- Wie arbeiten wir in Organisationen der Sozialwirtschaft in Zukunft?
- Ersetzen uns zukünftig Maschinen?
- Wie wird sich die Arbeit in sozialen Organisationen in Zukunft konkret ändern?
- Was bedeuten die Veränderungen für die Organisation auf der einen und die Mitarbeiter auf der anderen Seite?
Mit dem vorliegenden Beitrag – der Teil der Blogparade der BitKom zur KnowTech2015 ist – will ich versuchen, auf diese und noch ein paar andere Fragen eine Antwort zu finden.
Dazu vorab eine kleine Anekdote:
Unser Kleiner geht in eine überschaubare, dreigruppige Kita.
Das ist wenig erwähnenswert, wenn man frühkindliche Fremdbetreuung gutheißt.
Das tun wir.
Erwähnenswert hingegen ist, dass drei Mitarbeiterinnen einer Gruppe der Kita gleichzeitig gekündigt haben. Der Hintergrund der Kündigung waren wohl interne Querelen. Mehr muss nicht erläutert werden.
Noch erwähnenswerter ist aber, dass alle drei Mitarbeiterinnen unabhängig voneinander innerhalb kürzester Zeit eine neue, meist sogar besser dotierte oder zeitlich besser passende Anstellung ebenfalls im Umkreis gefunden haben.
Ersetzen uns zukünftig Maschinen?
Nein, das wird in unserem Bereich nicht passieren.
Das ist mehr als positiv, wenn man daran denkt, dass Studien zufolge bis zu 50 Prozent der heute existierenden Jobs bis zum Jahr 2050 wegfallen werden.
Ob es tatsächlich 50 Prozent sein werden, lasse ich mal dahingestellt. Dazu ist das Szenario zu weit in die Zukunft gerichtet und die beeinflussenden Rahmenbedingungen sind viel zu komplex.
Das Problem bei der hohen Komplexität ist jedoch, dass auch nicht absehbar ist, welche unserer Berufe, also der Berufe im Sozial- und Erziehungswesen, sich wie verändern.
Allein der Gedanke daran, mit Arbeitslosen Anträge auszufüllen, lässt Zweifel daran aufkommen, ob unsere Berufe wirklich so sicher sind. Können Computer das nicht vielleicht viel besser? Nicht jetzt, aber in ein paar Jahren? Oder Hilfepläne schreiben? Ein paar Textbausteine, ein paar Daten, die eingepflegt werden müssen, und schon steht der Hilfeplan?
Zukunftsmusik, sicherlich, wahrscheinlich auch anfänglich noch ziemlich schräge Töne, eher Lärm als Musik vielmehr, aber möglich.
Fakt ist, dass die Menschen im Sozialwesen, die Professionellen, die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die SozialmanagerInnen, die Sozialplaner, aufpassen müssen, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf unseren Bereich haben wird und wie damit umzugehen ist.
Die leider immer wieder zu beobachtende Tendenz, diesen ganzen „Computerkrams“ zu verteufeln, wird nicht helfen.
Gestalten ist da die Devise.
Und so gibt es bereits einige tolle Initiativen von Menschen aus und Organisationen der Sozialwirtschaft, die sich explizit mit dem Thema auseinandersetzen:
- Unter http://www.caritas-digital.de/ findet sich bspw. ein lesenswerter Blog dazu, wie die Digitalisierung die Caritas verändert. Autor(inn)en berichten, wie sie den Prozess erleben und gestalten. Sie berichten von (Miss-)Erfolgen und geben jenen Tipps, die den Kulturwandel innerhalb der Caritas vorantreiben wollen.
- In verschiedenen Facebook-Gruppen wird diskutiert, vor welchen Herausforderungen Soziale Organisationen in einer sich permanent verändernden Welt stehen und wie damit umzugehen ist.
- Verschiedene Blogs befassen sich explizit mit den Themen einer „Sozialarbeit 4.0“. Wirklich lesenswert sind neben anderen bspw. die Blogs von Sabine Depew und Thomas Mampel, die ich Euch wirklich empfehlen kann.
