New Work, Nachhaltigkeit und grüne Politik

New Work und Nachhaltigkeit

Inhalt:

Vielleicht haben Sie es mitbekommen: Ich habe in den letzten Wochen „Wahlkampf“ betrieben. Alleine die Wortwahl im Kontext der Politik ist mehr als bedenkenswert und die Betreuung der Social Media Plattformen in unserem Örtchen hat mir gezeigt, dass es dringend Schulungen für digitale Kompetenz, aber auch einfach für Anstand in der Kommunikation im Netz bedarf. Shitstorms im Kleinen, das hätte ich nicht gedacht. Der Beitrag mit den kontroversesten Diskussionen war der Wunsch für die muslimischen Mitbürger*innen für einen guten Ramadan. Teilweise unfassbar.

Im Nachgang der Wahl – ich wurde übrigens nicht gewählt und bin nicht ganz unglücklich, um meinen Fokus wieder stärker auf IdeeQuadrat richten zu können – hat dann Markus Väth einen lesenswerten Beitrag verfasst zur Frage, wie denn das Thema „New Work“ und übergreifend die Zukunft der Arbeit in den Programmen der verschiedenen Parteien berücksichtigt wurde. Kurzes Zitat:

„Grünen, Linke, AfD, CSU: Null komma null“

https://markusvaeth.com/blog/new-work-nicht-nur-fuer-angela-merkel-neuland/

New Work und Nachhaltigkeit muss in die Politik

Und hier setzt der Beitrag an: Ich bin der Überzeugung, dass das Thema New Work dringend in die Politik gehört. Ich schließe mich hier den Ausführungen von Markus voll an, der eine Unterstützung der Politik durch die „New Work Fachleute“ anregt, und ja: Dafür stehe ich gerne zur Verfügung!

Ich bin aber vor allem der Überzeugung, dass das Thema sehr viel mit Nachhaltigkeit und damit insbesondere „grüner“ Politik zu tun hat, wenn man es denn sinnvoll angeht.

Die Beschäftigung mit der Zukunft impliziert, dass es eine Zukunft geben wird

Die Beschäftigung mit der Zukunft der Arbeit setzt Grundoptimismus voraus: Wenn ich mir die realen Bedingungen in Unternehmen im Allgemeinen und – mein Fokus – den Sozial- und Gesundheitsberufen anschaue, dann geht es ohne diesen Optimismus oft nicht, bei der Belegschaft, den Führungskräften und bei den Klient*innen sowieso: Wenn alle Beteiligten pessimistisch an soziale Arbeit herangingen, könnten wir den Laden (oder die Läden) sofort zumachen.

Dieser Grundoptimismus muss aber nicht nur in den sozialen Organisationen, sondern grundsätzlich bei der Beschäftigung mit der Zukunft der Arbeit an den Tag gelegt werden:

Die Beschäftigung mit der Zukunft impliziert, dass es eine Zukunft geben wird. Zukunft, und noch dazu eine positive, gestaltbare Zukunft, wird von mir (und Ihnen auch, oder?) als gegeben hingenommen: Morgen geht es weiter! Hinzu kommt, dass ich als Vater von drei Kindern natürlich irgendwie an die Zukunft glauben muss, auch wenn mir das in wachliegenden Nächten nicht immer leichtfällt.

Denn, mal ehrlich, die Klimakatastrophe (ich spreche bewusst nicht mehr vom Klimawandel) ist da und glaubt noch irgendwer wirklich an so etwas wie ein „2-Grad Ziel“? Wir kämpfen lieber für ein paar Tage Urlaub auf irgendwelchen Kreuzfahrtschiffen, um noch ja in den Genuss zu kommen, sterbende Gletscher gesehen zu haben. Wir kämpfen lieber um ein paarhundert Arbeitsplätze, um die Braunkohleförderung weiter aufrechtzuhalten. Wir kämpfen lieber für ein paartausend Arbeitsplätze, um als Automobilland weiterhin Benziner und Diesel verkaufen zu können. Und kann es jemand dem Durchschnittschinesen oder -inder oder -pakistani oder oder oder übelnehmen, den gleichen Lebensstandard haben zu wollen, wie wir hier? Nicht wirklich, oder?

