Die Angst vor der Freiheit! – Interview mit Andreas Zeuch

Angst vor der Freiheit

Inhalt:

Hey Andreas, ich freue mich auf unser zweites Interview auf meinem Blog. So haben wir ja bereits vor ziemlich genau zwei Jahren – damals zu Deinem Buch “Alle Macht für niemand!” – gesprochen. Vielleicht kannst Du den (neuen) Leser*innen auf dem Blog einen kurzen Einblick geben in das, was Du machst und – das ist dann spannend für mich – was sich in den letzten zwei Jahren bei Dir getan hat?

Die Angst vor der Freiheit

Andreas: Hi Hendrik, ja, sehr gerne. Aktuell organisiere ich mit meinen Kolleg*innen Daniela und Stefan Röcker von den KulturKomplizen aus Stuttgart, sowie Heiko Nowak aus Tübingen und Martin Ciesielski aus Berlin unsere erste gemeinsame (Un)Konferenz Neue Konzepte für Neue Arbeit am 15.06.2018 in Berlin (#priomy18). Wir wollen, sofern die Resonanz ausreicht, eine Serie daraus machen, die jedes Jahr einen eigenen Schwerpunkt hat. 2018 liegt der Fokus auf “Der Angst vor der Freiheit”.

Es geht um jene Angst, die ausgelöst wird, wenn Organisationen eine weitreichende Transformation durchlaufen und bislang klassische Managementkonzepte erneuern. Das ist das, was unter Schlagworten wie Agilität, Arbeiten 4.0, New Work, Selbstorganisation oder Unternehmensdemokratie in vieler Munde ist. Wichtig ist uns dabei, dass wir die Zukunft der Arbeit nicht nur aus einer wirtschaftlichen Perspektive beleuchten, wie das zumeist passiert, sondern auch durch die politische und künstlerische Brille auf diese Herausforderungen blicken. Last not least: Wir sind keine Freunde der reinen Lehre, deshalb wollen wir weder eine klassische Konferenz noch ein reines Barcamp oder ähnliches. Beide Formate haben ihre Vorteile und deshalb gibt es bei uns einen Mix aus diesen Welten.

Alle Macht für NiemandUnd jetzt zu den letzten zwei Jahren: Die waren vor allem geprägt durch die Folgen meines letzten Buchs, dass Du ja eben erwähnt hattest: “Alle Macht für niemand.” Ich muss sagen, dass es mich schon überrascht hat, dass es auch bei einigen Vertretern der Konzernwelt gut angekommen ist. Und das, obwohl ich kein Fan von global operierenden Großunternehmen bin. Konkret zeigte sich das in direkten Anrufen und Beauftragungen wie in einem starken Interesse, in einen konstruktiv-kritischen Dialog zu kommen. So wurde ich aufgrund einiger Blogbeiträge meines Multiautorenblogs gemeinsam mit meinem Kollegen und Mit-Autoren Mark Lambertz in die Strategieabteilung der Deutschen Bahn zu einem ausführlichen Gespräch eingeladen. Daraus ergab sich dann in der Folge für mich ein spannender Auftrag bei einer der 100% Töchter, die eine beeindruckende Transformation in Richtung von mehr Agilität und Selbstorganisation unternehmen. Mit dem Buch scheine ich also den Zeitgeist getroffen zu haben.

Darüber hinaus arbeite ich mit denselben, oben bereits genannten Kolleg*innen und weiteren, wie Christiane Amini aus Düsseldorf, Ute Schulze aus Bonn, Karsten Walter aus Hamburg, Frank Widmayer aus der Nähe von Karlsruhe und dem Psychologen Christian Dombrowe aus Berlin an einer Unternehmensgründung. Finanziell werden wir dabei von Ralph Suikat als Business Angel unterstützt. Er hatte die Fairantwortung gAG gegründet und ist jetzt deren Aufsichtsratvorsitzender sowie Geschäftsführer der 4L Vision Gmbh.

Genaueres will ich noch nicht verraten, nur soviel: am 07. März werden wir auf der Lean Around the Clock 2018 in Mannheim (#LATC18) mit einem Ausstellerstand öffentlich. Klar ist natürlich, dass ich jetzt nicht ins eCommerce Geschäft einsteige oder sonstwas mache, was mit mir als Person nichts zu tun hat. Die Geschäftsidee ist vielmehr eine Folge meiner Recherchen für “Alle Macht”. Da wurde ein bestimmter Bedarf sichtbar, den wir jetzt mit unseren Leistungen adressieren.

