Thema
Kann man sich auf den Weg in die Digitalisierung begeben? Kann es etwas geben wie eine Landkarte, eine roadmap hin zur Digitalisierung? Ich persönlich liebe Ratgeberbücher. Ich habe viele davon und meine Frau macht sich schon lustig darüber: Anstatt diese zu lesen sollte ich doch mal lieber machen! MACHEN! Damit hat sie natürlich mehr als Recht und Christoph Schmitt unterstreicht gleich im ersten Satz seines Buch „Digitalisierung für Nachzügler“ diese Haltung: „Dieses Buch ist kein Ratgeberbuch.“ Und schon auf Seite 1 im dritten Absatz wird deutlich: „Das hier will ein Buch für Macherinnen und Macher sein.“
Kein Ratgeberbuch
Mist, kein Ratgeberbuch für den Weg in die Digitalisierung also. Vielmehr ein Macherbuch! Nun gut, ich lese trotzdem gerne und damit weiter und tauche zusammen mit dem Buch ab nach Digitalien, zusammen mit Christoph. So fokussiert das Buch auf seine, teilweise ganz persönlichen Erfahrungen auf diesem Weg, immer aber unterlegt mit anschaulichen Beispielen und dem permanenten Versuch, alle Aussagen faktenbasiert zu untermauern, um in dieser Kombination zum Machen zu animieren.
So, das direkt vorab, ist Digitalisierung nichts, was man lernen kann. Die Auswirkungen, die Gestaltungsmöglichkeiten und die Folgen der Digitalen Transformation können noch so lange erklärt und erläutert werden und ich bin auch der Überzeugung, dass Fort- und Weiterbildungen im sozialen Bereich zu dem Thema fehlen, aber:
Selbst erleben
Erst dann, wenn man selbst die Chancen und Möglichkeiten der sich durch die digitalen Möglichkeiten ergebenden Kollaboration, Kreativität und Kreation selbst, am eigenen Leib, in eigenem TUN erlebt hat, wird deutlich, was die digitale Transformation für unsere Gesellschaft bedeuten wird (oder besser: kann, wenn wir uns auf den Weg begeben).
Autor
Christoph Schmitt bezeichnet sich selbst als „collaboration coach & learning engineer“. Er berät Menschen und Organisationen auf ihrem Weg in die Digitalisierung. Mehr über ihn und seine Arbeit erfahren Sie hier.
Aufbau
Das Buch „Digitalisierung für Nachzügler“ gliedert sich in die folgenden zehn Kapitel:
- Ein Vorwort
- Herzlich Willkommen. Steigen wir ein.
- Wie Digitalisierung unsere Kultur verändern wird
- Durch Bilder und Metaphern verstehen, was Digitalisierung ist
- Über Digitalisierung zu sprechen, bedeutet über unser Lernen zu reden
- Über Digitalisierung zu sprechen, bedeutet über einen neuen Umgang mit Wissen zu reden
- Um welche Kompetenzen geht es in Zukunft?
- Ein konkretes Beispiel: Der online-Kurs „Leuchtfeuer 4.0“
- Meine Vision: Lernen, Leben und Arbeiten als Netzwerk-Atelier
- Ein Nachwort
Das Buch – natürlich ein eBook, übrigens – schließt mit einem kurzen „Who is Who“ der beiden Menschen, die für die Entstehung des Buchs die Verantwortung tragen: Christoph Schmitt, natürlich, und Melanie Vetterli, die für die Zeichnungen im Buch verantwortlich ist.
Spätestens ab Kapitel 5 wird deutlich, dass sich das Buch und damit auch die Arbeit von Christoph Schmitt stark auf den Bereich der Bildung bezieht, was ich natürlich aus beruflicher (aber auch privater – immerhin hab ich drei Kinder, die vermutlich alle noch zur Schule gehen werden) sehr spannend und inspirierend finde.
Inhalt und Diskussion
An dieser Stelle ist wieder einmal einleitend zu erwähnen, dass es sich bei der Buch nicht um ein „wissenschaftliches Fachbuch“ handelt. Es ist, wie in der Einleitung bereits hervorgehoben, die subjektive Beschreibung eines Wegs in die Digitalisierung und eine oftmals sehr persönliche Bestandsaufnahme der sich im Kontext der digitalen Transformation ergebenden Veränderungen. Und um es noch einmal mit den Worten des Autors zu sagen:
„In diesem Buch wird dir nicht gesagt, was du zu tun hast, um ein erfolgreicher oder eine erfolgreiche „Digital Immigrant“ zu sein. Der Grund liegt in der Sache selbst: Digitalisierung bedeutet als Erstes: selbermachen, selber lernen, selber verstehen“ (S. 10).
