„Wenn Wirtschaft ein Kampf ist, dann will ich da nicht mitmachen!“ Diesen Satz habe ich in einem meiner letzten Beiträge, der Rezension zu „Revolution dank Innovation“, geschrieben. Er basierte darauf, dass in dem Buch – neben vielen wirklich guten Ansätzen zur Innovation in großen Organisationen – eine Sprache verwendet wird, die eher auf die dunkelsten Zeiten in Vietnam als auf Innovation in Organisationen hindeutet. Das hat mich dazu veranlasst, noch einmal darüber nachzudenken, warum Wirtschaft eigentlich permanent auf Gewinnen und Verlieren setzt, auf Kampf, auf – genau – Konkurrenz. Es geht (auch) darum, in Konkurrenz zu anderen zu stehen und „besser“ zu sein, was auch immer das bedeuten mag. Billiger ist zum Beispiel eine Strategie, um in dem Kampf angeblich „besser“ zu sein, und überleben zu können. Wie aber sieht es mit Konkurrenz in Organisationen der Sozialwirtschaft aus?
Macht Konkurrenz Sinn?
Belebt sie das Geschäft?
Oder gibt es Nebenwirkungen, die zu beachten sind?
Konkurrenz in Organisationen der Sozialwirtschaft – Stand der Dinge?
In den letzten Jahren und beinahe schon Jahrzehnten ist es gelungen, soziale Organisationen von „Bewahranstalten“ zu modernen Dienstleistungsunternehmen umzubauen. Prachtbauten einiger sozialer Träger können davon ein Lied singen. Rein optisch brauchen sie sich nicht vor der Software-Schmiede um die Ecke zu verstecken.
Wettbewerb und kochende Frösche!
Gelungen ist es in den letzten Jahren auch, die gesetzlichen Grundlagen, die für die Finanzierung sozialer Dienstleistungen notwendig sind, auf Wettbewerb zu bürsten.
Leistungsnachweis, Wirkungsmessung, Qualitätsmanagement, New Public Management, von mir aus auch Ökonomisierung von Organisationen der Sozialwirtschaft sind Begriffe, die heute keine*n Sozialarbeiter*in wirklich verschrecken. Eine schleichende Entwicklung hat dazu geführt, dass Organisationen der Sozialwirtschaft im Wettbewerb zueinander stehen.
Jetzt könnte man sagen: „Endlich!“
Endlich sind die komischen Sozis mal gefordert, nachzuweisen, was sie eigentlich den lieben langen Tag so tun und wofür sie soviel Steuergelder verschwenden. Endlich muss einmal nachgewiesen werden, in welcher Weise denn der Tischkicker zur positiven Entwicklung der Jugend von heute beiträgt!!! (drei Ausrufezeichen!).
Man könnte aber auch das Bild vom Frosch bemühen, der – wenn er direkt ins kochende Wasser geworfen wäre – wahrscheinlich sofort herausgesprungen wäre. Durch das schleichende Erwärmen des Wasser wurde der Frosch jedoch bei lebendigem Leib gekocht.
Keine Revolution
Aber alle geben sich mit der hinsichtlich der Situation von Organisationen der Sozialwirtschaft zufrieden.
Langsame Veränderung führt zur Anpassung, während abrupte Veränderung zur Revolution führen könnte… (Obacht geben, wenn wir an die politischen Entwicklungen in Deutschland denken!)
Aus meiner Perspektive verschärft sich der Wettbewerb eher noch, die Gelder werden knapper und der Nachweis der erbrachten Leistungen gewinnt an Relevanz. Konkurrenz nimmt zu, freie Träger kommen zu den etablierten Wohlfahrtsverbänden hinzu, dazu noch ein paar „Sozialunternehmer“, die mit wirtschaftlichen Mitteln versuchen, die Probleme der Welt oder zumindest der Gesellschaft zu lösen und es dafür wunderbar verstehen, die Marketing-Trommel zu rühren.
