Wir brauchen viel mehr New Work in sozialen Organisationen – dann klappt’s auch mit den Fachkräften

New Work Fachkräftemangel

Inhalt:

Ja, ich weiß, der Titel ist etwas provokant, aber soviel Spaß muss sein 😉

Interessanterweise lösen Impulse in soziale Systeme Reaktionen aus, die nicht kontrollierbar sind. Das sind Erfahrungen, die Menschen in Organisationen hinsichtlich deren Nichtsteuerbarkeit – der Menschen und der Organisationen – machen. Es ist aber auch das Spannende an den sog. Sozialen Netzwerken:

Mein Impuls zur Frage nach den Auswirkungen und Möglichkeiten von New Work auf den Fachkräftemangel sozialer Organisationen zeigt dies recht deutlich: Ich sende einen Tweet, aufgrund dessen Reaktionen von Hannes und Christian ausgelöst werden, die ich nicht hätte voraussagen können geschweige denn wollen, die mich aber gerade deshalb sehr freuen. Hier mein Tweet:

https://twitter.com/HendrikEpe/status/1198555685564420101?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1198555685564420101&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.sozial-pr.net%2Fnew-work-kein-mittel-gegen-den-fachkraeftemangel%2F

In Münster beschäftige ich mich, wie man unschwer erkennen kann, mit der Frage:

Welche Chancen liegen in New Work in Zeiten des Fachkräftemangels?

Mit den Beiträgen von Christian und Hannes kann ich mit mehreren Köpfen denken und mehr Perspektiven einbringen, als ich dazu allein in der Lage gewesen wäre, das liebe ich an den sozialen Netzwerken. Etwas verwundert hat mich dann die etwas emotionale Reaktion im Beitrag von Christian, den Du hier finden kannst.

Christian schreibt darin:

New Work und #Fachkräftemangel in Vebindung zu bringen zeigt für mich ein falsches Verständnis von New Work.

Das ist insofern spannend, als ich – zumindest bis zum jetzigen Zeitpunkt – mein Verständnis von New Work in den Tweets oben geschweige denn im Vortrag, den ich erst gleich halte, nicht angesprochen habe. Gleichzeitig denke ich, dass ich oft genug und sehr eindrücklich verdeutliche, welches Verständnis von New Work meinen Ausführungen zugrunde liegt. Aber der Reihe nach:

Zukunftsfähige Organisationen brauchen die Ausrichtung an den dem Konzept New Work zugrundeliegenden Werten

Meine Hauptthese des Vortrags in Münster ist, dass sich Organisationen – unabhängig von der Branche, im Übrigen – zeitgemäß und zukunftsfähig ausrichten können, wenn es diesen gelingt, die dem Konzept New Work von Bergmann zugrundeliegenden Werte zu berücksichtigen.

Der Blick in die Historie, aber auch auf aktuelle Konzepte und Theorien sozialer Arbeit zeigt dann, dass diese Werte grundlegende Werte sozialer Arbeit und sozialer Organisationen sind oder besser: sein sollten. Dies wird durch das „Zurück in die Zukunft“ verdeutlicht.

Zum Fachkräftemangel komme ich später 😉

In der o.g. These liegt viel Erläuterungswürdiges, um nicht als Blabla abgestempelt werden zu können:  

  1. Wozu New Work?
  2. Was ist New Work?
  3. Warum zurück in die Zukunft?
  4. Wie gelingt es, wieder zurück zu den Wurzeln zu kommen?
  5. Und was hat das alles mit den Fachkräften bzw. dem Mangel an Fachkräften zu tun?

Die Fragen 1, 2 und 3 werden ausführlich in meinem Beitrag „New Work Sozial“ behandelt. Nur sehr verkürzt: Das Wozu bezieht sich auf eine Gesellschaft, die an die Grenze von allem kommt: Ökologisch sowieso, wirtschaftlich und sozial. Die Megatrends in Kombination mit spezifischen Herausforderungen bestimmter Branchen (in unserem Fall der Sozialwirtschaft) bedingen einen neuen Umgang mit Komplexität.

