Die Debatte zur Zukunft der Arbeit ist nett: Selbstbestimmung, Unternehmensdemokratie, sich selbst organisierende Teams, übergreifend mehr Sinnorientierung als Auswirkung sich verändernder Arbeitsbeziehungen uvm. Das klingt doch toll. All das sind Themen, gegen die niemand etwas haben kann. Zusammenfassend könnte man doch festhalten, dass es bei der Beschäftigung mit der Zukunft der Arbeit ganz klar um mehr Menschlichkeit in unserer Arbeitswelt und – hier spezifisch – der „sozialen Arbeit“ (allein begrifflich schon ganz spannend) geht.
Oder?
Geht es wirklich um mehr Menschlichkeit?
Ist das „Wozu“ der notwendigen Veränderung unserer Arbeitswelt hin zur Innovationsfähigkeit, hin zur Flexibilität und Agilität, tatsächlich „mehr Menschlichkeit“? Ich bin hier sehr ambivalent, wie sich schon aus der Überschrift ableiten lässt.
Burnout Exkurs
So habe ich bereits einige Beträge zu dem auch und (vielleicht) gerade in sozialen Berufen relevanten Thema Burnout verfasst (hier eher individuell, hier eher organisational).
Burnout auf individueller, persönlicher Ebene ergibt sich daraus, dass Menschen nicht nur brennen für das, was sie tun. Zu brennen, für das was man tut, ist wahrscheinlich sogar die beste Burnout-Prophylaxe, die man finden kann. Burnout ergibt sich vielmehr daraus, neben dem Brennen darin eingeschränkt zu werden, WIE man seine Aufgaben erledigt.
Burnout Prophylaxe
Burnout konkret:
Ich brenne, habe Bock auf ein bestimmtes Thema, engagiere mich und werde dann in meinem Engagement, gebremst, geleitet, blockiert und/oder gezwungen, Dinge zu tun, Reisen zu machen, Formulare auszufüllen, whatever, für die ich keinen Sinn, Nutzen, Mehrwert, Verbundenheit sehe.
Daraus ergibt sich eine innere Zerrissenheit zwischen dem, was ich will und dem, was ich muss. Kommt noch hinzu, dass ich das, was ich muss, nicht kann, wird es ganz problematisch.
Was ich mit diesem kurzen Burnout-Exkurs sagen will ist:
Die Beschäftigung mit der Zukunft der Arbeit, mit New Work, mit Agilität etc. bedeutet , ein Bewusstsein dafür zu schaffen, die Menschen in den Organisationen zur Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Potential, mit ihren Stärken, ihrer Selbstbestimmung zu befähigen und daraus dann tatsächlich mehr Menschlichkeit erwachsen zu lassen; mehr Menschlichkeit im Sinne von Potentialentfaltung und Selbstbestimmung. Ich bin davon überzeugt, dass durch die sinnvolle Gestaltung der Zusammenarbeit in Organisationen die individuelle Burnout-Rate massiv gesenkt werden kann, wodurch sich gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit für organisationalen Burnout drastisch verringert.
Mehr Menschlichkeit im Sinne der Potentialentfaltung jedes Einzelnen ist damit die eine, hochgradig relevante Seite der Beschäftigung mit der Zukunft der Arbeit.
Mehr als Menschlichkeit
Aber – und daher kommt meine Ambivalenz – bin ich auch davon überzeugt, dass es bei der Gestaltung zukunftsfähiger sozialer Organisationen um mehr gehen muss als um „die menschliche Seite der Arbeit“, wie es bei Lydia Krüger so schön heißt.
Treiber, oder das Warum von New Work
Die Treiber der Zukunft der Arbeit fokussieren auf die Frage nach dem Warum: Warum ist es relevant, dass sich Organisationen auf den „Weg nach New Work“ begeben?
Das Warum ist eine Frage, die im Wesentlichen die Vergangenheit und zu geringen Teilen die Gegenwart thematisiert: Welche Entwicklungen gab und gibt es ganz aktuell, die dazu geführt haben bzw. dazu führen, dass sich Organisationen über die üblichen Veränderungsnotwendigkeiten (neues Personal, neue Nutzer*innen) entwickeln müssen?
