Was ist Organisationskultur – eine Einführung

Die Organisationskultur sind die nicht entschiedenen Entscheidungsprämissen einer Organisation. Das klingt komisch, oder? Der Beitrag geht näher darauf ein, was damit genau gemeint ist und macht sichtbar, wie Organisationskulturen entstehen – und wo Führungskräfte Einfluss nehmen können.
Was ist Organisationskultur

Inhalt:

Wahrscheinlich ist Dir schon aufgefallen, dass sich Organisationen der Sozialwirtschaft nicht einfach verändern lassen, oder? Aber woran liegt das? Neben den üblichen Beharrungskräften in Organisationsentwicklungsprozessen – wie bspw. dem Widerstand der Mitarbeitenden gegen Veränderung oder dem Drang sozialer Systeme nach Stabilität – verfolge ich hier die These, dass dafür auch und insbesondere die ausgeprägte Organisationskultur von Organisationen der Sozialwirtschaft verantwortlich ist. Aber: Was ist Organisationskultur?

Im Folgenden gehe ich dieser Frage aus systemtheoretischer Perspektive nach. Das ist aus meiner Sicht wichtig, weil (fast) immer, wenn über Probleme in Organisationen gesprochen wird – seien es Reibungen in der Zusammenarbeit, mangelnde Veränderungsbereitschaft oder Konflikte zwischen Teams und Abteilungen – der Begriff der „Organisationskultur“ sehr schnell fällt: „Wir müssen die Kultur verändern, damit wir…!“ oder „Wir brauchen eine andere Führungskultur, damit wir…!“

Mit dem „Flutschbegriff Kultur“ bzw. Organisationskultur hat jede:r ein eigenes Bild im Kopf, alle stimmen irgendwie zu und die Kommunikation „flutscht“ weiter – ohne das klar ist, was genau der Begriff eigentlich meint. Und vor allem wird nicht deutlich, was denn mit dieser „Organisationskultur“ eigentlich gemacht bzw. wie diese beeinflusst werden kann.


P.S.: Auch dieser Beitrag ist entstanden, weil ich in Workshops und Fort- und Weiterbildungen immer wieder ähnliche Ausführungen rund um die Frage der Organisationskultur mache und es sich – vielleicht – lohnt, sie hier zum Nachlesen zu hinterlassen. Der Beitrag knüpft an den Beitrag „Was sind Organisationen – eine Einführung“ an. Und wahrscheinlich werde ich perspektivisch weitere Auszüge aus Workshops und Fortbildungen (z.B. zu den Besonderheiten sozialer Organisationen) hier niederschreiben.


Organisationskultur – was ist das eigentlich?

Wie gesagt: Fast immer, wenn über Probleme in Organisationen gesprochen wird – seien es Reibungen in der Zusammenarbeit, mangelnde Veränderungsbereitschaft oder Konflikte innerhalb oder zwischen Teams und Abteilungen – fällt der Begriff der „Organisationskultur“ sehr schnell. Um hier mehr Klarheit zu schaffen, lohnt ein vertiefender Blick auf Organisationskultur aus systemtheoretischer Perspektive.

In populären Managementdiskursen und selbst der Organisationswissenschaft wird Organisationskultur unterschiedlich definiert und häufig auf grundlegende Annahmen, „Haltungen“, das Mindset der Mitarbeitenden“, die im Leitbild dargestellten Werte, Artefakte, das „Organisationsklima“ oder gar das Verhalten einzelner Personen reduziert (Kühl, 2018: 8). Systemtheoretisch gedacht, greift das aber zu kurz.

Um der Organisationskultur aber näher zu kommen, ist einführend wieder auf die drei Seiten der Organisation (Schauseite, formale Seite und informale Seite) und die vier verschiedenen Typen formaler Organisationsstrukturen (Zweckprogramme, Konditionalprogramme, Kommunikationswege und Personal) zu verweisen. Genauer beschrieben habe ich das im Beitrag „Was sind Organisationen – eine Einführung“.

Mit Blick auf die Organisationskultur müssen die sog. Entscheidungsprämissen genauer betrachtet werden.

Entscheidungsprämissen – was ist das schon wieder?

Das ist recht einfach erklärt:

Immer dann, wenn mehrere Menschen versuchen, miteinander auszukommen, bilden sich gegenseitige Erwartungen heraus. Eine Erwartung ist bspw., dass man sich in der Schlange an der Kasse nicht vordrängelt, alle Menschen in einem Workshop mehr als eine Unterhose tragen, sich beim Betreten eines Raums kurz grüßen oder während eines Gesprächs nicht dauernd auf’s Handy schauen.