Hendrik: Wow, das klingt super spannend. Ich versuche das mal in eine Reihenfolge zu bringen: Buch veröffentlicht, dann verschiedene Anfragen, Beratungsaufträge, eine Firmengründung mit spannenden Menschen (Grüße an dieser Stelle ;-)) und jetzt die (Un)Konferenz “Neue Konzepte für Neue Arbeit” am 15.06.2018 in Berlin (#priomy18). Klar ist wohl: Langweilig ist Dir nicht… Aber zum Fokus der Konferenz etwas tiefer: “Angst vor der Freiheit”: Ich hab dazu mal einen Beitrag verfasst mit dem Titel “Strategien für den erfolgreichen Umgang mit Unsicherheit”. Der basierte – aus einer persönlichen Sicht – auch stark auf der Frage nach Ängsten. Was glaubst du: Warum bereitet uns Freiheit so oft Angst?  

Andreas: Das stimmt wohl, Langweilig ist mir momentan nicht. So ganz nebenbei bin ich ja auch noch im Sommer 2016 aus der Nähe Koblenz ins Herz von Berlin gezogen. Aber das ist eine andere Geschichte. Jetzt zur Angst: Wir beziehen uns mit dem Titel, der eine Hommage an Erich Fromms großartiges Buch “Die Furcht vor der Freiheit” darstellt, ja in erster Linie auf den Kontext von neuen Organisationsmodellen und -kulturen sowie dem Weg dorthin. Im Kern geht es nach meiner Erfahrung dabei um drei Herausforderungen:

Erstens die vermeintliche Kontrolle zu verlieren. Unsere Organisationen sind größtenteils auf der Basis eines arbeitsteiligen Command-and-Control Verständnisses konstruiert. Wir bilden funktionale Silos einerseits und formal-fixierte Hierarchien andererseits. Das Ganze soll dann dazu führen, dass wir den jeweiligen Organisationszweck maximal effizient umsetzen. Und zwar so, wie das von der Führungsspitze aus gewollt ist. Wenn wir nun diese Strukturen und die damit verbundene Kultur verändern, hin zu dynamischen Hierarchien, beziehungsweise Führungsstrukturen, die auf dem Vertrauen in die Kompetenz und den guten Willen der Mitarbeiter basieren, dann fallen eben die alten, scheinbar Sicherheit gebenden Elemente weg. Die Führungskräfte müssen Kontrolle aufgeben.

Andreas Zeuch

Dr. Andreas Zeuch

Zweitens stehen die Mitarbeiter*innen vor der Herausforderung, die neue Verantwortung zu übernehmen und den Mut zu entwickeln, Entscheidungen zu treffen, die früher oder später auch zu Misserfolgen führen können. Sie sind also mit Ihren Sorgen und Ängsten das Gegenstück zu den Führungskräften. Beide Seiten haben bezüglich der komplementären Herausforderungen, vor denen sie stehen Sorgen oder eben sogar Ängste.

Drittens geht es für alle Beteiligten auch um die neue Unsicherheit, die mit der Transformation verbunden ist. Wenn früher im Rahmen eines der üblichen Changeprozesse Stellen abgebaut wurden, war das natürlich auch unangenehm und hat zu nachvollziehbarer Angst geführt. Aber eines war in fast allen dieser Prozesse keineswegs in Frage gestellt: Die grundlegenden Mechanismen der Unternehmensführung und -gestaltung. Es gab auch nach dem Change noch ein Organigramm wie wir es kennen. Aber das löst sich im Rahmen einer Transformation oftmals auf. Die grundlegenden Prinzipien der Zusammenarbeit werden anders gedacht und erneuert. Und das wirft viele Fragen und damit vermehrte Unsicherheit auf.

Wenn ich diese Sorgen und Ängste weiter verfolge und tiefer schürfe, über die Arbeit hinaus, vermute ich, dass es im Kern all dieser Sorgen und Ängste um etwas Existenzielles geht: Das, was Heidegger die Seins-Geworfenheit nannte. Wir werden nicht gefragt, ob wir geboren werden wollen, schon gar nicht unter welchen Umständen. Und wir werden auch nicht gefragt, ob wir sterben wollen und wie. Will heißen: Wir haben keinerlei Kontrolle über die fundamentalen Rahmenbedingungen unseres Lebens. Wir sind trotz aller unglaublichen technologischen Fortschritte weiterhin ein Spielball, dessen eigene Wünsche nur zufällig erfüllt werden. Wir haben keine Kontrolle über unsere Geburt und unseren Tod. Letzteres nur dann, wenn wir den Freitod wählen. Das wird jetzt für manch einen eher weit hergeholt klingen, aber ich bin fest davon überzeugt, dass diese Themen einen enormen Einfluss auf unsere tägliche Lebensgestaltung haben. Und damit eben auch, wie wir arbeiten wollen.

