Spannungen im Team? Was auf den ersten Blick negativ klingt, ist in Wirklichkeit ein ungenutzter Schatz! Gerade in Teams sozialer Organisationen, in denen es um Menschen, Kommunikation und komplexe Herausforderungen geht, sind Spannungen ständige Begleiter. Doch statt sie zu ignorieren oder als Störfaktor zu betrachten, bietet spannungsbasiertes Arbeiten eine praktische Möglichkeit, sie zu nutzen – als Treibstoff für Veränderung und Weiterentwicklung. Doch wie geht spannungsorientiertes Arbeiten?
Dieser Beitrag gibt dir als Teamleitung eine Einführung in spannungsbasiertes Arbeiten, zeigt auf, warum es sich lohnt, sich damit zu beschäftigen und liefert konkrete Werkzeuge für die Umsetzung in deinem Team.
Was ist spannungsbasiertes Arbeiten?
Leider ist der Begriff „Spannung“ im Deutschen negativ besetzt. Neutral betrachtet bedeutet Spannung aber einfach den Unterschied zwischen dem, was ist und dem, was sein könnte (Ist – Soll). Negative Spannungen entstehen z.B. durch unklare Rollen der Teammitglieder, fehlende Informationen oder einen nicht optimal ablaufenden Prozess. Positive Spannungen sind z.B. Ideen, wie Prozesse verbessert, Rollen geklärt oder Informationen transparenter weitergegeben werden können.
Ein Beispiel: Anna, Sozialarbeiterin in einem Jugendprojekt, hat das Gefühl, dass ihre Verantwortlichkeiten nicht klar definiert sind. Das verursacht Unsicherheit, Überlastung und Frust – sie weiß nicht, ob sie bestimmte Aufgaben übernehmen muss oder delegieren kann. Diese Unklarheit ist eine Spannung!
Statt Spannungen als etwas Störendes zu sehen, sind sie eine Chance: Sie zeigen nur auf, wo Entwicklung notwendig ist. Spannungsbasiertes Arbeiten bedeutet, diese Spannungen sichtbar und damit besprechbar zu machen, sie zu thematisieren und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
Der Kern spannungsbasierten Arbeitens ist also die einfache Frage:
„Was brauchst du?“
Warum spannungsbasiertes Arbeiten?
…der komplexe Arbeitsalltag
Gerade in Teams der Sozialen Arbeit ist der Alltag häufig geprägt von:
- Hoher Arbeitsbelastung
- Emotionalen Herausforderungen (z. B. schwierige Klient:innen-Situationen)
- Rollenunklarheiten und unklaren Zuständigkeiten („diffuse Allzuständigkeit“, wie es Thiersch so passend nennt)
- Kommunikationsproblemen im Team
Spannungen im negativen Sinne gehören dazu. Aber auch Spannungen im positiven Sinne sollten nicht „unter den Teppich gekehrt“ werden. Spannungen bieten Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten, können zu innovativen Lösungen führen und damit das Team voranbringen. Es gilt also…
… das Potenzial von Spannungen zur Veränderung zu nutzen
Spannungen können zu positiven Veränderungen führen, wenn man sie als Impuls begreift:
- Unklare Rollen? Zeit, Aufgaben klar zu verteilen!
- Fehlende Kommunikation? Strukturen schaffen, um regelmäßig Informationen zu teilen.
- Emotionale Belastung? Raum schaffen, um darüber zu sprechen und gemeinsam Unterstützung zu bieten.
- neue Ideen? Möglichkeiten Andenken, wie diese umgesetzt werden können.
Spannungsbasiertes Arbeiten lädt dazu ein, Veränderungen proaktiv anzugehen, statt abzuwarten, bis Konflikte entstehen oder Ideen versanden.
Wie geht spannungsbasiertes Arbeiten konkret?
Spannungen im Spannungsspeicher sichtbar machen
Der erste Schritt ist, einen „Spannungsspeicher“ zu schaffen – einen Ort, an dem alle Spannungen transparent gesammelt werden.
