Ich freue mich, Euch hier das zweite Interview in der kleinen Reihe zur Zukunft der Arbeit in Organisationen der Sozialwirtschaft zu präsentieren!
Genießt es!
Lieber Axel, stell Dich doch einmal kurz vor: Was machst du und was bewegt dich? Was treibt dich an?
Nach meinem Studium der Betriebswirtschaftslehre, Fachrichtung Versicherung, an der Berufsakademie/Dualen Hochschule in Stuttgart, studierte ich Volkswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin mit Schwerpunkt Statistik und Mikroökonomie, wobei ich mich spezialisierte auf Sozial- und insbesondere Gesundheitsökonomie. Nach einer kurzen Assistentenzeit am Lehrstuhl für Sozialpolitik an der Universität Augsburg (Professor Dr. Heinz Lampert) wurde ich zunächst wissenschaftlicher Mitarbeiter und dann stv. Geschäftsführer des Instituts für Gesundheits-System-Forschung (WHO Collaborating Centre for Health Care Systems Research and Development) in Kiel (Gründer: Professor Dr Fritz Beske). In dieser Zeit war ich mit einer Vielzahl von Gutachten und Beratungsprojekten zu Krankenhausmanagement, Krankenhausplanung, Krankenkassenmanagement sowie Krankheitskostenstudien zu Demenz, Nierenersatztherapie sowie Augenkrankheiten befasst.
Zudem war ich am Aufbau der „Medizinischen Pflichtversicherung“ in der Russischen Föderation beteiligt und hatte fast alle Direktoren der regionalen Krankenversicherungsfonds aus Russland in Kiel zu Besuch. Nach einem daran anschließenden weiteren Aufenthalt an der Universität Augsburg am Lehrstuhl für Finanzwissenschaft und Transferökonomie (Professor Dr. Martin Pfaff) und meiner in dieser Zeit verfassten Dissertation zur „Privatisierung vertragszahnärztlicher Leistungen“ wurde ich als Wirtschaftswissenschaftler vor rund 10 Jahren an die Fakultät Soziale Arbeit der Hochschule Ravensburg-Weingarten berufen. Seither bin ich Studiendekan des berufsbegleitenden Masterstudiengangs „Management im Sozial- und Gesundheitswesen (MBA)“ und war auch als Prodekan daran beteiligt, unsere Fakultät um die Bachelor-Studiengänge Pflege, Pflegepädagogik sowie Gesundheitsökonomie und den Master-Studiengang Gesundheitsförderung zu erweitern und somit zur Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege weiter zu entwickeln.
Mit meiner Berufung an die Fakultät war ich auch in unseren Studiengang Soziale Arbeit eingebunden. Hier haben wir das Curriculum so weiterentwickelt, dass alle Studenten der Sozialen Arbeit im 5. Semester die Veranstaltungen „Grundlagen der Betriebswirtschaft und Grundlagen der Volkswirtschaft“ hören und mit einer Klausur abschließen.
Wenngleich viele Studenten sich wundern, dass sie sich auch mit diesem Themenbereich im Studium beschäftigen sollen, so ist jedoch die Resonanz der Studenten beeindruckend. Sie erkennen, wenn auch mitunter erst einige Semester später oder im beruflichen Alltag, dass sie viel besser verstehen und einordnen können, in welchem Rahmen sich die Einrichtungen und Unternehmen im Bereich der Sozialen Arbeit, der Sozialwirtschaft bewegen und welchen unternehmerischen Anforderungen diese genügen müssen, um ihre Klienten bestmöglich versorgen zu können.
Dies ist tatsächlich eine Herausforderung für Sozialarbeitsstudenten, da sie den Blick auf den Klienten zeitweise aufgeben müssen und sich mit der Entscheidungssituation auseinandersetzen, dass Ressourcen knapp sind und einfach formuliert, ein Euro nur einmal ausgegeben werden kann.