Individuum, Organisation und Gesellschaft

Hendrik: Das geht jetzt wirklich tief: Geburt, Leben, Tod – und immer die Unsicherheit, die Unkontrollierbarkeit im Blick. Für mich ist das alles sehr nachvollziehbar, was Du schreibst und würde noch die Sozialisation hinzunehmen: Durch Kindergarten, Schule, Hochschule wird uns immer etwas vorgesetzt, was wir tun müssen, ohne uns selbst zu fragen, was wir wirklich, wirklich wollen. Dazu bleibt gar keine Zeit. Und neben dem sind wir bei der Frage, was wir wirklich, wirklich wollen, natürlich bei Fritjof Bergmann, dem Begründer von New Work. Darauf will ich aber gar nicht eingehen, sondern vielmehr fragen: Wie bekommen wir die Angst in den Griff, so dass Freiheit im Leben – und damit auch in der Arbeitswelt – möglich werden kann? Wie schaffen wir es, eine Arbeitswelt zu gestalten, die es den Menschen ermöglicht, die Dinge zu tun, die sie wirklich, wirklich wollen, um daraus echte sinnstiftende Organisationen zu schaffen? Die von Dir geschilderten Phänomene lassen sich ja nicht aufhalten, geschweige denn zurückdrehen.

Da bin ich völlig bei Dir! Eine halbwegs detaillierte Antwort auf Deine Frage würde zu einem üppigen Sachbuch ausufern. Ich versuche es mal sehr skizzenhaft und verkürzt: Es gilt (mindestens) drei systemische Dimensionen zu beachten: Individuum, Organisation und Gesellschaft. Eine halbwegs stabile und längerfristige Lösung werden wir nur erreichen, wenn wir nicht nur in einer dieser Dimensionen herumdoktern.

Der erste und vielleicht wichtigste Schritt ist die Arbeit an sich selbst. Jeder von uns ist äußerst unterschiedlich geprägt und hat teils sehr abweichende Erfahrungen in seinem Leben gesammelt. Dementsprechend unterschiedlich sind die emotionalen Lagen und die Umgangsweisen damit. Wer Angst vor Kontrollverlust und vor Loslassen hat, sollte tunlichst erst einmal in den Spiegel gucken und nicht sofort aktionistisch am System (s)einer Firma rumwurschteln. Denn es kommt neben der dringend nötigen Klärung innerer Verfasstheit noch etwas Zentrales hinzu: Eine Geschäftsführerin oder ein Vorstand sind, ob sie wollen oder nicht, immer auch ein Vorbild unter (un)bewusster Beobachtung. Das hat Wirkung und zeitigt Konsequenzen.

Die zweite Ebene der Organisation umfasst ihrerseits verschiedene Ebene und Themenfelder. Wie war sie bisher organisiert (Aufbau- und Ablauforganisation), welche Fehlerkultur herrschte, welche Führungskultur und was wurde bereits unternommen, um eine Transformation durchzuführen? Wer sind die Stakeholder, wer hat in dem Spiel welche Interessen? Wer ist am Erfolg interessiert, wer am Misserfolg? In diesem komplexen Reigen geht es um die Entwicklung von Vertrauen, gegenseitigem Respekt und vor allem: Radikaler Besprechbarkeit. Wenn wir wissen, dass wir über das, was uns wichtig ist, authentisch und respektvoll reden können, dann ist das ein großer Schritt. Das geht aber wiederum nur, wenn wir alle internen Interessengruppen wie das Topmanagement, Führungskräfte und Mitarbeiter von Anfang an in die Problemdefinition und Entwicklung der Transformationsarchitektur miteinbeziehen.

Drittens brauchen wir Veränderungen in verschiedenen gesellschaftlichen Sphären. Ein absolut berechtigter und bislang nur teilweise gelöster Einwand gegen Selbstorganisation liegt in der rechtlichen Struktur von (Kapital)Gesellschaften. Solange ein Vorstand oder Geschäftsführer viel weitreichendere rechtliche Konsequenzen aus unternehmerischen Fehlentscheidungen zu befürchten hat als ein Mitarbeiter, solange kann er oder sie sich genau darauf mit allem Recht berufen. Wir brauchen also eine Reform des Gesellschaftsrechts. Ebenso sollten wir das Eigentumsrecht auf seine zeitgemäße Wirksamkeit hin untersuchen und eventuell ändern. Und dann, weil das alles ja nur ein Pappenstiel ist, sollten wir noch das Bildungssystem auf den Kopf stellen. Denn das bildet  keine wirklich selbstbestimmten, freiheitsliebenden Menschen.

Wenn ich mir das so ansehe sollten wir das mit New Work und all dem Gedöns vielleicht doch möglichst schnell wieder vergessen. Lasst uns einfach so weitermachen, wie ehedem. Der Boss sagt an, und wir rennen artig los. 😉

Hendrik: Na bloß nicht! Lass uns dranbleiben! Und ihr geht mit der Konferenz da ja super Wege! In diesem Sinne: Danke dir und viel Spaß bei der Veranstaltung! 


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