Jetzt aber wieder zurück zu unserer Kita und den Mitarbeiterinnen.
Alle haben einen neuen Job gefunden.
Wie gesagt: Nicht mit Wartezeit. Keine schlechteren Bedingungen. Nein, direkt, zack, bessere Bedingungen, bessere Atmosphäre, teilweise sogar bessere Entlohnung.
Natürlich, Erzieherinnen sind Mangelware! Wie Pflegekräfte. Die können sich die Jobs aussuchen.
Blödes Beispiel!
Wirklich?
Ich bin fest davon überzeugt, dass es nicht bei dem Mangel in den beiden Bereichen bleiben wird.
Und ich bin damit nicht ganz allein:
Schon 2012 kam eine Studie der Uni Würzburg zu folgendem Fazit:
Der Fachkräftemangel hat die gesamte Sozialwirtschaft erfasst. Die Erwartungen an die Politik und deren Handlungen stehen in einem überaus deutlichen Missverhältnis. Die Politik befürwortet Instrumente, die die Sozialwirtschaft nicht gewillt ist umzusetzen. Um den Fachkräftemangel zu verringern, reichen von Seiten der Unternehmen/ Organisationen einzelne Maßnahmen nicht aus. Dafür ist der Fachkräftemangel jetzt schon zu weit verbreitet und wird sich noch intensivieren. Die jetzige Prioritätensetzung muss aber umgekehrt werden. Den Bewerbungsprozess zu optimieren oder das Arbeitsklima zu verbessern sind für das einzelne Unternehmen/ Organisation wichtige Maßnahmen – sie ändern aber nichts am Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft. Die Unternehmen/ Organisationen versuchen schon, die vorhandenen Fachkräfte zu halten, daran aber, die Anzahl der Fachkräfte zu erhöhen, geht kein Weg vorbei.
Qualifiziert, unterbezahlt und dringend gesucht: Im Landkreis München fehlt es an sozialpädagogischen Fachkräften für die Betreuung von Kindern, Jugendlichen und unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Über Gründe und Verantwortlichkeiten wird gestritten
Einzelne Maßnahmen der Organisationen reichen hier nicht mehr aus, die Politik ist zunehmend gefordert, wenn wir die Versorgung auf dem jetzigen Niveau sicherstellen wollen.
Da ist sicher was dran, nur ergibt sich bei einem Blick auf die Ergebnisse des Streiks der Beschäftigten des Sozial- und Erziehungsdienstes, den ich hier schon einmal kritisch beleuchtet habe, ein anderes Bild:
Es gibt ein wenig mehr Geld.
Es wird versucht, ruhigzustellen, anstatt nachhaltig aufzuwerten.
Damit schätze ich die Forderung an die Politik zwar als grundsätzlich richtig, perspektivisch jedoch sogar gefährlich ein:
Wir können nicht anders, wir haben einfach zu wenig Geld, Personal, Räumlichkeiten etc, die Politik muss einspringen…
Die Verantwortung wird abgegeben. Damit wird gar nicht erst in der eigenen Einrichtung versucht, die Bedingungen zu verbessern.
So schreiben die Autoren der obigen Studie auch, dass „die Optimierung des Bewerbungsprozesses oder eine Verbesserung des Arbeitsklimas für die einzelne Organisation wichtige Maßnahmen sind.“
Was bedeutet das konkret für die Organisationen der Sozialwirtschaft?
Richtig ist, dass der Fachkräftemangel viele Branchen und nicht nur die Sozialwirtschaft hart treffen wird.
In der Sozialwirtschaft sind die Rahmenbedingungen jedoch andere:
Während in Wirtschaft und Industrie einerseits mit Auslagerung (bspw. in Länder mit vielen Fachkräften) und andererseits mit höheren (finanziellen) Anreizen versucht wird, dem Fachkräftemangel zu begegnen, ist die in der Sozialwirtschaft nicht so einfach möglich: Auslagerung funktioniert genauso wenig wie die schon angesprochene Ersetzung der Arbeit durch Maschinen. Es sollen ja gesellschaftliche Probleme hier bei uns gelöst werden. Und finanzielle Anreize, um die Besten der Besten anzuwerben (oder auch abzuwerben) sind in unserer Branche nicht verbreitet (wenn aufgrund der Finanzierungsstrukturen durch Kostenträger überhaupt möglich).