Dies bedeutet, dass sich auch Sozialarbeiter klar werden müssen, wie sie verfügbare finanzielle Mittel als auch ihre Arbeitszeit auf Klienten aufteilen müssen. Ziele müssen formuliert werden, um im Sinne des Controllings erkennen zu können, was gut lief und was besser gemacht werden kann in der Versorgung oder Beratung von Klienten. Generell gilt für alle Felder der Sozialen Arbeit abzuwägen, wie viele Ressourcen, vulgo Geld, beispielsweise in die Behindertenhilfe oder in die Jugendhilfe fließen sollen. Eines ist wie für alle anderen Wirtschaftszweige auch für die Soziale Arbeit sicher, dass n i e genug Mittel für alle vorhandenen Wünsche von Klienten oder für eine aus Sozialarbeitersicht sinnvolle Versorgung verfügbar sind. Diese Knappheit ist die grundsätzliche Aufgabe in den Wirtschaftswissenschaften. Wie können die knappen Mittel bestmöglich verwendet werden, so dass möglichst vielen Menschen zugleich größtmögliche Zufriedenheit, der sogenannte Nutzen, zuteil wird? Daraus resultiert für die Soziale Arbeit auch, dass angewandte (therapeutische) Methoden hinsichtlich deren Wirksamkeit überprüft werden müssen. Wirksamkeit bedeutet, dass angestrebte Ziele möglichst erreicht werden. So kommt dies nicht nur den Klienten zu Gute, wenn sie mit wirkungsvollen Therapien bedacht werden. Vielmehr hilft es auch den Sozialarbeitern, Maßnahmen zielführend anzuwenden, da dann die Frustration am geringsten sein wird.
Aus Deiner Perspektive als Professor und Studiengangleiter des berufsbegleitenden, weiterbildenden Master-Studiengangs „Management im Sozial- und Gesundheitswesen“: Welche Veränderungen siehst du in den nächsten Jahren auf Organisationen der Sozialwirtschaft zukommen?
Wenn es auch abgedroschen klingen mag, so ist doch die Bevölkerungsveränderung in ihrer Alterszusammensetzung d i e Herausforderung in den nächsten 20-30 Jahren.
Wenn die Baby-Boomer mit dem geburtenstärksten Jahrgang 1964 in 20 Jahren zu den 70+ zählen, ist wirklich „Feuer unter’m Dach“.
Alleine in der Pflegeversorgung werden dann rund 2,5 Mio. Menschen nicht versorgt sein, wenn die heutigen Versorgungskapazitäten nicht deutlich erhöht werden. Es werden Menschen fehlen, welche die gesundheitliche als auch die pflegerische Versorgung übernehmen können. Und dies bedeutet nicht alleine, dass mehr Pflegekräfte benötigt würden, sondern auch mehr Ärzte, mehr Sanitäter, mehr Physiotherapeuten, mehr Sozialarbeiter, mehr Psychologen, mehr Ergotherapeuten, mehr Oecotrophologen, mehr Roboter.
Mehr Roboter?
Ja, mehr Roboter.
Trotz möglicher Zuwanderung werden bis 2038 nicht ausreichend viele Menschen in Deutschland für die Versorgung der älteren Bevölkerung leben. So muss die fehlende Arbeitsleistung durch Maschinen ergänzt werden. Und all dies ist zum einen von Menschen durch deren Arbeit in der Versorgung und zum anderen durch Menschen im Management zu verwirklichen. Management bedeutet, die Koordination von anderen Mitgliedern in einer Organisation zu steuern, ohne deren Autonomie, welche sich in Entscheidungsspielräumen ausdrückt, wesentlich einzuschränken. Zudem werden im Zuge der Inklusionsbestrebungen zunehmend kleinere und dezentrale Betreuungseinheiten geschaffen werden. Diese sind dann von einem oder mehreren Personen, oftmals Sozialarbeitern, fachlich als auch organisatorisch zu betreuen. Organisatorisch bedeutet, dass neben der autonomen Regulation der Prozesse in der Betreuungseinheit auch fachlich wichtige Kontakte im Sozialraum geschaffen werden. Darauf müssen Sozialarbeiter vorbereitet sein, so dass sie neben der Klientenperspektive die übergeordneten betriebswirtschaftlichen als auch politischen Strukturen fachlich adäquat bedienen und sich an den Schnittstellen hinreichend gut artikulieren können, um für ihr eigenes Interesse und dem ihrer Klienten bestmöglich zu agieren. Der finanzielle Druck auf die Organisationen der Sozialwirtschaft wird zunehmen und damit auch die Rechtfertigung, die Ressourcen für soziale Leistungen/Versorgung zielgerichtet einzusetzen. Vermehrt werden Finanzierungsträger nach der Effizienz und damit auch nach der Effektivität von angebotenen Leistungen fragen.
Dabei wird das Thema „Evidence based Social Work (EbSW)“ verstärkt in den Mittelpunkt gerückt werden, so wie dies heute bereits in skandinavischen Ländern und auf der Insel Gang und Gäbe ist.