„Könnte man als Mensch nicht auf diese Stützen sozialer Erwartungen – man könnte auch sagen: auf diese sozialen Strukturen – zurückgreifen, wäre das Leben ziemlich kompliziert, wenn nicht gar unmöglich“ (Kühl, 2018a: 10).

Die sozialen Erwartungen definieren aber nicht, wie genau man zu handeln hat, sondern liefern immer einen gewissen Spielraum: Man kann auch nicht grüßen, sich vordrängeln oder nur mit (oder sogar ohne) Unterhose zum Workshop gehen. Man muss dann aber die Konsequenzen tragen.

Soziale Erwartungen können sich in zwei Formen ausbilden – „entweder, indem über diese Erwartungen durch ein Management, einen Gesetzgeber oder ein Familienoberhaupt entschieden wird oder indem sich die Erwartungen, ohne dass sie jemals klar entschieden werden, allein durch Imitationen und Wiederholungen einschleichen“ (ebd.). Hier kommen also Entscheidungen ins Spiel.

Entscheidungsprämissen sind dann die grundlegende Entscheidungen, die als Voraussetzung (Prämisse) für dann folgende Entscheidungen verwendet werden. Sie schränken die Auswahlmöglichkeiten für weitere Entscheidungen ein, ohne jedoch die folgenden Entscheidungen ganz genau festzulegen. Kurz gesagt sind Entscheidungsprämissen die Spielregeln, die das Spiel (nicht nur in Organisationen) regeln (vgl. näher hier).

Mit dem Blick auf Organisationen, auf die drei Seiten und die vier verschiedenen Typen formaler Organisationsstrukturen werden diese Entscheidungsprämissen und damit die Spielregeln deutlich:

Darüber wird definiert, was in einer Organisation als erwartbar gilt.

Und wenn über das, was als erwartbar gilt, nicht formal entschieden wurde, sind wir bei der Organisationskultur.

Organisationskultur sind die nicht entschiedenen Entscheidungsprämissen

Diese „nichtentschiedenen Entscheidungsprämissen“ sind – im Gegensatz zu den Verhaltenserwartungen, über die formal entschieden wurde (formale Seite) – auch eine Form von Struktur:

Es sind Verhaltenserwartungen, über die nicht entschieden wurde, sondern die sich durch häufige Wiederholungen ausgebildet haben: Erst dann, wenn ein bestimmtes Verhalten nicht nur bei eine:r einzigen Mitarbeiter:in als „Ausnahme“ beobachtet werden kann, sondern sich als erwartbar eingeschlichen und etabliert hat, hat es den Status einer informalen Erwartung und wird damit zur „Kultur“.

Als Beispiel wird die Nutzung des kurzen Dienstweges erst dann zur Kultur, wenn dieser immer wieder genommen wird. Genauso wird die Nicht-Einhaltung von gemeinsamen Vereinbarungen im Team erst dann zu einer „Kultur der Unverbindlichkeit“, wenn die Vereinbarungen wiederholt nicht eingehalten werden.

Wenn man noch etwas genauer hinschaut, muss Organisationskultur im Sinne der „nicht entschiedenen Entscheidungsprämissen“ noch weiter auseinander genommen werden – und zwar in a) Entscheidungsprämissen, „die prinzipiell unentscheidbar sind und sich deswegen grundsätzlich einer Überführung in eine entschiedene Entscheidungsprämisse entziehen, und in b) Entscheidungsprämissen, die nicht entschieden sind, aber prinzipiell entscheidbar wären“ (ebd., 17):

Zu a): Prinzipiell unentscheidbare Entscheidungsprämissen werden bspw. deutlich, wenn Organisationen versuchen, „Herzlichkeit“ im Umgang mit Angehörigen, die „Innovationskultur“ oder den „wertschätzenden Umgang“ untereinander anzuordnen. All das mag vielleicht toll klingen – formal entscheidbar ist das alles nicht.

