Der folgende Beitrag bezieht sich auf die Blogparade New Pay, die von Nadine Nobile, Stefanie Hornung und Sven Franke initiiert wurde.
Die Drei stellen verschiedene, mehr als spannende Fragen, die sich um das Thema Gehalt, Geld, Bezahlung, Anreize und vieles mehr in einer neuen Arbeitswelt drehen. Ich habe lange überlegt, wie ich die Fragestellungen im Kontext der Sozialwirtschaft aufgreifen kann, habe dazu bereits einen Beitrag geschrieben und lieber nicht veröffentlicht und will jetzt hiermit versuchen, zumindest einige Gedankengänge aus der Perspektive der Sozialwirtschaft mit einzubringen.
Warum aber fällt es mir so schwer, das Thema New Pay in Bezug auf die Sozialwirtschaft zu bearbeiten?
Einerseits liegt dies wohl daran, dass das Thema Vergütung in den Sozialen Berufen ein emotional höchst aufgeladenes Thema ist: Sozialarbeiter*innen, Erzieher*innen, Pflegekräfte etc. verdienen zu wenig. Das ist so, und das ist auch nicht zu bestreiten. Zum anderen aber ist die Gestaltung zumindest der monetären Entlohnung Rahmenbedingungen unterworfen, die nicht so einfach zu ändern sind.
Die Rahmenbedingungen lassen sich wie folgt skizzieren:
Der Status Quo: Vergütung in der Sozialwirtschaft
Dazu ist grundsätzlich anzumerken, dass die öffentliche Hand die wichtigste Finanzierungsquelle der Sozialwirtschaft darstellt. Die Finanzierung über öffentliche Gelder macht etwa 60 – 70% der Gesamtfinanzierung der Sozialwirtschaft in Deutschland aus. Die restlichen Mittel werden zum Einen aus eigenen Trägermitteln, die sich bspw. aus Mitgliedsbeiträgen, Vermögenserträgen, Gewinnen von Eigenbetrieben und auch Spenden, Zuwendungen von Stiftungen etc. zusammensetzen, erbracht. Zum Anderen kommen private Mittel der Klient*innen, bspw. Kita-Gebühren, Eigenanteile der Bürger für Krankenhausaufenthalte, Pflegeleistungen hinzu, die etwa 10% der Gesamtmittel ausmachen. Das Ganze lässt sich auch hier noch einmal näher nachlesen.
Weitergehend ist relevant, dass zumindest die großen frei-gemeinnützigen Träger der Wohlfahrtspflege sowie die öffentliche Hand bei der Bezahlung ihrer Mitarbeitenden an Tarifstrukturen gebunden sind. Zu nennen sind bspw. die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) oder des Deutschen Caritasverbands. Darüber hinaus gibt es den Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVÖD SuE, für den Sozial- und Erzieherdienst) oder den TVL, der für Landesbedienstete gilt. In diesen Tarifverträgen sind die meisten Beschäfigten aus dem Sozialwesen eingebunden. Darüber hinaus lehnen sich auch private Träger sozialer Dienstleistungen in der Entlohnung der Mitarbeitenden an diese Tarifwerke an. Bei Interesse an den Tarifwerken hier entlang!
New Pay ist nicht möglich
Beide Punkte – die vornehmlich öffentliche Finanzierung sowie die tariflich geregelte Vergütung – zeigen, dass die Flexibilität in der Bezahlung der Mitarbeitenden mehr als begrenzt ist. New Pay im Sinne einer neuen Herangehensweise an die Bezahlung der Mitarbeitenden ist – unter den gegebenen Bedingungen – kaum möglich.
Denkbar wäre diesbezüglich, dass man von den Gewerkschaften einfordern könnte, sich für Entgeltstrukturen einzusetzen, die die Bedarfe der Arbeit mit Menschen ebenso wie die Bedürfnisse der Beschäftigten stärker in den Fokus nehmen, um sich so den verändernden Lebensbedingungen der Klientel sowie den veränderten Arbeitsbedingungen der Beschäftigten flexibel anpassen zu können. Beispiele dafür lassen sich sicherlich bei anderen Gewerkschaft, bspw. der IG Metall, finden.
Grundsätzlich ist aber zu fragen, ob es überhaupt neuer Modelle der Entlohnung bedarf oder ob die Sozialwirtschaft nicht auch im Punkt Bezahlung eigentlich recht weit ist oder ob es nicht grundlegend an anderen Stellen hakt? Dazu will ich im Folgenden die Fragen aufgreifen, die für die o.g. Blogparade aufgeworfen wurden und natürlich einige eigene Gedanken hinzufügen:
Worum geht es: Geld oder Sinn?
