Sie wollen „was machen“? Sie haben eine Idee, wie Sie Ihre Nachbarschaft, Ihr Dorf, Ihre Hausgemeinschaft, Ihre Interessengruppe (und damit auch die Gesellschaft) verändern können?
Gerade in unseren turbulenten Zeiten, in der Seehofers, Trumps, von Storchs, Weidels, Gaulands und wie die – bitte entschuldigen Sie – Arschlöcher alle heißen, am Grundverständnis unserer Demokratie kratzen und mit Nazi-Methoden versuchen, notwendigen Wandel zu verhindern und Angst zu schüren, wo Neugierde angebracht wäre (und vor allem versuchen, mir meine ganz persönliche Freiheit zu nehmen), ist dieses Engagement zunehmend relevant.
Gemeinsam „Dinge“ bewegen, Gesellschaft gestalten, Lebensbedingungen verbessern, gemeinsam gärtnern und Beziehungen aufbauen, auch gemeinsame Vereinsarbeit oder kurz: bürgerschaftliches Engagement wird zunehmend wichtig!
Die Probleme sich selbst organisierender Gruppen
Die Herausforderungen bei diesem Engagement sind jedoch nicht gerade trivial und Ihnen wahrscheinlich bekannt:
- Entweder Sie haben es mit kuscheligen Gruppen zu tun, die – freundschaftlich verbunden – so oder so irgendetwas gemeinsam machen würden. Im Freundeskreis kommt man auf die Idee, dass es doch sinnvoll wäre, hier und dort etwas zu tun. Etwas konkreter: Sie werden älter und stellen fest, dass in Ihrem Wohnort die Betreuung und Unterstützung von älteren Menschen nicht optimal geregelt ist. Sie gründen mit Ihren Bekannten einen Verein, der sich um die Betreuung, um Einkäufe, um Nachbarschaftshilfe etc. kümmert. Sie sind damit rechtlich auf der sicheren Seite. Und weil Sie mit Ihren Bekannten und Freunden etwas zusammen machen, arbeiten Sie halbwegs effektiv und zielführend. Meist ist es aber auch hier so, dass eine Person arbeitet, der oder die Ideengeber*in, Vorsitzende*r oder eben derjenige mit der meisten Zeit. Nicht optimal, aber solange es funktioniert, funktioniert es.
- Option zwei ist, dass Sie sich in Ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit aufreiben zwischen Grundsatzdebatten, Kompromissen und dem Versuch, einen Konsens zu finden. Sie streiten sich rum, ärgern sich schwarz, sind wahnsinnig genervt und schmeißen das Handtuch, früher oder später.
Beide Optionen sind schwarz-weiß gezeichnet, das ist mir bewusst.
Fraglich ist aber, ob es noch einen dritten Weg der freiwilligen, bürgerschaftlichen Zusammenarbeit gibt?
Agiles Management als Grundlage für bürgerschaftliches Engagement
Gibt es eine Möglichkeit die sich selbst organisierende Arbeit in Ihrem Vereinen, Ihrer Gruppe, Ihrer Nachbarschaft und in all den Vereinigungen, die wirklich wertvolle Arbeit leisten, so zu gestalten, dass Sie tatsächlich schnell und zielgerichtet sinnvolle Arbeitsergebnisse generieren können? Ich bin davon überzeugt, dass Sie mit agilem Management hier gute Ergebnisse erlangen.
Was ist agiles Management?
Svenja Hofert (2018b, 4) schreibt dazu, dass es in agilen Konzepten darum geht, „sich an Begabungen und Stärken auszurichten. Gleichmacherei ist nicht gefragt. Es ist vielmehr das Ziel, dass die Mitarbeiter aus sich heraus an etwas arbeiten, das sie interessiert, begeistert, eben in einen Flow versetzt.“
Sie definiert Agilität als „die Fähigkeit von Teams, Individuen und Organisationen, in einem unsicheren, sich veränderndem und dynamischen Umfeld flexibel, anpassungsfähig und schnell zu agieren. Dazu greift Agilität auf verschiedene Methoden zurück, die es Menschen einfacher machen, sich so zu verhalten“ (ebd., 5).
