Im Folgenden findest Du meine Rezension zum Buch „Kraftquelle Tradition. Benediktinische Lebenskunst für heute“ von Bodo Janssen.
New Work und benediktinische Regeln
Ich habe “Die stille Revolution” noch nicht gelesen und noch nicht gesehen. Aus mehr oder weniger unerfindlichen Gründen habe ich mich bislang geweigert, tiefer in die Welt von Upstalsboom hinabzusteigen und die Werke von Bodo Janssen zu verfolgen. Aber das neue Buch, Kraftquelle Tradition, hat mich neugierig gemacht:
Gelingt es dem Autor, die Verbindung von Kloster, Kirche, Tradition und gerade in der heutigen Zeit oftmals vorurteilsbelasteter Kritik an den Lebensweisen von Menschen, die “glauben” (wer glaubt eigentlich nicht?) mit den Herausforderungen zukunftsfähigen Managements, Führung und übergreifend einem echten “New Work als Gesellschaftsveränderung” herzustellen?
Dieser doch etwas längere Satz ist auseinanderzunehmen.
Hintergrund
Dazu zunächst ein kleiner Blick auf den Rahmen und die Umstände: Zu Bodo Janssen und Upstalsboom gibt es inzwischen nicht nur ein Buch und einen Film (“Die stille Revolution”), sondern im Netz auch etwas drölfzigtausend Beiträge.
Wesentlich ist dabei wohl, dass Upstalsboom eine Hotelkette ist, die der Familie von Bodo Janssen gehört. Diese Hotelkette ist inzwischen berühmt für ihre besondere Unternehmenskultur. Bodo Janssen hat sich – basierend auf einem miserablen Ergebnis einer Mitarbeiterbefragung zu seiner und der Arbeitsweise der Führungskräften der Hotelkette – dann auf einen Weg in ein Benediktinerkloster begeben.
Hier hat er dann Kontakt zu der Regel Benedikts (die sich bspw. hier online findet) gehabt und diese Regel auf seine Arbeit, seine Führungstätigkeit und insgesamt seine Hotelkette angewandt, mit (unglaublich?) positiven Ergebnissen.
Heldengeschichte?
Vielleicht hat mich diese “Heldengeschichte” bislang abgeschreckt: Da kommt der geläuterte Held und schafft es innerhalb relativ kurzer (?) Zeit, das Unternehmen, die Haltung und sogar die Menschen im Unternehmen zu wandeln? Geht sowas? Kann so etwas gelingen? Mein oftmals übermächtiger innerer Zweifler ist hier sehr aktiv… 😉
Inhalt und Stil: Topp!
Aber wieder zurück zum Buch:
Ich habe ein paar Stunden Zeit im Zug und passenderweise das Buch vorab bekommen. Also beginne ich in Freiburg und – höre wieder in Freiburg auf zu lesen. Es hat mich gefesselt. Oder vielleicht auch: Er hat mich gefesselt?
So schreibt Bodo Janssen zum einen inhaltlich auf einem sehr tiefgehenden Niveau. Die Erwähnung von New Work auf der Basis von Frithjof Bergmann gefällt mir genauso wie die Verbindung aus der Schilderung von Methoden, die den Weg von Upstalsboom beschreiten wie die Geschichten aus dem Leben der Menschen in der Organisation. Wir lernen Özden kennen, Marie und ihre Kopfsalate oder auch die Frau des Autors. Es gelingt Bodo Janssen, die herausfordernde Tiefe der Transformation der Organisation und vor allem der Änderung der Haltung der Menschen zu beschreiben, wie ich es bislang noch nicht oft gelesen habe. Die Verbindung zu den Leitsätzen benediktinischer Regeln bleibt präsent und auf einer Ebene, die bildhaft deutlich macht, worum es geht: Eine menschliche und ressourcenschonende Wirtschaft.
Zum anderen ist der Schreibstil aus meiner Perspektive bildhaft und wunderbar geeignet, sich auf den Weg in die notwendige Tiefe einzulassen. Die Geschichten der Menschen, der Vorgehen, die Geschichte des Wegs der Organisation werden so beschrieben, dass ich zunehmend neugierig werde, auch die anderen Bücher von Bodo Janssen zu lesen.
Gliederung
Nach dieser Lobhudelei zum Inhalt: Das Buch untergliedert sich in die folgenden neun Kapitel, denen wiederum Unterkapitel zugeordnet sind:
- Wer ist der Mensch, der das Leben liebt und gute Tage zu sehen wünscht?
- Tradition – ohne Geschichte keine Zukunft
- Neue Wege – alte Werte
- »Stehen wir also endlich einmal auf!« – ins Handeln kommen
- Die Werkzeuge der geistlichen Kunst – ein Vorbild guter Gewohnheiten
- Was Gemeinschaft wirklich heißt
- Christus im Bruder begegnen
- Das Unternehmen als Werkstatt für ein gelingendes Leben
- Wofür es sich lohnt, jeden Tag aufzustehen
Wofür es sich lohnt, jeden Tag aufzustehen?