Entsprechend gehe ich davon aus, dass Organisationen der Sozialwirtschaft viel stärker als bislang an einer Klärung ihres Daseinszweckes arbeiten müssen:
Es wird zukünftig nicht ausreichen, einfach nur „Gutes zu tun“ oder etwas für andere Menschen zu tun.
Warum nicht? Klingt doch prima, oder?
Ja, es klingt prima, aber aus mindestens zwei Perspektiven heraus ist es unzureichend:
Zunächst gibt es – aus der Perspektive der Politik und der Kostenträger – viele Initiativen, Organisationen, Projekte etc. die Gutes tun und anderen Menschen helfen wollen. Wem also die begrenzten Mittel zukommen lassen? Da muss einem schon mehr einfallen als platte Leitbildphrasen.
Und aus der Perspektive der immer knapper werdenden Mitarbeiter wird es zunehmend wichtig, den Sinn der Arbeit mit den bei den Mitarbeitern vorhandenen Kompetenzen in Einklang zu bringen. Wenn die sozialen Organisationen dafür keinen Raum bieten, gehen die Menschen eben weg.
Neuer Job, besseres Klima, kompetentere Führung, mehr Mitbestimmung, fertig…
Das geht ganz fix.
Und: teure Stellenausschreibungen und Einarbeitungsprozesse kosten die Einrichung nicht nur richtig Geld, das nachhaltiger in die Klärung des „Warums“ investiert werden sollte.
Es kostet darüber hinaus das Vertrauen in die Organisation.
Bei einer Kita wird das besonders deutlich, da die Eltern – wir auch – das Wertvollste was wir haben, in dieser Einrichtung abgeben. Da sollte das Vertrauen auf einem außerordentlich hohen Level liegen.
Von diesen Bedingungen sind übrigens nicht nur irgendwelche schlecht zahlenden privat betriebenen kleinen Einrichtungen betroffen.
Nein, auch „dicke Dampfer“ wie Caritas, Diakonie, Malteser oder das Rote Kreuz werden sich verstärkt Gedanken über ihr „Warum“ machen müssen.
Und zwar nicht morgen oder übermorgen, sondern möglichst noch heute.
Eine weitere Frage ist, wie wir zusammen arbeiten wollen und werden.
Stichworte hier sind
- Teamarbeit,
- Strukturen,
- Führung
- usw.
Bislang war es und ist es oftmals immer noch so, dass die Führungsebene das Warum vorgibt. Eine andere Begrifflichkeiten dafür ist bspw. Strategie oder „das große Ganze“.
Ich bin davon überzeugt, dass dies nicht mehr lange so weitergehen wird.
Nicht mehr die Arbeitsplatzsicherheit steht im Vordergrund, warum auch, wenn ich mir meinen Arbeitgeber aussuchen kann?
Lange Bindung an den Arbeitgeber? Fehlanzeige!
Nein, in den Vordergrund rücken Werte wie Mitbestimmung, Gestaltungsfreiheit, Innovationsfähigkeit der Organisation, Sinnstiftung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und noch einiges mehr.
Dementsprechend wird sich die Zusammenarbeit dahin verändern, dass selbstgesteuerte Teams die Normalität der Zusammenarbeit darstellen werden.
Die Mitarbeiterinnen legen selbst fest, wie, mit wem und vor allem warum sie tun, was sie tun! Ob dies „demokratisch“ geschieht, wie gerade in vielen Foren diskutiert wird, bezweifle ich jedoch. Vielleicht ist hier „Demokratie“ auch nur ein irreführender Begriff…
Vielmehr braucht es klare Regelungen und Werte, wie Selbststeuerung der Teams angegangen wird.
Die von oben vorgegebene Strategie?
