Personalentwicklung in sozialen Organisationen: Es geht nicht um die Menschen!

Personalentwicklung in sozialen Organisationen

Inhalt:

Der Mensch im Mittelpunkt! Diese Worte sind gefühlt Leitsatz von etwa drölfzig Leitbildern sozialer Organisationen. Der Satz hängt an Wänden und steht im Internet. Wichtig ist: diese dermaßen abgedroschene Phrase gewinnt an Bedeutung wenn es um die digitale und übergreifend gesellschaftliche Transformation geht: Wie gehen wir mit den sich vollziehenden Veränderungen um? Wie gelingt es, der Klientel sozialer Organisationen Teilhabe zu ermöglichen? Wie gelingt es, Organisationen zu transformieren und dabei die Menschen nicht auf halber Strecke zu verlieren? Wie gelingt es, Personalentwicklung in sozialen Organisationen angesichts des Fachkräftemangels als echte Entwicklungsaufgabe zu gestalten?

Fachkräftemangel: ein echtes Problem

Aber mir kommen zunehmend Zweifel, ob die sozialen Organisationen die Brisanz überhaupt verstanden haben, die mit den Fragen bzgl. der beteiligten Menschen einhergeht. Die Phrase des Menschen im Mittelpunkt bleibt Phrase. Personalentwicklung in sozialen Organisationen existiert entweder nicht oder ist reine Personalverwaltung.

Vor kurzem durfte ich einen Workshop mit einer Gruppe von Supervisor*innen in Freiburg (PDF) durchführen. Thema war:

„Was ist und wie geht New Work und welche Auswirkungen hat die Veränderung der Arbeitswelt auf die Supervision?“

New Work geht aus meiner Perspektive zumindest weit über Organisationsentwicklung hinaus und betrifft gesellschaftliche Fragen, Fragen der Organisationsentwicklung ebenso wie ganz individuelle Fragen der Entwicklung in einer sich verändernden Welt. Kurz lässt sich der letzte Punkt vielleicht mit der Entwicklung von Unsicherheitsbewältigungskompetenz zusammenfassen.

Bei den Supervisor*innen gibt es Menschen, die langjährig im sozialen Bereich aktiv sind und solche, die vornehmlich in erwerbswirtschaftlichen Organisationen arbeiten.

Personalentwicklung in sozialen Organisationen: Fehlanzeige?!

In einer Pause sprach mich eine Supervisorin an, dass sie doch etwas schockiert sei: Der soziale Bereich schien aus ihrer Perspektive  ja null in Bezug auf die Personalentwicklung zu leisten! Potentialentfaltung, der Einsatz von Menschen an Stellen, wo ihre Stärken ausgelebt werden können, das aufgreifen von Entwicklung und Entfaltung eigener Lernbedarfe: alles Fehlanzeige in sozialen Organisationen?

Meine eigene Perspektive hat ihre Einschätzung bestätigt: in meinen bisherigen Anstellungen war Personalentwicklung- diplomatisch ausgedrückt – nicht unbedingt Prio Nummer 1! Aber das ist nicht repräsentativ. Also habe ich die Frage in die Gruppe geöffnet, da ich davon überzeugt bin, dass New Work zunächst bei den Menschen, bei jedem einzelnen, beginnt. Leider haben mich die Rückmeldungen bestätigt:

Die sozialen Organisationen, in denen die oftmals langjährig erfahrenen Supervisor*innen tätig waren, legten bislang wenig bis keine Priorität auf die Personalentwicklung! Ja, es gibt in den größeren Organisationen Führungskräfteprogramme, die jedoch vornehmlich auf tradierte Formen von Führung fokussieren. Und es gibt auch die Möglichkeit von Weiterbildung, oftmals jedoch entweder „gezwungenermaßen“ („Du musst jetzt mal dies und jenes machen!“). Alternativ dazu kennt wahrscheinlich jeder die langwierigen Phasen der „Bittstellung“, endlich diese und jene Weiterbildung absolvieren zu dürfen und diese womöglich auch noch finanziell oder zeitlich unterstützt zu bekommen.