Die Definition von New Work schließt voll an die von Christian und Hannes gemachten Ausführungen an:

Frithjof Bergmann wollte mit New Work ein neues Gesellschaftssystem, eine Abkehr von der Lohnarbeit etc. Sein Buch heißt nicht umsonst „Neue Arbeit, neue Kultur“. Und er bezieht sich nicht auf die Unternehmenskultur 😉

Die Trennung zwischen Job und Arbeit zeigt sich explizit in der Frage nach dem, was die Menschen wirklich, wirklich tun wollen. Die Automatisierung zeigt sich in dem verringerten Umfang der Lohnarbeit und den mit neuen, auch digitalen Möglichkeiten des „high tech self-providing“, also der Möglichkeit, lokal Produkte herzustellen, die wirklich gebraucht werden. Das Stichwort 3D-Druck sei nur erwähnt, aber auch sich selbst organisierende Netzwerke im Rahmen von Maker- oder CoWorking-Spaces würde ich darunter fassen, gemeinsam und selbstorganisiert , ohne äußere Vorgaben neue Ideen zu entwickeln, zu testen und echte Probleme zu lösen. Aber Fachkräftemangel? Hm….?

New Work Werte

Der Blick hinter das Grundkonzept von New Work erfordert, sich zum einen mit den Werten von New Work auseinanderzusetzen, also den Werten die Bergmann seinem Konzept zugrunde gelegt hat.

Zum anderen erfordert die Beschäftigung mit New Work eine Übertragung in die heutige und in unsere Welt: Was können wir, ganz konkret, mit seinen Gedanken und Ideen anfangen.

Zunächst zur Werthaltung: Wichtig ist hier zu erwähnen, dass Werte nicht „objektiv“ sind. Wenn ich im Folgenden, als Beispiel, vom Begriff „Verbundenheit“ spreche, steht da mein Blick auf den Begriff im Vordergrund, der nicht „allgemeingültig“ sein kann. Über Werte und das gemeinsame Verständnis von Werten lohnt es sich zu diskutieren, um gemeinsam zu einer Wertebasis zu gelangen.

Freiheit, Selbstverantwortung, Verbundenheit, Entwicklung, Nachhaltigkeit

Hinter dem Konzept New Work stehen also für mich die Werte Freiheit, Selbstverantwortung, Verbundenheit, Entwicklung und soziale, wirtschaftliche und ökologische Nachhaltigkeit.

Ich bin hier sehr nah an den Werten, die bspw. Markus Väth in seiner New Work Charta nutzt, um das Konzept „New Work“ greifbar zu machen. Denn darum muss es gehen:

Wir müssen die Gedanken, die Bergmann hatte, greifbar machen, mit Werten hinterlegen und diese in konkrete Prinzipien herunterbrechen, damit „New Work“ nicht nur entweder ein utopisches, rein theoretisches Konstrukt oder aber Lohnarbeit im Minirock bzw. Kicker in der Kantinenküche bleibt.

Freiheit

Den Ausführungen Bergmanns folgend wird deutlich, dass der Wert Freiheit aus meiner Perspektive zentral für sein Konzept ist: Durch Automatisierung löst sich die klassische Lohnarbeit auf, es ist weniger (klassische Lohn-) Arbeit da. Aktuell reagieren wir auf die Freisetzung der Menschen mit Zwangsmaßnahmen, um diese wieder in einen nicht mehr existierenden ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, da wir davon ausgehen, dass Menschen nicht mit Freiheit umgehen können. Der Wert „Misstrauen“ regiert in allen Systemen, die unsere Gesellschaft bestimmen. Hier habe ich im letzten Beitrag nähere Ausführungen zu gemacht (Stichwort Sozialwirtschaft 4.0). Wenn es aber gelingt, die freie Zeit der Menschen in Möglichkeiten zu verwandeln, wenn es gelingt, den Menschen Vertrauen entgegenzubringen, sind wir dem, nein, besser meinem Ideal einer freien Gesellschaft, deren Grundwert „Freiheit“ ist, deutlich näher. Übrigens hat Bergmann ein schönes, anderes Buch geschrieben: „Die Freiheit leben

Selbstverantwortung

Der Wert Selbstverantwortung knüpft unmittelbar an die Freiheit an. So geht Freiheit immer mit Verantwortung einher. Dies mündet darin, dass die Gesellschaft den Menschen zutraut, Verantwortung zu übernehmen und sich damit selbst zu organisieren und „Gutes“ im Sinne der Gesellschaft zu leisten. Vorausgesetzt wird hier ein Menschenbild, dass Menschen als grundsätzlich motiviert ansieht, sich ihre Umwelt zu schaffen, in der es sich zu leben lohnt und selbstverantwortlich diese Umwelt zum Positiven gestalten. Die Theorie Y von Douglas McGregor bringt es aus organisationaler Perspektive auf den Punkt. Und Bergmann bringt diese Selbstverantwortung dahingehend zum Ausdruck, dass er den Menschen – mit Begleitung auf dem ggf. sehr langen Weg – zutraut, das zu entdecken und selbstverantwortlich umzusetzen, was sie wirklich wirklich wollen.  