Bevor ich näher auf diese Methoden eingehen will, kurz der Blick auf das Geschriebene unter dem Blickwinkel des bürgerschaftlichen Engagements:
Die Ausrichtung an Begabungen und Stärken in der freiwilligen Arbeit ist essentiell. Gerade diese Ausrichtung treibt Menschen an, neben Ihrem Job Dingen nachzugehen, die sie wirklich lieben und damit gerne und (oftmals) gut machen. So werde ich mich nicht in einem Bereich engagieren, in dem ich nicht „gut“ bin, meine Stärken also nicht einbringen kann.
Und Zitat 2 zeigt, dass die Stärken agilen Managements in der Gestaltung der Zusammenarbeit unter komplexen Bedingungen liegen. Komplex sind aber die meisten (besser: alle) Arbeitsbereiche, in denen „mit Menschen“ gearbeitet wird. Und die Koordination von Aufgaben, die Entscheidungsfindung und die gemeinsame Bearbeitung von Projekten sind hochgradig komplex, auch wenn es sich „nur“ um die Arbeit im Kaninchenzuchtverein handelt.
Wie aber konkret?
Dies hier ist ein Blogbeitrag, das vorab. Vorab deshalb, da es nicht möglich ist, Ihnen alle Varianten agiler Zusammenarbeit darzulegen. Aber ich will versuchen, Ihnen die wesentlichen Aufgabenschwerpunkte „klassischer“ Arbeit im zivilgesellschaftlichen Engagement darzulegen.
Entscheidungsfindung
Das Treffen von sinnvollen Entscheidungen bei nicht vorhandener formaler Macht ist wohl die größte Hürde selbstorganisierter Zusammenarbeit: Wer soll entscheiden, wenn niemand das Recht hat, zu entscheiden? So hat auch der Vorsitzende im Vereinsvorstand zunächst kein formales Recht, Entscheidungen gegen den Willen der anderen Mitglieder zu treffen. Er kann auch nicht „mal ebenso“ Mitglieder aus dem Verein entlassen. Wenn er dies tut, riskiert er mindestens seine Wiederwahl.
Wie aber entscheiden? Klassisch sind wohl die demokratischen Entscheidungen (Mehrheit) und die Entscheidungen im Konsens (alle stimmen zu). Beide Varianten sind jedoch nicht nur zufriedenstellend: Entweder es sind Menschen nicht nur dafür, sondern auch dagegen (was vorkommen soll) oder die getroffenen Entscheidungen sind sehr weichgespült (Konsens).
Hier partizipative Entscheidungen nach dem Konsent-Prinzip zu treffen macht Sinn: Die Entscheidung wird dann getroffen, wenn niemand mehr dagegen ist. „Eine Entscheidung gilt dann, wenn kein Teilnehmer einen schwerwiegenden und argumentierten Einwand gegen einen zu fassenden Beschluss hat (ist kein Vetorecht, sondern das Aushandeln auf der Basis von nachvollziehbaren Argumenten).“ (http://www.partizipation.at/soziokratie.html).
Projektmanagement
Der Begriff ist ein wenig groß: Nicht umsonst gibt es Bücher, Fort- und Weiterbildungen und ganze Studiengänge dazu. Aber Projekte, vielleicht, aber gar nicht zwingend etwas kleiner gedacht, sind Bestandteil jeden bürgerschaftlichen Engagements. Angefangen von der Organisation des Sommerfests über die Beantragung eines neuen Kita-Standortes bis hin zur Planung und Umsetzung des neuen Internetauftritts und allen dazwischenliegenden Facetten sind Projekte zu „managen“.
Und wiederum ist es so, dass gerade in den sich selbst organisierenden Gruppen und Teams Hindernisse durch klassische Projektmanagementmethoden auftauchen. Wer investiert freiwillig Zeit und Ressourcen, um Gantt-Charts und Meilensteinpläne zu entwerfen, die der Realität sowieso nicht standhalten?