Personalentwicklung ist mehr als Weiterbildung

„In Zukunft wird eine erfolgreiche Personalentwicklung daran zu messen sein, ob es gelingt, Berufsbiographien gezielt zu steuern und dabei Potentiale laufend zu entdecken und zu fördern.“

Hoffmann, 2012, 31

Personalentwicklung endet nicht bei der Weiterbildung der Menschen! Personalentwicklung geht von der Auseinandersetzung der Frage, wo wer wie warum am Besten eingesetzt werden kann über die Entdeckung und Entfaltung bislang verborgener Potentiale bis hin zu Fragen der Verantwortungsübernahme in Organisationen. Aber über diese „Feinheiten der Personalentwicklung“ will ich gar nicht sprechen, wenn noch nicht einmal die offensichtlichen Aspekte, wie eben bspw die Weiterbildung angemessen abgebildet sind.

Der Fachkräftemangel ist die Herausforderung sozialer Organisationen

Neben meiner subjektiven Perspektive und der Perspektive der Supervisor*innen lässt sich auch eine übergreifende, möglichst objektive, wissenschaftliche Perspektive einnehmen:

„Durch die demografische Entwicklung, die Überalterung des Personals in den Sozialen Diensten und neue soziale Herausforderungen entsteht ein Fachkräftemangel und damit eine steigende Nachfrage nach Fachpersonal, die durch die in Gang gesetzten Marktkräfte, die eine Verbilligung der Arbeitskraft und prekäre Beschäftigungsverhältnisse erzeugen, nicht behoben werden kann.“

Wöhrle, 2017, 32

Der Fachkräftemangel lässt sich als das wesentliche Problem sozialer Organisationen in der heutigen Zeit definieren. Ganz klar, hier ist je nach Region zu differenzieren ebenso wie nach Arbeitsfeldern. In ländlichen Regionen ist es dramatischer als in urbanen Räumen. Und die Pflege kämpft mehr als bspw. die offene Kinder- und Jugendarbeit. Aber:

Mehr Geld löst das Problem des Fachkräftemangels nicht. Aus unterschiedlichen Gründen ist es in unserer Branche so, dass marktwirtschaftliche Mechanismen kaum greifen: Weniger Personal treibt den Preis – zumindest in der Fläche – nicht in die Höhe, wie es bspw. bei IT-Spezialisten der Fall ist. Und:

Schon kleine Anpassungen (ein paar Prozent mehr für bspw. Erzieher*innen) treiben (vor allem kleinere, freie) soziale Träger an den Rand der Existenz, da die Finanzierung durch die Kostenträger anderen zeitlichen Bedingungen unterliegt. Kurz:

Mehr Geld als Anreiz für Mitarbeiter*innen, zu Ihnen zu kommen oder bei Ihnen zu bleiben, ist für Sie kaum möglich! Mit dramatischen Folgen:

Zum einen bleiben Mitarbeiter*innen bei Ihnen, die Sie gar nicht wollen. Klingt komisch, aber: Der Anreiz, zu wechseln, existiert nicht, da es sogar oftmals so ist, dass ein Stellenwechsel eine aufgrund des Senioritätsprinzips geringere Einstufung zur Folge hat. Niemand mit finanziellen Verpflichtungen gibt seinen „alten Vertrag“ auf. Die Menschen harren lieber auf Stellen aus, die ggf. völlig neue, andere Kompetenzen erfordern würden.

Dramatische Folgen

Zum anderen wechseln Mitarbeiter*innen ab dem Zeitpunkt sofort, wo ihnen nur eine kleine Karotte vor die Nase gehalten wird. Der Stellenmarkt ist oft so angespannt, dass schon kleine Zusatzvergütungen ausreichen, Mitarbeiter*innen gehen zu lassen. Bei Neueinstellungen geht es zunehmend um die angebotenen Zusatzleistungen und individuellen Boni.