Macht nur noch wenig Sinn, da – wenn Selbststeuerung richtig umgesetzt wird – mit sich selbst steuernden Teams und agilen Arbeitsmethoden viel effektiver auf sich permanent verändernde (externe und interne) Anforderungen reagiert werden kann.
Leitbild?
Ja, aber nur, wenn eine permanente Diskussion über das Leitbild und die Werte der Zusammenarbeit diskutiert wird. Kurze Anekdote: an einer Hochschule habe ich erfahren, dass jetzt das Leitbild überarbeitet wird. Auf meine Nachfrage, wie häufig denn der Prozess stattfindet, lautete die Antwort: „Also, das jetzige Leitbild ist acht Jahre alt…“ Muss ich dazu noch viele Worte verlieren?
Die organisationale Perspektive lässt sich wie folgt zusammenfassen:
- Angst, dass Maschinen unsere Jobs wegnehmen, müssen wir erstmal nicht haben. Gleichzeitig bedeutet dies nicht, dass wir so weitermachen können wie bislang. Vielmehr muss auch das Sozialwesen beginnen, „seine“ Digitalisierung zu gestalten.
- Darüber hinaus muss die Arbeit am „Warum“ Priorität bekommen: Gutes tun allein reicht nicht mehr, um gute Leute zu finden, geschweige denn halten zu können.
- Die Frage nach dem Warum jedoch ist nicht allein Aufgabe der Führung. Vielmehr muss die Organisation Räume und Strukturen schaffen, in denen das Warum von allen Mitarbeitern permanent diskutiert wird. Zielführend, natürlich, mit Ergebnis, vielleicht extern und professionell begleitet. Aber vor allem nicht von oben vorgegeben. Dafür ändert sich die soziale Umwelt viel zu rasant!
- Den Werten der zukünftigen Generationen muss Rechnung getragen werden. Dazu bedarf es Organisationsstrukturen, die dies begünstigen. Zu nennen sind hier bspw. selbstgesteuerte Teams, Mitbestimmung, Gestaltungsfreiheit, Mut zur Innovation usw.
Und der Blick auf die einzelnen Mitarbeiter? Weg von der Organisation hin zur Person?
Ein Freund von mir ist Hufschmied. Ein Beruf, der wohl eine der längsten Traditionen der noch existierenden Berufe aufweist.
Antiquarisch? Vielleicht!
Vom Aussterben bedroht? Sicher nicht!
Hufe individuell anpassen und Pferde beschlagen lässt sich – bislang jedenfalls – nicht per Computer durchführen. Aber darum geht es mir gar nicht.
Mir geht es um die Art, wie er seinen Job macht:
Auf den ersten Blick arbeitet er allein. Packt morgens sein Auto, fährt los und beschlägt Pferde, bis es dunkel wird. Auf den zweiten Blick jedoch sind eine ganze Menge Menschen involviert: Angefangen von den Kunden über Tierärzte bis hin zu ganzen Tierkliniken existiert ein Netzwerk an Menschen, das am Leben gehalten werden will. Jedes Mitglied dieses Netzwerks profitiert von dem Netzwerk.
Ein weiterer, für mich bemerkenswerter Aspekt ist, dass er mit jedem beschlagenen Pferd einen wirklichen Mehrwert liefert. Nicht für das Pferd, das mit neuen Hufeisen vielleicht wieder richtig laufen kann (ich kenn mich nicht wirklich aus…), sondern vielmehr für den Kunden, der Zeit, Energie und eine ganze Menge Ressourcen in das Pferd gesteckt hat. Es ist unerheblich, ob das Pferd nun das kleine Pony von dem Jungen nebenan oder ein mehrere hunderttausend Euro teures Rennpferd ist. Vielleicht ist der Mehrwert für den Jungen sogar höher als der Mehrwert für den Besitzer des teuren Pferdes.