Zu b): Prinzipiell entscheidbar ist hingegen all das, was von Seiten der Organisation auch in formale Mitgliedschaftsbedingungen gegossen und bei Nichteinhaltung sanktioniert werden kann bzw. könnte. Als Beispiel kann (und wird meistens) der genaue Arbeitsbeginn klar festgelegt werden. Wenn dieser jedoch nicht festgelegt ist, kann sich eine „Kultur“ einschleichen, in der die Mitarbeitenden „kommen, wann sie wollen“ – mit allen damit einhergehenden positiven und negativen Effekten. Genauso kann die Kultur der Verbindlichkeit über die Festlegung von Sanktionen bei Nichteinhaltung beeinflusst geregelt werden. Konkret lässt sich zum Beispiel festlegen, dass die Vereinbarungen für alle transparent festgehalten werden und in jeder Teamsitzung gemeinsam überprüft wird, ob die Vereinbarungen eingehalten wurden.

Die Unterscheidung zwischen nichtentschiedenen, aber prinzipiell entscheidbaren Entscheidungsprämissen und prinzipiell unentscheidbaren Entscheidungsprämissen mag wie „Haarspalterei“ klingen, ist aber wichtig, da erst darüber deutlich wird, wo in Organisationen bzw. Teams und Abteilungen welche Möglichkeiten zur Beeinflussung der Organisationskultur liegen.

Wichtig ist außerdem, dass in Organisationen immer eine wie auch immer geartete Organisationskultur existiert. Denn selbst dann, wenn alle prinzipiell entscheidbaren Entscheidungsprämissen tatsächlich entschieden wurden, verbleiben die prinzipiell unentscheidbaren Entscheidungsprämissen als Organisationskultur. Ach ja:

Der Versuch, alle prinzipiell entscheidbaren Entscheidungsprämissen tatsächlich zu entscheiden, führt zu überformalisierten Organisationen, in denen die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sich die Mitarbeitenden auf den „Dienst nach Vorschrift” zurück ziehen. Und der reine Dienst nach Vorschrift ist die bekanntermaßen effektivste Streikform. M.a.W. wäre „eine vollkommen transparente und formalisierte Organisation, die keine Spielräume hätte, informell Entscheidungen zu treffen, (…) nicht existenzfähig“ (Merkes/Eidenschink, 2021: 78).

Noch einmal kurz zusammengefasst folge ich hier dem Gedanken von Kühl (2018: 30): Organisationskultur wird demnach als die nicht entschiedenen Entscheidungsprämissen definiert.

Mir gefällt daran neben der Präzisierung des Begriffs auch, dass über diesen Blick auf Organisationskultur deutlich wird, dass eine Organisation auch mehrere, teils ganz verschiedene Kulturen und nicht nur die eine Organisationskultur haben kann. Denn je nach Team, Bereich, Standort etc. können andere Entscheidungsprämissen nicht entschieden sein.

Und diese Kulturvielfalt wird vielen Menschen, die mit den oftmals hochgradig dezentral organisierten Organisationen der Sozialwirtschaft zu tun haben, bekannt vorkommen.

Möglichkeiten zur Beeinflussung der Organisationskultur

Was lässt sich in Organisationen bewusst entscheiden und damit gestalten? Gehört die Organisationskultur dazu? Falls das nicht so einfach sein sollte: Welche Ansatzpunkte und Möglichkeiten haben Führungskräfte und Organisationsentwickler:innen, um trotzdem Einfluss auf die Organisationskultur zu nehmen?

Dazu ist wieder hilfreich, die schon angesprochenen vier verschiedenen Typen von Organisationsstrukturen, die nicht umsonst in der Systemtheorie als entscheidbare Entscheidungsprämissen bezeichnet werden, zu unterscheiden:

  1. Zweckprogramme: Programme legen fest, „was man in einer Organisation tun darf und was nicht” (ebd.). Sie lassen sich untergliedern in Konditionalprogramme und Zweckprogramme. Zweckprogramme legen fest, welche Ziele oder Zwecke erreicht werden sollen. Hier geht es um die in der Organisation oder im Team festgelegten Zwecke, von mir aus auch um die „Mission“. Die Mittel zur Erreichung der Zwecke werden nicht näher definiert und es werden auch keine genauen Prozesse beschrieben, die aufzeigen, wie die Ziele bzw. Zwecke zu erreichen sind.
  2. Konditionalprogramme definieren hingegen, was getan werden muss, wenn in einer Organisation ein bestimmter Impuls wahrgenommen wird. Kurz formuliert sind alle vorgegebenen und (meist) verschriftlichten Regeln und Prozesse („Wenn X passiert, ist Y zu tun!“) Konditionalprogramme.
  3. Kommunikations- oder Entscheidungswege zeigen sich in den Organigrammen und legen fest, wer wem etwas sagen bzw. entscheiden kann, ohne dass dies angezweifelt wird. Beispiele für Entscheidungswege sind Hierarchien, Mitzeichnungsrechte oder auch Teams, Abteilungen oder die Kommunikationswege in temporär gebildeten Projektgruppen.
  4. Personal: Organisationen können darüber entscheiden, wen sie einstellen, entlassen, weiterbilden oder intern versetzen. Diese Personalentscheidungen sind wichtige Prämissen für weitere Entscheidungen in der Organisation. Denn es macht für künftige Entscheidungen einen Unterschied, welche Person (mit welchen Kompetenzen) eine bestimmte Stelle besetzt.