Der Markt als Teufel?
Wer mich kennt, weiß, dass ich die betriebswirtschaftlichen Sichtweisen auf die Soziale Arbeit alles andere als verteufele. Eine radikale Ausrichtung auf einen real existierenden Markt fände ich sogar als spannendes Experiment für Organisationen der Sozialwirtschaft.
Unternehmerisches Denken und Handeln erachte ich als eine der wesentlichen, den Sozialarbeiter*innen jedoch oftmals fehlende fachliche Kompetenz.
Jetzt ist es jedoch so, dass der Markt für Organisationen der Sozialwirtschaft allerhöchstens als Quasi-Markt zu bezeichnen ist.
Da diktieren Kostenträger die Preise für die angebotenen Dienstleistungen und die sozialen Einrichtungen sind bereit, sich auf dieses Diktat einzulassen. Wenn Preise jedoch diktiert werden können, es sich dann noch um öffentliche Gelder handelt, dann kommt es zu einem Spardiktat.
Beck schreibt dazu:
„Wo keine wirklich freien Märkte sind, da ist auch keine wirklich freie Konkurrenz möglich. Viele Sozialmärkte sind nicht frei, sondern reguliert und reglementiert. Damit kann auf diesen Märkten auch kein Wettbewerb im klassischen Sinne stattfinden. Wo Preise administriert sind, wo Planungen staatlich gelenkt werden, wo Personalbesetzungen und –Qualifikationen vorgeschrieben sind, da bleibt kaum mehr Spielraum für eine unternehmerische Betätigung. Wenn dann noch, wie bei den kirchennahen Werken, die Verpflichtung auf quasi-öffentliche Personalvergütungen hinzukommt, da sinkt der Handlungsspielraum gegen Null.“
Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass die Klientel sozialer Einrichtungen in den jeweiligen Lebenssituationen kaum eine freie Wahlmöglichkeit hat, auch wenn die Digitalisierung hier einiges (Gott sei Dank) ins Wanken bringt.
So ist der Drogensüchtige wahrscheinlich kaum in der Lage, zwischen unterschiedlichen Angeboten auszuwählen genauso wenig wie der delinquente Jugendliche oder dessen Angehörige in der Lage sind, die Leistungen einer stationären Jugendhilfeeinrichtung einschätzen zu können.
Sie nehmen das, was da ist, bzw. das, was von den Kostenträgern wiederum diktiert wird.
Die Einrichtungen kommen damit in eine Abhängigkeit den Kostenträgern gegenüber.
Marie-Luise Conen schreibt dazu in ihrem sehr lesenswerten Buch „Ungehorsam – eine Überlebensstrategie„:
„Kostenträger spielen nicht selten die einzelnen Einrichtungen gegeneinander aus. Wenn man bei dem einen Anbieter erreichen konnte, dass er bereit ist, Standards herabzusetzen, geht man hin, um bei einem anderen Anbieter an einem anderen Punkt noch nachzubehandeln. (…) Die Bestrebungen der Kostenträger sind stark darauf ausgerichtet, über die Preise Einfluss auf die Kosten zu nehmen. Bedauerlicherweise wird selten der Zusammenhang zwischen der Qualität einer Hilfe und den Kosten gesehen.“
Was tun? oder: Netzwerke als Lösung
Zunächst einmal ist es wichtig, sich der geschilderten Problematik im Hinblick auf Konkurrenz unter sozialen Einrichtungen bewusst zu werden.
So kann verstanden werden, wer denn wirklich welches Interessen verfolgt.
in einem weiteren Schritt ist es relevant, zu analysieren, welchen Mehrwert die eigene Organisation denn liefert.