Bei meinem letzten Besuch bei ihm hat er mir dann ein Buch über irgendwelche Podologie mit irgendwelchen besonderen Hufeisen (habe ich erwähnt, dass ich keine Ahnung von Pferden habe) gezeigt:
Er lernt, tagtäglich, mit neuen Pferden, neuen Hufen, neuen Herausforderungen, neuen Entwicklungen im Feld der Hufschmiede… Ihm bleibt nichts anderes übrig, als sich permanent weiterzubilden. Auf der Höhe der Zeit zu sein. Aber: Er will das auch, es macht ihm Spaß, er taucht in der Auseinandersetzung mit für mich völlig unverständlichen Dingen (Pferdepodologie???) komplett ab.
Und was heißt das jetzt für unsere Soziale Arbeit der Zukunft?
Ich denke, dass es noch lange Zeit brauchen wird, bis der Arbeitsplatz, so wie wir ihn kennen, ausgedient haben wird. Das ist noch zu weit entfernt. Aber die Grundhaltung wird sich rasant ändern:
1. Wenn mit immer weniger Personal eine möglichst gleichbleibend hohe Qualität der Leistungen angeboten werden soll, sind Netzwerke überlebenswichtig.
Auch in der Sozialwirtschaft werden die Professionellen angewiesen sein auf funktionierende berufliche wie private Netzwerke, die gegenseitig unterstützend wirken.
So ist bereits heute feststellbar, dass Organisationen der Sozialwirtschaft ein enormes Problem damit bekommen werden, keine Maßnahmen der Wissensweitergabe für in den Ruhestand gehende Mitarbeiter implementiert zu haben. Daraus resultiert, dass Wissen, Beziehungen, wichtige Kontakte, eben Netzwerke für das „informelle“ Funktionieren der Organisation mit Austritt des Mitarbeiters verloren sind. Unwiederbringlich weg.
Hier sind die Verantwortlichen in den Organisationen zukünftig verstärkt gefordert, diese Netzwerke nicht nur zuzulassen, sondern aktiv zu befördern. Und dann für kommende Generationen zu sichern.
2. Und dann Mehrwert. Ja, passiert das denn nicht automatisch in der Sozialen Arbeit?
Ich bin mir da unsicher.
Natürlich besteht Soziale Arbeit zu wesentlichen Teilen aus direkter Kommunikation, Interaktion, mit Menschen, deshalb lässt sich unser Beruf auch nicht durch Maschinen ersetzen.
Wenn die Menschen darin einen wirklichen Mehrwert sehen, können professionelle Beziehungen entstehen (auch wenn dazu noch mehr als Mehrwert gehört).
Darüber hinaus sehe ich aber auch immer wieder, dass die Professionellen durch die Rahmenbedingungen eher behindert als unterstützt werden:
Mitarbeitende sind frustriert, werden schlecht bezahlt, gesellschaftliche Anerkennung etc. ist nicht wirklich erwähnenswert.
Und was passiert?
Es wird „business as usual“ betrieben, Dienst nach Vorschrift, um sich selbst zu schützen, um dem drohenden Burn-Out vorzubeugen, um die Frustration aushalten zu können. Mehr als nachvollziehbar, aber:
Soziale Arbeit geht nicht nach Vorschrift. Nie! Wenn doch, wird kein Mehrwert für die Menschen erzeugt.
3. Lebenslanges Lernen bleibt wichtiger!
Komischer Satz, oder?
Naja, näher betrachtet wird zweierlei deutlich: Zum einen war lebenslanges Lernen schon immer wichtig. Und zum anderen gewinnt es zukünftig weiter an Bedeutung.
Dem stimmt wohl jeder so oder ähnlich zu.
Aber mit Blick auf die Organisationen der Sozialwirtschaft und auch einige SozialarbeiterkollegInnen wundert es mich immer wieder enorm, dass mit einem abgeschlossenen Studium auch die Phase des Lernens, der (Aus-)Bildung, abgeschlossen sein soll.
Konkret jammern die Organisationen darüber, dass man mit den Absolvierenden (…hätte beinahe geschrieben: kleinen Mädels) ja gar nichts anfangen kann, die seien zu jung, zu unerfahren, zu labil, zu whatever, sie hätten zu wenig Erfahrung in dem jeweiligen Bereich und Ansprüche hätten die auch noch.