Sorry, aber aus jeglichem Wissen über gute Arbeitsleistungen ist bekannt, dass diese individuellen Anreizsysteme extrem kurzfristig funktionieren: Kurz geht es besser und danach zeigen die Mitarbeiter*innen die gleiche, wenn nicht sogar weniger Motivation als vor dem Bonus. Hier lohnt sich der Blick in den folgenden Film:

The surprising truth about what motivates us

Und in dieser Gemengenlage, die sich sicherlich noch ausformulieren lässt, verzichten soziale Organisationen auf Basics der Personalentwicklung. Das ist doch einfach nur unglaublich:

Da wird den Mitarbeiter*innen bei der Kündigung versucht, ein schlechtes Gewissen zu machen, obwohl klar ist, dass die Organisation sich nicht im Geringsten um den oder die Mitarbeiter*in bemüht hat.

Da jammern Führungskräfte über die ach so unmotivierte und verantwortungslose jüngere Generation, wenn diese nicht ansatzweise darin begleitet wird, ihre Stärken zur Entfaltung zu bringen geschweige denn echte Verantwortung übernehmen zu dürfen.

Da beschweren sich immer noch soziale Organisationen über die hohe Fluktuation in bestimmten Arbeitsfeldern!

Ernsthaft?

Personalentwicklung in sozialen Organisationen ist nicht New Work!

Hier sprechen wir im Übrigen noch nicht von „New Work“ als zukunftsfähiger Organisationsgestaltung.

Wir sprechen hier von den Basics der Personalentwicklung: Personaleinsatz anhand der Stärken der Menschen, das Schaffen regelmäßiger und attraktiver Optionen zur Entwicklung, zum Lernen, zur Übernahme neuer Aufgaben etc. Der geflügelte Begriff des „Berufsjugendlichen“ in der offenen Kinder- und Jugendarbeit macht dies deutlich: Mit 55 Jahren noch Kickern, Kanu und knallharter Krawall ist eine echte Herausforderung, die an jeder Motivation kratzt.

„Klassische Karrieremöglichkeiten“ im Sinne der Übernahme von Personalverantwortung (whatever that means) gibt es oftmals auch nicht. Und wenn doch, dann steigt das Einkommen linear im Gegensatz zur exponentiellen Steigerung von Verantwortung und Stress (schauen Sie einmal in den Tarifverträgen, wie viel eine Geschäftsführerin einer stationären Altenhilfeeinrichtung verdient).

In dieser Konstellation immer noch arrogant den die Organisationen verlassenden Menschen Vorwürfe hinsichtlich nicht vorhandener Loyalität zu machen, ist absurd. Aber Alltag. „Dass Du uns verlässt ist aber für dich nicht so gut!“ … Ähhhh, doch:

Zu bleiben ist das, was für die Menschen wirklich zum Problem würde.

Was also tun?

Ich sehe hier zwei grobe Optionen:

Basics der Personalentwicklung etablieren

Die sozialen Organisationen, im Übrigen oft auch Organisationen anderer Branchen im Dienstleistungssektor, sollten dringend damit beginnen, Menschen dafür zu bezahlen, die Entwicklung der anderen Menschen, der Beschäftigten, so zu gestalten, dass die Wertschöpfung der Organisation optimal sichergestellt wird. Das heißt:

Nur wenn die Menschen dort eingesetzt werden, wo sie ihre beste Leistung abrufen können, wird diese Leistung für die Organisation greifbar. Nur dort, wo die Menschen ihre Potentiale und Möglichkeiten einbringen können, werden die besten Leistungen erbracht. Wichtig ist: Nennt die Personalentwicklung nicht Personalentwicklung, wenn es um Personalverwaltung geht. Das ist etwas anderes.

Wenn es um Personalentwicklung gehen soll, brauchen diese Stellen und „Abteilungen“ zeitliche und finanzielle Ressourcen, vor allem aber echte Verantwortung für die Personalentwicklung.