Verbundenheit

Die Begriffe Sinn, Purpose, Zweck etc. sind inzwischen leider überstrapaziert. Das ist insofern schade, als dass es sich wirklich lohnt, sich einmal mit dem eigenen Antrieb auseinanderzusetzen: Warum tust Du, was du tust? In meinen Augen spielt der Purpose, der Sinn oder – noch besser – die Verbundenheit eine große Rolle: Menschen sind dann „in ihrem Element“, wenn es gelingt, die Verbundenheit zu ihrer Tätigkeit, zu ihrer Umgebung, ihrer Organisation, ihrer Gesellschaft herzustellen. Verbundenheit kann aber nicht angewiesen werden, das nur mal vorab… Wie viel Verbundenheit steckt aber im Finden dessen, was man wirklich, wirklich tun will? In meinem Beitrag „Verbundenheit statt Sinn“ habe ich versucht, dies darzulegen.

Entwicklung

Entwicklung nimmt das schon angesprochene Menschenbild explizit in den Blick: Die Annahme, dass Menschen und soziale Systeme aus sich selbst heraus entwicklungsfähig sind, klingt erstmal logisch, wird in den vorhandenen Systemen und damit auch Organisationen jedoch oftmals nicht gelebt. Menschen werden behandelt wie austauschbare Zahnräder, Menschen ohne Arbeit werden in Zwangsmaßnahmen gesteckt, Bildung erfolgt auch 2019 noch in einer den Nürnberger Trichter ins Zentrum stellenden Logik, daran ändern auch Tablets im Klassenzimmer nichts. Entwicklung bedarf aber Rahmenbedingungen, die diese Entwicklung – der Systeme wie der Menschen – möglich machen. Bei Bergmann zeigt sich dieser Wert in dem Zutrauen an die Menschen, das finden zu können, was sie wirklich wirklich wollen. Das geschieht, und das betont er sehr deutlich, nicht mal eben so, sondern langsam in einem Prozess der Auseinandersetzung mit sich selbst, in einem Entwicklungsprozess, der ggf. das ganze Leben dauern kann.

Soziale, ökologische und wirtschaftliche Nachhaltigkeit

Jeder Mensch hat im Rahmen seiner Möglichkeiten die Verantwortung dafür, für eine Gesellschaft zu sorgen, die „enkelfähig“ ist: Bei Bergmann zeigt sich dies in der Abkehr vom globalen „höher schneller weiter“. Er stellt die „High-Tech-Selbstproduktion“ als Alternative vor, die sich bei uns zwar entwickelt, aber definitiv noch ausbaufähig ist. Mit den sich daraus ergebenden lokalen „Eco-Systems“ gelingt es – so seine Auffassung – ein System zu gestalten, dass als deutlich „dynamikrobuster“ angesehen werden kann als bestehende, auf großen Konzernen basierenden Systemen. Das Wackeln der Autoindustrie zeigt dies gerade sehr deutlich.

New Work in bestehenden Organisationen

Logisch, New Work hat nichts mit Fachkräftemangel zu tun. Dahinter ein „falsches Verständnis von New Work“ zu vermuten, wie Christian dies schreibt, ist jedoch verkürzt.

Vielmehr stelle ich die Frage, wie beides – der Fachkräftemangel und dahinterliegend natürlich etwas größer gedacht, die etablierten Organisationen und New Work im Sinne von Bergmann (#RealNewWork) in Verbindung gebracht werden können

Denn das mit New Work nach Bergmann und den Werten ist ja ganz nett. Da kann man lange darüber philosophieren und nachdenken und weiterdenken. Und sicherlich sind meine Ausführungen dazu alles andere als abgeschlossen.

Aber eigentlich spannend ist doch, was wir damit anfangen. Denn, ganz ehrlich:

Bislang ist der Umbau der Gesellschaft nach dem Konzept von Bergmann nicht wirklich vorangekommen. Wir verbrauchen mehr und mehr Ressourcen, fahren den Karren mit voller Geschwindigkeit gegen die Wand und feiern die letzte heiße Champagnerparty im Land, wie es Peter Fox treffend ausdrückt.

