Frohe Ostern, auch wenn heute erst Karfreitag ist…
Und dann „nehmt die Menschen aus dem Mittelpunkt, dann klappt’s auch mit der Organisation!“
Hinter diesem Satz stehe ich – wenn es um die Mitarbeitenden einer Organisation geht.
Der Glaube, dass der Mensch in Organisationen im Mittelpunkt steht, ist irreführend, da wir nicht „als Mensch“ in Organisationen unterwegs sind, sondern in unseren Rollen – als Pflegekraft, Erzieherin, Geschäftsführerin, QM-Beauftragte oder, oder, oder…
Dieser Blick, diese Trennung zwischen Mensch und Rolle, eröffnet die Möglichkeit, beide Blickrichtungen gesondert zu betrachten – einmal den Menschen in seiner Ganzheit, mit seiner Haltung, seinen Gefühlen, seinen verschiedenen, neben der beruflichen noch wichtigen Rollen (als Vater, Ehefrau, Freund, Vorsitzende des Männergesangvereins…) und einmal die Rolle der Person in der Organisation mit allen damit einhergehenden Herausforderungen.
Hinzu kommt, dass die Entscheidung zur Besetzung einer Rolle (von mir aus auch Stelle) in einer Organisation mit Person X oder Person Y vielfältige Auswirkungen hat:
Wenn ich eine Rolle mit einer Person besetze, die vielleicht vorab lange Zeit selbständig gearbeitet hat und mit der Kultur der Organisation noch nicht in Berührung gekommen ist, werden aller Wahrscheinlichkeit nach andere Entscheidungen von dieser Person getroffen werden, als wenn ich eine Rolle mit einer Person besetze, die „aus dem eigenen Kader“ kommt.
Der Blick weg von der Rolle hin zur Person, hin zur Ganzheitlichkeit aber lässt fragen, wie Menschen werden wie sie sind?
Diese Sichtweise ist mir in der letzten Woche noch einmal sehr deutlich vor Augen geführt worden:
Meine Älteste hat ihren „künstlerischen Abschluss“ gemacht. Das ist ein Teil des Abschlusses an einer Waldorfschule (die alle meine Kinder besuchen).
Und ja, die können tatsächlich ihren Namen tanzen. Die können, das wurde an dem Abend sehr deutlich, aber viel mehr: Die (und damit meine ich nicht nur meine) Kinder können Musizieren, Theater spielen, Töpfern, Tanzen, Singen und sogar – man glaubt es kaum – Rechnen, Schreiben und Lesen.
Von den Ideen der Anthroposophie kann man ja halten was man will (und ich selbst habe an verschiedenen Stellen meine Fragen), aber im Kern geht es um die Verbindung aus „Kopf, Herz und Hand“ wie Pestalozzi (anderer, goßer Pädagoge) es nannte bzw. aus Seele, Körper und Geist, wie es bei Rudolph Steiner hieß.
Im Kern geht es um die Entfaltung kognitiver, sozialer, künstlerischer und handwerklicher Fähigkeiten und damit die individuelle und umfassende Entwicklung der Kinder und Jugendlichen.
Die Entfaltung kognitiver, sozialer, künstlerischer und handwerklicher Fähigkeiten könnte man auch unter dem Begriff der „Potentialentfaltung“ fassen. Denn es ist klar, dass nicht alle Kinder und Jugendlichen in allen Bereichen die gleichen Fähigkeiten im Musizieren, Theater spielen, Töpfern, Tanzen, Singen und, und, und… aufweisen.
Wenn ich auf unser aktuelles, stattliches Schulsystem schaue, dann steht Potentialentfaltung jedoch nicht an erster Stelle. Dort steht – faszinienderweise immer noch – der Versuch, die Kinder „gleich“ zu machen:
Alle müssen Mathe, Deutsch, Physik, Chemie… in gleicher Art und Weise machen. Alle werden nach der vierten Klasse getrennt (bis auf ein paar wenige Ausnahmen). Alle werden am Ende des Tages mit den gleichen „Abschlüssen“ versehen – wobei inzwischen Haupt- oder Realschulabschlüsse kaum noch etwas wert sind, da am Besten alle Abitur machen.
„Des hammir scho‘ imma so gmacht!“
Jetzt kann man – neben dem, dass Potentialentfaltung nicht wirklich wissenschaftlich hinterlegt ist – kritisch anführen, dass „Potentialentfaltung“ ein elitäres Ding ist und ja, da ist was dran:
Kunst, Musik, Sport, Hobbys und selbstverständlich den Besuch einer Privatschule muss man sich finanziell und intellektuell leisten können (und/oder wollen).
Aber!
Aber wenn es um die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen geht kann es doch nicht sein, dass wir uns immer am „Status Quo“ des staatlichen Schul- und Bildungssystems orientieren im Wissen, dass der gegenwärtige Zustand dieses Systems Mist ist.
Warum kommen nicht alle Kinder, unabhängig von Geld und Status, in den Genuss, herauszufinden, wo ihre Potentiale liegen?
Wenn wir an die Herausforderungen denken, denen wir in unseren Organisationen, in unserer Gesellschaft und weltweit als Menschheit gegenüber stehen, kann es doch nicht sein, das wir uns damit zufrieden geben, dass wir immer alle das Gleiche lernen und die Entfaltung der Potentiale der nachfolgenden Generationen vom finanziellen Stand der Eltern abhängt?
Dass die neuen Generationen, die in die Arbeitswelt kommen, keinen Bock haben, Verantwortung zu übernehmen in Organisationen und Systemen, die versuchen, die zukünftigen Probleme mit Vorgehensweisen zu lösen, die diese Probleme verursacht haben, ist doch nur logisch.
Das führt zurück zum Anfang und den im Mittelpunkt nicht vorhandenen Menschen:
Ideal ist ja, wenn Menschen in ihren organisationalen Rollen ihr Potential entfalten können.
Daraus wiederum resultiert, dass ich selbstverständlich andere, für mich passendere Rollen in einer Organisation erst dann einnehmen kann, wenn ich weiß, was meine Stärken sind, wenn ich weiß, was ich kann, wenn ich weiß, wo meine Potentiale liegen.
Abschließend ein paar Fragen:
- Wie können wir als Gesellschaft dafür sorgen, dass unsere Schul- und Bildungssysteme die Potentiale der Kinder und Jugendlichen ganzheitlich, aus der Perspektive von „Kopf, Herz und Hand“ betrachten?
- Wie können wir in unseren Organisationen die Potentiale unserer Mitarbeitenden – in ihrem und im Sinne der Organisation – entfalten, wenn wir (als Organisation) und die Mitarbeitenden gar nicht gewohnt sind, in diesen Dimensionen zu denken und zu handeln?
- Und – verdammt – was hätte aus mir werden können 😉 Und aus Dir?
Hab‘ ein entfaltetes Osterwochenende und nutze Dein Eiersuchpotential!
Hendrik
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