Was glaubst Du, welche Chancen sich dadurch für die Arbeitsplätze in den Bereichen ergeben werden?
Die Aussichten am Arbeitsmarkt und der Bedarf an Sozialarbeitern, Pflegekräften, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten und Ärzten sowie Gesundheitsökonomen werden hervorragend sein.
Es werden allerdings die „Personalschlüssel“, die wir heute offiziell und inoffiziell kennen und leben, nicht weiter bestehen können. So werden sicherlich nicht ausreichend Menschen zur Verfügung stehen und auch bewegt werden können, sich für diese Ausbildungs- und Arbeitsbereiche zu entscheiden im Vergleich zu dem Bedarf, den wir nach jetzigen Standards haben werden. Und so wird fast erstmals in der Geschichte die Formel „Kapital ersetzt Arbeit“ nicht mehr gelten. Vielmehr wird es lauten: Kapital e r g ä n z t Arbeit. Und Kapital bedeutet, dass in weitaus größerem Maße als heute Maschinen in Form von Robotern und Computersoftware dazu beitragen, die Menschen im Alter und in besonderen Lebenslagen zu versorgen und zu unterstützen.
Und welche Herausforderungen, also negative Aspekte, siehst du dadurch für die Bereiche?
D i e wesentliche Herausforderung wird zum einen die Personalsituation sein und auch, dass die finanziellen Ressourcen noch knapper sein werden. Dies bedeutet, dass vermehrt nach den Grundlagen von sozialarbeiterischen Entscheidungen im Sinne der „Evidence based Social Work“ gefragt werden wird. Es wird nicht mehr ausreichen, dass gute Ergebnisse, die im Einzelfall beobachtet oder erzielt wurden, dann generell für die Versorgung akzeptiert werden. Die Finanzierungsträger werden Nachweise fordern, dass Maßnahmen nicht nur exemplarisch erfolgreich sind, sondern auch mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit für eine Vielzahl von betroffenen Personen genutzt werden kann. Dies führt zu einem Leistungskatalog, der sich daraus ableiten lässt. Leistungen, die dann nicht mehr von der öffentlichen Hand getragen werden, sind mittels privater Ergänzungsleistungen abzudecken. Angehörige werden, ähnlich wie in der Pflegeversorgung bereits heutzutage, bestimmte Leistungen privat finanzieren müssen.
Bezogen auf Studium und Ausbildung im Bereich Management von Organisationen der Sozialwirtschaft: Welche Kompetenzen, Fähigkeiten, Wissen, braucht es, um die zukünftigen Anforderungen adäquat bewältigen zu können?
Die Mitarbeiter in der Sozialwirtschaft werden zukünftig neben den spezifischen Kompetenzen und Fähigkeiten und dem Wissen in den Feldern der Sozialen Arbeit nicht umhin kommen, sich dem Thema der betriebswirtschaftlichen Führung eines Unternehmens anzunehmen und dies auch aus Eigennutz, um ihrer Psychohygiene der eigenen Aufgabenerfüllung bei steigenden Arbeitsanforderungen gerecht werden zu können.
Zum Abschluss noch einmal kurz zusammengefasst Deine Einschätzung: Wohin werden sich Organisationen der Sozialwirtschaft entwickeln?
Die Organisationen der Sozialwirtschaft werden sich dem Thema der Evidenzbasierung ihrer Prozesse und Maßnahmen im Gegenüber mit den Finanzierungsträgern ebenso ausgesetzt sehen, wie auch einem vermehrten Kapitaleinsatz, um die Versorgungsangebote hinreichend gut erfüllen zu können und wettbewerbsfähig zu bleiben. Dadurch zeichnet sich auch eine Konzentration der Anbieter hin zu größeren Einheiten ab, wodurch betriebswirtschaftliche Vorteile realisiert werden können, die zugleich die Versorgungsqualität der Klienten sicherstellen hilft. Dass sich eine geringere Individualität der Versorgung zugunsten einer höheren Versorgungsqualität in diesem Prozess abzeichnet, steht zu vermuten.
Lieber Axel, ganz herzlichen Dank für Deinen Einblick in Deine Arbeitswelt und (D)einen Blick in die Zukunft!
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One comment on “Prof. Dr. Axel O. Kern zur Zukunft der Arbeit in Organisationen der Sozialwirtschaft”
Gerade erst gesehen! Sehr interessant. Ach diese Babyboomer 🙂