Eigentlich könnte ich mit diesem Zitat aufhören: Selber machen, selber lernen, selber verstehen! Das ist der wohl erfolgsversprechendste Weg in die Digitalisierung, für Menschen ebenso wie für Organisationen.
Hinzuzufügen zum Zitat ist noch, dass das „selber machen, selber lernen, selber verstehen“ am Besten im Austausch mit anderen Menschen und Organisationen auf ähnlichem Weg funktioniert. Dieser Zusatz ist aber nur auf das Zitat bezogen, denn Christoph Schmitt legt gerade diesen Punkt durchgehend in allen zehn Kapiteln hervorragend und anschaulich dar. Beispielhaft schreibt er mit Blick auf die Veränderung unserer Lern- und Arbeitswelten:
„Strukturarme und hierarchiefreie Formen des Lernens und Arbeitens werden in der Digitalisierung an Wert und Bedeutung gewinnen. Die Digitalisierung verändert die Anforderungen an die Art wie wir lernen, arbeiten und kommunizieren derart, dass wir das nur noch durch ein Höchstmaß an Selbstständigkeit, Eigenmotivation, Selbststeuerung und Selbstführung, jenseits hierarchischer Strukturen und Kulturen bewerkstelligen können. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Möglichst rasch, möglichst mit anderen zusammen. Möglichst anhand konkreter und relevanter Probleme. Nicht in Reservaten, sondern „in freier Wildbahn“.“
Weitergehend sind die Ausführungen von Christoph Schmidt auch „auszuhalten“. Damit meine ich konkret, dass Christoph – so zumindest für mich – Dinge, Bedeutungen, Zuschreibungen infrage stellt, die für mich bislang als sicher galten: Was ist Wissen? Gibt es Wissensinhalte? Kann ich diese Inhalte vermitteln?
Christoph schreibt:
„Wissen ist kein Inhalt. Es ist ein Prozess, in dem wir Bedeutung hervorbringen. Mein Wissen nützt mir nur dann, wenn es mich in konkreten Kontexten unterstützt und weiterbringt. Deshalb ist das Meiste, was wir in der Schule mit „Wissen“ machen, nur für die Noten – mit anderen Worten: Es ist fürdie Katz.“
Schule lässt sich – oftmals – wunderbar durch Hochschule gleichsetzen: Was lernen die Studierenden? Informationen. Was machen sie mit den Informationen? Prüfungen absolvieren. Mehr aber nicht.
„In vielen Köpfen herrscht noch hartnäckig die Überzeugung, Wissen sei ein „Bestand“. Viel zu wissen, heißt für viele Menschen immer noch, Wissen auf Halde zu haben. Volle Speicher. Das hat uns die Schule so beigebracht. Aber das ist ein Irrtum. Was in diesen Speichern wirklich lagert, ob es sich nun um Gehirne, Festplatten oder Clouds handelt, sind Nullen und Einsen. Es sind Daten, im besten Fall Informationen.“ (106)
Was ist Lernen?
Ist das Lernen? Und vor allem: wie sieht Lernen im Zeitalter der digitalen Transformation aus? Machen wir es konkret: Ich schreibe gerne Rezensionen zu Büchern, die mich interessieren. Ich lese die Bücher, sauge damit das darin enthaltene Wissen auf und schreibe über meine Sicht der Dinge. Das mag den ein oder anderen interessieren. Es ist aber hochgradig subjektiv. Und wenn ich mit den Informationen aus den Büchern nicht mehr mache, als darüber zu schreiben, sammeln sich im Laufe der Zeit viele Informationen in meinem Bücherschrank und auf meiner Festplatte. Fertig, mehr nicht.
„Erst wenn ich das Gespeicherte wieder zumLeben erwecke, wenn ich es in reale Kontexte einbringe, dann wird eswieder zu Wissen. Dann hilft es mir womöglich, Probleme zu lösen. Undallein dafür ist Wissen da. Seit es uns Menschen gibt.“
Und wenn dann noch die Digitalisierung hinzugenommen wird, kommen wir dahin, dass „die klassischen Wissensvermittlungsprozesse verschwinden werden. Die Digitalisierung befreit uns von ihnen und gibt uns die Chance, gemeinsam eine neue Kultur des Lernens, des Arbeitens und des Problemlösens zu entwickeln.“
Oh man, ich könnte noch so viele lesenswerte Zitate anbringen.