Es wird deutlich, dass es sich nicht um den klassischen Management-Ratgeber handelt. Auch kommen Begriffe wie Strategie, Controlling, Prozesse etc. nicht vor. Stattdessen geht es um Menschen, Wege, Werte, Haltung und die Frage, wofür es sich lohnt, jeden Tag aufzustehen. Wie beantwortest Du Dir diese Frage? Ich bin davon überzeugt, dass Du dir die Frage nach dem Buch spätestens stellen wirst. Alleine dafür lohnt es sich.
Der Fokus auf den einzelnen Menschen zeigt aber, dass der Wandel, die Transformation von Organisationen, genau darauf fußt:
Ohne einen Wandel in der Haltung, ohne ein radikales Infragestellen von vorgefertigten, historisch gesehen sogar nachvollziehbaren Denkweisen, ohne die Auseinandersetzung mit sich selbst wird Wandel nicht möglich sein. Das beginnt bei den Führungskräften und geht hin zu jeder einzelnen Mitarbeiter*in, unabhängig von der Hierarchiestufe. Es geht hin zu jedem Einzelnen.
Verbundenheit und Zeit
Ich lerne langsam, dass Wandel Zeit braucht, innerer Wandel, genauso wie der Wandel von Organisationen und der Art, wie wir in Zukunft zusammenarbeiten werden. Schilderungen und auch die Begleitung dieser Veränderungsprozesse zeigen mir, dass es ohne diese Zeit nicht geht. Change von heute auf morgen überfordert alles und jeden. Aber: Haben wir diese Zeit angesichts digitaler Entwicklungen? Auch wenn ich mir über die Antwort noch nicht ganz klar bin, macht es Sinn, zu beginnen.
Zusätzlich zur, und noch wichtiger als, Zeit ist – und das ist der für mich leitende Begriff im Buch – Verbundenheit: Nur, wenn ich mich mit der Organisation, den Menschen in meiner Umgebung, meiner Arbeit verbunden fühle, macht es überhaupt Sinn, an echten Wandel zu denken. Ohne Verbundenheit ist vieles egal. Und was gibt es Schlimmeres als Gleichgültigkeit?
Kraftquelle Tradition und die sozialen Organisationen?
Mein Anliegen ist es, mit den Rezensionen eine Übertragung auf soziale Organisationen zu leisten. Das ist mit dem Buch „Kraftquelle Tradition“ aus mehreren Gründen wirklich einfach:
Ich bin nicht ohne Grund unterwegs mit der These, dass gerade soziale Organisationen die „New Work DNA“ bereits in sich tragen. Warum das so ist, kannst Du in meinem Beitrag „Zurück in die Zukunft oder: New Work Sozial“ nachlesen.
Ich gehe bei Vorträgen dazu immer auf die Historie der Organisationen und Verbände ein: Man muss nicht lange suchen, um bei Lorenz Werthmann, Henry Dunant oder Johann Hinrich Wichern auf Ausführungen zu stoßen, die Werte wie Freiheit, Nächstenliebe, Ganzheitlichkeit, Selbstorganisation oder Verbundenheit zu den Menschen und der Arbeit beschreiben. Die Gründerväter der großen Wohlfahrtsverbände sprechen nicht von QM, Prozesssteuerung, Controlling oder der Dienstreisekostenabrechnung, wenn es um den Dienst am Menschen geht. Komisch, oder?
Ein anderer Grund ist die fachliche Ausrichtung sozialer Arbeit. Dabei soll es doch um die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung der Menschen gehen, wie es in der internationalen Definition für Soziale Arbeit passend heißt. Das gelingt über in der Sozialen Arbeit vielfach etablierte und in ihrer Wirksamkeit bestätigte Methoden wie dem Empowerment.
Empowerment wird von Herriger definiert als „helfende Praxis, deren Ziel es ist, die Menschen zur Entdeckung ihrer eigenen (vielfach verschütteten) Stärken zu ermutigen, ihre Fähigkeiten zu Selbstbestimmung und Selbstveränderung zu stärken und sie bei der Suche nach Lebensräumen und Lebenszukünften zu unterstützen, die einen Zugewinn von Autonomie, sozialer Teilhabe und eigenbestimmter Lebensregie versprechen.”
»Stehen wir also endlich einmal auf!« – ins Handeln kommen
Was bedarf es mehr, um zu verstehen, das wir auch innerhalb unserer Organisationen dringend damit beginnen müssen, das zu tun, was wir gelernt haben? Und wo liegt die Hürde, vom Wissen darüber in die Handlung zu gelangen?
Auch dazu, so meine kleine Hoffnung, liefert das Buch „Kraftquelle Tradition“ von Bodo Janssen einige gute Ansätze!
Stehen wir also endlich einmal auf!
P.S.: Hier kannst Du das Buch „Kraftquelle Tradition“ käuflich erwerben (affiliate link). Oder natürlich im Buchhandel um die Ecke…
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