New Work Education als Personalentwicklung

Option 2 ist das Überspringen der „üblichen“ Entwicklung:

Anstatt aus dem aktuellen Vakuum der nicht vorhandenen Personalentwicklung in sozialen Organisationen den oben beschriebenen Schritt der Etablierung einer Personalabteilung mit echter Verantwortung voranzutreiben, ist es auch möglich, gleich zu „New Work“ zu wechseln:

Wenn es gelingt, die Menschen und die Teams in den Organisationen zur Übernahme echter Verantwortung für sich selbst zu begleiten, braucht es keine „Personalentwicklung“. Die Menschen wissen selbst am Besten, wie es gelingt, dass in ihnen liegende Potential selbst zu entdecken und darauf basierend „Personalentwicklung“ automatisch zu ermöglichen.

Dabei sind jedoch ein paar Aspekte zu beachten:

Strukturen im Innen und Außen bedürfen New Work Education

Menschen brauchen Strukturen. Diese liegen entweder im Außen. Konkret liegen die Strukturen in der Organisation, in den Regeln und Ritualen, den Vorgaben und Prozessen.

Hier gelingt es über Organisationsentwicklungsprozesse hin zu flacheren Hierarchien und dem Strukturabbau mehr Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Organisation zu entwickeln.

Wenn sich aber die äußeren Strukturen zunehmend auflösen und die klassische Hierarchie zunehmend Netzwerken weicht, bedarf es Strukturen, die in den Menschen selbst, in ihren Kompetenzen und Fähigkeiten zum individuellen und kollektiven Umgang mit (Selbst-)Verantwortung liegen: Wie gelingt es, Konflikte im Team anzusprechen und zu bewältigen? Wie gelingt es, Einstellungen vorzunehmen? Wie gelingt es, allein oder im Team Entscheidungen zu treffen, ohne dass der „Chef“ eingreifen muss?

Zum Umgang mit diesen Fragen bedarf es „innerer Strukturen„. Es bedarf „New Work Education“, also der Ausbildung persönlicher Fähigkeiten für „New Work“.

Welche Fähigkeiten dies genau sind, werde ich in einem nächsten Beitrag ausformulieren. Außerdem können Sie in dem spannenden Buch „New Work needs Inner Work“ mehr dazu lesen.

Fazit, oder: Es muss endlich um die Menschen gehen

In erwerbswirtschaftlichen Organisationen gibt es oftmals einen Streit darüber, wer wichtiger ist: Die Mitarbeiter*innen oder die Kunden? Oder sind gar die Mitarbeiter*innen die wichtigsten Kunden? Die Diskussion ist berechtigt, da Kundenorientierung ohne Mitarbeiter keinen Sinn macht, genau wie der Fokus allein auf die Mitarbeiter*innen die Kunden aus dem Blickfeld geraten lässt.

Weder Kunden noch Mitarbeiter*innen

In sozialen Organisationen schauen wir jedoch häufig nicht auf die Mitarbeiter*innen und nicht auf die Kund*innen bzw. die Nutzer*innen unserer Angebote.

Hier liegt der wesentliche Ansatz für Disruption in unserem Sektor: Wenn es gelingt, Organisationen zu gestalten, die sich an den den Problemen der Kund*innen orientieren und man die Mitarbeiter*innen anhand deren Stärken und Potentialen einsetzt, können Organisationen entstehen, die unsere traditionellen sozialwirtschaftlichen Organisationen abzulösen.

Die Kostenträger sind im Übrigen spätestens dann überzeugt, wenn es gelingt, den wirtschaftlichen Nutzen aufzuzeigen. Und das wiederum dürfte nicht so schwer sein.


Wie gelingt New Work in Ihrer Organisation? Haben Sie Lust mit mir dazu zu arbeiten? Dann nehmen Sie doch einfach Kontakt auf. Ich freue mich auf Sie!

P.S.: Abonniere den IdeeQuadrat Newsletter! Dieser bietet Dir wöchentlich kurze Inspirationen rund um die Themen New (Social) Work, Organisationsentwicklung, neuem Lernen und natürlich Einladungen zu Workshops und Veranstaltungen. Und Du verpasst keinen Beitrag mehr… Hier zum Newsletter anmelden!

Hier kannst Du den Beitrag teilen via

Facebook
Twitter
LinkedIn
WhatsApp
Per Mail
Ausdrucken

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sie haben Lust, mit mir zu arbeiten? Dann können Sie…