„Programme, Kommunikationswege und Personal lassen sich als Sinnbild für die Formalstruktur einer Organisation interpretieren. Über diese Entscheidungsprämissen können Leitungskräfte in Einrichtungen der Sozialen Arbeit entscheiden und hierdurch – im Sinne von Steuerung – Einfluss auf zukünftige Entscheidungen nehmen“ (Gesmann, Merchel, 2021, 37).

Wenn aber nur über Programme, Kommunikationswege und Personal entschieden werden kann, folgt daraus, dass über die Kultur nicht direkt und formal entschieden werden kann:

Kurze Dienstwege oder neue Ideen können ebenso wenig angeordnet oder strukturell verankert werden wie der regelmäßige Besuch der Currywurstbude zur Mittagspause, das „agile Mindset” der Mitarbeitenden, der wertschätzende Umgang oder die Verbindlichkeit in der Einhaltung von Vereinbarungen. Und selbst die Erarbeitung von toll klingenden Leitbildern oder die Durchführung von „Kulturworkshops“ vermitteln allerhöchstens eine Steuerungsillusion, verändern die Kultur aber kaum – wenn überhaupt. Möglich ist hingegen die Beobachtung von Kultur.

Auf dieser Beobachtung aufbauend können Rahmenbedingungen geschaffen bzw. Entscheidungen getroffen werden, die die Entwicklung von gewünschten Kulturen begünstigen (oder auch behindern). Dazu gehört z. B. die Wahrnehmung von und der Umgang mit expliziten und impliziten Regeln, die Entscheidung über Kommunkationswege (bspw. der Abbau formaler Hierarchien oder die Zusammenlegung von Teams) oder auch die Entscheidung darüber, welche Person welche Rolle in der Organisation übernimmt.

All das wiederum hat dann Auswirkungen auf die Organisationskultur. Fraglich ist nur, welche Auswirkung genau…

Fazit und die Kultur von Organisationen der Sozialwirtschaft

Deutlich wurde, dass der etwas nüchterne Blick der Systemtheorie auf Organisationskultur und das Verständnis von Organisationskultur als die „nicht entschiedenen Entscheidungsprämissen“ hilfreich sein kann. Denn er macht deutlich, was Kultur ist und wie diese beeinflusst werden kann – ohne jedoch in unrealistische Steuerungsphantasien abzugleiten. Denn:

Beeinflussen heißt nicht „Vorgeben“, sondern eher Verführen: Über die Gestaltung der Formalstruktur lässt sich versuchen, die Kultur in die gewünschte Richtung zu bewegen. Und dazu ist es immer wieder nötig, zu beobachten, zu entscheiden und die getroffenen Entscheidungen umzusetzen – Führung eben.

Falls Du Dich für die Besonderheiten der Kultur von Organisationen der Sozialen Arbeit interessierst, empfehle ich zum Weiterlesen den Beitrag rund um die dominierende Informalität.

Quellen

  • Gesmann, Stefan, und Joachim Merchel. Systemisches Management in Organisationen der Sozialen Arbeit: Handbuch für Studium und Praxis. Erste Auflage. Systemische soziale Arbeit. Heidelberg: Carl-Auer Verlag GmbH, 2019.
  • Kühl, S. (2018): Organisationskultur. Eine Konkretisierung aus systemtheoretischer Perspektive. Managementforschung 28, S. 7 – 35.
  • Kühl, S. (2018a): Organisationskulturen beeinflussen. Eine sehr kurze Einführung. Wiesbaden: Springer VS.
  • Merkes, Ulrich, und Klaus Eidenschink. Entscheidungen ohne Grund – Organisationen verstehen und beraten Eine Metatheorie der Veränderung. Gottingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2021.

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