Diese Frage ist Dauerthema der Sozialen Arbeit. Ja, reich wird man damit nicht, das ist, denke ich, jedem bewusst, der sich in den Bereich hineinwagt.
Also Sinn?
Naja, auch da bin ich skeptisch. Wer bereits längere Zeit in der Sozialen Arbeit unterwegs ist, weiß, dass es viele Strukturen, Prozesse, Handlungen gibt, die alles andere als SINNvoll sind. So „halten“ Organisationen der stationären Sozialen Arbeit (egal ob Jugend-, Alten- oder Behindertenhilfe) Menschen in den Organisationen, um die Finanzierung der Organisation sicherzustellen und nicht, um den Menschen zu helfen. Konkret: Selbst wenn der jeweilige Mensch der Hilfe nicht mehr bedarf, wird er nicht entlassen oder weiterverwiesen, sondern er bleibt in der Einrichtung und der Platz bleibt finanziert. Das ist nur ein Beispiel, dass jedoch nicht einfach nur sinnlos im Hinblick auf den Zweck der jeweiligen Organisation ist. Vielmehr wirft dieses Beispiel auch mehr als gravierende ethisch-moralische Fragen auf.
Klar ist auch, dass Geld allein nicht glücklich macht. Aber, und das ist mit Sicherheit ein Zukunftsthema für die Gesellschaft als Ganzes: Ich leiste nur dann gute Arbeit, wenn ich das Thema Geld aus dem Blickfeld verloren habe. Und daran hapert es in meinen Augen im Sozialwesen extrem:
Die Bezahlung der Menschen in diesem Feld ist oftmals so schlecht, dass Geld ein riesiges Thema ist oder wird, wodurch – so eine nicht überprüfte Annahme – die Arbeit mit den Menschen selbst hochgradig leidet:
Wenn ich noch nicht mal angemessen bezahlt werde, warum soll ich dann mehr als die Vorschrift tun?
Wieviel wissen wir über die eigene Vergütungslogik?
Das wiederum ist ein Punkt, bei dem die Sozialwirtschaft weit vorne ist: Aufgrund der oben angesprochenen Tarifverträge gibt es innerbetrieblich oftmals keine Diskussionen über den Verdienst der Kolleg*innen:
Wer will und sich die Mühe macht, kann den Bruttoverdienst sehr genau nachrechnen. Hinzu kommen natürlich ggf. Kinderzuschläge und die individuelle Verweildauer der Menschen im Betrieb, die zu unterschiedlichen Erfahrungsstufen führt. Aber vielmehr Gehaltstransparenz geht eigentlich nicht.
Allerdings geht auch nicht, dass sich das Einkommen der Menschen aufgrund ihrer Kompetenz oder ihrer Leistung verändert. Wer einen unbefristeten Vertrag in einer Organisation ergattern konnte, wird die Einstufung beibehalten. Und zwar, egal, ob er oder sie sich nun wahnsinnig anstrengt, einen guten Job macht, seine Leidenschaft oder Berufung gefunden hat und seine Potentiale wirklich entfalten kann oder eher eine ruhige Kugel schiebt.
Durch das Senioritätsprinzip wird das „Bleiben“ durch automatische Stufenerhöhung nach vorab definierten Zeiträumen belohnt. Die bloße „Präsenz“ bzw. das Ausharren auf einer Stelle wird vergütet, nicht aber Engagement und individuelle Kompetenz
Für die Entwicklung der Organisationen und deren Innovationsfähigkeit ist dies mehr als abträglich. Dienst nach Vorschrift wird oftmals zur Devise, schon allein, um nicht auszubrennen.
Monetäre Anreizsysteme
Schon der letzte Punkt verdeutlicht, dass es mit den monetären Anreizsystemen in der Sozialen Arbeit nicht richtig weit her ist.
Gegebenenfalls ist es möglich, bei der Einstellung eine höhere Erfahrungsstufe auszuhandeln, um damit seine Berufserfahrung zumindest ein wenig honoriert zu bekommen. Ansonsten sind aber den Einstufungen genaue Tätigkeitsprofile hinterlegt.
Als Beispiel: Bei der Caritas fallen unter Vergütungsgruppe 2 – neben anderen – „Geschäftsführer*innen von Regional-, Kreis-, Ortscaritasverbänden und Fachverbänden mit abgeschlossener wissenschaftlicher Hochschulbildung oder mit gleichwertigen Fähigkeiten und Erfahrungen mit mindestens 75 Mitarbeitern“ (hier nachlesen).