Und die SozialarbeiterInnen selber diskutieren permanent über die „Berufsidentität“:
Was machen wir eigentlich? Was ist Soziale Arbeit eigentlich? Eigentlich können wir ja gar nichts, und im Studium gelernt haben wir auch nichts (leicht überspitzt formuliert). Zwischen Diplomzeiten und dem ach so schlimmen Bachelor hat sich da wenig geändert, wenn ich so die Diskussionen in diversen Foren verfolge.
Ganz ehrlich: In welchem Beruf lernt man das, was man können muss, bereits detailliert und abschließend im Studium?
Mein Bruder studiert Wirtschaftswissenschaften. Er wird von dem, was er da lernt, wahrscheinlich wenig „direkt“ anwenden können. Psychologen durchlaufen alle das mehr oder weniger gleiche Studium und werden dann Personalberater, Forscher, Therapeuten usw. Von Medizinern muss man gar nicht reden.
Wie soll – mit Blick auf das enorme Feld sozialer Dienstleistungen – eine Ausbildung gestrickt sein, die alles umfassend abdeckt?
Meine Forderung für eine Soziale Arbeit der Zukunft geht damit einerseits an die Organisationen direkt, die nicht erwarten können, dass vollständig für die jeweilige Organisation ausgebildete Menschen kommen, die wie Ar… auf Eimer passen.
Es wird zukünftig vermehrt darauf ankommen, verstärkt Einarbeitungsprogramme zu etablieren, die den Menschen ermöglicht, sich mit dem jeweiligen Feld auseinanderzusetzen. Das wird Ressourcen beanspruchen, die aktuell nicht vorgesehen sind.
Ansonsten: siehe die drei Kita-Mitarbeiterinnen.
Und für die Menschen selber sehe ich einen Bedarf nach spezifischer Weiterbildung in Themen, die wirklich einen Mehrwert liefern (schon wieder dieses Wort).
Da sehe ich übrigens einen echten Nachholbedarf auf Seiten der Hochschulen der Sozialen Arbeit, die es bislang noch nicht wirklich schaffen, passende Weiterbildungsformate anzubieten, auch wenn sie die Möglichkeiten dazu haben: Nicht jeder will einen Master machen, aber kurze, kostengünstige, gewinnbringende modularisierte Lerneinheiten, auch in „neuen“ Formaten (Fernstudium, blended-learning etc.) sind sicherlich zukunftsträchtig und ein interessantes Geschäftsmodell noch dazu.
Die individuelle Perspektive darauf, wie wir zukünftig arbeiten werden, lässt sich aus meiner Sicht wie folgt zusammenführen:
- Netzwerke, wirkliche Zusammenarbeit, Beziehungen untereinander, Kollaboration, werden immer wichtiger, sofern die Qualität der angebotenen Leistungen zumindest gehalten werden soll.
- Welchen Mehrwert will ich liefern? Ich denke, dass sich jeder Professionelle ganz individuell diese Frage stellen muss. Dienst nach Vorschrift wird zukünftig nicht mehr gefragt sein, das können andere besser (und leider vor allem billiger).
- Und ohne permanentes „Weiterlernen“ geht wenig. Einarbeitungsprogramme auf Seiten der Organisationen gehören ebenso dazu wie die Suche nach passenden Bildungskonzepten für jeden Einzelnen.
Gibt es sowas wie ein Fazit?
Nein, ich denke nicht.
So sind die organisationalen wie auch die individuellen Voraussetzungen, die mit Blick auf die Arbeit in Organisationen der Sozialwirtschaft zukünftig wichtig werden, zu unterschiedlich für ein umfassendes, allgemeingültiges Fazit – eben genauso unterschiedlich wie die Arbeitsbereiche des Sozialwesens.
Und jetzt?
Jetzt heißt es, offen zu sein für neue Wege. Offen zu sein für das Infragestellen alter Handlungsweisen, Innovationen zuzulassen, auch wenn es mal in die Hose gehen kann.
Und Arbeit in Sozialen Organisationen zu „Sozialer Arbeit“ werden zu lassen, zu etwas wirklich Gutem.