Spannungsspeicher können…
- …eine Wand oder ein Flipchart mit Post-its,
- …ein digitales Tool (z. B. in Tools wie Trello oder Meistertask
- …ein digitales Whiteboard* (ich nutze zum Beispiel Conceptboard) oder
- …ein einfaches Dokument (Word oder Excel) sein.
Regel: Jede:r kann und sollte seine Spannungen jederzeit notieren – anonym oder offen. Wichtig ist: Es geht nicht darum, Schuldige zu finden, sondern um Entwicklung.
Praxisbeispiel: Bei Teammeetings in einem Jugendzentrum gibt es ein Whiteboard für Spannungen. Mitarbeitende schreiben ihre Anliegen auf Post-its, die dann gesammelt und besprochen werden.
Vier Räume: Es ist sehr hilfreich, den Spannungsspeicher in vier „Räume“ zu unterteilen:
- Individueller Raum: Spannungen in Bezug auf Dich selbst (bspw. hast Du das Bedürfnis, deine Arbeitszeit zu reduzieren, eine Weiterbildung zu machen oder Deine Rolle im Team zu schärfen).
- Beziehungsraum: Spannungen in Bezug auf Eure Beziehungen im Team (bspw. siehst Du aufkommende Konflikte, fühlst Dich in Deinem Büro mit Kollegin XY unwohl oder würdest gerne eine Weihnachtsfeier veranstalten)
- Operativer Raum: Spannungen in Bezug auf Deine fachliche Arbeit (bspw. habt ihr ein Konzept zu überarbeiten, eine neue Idee für ein pädagogisches Angebot oder Du willst kollegiale Beratung zu einem fachlichen Thema)
- Organisationsraum: Spannungen in Bezug darauf, wie ihr im Team zusammenarbeitet (bspw. hast Du Ideen für Verbesserungen von Prozessen oder Du bist unzufrieden mit der strategischen Ausrichtung und würdest diese gerne weiterentwickeln)
Über die Sammlung der Spannungen und die Einteilung dieser in die vier Räume dient der Spannungsspeicher automatisch als Gliederung und Tagesordnung für Deine Teamsitzungen.
Die Lösungsfrage: „Was brauchst du?“
Sobald die Spannungen gesammelt sind, wird jede Spannung im Team bearbeitet. Manchmal ist es hilfreich, die Spannungen im Voraus zu priorisieren, wenn nicht genügend Zeit zur Verfügung steht, um alle Spannungen in einer Sitzung zu bearbeiten. Tipp: Spannungen im Beziehungsraum sollten nicht auf die lange Bank geschoben werden 😉
Und dann kommt die Kernfrage ins Spiel:
„Was brauchst du, um diese Spannung zu lösen?“
Die Antwort darauf ist individuell und könnte eine der folgenden sein:
- Informationen teilen: „Ich brauche Klarheit darüber, wer in diesem Projekt was macht.“
- Informationen erhalten: „Mir fehlt die Info zu den nächsten Schritten des Projekts.“
- To-Dos formulieren: „Ich würde gerne, dass jemand bei X unterstützt.“
- Strukturen anpassen: „Es braucht eine neue Regelung für unsere Teammeetings.“
Beispiel: Stefan, Teamleiter eines Wohnprojekts, bringt eine Spannung ein: „Die Dienstpläne sind oft unklar, was zu Überstunden führt.“ Nach der Frage „Was brauchst du?“, antwortet er: „Ich brauche eine transparente und digitale Lösung für die Dienstpläne.“ Das Team beschließt, eine neue Software einzuführen.
Daraus wiederum kann dann ein Vorschlag erarbeitet werden, der gemeinsam im Team (bspw. mithilfe der Konsent-Moderation) entschieden wird.