Fraglich wird damit, ob die Leistungen wirklich so vergleichbar sind. Verfolgt Ihre Organisation nicht einen besonderen Sinn? Warum existiert Ihre Organisation eigentlich wirklich? Was sind die wesentlichen Beweggründe für die Existenz Ihrer Organisation? Was sind ihre Stärken, ihre Kompetenzen?
Mit einem Wissen darüber wird es möglich, Netzwerke mit anderen Organisationen zu bilden, die nicht nur an der Oberfläche existieren.
Netzwerke, die nicht bei den Verhandlungen mit den Kostenträgern zum eigenen Vorteil aufhören, sondern genau dort ihre Stärke beweisen.
Ja, es gibt Konkurrenz, aber wir halten so eng zusammen, dass wir stärker werden.
Kann man von Preisabsprachen sprechen?
Ja, warum nicht! Wenn der Markt ein Quasi-Markt ist, warum sollten die Organisationen untereinander dann nicht auch Netzwerke bilden, die sich der Absprache von Preisen und damit vor allem der Aufrechterhaltung von fachlichen Standards verschreiben?
Oder?
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9 comments on “Konkurrenz in Organisationen der Sozialwirtschaft – macht das Sinn?”
Netzwerke und Standards sind eine Voraussetzung für eine echte Wahlfreiheit der Kunden. Wenn Qualitätstandards und gleiche Kostensätze für gleiche Leistung gegeben sind kann eine Profilierung erst beginnen, die dann echte „Konkurrenz“ hervorbringt.
Hey Mike,
ja, das mit den Standards etc. ist nicht ganz leicht. Fraglich ist ohne Standards jedoch, wie die „Kunden“ (wenn sie es dann wären), die Qualität der Leistungen einschätzen können. Es bleibt spannend 😉
Dir nen guten Tag!
Hendrik
Hat dies auf mampels welt rebloggt und kommentierte:
„Ja, es gibt Konkurrenz, aber wir halten so eng zusammen, dass wir stärker werden. Kann man von Preisabsprachen sprechen? Ja, warum nicht! Wenn der Markt ein Quasi-Markt ist, warum sollten die Organisationen untereinander dann nicht auch Netzwerke bilden, die sich der Absprache von Preisen und damit vor allem der Aufrechterhaltung von fachlichen Standards verschreiben?
Oder?“
Wieder mal was zu lesen von Hendrik Epe!
Danke Dir!!!
Zu diesem Thema haben Markus Eckl und ich einen kontroversen Dialog geführt, siehe „Die Wirtschaft der Sozialen Arbeit“ hier: https://heikokleve.wordpress.com/2016/06/16/die-wirtschaft-der-sozialen-arbeit-ein-dialog-zwischen-markus-eckl-und-heiko-kleve/
Danke! Schau ich mir an!
Lohnenswertes Thema! Danke, dass Du das noch mal aufgegriffen hast. Ich sehe aus eigener Erfahrung die Gefahr, dass das Neue (also die Marktorientierung) nur oberflächlich gelebt wird, während die alte Kultur (in dem Fall die einer Behörde) hinter den Kulissen weiterlebt. Das ergibt dann einen Halb-Dienstleister. Immer noch besser als eine Voll-Behörde, aber die Kunden verwirrt es ungemein: Mal werden sie als Kunde umworben, dann wieder hagelt es einen Bescheid von oben herab in gepfeffertem Amtsdeutsch. Könnte mir vorstellen, dass auch Soziale Arbeit damit zu kämpfen hat.
Moin Lydia, finde den Gedanken wirklich spannend…
In meinen Augen passt es tatsächlich nicht: Eine Verwaltung ist eine Verwaltung. Sie kann verwalten, und das richtig gut. Aber für Markt, Innovation etc. zu sorgen, das kann sie nicht, wird aber von ihr zunehmend verlangt. Hier stellt sich die Frage, ob es nicht grundlegend neue Organisationsformen braucht, die Marktwirtschaft (wenn das das Ziel ist) realisieren können…
Hab nen guten Tag
Hendrik