Die bisherigen Herangehensweisen an diese Themen erfolgen rückwärtsgewandt. Diese Denklogik der „alten Parteien“ wird in Bezug auf die Reaktion der Parteien und insbesondere der CDU auf das #Rezo Video mehr als deutlich.

Lebensstandard und Arbeitsplätze sind Themen, die den Blog hier unmittelbar berühren. So hat auch New Work immer noch etwas mit Work zu tun, mit Arbeit, mit Einkommen und damit mittelbar auch mit Lebensstandard. New Work ist Work, so, wie eine Haustür eine Tür ist.

Was hat New Work aber mit Nachhaltigkeit zu tun?

Um diese Frage zu beantworten, ist zunächst wieder einmal zu definieren: Über welches New Work sprechen wir hier eigentlich? Daran anschließen stellt sich die Frage, was denn unter dem Buzzword Nachhaltigkeit zu verstehen ist, um abschließend einen Bezug zu sozialen Organisationen herzustellen.

Das New Work, das wir meinen, ist mehr als Minirock!

In den Diskussionen um „New Work“ kommt es mir oft so vor, als würde das „Standard-New-Work“ eher dazu dienen, noch das letzte Quentchen Saft aus den Mitarbeiter*innen zu pressen. Effizienz zu 100 Prozent. Bergmann selbst sagt in einem Interview, dass der Begriff verkommt und er sich darüber maßlos ärgere:

„Dafür habe ich schon fast ein geflügeltes Wort geprägt: Lohnarbeit im Minirock. Für viele ist New Work etwas, was die Arbeit ein bisschen reizvoller macht. Und das ist absolut nicht genug.“

https://www.haufe.de/personal/hr-management/frithjof-bergmann-uebt-kritik-an-akteuller-new-work-debatte_80_467516.html

New Work wird zu schnellerer, flexiblerer, twentyfourseven erreichbarer, always on und irgendwie hipper Arbeit. Dazu gibt es elitäre Veranstaltungen wie die New Work Experience, im Jahr 2019 wieder in der Elbphilharmonie und – nachdem Bergmann auf der letzten Veranstaltung war – diesmal sogar mit Laloux höchstpersönlich, für nur 900,- EUR (Tagesticket), die mit Nachhaltigkeit so wenig zu tun haben wie der neue BMW X5, dessen Werbekampagne spannenderweise mit den Worten eingeleitet wird: „Der Boss ist da!“

Das ist old work at its best. Wer denkt sich solch bescheuerten Sätze aus: „Die mächtige einteilige Doppelniere lässt erahnen, was passiert, wenn er tief Luft holt.“ Luft ist in Bezug auf den neuen X5 sowieso eine absurde Verbindung… Jetzt rege ich mich auf… Also wieder runterfahren, Atmen (solange es noch geht) und entspannen, da es mir darum eigentlich nicht geht.

New Work bedeutet Un-Abhängigkeit

New Work im ursprünglichen Sinn basiert auf der Frage, wie es gelingen kann, mit wenigen Mitteln, unabhängig von klassischer Lohnarbeit sehr lokal möglichst gut zu leben. Bergmann sagt:

„Der ursprüngliche Gedanke war ein sehr krasser und doch einfacher: Ich habe in den 1970er-Jahren bei General Motors in Flint, Michigan, gearbeitet. Dort hatte man ein ähnliches Problem wie heute: Die Digitalisierung schritt dramatisch vo­ran. Man setzte immer mehr Computer ein und das bedeutete, dass es Massenentlassungen geben würde. Doch die Digitalisierung schafft ja nicht die ganze Arbeit ab, sondern verkürzt sie nur. Deshalb habe ich vorgeschlagen, die Hälfte der Arbeitszeit sollte man am Fließband erledigen und in der anderen Hälfte der Arbeitszeit herausfinden, was man wirklich, wirklich will. Als Verhandlungsführer habe ich dem Management gegenüber betont, dass es dabei nicht nur darum geht, Entlassungen zu verhindern. In der freien Zeit, die die Arbeiter durch die Digitalisierung gewinnen, sollten sie die Möglichkeit haben, mit sehr viel Unterstützung ihre Berufung zu finden.“

https://www.haufe.de/personal/hr-management/frithjof-bergmann-uebt-kritik-an-akteuller-new-work-debatte_80_467516.html