Diese Geschäftsführer*innen verdienen dann – bei Neueinstieg, also Erfahrungsstufe 1 – exakt 3.652,- Euro brutto. Hinzu kommen, wie gesagt, ggf. Kinderzuschläge. Das ist natürlich wiederum sehr individuell. Darüber hinausgehende Anreizsysteme sind dann individuell in der Organisation auszuhandeln und betreffen bspw. einen Zuschuss zum Bahnticket oder Vergünstigungen beim Eintritt in Fitnessstudios.
Klar ist, dass die Arbeitgeber alle Möglichkeiten ausnutzen, um die Mitarbeitenden zu halten. Weitergehende Boni – bspw. individuelle Sonderzahlungen – sind jedoch nicht drin.
Ist das jetzt gut oder schlecht?
Hm, darüber lässt sich natürlich vortrefflich streiten. So bin ich zumindest Gegner leistungsorientierter Anreizsysteme, da die Mitarbeitenden dann nur noch versuchen, die Anreize zu bekommen und die Arbeit nicht mehr der Arbeit wegen machen. Kennt man von Schulen: Wenn ich die von den Lehrern geforderten Anforderungen erfülle, bekomme ich eine Eins (etwas pauschal formuliert). Daraus erwächst der Wunsch, wiederum eine Eins zu bekommen und nicht der Wunsch, im jeweiligen Gebiet weiterzukommen. Das aber nur am Rande…
Die Erfahrungen mit leistungsorientierter Vergütung, die bspw. im öffentlichen Dienst gemacht werden, sind, so meine Kenntnis zumindest, eher ernüchternd.
Lob, Identifikation, Verantwortung und das Gefühl, gebraucht zu werden?
Ja, damit sind wir doch im Kern Sozialer Arbeit, oder?
Allein das „sich Kümmern“, wenn ich irgendwas mit Menschen mache, gibt mir doch ein tolles Gefühl, Anerkennung und befriedigt wunderbar mein Helfersyndrom? Da braucht es doch auch die monetären Anreize gar nicht mehr, wenn es von außen soviel tolle, softe Anerkennung gibt?
Das ist natürlich mehr als ironisch gemeint.
So hält sich bspw. das Gefühl, gebraucht zu werden, in der Arbeit mit verhaltensoriginellen Jugendlichen in engen Grenzen. Zumindest vermitteln einem die Jugendlichen dieses Gefühl nicht unmittelbar.
Spannender finde ich aber die Frage, wie und ob es die Arbeitgeber im Kontext der Gesundheits- und Sozialwirtschaft schaffen, Lob, Identifikation, Verantwortung und Gefühl, gebraucht zu werden, vermitteln können.
Hier – und da bin ich nicht allein – sehe ich erheblichen Verbesserungsmöglichkeiten. Konkret erscheint es mir, dass es die Arbeitgeber trotz Fachkräftemangel oftmals (es gibt definitiv Gegenbeispiele, keine Frage) nicht hinbekommen, ihre Mitarbeitenden adäquat (mehr erwarte ich ja gar nicht) zu behandeln.
Da werden munter Überstunden erwartet, die – bspw. im stationären Kontext – gar nicht abgebaut werden können. Da wird die Beteiligung an Teamsitzungen erst ab einem Beschäftigungsumfang von mehr als 50% zeitlich angerechnet, obwohl gerade die Mitarbeitenden, die sowieso wenig da sind, von den Teamsitzungen am meisten profitieren. Da gibt es beim Einspringen bei Engpässen (bspw. auf Pflegestationen) noch nicht mal ein Dankeschön.
Diese Liste ließe sich fortsetzen, ohne Probleme. Und das sind nur die Schilderungen, die ich bspw. von Studierenden oder aus dem näheren Umfeld mitbekomme. Spannend sind hier auch die regelmäßigen Diskussionen in Fachgruppen bspw. auf Facebook.
Und diese „Behandlung der Mitarbeitenden“ – ganz ehrlich – ist, ich wiederhole mich, in Zeiten des Fachkräftemangels ziemlich absurd, da „Maßnahmen“ wie Lob oder die Vermittlung des Gefühls, gebraucht zu werden, die Arbeitgeber tatsächlich nichts kosten.