Dabei – das nur als Einordnung der Informationen die hier in dieser Rezension stehen – schreibe ich aus Perspektive eines Vaters mit drei Kindern, von denen zwei unser Schulsystem besuchen (daher kommen meine grauen Haare), das ich auch selbst besucht habe und eines Menschen, der sich seit mehr als 15 Jahren als Studierender und Berufstätiger mit unterschiedlichen Aufgaben in und an Hochschulen unterschiedlichster Couleur herumtreibt.
Na gut, noch zwei:
„Wissen ist nicht etwas, womit ich Menschen beschallen, betexten und bedampfen könnte. Solches „Mästen“ verhindert ja gerade, dass Menschen selber anfangen, „etwas für ihr Wissen zu tun“, sprich: Wissen eigenständig zu generieren statt Informationen aneinander zu hängen undzu repetieren.“ (110)
Und:
„Nützliches und hilfreiches Wissen entwickeln wir gemeinsam fortlaufend weiter in kreativen, offenen, dicht vernetzten Netzwerken und Plattformen für alle Interessierten und aktiv Beteiligten – um real anstehende Probleme zulösen.“
Davon sind wir im Hochschulbereich ebenso wie im Schulsystem – zumindest in der Breite – noch meilenweit entfernt (und bitte: Korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liegen sollte). Spannend ist die Überlegung, auch Organisationen der Sozialwirtschaft vornehmlich als Bildungsinstitutionen zu begreifen und die Ausführungen eines Lernens der Zukunft auch auf diese Organisationen zu übertragen.
Und sonst?
Um jetzt aber wirklich zum Ende zu kommen (es soll ja eine Rezension bleiben), nur noch kurz die Punkte, die Christoph Schmitt weiter ausführt: So geht es noch um die Kompetenzen, die wir in der Zukunft brauchen, um in einer Welt der Überraschungen gestaltend tätig bleiben zu können. Und abschließend wird der MOOC (ich denke, jeder weiß, was das ist) „Leuchtfeuer 4.0“ vorgestellt, der als „Kreuzung zwischen Coworking– und Makerspace, vom Besten also, was es derzeit an Möglichkeiten gibt, sich aktiv im Netz und zugleich im geografischen Raum zu bewegen, und dabei zu erfahren, dass die beidennicht mehr wirklich voneinander zu trennen sind“ (131) beschrieben wird. Diese Beschreibung zeigt auf, wie Lernen heute schon sein kann und in Zukunft zunehmend sein wird.
Fazit
Was ist mein Fazit zum Buch?
Zum einen wird es wohl Zeit, dass sich Kindergärten, Schulen und Hochschulen, aber auch Organisationen der Sozialwirtschaft, die sich als Bildungsinstitution verstehen, auf den Weg machen, neu über Bildung, nein, insgesamt über die digitale Transformation nachzudenken, neue Wege zu gehen, auszuprobieren, zu kollaborieren.
Hier sehe ich – aus der Innenperspektive des Bildungssystems – die größten Hürden.
Die Menschen, die im Bildungssystem ein Wörtchen mitzureden haben und über die Gestaltung formeller Bildung bestimmen, sind in einem System großgeworden, dass Gegenteiliges gefordert hat. Eine Promotion, als Beispiel, ist oftmals immer noch ein harter, einsamer Kampf im stillen Kämmerlein. Kollaboration wird als Konkurrenz empfunden. Datenschutz wird großgeschrieben. Austausch wird vermieden. Es geht nicht um die Lösung von Problemen, sondern um die Vermarktung und Positionierung der eigenen Person. Hier will ich nicht mitmachen. Das ist mir in den letzten Monaten zunehmen klarer geworden. Dann lasse ich mich lieber auf den von Christoph beschrieben, unsicheren, steinigen Weg einer gemeinsamen Entwicklung unserer Gesellschaft ein.
[Tweet „Machen steht im Vordergrund.“]
Und dazu liefert das Buch von Christoph Schmitt ein wunderbares Begleitwerk, dass die Augen öffnet und aus immer wieder unterschiedlichen Perspektiven nachdenken lässt.
Sie sind interessiert am Buch? Das hoffe ich doch! Sollte dies so sein, können Sie das Buch z.B. hier erwerben!
Vielleicht sind Sie ja auch noch an ein paar weiteren Büchern interessiert? Dann empfehle ich auf jeden Fall, einmal in den Beitrag „Books to Read 2017“ reinzulesen oder in meine letzte Podcast-Episode reinzuhören.
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