Ein Text zum nach-, quer- und umdenken.
Der folgende Beitrag ist ein Gastbeitrag von Gerd Marx.
Gerd Marx, geboren 1968, seit 2008 Coach und Berater im Bereich der Team- und Organisationsentwicklung, ist spezialisiert auf die beiden Themenbereiche strategische und soziale Kooperation und die der Problemtransformation. Er ist Geschäftsführer der SeminareMacher GmbH und entwickelt unter anderem dort mit seinem Team spezielle Weiterbildungskonzepte für Unternehmen, Behörden und andere Organisationen.
Der Beitrag entstand im Nachgang zum „Zwiegespräch Neue Wirtschaft“ der Plattform „intrinsify.me“ und schließt an den kontrovers diskutierten Beitrag zu „New Work als Spiritualität, elitärem Scheiß und dringlicher Notwendigkeit“ an.
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Systemkosmetik
Wer sich grundsätzlich einmal Gedanken darüber macht, inwieweit die heutige Arbeitswelt vom Müssen und nicht vom Dürfen, Können oder Wollen geleitet ist, der wird schnell erkennen und verstehen, dass eine wirklich neue Arbeitswelt, heute auch gerne „New Work“ genannt, nur dann möglich ist, wenn s(S)ie nicht mehr vom Kapital gesteuert und beeinflusst werden – kann.
Alles andere wird nicht wirklich mit etwas Neuem zu tun haben, sondern nur eine Anpassung und damit Symptom- und Systemkosmetik sein. Das kann man so machen, muss man aber nicht.
Marx
Jetzt werden einige gleich aufschreien und mir sagen wollen: „Den hatten wir schon, den Marx!“. Stimmt, hatten wir schon und jetzt ist er wieder da, aktueller denn je.
Wir sollten ihn nur an die heutige Zeit angepasst denken und verstehen lernen. Da ich selbst Marx heiße liegt es für mich nahe, das Thema einmal auch aus dieser Perspektive zu betrachten. Aber um es gleich vorwegzunehmen: Nein, ich glaube nicht an Wiedergeburt, bin auch nicht vom Himmel gefallen und auf einem leeren Grundstück in Berlin-Mitte aufgewacht.
Aber sehr wohl weiß ich, dass sich Handlung wiederholt, nur eben zeitlich und perspektivisch angepasst. Anders ausgedrückt: Geschichte wiederholt sich, dies mit der entsprechenden Perspektive dazu, jedoch unter anderen, aktuellen Bedingungen.
Wir kennen dies auch aus Zitaten und gemachten Feststellungen oder Definitionen – „In der Geschichte bleibt Nichts das Selbe – es Gleicht sich nur; – Wer vergleichen kann hat immer eine Alternative und – ; Bekanntlich ist das Selbe nicht das Gleiche.“
Und nun?
Ich denke, ich darf sagen, dass wir uns immer noch in einer Zeit bewegen, in der „richtig“ ist, was „erfolgreich“ ist und der Weg dorthin gar nicht oder nur sehr schwer planbar bleibt. Der Grund liegt darin, dass die Zukunft, soweit mir das bekannt ist, noch nicht wirklich 100%ig vorherseh- und -sagbar ist, auch wenn so mancher Managementberater, Betriebswirtschaftler, Sozialwissenschaftler, Schwarzseher usw. noch immer gerne etwas Anderes erzählt, vorgibt oder gar noch in dieser Überzeugung lebt und danach handelt. Das ist – bedingt – ok für mich.
Möglich wird dies Einstellung auch durch eine Arbeitswelt, die „glücklicherweise noch immer“ in ihren bekannten Prozessen regel- und steuerbar ist, die negative Überraschungen – auf Teufel komm raus – durch Kontrollen vermeiden will und es wünschenswert bleibt, möglichst vorhersagen zu können, was morgen und darüber hinaus sein wird. So kann und soll uns – dem Volk – weisgemacht werden, dass alles unter Kontrolle ist und bleibt.
Alles unter Kontrolle?
Mitnichten, wenn wir uns die Ergebnisse von Fukushima, Tschernobyl und weitere von Menschenhand gemachte Katastrophen einmal genauer anschauen oder auch unter die „Lupe“ nehmen.