Neben dem, dass New Work und die Suche nach dem, was man wirklich wirklich will, ein grandioses Arbeitsfeld für die Soziale Arbeit bieten wird (hoffentlich), lohnt sich ein Blick in den kleinen Film New Work: Eine Stadt im Umbruch, der auf Detroit und die sich dort vollziehenden Entwicklungen schaut.

Der Blick ins Ruhrgebiet nach der Kohle liegt nahe und möglicherweise werden wir in ein paar Jahren auch noch mit ähnlichen Bildern vor Augen nach Wolfsburg und München schauen. 

Was will ich wirklich?

Noch einmal kurz: Die Dreigliedrigkeit des von Bergmann angedachten New Work Konzepts, bestehend aus

  • Erwerbsarbeit (1/3),
  • High-Tech-Self-Providing (Selbstversorgung, 1/3) und
  • einer Arbeit, die man wirklich, wirklich will (1/3),

basiert auf der Feststellung, dass die „klassische“ Erwerbsarbeit insbesondere aufgrund der Roboterisierungs- und Automatisierungsprozesse zurückgehen wird (vgl. dazu bspw. Bonin/Gregory/Zierahn, 2015).

Um aber die Arbeitsplätze nicht gleich zu verlieren, sondern eine finanzielle Basis für alle zu schaffen, soll im Konzept “New Work” ein Drittel aus der zukünftig noch zur Verfügung stehenden klassischen Erwerbsarbeit bestehen. Gleichzeitig werden durch das erzielte Einkommen Anschaffungen möglich, die nicht durch eigene Arbeit oder nachbarschaftliche Netzwerke erzeugt werden können.

Dieser Teil von New Work kann im Übrigen gut in die Überlegungen der zukunftsfähigen Organisationsentwicklung eingebunden werden: Die Zeit, die Menschen in Organisationen verbringen, sollten möglichst so gestaltet sein, dass die Arbeit den Ideen der Selbstorganisation, der Ganzheitlichkeit und der sinnvollen Zweckorientierung folgen.

Das zweite Drittel der zur Verfügung stehenden Zeit wird mit Selbstversorgung auf technisch höchstem Niveau zugebracht. Hier geht es jedoch nicht ausschließlich darum, Kartoffeln im eigenen Garten anzubauen. Es geht darum, mit den heute zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten (bspw. 3D-Druck) Dinge des täglichen Lebens (angefangen von der Kartoffel bis hin zu bspw. technischen Geräten) herzustellen. Hinzu kommt, dass sich die Menschen zunehmend verstärkt Gedanken um den tatsächlich sinnvollen Konsum machen, wodurch sich der Bedarf automatisch reduziert (vgl. hierzu bspw. die Ausführungen zum “Megatrend Neoökologie”).

Als dritte Säule der Neuen Arbeit steht die Arbeit, die die Menschen „wirklich, wirklich machen wollen“. Ausgehend davon, dass Arbeit grundsätzlich niemals endet, wenn man Arbeit als über das Lohnarbeitssystem hinausgehend definiert (bspw. Familie, Pflege, Ehrenamt…), ist dieser Bestandteil des Konzepts „Neue Arbeit“ als wesentlich anzusehen.

Bergmann favorisiert hier einen evolutionären Ansatz der Systemveränderung, der nur nach und nach erfolgen kann, vorangetrieben durch Menschen, die sich an dem orientieren, was sie wirklich, wirklich wollen (und brauchen). Die Menschen sollen sich demzufolge allmählich unabhängiger machen vom Lohnarbeitssystem durch Selbstversorgung und (auch) Unternehmertum.