Ach ja, übrigens kann man den „Fachkräftemangel“ im letzten Absatz auch getrost streichen: Unabhängig davon, ob Fachkräftemangel oder nicht, sollte in der (Sozialen) Arbeit ein sozialer Umgang miteinander normal sein, oder?
Hinter diesen Gedanken liegt das Führungsverständnis in Organisationen der Sozialwirtschaft.
- Welches Menschenbild wird in der Einrichtung gelebt?
- Wie entwickelt sich die Führung in der Organisation weiter?
- Gibt es regelmäßige Gespräche der Führungskräfte untereinander zur Entwicklung ihres eigenen Führungsverhaltens?
- Wie werden die Mitarbeitenden in Entscheidungen der Organisation eingebunden?
- Werden die Leistungen der Mitarbeitenden anerkannt und im Kolleg*innenkreis gewürdigt?
- Wie gehen wir mit Fehlern oder Scheitern in der Sozialen Arbeit um?
Fazit oder: New Pay, New Work und Soziale Arbeit
Fraglich ist jetzt, was das Ganze für die Zukunft, für New Pay, New Work und die Soziale Arbeit bedeuten kann.
Dazu ist zunächst festzuhalten, dass ich der festen Überzeugung bin, dass die positiven Ansätze von New Work, also das Ziel der Schaffung einer sinngebenden, ganzheitlichen und selbstorganisierenden Arbeitswelt der eigentliche Kern Sozialer Arbeit sind – eigentlich. Das habe ich hier bereits öfter beschrieben.
Leider zeigt sich (immer noch), dass die, besser: einige Arbeitgeber in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft die Menschen als wesentlichen Faktor in der Arbeit mit Menschen noch nicht wirklich erkannt haben – getreu dem Motto:
[Tweet „Wer glaubt, dass Sozialarbeiter sozial arbeiten, glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten.“]
Vielmehr zeigt sich immer wieder, dass versucht wird, sich gegen alles und jeden abzusichern, die Verantwortung bloß nicht im eigenen Haus zu haben und lieber traditionell ziel- und planorientiert vorzugehen (das machen wir hier schon immer so), anstatt die Komplexität anzuerkennen und ein prozessorientiertes, experimentelles, von mir aus agiles Vorgehen in der Arbeitsgestaltung Sozialer Arbeit umzusetzen. Daraus erwächst – ganz nach dem alten McGregor – Sinn, Initiative und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.
Wenn dieseVerantwortungsübernahme (wieder) möglich wird, wenn der Mensch tatsächlich wieder Mittelpunkt der Arbeit mit Menschen wird, dann erledigen sich die Fragen nach New Pay, einer angemessenen Vergütung, von alleine.
Ja klar, natürlich vorausgesetzt, die Menschen bekommen soviel Geld, dass Geld kein Thema mehr ist.
Neben der ausreichenden Menge ist Geld aber auch erst dann kein Thema mehr, wenn die (soziale) Arbeit als sinnvoll empfunden wird und die Menschen Verbundenheit zu dem spüren, was sie tagtäglich für andere Menschen tun.
New Pay in der Sozialwirtschaft ist damit in einem ersten Schritt vor allem echte Anerkennung auf den drei Ebenen
- der Profession selbst (wir sind uns was wert),
- der Organisationen (unsere Mitarbeitenden sind die Besten) und
- der Gesellschaft (was wiederum zu mehr Einkommen führen könnte).
Zum Weiterlesen empfehle ich
- den Beitrag „Warum Selbstorganisation zu einer verbesserten Einkommenssituation in sozialen Organisationen führt“.
- Und darüber hinaus natürlich die bisherigen Beiträge der Blogparade.
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2 comments on “Vor New Pay in der Sozialwirtschaft kommt New Anerkennung! Ein paar Gedanken…”
Danke für die wertvolle Richtigstellung! Ich korrigiere den Link, selbstverständlich! Ob der Flächentarif die im Beitrag angemerkten Probleme auf Seiten der Arbeitgeber jedoch beheben kann, bezweifle ich leider… ;-(
Gutes Wochenende Dir!
Im öffentlichen kommunalen Dienst ist der gültige Tarifvertrag seit 2009 der TVÖD SuE für den Sozial- und Erzieherdienst. Der TVÖD ist lediglich Sachbearbeitereingruppierung – hat mit Sozialer Arbeit nichts zu tun!
Ein Flächentarifvertrag, welcher sich am TVÖD SuE orientiert wäre eine faire Bezahlung und entspräche EU-Recht: Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit!!! So einfach könnte es sein.