Ohne in die Details einzusteigen bietet hier wiederum die agile Methodenkiste hilfreiche Werkzeuge. Die Planung und Steuerung eines Projektes mithilfe eines (analogen oder digitalen) Kanban-Boards bspw. ist deutlich flexibler, als klassische Planungen. Das StandUp zu Beginn jeder (Vorstands-)Sitzung hilft, aktuelle Arbeiten der einzelnen Teilnehmer in den Blick zu nehmen. Und das Time-Boxing eignet sich auch dazu, Besprechungen zu strukturieren.
Hier gibt es noch viele weitere Methoden, die es ermöglichen, die selbstorganiserte Zusammenarbeit von Teams und Gruppen zu strukturieren. Nachlesen können Sie das bspw. bei Hofert, 2018a oder auch bei Lasnia und Nowotny 2018. Und im Internet finden Sie spannende Anregungen zu agilen Methoden der selbstorganisierten Zusammenarbeit bspw. beim Blog „Agile Verwaltung“.
Qualitätssicherung
Was ist der Grundgedanke des KVP, des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses? Der Grundgedanke ist der stetige, eben: kontinuierliche Prozess der Verbesserung der Strukturqualität, der Prozessqualität und damit der Ergebnisqualität (outcome).
Diese kontinuierliche Entwicklung findet sich im iterativen Vorgehen (Franken 2016) bspw. der agilen Methode „Scrum“, die basierend auf festen Regeln nutzerorientiert, inkrementell und iterativ vorgeht.
Daraus ergeben sich zu festgelegten Zeiten (nach den Sprints) immer wieder neue Ergebnisse, die in einer Retrospektive auf ihren Nutzen für die/den Kund*in (oder Nutzer*in) geprüft werden. Qualität muss hier nicht mehr „gemanagt“ werden. Qualität entwickelt sich aus der Interaktion mit den Nutzer*innen heraus. Nur wenn die Arbeit sinnvoll ist, einen Mehrwert liefert und qualitativ angemessen ist, kann weitergearbeitet werden.
Entsprechend, wie gesagt, ist klassisches Qualitätsmanagement oder auch die Sicherung von vorgegebenen Mindeststandards obsolet: Ohne Einhaltung der Standards,entspräche das Produkt (oder die Dienstleistung) nicht den Anforderungen der Nutzer*innen.
Ressourcen schonen
Zeit ist Geld und Geld ist knapp. Immer und überall! Und vor allem in sich selbst organisierenden, Gruppen, die sich freiwillig für ein bestimmtes Thema engagieren.
Auch hier liefern agile Haltungen und Methoden Möglichkeiten, sich in seinem Engagement nicht zu verrennen. So ist, bspw. bei der Methode Design Thinking, die/der Nutzer*in von Beginn an eingebunden. Dabei geht es nicht um die Lösungsideen der Nutzer*innen, sondern deren Bedarfe. Nicht die schnelleren Pferde waren Ziel von Henry Ford, sondern die Ermöglichung von Mobilität.
Innovation
Die Verbindung von Innovation und dem Männergesangsverein im Ort ist nicht ganz leicht herzustellen. Das ist jedoch auch das Problem, wenn man über das Überleben des Männergesangsvereins nachdenkt. Welche innovativen Lösungen gäbe es, die das Überleben des Vereins sicherstellen? Andere Beispiele sind hier selbstverständlich denkbar.
Die konsequente Anwendung agiler Methoden zur Steigerung der Innovationsfähigkeit habe ich bereits des Öfteren hier dargelegt. Radikal gedacht erledigt sich die Suche nach Innovationen, wenn der Nutzen für die Nutzer*innen (im Männergesangsverein sind dies ggf. auch die Sänger selbst) im Mittelpunkt steht. Verbunden mit einer Offenheit den sich vollziehenden Entwicklungen gegenüber, verbunden mit einem „agilen Mindset“ (Hofert 2018b, 2018a) von mir aus, verbunden mit dem Bewusstsein für eine nachhaltige Entwicklung der Organisation, des Vereins, der Initiative ergeben sich Möglichkeiten, die Lebensfähigkeit sicherzustellen.