Regelmäßige Räume schaffen
Damit spannungsbasiertes Arbeiten langfristig funktioniert, braucht es Routinen:
- Regelmäßige Meetings, z. B. wöchentlich in der Teamsitzung oder mindestens monatlich, um Spannungen zu besprechen
- Klares Vorgehen, wie mit Spannungen umgegangen wird und wer welche Lösungen umsetzt
- Ein offenes Klima, in dem Spannungen wertschätzend eingebracht werden können (es geht um die Entwicklung des Teams)
Spannungsbasiertes Arbeiten: Herausforderungen und Tipps zur Umsetzung
Widerstand im Team
Vielleicht sind Deine Mitarbeitenden zunächst skeptisch gegenüber der neuen Vorgehensweise. Hier hilft es,…
- …klar zu kommunizieren, dass Spannungen nicht nur negativ und damit keine reine Kritik sind, sondern Entwicklungsmöglichkeiten vom Ist- zu einem gewünschten Soll-Zustand.
- …positive Beispiele zu teilen, wie das Bearbeiten von Spannungen zu Verbesserungen geführt hat
- …auszuprobieren!
Besonders der letzte Punkt kann hilfreich sein: Anstatt einfach zu beschließen, dass ab sofort spannungsbasiert gearbeitet wird, ist es hilfreich, dem Team eine Probezeit einzuräumen: „Wir probieren das jetzt für die nächsten sechs Monate aus und reflektieren dann, ob es uns weiterhilft!“
Die Festlegung eines „Mindesthaltbarkeitsdatums“ (Danke für den Hinweis an Sandra Bils im Buch „Exnovation und Innovation“) hilft bei allen Entscheidungen enorm, da klar wird, dass bis zu diesem Datum die Entscheidung nicht ständig in Frage gestellt wird, sondern dass dann definitiv reflektiert wird, ob das Gewünschte eingetreten ist.
Spannungen richtig formulieren
Spannungen sollten klar und sachlich formuliert werden, z. B.:
- Nicht: „Niemand informiert mich!“
- Sondern: „Mir fehlt eine klare Kommunikation zu Projekt X.“
Geduld haben
Die Methode braucht Zeit. Je öfter Du sie anwendest, desto mehr wird sie zur Routine – und desto leichter wird es, Spannungen zu nutzen.
Fazit: Spannungen als Chance begreifen
Spannungsbasiertes Arbeiten bietet Teams in der Sozialen Arbeit die Möglichkeit, proaktiv und wertschätzend miteinander zu arbeiten. Spannungen sind nicht nur Probleme, die gelöst werden müssen, sondern auch wertvolle Impulse und Ideen für die Weiterentwicklung. Mit der Frage „Was brauchst Du?“ schafft man Raum für Veränderung im Team und verbessert die Zusammenarbeit nachhaltig.
Ob mit Flipchart, digitalem Tool oder einfach mit Wand und Post-Its – fange klein an, bleibe dran und genieße die positiven Effekte – mehr Klarheit, weniger Frust und Konflikte, neue Ideen und ein Team, das gemeinsam wächst.
P.S.: Noch ein praktischer Tipp für den Start:
Nehmt euer nächstes Teammeeting als Gelegenheit und stellt die Frage: „Welche Spannungen nehmt ihr wahr? Was braucht ihr, um sie zu lösen?“ Probiert es aus!
Und hier kannst Du Dir den Beitrag als PDF herunterladen, um das spannungsbasierte Arbeiten in Deinem Team einzuführen.
Ähnliche Beiträge:
- It’s the end of New Work as we know it…?! Oder: Wie Führung und die Gestaltung sozialer Organisationen in Zeiten des Fachkräftemangels gelingt! Der Fachkräftemangel zwingt Organisationen der Sozialen Arbeit, ihre Strukturen und...
- Rezension: Digitaler Wandel in der Sozialwirtschaft Kurz: Die Herausforderung, ein Buch zum digitalen Wandel in der...
- Effectuation, oder: Wie man erfolgreiche Projekte umsetzt! Ich erwische mich oft dabei, dass ich tolle Ideen habe....
- Mitarbeitergespräche in der Krise – muss das? Zum Thema Mitarbeitergespräche bin ich persönlich zwiegespalten. Auf der einen...