New Work lebt nicht (theoretisch)

Bergmanns „Drittelkonzept“ ist nicht umgesetzt, auch wenn es Menschen gibt, die drei Jobs gleichzeitig machen. Das war aber nicht seine Absicht.

Und selbst die Lohnarbeit ist – bislang zumindest, auch wenn ich gespannt bin, was in Zukunft passiert – nicht nennenswert, wenn überhaupt zurück gegangen. Im Gegenteil kommt es in Verbindung mit dem demografischen Wandel, Fehlplanungen, veralteten Ausbildungsstrukturen, branchenspezifischen Problemen (Attraktivitätseinbußen) etc. in einigen Branchen zu echtem Fachkräftemangel – ach ja, deswegen sind wir ja gerade hier. 3D-Druck gelingt, aber noch sehr überschaubar in lokalen Gemeinschaften (auch wenn ich die Bewegungen super spannend finde).

Dies alles in Verbindung mit den Herausforderungen zunehmender Komplexität erfordert die Entwicklung zeitgemäßer und damit zukunftsfähiger Organisationen. Ich denke, dass niemand (zumindest in bestimmten Filterblasen) behaupten würde, dass wir so, wie die Strukturen in Organisationen der Sozialwirtschaft aktuell bestellt sind, optimal vorbereitet sind auf kontinuierlichen Wandel, die digitale Transformation, Globalisierung, Wertewandel und und und? Oder?

New Work lebt damit nicht aus den theoretischen Überlegungen eines Konzepts, sondern aus dem Umsetzen im realen Leben.

Wenn es also gelingt, die oben skizzierten Grundwerte von dem New Work, wie es Bergmann wollte, einfließen zu lassen in die Grundprämissen, wie wir soziale Organisationen gestalten, sind wir in verschiedenen Punkten einige Schritte weiter:

  • Organisationen, denen es gelingt, sich anhand der beschriebenen Werte, die dann wiederum – das ist wichtig, sonst bleibt es Leitbild-Blabla – in konkrete Prinzipien und weiter in Handlungen heruntergebrochen werden, aufzustellen, nutzen das volle Potential der Menschen, um mit den komplexen Herausforderungen umgehen zu können.
  • Menschen in Organisationen, die den oben erläuterten Werten folgen, haben die Möglichkeit, sich dahin zu entwickeln, dass zu tun, was sie wirklich wirklich wollen (das muss übrigens nicht zwingend losgelöst sein von der eigenen Anstellung in einer Organisation).
  • Wenn es gelingt, dass sich Organisationen entsprechend aufstellen, bin ich überzeugt, dass darüber die Gestaltung einer zukunftsfähigen, „enkeltauglichen“ Gesellschaft möglich ist. Denn Arbeit – in welcher Form auch immer – prägt die Form der Gesellschaft in enormem Ausmaß (verwiesen sei nur auf die Industrialisierung und die damit einhergehende Entwicklung der Gesellschaft).

Reaktion auf den Fachkräftemangel als Kollateralnutzen

Der Kollateralnutzen einer Orientierung an den #RealNewWork zugrundeliegenden Werten aber kann, ja kann eine Attraktivitätssteigerung der Organisationen und damit eine Antwort auf den Fachkräftemangel sein – mehr nicht. Zu glauben, dass New Work in diesem Sinne als Werkzeug, als Technik oder als Methode genutzt werden kann, greift hingegen viel zu kurz.

Hannes schreibt seine Ausführungen zusammenfassend:

„Man besinne sich auf die Werte, um die es wirklich wirklich geht. Dann klappt’s auch mit den Fachkräften.“

Und hier geht es dann – auch das im Titel des Vortrags – um ein „zurück in die Zukunft“, denn:

Freiheit, Selbstverantwortung, Verbundenheit, Entwicklung ebenso wie soziale, wirtschaftliche und ökologische Nachhaltigkeit sind aus meiner Perspektive die Werte, die der Sozialen Arbeit in ihren Ursprüngen zugrunde lagen und heute, mehr denn je, zugrunde liegen sollten! Oder?

Jetzt aber los, auf zum 6. Fachtag Sozialmanagement (P.S.: Dort kannst Du auch meine Slides runterladen 😉

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