Aus einer anderen Perspektive einmal ketzerisch gefragt: „Ist es wirklich nur immer die Arbeit, die steuer- und kontrollierbar bzw. vorhersagbar bleiben soll oder auch etwas anderes?“ Darüber hinaus: „Was wäre dann Arbeit überhaupt unter den Bedingungen der Steuer- und Kontrollier- bzw. Vorhersehbarkeit?“ Oder grundsätzlich gefragt:
„Wie definiert sich Arbeit bis heute?“
Was ist Arbeit?
Dazu schreibt Prof. Dr. Stefan Kühl, Professor für Soziologie an der Universität Bielefeld:
„Arbeit ist ein schillernder Begriff. Intuitiv meint man zu wissen, was darunter zu verstehen ist. Wenn man aber genau hinsieht, wird deutlich, wie unklar es ist, was als Arbeit bezeichnet werden kann und was nicht. Dass jemand, der für seine Tätigkeit in einer Fabrik, in einem Altenheim oder einem Verein eine Entlohnung bekommt, arbeitet, mag noch unumstritten sein, aber was ist, wenn die Tätigkeit nicht entlohnt wird? Einer Unternehmerin, die ihre Firma selbst führt, kann man schwerlich absprechen, dass sie arbeitet, aber was ist, wenn sie ihr Unternehmen von anderen managen lässt und sich auf den Aufsichtsratsvorsitz zurückzieht? Wenn jemand als bezahlter Tutor an einer Universität seinen Kommilitonen die Feinheiten der Varianzanalyse beibringt, würde man vermutlich von Arbeit sprechen, aber wie sieht es aus, wenn die gleiche Person diese Leistung als Freundschaftsdienst erbringt?“[1]
Wer sich also mit einer neuen Arbeitswelt und moderner Unternehmensführung auseinandersetzt, darf und sollte auch Antworten geben, u.a. darauf, was Arbeit ist bzw. was er /sie unter Arbeit versteht.
Wir könnten es uns einfach machen und alles, was unter menschliche Tätigkeiten fällt, als Arbeit bezeichnen, nur wird dies nicht ganz so einfach sein und werden (vgl. bspw. Applebaum 1992[2] und Budd 2011[3]).
Wenn wir aber den Blick auf die Arbeitswelt und damit auf die entsprechenden Organisationen richten, können wir festhalten, dass diese Art von geleisteter Arbeit eine durch Geld quantifizierbare Ware ist. Unumstritten ist sicherlich auch, dass das Aufkommen von bezahlter Arbeit und die damit verbundene Entstehung von Arbeitsmärkten ein zentrales Merkmal der modernen Wirtschaft und damit der Arbeitswelt von heute darstellt. Denn durch dieses Merkmal wurde es möglich, dass die Tätigkeiten verschiedenster Berufsgruppen unter monetären Gesichtspunkten bis heute vergleichbar sind (vgl. Kühl 2017), wir nennen es dann Lohnarbeit.
Lohnarbeit
(Kühl 2017 S.2f) schreibt dazu weiter:
„In den Betrieben konnten Kosten für Arbeitskräfte ähnlich wie Kosten für Rohstoffe und für Kapital kalkuliert werden, und diese verschiedenen Kostenfaktoren konnten miteinander in Beziehung gesetzt werden. Es wurde möglich, auszurechnen, ob es günstiger ist, eine Aufgabe durch Einführung neuer automatisierter Produktionsmethoden oder durch extensiven Einsatz von Arbeitskräften zu erledigen. Und ganz zentral in diesem Zusammenhang – von dem Moment an, als Arbeitsleistung in Dollar, Mark, oder Franken quantifizierbar wurden, wurden sie, ähnlich wie Produkte oder Kapital, auf Märkten handelbar (zur Beobachtungsfunktion von Märkten siehe Luhmann 1988a S.95).“[4]
Wer also so in Beziehunggesetztes und damit Vergleichbares handeln möchte, dies in einem kapitalistisch gesteuerten Wirtschaftssystem, MUSS Geld verdienen, ist also vom Kapital abhängig.