Nicht höher, schneller, weiter

Und die Nachhaltigkeit liegt hier auf der Hand:

Es geht nicht um „höher, schneller, weiter“, nicht um mehr Verbrauch und das Verstecken des eigenen Egos hinter Luft holenden, mächtigen, einteiligen Doppelnieren.

Danke Thomas, für das Bild!

New Work in diesem Sinne fokussiert auf die eigene Umgebung, die eigene Berufung, Selbständigkeit, Freiheit und Verantwortung. Freiheit muss man aushalten, immer wieder. Und Angst ist der Preis der Freiheit. Aber Tod und Vernichtung ist der Preis ohne Freiheit und damit das exakte Gegenteil einer „Alternative für Deutschland“.

Bei genauem Blick deutet heute schon sehr viel darauf hin, dass sich viele Entwicklungen in Richtung Substituierbarkeit von Tätigkeiten bewahrheiten. Das Schließen von Bankfilialen vor Ort ist ein Zeichen, genau wie der Stellenabbau bei wie als Dinosaurier agierenden Automobilkonzernen. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, Arbeit neu zu denken. Ein eigentlich typisches Thema für die SPD, die es jedoch komplett verpennt, sich neu und zielführend aufzustellen.

Liebe Grünen, das ist Eure Chance!

New Work und Nachhaltigkeit und grüne Politik?

New Work und Nachhaltigkeit lassen sich super verbinden! Ganz konkret hier ein paar Ansätze, die diese Verbindung schon heute zeigen:

Wie wäre es mit der Förderung von Maker- und Coworking-Spaces auf dem Land (High Tech Self Providing)? Wie wäre es mit dem verstärkten Einsatz für ein wirklich gut ausgebautes Netz, um damit bspw. Home-Office Initiativen auszubauen (Arbeit in Organisationen)? Wie wäre es mit der Förderung des Ausbaus eines gemeinschaftlich finanzierten ÖPNV? Wie wäre es mit der Unterstützung von Nachbarschaftsinitiativen für eine gemeinschaftliche Gartennutzung? Wie wäre es mit der Unterstützung der Menschen bei der individuellen Sinnfindung und Potentialentfaltung? Wie wäre es mit dem Bau eines neuen Europas, dass nicht in Sachen Digitalisierung hinter Amerika und vor allem China hinterherhinkt, sondern als Reallabor zukunftsfähigen Lebens gestaltet wird?

Oder kurz, liebe Grüne:

Verbindet Arbeit mit Nachhaltigkeit und Zukunftsorientierung, dann kandidiere ich auch wieder für den Gemeinderat 😉


P.S.: Ich empfehle zum Weiterlesen die Ausgabe „Unabhängigkeit“ der Brand Eins.

Update 03.06.2019: Heute flatterte mir dieser nette Beitrag der Zeit in meine Timeline. Darin heißt es:

Wenn wir etwas ausrichten wollen, müssen wir unsere Arbeitszeit reduzieren. Anstelle der üblichen 40 Stunden wäre laut des Papers eine neun-Stunden-Woche nachhaltig.

https://ze.tt/wenn-du-was-gegen-den-klimawandel-tun-willst-geh-weniger-arbeiten/

Hier kannst Du die Studie dazu herunterladen!

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4 comments on “New Work, Nachhaltigkeit und grüne Politik

  1. Christine Jung am

    Wunderbarer Beitrag, der mir aus dem Herzen spricht! Neu ist mit tatsächlich der Gedanke New Work zusammen mit grüner Politik und Nachhaltigkeit zu denken – aber absolut folgerichtig.
    Übrigens spreche ich immer öfter vom „Orginal“ New Work, um es vom Mainstream abzugrenzen.

    Antworten
    • HendrikEpe am

      Hey Christine,
      vielleicht braucht es wirklich einen neuen Begriff? Bin mir nicht sicher…
      Danke für Deinen Kommentar dazu!
      Liebe Grüße nach Hannover
      Hendrik

      Antworten
    • HendrikEpe am

      Hey Torsten,
      warum sollte ich?
      Das Konzept bietet enormes Enticklungspotential. Daran versuche ich zu arbeiten 😉
      LG
      Hendrik

      Antworten

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