Eine Bekannte sucht einen Job. Sozialpädagogin, studiert, mit Diplom und allem.
Und dann hat sie eine Anfrage bekommen, ob sie nicht – zunächst übergangsweise – in einem Kindergarten die Integration für ein Kind übernehmen wolle, das zu früh geboren wurde und damit einige Schwierigkeiten hat, um in einem normalen Kindergarten zurecht zu kommen.
Tatsächlich kam die Anfrage für sie zu einem eigentlich recht günstigen Zeitpunkt. Die Kinder so langsam aus dem Gröbsten raus (hach, wie ich diesen Satz mag), etwas Zeit zur Verfügung. Und da stellt sich natürlich die Frage nach neuen Beschäftigungen.
Ein Kindergarten, mit dem Auto gut erreichbar, fragt also nach, ob sie die Integrationsstelle übernehmen kann.
Und – nach kurzem Hin und Her – entscheidet sie sich dazu, sich doch mal mit der Leitung zu treffen, um zu hören, um was es konkret geht.
Absurd!
Hier nimmt die Absurdität jedoch Fahrt auf:
Zunächst einmal weiß die Leitung des Kindergartens nicht wirklich über die Rahmenbedingungen Bescheid:
- Wie viele Stunden pro Woche?
- Welche Bezahlung?
- Wie viele Stunden pro Tag mit dem Kind?
- Vorbereitung und Nachbereitung?
- Elterngespräche?
Alles irgendwie unklar.
Und das, obwohl die Stelle bereits ausgeschrieben war, sich bereits mehrere Menschen beworben und die Stelle nicht genommen haben. Für unsere Bekannte sind diese Rahmenbedingungen jedoch wesentlich, da fraglich ist, ob sich eine Stelle und der damit einhergehende Aufwand überhaupt lohnt. Wie gesagt, neben Kindern und der Vollzeit-Beschäftigung ihres Mannes (schön klassisch, wie so oft).
Sie beginnt also, sich selbst zu informieren.
Wie sieht eine Anstellung als Integrationsfachkraft aus? Welche Anforderungen werden gestellt? Was wird üblicherweise gezahlt? Dazu bekommen sie aus ihrem persönlichen Netzwerk einige Informationen. Allerdings bleibt immer noch offen, ob es nun eine Anstellung ist, oder ob es eine freiberufliche Tätigkeit auf Honorarbasis ist. Das ist zu klären. Dazu bekommt sie die Auskunft, dass sie doch zunächst mal bei der Stadt, die als Träger des Kindergartens fungiert, anrufen solle. Auch das kann man ja machen.
Abhängigkeit von der Stadt als Träger der Einrichtung
Allerdings ernüchtert das Gespräch bei dem zuständigen Beamten auf dem Bürgeramt dann doch. Nicht, weil die Bezahlung schlecht wäre. Nein, einzig, weil das SAP-System des netten Herrn an der anderen Seite der Leitung abgestürzt ist. Noch mal melden also, in zwei Tagen.
Gesagt, getan. Leider ist aber das System immer noch abgestürzt, was sie wiederum von dem Herrn am anderen Ende der Leitung erfährt. Fraglich ist, was dieser Herr die beiden letzten Tage getan hat, wenn er noch nicht mal eine einfache Auskunft aufgrund eines abgestürzten Computer-Systems geben kann. Wahrscheinlich sammelt er Überstunden an. Naja, zumindest erklärt er sich dazu bereit, zurückzurufen, sobald das System wieder funktioniert. Das ist inzwischen zwei Wochen her.
Unsere Bekannte hat sich dazu entschlossen, die Stelle nicht anzunehmen. Und zwar unabhängig von der Einstufung unabhängig von der Verdiensthöhe, unabhängig davon, wie oft sie pro Woche im Kindergarten sein müsste. Nein, sie hat den Job abgesagt aufgrund des seltsamen und zu großen Teilen unklaren Einstellungsprozederes!
Langer Rede, übergreifender Sinn!
Es geht um ein Kind, das dringend eine Integrationsfachkraft benötigt, da der Kindergarten (nachvollziehbarerweise) überfordert ist. Und die involvierten Einrichtungen, hier insbesondere der Träger des Kindergartens, bekommen es nicht hin, zu klären, wie denn die Rahmenbedingungen aussehen. Wahrscheinlich wird das auch der Grund sein, warum die vorherigen Bewerber die Stelle nicht angenommen haben.
Was folgt daraus?
Möglich wäre es jetzt, über die Notwendigkeit zu philosophieren, qualifiziertes Personal einzustellen. Möglich wäre es auch, darüber zu philosophieren, wie (vor allem) Frauen der Wiedereinstieg in den Beruf nach einer Phase der Kinderbetreuung in der Sozialwirtschaft besser gelingen kann (ich sehe hier ein riesiges, nicht genutztes Potential, übrigens). Man könnte auch darüber philosophieren, dass die Leitung des Kindergartens so schlecht über die Bedingungen der Anstellung informiert war. Aber ich will – da mich das aktuell brennend interessiert – auf etwas Anderes hinaus:
Innovation und die Abhängigkeit von externen Organisationen
Organisationen der Sozialwirtschaft sind auf die Zusammenarbeit mit externen Organisationen angewiesen.