Eine mögliche neue Arbeitswelt, die somit nach einem frei entscheidbaren Wollen, Können und Dürfen fragt, ist unter diesen Umständen nicht möglich, da Arbeit, – lohnabhängige Arbeit – immer an den Zwang der erzwungenen Vergleichbarkeit mit Kosten für Rohstoffe und den Kosten für das Herankommen an Kapital (Zinsen) gebunden ist und damit vergleichbar bleiben MUSS: Dies auch in Zusammenhang mit einem entsprechenden Finanzsystem, welches basierend auf dem „System“ Kapitalismus aufgebaut ist.
Nun ist es möglich zu sagen: „Du KANNST doch arbeiten wann und wo und mit wem Du WILLST und selbstverständlich DARFST Du das auch.“ Nur dumm, dass dies unter den heutigen monetären, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten immer an das MUSS, in dem Fall an das Kapital gebunden bleibt und wir in dieser Abhängigkeit stecken; egal wie wir dann die neue Arbeitswelt denken und wünschen, sie bleibt unter den Bedingungen des Kapitals und der des Kapitalismus dann eben nur eine Symptom- und Systemkosmetik.
Denn für Kost und Logis oder den Tausch Ware gegen Ware, so wie es vor 200 Jahren auch schon einmal war, arbeitet heute in unserm System niemand mehr.
New Work als Illusion
Diese auf Basis der alten Arbeitswelt gesteuerte monetäre (Lohn-)Abhängigkeit, funktioniert in etwa immer so – wenn der Vergleich auch etwas hinkt – wie die zynische Frage nach: „Wie WOLLEN Sie sterben (arbeiten)? Sie DÜRFEN es sich aussuchen (die Art des Arbeitens)? -WOLLEN Sie lieber erhängt oder erschossen werden (da oder dort arbeiten)?“
Sie werden mir zustimmen, im Ergebnis sind Sie tot (Ihre Arbeitswelt bleibt die gleiche), es kostet Sie das Leben (die Idee einer neuen Arbeitswelt). Keine wirklich neue Alternative, würde ich sagen.
Oder wie es Hendrik Epe in seinem Blog geschrieben hat – „..dass New Work auch irgendwie ein elitärer Scheiß (sorry für den Ausdruck) zu werden droht.“
Ich würde sagen:
„Unter den Umständen dieser Sichtweise ist und bleibt New Work in der jetzigen Form ein Surrogat und damit eine „nette Illusion, mit welchem Ziel auch immer.“
Ach ja, und noch etwas: Ein Schelm, wer jetzt denkt oder sagt: In dem Fall sei das Kapital, in Zusammenhang mit dem Kapitalismus unser Tod. Nun ja, warten wir es ab, wo uns der Kapitalismus (verstanden als Epoche der Wirtschaftsgeschichte) noch hinführt.
Denn Kriege, finanziert durch das Kapital (wie von Marx verstanden in seinen Bändern 1-3)[5] gibt es bis heute, Menschen verhungern und andere leben in einem nicht mehr fassbaren Überfluss. In diesem Sinne:
Fangen Sie doch einmal an über das Gelesene nachzudenken, um dann eventuell wirklich etwas Neues also eine Alternative zur Lohnarbeit zu erdenken, ansonsten –
Herzlich willkommen in der schönen neuen alten Welt von „New Work“!
Vertrauen Sie darauf (?!), denn Vertrauen ist eine Entscheidung ins Ungewisse und damit auch in die Zukunft.
Diese bleibt wie seit eh und je komplex, aber das ist ein anderes Thema.
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Autor: GERD MARX
Verwendete Quellen:
[1] Kühl Stefan, Arbeit – Marxistische und systemtheoretische Zugange S.1 f, Springer VS (21. Juli 2017)
[2] Applebaum Herbert, The Concept of Work: Ancient, Medieval, and Modern (Suny Series in the Anthropology of Work), State University of New York Press (1992)
[3] Budd John W., Work, Definitional (S.985-987), In: Sociology of Work: An Encyclopedia 2013
[4] Luhmann Niklas, Die Wirtschaft der Gesellschaft, Suhrkamp Verlag, Auflage: 7 (25. September 1994)
[5] Karl Marx, Das Kapital (Vollständige Gesamtausgabe): 3 Bände im Schuber, Nikol (21. November 2016)
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