zurück in den ersten Arbeitsmarkt wird nicht mehr funktionieren, da der erste Arbeitsmarkt in der uns bislang bekannten Form nicht mehr existieren wird.

Die Umwälzungen der digitalen Transformation lassen schon jetzt völlig neue Geschäftsmodelle entstehen. Wertschöpfung über die Arbeit von Menschen wird in dem bisher bekannten Umfang nicht mehr notwendig sein. So ist bspw. die Mitarbeiteranzahl von Facebook, google oder Amazon im Verhältnis zu deren Wirtschaftsleistung viel geringer als bspw. bei einem früher oder später sterbenden Automobilbauer (der im Übrigen ebenfalls voll auf Automatisierung setzt, wodurch selbst ohne Rezession viele Menschen ihren Job verloren haben oder verlieren werden).

Mehr als ruhig stellen

Wenn wir also als Gesellschaft mehr wollen, als Menschen über sinnlose Maßnahmen ruhigzustellen (bis sie irgendwann doch nicht mehr ruhig zu stellen sind und beginnen, unsere Demokratie zu gefährden), brauchen wir neue Herangehensweisen im Umgang mit den Menschen.

Wir brauchen Menschen und Organisationen, die sich auf die Fahne geschrieben haben, zur Potentialentfaltung der Menschen (im großen Stil) beizutragen.

Wir brauchen Menschen und Organisationen, deren Ziel es ist, die Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen so zu stärken, dass sie trotz zunehmend unsicherer Lebensbedingungen ihr Leben selbst in die Hand nehmen wollen und können.

Wir brauchen Menschen und Organisationen, die andere Menschen bei ihrer Suche nach dem begleiten, was sie wirklich, wirklich tun wollen.

Fazit, oder: genau das ist Soziale Arbeit

Und damit zum Abschluss nur noch kurz der Verweis auf die mir immer besser gefallende Definition Sozialer Arbeit.

Diese lautet:

„Soziale Arbeit fördert (…) gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit. (…) Soziale Arbeit befähigt und ermutigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern, dabei bindet sie Strukturen ein.

Die mit dieser Aussage einhergehende Verantwortung für das professionelle Handeln in professionellen Organisationen sollten wir dringend wahrnehmen:

Mutig bleiben

Wir dürfen uns nicht entmutigen lassen, auch und gerade in schwierigeren Zeiten, an der Gestaltung sozialer Organisationen zu arbeiten, die die Autonomie und Selbstbestimmung der Menschen in den Vordergrund stellen.

Nur mit diesen Organisationen wird es (schon jetzt und auch) in schwierigen Zeiten möglich sein, Menschen darin zu begleiten, autonom und selbstbestimmt ihr Leben in die Hand zu nehmen – ganz im Sinne der beschriebenen Definition Sozialer Arbeit.

Ach ja, ein über die reine Verbesserung der Arbeitsbedingungen hinausgehende #realNewWork wird so auch möglich…

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