Bedeutsam dabei ist, dass es sich nicht um die Zusammenarbeit mit frei gewählten externen Organisationen handelt. Das wären dann bewusst gebildete Netzwerke, die mehr als sinnvoll sind. Nein, Organisationen der Sozialwirtschaft sind auf die Zusammenarbeit mit ihren direkten Trägern ebenso wie den Leistungsträgern, also den Finanziers der Angebote, angewiesen und zu einem großen Teil von diesen abhängig. Diese Abhängigkeiten können – wie im geschilderten Fall – dazu führen, dass dringend notwendige Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Arbeit der Organisationen, wie bspw. die Einstellung neuer Mitarbeiter, scheitern, obwohl die Organisation selbst gar keinen direkten Einfluss darauf hat.
Die Auswirkungen dieser Abhängigkeiten der Organisationen von externen Organisationen, die grundsätzlich andere Zwecke erfüllen, im Hinblick auf Innovation, also die radikale Neuentwicklung von Angeboten oder auch organisationsinternen Prozessen, können gravierend sein. Und zwar, ohne dass diese Auswirkungen von den Organisationen selbst beeinflusst werden können. Es kann passieren, dass mehr als sinnvolle fachliche und/oder organisationale Innovationen an der Unfähigkeit oder dem Unwillen von Organisationen und vor allem Menschen in Organisationen scheitern, die überhaupt keine Ahnung von den Bedürfnissen der jeweiligen Organisation haben. Da entscheiden Menschen über Dinge, die sie gar nicht beurteilen können.
Wie, bitteschön, soll da Innovation gelingen?
Deutlich wird, dass Innovation in Organisationen der Sozialwirtschaft in deutlich komplexere Konstellationen eingebunden ist, als dies bei „erwerbswirtschaftlichen Organisationen“ der Fall ist.
Einfach machen ist nicht. Eine Idee haben, diese – bspw. mit der Methode des Design Thinkings – verifizieren, anpassen und dann an den Start bringen? Ist nicht möglich…
Innovation kann vor allem dann gelingen, wenn den Menschen in den Organisationen diese Abhängigkeiten bewusst sind.
Den Mitarbeitenden muss bewusst sein, dass auch noch so gute Ideen an der Unfähigkeit der Menschen in anderen Organisationen scheitern können. Da kann es eine noch so gute Projektidee geben, ein noch so innovatives, neues Angebot, eine noch so gute Idee für die Gestaltung der Organisation: Wenn der Leistungsträger oder auch der direkte Träger der Organisation etwas (auch fachlich völlig Unbegründetes) gegen die Idee oder das Projekt hat: Ende im Gelände.
Da kann sich die Führungskraft auf den Kopf stellen und mit den Händen klatschen, es hilft nichts. Somit: Nicht an allem ist der Chef schuld!
Als Führungskraft ist es jedoch genauso bedeutsam, diese Abhängigkeiten zu berücksichtigen. Wichtig ist es hier aus meiner Perspektive, mit unterschiedlichen Akteuren in unterschiedlicher Art und Weise so kommunizieren zu können, dass die Ziele und der Zweck der Innovation deutlich werden. Dadurch wird es möglich, auch dem Kirchenvorstand die Notwendigkeit von Social Media Marketing in der Kita oder dem Beamten auf dem Jugendamt die Notwendigkeit zur Finanzierung von Projekt XY zu vermitteln. Ganz klar: Das erfordert einiges! Und kann genauso scheitern… Aber daraus kann man ja lernen, wenn man will…
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2 comments on “Wie Abhängigkeiten Innovationen in Organisationen der Sozialwirtschaft blockieren!”
Hallo Hendrik,
über diese Art der Erfahrung könnte man/ich sicher ein kleines Buch schreiben. Hülfe aber auch nix. Somit bleiben dann doch wieder die eher inspirierenden Beispiele. Trotzdem eine kurze Erfahrung: Hier in Hamburg wurde die Eingliederungshilfe für psychisch erkrankte Menschen durch die Sozialbehörde „reformiert“.Dieses nennt sich nun „Neue ambulante Sozialpsychiatrie“. Das es hier in Hamburg überhaupt Sozialpsychiatrie gibt, liegt mit daran, dass „mein“ Arbeitgeber diese vor 30 Jahren initiierte und mitentwickelte. Das interessiert aber nun nicht mehr. Faktisch verdoppeln sich jetzt die Fallzahlen per Mitarbeiter, so ein wenig wie in der Pflege. Beziehungsorientierte, verstehende, soziale Arbeit wird dadurch, nun, anders, schwieriger bis verunmöglicht. Dieses ist weder für die KlientInnen gut, noch für den Mitarbeiter. MitarbeiterInnen, im Alter von fünfundvierzig, wurden zur Vertragsverlängerung schon gefragt, ob sie glauben, dieses noch zu „packen“. Außerdem möge man/frau nun seinen Arbeitsstil verändern. Das ist so der eine Teil. Nicht zu wissen, welche Rahmenbedingungen der angepriesene Arbeitsplatz hat, oder was man so ohne Computerunterstützung tut, ist da ja eher eine Frage der Haltung. Eine leider nicht ganz seltene und auch nicht gerade zukunftsgerichtete. Ach, und letztendlich sind Design Thinking und Co, die ich sehr schätze, im Kern auch „nur“ Haltungen, die wir für die Zukunft dringend brauchen… Sonntägliche Grüße von Torsten
Hey Torsten,
danke für Deinen Kommentar und Deine Einblicke in die Absurdität, die sich da leider immer wieder abspielt. Ich bin ja überzeugt davon, dass die Freiheit in der Gestaltung der Angebote auch die Kosten senken würde – was ja leider oft Ziel der Maßnahmen der Leistungsträger ist. Aber diese Freiheit setzt Vertrauen voraus. Und da hapert es ganz gewaltig… Leider…
Dir eine gute Woche!
Hendrik