Ich habe zu dieser Frage bereits einen ausführlichen Beitrag verfasst, der hier nachzulesen ist. Kurz das Warum in Stichworten:
- Demografische Veränderungen
- Fachkräftemangel
- Ökonomisierungs- und Privatisierungstendenzen
- Ethisch korrekte Handlungen
- Neue Qualitätsanforderungen
- Umgang mit Komplexität und Dynamik
Nutzen, oder das Wozu von New Work
Im gleichen Beitrag fokussiere ich aber auch auf die Frage nach dem „Wozu“ von New Work, also der Frage nach der Zukunft und dem Nutzen von New Work. Auch hier wieder die Stichworte:
- Innovationsfähigkeit
- Komplexitätsbewältigung durch Selbstorganisation
- Qualitätssicherung durch Kommunikation
- Attraktivitätssteigerung
- Agilität, Effektivität und Effizienz
- Menschlichkeit
Menschlichkeit?
Ja, in dem Beitrag ziehe ich Menschlichkeit als einen der wesentlichen Nutzen für eine Beschäftigung mit neuen Arbeitsmodellen heran.
Aber ist es wirklich Menschlichkeit, also die Frage nach der guten, menschenwürdigen Arbeit, die Sie als Verantwortungsträger der Organisationen, als Geschäftsführer*innen oder Vorstände bewegt, Ihre Organisation umzubauen?
Aus meinem Blick auf die Belegschaft vieler sozialer Organisationen sowie den Gesprächen mit Entscheidungsträgern sozialer Organisationen wird deutlich:
Menschlichkeit ist AUCH ein Faktor, wozu New Work dienlich ist.
Aber es ist nicht der Wesentliche.
Wesentlich ist die Sicherstellung des Überlebens der Organisation. Damit sind eben nicht die „weichen Faktoren“, das „Gedöns“, wie es mal bezeichnet wurde, angesprochen, sondern die „harten Fakten“:
- Innovationsfähigkeit
- Komplexitätsbewältigung durch Selbstorganisation
- Qualitätssicherung durch Kommunikation
- Attraktivitätssteigerung zum Finden neuer Fachkräfte
- Agilität,
- Effektivität und
- Effizienz
Fazit, oder: Kollateralnutzen Menschlichkeit
Damit wird es möglich, das Überleben sozialer Organisationen sicherzustellen. Damit wird es möglich, neuen Konkurrenten innovativ zu begegnen. Es wird möglich, den Zweck der Organisation, deren Daseinsberechtigung, immer wieder neu infrage zu stellen. Es wird möglich, mit zunehmender Komplexität umgehen zu können, ohne unangemessene Komplexitätsreduktionen vorzunehmen.
Mehr Menschlichkeit wird damit zum hochgradig relevanten Kollateralnutzen, einem begleitenden Nutzen der Beschäftigung mit der Zukunft der Arbeit aus organisationaler Perspektive.
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3 comments on “Die Zukunft der Arbeit in Sozialen Organisationen: Es geht (nicht?) um mehr Menschlichkeit!”
Die sozialen Organisationen mit denen ich in letzter Zeit zu tun hatte, kommen mir sehr „ausgelaugt“ und „gestresst“ vor. Sie sind auf Effizienz getrimmt und zahlen aus meiner Sicht zu wenig.
Die Zukunft der Arbeit, so wie sie hier beschrieben wird, klingt verlockend – für MA und „Kunden“.
Doch ist sie in unserem System überhaupt realistisch? Was müsste den passieren, dass sich das „alte“ System wandelt und in Bewegung setzt?
Viele Grüße, Christoph Schlachte
Lieber Christoph,
bitte entschuldige, dass ich so spät antworte, das ist mir echt durch die Lappen gegangen…
Zu Deinem Feedback: Ja, ich bin davon überzeugt, dass sich viele der sozialen Organisationen kurz vor oder mitten im organisationalen Burnout befinden. Neue Ideen, Platz für Freiräume, Innovation und andere Arten der Zusammenarbeit kommen darin kaum vor (auch wenn es einige Organisationen gibt, die auf einem sehr guten Weg sind).
Und zu der Frage: Ich bin mir auch unsicher, ob echter Wandel nur durch entsprechenden Schmerz ausgelöst werden kann oder ob auch Einscht ausreicht, um voranzugehen. Wenn Einsicht ausreicht, was ich hoffe, dann liegen viele Schritte hin zu neuen Arbeitsweisen auf der Hand: Mehr Freiheit für die Beschäftigten, mehr echte Teamarbeit, mehr „agiles“ Management im Sinne der Anerkennung von Komplexität etc… Da ist natürlich jede Organisation individuell zu betrachten, um konkret werden zu können.
Ich hoffe, dass wir uns damit auf einen guten Weg bewegen…
Soweit aus dem Süden!
Liebe Grüße
Hendrik