Fazit:
Abschließend ist hier sicherlich nicht abschließend. So wird es immer möglich sein, andere Beispiele für agiles Management als Grundlage für bürgerschaftliches Engagement heranzuziehen.
Mir ist es hier nur wichtig, zu betonen, dass es auch in der freiwilligen Arbeit, im zivilgesellschaftlichen oder bürgerschaftlichen Engagement, in der Vereinsarbeit und in allen sich selbst organisierenden Teams und Gruppen sinnvoll ist, sich darüber zu verständigen, wie zusammengearbeitet werden soll.
Idealerweise findet diese Verständigung statt, bevor mit der eigentlichen Arbeit begonnen wird. Aber auch während der Arbeit oder im Fall einer Krise ist es sinnvoll – im Sinne eine retrospektive – auf das, was war, zu schauen und daraus das zu erarbeiten, was werden soll – auch in Bezug auf die Zusammenarbeit untereinander.
Zum Weiterlesen (und Quellen):
- Franken, Swetlana (2016): Führen in der Arbeitswelt der Zukunft. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.
- Hofert, Svenja (2018a): Agiler führen. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.
- Hofert, Svenja (2018b): Das agile Mindset. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.
- Lasnia, Marko; Nowotny, Valentin (2018): AGILE EVOLUTION. Eine Anleitung zur agilen Transformation. 1. Auflage. Göttingen: BusinessVillage.
- Neubauer, Rainer M.; Puckett, Stefanie (2018): Agiles Führen. Führungskompetenzen für die agile Transformation. 1. Auflage. Göttingen, Niedersachs: BusinessVillage.
- Schubert, Herbert (2018): Netzwerkmanagement in Kommune und Sozialwirtschaft. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer VS (Basiswissen Sozialwirtschaft und Sozialmanagement).
- Zum Thema Innovation habe ich mal im netz gefragt, ob Soziale Organisationen einen Innovationsmanager brauchen und welche Kompetenzen dieser haben sollte. Dazu findet sich hier ein (erster?) Aufschlag von Christian Müller. Spannende Diskussion…
Sie sind interessiert an einer Zusammenarbeit mit mir? Vielleicht einen Impulsvortrag oder einen Workshop zur Zukunft sozialer Organisationen? Oder eine Begleitung in der Frage, wie Sie wieder „sozial arbeiten“ können? Nehmen Sie einfach Kontakt auf, ich freue mich auf Sie.
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2 comments on “Zukunft gemeinsam gestalten: Agiles Management als Grundlage für bürgerschaftliches Engagement”
Moin Hendrik, mit agilen Methoden im Ehrenamt habe ich Mal einen Workshop auf der Fachtagung Ehrenamt gemacht — Scrum im Ehrenamt, war echt witzig.
Ich glaube, die größte Stärke agiler Methoden in der Arbeit mit Ehrenamtliche liegt in dem was Hofert Flow nennt. Im Ehrenamt geht es meistens gar nicht so sehr um Effektivität und Effizienz. Die Gemeinschaft steht im Vordergrund. Und die wird manchmal auch mit einem (bisweilen zwanghaften) Effizienz-Streben hergestellt. Das trifft aber bei weitem nicht auf alle oder nur einen großen Teil der Engagierten zu, glaube ich.
All zu viel erwarten würde ich entsprechend nicht vom agilen Freiwilligenmanagement 🙂
Hey Hannes,
danke für dein Feedback. Ja, es geht swicher weniger um das Abarbeiten von Listen. Aber eine Vorstellugn von Arbeitsweisen und Methoden kann sicherlich nicht schaden 😉
Dir ne gute Woche
Hendrik