Ganz in dem Sinne Gustav Mahlers:
Tradition ist Bewahrung des Feuers und nicht Anbetung der Asche.
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4 comments on “Wie arbeiten wir in Zukunft oder: Tradition ist Bewahrung des Feuers und nicht Anbetung der Asche!”
Schönes „Denkfutter“, mal wieder. Danke dafür! Ich denke manche Einrichtung wird sich in der Zukunft wieder, oder weiter wundern, ob dessen was „plötzlich“ so geschieht. QM z.b. oder personenzentriertes Arbeiten oder sonst was. Hat vorher keiner von gewusst und jetzt müssen wir mal schnell was machen, meist weil der Kostenträger es will. Und die Warum-Frage, da wiederhole ich mich, ist echt zentral. Hörte ich neulich wieder: Wir müssen mehr Gruppen machen. Da gibt es dann die nächste Schreib-, Theater-, Ausflugsgruppe-, sogar Lach-Yoga. Nicht weil es da einen Bedarf gäbe, sondern weil sich dadurch Fachleistungsminuten besser verrechnen lassen. Nichts gegen kreative Angebote, nur geht die Hilfe für die Menschen dann etwas am Thema vorbei. Und wenn man dann wieder mal nach dem Warum fragt, bzw professionell zu Denken versucht, ist das nicht immer gut. Und gute Fachkräfte erscheinen auch nicht unbedingt mehr „so“, wenn ein „interesanter, kreativer Arbeitsplatz mit dem Wunsch nach Team-, Konfliktfähigkeit und Abgrenzungsvermögen“ angeboten wird. Es könnte ja sein, dass sich auch eine Einrichtung zukünftig auf dem Arbeitsmarkt „bewerben“ muss, um gute Leute zu kriegen. Und die Frage nach dem Verbleib des Wissens und Erfahrung, wenn z.B. mein 1964 Jahrgang in Rente, oder so geht, die wird selten beantwortet. Das Thema Wissensmanagement ist da durchaus ein spannendes, was dann mal wieder vom Himmel „fällt“. Übrigens für ISO 9001 zertifizierte Einrichtungen schon bald, weil die neue ISO 9001:2015 dieses Thema beinhaltet. Und ein gutes Wissensmanagement baut sich nicht mal eben so, oder nebenher, auf.
Hey Torsten,
danke für Deine Gedanken zum Text. „Jetzt müssen wir mal schnell was machen“: Ich glaube, dass diese Vorgehensweise wirklich ein großes Problem in den Organisationen (nicht nur) der Sozialwirtschaft darstellt. Neben dem fehlenden „Warum“, der hektischen, unkoordinierten Arbeit, die dann auf einmal losbricht sehe ich hierbei vor allem die Motivation der Beteiligten leiden: Auf einmal muss man etwas tun, was für einen persönlich wenig bis keinen Sinn macht. Wenn ich etwas tue, was keinen Sinn macht, dann mache ich es nicht gut. Und entsprechend ist das Ergebnis… Übel…
Interessant finde ich deine Überlegung, dass sich Arbeitgeber zukünftig um ihre Mitarbeiter bewerben müssen. Dies ist in meinen Augen mehr als erstrebenswert. Gleichwohl sehe ich hier noch das Problem, dass die Sozialarbeiter nicht gut darin sind, sich und ihre umfangreichen Kompetenzen zu verkaufen und einen entsprechend hohen Preis dafür zu verlangen. So habe ich eher den Eindruck, dass irgendeine Stelle, sei sie auch noch so schlecht bezahlt oder ausgestattet, eher angenommen wird, als ein wenig zu warten und dann eine wirklich gute Stelle zu bekommen.
Und der dritte und letzte Punkt, das Wissensmanagement, betrifft nicht nur die ausscheidenden Mitarbeiter sondern auch das Lernen der Organisation insgesamt. Hier bieten die elektronischen Möglichkeiten Potential, das im Sozialwesen nicht oder kaum genutzt wird.
Ich bin gespannt auf die Zukunft… 😉
Beste Grüße
Hendrik